Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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König der Burgunder † 516, Sohn des Gundiok, gerechter Gesetzgeber
Band VII,2 (1912) S. 19381940
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Gundobadus (Gundebadus), König der Burgunder und ältester Sohn des Gundiok. Zuerst begegnet er uns in Italien, wo er während der Agonie des Westreichs eine bedeutende Rolle spielte. Bereits an der Ermordung des Anthemius war er beteiligt (Juli 472; Mommsen Chron. min. I 664. Iohannes Antioch. 209, 1). War doch eine Schwester Ricimers Gundioks Gattin und G.s Mutter gewesen. So ist es nicht wunderbar, daß er von dem neuen Kaiser Olybrius zum Patricius erhoben wurde, sei es vor, sei es – was wahrscheinlicher ist – nach Ricimers Tod. Jedenfalls hat G. diesen als Kaisermacher abgelöst, und Glycerius war seine Kreatur (Mommsen Chron. min. I 306. II 158. Cassiod. Chron. Iohann. Antioch. 209, 2). Seitdem verschwindet G. aus Italien, vermutlich deshalb, weil ihn der sonst nicht bezeugte Tod seines Vaters in die Heimat rief (Binding 83). Übrigens muß betont werden, daß die Identität des Patricius G. mit dem Burgunderkönig quellenmäßig nicht bezeugt ist und daß seit altersher (s. bei Jahn I 543, 4) bis zur Gegenwart (Mommsen Index zu Chron. min.) auch daran gezweifelt ist. Immerhin gewinnt die Sache durch einen Brief bei Cassiodor (var. I 46) an den König G., der auf der Voraussetzung beruht, daß dieser früher in Italien war, hohe Wahrscheinlichkeit.

Gundiok hatte vier Söhne gehabt, doch da der eine spurlos verschwindet, so ist es wahrscheinlich, daß das Reich der Burgunder nur in drei Teile geteilt wurde, die übrigens trotz Jahns Widerspruch (I 553), der G.s Brüder nur als Vasallen gelten lassen will, mit voller Selbständigkeit nebeneinander standen. G.s Machtzentrum scheint, alles erwogen, Vienne gewesen zu sein (Binding 73). Was wir aus den nächsten zwanzig Jahren von G. und seinem Reich wissen, ist sehr sporadisch. Ob er z. B. an den Kämpfen beteiligt war, die sein Bruder Hilperich an der Seite der Römer gegen den Westgoten Eurich führte, bleibt ungewiß. Jedenfalls ist G. während Odoakers Regierung in Ligurien eingefallen und hat zahlreiche Bewohner als Gefangene fortgeschleppt (Ennod. LXXX. Vita Epiphanii 138–139). Im J. 494 wurden dieselben auf Bitten des heiligen Epiphanius, der als Theoderichs Gesandter zu den Burgundern gegangen war, wieder herausgegeben. Anderseits müssen auch Gebietserweiterungen gegen die Alemannen hin stattgefunden haben, und zwar vermutlich vor 479, dem Todesjahr des Apollinaris Sidonias, durch dessen Fürsprache der aus der Civitas Lingonum vor den Burgundern geflohene Bischof Aprunculus des Sidorius Nachfolger in Arverni wurde (Gregor v. Tours II 23; doch vgl. Kaufmann Forsch. z. deutsch. Geschichte X 388).

Weit wichtiger sind die Dinge, die als Vorspiel zu dem großgermanischen Konflikt von 508 gelten müssen. Spätestens 494 hatte G. seinen Sohn Sigismund mit einer Tochter Theoderichs (Binding 303) verlobt und war so zu dessen neubegründeter Herrschaft in gute Beziehungen getreten (Ennod. LXXX. Vita Epiphan. 163). Anderseits war auch mit Chlodwig eine verwandtschaftliche [1939] Verbindung hergestellt Chilperich, G.s Bruder, war vor 493 gestorben (über die Sage von seiner Ermordung durch G. bei Gregor v. Tours II 28 vgl. Binding 114), seine von katholischer Mutter geborene Tochter Chrotechildis aber war spätestens 493 Chlodwigs Gemahlin geworden. Dennoch richtete sich die Expansionslust und -kraft des Frankenstaates nach dem Alemannensieg gleichsam naturgemäß gegen die Burgunder; die inneren Verhältnisse aber in G.s Reich kamen begünstigend hinzu. Was Godegisel bewogen hat, heimlich mit Chlodwig gegen seinen Bruder in Verbindung zu treten, steht nicht fest. Die Angabe des Vita S. Sigismundi (S. R. Merov. II 2) ist schon deshalb unbrauchar, weil unklar bleibt, ob sie sich auf die Zeit nach Gundioks oder Chilperichs Tod bezieht. Daß aber Godegisel katholisch gewesen sei und seine Verbindung mit Chlodwig auf der Glaubensgemeinschaft beruht habe (Kurth Clovis II 13), ist nichts als Vermutung. Wohl aber ist es Tatsache, daß die zahlreichen Katholiken des Burgunderreichs, voran Bischof Avitus von Vienne, der auch mit Chlodwig in brieflicher Verbindung stand (Avitus Mon. Germ. Hist. A. A. VII Ep. 46), mit ihrer Lage unzufrieden waren und, indem sie vergeblich auf den Übertritt des Königs drängten (Avitus Ep. 21), wohl in einem Feinde die Hoffnung auf inneren Zwiespalt erwecken konnten (die vielbenutzte Collatio Episc. Avitus 162 ist eine Fälschung. J. Havet Oeuvres I). Chlodwig also warf sich auf G. und schlug ihn, unterstützt durch Godegisel, im J. 500 bei Dijon aufs Haupt, so daß G. nichts übrig blieb als nach Avignon, dem südlichsten Punkt seines Reiches, zu fliehen. Kaum aber war Chlodwig abgezogen, indem er nur wenige tausend Mann bei Godegisel zurückließ, so erhob sich G. wieder, belagerte seinen Bruder in Vienne, wo sich dieser derweile häuslich eingerichtet hatte, eroberte die Stadt und tötete seinen Bruder sowie dessen verräterische Anhänger, während die Franken dem Westgotenkönig Alarich nach Tolosa zugesandt wurden (Chron. min. II 234; was Gregor von Tours II 32. 33 zu diesem Bericht des Marius Aventicus hinzugibt, unterliegt schon mannigfaltigen Bedenken. Procop. bell. Goth. I 12 ist chronologisch verwirrt und unklar). Seitdem war G. Alleinherrscher der Burgunder, und wie dies schon seiner Stellung zu gute kam, so suchte er sich weiter zu befestigen durch Annäherung an die Katholiken seines Reiches (Avitus Ep. 5. Gregor v. Tours II 33) und an Chlodwig selbst. In die nächsten Jahre dürfte die Zusammenkunft der beiden Monarchen zu Auxerre gehören, welche die Vita Eptadii 8 berichtet (S. Rer. Meroving. III, vgl. Kurth II 247–249).

Die logische Konsequenz von alldem war, daß beim Ausbruch des westgotischen Krieges von 507 G. zur lebhaften Freude seiner katholischen Untertanen (Avitus Ep. 45) auf der Seite Chlodwigs stand. Zwar hatte Theoderich noch unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, wie die anderen germanischen Fürsten, so auch G. durch eine Gesandtschaft gewarnt (Cass. var. III 2), aber anscheinend ist dieselbe infolge der großen Entfernung überhaupt zu spät angekommen. Im Kriege selbst wird G. ausdrücklich nur gelegentlich [1940] des Sieges über den westgotischen Bastard Gesalich bei Narbonne und der Eroberung der Stadt im J. 507 oder 508 genannt (Isid. Chron. min. II 282). Ob er persönlich an der Belagerung von Arles und ihrer Aufgabe nach der Niederlage durch Theoderichs Feldherrn Ibbas im J. 510 beteiligt gewesen ist, steht nicht fest. Jedenfalls verlor G. nicht nur alle bereits gemachten Eroberungen, sondern auch Avignon stand künftig unter gotischer Hoheit (Binding 213).

Friedlich sind sodann die letzten Jahre G.s hingegangen, in Nachgiebigkeit gegen den Katholizismus und seinen Vertreter Avitus, aber gewiß ohne daß er, wie Gregor v. Tours II 34 erzählt, auch nur heimlich seinen Arianismus aufgegeben hätte. Das Todesjahr 516 nennt Marius Avent. (Chron. min. II 234).

G. war im ganzen eine friedliche und gerechte Natur, die dem harten Handwerk der damaligen Politik nicht gewachsen war. So ist es nur billig, daß sein Name weniger fortlebt als der eines gewaltigen Staatsmannes, sondern als eines wohlwollenden und gerechten Gesetzgebers; fällt doch unter seine Regierung die Kodifikation des Burgundischen Rechts (Brunner Rechtsgeschichte I 332–340. 354. 358; Leges Burgundionum, Mon. Germ. Hist. Leges Sectio I Bd. I 1, herausgeg. v. de Salis).

Literatur: Binding Das Burgundisch-Romanische Königreich I 1868. Sécrétan Le premier Royaume de Bourgogne 1868. Jahn Geschichte der Burgundionen 1874 L. M. Hartmann Das Italienische Königreich 1897, 155 usw.