RE:Euricus
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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König d. Westgoten | |||
Band VI,1 (1907) S. 1239 (IA)–1242 (IA) | |||
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Euricus, König der Westgoten 466–485, vierter Sohn des Königs Theodorid, Bruder des Thorismud, Theodoricus, Fredericus, Retemeris und Himnerith (Iord. Get. 36, 190). Nachdem sein ältester Bruder durch die beiden folgenden umgebracht und von diesen Fredericus im Kampfe gefallen war, tötete er selbst in Tolosa den Theodoricus und schwang sich dadurch zum Könige auf (Mommsen Chron. min. I 664. II 34. 222. 233. 281. Iord. Get. 45, 235). Das J. 466 ist für seinen Regierungsantritt beglaubigt durch Maximus von Caesaraugusta und Isidor von Sevilla (Mommsen II 222. 281), ferner durch die Nachricht, daß sein Vorgänger Theodoricus, der im J. 353 den Thron bestiegen hatte, ihn 13 Jahre behauptete (Mommsen II 279. 384. III 465. Iord. Get. 44, 234). Die abweichenden Datierungen sind unklar oder verwirrt (Mommsen I 664. II 34. 233). Ihm selbst gibt die bestbeglaubigte Überlieferung 19 Jahre (Mommsen II 384. III 465. Iord. Get. 47, 244); die Zahlen 16, 17, 18 und 27, die sich sonst noch finden, beruhen wohl nur auf hsl. Verderbnis (Mommsen II 222. 281. Greg. Tur. hist. Franc. II 20). Demgemäß setzen die Gallische Chronik und Maximus seinen Tod in das J. 485 (Mommsen I 365. II 222; andere Datierungen 1313. II 281).
Seine Gattin war Ragnahilda, die Tochter eines nicht zu bestimmenden Königs (Apoll. Sid. ep. IV 8, 5), sein Sohn Alaricus, der ihm auf dem Thron folgte (Mommsen I 313. 665. II 222. 281. Iord. Get. 47. 245). Er war ein eifriger Anhänger der Arianischen Lehre und lebte der Überzeugung, das Glück, dessen er sich in Krieg and Politik erfreute, sei ein Geschenk Gottes, das ihm um seines rechten Glaubens willen zu teil geworden sei (Apoll. Sid. ep. VII 6, 6). Doch scheint er die orthodoxe Kirche nur dadurch bekämpft zu haben, daß er erledigte Bischofssitze, wenn er sie nicht mit Arianischen Priestern besetzen konnte, lange Zeit unbesetzt ließ (Apoll. Sid. ep. VII 6, 7ff.). Denn was Greg. Tur. II 25 von seinen Verfolgungen erzählt, ist nur falscher Schluß aus einem Briefe des Apollinaris Sidonius (VII 6), den er nicht verstanden hat. Zwar verbannte E. einzelne Bischöfe (Apoll. Sid. ep. VII 6, 9), darunter den Apollinaris Sidonius selbst (ep. VIII 3, 1; vgl. IX 3, 3). Aber da dieser Schwiegersohn des römischen Kaisers Avitus und Schwager des Ecdicius war, der die Goten lange bekämpft hatte, wird sein Exil wohl eher politische als religiöse Gründe gehabt haben, und Ähnliches wird vielleicht von seinen Leidensgefährten gelten. Denn mit anderen Bischöfen der orthodoxen Kirche standen sowohl E. als auch seine Gattin im freundlichsten Verkehr (Apoll. Sid. ep. VI 12, 3. 4), die Vermittlung zwischen ihm und dem römischen Kaiser übernahmen meist Bischöfe (Apoll. Sid. ep. VII 6, 10. Ennod. vit. Epiph. 80ff.), und ein wirklicher Verfolger kann er schon deshalb nicht gewesen sein, weil die Römer Leo und Victorius, die beide orthodoxe Katholiken waren (Apoll. Sid. ep. VII 17, 1. VIII 3, 5), zu seinen einflußreichsten Beamten gehörten. Denn Victorius machte er zum Comes der Aquitanica prima (Apoll. Sid. ep. VII 17, 1. Greg. Tur. h. Fr. II 20; in glor. mart. 44) und Leo zu seinem ersten Ratgeber (Apoll. Sid. ep. IV 22, [1240] 3. Ennod. vit. Epiph. 85. 89), eine Stellung, die er bis zum Tode des E. und noch unter dessen Sohn und Nachfolger Alarich II. zu behaupten vermochte (Greg. Tur. in glor. mart. 91). Dieser Mann galt als Nachkomme des Redners Fronto (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3) und war berühmt als Dichter (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3. IX 13, 2 v. 20. 15, 1 v. 20; carm. 23, 450) und Philosoph (Apoll. Sid. carm. 14 praef. 2), Redner (Apoll. Sid. ep. VIII 3,3; carm. 9, 314. Ennod. vit. Epiph. 85) und Jurist (Apoll. Sid. carm. 23, 447). Wie die römischen Kaiser auf den Stil ihrer Erlasse großen Wert legten und sie daher meist durch angesehene Literaten formulieren ließen, so benutzte E. den Leo, um die im Namen des Königs ausgefertigten Schriftstücke abzufassen (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3). In diesem Sinne verwertete er auch die juristischen Kenntnisse seines Consiliarius. Denn er war der erste germanische Herrscher, der seinem Volke geschriebene Gesetze gab (Mommsen II 281. 288), und diese scheinen aus der Feder Leos geflossen zu sein (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3 an Leo: sepone pauxillulum conclamatissimas declamationes, quas oris regii vice conficis, quibus ipse rex inclitus – frenat arma sub legibus). Auch das Steuerwesen scheint E. geordnet zu haben (Cassiod. var. V 39, 13).
Die auswärtige Politik des E. ging dahin, das Gebiet der Westgoten nicht nur auszudehnen, sondern es auch kraft eigenen Rechtes, nicht mehr, wie seine Vorgänger, als Beauftragter des römischen Kaisers zu beherrschen (Iord. Get. 45, 237. 47, 244). Er hat daher, sobald die Verhältnisse dies erlaubten, den Bündnisvertrag, der die Goten an das Reich fesselte, für nichtig erklärt (Apoll. Sidon. ep. VII 6, 4. 10. V 12, 2. VI 6, 1). Bei seinem Regierungsantritt schickte er noch eine Huldigungsgesandtschaft an den oströmischen Kaiser, da es einen weströmischen zu jener Zeit nicht gab (Μommsen II 34. 281; vgl. Apoll. Sid. ep. I 7, 5). Zugleich suchte er mit den Sueben in Spanien, mit denen sein Vorgänger in Konflikt gekommen war, Versöhnung durch eine zweite Gesandtschaft. Als diese abgewiesen wurde, schickte er auch an Anthemius, der unterdessen (12. April 367) in Rom auf den Thron erhoben war, Gesandte ab, zugleich aber auch an die Ostgoten und an Geiserich, den schlimmsten Feind des Römerreiches. Mit ihm gelang die Anknüpfung nicht sogleich; da eben eine große Flottenexpedition des Kaisers gegen ihn ausgerüstet wurde, wagte die Gesandtschaft nicht, nach Africa überzusetzen, sondern kehrte unterwegs um (Mommsen II 34). Doch später wurde das Einverständnis zwischen Geiserich und E. hergestellt auf der Grundlage, daß jener von Süden, dieser von Norden das Römerreich beunruhigten und es so verhindert wurde, seine gesammelte Kraft gegen einer von beiden zu wenden (Iord. Get. 47, 244), Dies hinderte natürlich nicht, daß E., wenn ihm dies in seine Politik paßte, zeitweilig auch das Reich gegen die Vandalen in Schutz nahm, soweit sich dies auf diplomatischem Wege machen ließ (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3).
Ehe er sich gegen das römische Reich wenden konnte, mußte er seine Flanke sichern, die von den feindlichen Sueben bedroht war. Er fiel daher im J. 467 oder 468 in ihr Gebiet ein und [1241] verwüstete das südliche Spanien (Mommsen II 35, 281). Um diese Zeit trat der Praefect von Gallien, Arvandus, mit ihm in hochverräterische Verbindung. Er riet ihm, den oströmischen Kaiser und natürlich auch den weströmischen nicht mehr als Oberherrn anzuerkennen, sich mit den Burgundern zur Teilung Galliens zu verbinden und zunächst die Brittonen an der Loire, die dem Reiche noch treu waren, niederzukämpfen (Apoll. Sid. ep. I 7, 5). Doch der Brief, der diese Ratschläge enthielt, wurde aufgefangen und Arvandus nach Rom beschieden, um sich dort gegen die Anklage des Hochverrats zu verteidigen. Bei dem Gericht, das der Senat über ihn hielt, trat er mit großer Sicherheit auf, wahrscheinlich in der Voraussetzung, daß die Furcht vor E. ihn decken werde. Doch wurde er zum Tode verurteilt und vom Kaiser zur Verbannung begnadigt (Apoll. Sid. ep. I 7). Dies geschah im J. 469 (Mommsen II 158. Paul. hist. misc. XV 2). Vielleicht war dieser Prozeß der Grund, daß es nicht lange darauf zwischen Anthemius und dem Westgotenkönig zum offenen Bruche kam. Im J. 471 sollte ein kombinierter Angriff gegen E. ausgeführt werden. Von Bourges aus sollte der König der Brittonen, Riotimus, in sein Gebiet einfallen und gleichzeitig Anthemiolus, der Sohn des Kaisers, begleitet von den germanischen Feldherren Thorisarius, Everdingus und Hermianus aus Italien heranziehen. Doch E. gelang es, die Brittonen bei Dolensis Vicus (Déols) zu schlagen, ehe das kaiserliche Heer angelangt war, und dann diesem über die Rhone entgegen zu ziehen und ihm gleichfalls eine Niederlage beizubringen, bei der die Führer desselben ihren Tod fanden (Iordan. Get. 45, 237. Greg. Tur. II 18. Mommsen I 664). Nach diesen glänzenden Siegen trat der neue Praefect von Gallien, Seronatus, alsbald in Verbindung mit den Goten (Apoll. Sid. ep. II 1, 3); er verkehrte in Tolosa, der damaligen Residenz des Königs (Apoll. Sid. ep. V 13, 1), und tat das Seine, ihm die römischen Provinzen untertan zu machen (Apoll. Sid. ep. VII 7, 2). Ungehindert hätte E. seine Macht vom Ozean und der Loire bis zur Rhone ausdehnen können, wenn nicht inmitten des von ihm beherrschten Gebietes die Arverner ihm Widerstand geleistet hätten (Apoll. Sid. ep. VII 1, 1. 5, 3. 7, 2. III 4, 1. VI 10, 1. 12, 5. 8). Der Vornehmste unter ihnen, Ecdicius, der junge Sohn des Kaisers Avitus (Bd. V S. 2159), warb auf eigene Kosten ein Heer (Apoll. Sid. ep. III 3, 7) und verteidigte seine Vaterstadt lange Zeit gegen die Goten (Iord. Get. 45, 240). Unterdessen stürzte der Tod des Kaisers Anthemius (472) das Reich in neue Wirren, die E. benutzte. Verstärkt durch eine Schar von Ostgoten, die ihm Vidimer zuführte (Iord. Get. 56, 284), ließ er im J. 473 durch seine Feldherrn Gauterit, Heldefred und Vincentius das nördliche Spanien unterwerfen (Mommsen I 664. II 281) und sandte dann den Vincentius nach Italien, um das weströmische Reich auch im Zentrum seiner Macht zu bekämpfen. Doch wurde dieser hier durch Alla und Sindila, die Feldherrn des Glycerius, geschlagen und getötet (Mommsen I 665). Diese Niederlage zwang den König zu größerer Nachgiebigkeit. Als im J. 474 Iulius Nepos den Kaiserthron bestiegen hatte und den [1242] Bischof Epiphanius von Pavia als Friedensgesandten nach Tolosa schickte, blieb dies nicht erfolglos (Ennod. vit. Epiph. 80–91). Es wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der auch dem Ecdicius und seinen Arvernern, nachdem sie vorher durch die Plünderungen und Verwüstungen der Goten furchtbar gelitten hatten (Apoll. Sid. ep. III 1, 4. 2, 1. 5, 2. VI 10, 1. 12, 5. VII 1, 2. 7, 3. 11, 1), eine kurze Ruhe verschaffte (Apoll. Sid. ep. V 12, 2). Doch schon im J. 475 begannen die Angriffe gegen ihn von neuem (Apoll. Sid. ep. VII 11); er war gezwungen, die Stadt aufzugeben und sich mit seiner kleinen Macht ins Gebirge zurückzuziehen, von wo Nepos ihn nach Italien berief. An seiner Stelle sollte Orestes das Kommando übernehmen und zu diesem Zwecke ein Heer nach Gallien führen. Doch in Ravenna angelangt, erklärte er den Nepos für abgesetzt und ließ seinen Sohn Romulus Augustulus zum Kaiser ausrufen (Iord. Get. 45, 238. 240. 241). Jetzt wurde ein Frieden abgeschlossen, in dem das römische Reich endgültig auf den Besitz des Arvernergebietes verzichtete (Apoll. Sid. ep. VII 7. IX 5, 1). Nachdem E. noch die Franken besiegt und zu einem Bündnis gezwungen hatte (Apoll. Sid. ep. VIII 3, 3. 9, 5 v. 28), überschritt er im J. 476 oder 477 die Rhone, verwüstete das Land, eroberte Massilia und Arelate (Mommsen I 309. 313. 665. II 222. 281. Iord. Get. 47, 244) und ließ diese Stadt gründlich plündern (Mommsen I 309). Dieser Krieg dehnte sein Gebiet bis zur Alpengrenze aus (Procop. bell. Goth. I 12, 20). Später besiegte er noch die Burgunden (Iord. Get. 47, 244), die aus Eifersucht gegen die Westgoten vorher das römische Reich unterstützt hatten (Iord. Get. 45, 238). So nahm er unter den germanischen Königen seiner Zeit eine beherrschende Stellung ein. Gesandtschaften aller barbarischen Stämme erschienen an seinem Hofe, und selbst die Parther sollen um seine Freundschaft nachgesucht haben (Apoll. Sid. ep. VIII 9, 5 v. 20ff.). Bis zu den Herulern, Warnern und Thüringen dehnte er seine Verbindungen aus und schützte sie vor Angriffen (Cassiod. var. III 3, 3). Er starb 485 in Arelate (Mommsen I 313. 665. II 222. 281. Iord. Get. 47, 244). In Tolosa (Mommsen I 665. II 281) wurde darauf sein Sohn Alaricus am 28. Dezember 485 auf den Thron erhoben (Mommsen I 313). J. Aschbach Geschichte d. Westgoten 146. F. Dahn Die Könige der Germanen V 88. E. v. Wietersheim Geschichte der Völkerwanderung II² 311.