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Artikel „Schmidt, Gustav“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 100–102, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmidt,_Gustav&oldid=- (Version vom 13. Dezember 2024, 03:38 Uhr UTC)
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Schmidt: Karl Gustav Sch., Schulmann und Geschichtsforscher, geboren zu Duderstadt am 5. Februar 1829, starb zu Halberstadt am 2. Januar 1892. Er verlor zehnjährig seinen Vater und kam daher zu seiner weiteren Erziehung und Ausbildung in das Haus seines Oheims, des Schulraths Schmidt in Eisenach. Dort besuchte er von 1839 bis 1846 das Gymnasium und bestand kaum siebenzehnjährig zu Ostern des letzteren Jahres die Reifeprüfung, worauf er bis zum Jahre 1850 in Göttingen und Berlin dem philologischen Studium oblag. Zu Ostern 1850 legte er das Staatsexamen ab, das Probejahr am Andreasgymnasium in Hildesheim und war dann seit Ostern 1851 zwei Jahre lang Mitglied des pädagogischen Seminars in Göttingen. Wegen seiner hier bekundeten besonderen Lehrgabe wurde er 1852 am Gymnasium zu Göttingen angestellt. Im J. 1855 zum Doctor der Philosophie, 1864 fünfunddreißigjährig zum Oberlehrer, Ende des folgenden Jahres zum Conrector befördert, folgte er zu Ostern 1866 dem Ruf als Lehrer an der Realschule zu Hannover, von wo er nach drei Jahren als Director des städtischen Gymnasiums nach Nordhausen berufen wurde. Drittehalb Jahre leitete er diese Anstalt und ward zu Michaelis 1871 zum Director des kgl. Domgymnasiums in Halberstadt berufen, als welcher er zwei volle Jahrzehnte bis zum Reformationsgedenktage des Jahres 1891, an welchem er zum letzten Mal unterrichtete, gewirkt hat. Sch. war ein Schulmann von Beruf, wozu ihm nicht weniger sein exactes philologisches Wissen als die besondere Art seiner Persönlichkeit das geeignete Rüstzeug verlieh. Denn mit seinem nie ermüdenden Fleiß, strenger, pünktlicher Pflichterfüllung, die er selbst übte und mit Strenge und Ernst von der ihm zu Unterricht und Erziehung anbefohlenen Jugend forderte, verband er ein lebendiges, liebevolles Interesse an den einzelnen Schülern und weckte durch die Lust, mit der er selbst arbeitete und die Gegenstände des Unterrichts erfaßte, das gleiche Streben bei der Jugend. Es verdient Bewunderung, daß der durch Arbeitslasten mannichfacher Art beschwerte noch Zeit und Freudigkeit gewann, am Halberstädter Stephaneum eine Selecta einzurichten, deren Blüthe ihn noch bis in seine letzten Lebenstage beschäftigte und erfreute. Doch wie nachhaltig und segensreich er auch in seinem Lehrerberuf gewirkt haben mag, das was ihm für weitere Kreise ein dauerndes Gedächtnis sichert, liegt auf einem andern Gebiet: seine mit eisernem Fleiß ausgekauften Mußestunden gehörten der Geschichts- und Alterthumswissenschaften.

Schon die Abhandlung, durch welche er am 21. Mai 1852 den akademischen Doctorgrad erwarb: „de rebus publicis Milesiorum“ lag innerhalb dieses Kreises. Wie diese, die er im Jahre darauf in einem Göttinger Gymnasialprogramm erweiterte, bewegen sich seine frühesten Arbeiten noch auf classischem Boden. Hierbei mag nicht unerwähnt bleiben, daß er in den Jahren 1857 und 1858 aus dem Nachlasse seines verehrten Lehrers K. Fr. Hermann dessen Kulturgeschichte der Griechen und Römer in zwei Bänden herausgab. Von [101] 1862 an gehörte aber seine gesammte litterarische Thätigkeit der vaterländischen Geschichte und Alterthumskunde an, und es ist dabei die besondere Liebe zu beachten, mit der er die Geschichte der Orte verfolgte, an welche er durch seinen Beruf gewiesen war. Durch sein Bemühen wurde das Stadtarchiv zu Göttingen, das früher nur wenig für geschichtliche Zwecke benutzt war, dem Studium erschlossen und in den Jahren 1863 und 1867 die beiden von ihm bearbeiteten bis zu Ende des 15. Jahrhunderts reichenden Bände des Göttinger Urkundenbuchs herausgegeben. Er drang dann mit seiner Forschung in die Reformationszeit vor. Zwar wurde der dritte dieser Zeit angehörende Band, den er gern selbst bearbeitet hätte, von Andern ausgeführt; Sch. legte aber eine große Sammlung von Schriftstücken aus der Zeit des Schmalkaldischen Krieges an, die er den Archiven verschiedener Städte Niedersachsens entnahm, und wovon er Einzelnes in Druckschriften verwerthete. Auch die drittehalb Jahre seines Nordhäuser Aufenthalts blieben für die Alterthumskunde dieser alten Reichsstadt nicht ohne Frucht. Die nachhaltigste, fruchtbarste Thätigkeit hat Sch. aber in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens auf dem Gebiete der Halberstädtischen Geschichte entfaltet. Nicht weniger als sieben Bände Urkundenbücher hat er innerhalb dieser Zeit fertig gestellt; das Urkundenbuch der Stadt Halberstadt, 2 Bde. 1878/79, der Collegiatstifter S. Bonifatii und S. Pauli ebendaselbst 1881, des Hochstifts und der Bischöfe von Halberstadt, 4 Bde., 1883–1889. Auch für ein Urkundenbuch des Collegiatstifts zu U. L. Frauen und des Klosters zu S. Johannes in Halberstadt hat er Sammlungen hinterlassen, die vom Harzverein für Geschichte und Alterthumskunde erworben wurden. Der Druck eines 5. Bandes vom Hochstiftischen Urkundenbuch, der von 1426 bis 1513 reichen sollte, war ebenfalls vorbereitet und blieb nur infolge eines Mißverständnisses mit dem damaligen Vorstande der Preußischen Staatsarchive unausgeführt.

Noch ein wichtiges Unternehmen wurde ihm während der Halberstädter Zeit übertragen und aufs erfolgreichste ausgeführt: im Auftrage der Histor. Commission der Provinz Sachsen, deren eifriges Mitglied er war und für welche er auch die Urkundenbücher der Stadt und der Stifter St. Bonifatii und S. Pauli zu Halberstadt ausführte, ging er im November 1884 nach Rom, um das der wissenschaftlichen Benutzung eröffnete Vatikanische Archiv zur Hebung urkundlicher Schätze für die Provinz Sachsen und Umlande zu verwerthen. Als Frucht seiner mit angestrengtem Fleiß durchgeführten Arbeit erschien 1886 ein die päpstlichen Urkunden und Regesten aus den Jahren 1295–1352 enthaltender Band. Ein zweiter, zwei Jahre darauf erschienener, dessen römische Materialien Herr Dr. Paul Kehr gesammelt hatte, führte diese Mittheilungen von 1353 bis 1378 fort und wurde von ihm herausgegeben und durch Ergänzungen aus heimischen Archiven gemehrt. Seine letzte, ebenfalls für den Geschichtsausschuß der Provinz Sachsen gelieferte Arbeit ist die 1891 erschienene Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmaler des Kreises Oschersleben. Schmidt’s großes Verdienst ist es, daß er die lückenhafte, doch immerhin reiche, theilweise auch durch Uebergang an Privatbesitz gebundene geschichtliche Ueberlieferung von Stift und Stadt Halberstadt zu einem großen Theile der Oeffentlichkeit vermittelt und durch sorgfältige zuverlässige Register leicht zugänglich gemacht hat. Eine ansehnliche Zahl geschichtskundlicher Abhandlungen, welche er in Schulschriften, den Forschungen zur deutschen Geschichte in der Zeitschrift für die Geschichte Westfalens, den Neuen Mittheilungen des Thüringisch-Sächsischen Vereins, den Magdeburger Geschichtsblättern erscheinen ließ, kann hier nicht vereinzelt aufgeführt werden, [102] doch haben wir noch seiner bedeutsamen Thätigkeit bei verschiedenen Körperschaften zu gedenken. Seit der Gründung im J. 1868 bis an sein Lebensende war Sch. ein ungemein thätiges Mitglied des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde, seit 1872 Mitglied des Ausschusses zur Herausgabe Harzischer Urkundenbücher, dann des Redactionsausschusses für die Zeitschrift, seit 1880 zweiter Vorsitzender. Eine Reihe schätzbarer Aufsätze nekrologischen, chronologischen und genealogischen Inhalts arbeitete er für die Vereinszeitschrift. Seiner Thätigkeit als Mitglied der Histor. Commission der Provinz Sachsen wurde schon gedacht. Er war diesem Ausschusse durch seinen zuverlässigen Rath und Urtheil bei litterarischen, besonders urkundlichen Unternehmungen von großer Wichtigkeit. Als Sohn des niederdeutschen unteren Eichsfelds hatte er auch ein großes Interesse für die niederdeutsche Sprache und Art und betheiligte sich deshalb auch an der Zeitschrift des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Unerwähnt mag auch nicht bleiben, daß er in der Münzkunde ungemein bewandert war. Besonders werthvoll ist der von ihm ausgearbeitete Katalog des Münz- und Medaillencabinets des Grafen zu Inn- und Knyphausen, Hannover 1872 und 1877. Aber neben seiner umfangreichen Berufsthätigkeit und seinen mannichfaltigen litterarischen Interessen verfolgte er auch mit Hingebung die der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinde, der er angehörte. Bis zu seinem Tode war er in Halberstadt ein geschätztes, thätiges Mitglied bei der Körperschaft der Stadtverordneten und des Gemeindekirchenraths der Domgemeinde. Die durch besondere Umstände theilweise recht schweren Pflichten des Hausvaters erfüllte der mit seiner Base Schmidt aus Eisenach Vermählte mit großer Treue. Wie im Leben und Verkehr so arbeitete er auch auf seiner Studirstube mit dem Herzen, obwohl er bei der Aeußerung seiner Gefühle zurückhaltend war. Sein vorzeitiges Ende wurde durch ein im November 1891 ausbrechendes bösartiges Drüsenleiden herbeigeführt. Nachdem er noch die Weihnacht im Kreise der Seinigen gefeiert hatte, verschied er in der Nacht vom 1. auf den 2. Januar des nächsten Jahres. Seine äußere Erscheinung, groß und untersetzt, mit blondem Haar, ließ den Niedersachsen deutlich erkennen. Unter den von ihm angefertigten Bildern mag das aus dem Lehrerkreise stammende, welches den Hörsaal des Domgymnasiums ziert, hier erwähnt werden.

Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde 24 (1891), 560–564. – Prof. Dr. Willemann (1. Oberl. d. Domgymn. in Halberstadt) im Osterprogramm des Domgymnasiums vom J. 1892, S. 4–6. – Ferdinand Frensdorff, Zur Erinnerung an Dr. Gustav Schmidt in den Hansischen Geschichtsblättern X, S. 159–165.