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Artikel „Tagino, Erzbischof von Magdeburg“ von Karl Uhlirz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 353–359, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tagino&oldid=- (Version vom 3. November 2024, 22:47 Uhr UTC)
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Tagino, Erzbischof von Magdeburg, vom 2. Februar 1004 bis zu seinem Tode am 9. Juni 1012. (Andere Namensformen: Tagini, Dagino, Tagani, Tagano, Tageni, Tegeno, Degani, Tammo, die auf i auslautenden werden nach der 2., die auf o nach der 3. Declination abgewandelt: Taginini, Taginonis, oder sie bleiben auch unverändert; die urspr. bairische Form ist Tagini.) Er war der Sohn eines vermuthlich in der Stadt Regensburg ansässigen, im Donaugau begüterten Edlen, Namens Tagini. Wie andere Regensburger Vornehme jener Zeit, erfüllt von dem kirchlichen Geiste, den der h. Wolfgang und Abt Ramuold durch Wort und Beispiel erregten und verbreiteten, übergab auch T. seinen Sohn dem in jenen Tagen durch seine strenge Ordnung und seine treffliche Schule berühmten Kloster S. Emmeram, indem er für den Unterhalt des Knaben ein Gut widmete. In dieser von sittlichem und religiösem Ernste durchdrungenen Gemeinschaft wuchs der junge T. heran und erwarb sich für sein ganzes Leben mönchische Zucht und Einfachheit. Wie einen Sohn erzog der h. Wolfgang den Knaben und Jüngling, nahm den zum Priester Geweihten in seine Nähe, wählte ihn zu seinem Vertrauten und steten Begleiter. Der zum vicedominus ernannte T. unterstützte den Bischof in seinen gottesdienstlichen Handlungen und war auch dessen Gefährte auf den Reisen im Sprengel und zu den Besitzungen des Hochstifts. Auf einem Ausfluge nach dem vom h. Wolfgang besonders begünstigten Weltenburg geschah es einmal, daß beide zur Sommerszeit von einem heftigen Gewitter überrascht wurden; der Blitz spaltete die Wand des Gemaches, in dem sie betend verweilten, und T. stürzte zusammen. Da richtete der Bischof den Gefährten auf, mahnte ihn, sich männlich zu betragen und sein Herz zu stärken, so rief er den Halbtodten wieder zum Bewußtsein zurück.

Das Vertrauen des Bischofs brachte ihn auch in Beziehung zu dem Sohne Herzogs Heinrich des Zänkers, der unter des h. Wolfgang Anleitung seine Ausbildung vollendete; die Studiengenossen verband innige Freundschaft, die erst der Tod des Einen lösen sollte. Diese persönlichen Verbindungen, die sittliche Reinheit, die Dienstwilligkeit und der kirchliche Eifer Tagino’s ließen ihn als zu hoher kirchlicher Würde wohl geeignet erscheinen und man sah in ihm den einstigen und besten Nachfolger des h. Wolfgang, von dem auch Ramuold erwarten konnte, daß er gegenüber dem Kloster die gleiche wohlwollende Haltung einnehmen werde, durch welche Wolfgang dasselbe förderte. Doch sollten diese [354] wohlmeinenden Absichten nicht erfüllt werden. Am 31. October 994 starb der Bischof auf einer Reise nach der Ostmark zu Puppingen, nachdem er auf dem Todtenlager rührende Worte der Liebe und des Segens zu seinem geistlichen Sohne gesprochen, in symbolischer Handlung ihm seinen Geist und seine Kraft eingehaucht und ihm für den Fall, als ihm die verheißene Würde nicht zu theil werden sollte, noch größere Ehren in Aussicht gestellt hatte. Der vicedominus geleitete die Leiche seines heiligen Gönners nach Regensburg und wurde dann einstimmig zum Bischof gewählt. Als sich der Erwählte aber zu König Otto III. begab, da wurde ihm, wol aus politischen Gründen, die erbetene Bestätigung geweigert und das Bisthum dem königl. Capellan Gebhard verliehen. Obwol der neue Bischof seinen zurückgesetzten Mitbewerber ehrenvoll behandelte, war doch an ein dauerndes Einverständniß bei der Verschiedenheit der Gesinnung und der Anlagen nicht zu denken, und so schied T. aus dem unmittelbaren Dienste Gebhard’s, der übrigens auch seinen Einfluß bei Hofe zu Feindseligkeiten gegen Ramuold nützte. T. schloß sich nunmehr ganz an Heinrich an, der seinem am 28. August 995 gestorbenen Vater im Herzogthume nachfolgte. Die Verstimmung zwischen dem königlichen und dem herzoglichen Hofe gab, als Otto III. 996 auf seiner Fahrt ins Wälschland zu Regensburg weilte (vgl. Ramuold, A. D. B. XXVII., 222), einem nahen und herzlichen Verhältnisse zwischen Kaiser und Herzog Raum; T. wird wol seinen Herrn, dem er Tag und Nacht diente, auf den Zügen nach Italien, die dieser im Gefolge des Kaisers mitmachte, begleitet haben und dieser sorgte nun dafür, daß seinem Getreuen Gunstbeweise des Herrschers zu theil wurden. Im J. 998 gab Otto III. zu Rom seinem und des Herzogs Getreuen Tagini einen Hof zu Regensburg bei der alten Capelle und am 6. April 1000 zu Quedlinburg dem Capellan des Herzogs Tageni sein Eigengut in Prüfening.

Den rechten Lohn seiner Freundschaft empfing aber T. erst, als nach Otto’s III. Tod der bairische Herzog selbst die Königskrone errang. Als dieser nach Ueberwindung seiner Nebenbuhler im Winter 1002 zu Regensburg ausruhte, wandelte er entsprechend seiner kirchlichen Gesinnung die alte Capelle in ein Collegiatstift um und bestellte T. zum Propste desselben. Bald darnach sollte sich noch höhere Ehre für T. ergeben und die Vorhersagung des h. Wolfgang in Erfüllung gehen. König Heinrich war fest entschlossen, das von Otto II. aufgehobene Bisthum Merseburg wiederherzustellen und so die unter Otto III. nicht mehr zur Ruhe gekommene aber nicht entschiedene Frage zu lösen, das Unrecht des Vorgängers zu sühnen. Eben hatte er in dieser Sache den Erzbischof Willigis von Mainz abgeordnet, als der Tod des Magdeburger Erzbischofs den eingeleiteten Verhandlungen ein Ende machte und eine rasche, glatte Lösung ermöglichte. Es handelte sich jetzt nur darum, den erledigten erzbischöflichen Stuhl mit einem Manne zu besetzen, der in die Absichten des Königs eingeweiht war und kein eingewurzeltes Interesse an dem reicheren Bestand des Erzstiftes hatte. War nun Heinrich überhaupt geneigt, bairische Geistliche zu hohen Würden zu bringen, so bot sich ihm die beste Gelegenheit, seinem Plane und seiner Freundschaftsneigung gerecht zu werden. Er sandte sofort seinen Capellan Wigbert nach Magdeburg, um das Capitel zur Wahl Tagino’s zu veranlassen. Aber hier setzte der Dompropst Waltherd, ein Mann von adeliger Herkunft, großem Reichthum und ausgezeichneter Begabung, der dem verstorbenen Erzbischof sehr nahe gestanden hatte, es durch, daß das Capitel sein Wahlrecht wahrte und grundsätzlich zur Geltung brachte. Waltherd selbst ging aus der Wahl hervor. Der war nun in derselben Lage, wie vor zehn Jahren T.; und wie dieser einst unterlag, da ihm gegen die königliche nur die herzogliche und die geistliche Gewalt zu Gebote stand, so zog auch jetzt Waltherd den kürzeren. [355] Ihm genügte es aber, das recht des Capitels anerkannt zu sehen, er ließ sich, als am 29. Januar 1004 der König mit T. in Magdeburg eintraf, auf die Vermittlung des Bischofs Arnulf von Halberstadt hin zum Verzicht herbei und die neue Wahl fiel auf T. Der König begab sich mit dem Erwählten nach der Burg Giebichenstein, wo sie Erzbischofs Gisiler Schatz mit zufriedenem Gemüthe besichtigten, dann nach Merseburg als der Stätte, die aus Tagino’s Erhebung den ersten Vortheil ziehen sollte. Da T. nicht nach Rom reisen konnte, empfing er hier nach eingeholter Zustimmung der Suffragane die Weihe von dem Erzbischof Willigis. Die ersten Handlungen des neuen Metropoliten zeugen von Festigkeit und Klugheit. Er wahrte das Vorrecht, nur vom Papste oder dessen Legaten ordinirt zu werden, und ernannte seinen Mitbewerber Waltherd zu seinem Stellvertreter, eine Maßregel, die allerdings nur bei der gleich lautern und kirchlichen Gesinnung beider von Segen sein konnte. Unmittelbar an die Weihe des Erzbischofs schloß sich die Wiederherstellung des Bisthums Merseburg an, das dem erwähnten Caplan Wigbert verliehen wurde; die endgültige Lösung aller damit zusammenhängenden Besitzstreitigkeiten sollte allerdings T. nicht mehr erleben.

Groß und vielfältig waren die Schwierigkeiten, die des Erzbischofs harrten, Aufgaben verschiedenster Art nahmen seine Kraft und Ausdauer in Anspruch. Höher noch als zuvor stieg er im Vertrauen und der Freundschaft des Königs, die Notare der königlichen Kanzlei wenden die schönsten Formeln an, um die Verdienste des Trefflichen geziemend hervorzuheben, und sein treuester Anhänger, der ehrliche Thietmar, suchte alle Worte zusammen, um das freundschaftliche Verhältniß des Königs und des Prälaten zu bezeichnen. Immer wieder kehrt Heinrich zu seinem Symmysta nach Magdeburg zurück, und geht er von da weg, so muß ihn T. begleiten. Auch die fromme Königin ist dem edlen Manne, der in der Zeit ärgerlichsten Hof- und Volksklatsches unberedet blieb, gewogen, gerne vertraut sie sich seinem Schutze an, wenn den Gemahl Regierungsgeschäfte abrufen. Als Heinrich im März 1004 nach Italien zieht, übergibt er in Augsburg dem Erzbischof, der ihn bis dahin von Magdeburg aus geleitet hatte, die Königin. T. tritt mit der hohen Frau die Heimreise an, in Gernrode feiern sie das Palmfest, in Magdeburg Tod und Auferstehung des Herrn. Als Heinrich im J. 1007 seinen Lieblingsgedanken, das Bisthum Bamberg, ins Werk setzte, da sprach T. auf der entscheidenden Synode zu Frankfurt das Vorwort im Sinne des Herrschers und gab damit den Ausschlag für die Aeußerung der andern Bischöfe.

Schon aus dieser Vertrauensstellung ergab sich ein Antheil des Erzbischofs an den politischen Geschäften, den wir auch in den Interventionen der Urkunden verfolgen können und der noch vermehrt wurde durch die ganz besondere Lage, in der sich das Erzbisthum Magdeburg befand. Unter allen Umständen hatte der mit reichem Grundbesitz ausgestattete Metropolit neben den andern Großen der Provinz ein entscheidendes Wort zu sprechen; wie sein Vorgänger und sein Nachfolger wird auch er die Verwaltung der königlichen Güter in Sachsen geleitet haben; der Vorrang, den ihm seine hohe Stellung an sich gab, ward aber noch erhöht durch den Umstand, daß die politischen und militärischen Machtverhältnisse an der Ostgrenze des Reiches in engster Wechselbeziehung mit den kirchlichen Interessen standen, daß Ausdehnung oder Rückgang der polnischen Macht die kirchliche und weltliche Gewalt des Magdeburger Erzbischofs unmittelbar beeinflußten. Erzbischof Gisiler, den lebhafte Freude am Genusse der Macht und staatsmännische Begabung wohl dazu befähigten, hatte die politische Seite seines Amtes, vielleicht mehr als der geistlichen von Nutzen war, ausgebildet, und auch der Nachfolger mußte versuchen, dieser Doppelstellung gerecht zu werden. Große Erfolge waren aber diesem nicht beschieden, er machte die Politik seines Königs und stand an Voraussicht und [356] Thatkraft jedenfalls hinter Gisiler und auch hinter dessen Schüler Waltherd zurück. Es wird daher genügen, die einzelnen erwähnenswerthen Ereignisse, die in diesen Zusammenhang gehören, anzuführen.

Mit Herzog Bernhard erwirkte er im J. 1004 die Gnade des Königs für den aufständischen Markgrafen Heinrich von Schweinfurt, der ihm dann zur Haft auf dem Giebichenstein übergeben wurde, bis er durch die am 8. September zu Prag eingelegte feierliche Fürsprache des Bischofs Gottschalk von Freising volle Verzeihung erlangte. Den Feldzug des Jahres 1004, durch den Heinrich den polnischen Boleslav aus Böhmen verdrängte, dürfte T. nicht mitgemacht haben, wenigstens wird seine Theilnahme in den Quellen nicht erwähnt. Dagegen war er des Königs Gefährte auf der siegreichen Kriegsfahrt des nächsten Jahres, die das deutsche Heer bis in die Nähe von Posen brachte. Boleslav Chabry bat um Frieden, als Gesandter des deutschen Königs ging T. nach Posen und schloß hier den Friedensvertrag, der zwar den Krieg ehrenvoll beendete, aber doch in der Heimath keineswegs ungetheilte Zustimmung fand. Zwei Jahre später war T. genöthigt, selbständig gegen den Polenfürsten vorzugehen. In seiner und Heinrich’s Abwesenheit waren nach des Königs Befehl die Sachsen gegen Boleslav ausgezogen, der aber zerriß in kriegerischer Rauhheit die Brüderschaft, die ihn im Gebete mit der Magdeburger Geistlichkeit verband, und drang bis gegen die Stadt vor; zwar gelang es, ihn zurückzuweisen, als aber die Sachsen unter der Führung des inzwischen heimgekehrten Metropoliten zur Offensive übergingen, da sah man, daß die gesammelten Streitkräfte nicht ausreichten, und das bis Jüterbogk gelangte Heer löste sich auf. In rascher That gewann Boleslav Bautzen und die Oberlausitz. Selbst Thietmar, dem Erzbischof ergeben und dessen Begleiter auf dem kläglichen Zuge, vermag leisen Tadel nicht zu verhehlen. Doch trug T. nicht alle Schuld, er war durch die Bamberger Sache abgehalten worden, an Ort und Stelle genügende Vorbereitungen zu treffen, und sein Stellvertreter Waltherd scheint diesmal nicht in vollem Maaße den drängenden Forderungen eines entscheidenden Augenblickes gerecht geworden zu sein. Im J. 1009 wurde zu Magdeburg gegen Bischof Thietmar’s gewaltthätigen Neffen, den Grafen der Nordmark Werinhar, verhandelt und als er in neuer Fehde den Daedi ermordete, die Mark neu besetzt. Im folgenden Jahre wurden unter Tagino’s Theilnahme die Verhältnisse der Meißner Mark geregelt und dieselbe auf seinen Antrieb dem Sohne Ekkehard’s, Hermann, verliehen. Zur selben Zeit, im August 1010, traten der König und T. eine Heerfahrt gegen Polen an, doch erkrankten beide in Gehren und mußten die weitere Kriegführung Andern überlassen; Kaiser und Erzbischof traten die Rückkehr an, sie trennten sich in Strehla, Heinrich begab sich nach Merseburg, T. nach Magdeburg; nachdem er hier das Hauptfest seiner Kirche, das der Thebaeer (22. September) gefeiert hatte, fand er sich gesund und heil wieder bei seinem Herrscher ein.

Trotzdem T., wie wir sehen, vielfach seiner Stadt und seinem Sprengel entzogen wurde, entfaltete er doch auch auf kirchlichem Gebiete eine ersprießliche Thätigkeit und hinterließ in seinem Erzstifte ein gutes Andenken. Die Wiederherstellung des Bisthums Merseburg, seine Theilnahme an der Errichtung Bambergs haben wir schon in anderm Zusammenhang erwähnt. Seine strenge Gesinnung, die in den Gewohnheiten von S. Emmeram die Regel für geistliches Leben erblickte, veranlaßte ihn, nach dem Beispiele seines Herrn dem Reformgedanken auch im Magdeburger Sprengel zum Durchbruch zu verhelfen. Kloster Bergen war die Stätte wo der neue Gedanke eingepflanzt werden sollte. Abt Rikdag wurde abgesetzt, an seine Stelle kam Alfker, der Vorsteher des Klosters Pöhlde. Das gewaltsame Verfahren erregte das Mißfallen der zahlreichen [357] Schüler des umgewandelten Stiftes, dem einer derselben, Thietmar, trotz seiner Anhänglichkeit an T. beredten Ausdruck verlieh. Aus seiner Regensburger Schulung erklärt es sich auch, daß T. bestrebt war, die erledigten Bischofssitze und Abteien mit tüchtigen Männern zu besetzen. In gar kluger Weise wußte er anläßlich der vorauszusehenden Erledigung des Merseburger Stuhles die Aufmerksamkeit des Königs auf Thietmar zu lenken, den er schon am 21. Decbr. 1004 zu Allstedt in Gegenwart Heinrich’s zum Priester geweiht hatte und den er am 24. April 1009 zu Neuburg a. d. Donau mit dem bischöflichen Amte bekleiden konnte. Im selben Jahre erhielt Erich das Bisthum Havelberg. Aus Tagino’s Hand hatte auch bald nach dessen Erhebung zum Erzbischof der Apostel der Preußen Brun das Pallium und damit die Weihe zum Martyrium empfangen. Zu Alfker’s Nachfolger im Kloster Bergen bestellte er Siegfried, den Bruder Thietmar’s. Selbstverständlich ist, daß wir den angesehenen Metropoliten auch auf den Versammlungen der deutschen Kirche finden. Wir begegnen ihm am 7. Juli 1005 auf der Dortmunder, am 1. November 1007 auf der Frankfurter Synode, am 8. August 1004 hatte er der Einweihung der Klosterkirche zu Nienburg a. d. Saale beigewohnt und kurze Zeit vor seinem Tode, am 6. Mai 1012, weihte er den Blasius-Altar im neuen Bamberger Dom. Mit ganz besonderer Fürsorge war er auf das Wohl der seiner eigenen Leitung anvertrauten Kirche bedacht. Das nahe Verhältniß zum Könige wurde auch für das Erzstift fruchtbar. Seiner Verehrung für den h. Mauritius gab Heinrich Ausdruck, als er dreißig Tage nach Gisiler’s Tod die noch im Besitz der königl. Capelle verbliebenen Reliquien des Heiligen nackten Fußes mitten im Winter vom Kloster Bergen nach dem Dome trug und hier auf dem Altare niederlegte. Daran reihten sich Bestätigungen früherer Verleihungen und werthvolle neue Schenkungen. Das Erzstift erhielt von ihm für den Verzicht auf Merseburg schon im J. 1004 reichen Besitz im Wendenlande, dann folgten die Vergabungen der Arneburg, Drezels, Prettins, des Königshofes Frose, durch eine besondere Urkunde wurde die Stellung des erzbischöflichen Vogtes auf den Gütern in Thüringen gegenüber den Grafen gesichert. Auch das Domcapitel wurde, als sich der König im J. 1010 in die Gebetbruderschaft aufnehmen ließ, mit einer erheblichen Zuwendung bedacht. Aber auch aus Eigenem besserte T. die Lage seiner Brüder, denen er stets ein gütiger Herr war. Er mehrte die kirchlichen Gewänder und Geräthe und beschäftigte sich mit dem Ausbau des Domes, dessen Krypta am 22. Februar 1008 geweiht werden konnte. Auch die Magdeburger Schulen werden unter ihm ihre vortreffliche Ueberlieferung fortgepflanzt haben.

Besser als bei vielen seiner Zeitgenossen sind wir über Tagino’s Charakter unterrichtet. Doppelte Ueberlieferung steht uns zu Gebote, eine Regensburger im Buche des Arnold von S. Emmeram, die uns die Jugend und die ersten Mannesjahre, eine Magdeburger bei Thietmar, die uns den Erzbischof schildert, beide vereinen sich wohl zu einem deutlichen Bilde. Kirchlicher Eifer, Redlichkeit, Wohlthätigkeit gegen Arme, Keuschheit, mönchische Einfachheit der Lebensweise und Kleidung zieren nicht minder den Regensburger Kanonikus wie den Erzbischof. Weiß uns Arnold zu berichten, daß er zornig und überstreng, darum vielen verhaßt gewesen ist, so werden das zunehmende Alter und die hohe Würde hier wol mildernd gewirkt haben und die angeborne Güte wird mehr zum Ausdruck gelangt sein, aber auch der Erzbischof hielt mit scharfem Tadel nicht zurück, verfolgte mit gerechtem Hasse die Verächter Christi, versagte jedoch der guten That das verdiente Lob nicht, pries die Brüder des Capitels vor allen Leuten. Gemäß seiner vornehmen Herkunft und dem Verkehr mit dem h. Wolfgang wie später mit Heinrich liebte er den Umgang mit edelgesinnten Standesgenossen; verachtete er auch mindere Leute nicht, so schloß er [358] sie doch von jeder Vertraulichkeit aus. Dieser Neigung entsprach wol am besten Thietmar, der in Herkunft und Lebensgang ja viele Aehnlichkeit mit seinem Gönner hatte. Von schwächlicher Constitution wie sein König litt T. an häufigen Krankheiten, die ihm das Fasten verboten und ihn auch in späteren Jahren oft an der seit seiner Jugend gewohnten strengen Erfüllung seiner priesterlichen Pflichten hinderten, die er aber mit geduldiger Leidenskraft überwand. Schlechte Zähne hinderten ihn, viele und feste Speise zu sich zu nehmen, er ließ es sich mit flüssiger Nahrung genügen, bezeichnend genug für die eß- und trinklustige Zeit, daß Thietmar uns ausdrücklich versichert, er habe sich mit mäßigem Trunke beschieden. Bei so zarter Körperbeschaffenheit dürfte er auch kaum ein hohes Alter erreicht haben, er mag wol nur wenige Jahre vor Heinrich II. etwa 970 geboren worden sein. Wie so zahlreiche seiner Zeitgenossen war auch er jener mystischen Ueberreiztheit, von der uns Thietmar und die andern Geschichtsbücher so viele seltsame Dinge berichten, unterworfen. Die geistlichen Uebungen ebenso wie das Meßopfer erfaßten jedesmal sein ganzes Gemüth und regten ihn im Innersten auf. Bevor er die Messe las, war er ernsten Sinnes, nach derselben lächelte er heiter allen zu und sang froh mit den Brüdern das Kyrie eleison. Als er einmal am 30. October 1008 mit seinen Begleitern von dem nächtlichen Chorgebete sich in seine Wohnräume begab, sah er den Himmel offen und in der Oeffnung das hellste Licht erstrahlen.

Wie dies wunderbare Licht am dunkeln Himmel einer Octobernacht treten die guten und hellen Eigenschaften seines Charakters hervor bei seinem Ableben, das uns Thietmar ausführlich schildert. Nach der Rückkehr von Bamberg wollten der König und T. das Pfingstfest des Jahres 1012 zu Merseburg feiern, da fühlte sich der Erzbischof am frühen Morgen des Sonntags unwohl, so daß an seiner Statt Thietmar die Messe lesen mußte. T. schonte sich nicht, als er am nächsten Tage sich besser befand, und die Krankheit ergriff ihn bald mit voller Gewalt; er legte vor dem Abt Siegfried von Bergen und dem Bischof Erich die Beichte ab und entschloß sich, nach Magdeburg heimzureisen. Vor dem Aufbruch läßt er sich auf einer Tragbahre zum Lager des noch schlafenden Königs bringen und spricht, das todesmüde Haupt nur wenig vom Kissen erhebend, zu seinem Herrn rührende Worte des Dankes, fleht auf ihn die Vergeltung Gottes herab. Dann hört er noch die Messe und segnet die Anwesenden. Auf einem Schiffe fährt er dann Saale abwärts nach Giebichenstein, wo er am Samstage ausruht, um am nächsten Tage nach Rotenburg zu gelangen. Hier verlassen ihn am Montage vollends die Kräfte, er empfiehlt sich und die seinigen dem Dompropste Waltherd und geht freudig in ein besseres Jenseits hinüber, ein Fremdling auf dieser Erde, wie er sich selbst in dem auf eine andere Welt gerichteten Geiste seiner Zeit bezeichnet. Der Leichnam wird in Frohse mit den priesterlichen Gewändern geschmückt, dann nach Magdeburg gebracht und hier im Chore vor der von ihm erbauten und geweihten Krypta beigesetzt. Unter Erzbischof Roger (1119–1125) wurden seine und anderer Erzbischöfe Gebeine erhoben und unter dem h. Kreuz-Altar wieder beigesetzt. Mit T. war eine Säule der Kirche gesunken, wie Thietmar sagt, der ihm hohes Lob spendet und in warmherzigen Worten den Dank ausspricht, den er seinem Gönner schuldet. Aber auch andere sächsische und Magdeburger Chronisten erwähnen seiner mit aller Anerkennung. Vollends in Regensburg verehrten sie ihn fast wie einen Heiligen, da erzählten sie sich „daß noch sieben Jahre nach seiner Beerdigung Tagino’s Leichnam frisch und unversehrt gefunden wurde, während der seines Nachfolgers ganz verwest war“. Niemand aber wird des Erzbischofs Tod schmerzlicher und tiefer empfunden haben als das Königspaar, einen treueren Gehülfen hat Heinrich II. nicht mehr zur Seite gehabt.

[359] Arnoldi Liber de S. Emmerammo Mon. Germ. SS. 4. Bd., Othloni Vita Wolfkangi, ebenda. – Thietmari Chron. ed. F. Kurze.Ann. Magdeburg. SS. 16, 162 ff. – Gesta aep. Magdeburg. SS. 14, 393. – Chron. epp. Merseburg. SS. 10, 171 ff. – Pez, Thesaurus 1e, 109, No. 53.DD. O. III, 294, 351 in Mon. Germ. Diplomata tomus II.Ried, Cod. chronol.-dipl. episcopatus Ratisbonensis tomus I. – Magdeburger Todtenbuch hrsg. v. Ernst Dümmler in: Neue Mittheil. aus dem Gebiet hist.-antiqu. Forschungen 10, 259 ff. – Merseburger Todtenbuch ebenda 11, 223 ff. – Hirsch, Jahrbücher K. Heinrich’s II., 1. u. 2. Bd. – Giesebrecht, Gesch. d. deutschen Kaiserzeit, 2. Bd. – Riezler, Gesch. Baierns, 1. Bd. – Ferd. Janner, Gesch. d. Bischöfe von Regensburg, 1. Bd. – Ueber die angebliche Freisinger Abstammung Tagino’s, sein Vorsteheramt in Benedictbeuern und über die ihm von F. Kurze zugeschrieben Autorschaft einer von Thietmar benutzten Magdeburger Chronik vgl. Mittheil. d. Inst. f. österr. Geschichtsforschung 15, 130 ff. – Sagittarius, Hist. ducatus Magdeburg. in Boysen, Allgem. Magazin 1, 244 ff. – v. Mülverstedt, Regesta archiepiscopatus Magdeburg. 1, 198 ff. – Zeißberg, Die Kriege Heinrich’s II. mit Boleslaw I. v. Polen, in SB. d. Wiener Akademie, phil.-hist. Cl. 59, 265 ff. – Uhlirz, Geschichte des Erzbisthums Magdeburg unter den Kaisern aus sächs. Hause, S. 58, 114. – Hoffmann-Hertel, Gesch. d. Stadt Magdeburg 1. 43 ff. – Jacobs, Gesch. d. Provinz Sachsen, S. 68 ff.