Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Beiname der Athena, des Mondes, der Kassandra und der Hera
Band VII,1 (1910) S. 14041407
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Glaukopis (Γλαυκῶπις, gelegentlich auch γλαυκωπός: Alkaios frg. 32 bei Strab. XIII 600. Orph. hymn. 32, 14, und γλαυκώψ: anonymer Vers bei Iulian. or. IV p. 149 b und Eustath. Hom. Il. 83, 44).

1. Athena führt in der epischen Poesie seit Homer und Hesiod bis zu den spätesten Nachahmern überaus häufig das Beiwort oder den selbständigen Namen G.; die Belegstellen finden sich bei Bruchmann Epithet. deor. 7.

Das Wort wird von alters her verschieden erklärt: entweder als eine Bildung wie βοῶπις, ταυρῶπις, κυνῶπις, d. h. als ,eulenäugig‘ mit Beziehung auf die heilige γλαύξ der Athena, – oder ohne Bezugnahme auf die Eule als γλαυκόμματος im Gegensatz zu μελανόμματος, d. h. als ,helläugig‘, wobei die einen an eine helle, grünliche, blaue oder hellbraune Färbung des Auges denken, die andern aber an den hellfunkelnden Charakter des Blickes. Γλαυκός ist alles, was hell glänzt und funkelt; seit alter Zeit wird z. B. das Meer als γλαυκὴ θάλασσα (Hom. Il. XVI 34) und der Löwe als λέων γλαυκιόων (Hom. Il. XX 172) bezeichnet, und wievielerlei Dinge später γλαυκοί und γλαυκώπιδες genannt werden, lehrt die Zusammenstellung von C. W. Lucas Quaestion. lexilog. lib. I Bonn 1835; vgl. auch dessen Schrift De Minervae cognomine Γλαυκῶπις, Bonn 1831.

Bei Homer ist G. ein ständiges Ehrenwort der Athena, ob sie als kriegerische Göttin (Il. IV 439) oder als friedliche Herrin der weiblichen ἔργα (Il. IX 390) oder als Helferin zur See (Od. II 420) erscheint, ob sie zürnt (Od. III 135) oder lächelt (Od. XIII 287), – ob es sich um die Athena von Ilion (Il. VI 88) oder um die attische Göttin (Od. VII 78ff.) handelt. Das Wort dürfte damals noch allgemein verständlich gewesen sein, die Augen alter Athena-Bilder werden der Bezeichnung γλαυκῶπις entsprochen haben.

Später ward es anders. Von den selbständigen Dichtern, die nicht den homerischen Stil einfach nachahmen, gebraucht nur noch Pindar das Wort G. häufiger (Ol. VII 51; Nem. VII 96 X 7: ξανθὰ Γ.), vereinzelt Soph. Oid. Kol. 705 und Aristoph. Thesmoph. 317. Die übrigen (s. u.) ersetzen das nur auf den Blick hinweisende γλαυκῶπις durch das allgemeinere γλαυκή. In Athen sind vor den Perserkriegen noch Weihinschriften auf der Akropolis der γλαυκῶπις κούρη gewidmet (IG I 355. Suppl. I p. 82ff. nr. 373, 29. 98. 217; p. 198ff. nr. 373, 236. 239. 242), nach den Perserkriegen nicht mehr.

Wie die ältere Kunst die Augen der G. dargestellt hat, lassen die Akropolis-Funde vermuten. [1405] Der Typhon mit seinen hellen, grünlichen, glotzenden Augen im Giebel des alten Tempels (Wiegand Die archaische Poros-Architektur der Akropolis zu Athen Taf. IV = Antike Denkm. I 30) ist ein echter γλαυκωπός, ebenso der Löwe mit den grünlichen Augen (Wiegand Taf. X = Ant. Denkm. I 38) ein echter λέων γλαυκιόων. Solche hellfarbigen Augen haben wohl auch alte Athenaköpfe gehabt. Mit der Blütezeit der Kunst seit den Perserkriegen hörte das auf (vgl. den Berliner Kopf Ant. Denkm. Ι 3). Nur der blauäugige, blonde Thraker (vgl. die Budinoi bei Herodot IV 108) kann sich, so meint Xenophanes frg. 16 (Diels Fragm. d. Vorsokratiker I2 49), seine Götter als γλαυκοὺς καὶ πυρρούς vorstellen. Die Parthenos des Pheidias mit ihren von Plat. Hipp. mai. 290 C beschriebenen Augen wird nur von späten Rhetoren, die in ihr durchaus homerische Züge wiedererkennen wollen, als G. bezeichnet (Maxim. Tyr. diss. 14, 6). Pausanias kannte in Athen nur noch eine einzige Athena-Statue (im Hephaistos-Tempel), welche γλαυκοὺς ὀφθαλμούς wie Poseidon hatte (Paus. I 14, 6). Zur Zeit des Alkaios, der frg. 32 (Strab. XIII 600) den Athena-Tempel von Sigeion entweder ein ,Heiligtum der Glaukopos‘ oder ein ,Glaukopion‘ nannte, war letztere Bezeichnung wohl verständlich. Als Kallimachos (Hekale frg. 66f., vgl. frg. anon. 332 Schneider-Bergk PLG4 III 739) und Euphorion (Berliner Klassikertexte V 1, 58) – vermutlich mit Rücksicht auf eine ältere Dichter- oder Gelehrtennotiz – die attische Akropolis Glaukopion nannten (vgl. R. Schoell Jenaer Lit. Ztg. 1875, 689. Maass Archäol. Jahrb. 1907, 143), war das unmittelbare Verständnis des Wortes G. so zurückgedrängt, daß zur Erklärung ein Eponymos Glaukopos, ein Sohn des Alalkomeneus und der Athenais (Steph. Byz. s. Ἀλαλκομένιον), oder ein Eponymos Glaukos (Et. Magn. s. Γλαυκόπιον) erfunden wurde, welchem Athena G. und das Glaukopion ihren Namen verdanken sollten.

Wer in späterer Zeit unter γλαυκῶπις helläugig = γλαυκόμματος verstand, mußte sich damit abfinden, daß gemeinhin alles, was γλαυκόμματος im Gegensatz zum μελανόμματος war, als fremdartig und häßlich angesehen wurde; vgl. Plat. Phaidr. 253 E. Philostrat. Apoll. Tyan. VII 42 p. 150. Lukian. dial. meretr. 2, 1. Er mußte also auch Athena für häßlich erklären. So verachtet in der Sage von Byssa und Meropis denn auch Agron die helläugige Athena (γλαυκὴν θεόν) und lobt sein eigenes dunkles Auge (μέλας ὀφθαλμός); Boios bei Antonin. Lib. 15. Ebenso wird bei Hygin. fab. 165 Athena von Hera und Aphrodite verspottet, quod caesia erat. Auch Lukian. dial. deor. 8 und 20, 10. Charidem. 11 hält die Athene G. für häßlich.

Allein für die meisten stand doch fest, daß Athena schön sei. Dann mußte auch das γλαυκόν ihrer Augen etwas charakteristisch Schönes sein (Anacreont. 15. 20; vgl. Kallimach. hymn. V 17: ἀεὶ καλὸν ὄμμὰ τὸ τήνας). Man deutete es auf hellen, freundlichen Glanz. Ebenso wie Mond und Sterne, Eos und Aither γλαυκοί hießen, wie Ibykos frg. 5 bei Athen. XIII 564 F die Charites γλαυκαί nennt, so bezeichnen jüngere Dichter auch die Athena als γλαυκή (Eurip. Heraclid. 754. [1406] Theokrit. 20, 25. 28, 1. Anth. Pal. VII 425, 8. Orph. lith. 586). Hielten doch manche Athena für eine Mondgöttin (vgl. Preller-Robert Griech. Myth. Ι 194. Gruppe Griech. Myth. 1219, 3). Andere erklären die γλαυκότης der himmlischen Göttin (θεός αἰθέριος) von dem αἰθὴρ γλαυκός (Cornut. 20) oder von dem ἀὴρ ἔγγλαυκος (Diod. I 12, 8. Lyd. de mens. IV 22). Man umschreibt das Wort G. einfach als εὐόφθαλμος, λαμπρόφθαλμος, καλή; Hesych. u. Et. Magn. s. γλαυκῶπις. Schol. Pind. Ol. VI 76; vgl. auch Schol. Apoll. Rhod. I 1280 und Palladis – oculos – bonos (Propert. III 28. 12).

Sophokl. Oid. Kol. 701ff. faßt die Athena G. speziell als Schutzgöttin der γλαυκὴ ἐλαία, wie der Ölbaum oft heißt (z. B. Eurip. Troad. 802; Iph. Taur. 1101; γλαυκόχρως: Pind. Ol. III 13). Ähnlich Nonn. Dionys. II 87. XII 122. 262 und Cornut. 20 p. 38, 21 Lang. Euphorion frg. 140 Meineke nennt den Ölbaum selbst γλαυκῶπις wie die Göttin.

Andere erklären G. von der γλαυκὴ θάλασσα, von der ja auch Glaukos und Glauke ihre Namen haben, Triton das Beiwort γλαυκός (Anth. Pal. VII 550), Amphitrite das Beiwort γλαυκή (Bruchmann Epith. deor. 18) und Meergottheiten ihre ὀφθαλμοὺς γλαυκούς (Poseidon: Paus. I 14, 6. Phasis: Philostr. iun. imag. 8). Pausanias (I 14, 6) erklärt die hellen Augen der Athena im Hephaistos-Tempel daraus, daß die Göttin die Tochter des Poseidon und der Tritonis gewesen sei; ihm mochte die Verbindung γλαυκῶπις Τριτογένεια (Hesiod. Theog. 895. Orph. Argon. 492; lith. 586. Lukian. Iup. trag. 1) vor Augen stehen. Mit dem Meer bringt den Namen G. auch Nonn. VII 249ff. zusammen. Hildebrandt Philol. 1888, 201ff. wollte diese Deutung der G. als ,Göttin der hellen Meerflut‘ durch die Ableitung der zweiten Silbe von ὠπ = Wasser verteidigen.

Der ursprünglichen Bedeutung von G. wird besser gerecht der Hinweis auf den λέων γλαυκιόων (Hom. Il. XX 172), auf die schrecklich funkelnden Augen der Athena bei Hom. Il. I 200 (δεινὼ δέ οἱ ὄσσε φάανθεν), auf die Epitheta der Göttin Gorgopis (s. d.), Oxyderkes, Optiletis, Ophthalmitis, ὀβριμοδερκής (Bakchyl. 15, 20). Pindar stellt sich den Blick der G. wohl als schreckhaft vor wie den Blick der Drachen, die er γλαυκῶπες (Pyth. IV 249; Ol. VI 46) oder γλαυκοί (Ol. VIII 37) im Sinne von φοβεροί (Schol. Ol. VIII 48) nennt. Von der Göttin galt für alle Zeiten das Wort von Lukian. dial. deor. 19, 1: φοβερὰ γάρ ἐστι καὶ χαροπὴ καὶ δεινῶς ἀνδρική. Die Schilderung der Athena als γλαυκὸν ὑπὸ τῆς κόρυθος ὁρῶσα bei Philostr. iun. imag. 8 (vgl. Lukian. dial. deor. 20, 10) entspricht der Schilderung des Aias bei Philostr. heroic. p. 314: βλέποντός τε χαροποῖς τοῖς ὀφθαλμοῖς ὑπὸ τὴν κόρυν οἷον οἱ λέοντες. Oft wird G. deshalb umschrieben als φοβερά, δυσαντίβλεπτος, καταπληκτικός u. dgl., Hesych. Et. Magn. Et. Gud. Cornut. 20. Schol. Hom. Il. V 422 = Et. Magn. 547, 7. Eustath. Hom. Il. 86, 35, vgl. 768, 39. Apoll. Soph. 55, 7 Bekker. So erklären G. von funkelndem, schreckendem Blick u. a. auch Bergk Rh. Mus. 1864, 603 (Löwen- oder Katzenauge). Ameis-Hentze Hom. Od.12 zu α 44 (mit leuchtendem Auge als kampfbegierige Kriegsgöttin). [1407] Doederlein Homer. Glossar. I 59 nr. 78 (vom Kampfesmut). Goebel Lexilogus zu Hom. I 494 (feuriges Auge). Roscher Gorgonon 71 (furchtbar leuchtender Blick der Gewittergöttin). Gruppe Griech. Myth. 1198f.

Die Frage, ob Athena zuerst als Gewittergottheit, als Kriegsgöttin, als Meeresgöttin, als Mondgöttin oder, wie Schol. Hom. Od. I 44 (ἡ οὖν ὀξὺ ὁρῶσα φρόνησις = G.) meint, gar als Göttin der Weisheit das Epitheton G. erhalten habe, ist müßig. Das Wort entstammt einer Zeit, in der die Gottheit dem Menschen als dämonisches, ihn schreckendes Wesen galt. Pottier Bull. hell. 1908, 534 geht noch weiter zurück in eine Zeit, da der Mensch den schreckenden Dämon in der Gestalt von Tieren sah. Als solcher Dämon könnte die Eule, die ihrerseits vom Funkeln (γλαύσσειν) ihrer Augen γλαύξ genannt wurde, lange vor einem Athenakult verehrt gewesen sein; von der γλαύξ hätte dann Athena erst, als sie ihr heiliges Tier geworden war, das funkelnde Auge übernommen, das bildlich nur als hellfarbiges großes Auge wiedergegeben werden konnte. So würde die Erklärung von G. als ,eulenäugig‘, auf die im Altertum nur wenige Dichter anspielen (z. B. Anth. Pal. VII 425, 8. Boios bei Anton. Lib. 15), für die aber z. B. Naegelsbach Anm. zur Ilias I 206. A. Mommsen Delphica 138, 1. Schliemann Ilios 318 eintraten, neues Leben gewinnen.

2. Der Mond heißt γλαυκῶπις μήνη bei Empedokl. frg. 42 Diels (Plut. de facie in orbe Lunae 929 D. 934 D). Eurip. frg. 1009 Nauck (Schol. Apoll. Rhod. I 1280). Nonn. Dionys. V 70 (hier als Göttin Mene). Er wird oft als ,Auge der Nacht‘ bezeichnet und sein Licht als γλαυκός. Selene erhält daher auch die Beiworte γλαυκή, γλαυκοφεγγής, γλαυκόφωτος (Bruchmann a. a. O. 205) und den Namen Glauko (Schol. Pind. Ol. VI 76). Vgl. Roscher Selene 21.

3. Beiwort der Kassandra, Ibyk. frg. 9 (Herodian. περὶ σχήμ. 60, 31).

4. Beiwort der Hera in einem Epigramm, das zum Besuch eines Heiligtums auf Lesbos auffordert, Anth. Pal. IX 189: ἔλθετε πρὸς τέμενος γλαυκώπιδος ἀγλαὸν Ἥρης, wofür vielleicht ταυρώπιδος – Ἥρης (= Nonn. Dionys. XLVII 711) oder γλαυκώπιδος – κούρης (= Athena: Hom. Il. XXIV 26 u. ö.) zu schreiben ist.

[Jessen. ]