Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/11

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Folgendes: Eine Anatomiekammer, die bequem 150 Personen faßt, ferner drei Stuben, zwei Kammern, die Ausstattung dieser Räume mit Geräthschaften, die erforderlichen Instrumente und endlich als Personal einen Medikus als Direktor und Professor der Anatomie und Chirurgie, der im Sommer zugleich Physiologie vortragen kann, einen Chirurgus als Prosektor, der die Operationen und Verbände auszuführen hat, und einen Aufwärter, wenn möglich auch einen Professor der Therapia und Materia medico-chirurgica (d. i. Lehre über innere Krankheiten und Arzneimittel). Zu einem Kostenanschlage aufgefordert, berechnet Pitschel den Aufwand für die Anlage unter dem 13. Mai 1743 auf 203 Thaler 2 Groschen.

Hiermit haben die Verhandlungen zum zweiten Male ihr Ende erreicht, und es tritt wiederum eine mehrjährige Pause ein, die zweifellos durch den zweiten schlesischen Krieg (1744 bis 1745) verschuldet worden ist.

Dem Helden des ersten Aktes, Hoffmann, und dem des zweiten Aktes, Pitschel, folgte nun der des dritten Aktes: der vormalige Leibchirurgus des 1746 verstorbenen Herzogs zu Weißenfels und nun zum Hofchirurgus in Dresden ernannte Friedrich Gottlob Günther. Dieser meldet am 1. Juni 1747, daß die von ihm auf Befehl aus Weißenfels nach Dresden gebrachten und in der Königlichen Kunstkammer verwahrten anatomischen Präparate und Instrumente hier dem Verderben ausgesetzt und daher besser in einem Kasernenraume unterzubringen seien. Zugleich aber legt er diesem (übrigens schon am 6. Juni 1747 genehmigten Vorschlage) einen, wie es scheint, aus eigenem Antriebe ausgearbeiteten Plan zur wissenschaftlichen Ausbildung der Feldscher- und Barbiergesellen in Anatomie, Physiologie, Therapie und Chirurgie mittelst eines zu gründenden Collegium medico-chirurgicum vor. Dieser Plan, der auf die vorgängigen Pläne keinerlei Bezug nimmt, viel mehr auf Einzelheiten eingeht, als es die letzteren thun und vor Allem darauf Bedacht nimmt, daß so gut wie keine Kosten erwachsen, hat schließlich so zu sagen den Vogel abgeschossen.

Günther empfiehlt als Lehrer folgende: den Generalstabsmedikus Dr. Hänel, der unentgeltlich über innere und äußere Soldatenkrankheiten lehren will, den Kasernenmedikus Dr. Pitschel, der umsonst über Anatomie vortragen will, den pensionirten Dr. Kretzschmar, der ohne Entgeld die Physiologie übernehmen will, und den Hofchirurgus Günther (also sich selbst), der mit unermüdlichem Fleiße in den chirurgischen Operationen zu unterrichten gedenkt. Dieses letztere Lehramt, meint Günther, könnte künftig auf den jeweiligen Oberfeldscher der großen Grenadiere übergehen, weil deren Regiment die Garnison nicht wechselt und ein eigenes Lazareth für die praktische Ausbildung besitzt. Die Aufsicht über das Collegium will Günther einem besonderen Direktorium nebst einem Leibmedikus übertragen wissen. Zur Unterkunft empfiehlt er vier Stuben und zwei Kammern in den Kasernen. Zur Gewinnung der erforderlichen Leichen ist sein Augenmerk auf die verstorbenen Baugefangenen, auf die im Lazareth verstorbenen Armen, auf die Hingerichteten und für den Nothfall auch auf die verstorbenen Kasernenkinder gerichtet[1].

Besonders bemerkenswerth sind die nun folgenden Prüfungsvorschläge, weil sie den fortschrittlichen Geist Günthers trefflich kennzeichnen und mit Recht Gesetzeskraft erlangt haben. Künftig darf Keiner, verlangt Günther, zu einem Regiments-Feldscherplatz zugelassen werden, der nicht eine Prüfung vor dem Collegium bestanden hat. Die Beförderung der Feldschers soll überhaupt davon mit abhängig gemacht werden, daß sie, und zwar einer bis zwei von jedem Regiment, die sechs Wintermonate hindurch das Collegium besuchen. Ohne Prüfung vor dem Collegium soll auch im bürgerlichen Leben Niemand mehr eine Barbier- oder Baderstube erwerben oder eine Amts- und Raths-Barbierstelle einnehmen dürfen. Zum Schlusse stellt Günther zur Deckung der Kosten eine Gebührenordnung auf.

Dieser Bericht ist insofern auch äußerst geschickt und für die sparsamen Militärbehörden mundrecht gefaßt, als er den Stein des pekuniären Anstoßes fast ganz aus dem Wege räumt. Vor dem Vorwurfe Pitschels aber, den dieser 37 Jahre später erhebt, und der den Leibchirurg Günther unehrlicher Handlungsweise und einer Hintergehung Pitschels beschuldigt, muß Günther in Schutz genommen werden. Daß die Pläne beider in vielen Stücken inhaltlich übereinstimmen, darf bei dem gleichartigen Gegenstande, den beide behandeln, nicht Wunder nehmen, und der Verdacht gegen Günther ist um so weniger begründet, als sein Plan vieles eigene enthielt und sich somit weit von einer bloßen Abschrift entfernt. Günther ist im Gegentheil von jedem Vorwurfe schon dadurch gereinigt, daß er sich vor Einreichung seines Planes mit den Hauptbetheiligten, dem Generalstabsmedikus Hänel als Nachfolger Hoffmanns und mit dem Stabsmedikus Dr. Pitschel ins Einvernehmen gesetzt hat. Daß er dies wirklich gethan, geht aus seinem Anerbieten hervor: Hänel und Pitschel seien bereit, ihr Lehramt unentgeltlich zu verwalten. Es geht aber auch aus einer Antwort dieser beiden Aerzte an


  1. Im Dresdner Rathsarchiv befindet sich eine „Specificatio derer Cadaverum, so auf allergnädigst ergangenen Befehl an das Collegium med.-chir. aus dem Lazareth dahin geliefert worden“, wonach in den Jahren 1748 bis 1800 insgesammt 608 Leichen aus dem Stadtlazareth in die Anatomie gelangten, und zwar im Jahre 1748 zwei (als erster am 21. November „Gottfried Künzler, ein Soldat, so aufn Neumarkt an der Justiz stranguliret worden“), 1749 17, 1750 21, 1751 13 u. s. w.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/11&oldid=- (Version vom 30.5.2024)