Erotische Volkslieder aus Deutschland
aus Deutschland
von
Hans Ostwald
[3] Vorwort
Bis in mein Zimmer hinein höre ich das Gepolter der Eisenbahn oder das Gebimmel der Elektrischen, das Heulen der Fabriksirenen und das Töfftöff des Autos. Sehr melodisch klingen diese Töne nicht. Aber sie verschwinden doch manchmal. Und dann singt das Locken der Vögel vom Garten herein. Wie eifrig und deutlich das Vogelmännchen dem Weibchen seine Wünsche und seine Gelüste vorträgt! Immer wieder schlägt es an und trillert und pfeift und zwitschert von liebestollen Dingen. Wie gut das klingt! –
Die Eisenbahn und das Grammophon, die Musikmaschine und der Gassenhauer scheinen mit ihren oft so widerwärtigen Geräuschen keinen Fleck unserer deutschen Erde verschonen zu wollen. Selbst in den oberbayerischen Bergen hörte ich im vergangenen Sommer die neuesten Berliner Schlager. Betriebsame Wirte sorgten durch Musikmaschinen für ihre Verbreitung. Und die einheimische Tanzmusik versuchte sich auch in falsch angebrachtem Ehrgeiz an den Erzeugnissen der großstädtischen Tingeltangelproduktion. Aber auch hier ging es schließlich wie mit der Eisenbahn und mit den Vögeln. Die Erotik brachte noch andere Töne zum Vorschein: Das sonst so totgeschwiegene und von tausend Gassenhauerrefrains überschrieene, ausgepfiffene und verjagte Volkslied klang plötzlich ganz lebendig. Ich sah später in meiner Sammlung von Volksliedern nach, [4] die mir von Bauern, Arbeitern, Kleinbürgern, Hausierern und Studenten eingesandt worden waren und ließ mir gleichzeitig von meinen Helfern neues Material schicken. Ein ziemlich bedeutender Posten kam zusammen. Und fast nur Erotika. Zweifellos genügen dem Volk die mehr oder weniger schlüpfrigen und nur zweideutigen modischen Verse nicht. Es braucht für seine Sinnesfreude herzhaftere Kost. Und da hat sich gerade die alte Art und Weise erhalten, die aus dem Wesen unseres Volkes herausgewachsen ist und die bestimmt auch solange bestehen wird, wie ein deutscher Mann an die Freuden der Liebe denkt. Denn was im Wesen eines Volkes liegt, was aus seinem Fleisch und Blut herausgewachsen ist, kann nie ganz verschwinden. Neues kann neben ihm auftauchen. Aber Spuren des Alten werden immer durch die neuen, schlechtgewebten Gewänder blicken. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben. Wie das Lied von der Anne-Marie.
Die in dem Liede geschilderte Situation weist auf das mittelalterliche Deutschland hin, dessen Hurenhäuser oft vor den Toren lagen. Dieser aus Thüringen stammende Fassung reiht sich eine an, die von den Krefelder Tanzhusaren stammt und deren Ausdrücke viel unverhüllter sind. Der Anne-Marie wird geweissagt, daß sie keinen Mann bekommt. Sie antwortet, daß sie sich selber zu helfen wissen werde. Eine schlesische Variante der „Anne-Marie“ ist nicht weniger derb; ihr Schluß lautet:
:,: Anne-Marie, was fängst du jetzt an? :,:
„Komm in mein Bettelein, mach mir ein Kindelein!“
An solcher Deutlichkeit steht keine Landschaft hinter der andern zurück. Ein niederrheinisches Lied beginnt:
Wer steht vor der Tür?
„’s ist ein Grenadier!“
Mein Herr, was führt Sie her,
Und was ist Ihr Begehr?
Ich möchte schlafen fein
Bei Ihrem Töchterlein!“
Die Tochter kommt sich noch zu klein vor – aber die Mutter sagt ihr deutlich, daß sie das nicht glaube. Dann bittet die Tochter, die Mutter solle das Licht anzünden, weil der Grenadier sie nicht finden könne. Im letzten Vers wehrt sie ab: sie brauche kein Licht mehr, er habe sie schon gefunden.
Dies Lied führt uns in Zustände ein, die stark an Prostitution erinnern. Solche Lieder scheint’s wirklich außerordentlich viel zu geben. Eins berichtet von einem Abenteuer in einem Hamburger Kaffeehaus. Der Fremde, der hereingewinkt wurde, sollte für die Kanapeefreude fünf Groschen zahlen – und wurde hinausgeworfen, weil er kein Geld nicht besaß. Ein anderes Lied berichtet von einem Bauer, der in die Stadt geht, von einem Mädchen aus Liebe genommen wird, ihr dann aber doch fünf [6] Gulden zahlen muß – und obendrein eine galante Krankheit mitbekommt. Er beteuert:
Muß in die Stadt ’nein gehn,
Mich um ein Weib umsehn,
Die ich heiraten kann.
Denn von den Mädchen, die auf der Straße liegen
Kommt mir keine wieder dran.
Auch in einem anderen Lied spielt die Dirnenkrankheit eine Rolle. Im Wiener Dialekt bringt es eine ganze Krankheitsgeschichte – zum Zeichen, daß im Prostitutionsbetrieb diese Dinge einen weiten Raum einnehmen. Sie werden aber stets mit einem gewissen Humor geschildert. Das Wiener Dirnenlied schließt ebenfalls:
Auf’s Stiegerl bin i kumma,
Vergelt’s Gott! hab i g’sagt.
Jetzt hat mei arme Lotte
An’ Feldzug mitgemacht.
Ein anderes, durch ganz Deutschland – und zwar nicht nur in Dirnenkreisen – verbreitetes Lied beginnt:
Meine Mutter will’s nicht leiden,
Daß ich eine Hure bin –
Die Dirne aber ist stolz darauf und preist ihren Leib, der ihr manchen Taler einbringt.
Zu den sehr weit verbreiteten erotischen Liedern gehört auch die Geschichte von dem Pater, der die [7] kranke Nonne heilt. Die Geilheit der Pfarrer und der Nonnen ist überhaupt in einer außerordentlich beträchtlichen Zahl von Volksgedichten verspottet. Der Bauer, der den Pfarrer in der Kammer bei seiner Frau findet, läßt ihn dort halb verhungern oder schlägt kräftig drein. Und den Mädchen wird geraten, nicht Nonne zu werden. Sonst fielen sie den Pfaffen zum Opfer.
Aber auch über andere Berufe zirkulieren viele erotische Volkslieder. Von dem Kesselflicker singt man:
Ein Kesselflicker, dem ’s gut geht,
Verdient sein täglich Brot.
Wenn er sein Handwerk nur versteht,
So leid’t er keine Not.
Und er macht sich gar nichts draus
Tra tri trallalla –
Und flickt alle Pfannen aus.
Tra tri juchhe!
Die schönen Weiber rufen ihn in ihre Häuser und drücken ihm Taler in die Hände. So geht’s fast allen herumziehenden Handwerkern. Sie sind der begehrte Liebling der Frauen. Am heftigsten wird dem Kaminfeger nachgestellt, der denn auch soviel zu tun hat, daß er die Alte, die ihn auch beansprucht, verschmäht.
Außerdem giebt es zahllose Lieder, die mehr oder weniger witzig gereimte Anekdoten erzählen. Eins beginnt:
Die Bäuerin in die Kirche ging,
Deß war der Bauer froh;
Er sprach zu seiner Dienstmagd:
Geh mit, wir schneiden Stroh.
Die heimkehrende Bäuerin findet die beiden beieinander. Aber sie ist gar nicht entrüstet, sondern sagt, das sei ihr eben recht. Der Bauer solle es nur mit der Magd halten, sie halte sich an den Knecht. So bekommt denn auch die angebliche Sittenreinheit der Bauern ihren satirischen Stich. Die städtischen Handwerker werden jedoch ebenfalls nicht verschont.
In einem Lied vom auslaufenden Faß wird die diebische Magd geschildert.
Eins der heitersten Lieder dieser Art ist das vom Rutschaputschala – die Geschichte vom alten Mann und dem jungen Weib.
Die Schlauheit der Frauen siegt auch hier wieder über den schwachsinnigen Mann.
In anderen Liedern wird wieder die Unerfahrenheit der jungen Mädchen abgemalt, die sich leicht verführen lassen. Eine ziemlich große Gruppe weiß die Reize der Mädchen und Frauen sehr geschickt zu schildern. Das schwarzbraune Mädchen hat einen schönen Mund „Das Küssen drauf ist meine“. Es hat eine schöne Brust – und es hat noch vieles anderes Schöne, das dem Geliebten gehöre. Ein sehr hübsches und schelmisches Lied dieser Gruppe fängt so an:
Schwarzbraunes Mädchen, schönes Jungfer Lieschen.
Darf ich einmal zu dir kommen, wenn ich kann und wenn ich will?
„Vor meine Haustür darfst du wohl kommen.
Aber, aber weiter darfst du nicht.“
Bei der nächsten Frage erlaubt sie ihm bis zur Kammertür zu kommen. Dann darf er bis ans Bett kommen – „Aber, aber weiter darfst du nicht!“ Nachher darf er auch ins Bett – und an ihren Busen –: „Aber, aber weiter darfst du nicht!“ So wird ihr Widerstehn lächerlich gemacht.
Außer diesen größeren, durch ganz Deutschland verbreiteten Liedern gibt’s noch unzählige kleine Reime, und zwar meist Tanzreime. Alle sind voll Humor und Zeugungskraft. Und viele bringen durchaus den Volkscharakter der Gegend, aus der sie stammen.
Eine ähnliche frische Tonart haben die zahllosen Scherzreime, Bauernregeln, Fabrikschnurren und Vierzeiler. – Solche spaßigen und kernigen Lieder sollten nicht unterdrückt werden. Denn sie sind wahrhaftiger als das schale modische Versgeklapper der Gassenhauer, – und sie sind ein Bestandteil der Lebensfreude unseres Volkes. Sie gleichen dem, was der Vogel seinem Weibchen singt, ehe sie das Nest voller Junge haben. Singt aber das Volk nicht mehr von der Liebe, so wie es eben die Liebe versteht – derb, zeugungskräftig, sinnenfroh –, [10] dann hat es die Lebenslust verloren. Dann pflanzt es sich nicht mehr fort.
Wir sollten uns freuen, daß unser Volk noch nicht in zimperliche Grübelei verfallen ist, daß es noch voll ungebrochener Lebenskraft steckt.
Diese Sammlung darf wohl als ein Zeichen dafür gelten.
Und der Humor und die Lyrik manchen Liedes waren wohl wert, aufgezeichnet und aufgehoben zu werden.
Sind doch diese Lieder auch ein erfreuliches Zeichen, wie urwüchsig das deutsche Volkslied ist. Die meisten Lieder bekam ich gleichzeitig aus allen Teilen Deutschlands. Besonders viele aus Mitteldeutschland. Oft weichen die Fassungen voneinander ab. Aber ich konnte natürlich nicht alle Abweichungen drucken lassen.
Die Hauptsache ist ja, daß die Lieder nicht verloren gehen.
Mehr will ich nicht.
Im Frühling 1910
Vielen Dank allen, die sammeln geholfen! H. O.
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Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Das Liebeslied von Margarete Beutler († 1949) kann aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht wiedergegeben werden.