ADB:Wöllner, Johann Christoph von

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Woellner, Johann Christof von“ von Paul Bailleu in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 148–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:W%C3%B6llner,_Johann_Christoph_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Wollrabe, Ludwig
Band 44 (1898), S. 148–158 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Christoph von Woellner in der Wikipedia
Johann Christoph von Woellner in Wikidata
GND-Nummer 117453773
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|44|148|158|Woellner, Johann Christof von|Paul Bailleu|ADB:Wöllner, Johann Christoph von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117453773}}    

Woellner: Johann Christof v. W., bürgerlicher Abstammung, wurde am 19. Mai 1732 zu Döberitz in der Mark Brandenburg geboren, wo der Vater, Johann Christof, Pfarrer war. Die Mutter, Dorothea Rosine, war eine geborene Cuno, mit der Familie v. Kautsch verwandt. Trotz beschränkter häuslicher Verhältnisse erhielt W. eine gute Vorbildung auf der Schule in dem nahen Spandau und durch gemeinsamen Privatunterricht mit einem jungen Adligen, wobei er sich eine geläufige Kenntniß des Französischen und des [149] Englischen aneignete. Mit einem vorzüglichen Zeugniß von der Schule entlassen, studirte der begabte, fleißige und höchst strebsame Jüngling seit Mai 1750 Theologie in Halle, wo er auch zuerst predigte, und wurde zu Ende des Jahres 1753 von dem General v. Itzenplitz auf Groß-Behnitz in der Mark zum Hofmeister seines Sohnes Friedrich angenommen. Gewandt, gebildet und beredt, wußte W. sich in die Gunst der Familie Itzenplitz so einzuschmeicheln, daß er schon gegen Ende 1755 zum Prediger in Groß-Behnitz berufen und nach einigen Monaten trotz seiner großen Jugend von König Friedrich und dem geistlichen Departement bestätigt wurde. Einige seiner Predigten, besonders die zur Feier der Siege von 1756 bis 1758 gehaltenen, hat er später (1761) veröffentlicht und seinem Lehrer und Freunde J. A. Ziegler gewidmet; sie sind in flüssiger Rhetorik gehalten, aber ohne Kraft und Tiefe, und wenn auch nicht eigentlich rationalistisch, doch nur schwach dogmatisch gefärbt. Bald nach dem Tode des Generals v. Itzenplitz (5. September 1759) überließ W. die Pfarrstelle seinem Vater, wie er angiebt, wegen schwacher Brust, und übernahm im J. 1762 von der ihm sehr gewogenen Wittwe des Generals, die ihm auch die Expectanz auf ein Kanonikat in Halberstadt kaufte, das Gut Groß-Behnitz in Pacht. Mit Eifer und Erfolg warf sich W. hier auf die Landwirthschaft, er pflanzte Obstbäume, legte Maulbeerplantagen an, wodurch er sich dem König besonders zu empfehlen dachte, und begann zugleich eine umfängliche litterarische Thätigkeit, bei der er neben landwirthschaftlichen Fragen auch die Lage des Bauernstandes behandelte. Er veröffentlichte: „F. Home, Grundsätze des Ackerbaus und des Wachsthums der Pflanzen“ (1763, 3. Aufl. 1782), deutsche Uebersetzung eines englischen Werkes; „Unterricht zu einer kleinen aber auserlesenen ökonomischen Bibliothek bestehend in einer Anzeige der besten ökonomischen Bücher und derer vornehmsten in größeren Werken zerstreut befindlichen Abhandlungen über alle Theile der Landwirthschaft“ (der erste Theil, 1764 erschienen, ist dem von W. später so geschmähten Cabinetsrath Eichel gewidmet, der zweite, 1765, dem Minister Freiherr v. d. Horst); „Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg nach ihren großen Vortheilen ökonomisch betrachtet“ (1766; die französische Ausgabe „Essai sur la nécessité et l’utilité d’abolir les communes ou pâturages en communauté dans la marche électorale de Brandebourg“ hat mir nicht vorgelegen); „Sendschreiben an den Verfasser der gemeinnützigen Anmerkungen über die Abhandlung von Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg“ (1767); „Preisschrift wegen der eigenthümlichen Besitzungen der Bauern, welche bei der russisch kaiserlich freien ökonomischen Gesellschaft zu St. Petersburg 1768 das Accessit erhalten“ (1768); „Versuch einer Düngung des Ackers ohne Dünger“ (1774; hat mir nicht vorgelegen). Außerdem recensirte er lange Jahre hindurch in Nicolai’s „Allgemeiner deutscher Bibliothek“ fast alle auf die Landwirthschaft bezüglichen Veröffentlichungen. W. zeigt sich in diesen Schriften als vortrefflichen praktischen und in der englischen Schule theoretisch gebildeten Kenner der Land- und Forstwirthschaft, sehr reformatorisch in seinen Vorschlägen über die Aufhebung der Gemeinheiten und die Verleihung von Eigenthum an die Bauern, wobei er aber doch das herrschende fridericianische System in Preußen, wie in Rußland die Leibeigenschaft respectirt.

Die nahen Beziehungen zu der Familie Itzenplitz hatten inzwischen dahin geführt, daß W. sich am 14. Jan. 1766 in Groß-Behnitz mit der einzigen Tochter der Generalin, Amalie, vermählte. Während Mutter und Bruder die Heirath begünstigten, meldeten die adligen Verwandten den ungewöhnlichen Vorgang dem König Friedrich, auf dessen Befehl ein Fiscal sogleich nach Groß-Behnitz eilte, um die Eheschließung zu verhindern. Vierundzwanzig Stunden zu spät gekommen, nahm er die junge Frau (nicht, wie immer erzählt wird, W. selbst) [150] mit nach Berlin, wo sie festgehalten wurde, bis eine mit großer Rücksichtslosigkeit durchgeführte Untersuchung über das Verhältniß Woellner’s zur Familie Itzenplitz nichts Belastendes ergeben hatte. Frau Woellner wurde am 18. Februar entlassen, ihr Vermögen aber unter die Aufsicht des Ober-Pupillencollegiums gestellt und bei Lebzeiten König Friedrich’s trotz aller Gesuche Woellner’s, der mit der Familie Itzenplitz immer im besten Einvernehmen blieb, und trotz Verwendung einflußreicher Gönner nicht wieder freigegeben. Die Bitte eines Verwandten um Verleihung des Adels an W. lehnte König Friedrich, wie berichtet wird, mit den Worten ab: „Der Wöllner ist ein betriegerischer und Intriganter Pfafe“. Kein Zweifel, daß durch diese Vorgänge in W. eine leidenschaftliche Abneigung gegen König Friedrich wie gegen den märkischen Adel geweckt wurde, die einen charakteristischen Zug in seinem späteren Wirken bildet. Trotz jener Vorfälle genehmigte übrigens König Friedrich noch im J. 1767, daß W. auf seinen Antrag der zur Auseinandersetzung der Gemeinheiten eingesetzten Commission auf zwei Jahre „qua commissarius oeconomicus“ beigegeben werde. Zwei Jahre später bereiste W., im Auftrage des Ministers v. Hagen, Ostfriesland und einen Theil von Holland, um die dortigen Torfgräbereien kennen zu lernen, da der Ersatz der Holzfeuerung durch Torf zur Schonung der heimischen Wälder immer einer seiner Lieblingsgedanken war und blieb. Die Hoffnung auf eine staatliche Anstellung, die er an diese Aufträge geknüpft haben mag, erfüllte sich nicht; dagegen ernannte ihn am 11. Juni 1770 Prinz Heinrich zum Kammerrath und Rentmeister seiner Domänenkammer, mit dem Auftrage, für die regelmäßige Einziehung der Pachtgelder und die forstmäßige Verwaltung der Domänen zu sorgen. Die neue Stellung, die er meist von Berlin aus bis zum Jahre 1786 verwaltete, wenn sie auch bei 520 Thalern Gehalt nicht glänzend war, ließ ihm doch außerordentlich viel freie Zeit zu Reisen und besonders zu der Beschäftigung mit den geheimen Ordensverbindungen, die von nun ab einen großen und jedenfalls wichtigsten Theil seiner Thätigkeit ausmachte.

So viel sich hat ermitteln lassen, ist W. bereits im J. 1765 dem Freimaurerorden beigetreten, in dem er es durch seine rührige Strebsamkeit, Fleiß und rednerische Gewandtheit bald zu einer hervorragenden Stellung brachte. Was ihn in diese Kreise führte, war neben einer mystischen Geistesrichtung, die er mit vielen Zeitgenossen theilte, neben dem Verlangen nach geheimer Wissenschaft, vor allem ein ehreiziges Streben nach vornehmen Verbindungen, nach Macht und Einfluß. Mit der Aufnahme in den Freimaurerorden schienen sich ihm die Wege zu diesen Zielen zu öffnen. W. trat in nahe Verbindung mit den deutschen Fürsten, die an dem Unwesen der Geheimbündeleien damals lebhaft theilnahmen, mit dem Herzog Friedrich August von Braunschweig-Oels, dem Prinzen Ludwig von Darmstadt, Karl von Hessen und Anderen. Schon 1777 wurde er Praepositus der aus 5 Logen bestehenden Berliner Präfectur. Bei freimaurerischen Feierlichkeiten, auch zu König Friedrich’s Geburtstag, war er der Sprecher, der durch seine von einem gewissen mystischen Zauber umflossene Persönlichkeit die Zuhörer einnahm, durch seine wortreiche und schwungvolle Beredsamkeit hinriß und fesselte. Auf den Conventen, die damals häufig abgehalten wurden, vertrat er die Berliner Logen, so 1771 in Pförten in der Lausitz, angeblich auch 1773 in Berlin, wo er Protokollführer gewesen sein soll. Allein seine hochgespannten Erwartungen verwirklichten sich nicht. Er hatte auf etwas Ungeahntes gehofft, auf geheime Weisheit, übernatürliche Kräfte, die sich ihm auf den höheren Stufen des Ordens offenbaren sollten: die Enthüllungen blieben aus. Der Convent von 1775 in Braunschweig, an dem statt seiner der Kammergerichtsrath Hymmen die Berliner Freimaurer vertrat, brachte ihm [151] neue Enttäuschungen, ebenso der durch den vorgeblichen Ordensoberen Gugomos im J. 1776 nach Wiesbaden einberufene Congreß, an dem W. zusammen mit Hymmen theilnahm und bei dem er thatsächlich von Gugomos zum Ritter geschlagen wurde. In verzehrender Ungeduld wandte W. damals überallhin sich an die vermeintlichen Oberen, an Eingeweihte, durch die er in die letzten und tiefsten Geheimnisse des Freimaurerordens einzudringen hoffte. „Seit 12 Jahren“, so schreibt er einmal im J. 1777 an den Minister v. Wurmb nach Dresden, „ist mein äußerstes Bestreben dahin gerichtet, in den Mysterien unseres Ordens mehrere Kenntniß zu erlangen … Ich habe einen brennenden Eifer im Orden weiter zu kommen und bitte Gott täglich um diese Gnade, denn das Glück der wissenden Brüder im Orden hat zu viel Reiz für mich … Ein Wort von Eurer Excellenz wird mein Schicksal im Orden entscheiden, denn ich folge entweder vertrauensvoll und verbanne alle meine Zweifel oder ich convocire meine Brüder, stelle ihnen die große Gefahr vor, darin sie sich stürzen, und wenn ich allenfalls nicht wider den Strom schwimmen kann, so lege ich meinen Hammer nieder und meine Seele ist unschuldig an ihrem Blute.“

Die Drohung der letzten Worte hat W. bald darauf verwirklicht. Am 12. Januar 1779 sagte er sich feierlich von den Freimaurern los, um, so viel wir sehen, unter dem Einfluß des Herzogs Friedrich August von Braunschweig, dem eben wieder emporkommenden Orden der Rosenkreuzer sich anzuschließen. Durch seine eifrige Wirksamkeit breitete der Orden sich rasch aus, sodaß W. nach wenigen Jahren unter den Namen Heliconus und Ophiron oder Chrysophiron, als Oberhauptdirector an der Spitze von 26 Zirkeln mit etwa 200 Mitgliedern stand, zu denen Prinzen und Officiere, unter ihnen seit dem 24. December 1779 Bischoffwerder, Edelleute und hohe Staatsbeamte gehörten. Das Ziel des Ordens, wie W. es in einem Bericht an das über ihm stehende Großpriorat bezeichnet, war: „die Ehre des Allmächtigen in einer gefallenen Welt zum Glück des Menschengeschlechts durch die von der göttlichen Barmherzigkeit den höchsten Ordensoberen allein verliehenen übergroßen Kenntnisse und Kräfte mächtig zu befördern“. Es wurden fleißig Zirkelsitzungen gehalten, ferner alle Vierteljahre am 21. des dritten Monats sogenannte Conventionstage, deren vielfach noch erhaltene Protokolle von dem rührigen und doch recht inhaltlosen Treiben der Ordensbrüder ein deutliches Bild gewähren. Man beschäftigte sich mit Ordensangelegenheiten, mit Geldsammlungen, erbaulichen Vorträgen, daneben aber auch mit chemischen Experimenten, Verwandlung der Metalle, und Geheimmitteln gegen Krankheiten. Auch hier war es W., der meist das Wort führte, den Briefwechsel besorgte, die ganze Organisation leitete, in der Schrift „Die Pflichten der Gold- und Rosen-Creutzer alten Systems“ (1782) dem Orden ein Lehrbuch gab. Eine große Menge von Schriftstücken von seiner Hand bezeugen den Fleiß und den Ernst, mit dem er in diesen Dingen gearbeitet hat. Aber auch hier, wie im Freimaurerorden, sah er sich bald, als „Bruder vom achten Grade“, an den Grenzen des Erreichbaren; und schon seit 1784 kommen wieder seine Klagen über die Unzugänglichkeit der letzten Grade, das Schweigen der Oberen. Dennoch, trotz aller Enttäuschungen und Fehlschläge, hielt er fest zu dem Orden, an dessen geheimnißvolles Ansehn seine eigene Machtstellung gekettet war, und man kann bis in das Jahr 1796 die Spuren seiner rosenkreuzerischen Thätigkeit verfolgen.

Das wichtigste Ereigniß in der Entwicklung des Rosenkreuzerordens, dasjenige worauf die Bedeutung des Ordens für die preußische Geschichte beruht, wurde auch das wichtigste Ereigniß in Woellner’s Leben. Am 8. August 1781 wurde der Prinz von Preußen, der schon seit dem Bairischen Erbfolgekriege mit Mitgliedern [152] der geheimen Gesellschaften verkehrt hatte, durch den Herzog Friedrich August von Braunschweig-Oels in den Orden aufgenommen, durch W. eingesegnet. Mit der ihm eigenen Gewandtheit wußte W. allmählich die Gunst des Prinzen zu gewinnen, dessen mystischen Neigungen er schmeichelte, dessen Sinnlichkeit er nicht, wie Bischoffwerder, entgegentrat. Von besonderer Bedeutung für den Prinzen wie für die innere Geschichte Preußens wurde es, daß W. seit Ende des Jahres 1783 bis zum August 1786 für den Prinzen eine Reihe von Vorlesungen ausarbeitete, die er ihm zum Theil persönlich vortrug, alle zur Durchsicht überreichte. W. wurde dadurch der eigentliche Lehrer des Prinzen, dessen Ansichten über Verwaltung, Finanzen, Wirthschaft des preußischen Staates er entscheidend beeinflußte. Woellner’s Vorlesungen behandelten: das Forstwesen (1783/84), die Bevölkerung des preußischen Staates (1784), Finanzen und Staatseinkünfte (1784), die Leibeigenschaft (1784/85), die Religion (1785), die Oberrechenkammer und die kurmärkische Landschaft (1785/86), Fabriken und Commerzwesen, das Friedrich Wilhelms-Hospital, das Cabinet, die Regie, Charakteristik von 100 guten Beamten, die Succession in Wusterhausen, „ob bei dem Tode des Königs Majestät die königlichen Geschwister etwas ererben“, Gedanken über die bessere Einrichtung der Akademie der Wissenschaften zum Nutzen des Staates, ein ganz neuer Fond zu neuen Staatsverbesserungen (sämmtlich 1786). Diese Vorlesungen in ihrer Gesammtheit betrachtet, bilden wol die schärfste Kritik des fridericianischen Systems, die damals geschrieben ist, und zugleich ein in die Zukunft weit vorausgreifendes, kühnes, grundstürzendes Reformprogramm. W. geht darin von dem Gedanken aus, daß der preußische Staat in seiner eigenartigen Lage, zur Aufrechterhaltung seiner Machtstellung, mehr Menschen und mehr Geld gebrauche, die beide nur durch eine vollständige Umwälzung des fridericianischen Steuer- und Wirthschaftssystems erreichbar seien. Mit unleugbarer Sachkenntniß, wenigstens in allen landwirthschaftlichen Fragen, im übrigen sichtlich durch physiokratische Anschauungen beeinflußt, erörtert W. das herrschende Mercantilsystem, das Monopolwesen, vor allem die Lage des Bauernstandes in Preußen. Er ist kein radicaler Agrarier, er wünscht die durch König Friedrich emporgebrachte Fabrikation namentlich von Woll- und Seidenwaaren zu schützen, aber nicht durch Beibehaltung der Monopole, sondern durch größere Freiheit für die Fabriken wie für den Handel. „Wie leicht“, sagt er einmal, „wird es einem Regenten die Commercien zu unterstützen; alle übrigen Entreprisen zur Aufnahme des Staates kosten alle große Summen, hier bedarf es nur eines einzigen Wortes, und dies Wort heißt: Freiheit“. Darum verlangt W. Aufhebung der Aus- und Einfuhrverbote, der Regie, der Monopole der Seehandlung, des Lagerhauses, der Splittgerber’schen Unternehmungen. Monopole, lehrt er, bringen Geld ein, aber sie schaden dem Wachsthum der Bevölkerung, sie schicken sich für einen Herzog von Gotha oder von Weimar, nicht für einen König von Preußen, der an seine Armee denken muß. Er empfiehlt auch, unter Ausfällen gegen „unmoralische Fabrikantenseelen“, höhere Löhne, überhaupt mehr Fürsorge für die Arbeiter und Aufhebung des Druckes, „unter dem meine lieben Protégés, die Tausende der armen Arbeiter schmachten“. Aber wichtiger als Fabriken und Handel ist ihm doch die Landwirthschaft, der Bauernstand. Der Bauernstand ist das Fundament des Staates; man lasse die andern Stände klagen, verschone aber den Bauer. Im Staate Friedrich’s geschehe das Gegentheil: die Classe, die zur Armee die Menschen stellt, muß auch noch den Unterhalt der Armee hauptsächlich tragen. Statt dem Vorbild Heinrich’s IV. und Sully’s zu folgen, ahme man die neueren Einrichtungen Frankreichs nach und bringe dadurch den preußischen Bauernstand an den Bettelstab. Er zählt die Lasten auf, unter denen der preußische Bauer erliege: die Naturalverpflegung [153] der Cavallerie, die dem Bauer die Fourage nehme, die Haltung von Vieh und den Betrieb der Landwirthschaft erschwere, den Acker entwerthe; die Frohndienste, die den Bauer ruiniren, und selbst den Gutsherrn schädigen; die Vorspannpässe, die namentlich in der Nachbarschaft von Berlin und Potsdam eine Landplage sind; die Extramonate bei der Contribution; die Fabriksteuer; das Verbot der Einfuhr des guten schwedischen Eisens; die Friedensmagazine mit ihren störenden Verboten des freien Getreideverkehrs im Inland, wodurch der ohnehin überlastete Bauer sein Getreide theuer zu verkaufen verhindert werde. Alle diese Einrichtungen müssen abgeschafft, und die Ausfälle ersetzt werden durch die Ausdehnung der Contribution auf Edelleute, Stifter u. s. w., durch eine Kopfsteuer in der Form einer progressiven Classensteuer, die namentlich die größeren Vermögen schärfer heranzieht, durch eine Luxussteuer auf Equipagen, Dienstboten, Reitpferde, Delicatessen. Um aber dem Bauernstand gründlich aufzuhelfen, das Wachsthum der Bevölkerung unermeßlich zu steigern, empfiehlt W. neben der selbstverständlichen Aufhebung der Leibeigenschaft, die Zerschlagung der königlichen Domänen, Säcularisation der Stifter, allmähliche Verwandlung auch der großen Rittergüter in Bauernhöfe, selbst auf Kosten des Tresors; sein Ideal wäre die Auftheilung des Landes in Bauerngüter zu je zwei Hufen; er versprach sich davon auch die Nationalisirung des preußischen Heeres. Seinem Hauptziel, Hebung der Bevölkerung und ihres Wohlstandes, sind auch seine Betrachtungen und Vorschläge über das Religionswesen angepaßt. Die durch König Friedrich eingeführte, durch das geistliche Departement und den Mißbrauch der Toleranz geschützte sogenannte Aufklärung, so ist Woellner’s Gedankengang, führt zur Irreligiosität, diese zur Unsittlichkeit und Ehelosigkeit, dem hauptsächlichsten Hinderniß der Volksvermehrung. Diesem Unwesen, das den Staat entsittlicht und entvölkert, muß abgeholfen werden durch das Beispiel des Königs, durch strenge Heilighaltung des Sonntags, an dem auch Exercitien und Paraden unterbleiben müssen, durch scharfe Beaufsichtigung der Prediger und schon der Candidaten beim Examen, durch Einführung der Büchercensur, vor allem aber durch einen redlichen Chef des geistlichen Departements, der als wahrer Seelsorger für Millionen Menschen wirke. W. meinte hiermit keineswegs Gewissenszwang zu empfehlen. Er preist in schwungvollen Worten die Toleranz, welche die Vermehrung der Bevölkerung, Handel und Wandel, Wissenschaften und freie Künste fördere, Länder und Staaten in Flor bringe, und verlangt Duldung für Juden, Türken und Heiden. Allein die Toleranz gebiete nicht, Angriffe und Spöttereien gegen die Religion zu dulden, und wenn auch ein Jeder glauben und denken könne, was er wolle, so stehe es anders mit einem Lehrer oder Prediger, der vermöge seines Amtes verbunden sei Jesum zu lehren.

Es gibt kaum eine Frage der Verwaltung und Staatswirthschaft, kaum eine Erscheinung des öffentlichen Lebens, die W. in diesen Vorlesungen nicht erörtert, bei der er nicht den bestehenden Zustand scharf und zuweilen treffend kritisirt, Reformen vorgeschlagen hätte. Doch hinterlassen seine Ausführungen, so interessant sie sind, einen keineswegs erfreulichen Eindruck, nicht bloß wegen des raschen und oberflächlichen Absprechens über die schwierigsten Fragen, wegen der leichtfertigen und oft verleumderischen Angriffe gegen die ihm verhaßten Minister, wie Schulenburg, Kehnert, Zedlitz, Heinitz, und wegen der beflissenen Ergebenheit für die Neigungen und Interessen des Prinzen. Der schlimmste Mangel ist, daß, wie man bald inne wird, dem neuen Reformator sittlicher Ernst und sittlicher Wille fehlen. W. mochte leicht merken, daß von allen Vorschlägen doch nur der Kampf gegen die Aufklärung wirklich das innerste Interesse Friedrich Wilhelm’s berührte, der dazu auch als Rosenkreuzer verpflichtet zu sein meinte. Schon im März 1786 (in diese Zeit gehört das von Preuß veröffentlichte Promemoria, Zeitschrift für preußische Geschichte 3, 87; Philippson 1, 206) hat W. als das Ziel seines [154] Ehrgeizes die Ernennung zum Chef des geistlichen Departements ins Auge gefaßt, um „als unwürdiges Instrument in der Hand von Ormesus (Ordensname des Prinzen) Millionen Seelen vom Untergange zu retten und das ganze Land wieder zum Glauben an Jesum zurückzubringen“ (an Bischoffwerder 18. März 1786). Damit hat W. sich selbst den Gang seines Schicksals gezeichnet: der himmelstürmende Reformator wich mehr und mehr vor dem Kämpfer gegen die Aufklärung, weil nur dieser sich in Gunst und Macht behaupten konnte.

Zunächst, mit dem Regierungsantritt König Friedrich Wilhelm’s II., seines Schülers, schien Woellner’s Zeit gekommen: am 26. August 1786 zum Geheimen Oberfinanzrath ernannt, bald nachher auf sein Verlangen in den Adelstand erhoben (2. October), wurde W. thatsächlich der Cabinets- oder Premierminister, der in allen inneren Angelegenheiten, großen wie kleinen, die Entscheidung gab. Er ordnete den Nachlaß des verstorbenen Königs, dessen ungedruckte Schriften bald darauf mangelhaft herausgegeben wurden; er leitete die Auseinandersetzung über die Erbschaftstheilung, wobei er zwischen dem König und den anderen Gliedern der königlichen Familie vermittelte, die sich gern an ihn wandten und denen er gern gefällig war; er entwarf Ansprachen des Königs an Stände, an Minister. Er wurde nicht, wie er gewünscht hätte, Finanzminister, aber er erhielt die Verwaltung der wichtigsten Casse, der Dispositionscasse, in der die Ueberschüsse der großen Staatscassen zusammenflossen, die Aufsicht über sämmtliche Immediat-(d. h. Staats-)Bauten, sowie die Direction der Hofbauämter in Berlin und Potsdam, eine Directorstelle im Seidenbau-Departement neben Hertzberg, einen Platz in dem 4. und 5. Departement des Generaldirectoriums, dem „vereinigten Fabriken- und Commerz- wie auch Accise- und Zoll-Departement“. Bald wurde er auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Mitglied und Assessor der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften. Was der neue König an volksthümlichen Reformen, an Veränderungen in der Verwaltung durchführte oder versuchte, war ausschließlich Woellner’s Werk: die neue Einrichtung der Regie, die Aufhebung der Monopole des Tabaks- und Kaffeehandels, an deren Stelle ganz nach Woellner’s früherem Plan die Einführung einer Art Classensteuer, der ersten directen Steuer in Preußen, versucht wurde, die Erleichterungen für den Transitverkehr und besonders für den Getreidehandel; andrerseits die Umgestaltung des Generaldirectoriums, dem früher abgesonderte Verwaltungszweige wie das Forstdepartement wieder eingeordnet und zugleich ein mehr collegiales Geschäftsverfahren vorgeschrieben wurde, die gänzliche Unabhängigkeit der Oberrechenkammer, diejenige aller Woellner’schen Reformen, die sich am besten bewährt und erhalten hat. Allen diesen Reformen, obgleich sie namentlich für die Wiederbelebung des Handels sich förderlich erwiesen, fehlten doch Zusammenhang und nicht selten ausreichende Sachkenntniß, ebenso wie sittliche Willenskraft; vollends von der dringendsten Reform, der Hebung des Bauernstandes, die auch König Friedrich Wilhelm selbst früher als nothwendig anerkannt hatte, war, so viel wir sehen, gar nicht mehr die Rede. Dagegen begann W. allmählich auch die geistlichen Angelegenheiten an sich zu ziehen; schon am 22. Februar 1787 wurde er zum Rath bei dem neuerrichteten Ober-Schulcollegium ernannt. Es ist nicht klar, weshalb König Friedrich Wilhelm, indem er auch in kirchlichen Fragen seinen Rath immer häufiger einholte, gleichwol zögerte, ihn zum Minister des geistlichen Departements zu ernennen; was über den Widerstand der Gräfin Ingenheim und ihrer angeblichen Partei behauptet wird, ist nichts als Vermuthung, entstanden durch eine falsche Angabe über den Tod der Gräfin, die nicht am 25. März 1788 (wie Philippson 1, 180 angibt), sondern erst am 25. März 1789, also nicht vor, sondern lange nach Woellner’s Ernennung verstorben ist. Wie es [155] scheint, hätte der König gewünscht, grade durch den bisherigen Chef des geistlichen Departements, durch Zedlitz selbst den Kampf gegen die Aufklärung geführt zu sehen; als dieser versagte, ließ er zunächst dessen Geschäftskreis mehr und mehr einschränken, dann, dem von Bischoffwerder unterstützten Drängen Woellner’s nachgebend, ernannte er ihn am 3. Juli 1788 zum Wirklichen Geheimen Staats– und Justizminister und Chef des geistlichen Departements in lutherischen und katholischen Angelegenheiten. Woellner’s ersehntes Ziel war erreicht: der Sohn des bürgerlichen Landpastors, der „pauvre roturier“, wie er sich selbst einmal nennt, hatte sich durch geschickte Benutzung der geheimen Verbindungen zum preußischen Staatsminister aufgeschwungen; von dem König, der sich durch die Ordenspflicht in seinem Gewissen gebunden hielt und von Woellner’s besonderer Mission überzeugt war, hatte er „in dem Kriege gegen die Aufklärer das Generalcommando“ erhalten. Wenige Tage nach seiner Ernennung, am 9. Juli, erließ er unter freudiger Zustimmung des Königs das berufene Religions-Edict, mit dem zusammen sein Name in der preußischen Geschichte fortlebt. Das Edict entsprach ganz den in Woellner’s Vorlesung über die Religion ausgesprochenen Grundsätzen: Duldsamkeit gegen die verschiedenen in Preußen zugelassenen Religionsparteien und Secten, soweit sie sich ruhig verhalten, aber Schutz der christlichen Religion gegen die Angriffe der Aufklärer; kein Gewissenszwang, aber strenges Verbot gegen Geistliche, Prediger oder Schullehrer der protestantischen Confession, bei Strafe der Cassation in ihrer Amtsführung von dem in den symbolischen Büchern enthaltenen Lehrbegriff abzuweichen, und sorgfältige Aufsicht auf die Besetzung der Pfarreien, der theologischen Universitätsprofessuren und der Schulämter. Das Edict wurde ergänzt durch eine Reihe anderer Bestimmungen, welche die Schulen dem Staat (den Kammern) entzogen und den Consistorien als Provinzialschulcollegien überwiesen, die Prüfungscommission für die Lehrer durch Heranziehung der Generalsuperintendenten fast ausschließlich aus Geistlichen zusammensetzten, die Kirchenzucht durch Vorschriften über Ehen in verbotenen Graden, gegen Wiederverheirathung von Wittwern und Wittwen u. s. w. verschärften, endlich durch das „erneuerte Censur-Edict für die preußischen Staaten“ vom 19. December 1788, das von Carmer ausgearbeitet, den Censoren strenge Pflichterfüllung einschärfte, bei Uebertretung der Censurvorschriften für Drucker und Verleger aber nur mäßige Geldstrafen festsetzte, die Verfasser unter das gemeine Recht stellte. Dazu kam die Einführung neuer orthodoxer Lehrbücher für den Religionsunterricht in den Schulen wie für das theologische Studium auf den Universitäten. Alle diese Maßregeln, die meist noch unter recht plumpen Formen ins Leben gerufen wurden, erregten in der öffentlichen Meinung lebhafte Aufregung, in den Kreisen des fridericianischen Beamtenthums, namentlich in dem Oberconsistorium nachdrücklichen Widerspruch. Allein König Friedrich Wilhelm II., mochte seine Güte auch in einzelnen Fällen die harten und groben Verfügungen des Ministers wohlwollend mildern, war doch in der Bekämpfung der Aufklärung mit ihm grundsätzlich durchaus einverstanden und trieb ihn nicht selten noch zu schärferem Vorgehen an. Die Opposition, namentlich gegen das Religionsedict, das ihm recht aus dem Herzen geschrieben war, empörte ihn, sodaß er schon im September 1788 ganz selbständig verfügte, der Fiscal solle die Vergehungen dagegen als gesetzwidrig bestrafen. Ferner genehmigte er, daß die Entscheidung bei allen Verhandlungen im Oberschulcollegium wie im Oberconsistorium künftig, ohne Rücksicht auf die Stimmen der Räthe, dem Minister allein zustehen solle, und ließ zur Unterstützung Woellner’s den schlesischen Consistorialrath H. D. Hermes und den Rosenkreuzer G. Fr. Hillmer berufen, die dann die Einrichtung eines besonderen „Ober-Religionscollegiums zur Abstellung des eingerissenen Unwesens in Religionsangelegenheiten“ [156] beantragten. Hiergegen aber sträubte sich W., unterstützt von Goldbeck; dafür wurden Hermes und Hillmer dem Oberconsistorium beigegeben und zugleich zu Mitgliedern einer neu errichteten Immediat-Examinationscommission ernannt, die auf Grund eines neuen Examinationsschemas alle Prüfungen der Candidaten für ein Schul- oder Pfarramt zu überwachen hatte (Mai 1791). Auf Hillmer’s Anregung wurde auch ihm und seinen Genossen vom Könige die Censur übertragen, worauf die „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ und die „Berlinische Monatsschrift“ Berlin verließen. Mit diesen Bestimmungen und Einrichtungen war der Kampf gegen die „Neologen“ organisirt, durch den Friedrich Wilhelm II. und W. der inneren Geschichte Preußens in dem Jahrzehnt von 1788 bis 1797 das Wesenszeichen aufprägten.

Damit erschöpft sich aber Woellner’s Wirksamkeit keineswegs. Als Verwalter der Dispositionscasse griff er in die Erledigung aller großen Finanzfragen ein, immer beflissen, das persönliche Interesse des Königs dabei klug zu wahren. Als Chef der Bauverwaltung leitete er die großen Neubauten des Königs in Potsdam. Als erster Vertrauensmann des Königs prüfte er alljährlich die Uebersichten über die Verwaltung und bereitete die Fragen vor, die der König bei den üblichen „Ministerrevuen“ um Trinitatis zu stellen pflegte. Mehr und mehr verschwand dabei aus seinem Wirken jeder reformatorische Zug; übrig blieben nur gewisse kleine Liebhabereien, Pflege der Maulbeerbäume, Sorge für Torfgräbereien u. dergl. An den Schwankungen in der Verwaltung, dem Besteuerungssystem, der Zoll- und Handelspolitik hat er, soviel wir sehen, später einen entscheidenden Antheil nicht mehr gehabt. Ebensowenig besaß er Einfluß in Fragen der auswärtigen Politik. Mit dem Kriege gegen Frankreich war er keineswegs einverstanden, obwol er an den Berathungen über die Aufbringung der nöthigen Geldmittel 1792 und in Frankfurt a. M. 1793 theilnehmen mußte; wiederholt, namentlich bei der Krisis im October 1794, hat er den König um Wiederherstellung des Friedens gebeten.

Das Jahr 1794 bildet für die Stellung Woellner’s zum Könige einen Wendepunkt. Durch die Theilnahme an dem Kriege gegen Frankreich, durch die Erwerbung Südpreußens war das Interesse des Königs an der Bekämpfung der Aufklärung zeitweise abgelenkt, keineswegs erloschen. Als er im März 1794 von der Examinationscommission Berichte erhielt, welche die Erfolglosigkeit der bisherigen Maßregeln einräumten, brauste sein Eigenwille hitzig auf. W. selbst stellte dem König entschuldigend vor: im Gegensatz zu dem cholerischen Hermes, der immer mit dem Schwerte dreinschlagen wolle, sei er für ein gelindes Verfahren. „Gott kann doch nicht mehr von uns fordern, als wir nach unseren Kräften und nach den jedesmaligen Umständen thun können. Das Uebrige ist seine Sache“ (19. März 1794; nicht 19. Mai, Philippson 2, 155). So aber hatte der König es nicht gemeint. In den schärfsten Ausdrücken tadelte er Woellner’s Schwäche und Eitelkeit; er nahm ihm das Baudepartement ab, damit er „sich ganz der Sache Gottes widmen“ könne, und war nahe daran, ihn auch aus dem geistlichen Ministerium zu entfernen. Zugleich erließ er eine Reihe von Verfügungen, um „in seinen Staaten ein rechtschaffenes thätiges Christenthum als den Weg zur wahren Gottesfurcht aufrecht zu erhalten“: bei Besetzung von Inspectoraten und Predigerstellen sollten die von der Examinationscommission einzureichenden Listen zuverlässiger Candidaten vorzüglich berücksichtigt werden; jeder Lehrer und Professor sollte künftig vor seinem Amtsantritt einen Revers ausstellen, daß er „weder in seinem Unterricht noch außer demselben auf keine Art weder direct noch indirect etwas gegen die christliche Religion, gegen die Heilige Schrift und gegen die landesherrlichen Verordnungen im Religionswesen vorbringen werde“. Die schon früher erlassenen Bestimmungen wurden in Erinnerung [157] gebracht und W. selbst zum schärfsten Vorgehen gegen „renitente Prediger, Schullehrer und Professoren“ aufgefordert. Zugleich wurden Hermes, Hillmer und Hecker zu Mitgliedern des Ober-Schulcollegiums ernannt (Cabinetsordre vom 27. März). Weitere Verfügungen wandten sich gegen Niemeyer und Nösselt in Halle, Reinbeck in Frankfurt a. O., Kant in Königsberg. Das eigenhändige Schreiben, in dem der König diese Maßregeln anordnete, schloß er mit den Worten: „Diesem Unwesen muß absolut gesteuert werden, eher werden wir nicht wieder gute Freunde“ (30. März 1794). W. gehorchte dem Willen des Königs: der Kampf zu Gunsten eines absolutistisch-orthodoxen Regimentes innerhalb der protestantischen Kirche, der Schulen und Universitäten Preußens wurde mit allem Nachdruck, in den schroffsten Formen aufgenommen. Man entzog das Erkenntniß gegen „neologische“ Pfarrer den Justizbehörden und übertrug es dem gefügigeren Consistorium; den Universitätsprofessoren wurde der vom König anbefohlene Revers zur Unterschrift vorgelegt; jede Anstellung und Beförderung von einem Zeugniß der Examinationscommission über die Orthodoxie des Candidaten abhängig gemacht; die Heilighaltung der Sonn- und Festtage eingeschärft, Kant verwarnt, eine Visitation aller Universitäten und städtischen Schulen durch die Examinationscommission angeordnet und theilweise auch ausgeführt. Man sieht: was als „Höhepunkt des Woellner’schen Regiments“ immer bezeichnet wurde, ist thatsächlich ein ganz persönlicher Vorstoß des Königs in dem Kampfe gegen „die Aufklärung“, das letzte Aufflackern seiner alten Kampfeslust, die mit der bald darauf eintretenden Abnahme seiner körperlichen und geistigen Kräfte gleichfalls allmählich verlöscht.

„Gute Freunde“ sind der König und sein Minister, trotz aller eifrigen Bemühungen Woellner’s, doch nicht wieder ganz geworden, wenn auch W., mit Ausnahme des Baudepartements, seine bisherigen Stellen und Würden behalten durfte und in Verwaltungsfragen wie in Finanzsachen noch oft Berichte abzustatten und Rathschläge zu ertheilen hatte. An den Gnadenbezeigungen, deren die Günstlinge des Königs bei den südpreußischen Güterschenkungen in so reichem Maße sich erfreuen durften, hatte W. allein keinen Antheil. Nur bei Gelegenheit seiner Mitwirkung an der Einführung der Lotterie in Ansbach-Baireuth gewährte ihm der König eine Zulage zu seinem Gehalte (29. April 1797), das bei Abnahme des Baudepartements verkürzt worden war. Den Verlust der königlichen Gunst und Gnade ertrug W. so würdelos, wie wenige Jahre früher Graf Hertzberg; der einst fast allmächtige Minister verschmähte es jetzt nicht, da er auch mit Bischoffwerder etwas entzweit war, selbst den Kämmerer Ritz um seine Vermittlung, seine Protection bei dem König in unterwürfigster Weise, schmeichelnd und klagend, anzurufen.

Nicht minder würdelos war das Verhalten Woellner’s nach dem Ableben König Friedrich Wilhelm’s II. Während er selbst dazu mitwirkte, die in dem Kampfe gegen die Aufklärung eingeführten Neuerungen zu beseitigen, die Examinationscommission aufzuheben, dem Oberconsistorium seine alten Rechte wiederzugeben, benutzte er eine Verfügung des neuen Königs, um den kirchlichen Behörden das Religionsedict von 1788 in Erinnerung zu bringen, worauf König Friedrich Wilhelm III. in der von Mencken entworfenen berühmten Cabinetsordre vom 11. Januar 1798 mit einer scharfen Verurtheilung des Woellner’schen Regimentes antwortete. Es nützte W. nichts, daß er bereitwillig alle „Befehle seines Herrn vollstrecken, dem Willen des Königs auf das pünktlichste streng gehorchen“ zu wollen erklärte: am 11. März 1798 erhielt er, ohne Gewährung einer Pension, seine Entlassung. Eine weitere Untersuchung gegen ihn, Bischoffwerder und den Orden der Rosenkreuzer, die einzelne Rathgeber des Königs auch infolge der Enthüllungen in dem Lichtenau-Processe forderten, wurde, so [158] viel ich sehe, durch den Einfluß des Grafen Haugwitz verhindert. Die ungnädige Entlassung traf W. um so härter, als er keineswegs in glänzenden Verhältnissen lebte. Er hatte im J. 1790 mit dem Vermögen seiner Frau einige Güter im Kreise Beeskow erworben, die er mit Unterstützung des Königs, aber auch mit erheblichen eigenen Opfern emporzubringen suchte und deren Erhaltung ihn jetzt in Verlegenheiten verwickelte. Wiederholte flehentliche Gesuche um Bewilligung einer Pension blieben unberücksichtigt. So starb er, sorgenbedrückt und verlassen, am 10. September 1800 auf seinem Gute Groß-Rietz, wo er auch begraben liegt. Seine Frau, mit der er in kinderloser aber glücklicher und von gegenseitiger innigster Herzlichkeit getragenen Ehe gelebt hatte, folgte ihm ein Jahr später.

Obwol durch den völligen Mangel an Charakter abstoßend, bleibt W. doch immer merkwürdig durch seine nicht gewöhnliche Begabung und seine noch ungewöhnlichere Laufbahn, vor allem durch die Aufstellung eines umfassenden und vielfach eigenartigen Reformprogramms, das mitten in der Blüthe des fridericianischen Staates auf ein ganz anders gestaltetes Staatswesen vorahnend hindeutet. Unter der Zucht eines Stein konnte W. bei der Reform des Bauernstandes, der Landwirthschaft vielleicht eine brauchbare Kraft werden; das Regiment des unglücklichen Friedrich Wilhelm II. löste fast nur die schlimmen und verderblichen Eigenschaften seines seltsam gemischten Wesens aus. Seine Persönlichkeit und sein Wirken waren möglich und sind verständlich nur in der Zeit des wüsten Durcheinanders von Unglaube und Aberglaube, in der allgemeinen Zersetzung vor der großen Umwälzung.

Woellner’s Nachlaß, zerstreut im Privatbesitz. – Acten des Geh. Staatsarchivs zu Berlin, des königl. Hausarchivs zu Charlottenburg. – Aus der bisherigen Litteratur kommen nur in Betracht: Preuß, Zur Beurtheilung des Staatsministers von Woellner (in der Zeitschr. f. Preußische Geschichte u. Landeskunde, II. u. III. Bd.) und Philippson[WS 1], Geschichte des preußischen Staatswesens, zwei Bände (schönes Material, fleißig zusammengebracht, aber unzureichend verarbeitet).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Martin Emanuel Philippson (1846–1916); deutscher Historiker.