Das einstige Collegium medico-chirurgicum in Dresden

Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900) Todtenschau Das einstige Collegium medico-chirurgicum in Dresden (1897) von Hermann Frölich
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900)
Ein Hosenbandordensfest am Dresdner Hofe im Jahre 1678
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Das einstige Collegium medico-chirurgicum in Dresden.
Von Generalarzt z. D. Dr. H. Frölich.

Verfolgt man die Entwickelung der Heilwissenschaft durch das verflossene Jahrhundert hindurch, so ist zu erkennen, daß diese Wissenschaft ihre in jene Zeit fallenden Fortschritte nicht bloß dem damals allgemein herrschenden schwungvollen Streben nach Erkenntniß verdankt, sondern auch der Sehnsucht nach brauchbarerem Heilpersonal, die ganz besonders die bewaffnete Macht mit vollem Rechte zum Ausdrucke brachte. Der Wunsch, neben den auf der Leipziger Hochschule gebildeten, verhältnißmäßig wenigen und für den sächsischen Bauern- und Soldaten-Stand „zu kostbaren“ Aerzten noch ein wundärztliches, jedoch nicht lediglich in den Barbierstuben erzogenes Personal zu besitzen, ist in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Gründung des Collegium medico-chirurgicum in Dresden erfüllt worden. Das Schicksal dieser Anstalt ist von Haus aus so eigenartig, daß es der Mühe werth erscheint, es zu verfolgen.

Die hierfür vorhandenen Geschichtsquellen fließen zwar nicht sehr reichlich; aber es sind ihrer hauptsächlich drei, die vereinigt schon einen guten Theil geschichtsforscherischen Durstes stillen. Die eine Quelle ist meine eigene „Geschichte des Königlich Sächsischen Sanitätskorps“ (Leipzig 1888) S. 38 bis 42, zu der ich neben amtlichen Mittheilungen zahlreiche Bemerkungen in geschichtlichen und medizinischen Werken und Zeitschriften, besonders die Jahrgänge 1820 bis 1828 der Zeitschrift für Natur- und Heilkunde benutzt habe. Die andere Quelle bietet das vom Militärarzt Dr. med. Pitschel verfaßte Buch: „Anatomische und chirurgische Anmerkungen, welchen eine kurze Nachricht von dem Collegium medico-chirurgicum zu Dresden vorangeschickt wird“ (Dresden 1784, 8o, 77 S., 5 Kupferplatten). Die dritte Quelle fließt aus den hierüber in den Jahren 1739 bis 1749 geschriebenen Anträgen, Erörterungen und Verfügungen (im Kriegsarchiv zu Dresden). Da diese Quellen untereinander nicht ganz übereinstimmen, werde ich ihren Inhalt nacheinander vorführen, um dabei hie und da auf Lücken und Widersprüche und deren Erklärbarkeit hinzuweisen.

Von der „Geschichte des Sanitätskorps“ wird, in der Hauptsache den Thatsachen entsprechend, Folgendes über das Collegium berichtet:

Der am 21. Dezember 1739 zum ersten ständigen Generalstabsmedikus Sachsens ernannte Dr. med. Franz Josef Hoffmann ist es, der den Anstoß zur Gründung einer chirurgischen Lehranstalt in Dresden gegeben hat. Für seinen Plan zu einer verbesserten Ausbildung und Fortbildung des sächsischen Feld-Heilpersonals hatte er genug Vorbilder. Das nächste konnte ihm Preußen geliefert haben, das schon seit 1713 eine Anatomiekammer (Theatrum anatomicum) besaß, die 1724 auf Vorschlag des Generalchirurgen E. C. Holtzendorff in ein Collegium medico-chirurgicum zum Zwecke der Erziehung von Feld-Wundärzten verwandelt worden war. Mitte Januar 1740 erstattete Hoffmann unter Hinweis auf das Ausland einen amtlichen Bericht, in dem er die Nothwendigkeit der Errichtung einer wundärztlichen Lehranstalt befürwortete, deren Besuchern die für ihren künftigen Beruf höchst nöthigen Kenntnisse in der Anatomie, Physiologie etc. beizubringen seien. [2] Zwar vereitelte der 1741 ausbrechende schlesische Krieg zunächst ein behördliches Eingehen auf den Plan. Andererseits aber führte dieser Krieg erneut das Bedürfniß nach einem fähigeren Heilpersonal lebendig vor Augen. Ein Mann war es vorzugsweise, in dem die Gedanken Hoffmanns Wurzel gefaßt zu haben schienen, der Kasernenmedikus Dr. Pitschel[1]. Dieser lernte als Leiter der Feldspitäler in Böhmen die Unbrauchbarkeit der sächsischen Unterwundärzte genügend kennen und fühlte sich dadurch veranlaßt, ihnen noch während des schlesischen Krieges gelegentliche Unterweisungen in ihrem Fache zu ertheilen. Als er nach Dresden zurückgekehrt von seinen ehemaligen Hörern um Fortsetzung dieses Unterrichts gebeten wurde, ging er bereitwillig darauf ein, reichte aber auch zugleich 1743 an höherer Stelle einen Plan zur Errichtung eines Collegium medico-chirurgicum ein. Insoweit ging man auf Pitschels Plan ein, als man ihm die gewünschten Vorträge gestattete und ihm dazu einen Raum in einer Dresdner Kaserne anwies. Der somit sehr bescheiden verwirklichte Plan Pitschels erhielt alsbald neue Nahrung durch den blutigen Verlauf des zweiten schlesischen Krieges (1744 bis 1745) und durch den glücklichen Umstand, daß 1746, als der Herzog von Weißenfels gestorben war, der Graf von Hennicke, mit der Uebernahme des Nachlasses vom Kurfürsten Sachsens beauftragt, in den Sammlungen des Herzogs anatomische Präparate vorfand und sie zu Unterrichtszwecken nach Dresden sandte.

Jetzt schlug sich der Hofchirurg (vormals Leibchirurg des Herzogs von Weißenfels) Dr. Günther ins Mittel und befürwortete, sich an den früheren Plan von Hoffmanns anlehnend, von neuem die Gründung eines Collegium medico-chirurgicum. Mittels königlichen Reskripts vom 8. Mai 1748 wurde dieser Plan endgiltig genehmigt zu dem Zwecke, für die Armen tüchtige Wundärzte zu erziehen und das Publikum mit geschickten Wundärzten zu versehen, und so wurde im September 1748 das Collegium medico-chirurgicum in einem Flügel der Kaserne von Dresden-Neustadt für Vorträge eingerichtet. Ein königlicher Befehl vom 7. September 1748 verordnete: „daß in Zukunft keiner, der nicht von dem Collegio medico-chirurgico die aufgegebenen anatomischen und chirurgischen Specimina publica exhibiret, und wegen seiner Geschicklichkeit ein Attestat vom gedachten Collegio erhalten habe, zu einem Regiments-Feldscherplatz zu admittiren sei“. Zugleich ging an alle Regimenter die Weisung, von einem jeden derselben „zwei der qualificirtesten Feldscherer zunächst auf ein Jahr lang zu fleißiger Abwartung obenerwähnter Lectionum und Demonstrationum zu kommandiren, und denjenigen, welche sich durch Fleiß und Applikation distinguiren würden, die Aussicht auf ferneres Avancement zu eröffnen.“ Laut königlichem Generale vom 18. September 1748 wurde auch allen Barbier- und Bader-Gesellen des Landes gegen sehr mäßige Einschreibegebühren gestattet, den Vorlesungen über Anatomie, Physiologie, Chirurgie, Pathologie und Therapie beizuwohnen[2] und an den praktischen Uebungen auf dem anatomischen Theater gegen Erlegung von 12 Thalern theilzunehmen. Ferner wurde ihnen bekannt gemacht, daß nach des Königs Willen diejenigen von ihnen, „welche bei erwähntem Collegio medico-chirurgico das Examen ausgestanden und zur Treibung der Chirurgie tüchtig befunden worden, auf die von selbigem darüber erhaltenen Attestate, bei denen Barbirer- und Bader-Innungen, ohne daß es eines weiteren Examens bedarf, zum Meisterrecht admittiret, diejenigen auch, welche ihren Operations-Cursum bei besagtem Collegio gemacht, und mit einem Zeugniß dieserhalb versehen, sowohl bei Erkaufung der Barbier- und Baderstuben etc. also auch insbesondere bei Besetzung derer Amts- und Raths-Barbierstellen, andern, welche dergleichen nicht vor sich haben, vorgezogen werden sollen.“

Nach Fertigstellung eines großen Hörsaals in der Kaserne fand am 18. November 1748 die feierliche Eröffnung der Lehranstalt statt. Zunächst waren vier, anfangs unbesoldete, Lehrer thätig, von denen, dem königlichen Willen gemäß, zwei (der für Pathologie und Therapie, sowie der für Chirurgie) dem militärärztlichen Stande selbst angehören mußten. Diese vier verdienstvollen Männer waren: der Generalstabsmedikus und Leibarzt Dr. Christian Heinrich Hänel[3], der Kasernenmedikus Pitschel, der Hofmedikus Dr. Samuel Kretzschmar[4] und der vorerwähnte Hofchirurg Friedrich Gottlob Günther. Ueberdies wurden bald sechs der unterrichtetsten Kompagnie- und Lazareth-Feldscherer, die die nächste Anwartschaft auf Regiments-Feldschererstellen hatten, als Pensionar-Feldscherer angestellt, um als Assistenten der Lehrer verwendet zu werden. Der als Prosektor dienstleistende Assistent bekam monatlich [3] 15 Thaler, die übrigen erhielten je nach ihrer im Hospitale oder bei der Kompagnie innegehabten Stellung 12 und 8 Thaler Gehalt neben Quartiergeld oder freiem Quartier.

Klinische Anstalten waren zu jener Zeit mit dem Collegium noch nicht verbunden, sondern wurden erst nach und nach errichtet. Am 22. November 1751 wurde der Plan des Leibarztes Dr. Neid zur Errichtung eines chirurgischen Spitals, zunächst für kranke Soldaten, in demselben Flügel der Kaserne, in dem sich das Collegium befand, genehmigt, und damit eine sogenannte Charité für 12, dann für 16 Betten eingerichtet. In die Regierungszeit Friedrich Augusts III. (1768 bis 1827) fallen für das Collegium beträchtliche Fortschritte. Es wurden z. B. Lehrstellen für die Heilmittellehre und Zahnchirurgie errichtet, ein chirurgischer Instrumentenmacher angestellt und eine Bibliothek gegründet.

Soweit die „Geschichte des Sanitätskorps“. Abweichend hiervon ist die Darstellung Pitschels in seinem Buche von 1784, in dem er sich durchweg als den alleinigen „Erfinder“ der in Rede stehenden Anstalt bezeichnet. Pitschel konnte, wenn diese Behauptung weniger in Thatsachen als in seiner Eitelkeit und Einbildung fußte, was im Folgenden noch zu entscheiden ist, 40 Jahre nach dem Aufbau des Collegiums unwiderlegt ein solches Selbstlob aussprechen, denn die meisten Zeugen jener damals mehr als ein Menschenalter zurückgelegenen Zeit, besonders aber die nächstbetheiligten Zeugen Hoffmann und Günther, waren schon längst nicht mehr unter den Lebenden.

Pitschel erzählt: „Als ich, im Jahre 1742, im Junio, als Feldarzt nach Böhmen geschickt wurde[5], fand ich ein Lazareth von 2200 Mann, was das Medizinalwesen anbelangt, in der größten Unordnung. Es waren etwan fünf Regimentsfeldschers da, welchen ich allen ihr verdientes Lob geben muß. Aber der Arzt, welchen ich ablösen sollte, war einer der größten Ignoranten, so ich je gesehen habe, und so waren auch alle Feldschers, einen oder zween ausgenommen. Nachdem mein Vorgänger fort war, regulirte ich zuerst die Feldapotheke, worzu mir ein guter Geselle half; indem der Feldapotheker nicht einmal wuste, was Oxymel Simplex war, vielweniger wie es bereitet wurde. Einige der Feldschers bekamen Hochachtung für mich, da ich, wo es Gelegenheit gab, öfters vom Baue des menschlichen Körpers und von Veränderung des gesunden in einen kranken redete.“

....Mein Feldlazareth war zu Ende des Septembers aufgehoben, und ich kam mit dem kleinen Reste von Kranken nach Dresden. Hier hatte ich mir kaum ein Quartier gemiethet und bezogen, als einen Vormittag etliche Feldschers nebst andern jungen Wundärzten, sechzehn an der Zahl, zu mir kamen und mich baten, ihnen ein Collegium zu lesen etc.“ „Ich dachte ein wenig nach und zeigte ihnen, daß die Lehre von den Knochen ihnen als Wundärzten die nothwendigste sei, und wenn es ihnen so gefiele, so wollte ich ihnen diese .... lesen. Die Leute waren außerordentlich vergnügt darüber. Nur mußte ich mir noch ein Skelet nebst einem Vorrathe einzelner Knochen schaffen, welches mir auch ziemlich glückte. Kurz: In vierzehn Tagen fing ich an, zu professoriren. Da ich in Leipzig schon diese Arbeit getrieben hatte, so wurde es mir nicht sauer, außer daß ich mich auf das kürzeste, einfachste und deutlichste für diese guten Leute einschränken mußte.“

Pitschel theilt nun weiter die Schwierigkeiten mit, gegen die er anzukämpfen hatte in der Verfolgung des Plans, seinen Unterricht auf die gesammte Anatomie auszudehnen. „Wenn ich nur ein paar Körper von Baugefangenen haben sollte und einen Schuppen darzu, so wollte ich gerne zufrieden sein.“ Zu dem Zwecke wendete sich Pitschel an den damaligen Leibarzt von Heucher[6], „seinen medizinischen Vater“, der ihn ermuthigte, sich an das geheime Kriegsraths-Collegium zu wenden. An dieses erstattete er schriftlichen Vortrag, auf den er den Bescheid erhielt, „daß die jungen Leute nicht nur in der Anatomie, sondern auch in den chirurgischen und praktischen Wissenschaften unterwiesen werden sollten“ und daß Pitschel daher einen Plan zu einem „Collegio Medico-Chirurgico“ aufsetzen möchte, nachdem er sich dazu einen Platz in den Kasernen ausgesucht haben würde[7].

Pitschel suchte zunächst den Platz aus, wo das Collegium untergebracht werden sollte (und wo es nach seiner Mittheilung thatsächlich noch 1784 existirte) und erstattete folgenden Vorschlag: „Die lesenden Personen [4] bestunden: 1. aus einem Lehrer der innerlichen Praxis, 2. aus einem Lehrer der Anatomie, worzu ich mich vorschlug, 3. aus einem Lehrer der Chirurgie. Es setzte noch jemand[8] einen Lehrer der Physiologie darzu, welcher aber abgeschlagen wurde.“ Der Vortrag Pitschels wurde nun zur Beförderung an den König ausgefertigt. „Einer der vornehmsten im Collegium unterzeichnete ihn mit. Als er dieses gethan hatte, fiel ihm ein, daß er ein starkes Vorwerk gekauft hatte, wo er eine neue Scheune bauen mußte, und darzu könnte er das zum innern Baue des Collegii vom Festungsbauschreiber vorgeschlagene bereit liegende viele Holz gut nützen. Er ging also gleich aus dem Collegio, setzte sich in seinen Wagen, fuhr nach Hofe und bat sich von Ihrer Majestät dieses Holz aus, erhielt es, und nun wurde um einer Scheune willen nicht mehr an unsern Bau gedacht, und alle Arbeit war umsonst.“

Im folgenden Jahre 1744 brach der zweite schlesische Krieg aus, an dem Pitschel theilnahm, und so schien es mit der geplanten Lehranstalt vorbei zu sein, bis nach dem Kriege 1746, wie erwähnt, der Herzog von Weißenfels starb und anatomische Präparate hinterließ, die mit nach Dresden genommen wurden. Nun fängt für das Collegium med.-chir. der ehemalige herzoglich Weißenfels’sche Leibchirurgus Günther, seit 1746 königlicher Hofwundarzt in Dresden, eine maßgebliche Rolle zu spielen an, die freilich von Pitschel in ein sehr zweifelhaftes und düsteres Licht gesetzt wird. Dieser fährt fort zu erzählen: „Als ich einsmals bei ihm (nämlich bei Günther) war, sagte er mir: Wissen Sie was? Wir werden wohl noch ein Collegium medico-chirurgicum bekommen. Der Graf Hennike ist sehr dafür. Ich habe ihm von Ihrem Plane gesagt, und die ganze Geschichte vor drei Jahren erzählet, und er will Ihren Plan sehen. Wollen Sie mir ihn anvertrauen? Ich antwortete: Daß aber mein Plan unter meinem und keinem andern Namen hingegeben wird. (Denn ich kannte seine Tücke.) Er schwur mir, bei allem, was ihm heilig hieß, zu, daß es geschehen sollte. Ich gab ihm den Plan und die Zeichnung, mit meinem Namen wohl dreimal unterschrieben. Er hielt sein Wort nicht, hatte den Plan unter seinem Namen abschreiben lassen und unter der Zeichnung meinen Namen ausgekratzt und seinen drunter geschrieben. Bald darauf kam ein Befehl von Ihro Majestät: Da der Plan, den der Hofwundarzt Günther übergeben hätte, von Ihro Majestät genehmigt worden wäre, so sollte das Geheime Kriegsraths-Collegium ihn, nach Vorschrift, so bald als immer möglich, ausführen[9]. Es ging sehr langsam damit zu, und Ihro Majestät reisten indessen nach Polen.... Zum Glück ist einer von den Herren Räthen[10], welchen mein Plan noch in Andenken stehet, gut für mich gesinnt und erzählt die ganze Sache mit dem Zusatze, daß Günther mir keinen rechtschaffenen Streich gespielet hätte.... Von ungefähr fragen Ihro Majestät in Polen, ob auch fleißig in Dresden gelesen würde? man antwortet, man hoffe es, schickt aber gleich eine Estafette nach Dresden, zu erinnern, daß den Augenblick zu lesen angefangen würde. Dieses war gegen das Ende des Septembers 1748. Hier war die erste Sitzung des Collegii, welche aus folgenden bestund: Deputati Herr Geheimer Kriegsrath von Leipziger, in Kriegs- und ökonomischen, Herr Hof- und Justitienrath von Heucher, der Sohn des verstorbenen Leibarztes, in Landessachen, Herr Hofrath und Leibarzt Tittmann, in medizinisch-chirurgischen. Lehrer Herr General-Stabs-Medikus, nachheriger Hofrath und Leibarzt, Dr. Hänel, über die Therapie, Ich, über die Anatomie, und Herr Leib-Wundarzt Günther, über die Chirurgie[11].

Die Sitzung wurde durch den Geheimen Kriegsrath von Leipziger.... eröffnet. Hierauf bedauerte der Herr Geheime Kriegsrath mich öffentlich, in Günthers Beisein, daß ein anderer sich für den Erfinder meines vor fünf Jahren gemachten Plans ausgegeben, versicherte mich aber, daß es der ganzen Stadt bekannt sei, wie ich der Erfinder wäre.... Unter der Zeit erging an die Regimenter Ordre, daß jährlich, vom ersten Juni, bis wieder dahin, von jedem Regimente Infanterie zweene Feldschers und von jedem Regiment Kavallerie einer, zum Collegio commandirt würden, um hier unterwiesen zu werden. Die Pensionairs und Aufwärter wurden nach und nach eingerichtet. [5] – Jetzo kam nun der erfreuliche achtzehnte November zur Einweihung, wo ich zugleich den Körper einer geköpften Weibsperson erhielt.... Da in Dresden noch nie eine öffentliche Anatomie gesehen worden war, so war die Menge der Zuhörer, von der Excellenz an bis auf den Geringsten, unbeschreiblich groß, und die Reinlichkeit, Anständigkeit und gute Ordnung gefiel allen so, daß ich den andern Tag, nach meiner Stunde, noch für eine ziemliche Anzahl Damen demonstriren mußte, von welchen einige so dreist wurden und selbst in den Körper griffen. Unsre Lehrstunden wurden nun fleißig fortgesetzt, an todten Körpern mangelte es nie, und wir spürten, gleich im ersten Jahre, den daraus entstehenden Nutzen. Es wurde auch ein paar Jahre hernach ein kleines chirurgisches Hospital errichtet, welches aber, bis vor etlichen Jahren, vielen Veränderungen und Unbequemlichkeiten ausgesetzt gewesen. Ich darf kaum anmerken, daß, vom Anfange des Collegii an, alle Regiments-Chirurgi ihre öffentlichen sogenannten Cursus machen mußten. Beinahe hatte ich vergessen zu sagen, wie Ihro Majestät ein paar Jahre nach der Errichtung die schönen Plattnerischen chirurgischen Instrumente[12] und sehr feinen Knochen-Präparaten höchst gnädigst zu kaufen geruhten“ .... Da Ihro Durchlaucht[13] unterthänigst vorgetragen wurde, daß nöthig und nützlich sei, einen Lehrer der Materia medica zu haben, so stifteten Höchst Dieselben eine neue Lehrstelle zu diesem Endzwecke und besetzten sie mit dem rechtschaffenen und gelehrten Herrn Hofarzte Dr. Meuder[14]. Endlich, da Dieselben nach Höchst Dero weisesten Einsicht überzeugt waren, daß ein Hebammen-Institut dem ganzen Lande höchst nützlich sei, so wurde ein solches nicht allein auf zwölf niederkommende Personen, nebst allen darzu nöthigen, geordnet, sondern auch unser sehr geschickter General-Stabs-Chirurgus, Herr Wild, ein vollkommener Hebammenmeister, welcher schon zuvor als solcher bei einer kleinen, von einigen der größten Cavaliers unterhaltenen Hebammen-Schule mit Ruhm gestanden, unterdessen darzu gesetzt, unter der Zeit aber ein anderer, auf Churfürstliche Unkosten, um die Hebammenkunst zu erlernen, auf Reisen geschickt. .... Das jetzige[15] Collegium hat zu Deputatis den Herrn Geheimden Kriegsrath v. Borke, welcher noch in seinem acht und achtzigsten Jahre, sich weit mehr um das Wohl des Collegii Mühe giebt, als vielleicht zehen Jünglinge; den Herrn Hof- und Justitienrath Edlen v. Gärtner und den Herrn Hofrath und Leibarzt Löber; zu Lehrern Mich, als General-Stabs-Medicum und Lehrer der Anatomie, den Herrn Dr. Demiani, den jüngern, als Lehrer der Praxis, den Herrn Hofarzt Dr. Meuder, als Lehrer der Materia medica und den Herrn Wild, General-Stabs-Chirurgum, als Lehrer der Chirurgie und jetzo Hebammenmeister, zum Prosektor: den Herrn Dr. Hänel, Sekretair des Sanitäts-Collegii.“

So weit Pitschel.

Werden die beiden Darstellungen, die der „Geschichte des Königlich Sächsischen Sanitätskorps“ und die Pitschels, einander gegenüber gestellt, so kann man über das Wissenswertheste, nämlich über die geistige Urheberschaft des Collegium medico-chirurgicum, im Zweifel bleiben. Nur das läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, daß die Gründung dieser Lehranstalt in die Regierungszeit Friedrich August&nbspII. (1733 bis 1763) fällt. Es gilt daher nun näher nachzusehen, welcher Mann das Werk, so wie es dem Wesen nach entstanden ist, in seinem Geiste zuerst aufgebaut und zur Kenntniß der ausführenden Behörden gebracht hat.

Machen wir uns mit den aktenkundigen Vorgängen jener Zeit bekannt, so erhalten wir befriedigende Antwort auf die gestellte Frage.

Der Feldmarschall Herzog zu Weißenfels schreibt am 12. März 1743 an das Geheime Kriegsraths-Collegium beiläufig, daß der König am 22. Februar 1736, als ein Stabsmedikus Dr. Mittermeyer um die Erlaubniß zur Unterrichtsertheilung nachgesucht habe, unter Genehmigung des Unterrichtes sich die Bestellung einer Anatomiekammer (Theatrum anatomicum) ausdrücklich vorbehalten habe. Daß in der That der nachgesuchte Unterricht stattgefunden hat, wird bestätigt durch den am 23. Februar 1739 von der Dresdner Barbiergesellschaft an den König gerichteten Antrag, in dem diese ausführt: Der ehemalige und nun verstorbene Stabsmedicus Dr. Johann Mittermeyer hat uns „Studiosis chirurgiae“[16] ein Collegium anatomico-chirurgicum mit großem Nutzen gehalten. In seiner Krankheit ist er durch seinen Schwager, den Stabsmedikus Dr. Sembdor, vertreten worden, den wir den Unterricht auf Staatskosten fortsetzen zu lassen bitten. Stabsmedikus Dr. Christoph Benjamin Sembdor gab dieser Bitte obendrein durch einen gleichfalls an den [6] König gerichteten Antrag vom 2. März 1739 Nachdruck, indem er sich erbot, das kurze Zeit von Dr. Mittermeyer für die Dresdner Feldschere und Barbiergesellen gehaltene Kollegium gegen ein „Salarium“ fortzusetzen.

Es ist aus diesen drei Mittheilungen ersichtlich, daß zwar nicht die Anfänge, aber die Vorläufer einer chirurgischen Lehranstalt bis in das Jahr 1736 zurückzuverfolgen sind. Das was Mittermeyer damals für die Feldschere etc. gethan hat, bleibt indeß, so nützlich es gewesen sein mag, viel zu weit von einer organisirten Lehranstalt zurück, als daß auf Mittermeyer die geistige Urheberschaft des späteren Collegium medico-chirurgicum zurückgeführt werden dürfte.

Was ist nun auf die Anträge der Dresdner Barbiergesellschaft und des Stabsmedikus Dr. Sembdor erfolgt? Am 13. September 1739 verlangt Graf Brühl ein Gutachten, indem er das Geheime Kriegsraths-Collegium um Antwort auf die Fragen angeht: ob es nützlich und nöthig sei, ein solches Anatomicum in Dresden zu besitzen, wie hoch das Gehalt des Lehrers zu berechnen und woher es zu nehmen sei, welcher Ort für die anatomischen Arbeiten zu wählen sei, und ob auf Dr. Sembdor oder ein anderes geschicktes Subjekt zu rücksichtigen sei. Dieses Gutachten erstattet am 14. Januar 1740 der Generalstabsmedikus Dr. Franz Josef Hoffmann, aber nicht etwa in dem engbegrenzten Umfange der gestellten Fragen, sondern indem er den Verfassungsplan einer ordentlichen Lehranstalt in allen ihren Einzelheiten darlegt.

Einleitungsweise rühmt er den Nutzen der Anatomie und Chirurgie unter Hinweis auf Frankreich, Italien, England und Holland. Dann empfiehlt er die Hergabe von Kasernenräumen für die Zwecke der Anstalt, die Versorgung der Anatomiekammer mit den Leichen Hingerichteter, sowie die Anstellung nicht bloß von einem, sondern von drei Lehrern: einem Medikus als Professor der Anatomie, der zugleich die Anfangsgründe der Physiologie lehre, einem Medikus als Direktor der Akademie und Professor der Chirurgie, und einem Chirurgen mit dem Charakter als Generalstabschirurg. Auch an eine praktisch fortbildende Klinik denkt Hoffmann, wenn er vorschlägt, daß das Dresdner Lazareth[17] darauf eingerichtet werden möge, die in und um Dresden erkrankenden Soldaten aufzunehmen, damit die jungen Chirurgen sehen, wie ihr vorgesetzter Professor praktizirt, und damit sie selbst Hand anlegen und in der Handhabung der Instrumente, in Kunstgriffen und in Unerschrockenheit sich üben. Mit der Hindeutung darauf, daß es zur Bergung der beim Unterrichte entstehenden Leichenabfälle eines anzuweisenden Kirchhofs bedarf, schließt das Gutachten, aus dem klar zu ersehen ist, daß Hoffmann, obwohl er seinen Plan nicht ausdrücklich den eines Collegium medico-chirurgicum nennt, doch alle wesentlichen Bestandtheile einer besonderen Lehranstalt ins Auge faßt.

Dieser Plan gelangte am 15. Januar 1740 in die Hände des Geheimen Kriegsraths-Collegiums, um diesem, zugleich mit einem ähnlichen Gutachten des Leipziger Professors der Chirurgie Platner, als Unterlage für seine Entschließungen zu dienen. Vor Weiterem drängt sich nun die Frage auf: Was hat es mit dem Gutachten Platners für ein Bewenden? Wann ist es erstattet worden? und hat es Platner aus eigenem oder auf fremden Antrieb erstattet? Hat es die Entwickelung des Dresdner Collegium medico-chirurgicum beeinflußt? Da mir nur eine Abschrift des Platner’schen Planes ohne sein Begleitschreiben und ohne Zeitangabe vorgelegen hat, so lassen sich die Fragen schwer beantworten. Da das Geheime Kriegsraths-Collegium am 6. Februar 1740 den Plan Platners als einen „ehemals entworfenen“ bezeichnet, so ist es wahrscheinlich, daß Platner, der schon seit 1721 an der Universität Leipzig lehrte, Monate, ja vielleicht Jahre vor der Hoffman’schen Berichterstattung seinen Plan eingereicht und somit den Anstoß zu jenem 1736 geäußerten Verlangen des Königs nach einer Anatomiekammer gegegeben hat. Näheres über diese Zeitfrage zu erfahren ist mir nicht gelungen, da die archivalischen Nachrichten der Universität Leipzig in diesem Punkte nicht genügend weit zurückreichen. Daß Platner zu seiner Darlegung behördlicherseits aufgefordert worden sei, ist nicht zu erkennen. Es lag von Haus aus ein militärisches Bedürfniß, die wissenschaftliche Vervollkommnung des Militär-Sanitätspersonals, vor, das der König nur durch seine militärischen Organe decken lassen konnte. Vermuthlich hat Platner frühzeitig von dem Dresdner Vorhaben auf privatem Wege Kenntniß erhalten und es nun im Interesse der Universität, da er wohl die Entstehung einer Konkurrenzanstalt fürchtete, zu vereiteln gesucht. Sein Versuch, das Augenmerk von Dresden weg nach Leipzig zu lenken, ist erfolglos geblieben. Die Auslassungen Platners aber sind so sachgemäß und überzeugend, daß ich ihren Hauptinhalt noch kurz berühren möchte.

Die dienstfreien Regiments- und Kompagnie-Feldschere, schlägt Platner dem Könige vor, sollen in einer gewissen Reihenfolge in Leipzig einen anatomischen und chirurgischen Kurs durchmachen. Gleichzeitig können sie über innere Krankheiten und Arzneimittel unterrichtet werden. Sechs Barbiergesellen sind als Pensionäre kostenfrei [7] und sechs andere als Anwärter anzunehmen. Sie haben sich zu Kriegsdienst zu verpflichten, rücken allmählich in die Regimenter ein, und werden bei ihrer späteren Niederlassung mit gewissen Vorrechten bedacht werden. Die nöthigen Leichen werden so gewonnen, daß die Leipziger Obrigkeit, wie bisher, die Todten aus den Lazarethen einliefert, daß die Leichen, die armuthshalber nicht beerdigt werden können, diejenigen der Hingerichteten, der Selbstmörder, im Nothfalle auch die in Waldheim Gestorbenen zur Verfügung gestellt werden. Der Kurs beginnt nach der Michaelismesse und dauert den Winter hindurch. Dem Professor der Anatomie und Chirurgie ist ein Demonstrator der Chirurgie und für die Reinhaltung der Anatomiekammer ein Diener zu bewilligen. Ueber innere Krankheiten und Arzneimittel wird im Sommer gelesen. Die Chirurgen, die sich im Lande niederlassen wollen, haben einen anatomischen Kurs durchzumachen. Da ihnen dadurch Unkosten erwachsen und es daher wünschenswerth ist, daß sie sich „an einer ergiebigen Praxis wiederum erholen“, so sind die Verordnungen gegen die Pfuscher und Quacksalber zu verschärfen. An staatlichen Ausgaben erwachsen durch den Kurs solche für die Instrumente, für die Begräbnisse der Leichen, für die Verpflegung der Pensionäre und für die Entschädigung der Professoren. Die Aufsicht führt die medizinische Fakultät. Zu ihrer praktischen Ausbildung kann der Leipziger Rath die Pensionäre in den Lazarethen und bei den Almosen-Kranken zulassen; besser aber ist es, in Leipzig ein Invalidenhaus[18] zu errichten und die Invaliden aus dem Lande, nämlich aus Waldheim, Torgau und Dresden nach Leipzig bringen zu lassen. Ein geeigneter Mann hat jeweilig auswärtige Chirurgenschulen zu besuchen, damit es niemals an tüchtigen Demonstratoren fehlt.

Dieser Plan des berühmten Platner ist ein Meisterstück der Organisation. Nichts, was zu einer wohl geordneten Lehranstalt gehört, entgeht Platners Scharfblick. Lehrer, Schüler, Unterrichtsmaterial – alles leitet er weit ausschauend in gangbare Bahnen. Es macht den Eindruck, als ob er alles schon vorbereitet und erprobt habe und als ob er nur auf den Wink des Herrschers warte, um anderen Tages aus dem Nichts eine segensreiche Werkstatt der Wissenschaft hervorzuzaubern.

Trotzdem ist Platners Plan nicht zu entsprechender Beachtung gelangt, und vor Allem hielt man, was die Ortswahl anlangt, an Dresden fest, wo zwar alles das, was in Leipzig schon fertig dastand, neu geschaffen werden mußte. Am 6. Februar 1740 befürwortet das Geheime Kriegsraths-Collegium beim Könige die Errichtung einer chirurgischen Lehranstalt unter Bezugnahme auf den Hoffmann’schen und Platner’schen Plan, betont aber von vornherein, daß zur Unterkunft der Anstalt Dresden sich besser eigne, weil alle Feldschers der Infanterie allmählich nach Dresden versetzt werden, weil ein besonderes Lazareth für die Garnison Dresden „angelegt“ sei, und weil in diesem wie auch in den Dresdner Hospitälern, dem Stadtlazareth, den Waisenhäusern und dem Festungsbau Gelegenheit zu Operationen geboten sei. Als Lehrer empfiehlt das Geheime Kriegsraths-Collegium den Generalstabsmedikus Dr. Hoffmann, weil dieser die Regiments- und Kompagnie-Feldschers prüfen und ihnen berathend zur Hand gehen soll, ferner den Garnisonmedikus Dr. Bartholomaei, den Stabsmedikus Dr. Ruppius, den beim ungarischen Korps befindlichen Generalstabschirurgus Wassermann[19], den Regimentsfeldscher Oezmann, Oberfeldschere Täubert und Müller. In den übrigen Einzelheiten verhält sich diese hohe Behörde zustimmend zu dem Hoffmann’schen Plane und empfiehlt schließlich dem Könige, diesen sowie den Platner’schen Plan durch die Leib- und Hofmedici prüfen zu lassen.

Dieser Bericht des Geheimen Kriegsraths-Collegiums ist ein Schlußwort. Darüber, wie sich der König und seine Medici zu dem Plane gestellt haben, ist nichts bekannt. Es tritt dreijähriges Schweigen ein, dessen Ursache offenbar in dem inzwischen ausgebrochenen und anderweit in Anspruch nehmenden ersten schlesischen Kriege (1741 bis 1742) liegt.

Im Jahre 1743 war es, als der mehrerwähnte Stabsmedikus Dr. Pitschel dieses Schweigen unterbrach. Aus späteren Nachrichten ist zu ersehen, daß Pitschel schon am 3. Januar 1743 und am 11. Februar 1743 Berichte an den König erstattet hat, in denen er nicht zwar eine ordentliche Lehranstalt, aber die Erlaubniß zur Unterrichtsertheilung unter Benutzung von Privatsektionen an verstorbenen Baugefangenen, an Selbstmördern, an den im Krankenhaus Verstorbenen und an Hingerichteten in einem Kasernenraume erbittet. Dieser neue Vorschlag, einfacher und billiger ausführbar als der Hoffmann’sche, hat, wie aus Späterem hervorgeht, nicht verfehlt, Eindruck auf das Geheime Kriegsraths-Collegium zu machen, so daß sich dieses nunmehr lediglich mit den Pitschel’schen Gedanken beschäftigt. Aufgefordert, die Bedürfnisse für ein Collegium anatomico-chirurgicum anzugeben, steigert Pitschel seine Ansprüche und beantragt am 9. April 1743 [8] Folgendes: Eine Anatomiekammer, die bequem 150 Personen faßt, ferner drei Stuben, zwei Kammern, die Ausstattung dieser Räume mit Geräthschaften, die erforderlichen Instrumente und endlich als Personal einen Medikus als Direktor und Professor der Anatomie und Chirurgie, der im Sommer zugleich Physiologie vortragen kann, einen Chirurgus als Prosektor, der die Operationen und Verbände auszuführen hat, und einen Aufwärter, wenn möglich auch einen Professor der Therapia und Materia medico-chirurgica (d. i. Lehre über innere Krankheiten und Arzneimittel). Zu einem Kostenanschlage aufgefordert, berechnet Pitschel den Aufwand für die Anlage unter dem 13. Mai 1743 auf 203 Thaler 2 Groschen.

Hiermit haben die Verhandlungen zum zweiten Male ihr Ende erreicht, und es tritt wiederum eine mehrjährige Pause ein, die zweifellos durch den zweiten schlesischen Krieg (1744 bis 1745) verschuldet worden ist.

Dem Helden des ersten Aktes, Hoffmann, und dem des zweiten Aktes, Pitschel, folgte nun der des dritten Aktes: der vormalige Leibchirurgus des 1746 verstorbenen Herzogs zu Weißenfels und nun zum Hofchirurgus in Dresden ernannte Friedrich Gottlob Günther. Dieser meldet am 1. Juni 1747, daß die von ihm auf Befehl aus Weißenfels nach Dresden gebrachten und in der Königlichen Kunstkammer verwahrten anatomischen Präparate und Instrumente hier dem Verderben ausgesetzt und daher besser in einem Kasernenraume unterzubringen seien. Zugleich aber legt er diesem (übrigens schon am 6. Juni 1747 genehmigten Vorschlage) einen, wie es scheint, aus eigenem Antriebe ausgearbeiteten Plan zur wissenschaftlichen Ausbildung der Feldscher- und Barbiergesellen in Anatomie, Physiologie, Therapie und Chirurgie mittelst eines zu gründenden Collegium medico-chirurgicum vor. Dieser Plan, der auf die vorgängigen Pläne keinerlei Bezug nimmt, viel mehr auf Einzelheiten eingeht, als es die letzteren thun und vor Allem darauf Bedacht nimmt, daß so gut wie keine Kosten erwachsen, hat schließlich so zu sagen den Vogel abgeschossen.

Günther empfiehlt als Lehrer folgende: den Generalstabsmedikus Dr. Hänel, der unentgeltlich über innere und äußere Soldatenkrankheiten lehren will, den Kasernenmedikus Dr. Pitschel, der umsonst über Anatomie vortragen will, den pensionirten Dr. Kretzschmar, der ohne Entgeld die Physiologie übernehmen will, und den Hofchirurgus Günther (also sich selbst), der mit unermüdlichem Fleiße in den chirurgischen Operationen zu unterrichten gedenkt. Dieses letztere Lehramt, meint Günther, könnte künftig auf den jeweiligen Oberfeldscher der großen Grenadiere übergehen, weil deren Regiment die Garnison nicht wechselt und ein eigenes Lazareth für die praktische Ausbildung besitzt. Die Aufsicht über das Collegium will Günther einem besonderen Direktorium nebst einem Leibmedikus übertragen wissen. Zur Unterkunft empfiehlt er vier Stuben und zwei Kammern in den Kasernen. Zur Gewinnung der erforderlichen Leichen ist sein Augenmerk auf die verstorbenen Baugefangenen, auf die im Lazareth verstorbenen Armen, auf die Hingerichteten und für den Nothfall auch auf die verstorbenen Kasernenkinder gerichtet[20].

Besonders bemerkenswerth sind die nun folgenden Prüfungsvorschläge, weil sie den fortschrittlichen Geist Günthers trefflich kennzeichnen und mit Recht Gesetzeskraft erlangt haben. Künftig darf Keiner, verlangt Günther, zu einem Regiments-Feldscherplatz zugelassen werden, der nicht eine Prüfung vor dem Collegium bestanden hat. Die Beförderung der Feldschers soll überhaupt davon mit abhängig gemacht werden, daß sie, und zwar einer bis zwei von jedem Regiment, die sechs Wintermonate hindurch das Collegium besuchen. Ohne Prüfung vor dem Collegium soll auch im bürgerlichen Leben Niemand mehr eine Barbier- oder Baderstube erwerben oder eine Amts- und Raths-Barbierstelle einnehmen dürfen. Zum Schlusse stellt Günther zur Deckung der Kosten eine Gebührenordnung auf.

Dieser Bericht ist insofern auch äußerst geschickt und für die sparsamen Militärbehörden mundrecht gefaßt, als er den Stein des pekuniären Anstoßes fast ganz aus dem Wege räumt. Vor dem Vorwurfe Pitschels aber, den dieser 37 Jahre später erhebt, und der den Leibchirurg Günther unehrlicher Handlungsweise und einer Hintergehung Pitschels beschuldigt, muß Günther in Schutz genommen werden. Daß die Pläne beider in vielen Stücken inhaltlich übereinstimmen, darf bei dem gleichartigen Gegenstande, den beide behandeln, nicht Wunder nehmen, und der Verdacht gegen Günther ist um so weniger begründet, als sein Plan vieles eigene enthielt und sich somit weit von einer bloßen Abschrift entfernt. Günther ist im Gegentheil von jedem Vorwurfe schon dadurch gereinigt, daß er sich vor Einreichung seines Planes mit den Hauptbetheiligten, dem Generalstabsmedikus Hänel als Nachfolger Hoffmanns und mit dem Stabsmedikus Dr. Pitschel ins Einvernehmen gesetzt hat. Daß er dies wirklich gethan, geht aus seinem Anerbieten hervor: Hänel und Pitschel seien bereit, ihr Lehramt unentgeltlich zu verwalten. Es geht aber auch aus einer Antwort dieser beiden Aerzte an [9] das Kriegsraths-Collegium, das ihnen den Plan Günthers zur Aeußerung vorgelegt hatte, unzweifelhaft hervor. Denn in dieser Antwort vom 15. Juli 1747 bekennen Hänel und Pitschel mit ihrer Namensunterschrift, daß Günther seinen Plan nach diesem Einvernehmen entworfen habe. Uebrigens billigt die Antwort den Plan völlig, schlägt als Leiter der Anstalt einen der Geheimen Kriegsräthe vor und empfiehlt, daß vor Allem die Anatomiekammer in Stand gesetzt werden möge.

Durch die Beschlüsse des Königs und Kurfürsten Friedrich August vom 30. April und 8. Mai 1748 wurden die Vorschläge Günthers genehmigt, als Deputirte der Geheime Kriegsrath von Leipziger, der Hof- und Justitienrath von Heucher und der Hofrath und Leibmedikus Dr. Tittmann ernannt, sowie im Einzelnen folgende Bestimmungen getroffen: Die Anstalt erhält den Namen „Collegium medico-chirurgicum“. Lehrer sind für die Therapie der Generalstabsmedikus Dr. Hänel und künftig seine Nachfolger, für die Anatomie der Kasernenmedikus Pitschel und künftig der jeweilige Garnisonmedikus, für die Physiologie Dr. Kretzschmar und künftig ein anderer beamteter Arzt, für die Chirurgie der zum königlichen Leibchirurgen ernannte Günther und künftig der jeweilige Oberfeldscherer der Leib-Grenadiergarde. Im Uebrigen lehnt sich der königliche Befehl ebenfalls eng an den Günther’schen Plan an und setzt voraus, daß die nützliche Anstalt nun baldmöglichst in Thätigkeit treten werde.

Diese Voraussetzung erfüllte sich freilich, da sich die Verhandlungen über die Wahl und Einrichtung der erforderlichen Räume auf Monate lang fortspannen, erst im November 1748, wo das Collegium eröffnet wurde und seine Lehrthätigkeit begann.


Fast alle Neuschöpfungen und Erfindungen haben ihre Vorläufer und vorbereitenden Anfänge sowie ihre an dem Werke betheiligten Haupt- und Nebenpersonen; und es hält daher für die Nachwelt oft schwer, das Gewicht aller der Einflüsse zu bestimmen, die der eine und andere Umstand, die eine und andere Persönlichkeit ausgeübt hat, und insbesondere welcher dieser Personen die Palme gebührt.

Es kann, nachdem sich das Grab über dem Dresdner Collegium medico-chirurgicum schon längst geschlossen hat, nicht von praktischer Bedeutung sein, die angeregten Zweifel ausführlich zu erörtern und lösen zu wollen. Nur ganz kurz möchte ich im Allgemeinen die Rollen, die die fünf betheiligten Personen, Mittermeyer, Platner, Hoffmann, Pitschel und Günther, dabei gespielt haben, kennzeichnen.

Nach meiner Auffassung ist der ehemals von Mittermeyer an die Feldschere etc. ertheilte Unterricht gewissermaßen das Vorwort zur Entwickelungsgeschichte der Anstalt, hat aber ebensowenig, wie der Antrag der Dresdner Barbiergesellschaft, mit der Gründung einer Anstalt, die auch von keiner der beiden Stellen beabsichtigt war, etwas zu thun.

Der Antrag Platners beschäftigt sich schon mit einer eigentlichen Anstalt, aber doch nur unter Befürwortung der engsten Anlehnung dieser Anstalt an die bereits vorhandene Hochschule und unter absichtlicher Nichtbeachtung Dresdens, des künftigen, die Verfassung des Collegiums wesentlich mitbedingenden Sitzes der Anstalt.

Der Antrag Pitschels zielt anfangs nicht auf eine selbständige Anstalt ab, sondern thut es erst später, nachdem ihm wahrscheinlich Pläne desselben Zieles vorgelegen haben, und nachdem ihm die Mängel seiner ersten Vorschläge und die Grenzen des Erreichbaren durch die Verhandlungen zum Bewußtsein gekommen sind. Seinem Selbstlobe, er sei der „Erfinder“ der Anstalt, muß die Anerkennung um so mehr versagt werden, als er es durch Verdächtigungen zu begründen sucht, die durch aktenkundige Thatsachen nicht gestützt werden können.

Der Antrag Günthers enthält unstreitig den vollkommensten von allen eingereichten Plänen. Allein auch er hatte die vorausgegangenen Pläne Anderer gekannt und sich obendrein die Ergebnisse vielseitiger Vorverhandlungen zu Nutze machen können, so daß hierdurch sein Verdienst um die Gründung der Anstalt – allerdings mehr sein wissenschaftliches als sein praktisches – beträchtlich herabgedrückt wird.

Der älteste Plan für die Errichtung eines Dresdner Collegium medico-chirurgicum, auf den die amtlichen Verhandlungen immer wieder zurückgreifen, ist der Hoffmann’sche. Zwar hat sich Hoffmann, der sechs Jahre nach der Einreichung seines Antrags starb, nicht mehr an der Verwirklichung seiner Wünsche betheiligen können; aber den Grund zur Anstalt hat er mit seinen neuartigen, bündigen, nur das Wesentliche ins Auge fassenden, aber dieses erschöpfenden Verfassungsvorschlägen unstreitig gelegt.

Es sei deshalb gern noch einmal, wie es die „Geschichte des Königlich Sächsischen Sanitätskorps“ bereits, wenn schon nicht kritisch, gethan, die Ursprünglichkeit der Hoffmann’schen Arbeit und das Hauptverdienst Hoffmanns um die Gründung der Anstalt ausdrücklich betont. Generalstabsmedikus Dr. Hoffmann ist der geistige Urheber des einstigen Dresdner Collegium medico-chirurgicum.

Nun noch einige Schlußworte über die Lebensschicksale dieser Anstalt. Nach vierzigjährigem Bestehen hatte das Kollegium die Probe glänzend bestanden. Es hatte in der Kaserne zu Dresden-Neustadt festen Fuß gefaßt, und ein für 200 Zuhörer bestimmter Hörsaal [10] mit amphitheatralischer Einrichtung, sowie ein chirurgisches Spital, für das noch 1789 die Ausgaben um 400 Thaler erhöht wurden, legten Zeugniß ab für die Hoffnungen, die die Lehrer an diese Anstalt zu knüpfen berechtigt waren. Die Regierung ihrerseits bemühte sich, wissenschaftlich bedeutende Lehrkräfte für das Collegium zu gewinnen. Nur zweier sei hier beispielsweise gedacht: Hedenus und Tittmann.

Johann August Wilhelm Hedenus ist zu Langensalza am 11. August 1760 als Sohn eines Apothekers geboren, erlernte die Pharmazie bei seinem Vater und die Chirurgie bei einem Regiments-Chirurgus, studirte in Dresden, wurde 1782 Kompagnie-, 1791 Pensionär-Chirurg, 1793 Prosektor, 1798 Generalstabschirurgus und Lehrer der Chirurgie, 1808 Leibchirurgus des Königs Friedrich August, 1824 Ehrendoktor der Leipziger medizinischen Fakultät, 1828 erster Leibarzt des Königs von Sachsen, schrieb einige chirurgische Abhandlungen und starb am 29.&nbsp Dezember 1836.

Johann August Tittmann, geboren zu Bühla im Hannöverschen den 25. Mai 1774, erlernte die Pharmazie in Elbingerode, servirte eine Zeit lang in Wernigerode, studirte seit 1794 am Collegium med. in Dresden, seit 1795 in Leipzig, habilitirte sich hier 1798 als Privatdozent, promovirte 1801, ging nach Göttingen, ließ sich in Dresden nieder, hielt hier seit 1804 Vorlesungen am Collegium med. über pharmazeutische Botanik, beerbte 1813 seinen Oheim und widmete sich nun schriftstellerischen Arbeiten, hauptsächlich über Botanik, Pharmazie und Chirurgie, bis er am 11. Dezember 1840 in Dresden starb.

Die Zahl der Studirenden mehrte sich rasch. In den ersten Jahren wurden durchschnittlich 15 bis 20, in den Jahren 1770 bis 1790 30 bis 40, dann 60 bis 70 jährlich aufgenommen, so daß in den Jahren um 1810 gewöhnlich 140 bis 150 Studirende zugleich vorhanden waren. Die Summe aller Besucher in den Jahren 1748 bis 1813 betrug 2425, und zwar in den ersten 30 Jahren 459, von da ab bis 1813 1966. Von diesen 1966 sind zum Dienst beim Militär 581, in den Civilberuf 1385 übergegangen. So mancher nachmals berühmte Mann zählt zu diesen einstigen Studirenden des Collegiums. Ich erinnere zunächst an die erwähnten: J. A. W. Hedenus und J. A. Tittmann; ferner an Raschig, Pienitz, Weinhold, Schön und Gräfe.

Christoph Eusebius Raschig, geboren zu Dresden am 14. März 1766, studirte in Wittenberg, Dresden und Jena, promovirte 1787 in Wittenberg, ließ sich in Dresden nieder, diente 1793 bis 1796 als Militärarzt bei den sächsischen Truppen des Rheinheeres, wurde 1798 Generalstabsarzt, 1815 Professor der medizinisch-chirurgischen Akademie in Dresden, an der er medizinische Encyklopädie und Militärmedizin las, legte 1825 seine militärische Stellung nieder und starb am 19. Mai 1827. Sein größtes schriftstellerisches Werk ist sein Handbuch der inneren praktischen Heilkunde (Leipzig 1808 bis 1810, 4 Theile).

Ernst Gottlob Pienitz, einer der hervorragendsten deutschen Irrenärzte, geboren als Sohn eines Amtschirurgen in Radeberg am 20. August 1777, besuchte von 1795 bis 1800 das Collegium medico-chirurgicum in Dresden, diente daselbst als Kompagnie-Chirurg, studirte dann drei Jahre in Leipzig, besuchte 1804 bis 1805 Wien und Paris, wurde 1806 Arzt am Armen- und Zuchthause zu Torgau, promovirte 1807 in Leipzig und übernahm 1811 die Stellung als Hausarzt an der Irrenheilanstalt Sonnenstein, an der er als Dirigent bis 1851 thätig war. Nun wurde er auf sein Ansuchen mit dem Charakter eines Geh. Medizinalrathes in den Ruhestand versetzt und starb zu Pirna am 30. Mai 1853. Seine schriftstellerischen Arbeiten behandelten besonders die Ergebnisse der Krankenpflege seiner Anstalt. Seit 1818 war er Mitredakteur der Zeitschrift für psychische Aerzte.

Von hervorragender Bedeutung ist Karl August Weinhold geworden. Er war am 6. Oktober 1782 zu Meißen geboren, besuchte seit 1796 des Collegium medico-chirurgicum zu Dresden, bestand 1798 die Prüfung für Militärchirurgen in Dresden, wurde Kompagnie-Chirurgus, kehrte 1802 zu weiteren Studien nach Dresden zurück, nahm dann seinen Abschied, setzte seine Studien in Wittenberg fort, promovirte hier 1805, besuchte Wien und Paris, praktizirte einige Jahre in Meißen, reiste dann durch die Schweiz und Italien, wurde 1811 zum Direktor der Klinik nach Dorpat berufen, gab 1812 diese Stellung wieder auf, ließ sich in Dresden nieder, wurde hier 1814 Professor der Arzneimittellehre an der medizinischen Lehranstalt und ging schließlich 1817 als preußischer Leibarzt, sowie als Professor der Medizin und Chirurgie nach Halle, wo er am 29. September 1829 starb. Seine zahlreichen Schriften zeugen von seiner physiologischen und chirurgischen Thätigkeit.

Zu hohem Ansehen gelangte ferner Heinrich August Schoen, geboren den 17. März 1774 in Dresden. Er kam 1786 zu einem Chirurgen in Waldheim in die Lehre, diente in den Rheinfeldzügen 1793 bis 1795 als Unterchirurg in den Feldspitälern, wurde 1796 Kompagnie-Chirurg, studirte seit 1800 am Collegium medico-chirurgicum zu Dresden, seit 1801 in Jena, lebte seit 1803 als aggregirter Pensionär-Chirurg des Collegium medico-chirurgicum in Dresden, promovirte 1804 in Wittenberg, ließ sich 1804 in Lützen nieder, diente seit 1805 als Feldmedikus, betheiligte sich 1809 als Stabsmedikus am Feldzuge gegen Oesterreich, 1812 gegen Rußland, 1814 und 1815 gegen Frankreich, praktizirte seit 1818 in Dresden, wurde 1819 Mitglied der Militär-Medizinal-Direktion, [11] 1825 Generalstabsmedikus und starb den 16. Januar 1828. Er hat am Anfange der zwanziger Jahre eine werthvolle Statistik über Krankheit und Sterblichkeit des sächsischen Heeres 1819 bis 1821 veröffentlicht und viel zur Hebung des militärärztlichen Standes beigetragen.

Alle die Genannten überragt der berühmte Carl Ferdinand von Graefe, geboren am 8. März 1787 in Warschau als Sohn des Geschäftsträgers des Grafen Mosczynski. Er studirte die Heilkunde zunächst am Collegium medico-chirurgicum in Dresden, seit 1805 zu Halle und seit 1807 in Leipzig. Hier wurde er auch 1807 Doktor der Medizin. 1808 ernannte ihn der Herzog Alexius von Anhalt-Bernburg zu seinem Leibarzt in Ballenstedt, wo er ein Krankenhaus errichtete und das Alexisbad in Aufnahme brachte. 1810 wurde er an die neubegründete Hochschule in Berlin als Professor und Direktor der chirurgisch-augenärztlichen Anstalt berufen. 1813 übernahm er als Divisions-General-Chirurgus die Verwaltung der Militär-Heilanstalten Berlins, einige Monate später die Leitung des Lazarethwesens beim vierten Armeekorps, die Errichtung eines Haupt-Reserve-Feldlazareths für das auf 180 000 Mann vergrößerte Heer und die Aufsicht über alle Provinzial-(Reserve-)Lazarethe in den drei Gouvernements und zwar an 38 Orten zwischen Weichsel und Weser. 1815 leitete er die Lazarethe des Kriegsschauplatzes und der nächstgelegenen Landestheile zwischen Weser und Rhein, in Holland und Belgien, und rief alle Reservelazarethe des Heeres ins Leben. Noch 1815 wurde er Geheimer Medizinalrath und 1822 dritter Generalstabsarzt und Mitdirektor der militärärztlichen Bildungsanstalten. 1826 erhielt er den russischen Adel. 1830 bereiste er Italien; 1833 begab er sich nach London zum Prinzen Georg, um dessen Augen zu behandeln, 1840 nach Hannover zu einer Augenoperation des Kronprinzen und starb hier am 4. Juli 1840. Seine eigentliche Schaffenskraft entfaltete Graefe in der Augenheilkunde und in der operativen Chirurgie. In beiden Wissenschaften hat er bahnbrechend gewirkt und sich unsterblich gemacht.

Diese bleibenden Zierden der Wissenschaft zeigen, wie hoch die Leistungen und Verdienste des Collegium medico-chirurgicum zu veranschlagen sind. Sie reichten aber nicht aus, um die Anstalt vor den feindlichen Einflüssen der ländererschütternden Kriegsereignisse des Jahres 1813 zu bewahren. Im August 1813 mußte sie den Kriegern weichen. Das chirurgische Spital wurde ganz aufgelöst; die Lehrer mußten ihre Kasernenwohnungen verlassen, die Vorträge hörten auf, auch die Sammlungen mußten fortgebracht werden, und endlich mußte selbst der Hörsaal, in dem im März 1814 einige Lehrer ihre Vorlesungen zu halten den Versuch gemacht hatten, wieder geräumt und dem Militär übergeben werden.

So mögen denn diese Zeilen einen Lorbeerkranz auf das Grab einer Anstalt legen, die in 65jährigem gesegneten Wirken für Wissenschaft und Humanität, für Staat und Heer, und in der Kulturentwickelung unseres Vaterlandes und seines hauptstädtischen Gemeindewesens immerdar einen hochansehnlichen Platz beanspruchen darf.


  1. Dr. Friedrich Lobegott Pitschel, geb. zu Tautenburg in Thüringen 1714, scheint in Leipzig studirt und hier Vorträge gehalten zu haben, wurde später (wahrscheinlich erst 1781) Generalstabsmedikus und starb am 10. September 1785.
  2. Dies war den Barbieren für die von dem Prof. Schamberg 1704 in Leipzig gegründete Anatomie schon 1705 gestattet.
  3. Hänel, der frühere Feld- und Kommissariatsmedikus, war der Nachfolger des 1746 verstorbenen von Hoffmann als Leiter des sächsischen Militär-Sanitätswesens; er starb 1777.
  4. Kretzschmar wird von Pitschels Nachricht über das Kollegium nicht erwähnt. Dagegen wird er von Börners „Nachrichten von den vornehmsten Lebensumständen etc.“ III. Bd. (1755) unter den „Königl. Chursächß. Hof-Medici“ aufgeführt.
  5. Es sei hierzu erläuternd bemerkt, daß die sächsischen Truppen aus dem ersten schlesischen Kriege Anfangs Juli 1742 nach Sachsen zurückkehrten.
  6. Heucher geb. in Wien 1677, gest. in Dresden am 23. Februar 1747. Er kam 13 Jahre alt nach Wittenberg, wurde 1696 Mag. phil., studirte in Leipzig, Jena, Altdorf, kehrte 1699 nach Wittenberg zurück, wurde hier Dr. med., 1709 Professor der Medizin, verbesserte das anatomische Kabinet in Wittenberg, gründete den botanischen Garten, wurde 1713 Leibarzt des Königs August II. von Polen in Dresden und erhielt 1721 von Kaiser Karl VI. den Adel.
  7. Auffällig ist es hierbei, daß Pitschel mit keiner Silbe des vom Generalstabsmedikus von Hoffmann schon drei Jahre früher eingereichten Plans zu einem Collegium med.-chir. gedenkt. Entweder hat Pitschel diesen früheren Plan nicht gekannt oder ihn absichtlich verschwiegen. Es ist leicht möglich, daß des Hoffmannschen Plans das Kriegsraths-Collegium sich noch erinnert hat; denn sonst wäre es wohl nicht darauf gekommen, Pitschel zu einem viel größeren Unternehmen zu veranlassen, als es der Bittsteller selbst von Haus beabsichtigte.
  8. Sollte der, offenbar sachverständige, Jemand nicht Hoffmann oder sein Plan von 1740 gewesen sein, den Pitschel vielleicht zwar kannte, aber nicht nennen wollte?
  9. Dieser Befehl ist zweifellos das erwähnte Königliche Rescript vom 8. Mai 1748 gewesen.
  10. Generalstabsmedikus von Hoffmann und Leibarzt von Heucher waren freilich inzwischen, 1746 bez. 1747, gestorben.
  11. Dr. Friedrich Börner führt in seinen „Nachrichten von den vornehmsten Lebensumständen und Schriften jetztlebender berühmter Aerzte“, Wolfenbüttel 1753, III. Bd. S. 139 und 140 folgendes Personal für das Jahr 1753 auf: „Commissarii, Directores Herr August Siegesmund von Lentsch, Geheimer Kriegsrath, Herr Johann Friedrich von Heucher, Hof- und Justizrath, Herr Johann Christoph Neide, Hofrath und Leibmedikus, Herr Justus Gottfried Güntz, Hofrath und Leibmedikus; Dozenten Herr Dr. Christian Heinrich Hänel, Generalstabsmedikus, liest die Physiologie und praktischen Theile der Medizin, Herr Dr. Friedrich Lobegott Pitschel, liest die Anatomie. Der Königliche Leibchirurgus Herr Friedrich Gottlob Günther, der die Chirurgie gelesen, ist zu Anfange dieses Jahres (d. i. also das Jahr 1753) verstorben.“ – S. 350 ergänzt Börner: „An die Stelle des ehemaligen Leib-Chirurgi Günthers ist Herr Johann Sigismund Montanus.... in Collegio medico-chirurgico gekommen.“
  12. Diese stammen wahrscheinlich von dem berühmten Johann Zacharias Platner, geb. 16 .August 1694 zu Chemnitz und gest. 19. Dezember 1747 als hochangesehener Professor der Chirurgie in Leipzig.
  13. Pitschel meint den Kurfürsten Friedrich August III. (reg. 1768 bis 1827).
  14. Wird wohl Georg Christian Meuder gewesen sein, der nach dem biographischen Lexikon seit 1722 Stadt- und Landphysikus in Barby war und bald darauf sächsischer Leibmedikus, Hofrath und 1730 kurfürstlich sächsischer Generalstabsmedikus in dem verbundenen sächsischen und polnischen Heere wurde.
  15. Das des Jahres 1784.
  16. Dieser akademisch klingende Ausdruck beweist nicht den Bestand einer besonderen Unterrichts-Anstalt, sondern ist mit „Chirurgie-Beflissenen“ zu verdeutschen.
  17. Mit dem Garnisonlazareth Dresden sah es damals mißlich aus. Zwar hatte man schon 1714 drei in der jetzigen Neustadt außerhalb der Festung vor dem schwarzen Thore auf dem Sande befindliche Gebäude zum Lazareth umgebaut, sie aber weiterhin als Kaserne benutzt, so daß es noch 1740 neben dem Stadtkrankenhause thatsächlich kein Garnisonlazareth in Dresden gab.
  18. Die Bezeichnung „Invalid“ bedeutet hier wohl so viel wie „kranker Militär“, so daß Platner ein Leipziger Garnisonlazareth gewünscht hat. Jedenfalls ist dieser Wunsch nicht bald in Erfüllung gegangen; denn erst auf einen Antrag des Generalstabsmedikus Dr. Hänel ist am 5. Mai 1751 die Errichtung von „Regimentsstabsspitälern“ beschlossen worden.
  19. Einem Generalstabsfeldscher Wassermann begegnen wir 1741 bei der Erstürmung Prags wieder (S. 21 der „Geschichte des Königl. Sächs. Sanitätskorps“).
  20. Im Dresdner Rathsarchiv befindet sich eine „Specificatio derer Cadaverum, so auf allergnädigst ergangenen Befehl an das Collegium med.-chir. aus dem Lazareth dahin geliefert worden“, wonach in den Jahren 1748 bis 1800 insgesammt 608 Leichen aus dem Stadtlazareth in die Anatomie gelangten, und zwar im Jahre 1748 zwei (als erster am 21. November „Gottfried Künzler, ein Soldat, so aufn Neumarkt an der Justiz stranguliret worden“), 1749 17, 1750 21, 1751 13 u. s. w.