Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Fälschung, krimineller Tatbestand in den sullanischen Gesetzen
Band VI,2 (1909) S. 19731976
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Falsum. Die geschichtliche Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß dem römischen Strafrecht ein fest abgegrenzter Begriff des Fälschungsvergehens fehlt; falsum ist dem römischen Juristen jeder kriminelle Tatbestand, der gemäß den Bestimmungen des Sullanischen Gesetzes (s. u.) und der dazu gehörenden Nachtragsgesetze behandelt wird; insofern ist die ,Fälschung‘ des römischen Rechts allerdings nur eine ,prozessualische Einheit‘ (Mommsen).

Eine allgemeine Definition der Fälschung gibt Paul. Collat. VIII 6, 1: falsum est quidquid in veritate non est, sed pro vero adseveratur: diese sprachlich richtige Definition deckt sich nicht mit den positiven Bestimmungen des römischen Rechts; mit Bezug auf die Urkundenfälschung definiert derselbe Jurist Dig. XLVIII 10, 23: falsum videtur esse, si quis alienum chirographum imitetur aut libellum vel rationes intercidat vel describat, non qui alias in computatione vel in ratione mentitur.

In der vorsullanischen Zeit fehlt es an einer allgemeinen Bestimmung über die Fälschung. Die Zwölftafelgesetzgebung enthielt eine Bestimmung über f. testimonium: der des falschen Zeugnisses Überführte wird vom Tarpeischen Felsen gestürzt, Gell. XX 1, 53; auch die Bestrafung (Kapitalstrafe) des Richters qui ob rem dicendam pecuniam accepisse convictus est (Gell. XX 1, 7) gehört insofern hierher, als nach dem Sullanischen Gesetz Bestechung des Richters als f. behandelt wurde.

Das Sullanische Gesetz, die lex Cornelia testamentaria nummaria (so Cic. Verr. I 108), wird in Juristenschriften und Gesetzen der Kaiserzeit gewöhnlich lex Cornelia testamentaria (Paul. Sent. V 25, 1 und Collat. VIII 2. 5, 1. Ulp. Dig. XLVII 11, 6. XLIII 5, 3, 6. Papin. Dig. XLVIII 2, 2. Mod. Dig. XLVIII 10, 30 pr. Macer Dig. XLVIII 1, 1. Val. Grat. Valent. Cod. Theod. IX 20, 1) oder lex Cornelia de falsis (Paul. Sent. I 12, 1. IV 7, 1. V 25, 11. Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 4) oder auch schlechthin lex Cornelia genannt (Macer Dig. XLVIII 2, 11, 1. Ulp. Dig. XLVIII 10, 25. Alex. Cod. Iust. IV 21, 2. Valer. u. Gall. Cod. Iust. IX 22, 8). Das Gesetz stellte, wie der Name ergibt, bestimmte Testaments- und Münzdelikte unter Strafe; als Testamentsdelikte werden im Gesetz selbst genannt: widerrechtliche Beseitigung, Zerstörung, Abänderung eines echten Testaments, Herstellung, Unterschiebung oder wissentliche Geltendmachung eines falschen Testaments, Paul. Sent. IV 7, 1. V 25, 1 [1974] und Dig. XLVIII 19, 38, 7. Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 5. Sall. Catil. 16. Cic. pro Cluent. 41. Tac. ann. XIV 40. Suet. Oct. 33. Als Münzdelikte werden genannt: Legierung des Goldes, Nachahmung der staatlichen Münzen, Beschädigung derselben durch Abschneiden, Abkratzen u. a. Paul. Sent. V 25, 1 und Dig. XLVIII 10, 19. Ulp. Dig. XLVIII 10, 8. 9. Überdies scheint das Gesetz zwar noch nicht das falsche Zeugnis schlechthin, wohl aber Bestechung des Zeugen und des Richters, sowie die Annahme der Bestechung (für Abgabe oder Nichtabgabe des Spruches oder Zeugnisses) mit Strafe bedroht zu haben; Paul. Sent. V 25, 2 = Collat. VIII 5, 1; einen andern schweren Fall des falschen Zeugnisses (im Kapitalprozeß) regelt die lex Cornelia de sicariis, Paul. Sent. V 23, 1. Collat. I 2, 1.

Für diese Vergehen wurde ein besonderer Schwurgerichtshof, eine besondere quaestio eingerichtet (testamentorum lege nova quaestio, Cic. de nat. deor. III 74); der Prozeß ist iudicium legitimum, crimen publicum (s. Art. Crimen Bd. IV S. 1714). Die Strafe (poena legitima, poena legis Corneliae) bestand ursprünglich in der aquae et ignis interdictio (Modest. Dig. XLVIII 10, 33); in der Kaiserzeit wird diese Strafe für die honestiores ersetzt durch deportatio mit bonorum publicatio, für die humiliores durch poena metalli oder Todesstrafe; den Sklaven trifft Todesstrafe (Kreuzigung), Paul. Sent. IV 7, 1. V 25, 1 und Dig. XLVIII 19, 38, 7. Marcian Dig. XLVIII 10, 1, 13. Plin. ep. ad Traian. 58. Suet. Claud. 15. Firmic. Mat. VI 31. Iust. Inst. IV 18, 7. Über das Vorkommen anderer, namentlich leichterer, Strafen in den kaiserlichen Constitutionen s. u.

An diese lex publici iudicii schließen sich zunächst verschiedene Senatsbeschlüsse an, welche weitere Tatbestände den gesetzlichen (materiellrechtlichen, prozeßrechtlichen) Bestimmungen der lex Cornelia de falsis unterstellen und diese Tatbestände damit zu crimina legitima (s. Bd. IV S. 1714) erklären. Andererseits haben im Anschluß an die Lex Cornelia kaiserliche Constitutionen neue Tatbestände mit Strafe bedroht, ohne diese zu crimina legitima zu erheben, s. z. B. Paul. Dig. XLVIII 10, 16 pr. vgl. mit Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 4; in diesen letzteren Fällen (crimina extraordinaria), die ebenfalls als falsa bezeichnet werden, kommen die prozessualischen Regeln der crimina legitima nicht zur Anwendung, ebenso kann hier auch eine Strafe angedroht sein, die leichter ist als die poena legitima falsi. Beispiele ausweitender Senatusconsulta: Ulp. Collat. VIII 7. Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 17. Macer Dig. XLVIII 10, 10. Paul. Dig. XLVIII 10, 22; s. hierüber besonders Landucci (s. u.) 980 und Art. Senatusconsultum Libonianum; Beispiele ausweitender Constitutionen: Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 4. Callistr. Dig. XLVIII 10, 15 pr. 31. Paul. Dig. XLVIII 10, 16 pr. 21. Ulp. Dig. XLVII 11, 6. 1. 2. Inhaltlich beziehen sich diese Ausdehnungen auf folgendes: neben der Testamentsfälschung werden weitere Unregelmässigkeiten bei der Testamentserrichtung bestraft; den Testamenten werden betreffs Beseitigung und Fälschung andere Siegelurkunden (Übersiegelung und Untersiegelung), dann aber auch gewöhnliche [1975] Urkunden (ohne Siegel) gleichgestellt, Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 4. Ulp. Dig. XLVIII 10, 9, 3. Paul. Dig. XLVIII 10, 16 pr., im besonderen auch das (formlose) Soldatentestament, Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 7. Neben die Bestechung des Zeugen und die Verwendung des Zeugen bei der Testamentsfälschung tritt das einfache falsche Zeugnis im Zivil- und Strafprozeß, Paul. Collat. VIII 2, 3 und Dig. XXII 5, 16. Dazu weitere Urkunden- und Prozeßdelikte: neben der Bestechung des Richters (s. o.) das Urteil des Richters gegen klare Gesetze, Paul. Sent. V 25, 4. Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 3; das Herausgeben anvertrauter Urkunden an die Gegenpartei des Anvertrauenden, Paul. Sent. V 23, 8. Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 6. Ulp. Dig. XLVII 11, 8; Vorbringen gefälschter obrigkeitlicher Erlasse, Zitieren nicht existierender Constitutionen, Paul. Sent. V 25, 9. Ulp. Dig. XLVIII 10, 25. Mod. Dig. XLVIII 10, 33. Alex. Cod. Inst. IX 22, 3. Kontrakt zwischen Tutor und Fiskus vor Ablegung der Vormundschaftsrechnung, Marcian. Dig. XLVIII 10, 1, 9. Anton. Cod. Iust. V 41, 1. Neben die Münzfälschung tritt die Verweigerung der Annahme echter Landesmünzen, Paul. Sent. V 25, 1, die Verwendung falscher Maße und Gewichte, Ulp. Dig. XLVII 11, 6, 2. Paul. Dig. XLVIII 19, 37. die Verfälschung der öffentlich aufgestellten Maße und Gewichte, Mod. Dig. XLVIII 10, 32; weiter die Anmaßung falscher Namen und Titel, falschen Amts und Ranges, Paul. Sent. V 25, 11. 12. Papin. Dig. XLVIII 10, 13, die Kindesunterschiebung, Mod. Dig. XLVIII 10, 30, 1. Diocl. u. Maxim. Cod. Iust. IX 22, 10. Macer Dig. XLVIII 2, 11, 1, der doppelte Verkauf einer Sache, Paul. Dig. XLVIII 10, 21.

Diese Übersicht ergibt einerseits, daß es an einer allgemeinen Bestimmung über die Fälschung fehlt, vielmehr lediglich eine Reihe einzelner Tatbestände derselben rechtlichen Behandlung unterworfen werden; andererseits, daß diese einzelnen Tatbestände sehr verschiedenartiger Natur sind und durchaus nicht immer Fälschungen und Täuschungen im Sinn der Definition des Paulus (s. o.) enthalten. Im besonderen wird als f. ebensowohl die Fälschungshandlung selbst wie die Verwertung und Geltendmachung der gefälschten Urkunde, Münze usw. bestraft, s. Paul. Sent. V 25, 9. Ambros. de offic. III 11, 73. Der verbindende Gedanke scheint der zu sein, daß in allen Fällen ein Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, gegen Treu und Glauben, im besonderen eine Gefährdung des Beweises, gefunden wird. Daß dieser Grundgedanke in einzelnen Fällen des f. zurücktritt hinter dem Gedanken der betrüglichen Vermögensschädigung, hängt damit zusammen, daß die Fälschungsgesetzgebung vor der Ausbildung des crimen stellionatus (s. d.) in ihren Kreis auch Fälle einbezog, die später als Betrug behandelt wurden; vgl. Paul. Dig. XLVIII 10, 21 mit Ulp. Dig. XLVII 20, 3, 1. Überhaupt brachte die sprunghafte geschichtliche Entwicklung des f. mit sich, daß ein fester Fälschungsbegriff von der Jurisprudenz nicht gewonnen, daß eine Abgrenzung gegenüber anderen Verbrechen gar nicht versucht wird. Daß die Römer dies selbst empfinden, geht daraus hervor, daß sie einzelne Fälle doch nicht als falsa, sondern nur als quasi falsa bezeichnen (Marcian. Dig. XLV111 10, 1, 13). Mit [1976] dem Tatbestand des f. kann gleichzeitig der Tatbestand eines anderen crimen gegeben sein, vgl. z. B. die Art. Concussio, Dardanariatus, Maiestas. Eine besondere Behandlung erfährt in der Kaiserzeit, besonders in der nachklassischen, die Münzfälschung, sie wird jetzt mehr als Majestätsverbrechen und als Eingriff in ein nutzbares Recht des Kaisers behandelt, mit besonders schwerer Strafe bedroht und auch in prozessualischer Beziehung mehrfach ausgezeichnet, Paul. Sent. V 12, 12 und Dig. XLVIII 10, 19. Hermogen. Dig. V 1, 53. Claud. Sat. Dig. XLVIII 19, 16, 9. Constantin. Cod. Iust. IX 24, 1. 2. VII 13, 2 und Cod. Theod. IX 21, 1–4. IX 22. IX 23. Valent. Theod. Arcad. Cod. Iust. I 4, 3. IX 24, 3. XII 4, 1 und Cod. Theod. IX 21, 9.

Wesentlich ist allen Arten des f., daß es immer nur vorsätzlich begangen werden kann; es wird dolus erfordert, Paul. Dig. XLVIII 10, 22 pr. Für das crimen legitimum falsi gilt das Besondere, daß ausnahmsweise auch Sklaven (Marcian. Dig. XLVIII 10, 7. Hermogen. Dig. V 1, 53) und Frauen (Papin. Dig. XLVIII 2, 2 pr.) zur Anklage zugelassen werden. Daß die Folter auch gegenüber dem freien Angeschuldigten zur Verwendung gelangt, ist wohl nicht in dem Sullanischen Gesetz (so anscheinend Ammian. Marcell. XIX 12, 18), sondern erst in der kaiserlichen Gesetzgebung bestimmt worden, Constant. Cod. Iust. IX 22, 21. Die öffentliche Strafklage verjährt nach den Ordnungen der Kaiserzeit in zwanzig Jahren, Diocl. Cod. Iust. IX 22, 12. Neben der kriminellen Verfolgung der Fälschung steht die zivilrechtliche Geltendmachung der Unechtheit der Urkunde usw.; beide Klagen können unabhängig von einander geltend gemacht werden, im besonderen kann der in dem einen Verfahren abgewiesene Kläger immer noch das andere durchführen, Ulp. Dig. XLIII 5, 3, 6. Alex. Cod. Iust. IX 22, 5. Diocl. u. Max. Cod. Iust. IX 22, 16. Val. Grat. Valent. Cod. Theod. IX 19, 4. IX 20, 1.

Literatur: Birnbaum Archiv f. Criminalrecht N. F. 1834, 527–559. Escher Lehre v. strafbaren Betrug u. v. d. Fälschung (1840) 322–329. Rein Criminalrecht der Römer (1844) 782–789. Seeger Versuch der Verbrechen nach röm. Recht (1879) 22–29. Landucci Storia del diritto romano 978–986. Mommsen Römisches Strafrecht 667–677.

[Hitzig. ]