ADB:Lichtenau, Wilhelmine Gräfin

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lichtenau, Wilhelmine Gräfin“ von Paul Bailleu in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 534–536, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lichtenau,_Wilhelmine_Gr%C3%A4fin&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:05 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 18 (1883), S. 534–536 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wilhelmine von Lichtenau in der Wikipedia
Wilhelmine von Lichtenau in Wikidata
GND-Nummer 118926217
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|18|534|536|Lichtenau, Wilhelmine Gräfin|Paul Bailleu|ADB:Lichtenau, Wilhelmine Gräfin}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118926217}}    

Lichtenau: Wilhelmine Enke, seit 1782 Madame Ritz, seit dem 28. April 1794 Gräfin Lichtenau, wurde am 29. December 1752 (1754 ?) geboren. Ihr Vater, Elias Enke aus Hildburghausen, war Trompeter in der Kapelle Friedrichs des Großen, die Mutter stammte aus Freiburg im Breisgau. Noch sehr jung, erregte das auffallend schön gewachsene Mädchen die Aufmerksamkeit des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, der bald in ein vertrautes Verhältniß zu ihr trat. Er nahm sie zu sich nach Potsdam, gab ihr eine Gouvernante und schickte sie auf einige Zeit zu ihrer Ausbildung nach Paris. Er selbst unterrichtete sie in Geschichte und Geographie und las mit ihr historische Werke und die klassischen Schriftsteller alter und neuer Zeit. Diese Gemeinschaft des Lehrens und Lernens, verbunden mit der ungemeinen Fähigkeit der L., sich dem eigenthümlichen Charakter des Prinzen anzuschmiegen, bildete zwischen Beiden [535] ein Band, welches sie dauernd und innig aneinander fesselte, auch als jede sinnliche Verbindung längst aufgehört hatte. Am 27. Januar 1770 tauschten sie Ringe mit einander; mit ihrem Blute versprachen sie sich Liebe und Treue. König Friedrich, vor dem sich die L. auf einige Zeit hatte nach Hamburg entfernen müssen, scheint sich schließlich in diese Beziehungen gefunden zu haben; auf seine Veranlassung, wie die L. erzählt, kaufte ihr der Prinz ein kleines Landhaus in Charlottenburg, später ein Haus in der Mohrenstraße in Berlin. – So dauerte dies Verhältniß, aus dem fünf Kinder hervorgingen, ungetrübt fort bis zum baierischen Erbfolgekriege, wo sich in dem Prinzen jener Umschwung vollzog, der für sein ganzes Leben verhängnißvoll werden sollte. Es waren Mitglieder geheimer Ordensverbindungen, zuerst Prinz Karl von Hessen, dann vor Allen Bischoffwerder, die sich des Geistes des Prinzen bemächtigten und allmählich die größte Herrschaft über ihn gewannen. Unter dem Einfluß dieser Beziehungen, die schließlich zur Aufnahme des Prinzen in den Orden der Rosenkreuzer führten (8. August 1781), erkaltete das Verhältniß zur L. mehr und mehr, so daß sie seit der Geburt der Gräfin von der Mark (29. Februar 1780) in der That nur noch wie Bruder und Schwester miteinander gelebt haben. Um dann jede Wiederaufnahme des früheren vertrauten Verkehrs unmöglich zu machen, suchte der Prinz die L. zu einer Heirath mit seinem Kämmerer Johann Friedrich Ritz zu bestimmen, mit dem sie seit Beginn ihres Verhältnisses zum Prinzen aufgewachsen war. Nach langem Sträuben verstand sich die L. dazu, einige Zeit mit Ritz ehelich zu leben, ohne daß eine Eheschließung in gesetzlicher Form stattgefunden hätte. Im Januar 1783 mußte sie sich auf Veranlassung des Prinzen mit Ritz nach Dessau begeben, kehrte jedoch schon Ende Mai wieder nach Berlin zurück, wo sie bald das frühere Verhältniß herzlichster Freundschaft zu dem Prinzen wiederherzustellen wußte. Auch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms und seine Verbindung mit dem Fräulein v. Voß und der Gräfin Dönhoff brachte keine Störung in dies Verhältniß, das vielmehr von Jahr zu Jahr vertrauter und inniger wurde. Wenn die L. anfangs der Verbindung des Königs mit dem Orden und Bischoffwerder, über welche sie übrigens im Einzelnen nicht unterrichtet war, entgegengearbeitet hatte, so war sie von diesem aussichtslosen Kampfe bald zurückgekommen; sie fing jetzt an die schwärmerischen Neigungen des Königs, deren sich die Rosenkreuzer bedienten, auch ihrerseits zur Einwirkung auf den König zu benutzen und durch geheimnißvolle Trostworte und angebliche Erscheinungen eines Verstorbenen die Unruhe seines Gemüthes zu beschwichtigen. Dafür kannte die Freigebigkeit des Königs gegen sie kaum eine Schranke; sie empfing außer den erwähnten Häusern für sich oder ihre Kinder noch ein Haus Unter den Linden, die in der Neumark gelegenen Güter Lichtenau und Breitenwerder mit dem Vorwerk Roßwiese und kurz vor dem Tode des Königs ein Kapital von 500,000 Thalern. Auch die Vorgänge der Jahre 1792–1795, die den Wünschen und Erwartungen des Königs so wenig entsprachen, trugen noch dazu bei, den Einfluß der L. zu befestigen. Wenn es irgend anging, wie Anfang 1793 in Frankfurt a./M., ließ der König sie in seine Nähe kommen und immer mehr gewöhnte er sich, ihren Rath in persönlichen und öffentlichen Angelegenheiten einzuholen und zu befolgen. Es muß hervorgehoben und anerkannt werden, daß die L. diese bedeutende Macht kaum je gemißbraucht hat; nur in dem bekannten Proceß gegen Zerboni trifft sie der Vorwurf, das harte Urtheil des Königs mit veranlaßt zu haben. In Folge einer Erkrankung, zu deren Heilung ihr der Gebrauch der Bäder von Pisa empfohlen wurde, verließ die L. am 13. Mai 1795 Berlin und reiste nach Italien, wo sie längere Zeit in Pisa, Rom und Neapel verweilte. Hier schloß sie mit Emma Hamilton Freundschaft, erhielt jedoch am neapolitanischen Hofe keinen Zutritt, weshalb König Friedrich [536] Wilhelm sie unter Rückdatirung des Patentes auf den 28. April 1794 zur Gräfin von L. erhob. Nach ihrer Rückkehr ließ der König die neue Gräfin bei Hofe vorstellen; er nahm sie mit sich nach Pyrmont im Sommer 1796 und noch einmal im Sommer 1797. Sie allein war beständig um ihn in der schweren Krankheit, die ihn im Herbst 1797 befiel und am 16. November desselben Jahres seinem Leben ein Ende machte. – Noch an demselben Tage wurde die L. im Cavalierhause des neuen Gartens zu Potsdam verhaftet und ihr Vermögen und ihre Papiere in Beschlag genommen. Vor einer Commission, bestehend aus dem Minister Freiherrn v. d. Reck, Major v. Lützow, Geheimrath Pitschel, Kammergerichtsvicepräsident Kircheisen und Kammergerichtsrath Beyme, mußte sie über ihre Beziehungen zum Könige sowie überhaupt über ihre gesammten Verhältnisse Rechenschaft ablegen. In dem Verhöre, das vom 16. bis zum 28. Januar 1798 dauerte, zeigte sich die L. vollkommen ruhig und unbefangen, ihre Aussagen waren frei von Widersprüchen und anscheinend ohne Verheimlichung. Nachdem auch Oswaldt, Hermes und Hilmer, die in dem Kampfe des Königs gegen die Aufklärung eine Rolle gespielt hatten, sowie Ritz und Andere vernommen waren, kam die Commission am 20. Februar zu dem Beschlusse, daß die L. nichts eigentlich Straffälliges begangen habe. Gleichwol verfügte König Friedrich Wilhelm III. am 13. März, daß die Güter der L. mit Ausnahme des Hauses in der Mohrenstraße einzuziehen und sie selbst mit einer jährlichen Pension von 4000 Thalern in Glogau zu interniren sei. Nach einem zweijährigen Aufenthalte in Glogau erhielt die L. auf ihre Bitte die Freiheit wieder, wobei ihr zugleich gegen Verzicht auf etwaige andere Ansprüche die Pension von 4000 Thalern auf Lebenszeit zugesichert wurde (18. October 1800). Sie ging hierauf nach Breslau, wo sie sich unter Zustimmung des Königs am 3. Mai 1802 mit dem Theaterdichter Franz v. Holbein (Fontano) vermählte, der sie jedoch 1806 aus Liebe zu einer Wiener Schauspielerin wieder verließ. Durch eine von Verschwendung nicht freie Lebensweise und nachträgliche Zahlungen von der italienischen Reise her in Schulden verwickelt, erwirkte sie im J. 1811 von König Friedrich Wilhelm III., der jetzt fand, daß 1798 ihre Sache etwas „über’s Knie gebrochen“ worden sei, die Rückgabe der Güter Lichtenau und Breitenwerder. Auch später erhielt sie noch ansehnliche Geldunterstützungen. Sie lebte in dieser Zeit, abgesehen von einem längeren Aufenthalt in Paris 1811 und 1812, in Berlin, wo sie am 9. Juni 1820 gestorben ist.

Acten des Geh. Staatsarchivs zu Berlin. Von älteren Quellen enthält nur die im Ganzen glaubwürdige Apologie der Gräfin Lichtenau (bearbeitet von Rector Schummel, Breslau 1808, 2 Bde.) brauchbare Mittheilungen. Die neueren Bearbeitungen der Geschichte Friedrich Wilhelms II. geben nichts Authentisches.