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Artikel „Nösselt, Johann August“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 25–27, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:N%C3%B6sselt,_Johann_August&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 07:20 Uhr UTC)
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Nösselt: Johann August N., Geheimrath, erster Professor der Theologie und Senior der Universität zu Halle, geboren am 2. Mai 1734 zu Halle, † daselbst am 11. März 1807. Der Sohn eines angesehenen Kaufmanns und Pfänners (Pfannenherrns) erhielt er seine Gymnasialbildung auf der lateinischen Schule des Waisenhauses in Halle und studirte seit 1751 ein Quinquennium hindurch Philologie, Philosophie, Geschichte und Theologie, letztere unter Baumgarten, J. G. Knapp, Freylinghausen. Baumgarten’s Präcision und die Wolff’sche Philosophie mit ihrer Deutlichkeit der Begriffe und bedächtigem Gang im Denken hat er als ihm besonders nützlich gepriesen. Nach Vollendung seiner Studien machte er eine gelehrte Reise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich. Im Jahre 1757 begann er als Magister in Halle mit Vorlesungen über Cicero’s Bücher de oratore und Ernesti’s Rhetorik, im folgenden Jahre mit einem exegetischen Cursus über das ganze Neue Testament, und er hat letzteren, je auf zwei Jahre berechnet, bis an das Ende seines Lebens fortgesetzt. Dazu kam 1759 auf höheren Befehl die Kirchengeschichte, welche er über Mosheims Compendium las. Er wurde 1760 zum außerordentlichen, nach Christian Benedict Michaelis’ Tode 1764 zum ordentlichen Professor der Theologie ernannt. An des enthobenen Semler’s Stelle übernahm er über höheren Auftrag 1779 die Direction des theologischen Seminars, jedoch unter der Bedingung, daß die damit verbundenen Einnahmen dem bisherigen Director verblieben. Er [26] las seine theologischen Collegia im Ornat und begann jederzeit mit Gebet. Sein Vortrag wird als ein herzlicher, ja rührender geschildert, sein Aeußeres erinnerte an Lavater. Anfangs einer pietistisch gefärbten Orthodoxie ergeben, ging er, freigemacht durch das Studium der Kirchengeschichte, immermehr, und dies ohne Gefährdung seiner Gemüthsruhe, zur Neologie über, den Unterschied des Natürlichen und Uebernatürlichen im Christenthum als irrelevant verwischend und einen geläuterten Eudämonismus begünstigend. Bereits 1767 sprach er’s in einem Programme aus: Hätte der Theologe weiter nichts zu thun, als das nachzubeten, was er von Andern gelernt hat, und immer dasselbe herzubeten, so brauchte man keine Theologen, sondern nur einen Vorleser anzustellen. Der Theologe müsse ohne Furcht vor Ketzerschreiern erkannte Irrthümer anzeigen wie Luther gethan, der es gerade heraussagte, daß z. B. der Stil des Neuen Testaments hebräischartig, daß die hebräischen Vocalpunkte eine Erfindung der jüdischen Lehrer und die Stelle 1. Joh. 5, 7 untergeschoben sei. Daher bemerkt Bahrdt’s Kirchen- und Ketzeralmanach (1781) von ihm: „Seit einigen Jahren hat er verschiedene Posten aufgegeben, die er ehedem vertheidigte. Aber in den meisten kämpft er noch gegen den überlegenen Feind. Vielleicht, daß er in einigen Jahren auch diese verläßt. Wer sucht, der findet, zumal wer so ehrlich sucht, wie dieser brave Mann“. Und der Pädagog Trapp: „Dr. Nösselt mit dem holdseligen theologischen Lächeln sagt weder Ja noch Nein, minirt tief und läßt die Mine zu rechter Zeit springen.“ Ein so angethaner Theologe, dessen Lieblingsfrage cui bono? war, mußte ein Freund der Popularphilosophie sein. An der kantischen Philosophie, insbesondere an der von Kant empfohlenen moralischen Schriftauslegung, hat er Anstoß genommen, die nachkantische preßte ihm den Seufzer aus: „Guter Gott, erhalte uns den gesunden Menschenverstand!“ Als Schriftsteller nicht originell, aber gründlich und bedächtig, war er in erster Linie als neutestamentlicher Exeget wohl angesehen. Seine in drei Sammlungen erschienenen exegetischen Gelegenheitsschriften („Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum Fasciculus I.“ Hal. 1771. 2. A. 1785. Fasciculus II. 1787. „Exercitationes ad Sacrarum Scripturarum interpretationem.“ Hal. 1803) galten als Muster einer natürlichen, leichten und dabei gründlichen Auslegung, er selbst als die Hauptstütze der Schule Ernesti’s. Von seinen übrigen Werken sind am meisten geschätzt und empfohlen worden: seine „Anweisung zur Bildung angehender Theologen“ (1786 und 89, 3. A. 1818 f., besorgt von A. H. Niemeyer), seine „Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinen Bücher in allen Theilen der Theologie“ (1779, 4. A. 1800, fortgesetzt von Chr. F. Lbg. Simon 1813), und seine „Vertheidigung der Wahrheit und Göttlichkeit der christlichen Religion“ (1766, 5. A. 1783), veranlaßt durch den Befehl des Universitätscurators Freiherrn v. Fürst, daß Vorlesungen für Studirende aller Facultäten zur Vertheidigung der christlichen Religion zu halten seien, und gerichtet gegen theoretische und praktische Atheisten, Zweifler, Naturalisten, Indifferentisten. Den Naturalisten wird entgegengehalten, daß eine besondere, positive, mit einer übernatürlichen Kraft verbundene Offenbarung sehr wahrscheinlich, möglich und wohlthätig sei. Wenn N. die Bemerkung einfließen läßt, es gehöre zu unserer Prüfung, daß wir die göttliche Wahrheit auch nach schwachen Gründen annähmen, so hat ihm schon ein alter Recensent erwidert: „Schwache Gründe sind unsichere Gründe, auf die man nirgends bauen kann“. Trotz seines ausgesprochenen Hanges zur Friedfertigkeit ist er doch nicht ohne Polemik davon gekommen. Er ward als Facultätsmitglied mit in die Bahrdtischen Händel in Halle (siehe Raumer’s histor. Taschenbuch 1866, S. 292) verwickelt und hat als Dekan die „Erklärung der theologischen Facultät zu Halle über Dr. Bahrdt’s Appellation an das Publikum“ (1785) verfaßt, worüber er von Bahrdt in seiner „Abgenöthigten [27] Replik“ (1785) scharf angetastet wurde. Unter dem Ministerium Wöllner war auch er mit Cassation bedroht, weil er in seinen dogmatischen Vorlesungen neologische principia äußere, wodurch die Zuhörer von der Erkenntniß der reinen christlichen Glaubenslehre abgeführt würden. Unerschrocken, ja kühn hat der sonst stille friedsame Mann damals die akademische Lehrfreiheit vor seinem königlichen Herrn vertheidigt. Von Schleiermacher ist über ihn das harte Urtheil zu verzeichnen: „Nösselt ist mir ein rechter Beweis, wie man sehr gelehrt sein kann und sehr großen Ruf haben, und doch wenig leisten. Denn was hat die Welt nun an den wenigen Opusculis und an der „Bücherkenntniß“? Seine Methode als academischer Lehrer scheint mir nun vollends nicht rühmlich. Es war wenig lebendige Anregung darin, wie denn überhaupt der Mann weniger Geist und Talent hatte, als jetzt Gott sei Dank erlaubt ist; und von seinen zahlreichen dankbaren Schülern wird wohl keiner sein, der da rühmen könnte, daß er ihm eben den Tempel der Weisheit aufgeschlossen“. Nach Garve war er der nützlichste Professor in Halle, und Lessing hat gemeint: „Das ist noch ein Theologe, wie er sein soll.“

A. H. Niemeyer, Leben, Charakter und Verdienste J. A. Nösselt’s. 2 Abtheilungen. Halle u. Berlin 1809. Außer den hier (Abth. I, S. 256) und in W. D. Fuhrmann’s Handwörterbuch der christl. Rel.- u. Kirchengeschichte III, 233 verzeichneten anderweitigen biographischen Nachrichten mögen der Vollständigkeit halber noch genannt werden: [J. O. Thieß] Neuer Kirchen- und Ketzeralmanach auf d. Jahr 1797, S. 147. [Fuhrmann] Die Aufhellungen der neueren Gottesgelehrten in der christl. Glaubenslehre. Lpz. 1807 I, 336. H. Döring in der 1. u. 2. A. von Herzog’s theol. Real-Enc.