ADB:Carmer, Johann Heinrich Casimir Graf von
Friedrich V. von der Pfalz vermählte, soll ein C. im Gefolge der jungen Kurfürstin nach Deutschland gekommen und der Stammherr des daselbst noch jetzt blühenden Geschlechts geworden sein. Die Eltern Carmer’s waren der Kreishofrath Johann Wilhelm v. C. in Kreuznach und dessen Gattin Ida Marie geb. Rader v. Rademacher. C. studirte 1739 bis 1743 in Jena und Halle die Rechtswissenschaften, bereiste dann Deutschland, und ging 1748 nach Berlin, um in den preußischen Staatsdienst zu treten, weil er seines evangelischen Glaubensbekenntnisses wegen in der Pfalz auf keine sonderliche Beförderung rechnen durfte. Er wurde 1749 als Kammergerichts-Referendarius angestellt, und zeichnete sich alsbald durch Fleiß und Scharfsinn in solchem Grade aus, daß Cocceji auf ihn aufmerksam wurde, und den jungen Mann bereits im folgenden Jahre auf einer Visitationsreise nach Schlesien mit sich nahm und ihm 1750 die Oberleitung der Breslauer Oberamtsregierung anvertraute. 1762 vermählte C. sich mit einer Freiin v. Roth auf Rützen. Die überaus glückliche Ehe wurde zum großen Schmerze des Gatten bereits 1778 durch den Tod der jungen Frau zerrissen. Als nach Beendigung des siebenjährigen Krieges Friedrich II. dem schlesischen Adel zu dessen Aufhülfe ein Geschenk von 300000 Thalern machte, beauftragte er den inzwischen zum Präsidenten ernannten C., einen Vertheilungsplan auszuarbeiten, was er so sehr zu des Königs Zufriedenheit leistete, daß er zum Chefpräsidenten sämmtlicher schlesischer Oberamtsregierungen ernannt wurde und den Titel eines Justizministers erhielt. Von entscheidendem Einflusse auf Carmer’s ferneres Leben wurde der Müller-Arnold’sche Proceß, der in seinem Verlauf und seinen Folgen ganz Europa in Erstaunen setzte. Niemals ist eine Ungerechtigkeit von so heilsamer Wirkung gewesen, als diejenige, welche Friedrich der Große damals gegen die bravsten und bewährtesten Männer aus dem preußischen Richterstande beging. Der Großkanzler v. Fürst wurde fast schimpflich entlassen und C. an dessen Stelle nach Berlin gerufen, um nun endlich die schon längst beabsichtigte Umgestaltung der Proceßordnung und der Gesetzgebung ins Leben zu rufen, die bis dahin stets an dem Widerstande der Männer gescheitert war, welche sich von dem Althergebrachten nicht loszureißen vermochten. – Unter dem Beistande seines treuen Genossen Suarez wurde C. der Schöpfer jener großen Justizreform, welche bis auf den heutigen Tag die Grundlage der preußischen Rechtsverfassung geblieben ist. Es war ihm vergönnt, die endliche Publication des allgemeinen Landrechts (1794) noch zu erleben und das höchste Ehrenzeichen des Staates, den schwarzen Adlerorden, als wohlverdiente Belohnung zu empfangen. Bei [2] der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. durfte er den schwersten Theil seiner Amtspflichten auf jüngere Schultern legen; doch behielt er den Vorsitz in der Gesetzcommission und die Aufsicht über die Generallandschaften in Schlesien, Pommern und Preußen bei. Nunmehr (1798) nahm er auch die früher von ihm abgelehnte Erhebung in den Grafenstand an. Durch verständige Bewirthschaftung seiner, theils zu niedrigen Preisen während des Krieges erkauften, theils von seiner Gemahlin ererbten Güter hatte er ein großes Vermögen erworben, aus welchem er zwei Fideicommisse, zu Rützen und Pantzkau, und ein bedeutendes Geldfideicommiß für seine Nachkommen stiftete, mit der Anordnung, daß bei dem Aussterben der Familie der gesammte schlesische Adel in den Besitz gelangen sollte. Die von ihm sorgsam entworfene Stiftungsurkunde enthielt die strengsten Vorsichtsmaßregeln, durch welche die Besitzer verhindert werden sollten, leichtsinnig den Bestand des Vermögens zu verringern. Die Söhne Carmer’s hatten es jedoch bei Friedrich Wilhelm II. dahin zu bringen gewußt, daß die beschränkenden Clauseln wegfielen und die bestätigte Urkunde in einer, dem Willen Carmer’s nicht entsprechenden Gestalt demselben zugestellt wurde. – Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte der Großkanzler auf seinen Gütern; geliebt und verehrt in den weitesten Kreisen wegen der Milde und Festigkeit seines Charakters und bewundert wegen des eisernen Fleißes, welchen er ein langes Leben hindurch dem Dienste des Staates gewidmet hatte. Im Kreise seiner Kinder und Enkel fühlte er sich am wohlsten, doch würdigte er auch gern Künstler und Gelehrte seines Umgangs. – Am 23. Mai 1801 endete ein sanfter Tod das Leben des hochbedeutenden Mannes. Er starb im 81sten Jahre seines Alters. Zwei großartige Schöpfungen haben ihn überdauert und wirken noch heutzutage zum Segen unzähliger Menschen: die Stiftung des landwirthschaftlichen Creditsystems in Schlesien und die Bearbeitung und Redaction der allgemeinen Gerichtsordnung und des Landrechts für die preußischen Staaten. Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges waren in Schlesien die Landgüter verwüstet, der Handel lag darnieder, Geld war nicht zu erlangen. Verfälschte Münzen machten das Uebel ärger. Da entwarf C. mit Benutzung der Ideen des Kaufmann Büring in Berlin und unter Beihülfe des trefflichen Suarez, den nachher von Friedrich II. genehmigten Plan, durch Gesammtverpfändung aller Rittergüter den Einzelnen bis zur Hälfte des Taxwerthes Credit zu gewähren und ihnen mittelst eines sinnreich eingerichteten Amortisationssystems zur Abtragung der Schulden behülflich zu sein. Der Entwurf hierzu erhielt durch Cabinetsordre vom 29. August 1769 die königliche Bestätigung, und schon im Juli 1770 hatte C. alle Vorbereitungen vollendet, so daß die Sache ins Leben treten konnte. Ueber die Entstehung und den Fortgang dieses landschaftlichen Pfandbriefinstituts findet man alles Nähere in klarster Weise auseinandergesetzt in der 1870 von dem Generallandschaftssyndicus v. Görtz verfaßten Jubelschrift zum hundertjährigen Bestehen der Landschaft. Wie C. bei Gründung des landschaftlichen Systems und der damit im Zusammenhange stehenden ökonomisch-patriotischen Societät in Schlesien als Muster eines Verwaltungsbeamten sich bewährte, so sollte er bald in gleichem und noch höherem Maße als Gesetzgeber glänzen. Wiederum war es Suarez, der die Ausführung der unermeßlichen Arbeit übernahm, zu welcher C. die leitenden Ideen hergab. Schon Friedrich Wilhelm I. hatte die Abkürzung der Processe und die Herausgabe eines deutschgeschriebenen Gesetzbuches im Sinne gehabt, durch welches das zu fortwährenden Streitigkeiten und Controversen Anlaß gebende römische Recht und die in den verschiedenen Provinzen geltenden Sonderrechte verdrängt werden sollten. Die Zeit war dazu noch nicht reif. Friedrich II. ging mit Eifer auf diese Idee seines Vaters ein. Cocceji war der Mann, den er sich zur Ausführung derselben ersah. Aber die Kriege des Königs traten [3] störend dazwischen. Cocceji starb schon 1755, und seine Nachfolger v. Jariges und v. Fürst genügten den Ansprüchen Friedrichs II. nicht. Da wurde C. gerufen, welcher schon früher ein Project zur Verbesserung der Justiz eingereicht hatte, dessen leitende Idee für Preußen und später in seinen Nachwirkungen für ganz Deutschland epochemachend geworden ist. Die Processe, welche bis dahin mit ihren vielen Urtheilen und Zwischenurtheilen eine endlose Reise von Chicanen gebildet hatten, schienen viel mehr dazu bestimmt, gewissenlose Advocaten zu bereichern, als den Parteien zu ihrem Rechte zu verhelfen. Durch die von C. zu Grunde gelegte sogenannte Inquisitionsmaxime bekam das Verfahren seitdem eine ganz andere Gestalt. Der Civilrichter sollte künftig von Amts wegen die Wahrheit der Thatsachen und den Grund der Rechtsansprüche ganz ebenso ermitteln, wie das der Criminalrichter schon längst gethan hatte. Auf diesem Princip beruht die allgemeine Gerichtsordnung, die, allerdings in vielen Theilen verändert, noch heut die Grundlage des preußischen Processes bildet. – Das allgemeine Gesetzbuch, welches das materielle Recht enthielt, sollte gemeines Recht bilden an Stelle des römischen, während den einzelnen Provinzen besondere Statuten für ihre Rechtsgewohnheit zugedacht waren. Die Ausarbeitung dieses Gesetzbuches (nachher allgemeines Landrecht genannt) und Carmer’s und Suarez’ Thätigkeit dabei ist eine der staunenswerthesten Leistungen menschlichen Fleißes und menschlicher Gewissenhaftigkeit. Noch heut geben hunderte von Foliobänden Zeugniß von der unermüdlichen Ausdauer der Verfasser. Die Schilderung dieser Arbeiten in Simon’s Darstellung (Mathis’ Monatsschrift von 1811, S. 92 ff.) zu lesen, gewährt hohen Genuß und erfüllt mit größter Achtung für C., den obersten Leiter dieses Werkes. Auf den Inhalt des Landrechts näher einzugehen, verstattet der zugemessene Raum nicht. Nach endlosen Schwierigkeiten und Hindernissen, die zum Theil mit der Furcht vor den aus Frankreich hereinbrechenden revolutionären Ideen zusammenhingen, erfolgte endlich am 5. Februar 1794 die Publication des Landrechts, welches am 1. Juli desselben Jahres in Kraft treten sollte. Mit Befriedigung konnte C. auf diese Schöpfung blicken, bei welcher ihm das Hauptverdienst gebührte. Der civilrechtliche Theil bildet noch heut, nach fast 100 Jahren, das geltende Privatrecht. Das allein schon gibt Zeugniß von der Trefflichkeit der Arbeit, deren Mängel, wie Eichhorn in seiner Rechtsgeschichte sagt, dem hohen Verdienste der Verfasser nicht zu nahe treten, weil sie im Zeitgeiste lagen, und deshalb unvermeidlich waren. Bei dem hundertjährigen Jubiläum der schlesischen Landschaft ist dem Grafen C. von den schlesischen Ständen ein Denkmal errichtet und im Vorgarten des Landschaftsgebäudes in Breslau aufgestellt worden.
Carmer: Johann Heinrich Casimir C., Graf und preußischer Großkanzler, geb. 29. Dec. 1721 zu Kreuznach, † 1801, stammte nach Angabe der Adels- und Wappenbücher aus einem alten normannisch-englischen Geschlechte. – Als im Anfange des 17. Jahrhunderts Elisabeth, die Tochter Jacobs I., sich mit