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Artikel „Strehlke, Ernst“ von Max Perlbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 616–620, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Strehlke,_Ernst&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 09:07 Uhr UTC)
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Strehlke: Ernst Gottfried Wilhelm St. wurde am 27. September 1834 zu Berlin als zweiter Sohn des Professors des Kölnischen Gymnasiums [617] Friedrich St. und seiner Gattin Antonie geb. Weiß geboren. Als er vier Jahre alt war, wurde der Vater als Director an die Petrischule in Danzig berufen, und dieser Ortswechsel wurde für den Bildungsgang des Sohnes von der einschneidendsten Bedeutung, denn in Danzig trat er von seinem elften Lebensjahre ab, 1845, nachdem er bis dahin die vom Vater geleitete Schule besucht hatte, im Gymnasium dem Geschichtslehrer der Anstalt, Professor Hirsch, nahe, der in ihm Liebe und Interesse für die Geschichte im allgemeinen und ganz besonders für die Vergangenheit seiner zweiten Heimath, der Provinz Preußen, zu wecken wußte. Schon als Secundaner zog ihn Hirsch, dem vom Danziger Magistrat die Neuordnung des Danziger Stadtarchivs übertragen war, als Gehülfen zu dieser Arbeit heran. „Nicht leicht“, sagt Hirsch, der seinen Zögling und Freund zwölf Jahre überleben sollte, obwohl er dreißig Jahre älter war, in einem Nachruf, „hat sich Neigung und Beruf in einer mit nicht gewöhnlichen Geistesgaben ausgestatteten Natur so frühe und in so bestimmter Weise kundgegeben und entwickelt als bei dem Verewigten. Schon frühe als Schüler machte sich der Knabe durch seinen antiquarischen Sammeleifer bekannt und wachte mit Argusaugen in den Läden der Krämer und Trödler, daß unter den von unwissenden und unachtsamen Leuten an sie verkauften Schriften kein historisch oder antiquarisch bedeutsames Papier der Zerstörung anheim falle. Die Nachricht, daß in den aufgehobenen Pommerellischen Feldklöstern Zuckau und Karthaus bei der Nachlässigkeit der beaufsichtigenden Beamten die baulichen und schriftlichen Denkmäler der Habsucht und leichtsinnigen Zerstörungswuth der Umwohner preisgegeben seien, bestimmte den Vierzehn- und Fünfzehnjährigen zu wiederholten Fußreisen nach jenen Klöstern und ihrer Umgegend, um von dem noch Vorhandenen Einsicht zu nehmen, von Grabsteinen und solchen Architecturen, die nicht mehr zu retten waren, Nachbildungen anzufertigen und die entfremdeten Klosterpapiere aufzusuchen und in sichere Bewahrungsstätten zu bringen.“ „Eine so frühzeitige Richtung auf antiquarische Beschäftigungen“, fährt Hirsch fort, „trug allerdings die Gefahr in sich, daß sie in dem Vereinzelten und Kleinlichen ihre Befriedigung finden und einer höhern wissenschaftlichen Verwerthung des Gefundenen hinderlich entgegenstehen werde.“ In wohlbewußter Erkenntniß dieser Gefahr widmete St. seine Universitätsjahre in Berlin 1852–1856 vorherrschend allgemeinen Studien, philosophischen bei Trendelenburg und Werder, philologischen bei Boeckh, Geppert, Haupt, Hertz, historischen bei Curtius, Siegfried Hirsch, Köpke, Ranke, Wattenbach, germanistischen bei v. d. Hagen, Maßmann, juristischen bei Dirksen, Gneist, Helfferich, Homeyer, und geographischen bei Ritter „und legte von dem Resultate derselben sowohl in seiner 1854 mit dem Preise gekrönten Abhandlung: Gesta Henrici III imperatoris als auch in seiner Promotionsschrift de Henrici III imperatoris bellis Ungaricis 1856 erfreuliche Beweise ab“.

Während seiner Studienjahre versah St. den Posten des Amanuensis an der Bibliothek der kgl. Kriegsschule, leider aber entwickelten sich damals bereits die Anfänge des Lungenleidens, welches seinem Leben ein frühes Ziel setzen sollte, und bestimmten ihn, auf den Lehrerberuf, den er sich widmen wollte, zu verzichten. Schon als Student hatte seine litterarische Thätigkeit in den beiden Richtungen, denen vorzugsweise seine späteren Leistungen angehörten, mit kleineren Aufsätzen in dem „Organ für christliche Kunst“ und in den „Neuen preußischen Provinzialblättern“ begonnen. Um so freudiger ergriff er die sich jetzt darbietende Gelegenheit, seine vollen Kräfte einem unbeendet hinterlassenen Werke des königl. sächsischen Geheimen Regierungsraths Dr. Heinrich Wilhelm Schulz in Dresden über die Kunstdenkmäler des Mittelalters in [618] Unteritalien zu widmen, für dessen Herausgabe der zunächst damit betraute Geheimrath v. Quast Hülfe suchte. Es galt die Herstellung des eigentlichen Textes aus etwa 160 Reisetagebüchern, mit undeutlichen Zügen, zum Theil nur in Blei geschrieben, oft ohne Orts- und andere bestimmende Angaben, aus zahlreichen Excerpten gedruckter Litteratur und aus einer großen Anzahl von Abschriften und Auszügen werthvoller, unbenutzter Urkunden aus dem neapolitanischen Hauptstaats- und anderen italienischen Archiven. Von dem eigentlichen Werke selbst hatten sich nur vier Bogen ausgearbeiteter Text und nicht weniger als 17 Redactionsentwürfe zu einer Vorrede gefunden. Die weitschichtigste Benutzung der Königlichen Bibliothek in Berlin, sowie der von H. W. Schulz hinterlassenen bei dessen Bruder, Dr. Karl Wilhelm Schulz, welcher die sehr bedeutenden Kosten des ganzen Unternehmens trug, waren die nächste Folge. „Hierdurch kam ich jedoch noch“, erzählt St. selbst im Vorwort, „auf so zahlreiche verwandte Nachrichten, daß ich beschloß, die mir gestellte Aufgabe zu erweitern und meine Bemühungen dahin gehen zu lassen, aus dem gesammten mir zugänglichen, ungedruckten wie gedruckten Material eine soweit als möglich abschließende Uebersicht und Erläuterung der mittelalterlichen Kunstwerke in den genannten Landen zusammen zu bringen.“ Da ein Briefwechsel mit v. Quast und Dr. Schulz nicht alles zu erledigen vermochte, so wurde nach Beendigung jedes größeren Abschnittes mit dem Letztern, der die Herausgabe des artistischen Theiles übernommen hatte, eine genaue Revision und Besprechung des so gewonnenen Textes vorgenommen. Die Auswahl und Kritik des aus 484 Documenten bestehenden beizugebenden Urkundenbuchs wurde von St. allein besorgt, auch eine Anzahl der Zeichnungen für die in den Textbänden eingedruckten Holzschnitte rührt von ihm her. Dennoch fehlt Strehlke’s Name auf dem Titelblatt des Ostern 1860 erschienenen Werkes, dem er sich während der Jahre 1856–1860 mit jugendlicher Begeisterung gewidmet hatte: „Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien von Heinrich Wilhelm Schulz. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Ferdinand von Quast“ (Dresden 1860, 4 Bände Text und Urkundenbuch in gr. 4°, nebst Atlas von 100 Kupfertafeln in größtem Folio); die Zusätze, welche von Strehlke’s Redaction herrühren, sind in den Textbänden durch Klammern kenntlich gemacht. „Wenn er“, sagt Th. Hirsch am angezogenen Orte, „nach Beendigung des abgeschlossenen Werkes seine Thätigkeit von den Herausgebern nicht in dem Maße, als er dazu berechtigt zu sein glaubte, anerkannt sah, so würde er bei der warmen Liebe, die er für seinen Beruf und seine Wissenschaft im Herzen trug, die Kränkung leicht verschmerzt haben, wenn nicht sein schon früh entwickeltes, während dieser Jahre aber in bedenklichster Weise hervorgetretenes Brustübel bei andauernden körperlichen Leiden, auch eine stärkere Empfindlichkeit für äußere Störungen jener Art in ihm hervorgerufen hätte.“

Mit dem Jahre 1860 war St. bei dem Königlichen Geheimen Staatsarchive in Berlin eingetreten, zum Herbst 1861 wurde ihm die erledigte Stelle des Geheimen Archivsecretärs übertragen. Ursprünglich vornehmlich zur Anlegung Märkischer Regesten für das 13. Jahrhundert bis zu Ende der anhaltinischen Periode berufen, gelang es ihm auch hier bald trotz vielerlei erschwerender Bedingungen eine sehr fruchtbare Thätigkeit zu entwickeln. Was er für die umgestaltende Neuordnung der ältesten Urkundenschätze des Geheimen Staatsarchivs geleistet, gereicht demselben nach dem Urtheil eines Fachmannes zu bleibendem Nutzen; daneben vollführte er auch eine mustergültige Repertorisirung der Urkunden des Oberpräsidiums zu Posen, aus denen das Staatsarchiv zu Posen hervorgegangen ist. Aber Strehlke’s bleibende [619] Bedeutung beruht in seinen Arbeiten auf dem Gebiete der preußischen Provinzialgeschichte, auf seinem Antheil an der Herausgabe der Geschichtsquellen für das Ordensland Preußen, in der Sammlung der „Scriptores rerum Prussicarum“ (5 Bände, Leipzig 1861–1874). „Während der fünfziger Jahre“, erzählt Hirsch in dem schon angezogenen Nachruf, „hatten zunächst Töppens erste Versuche, die Bedeutung und den Werth der Preußischen Chroniken nach wissenschaftlich kritischer Methode festzustellen, sodann aber auch die namentlich von Danzig her der Provinzialgeschichte neu eröffneten Quellen auf dem Gebiete derselben ein reges Leben hervorgerufen, zahlreiche neue Arbeiter und Freunde derselben zugeführt. Da stellte es sich als das nächste Bedürfniß heraus, diese Quellenschriften, welchen sich die allgemeine Aufmerksamkeit zuwandte, in einer vollständigen Sammlung, in möglichst ursprünglicher Gestalt und zugleich dem Verständnisse unserer Zeit möglichst nahe gebracht, der Oeffentlichkeit zu übergeben. Wir beide [Hirsch und Töppen], die wir gleich Strehlke aus innerer Neigung oder äußerer Berufspflicht an jener Bewegung uns aufs Lebhafteste betheiligt hatten, glaubten uns gleich ihm der Mahnung, jenem Bedürfnisse abzuhelfen, nicht verschließen zu dürfen. Dieses gleichartige Interesse führte uns bei einer zufälligen Zusammenkunft am Säcularfeste des Danziger Gymnasiums (13. Juni 1858) zu dem Entschlusse, das Werk gemeinsam nach festbestimmten Grundsätzen zur Ausführung zu bringen. Was wir diesem Plane gemäß bis jetzt (Ende 1869) geschaffen haben, liegt in vier Bänden der Beurtheilung vor. Wenn die öffentliche Meinung denselben bisher ihre Anerkennung nicht versagt hat, so fühlen wir, die Zurückgebliebenen, um so mehr uns verpflichtet, den Antheil, der dem Verewigten daran gebührt, zum Ausdrucke zu bringen. Die Pflichten, die er dabei bethätigte, waren nicht nur die des treuen Arbeiters, der dem Zustandebringen des übernommenen Antheils seine volle Kraft und die äußerste Sorgfalt zuwandte, sondern auch die des gewissenhaften Collegen, welcher bemüht dem ganzen Werke ein einheitliches Gepräge zu geben, auch der Thätigkeit seiner Mitarbeiter die lebendigste Aufmerksamkeit schenkte und keine Mühe scheute, durch Aufsuchung ergänzender Notizen oder entlegener litterarischer Hülfsmittel auf die Förderung derselben hinzuwirken. Wie es jedoch das sittliche Moment ist, welches dem geistigen Schaffen das Gepräge wahren Adels ausdrückt, so war es vor allem die reine Begeisterung für den Gegenstand, welche ihn erwärmte, die aufopfernde Hingebung, welche den mit ihm zu einem gleichen Ziele Zusammenwirkenden zu so hoher, freudiger Ermuthigung diente. In der That fühlte man sich in nicht geringem Maße gehoben, wenn man auf den Leidenden blickte, dessen Körperkraft schon durch die Erfüllung der Berufspflichten als Archivsecretär in hohem Grade erschöpft wurde, und der dennoch in der Regel nach vollbrachter Amtsthätigkeit für Preußische Studien in ausgedehntestem Umfange, für die eigenen Arbeiten und die Arbeiten der zahlreichen, Rath suchenden Freunde Herz und Sinn, Arbeitslust und Arbeitskraft offen behielt.“

St. bearbeitete im ersten Bande der Scriptores rerum Prussicarum die bis dahin nur bruchstückweise gedruckte deutsche Reimchronik des Nicolaus von Jeroschin, gab im zweiten Bande die von ihm im Danziger Stadtarchiv gefundene livländische Chronik des Hermann von Wartberge, im dritten die ebenfalls neu entdeckten Thorner Annalen in Verbindung mit der Chronik Johann’s v. Posilge und Detmar’s lübischer Chronik heraus; der vierte, erst nach seinem Tode erschienene Band brachte die Banderia Prutenorum des Johannes Dlugoß, der fünfte Aufzeichnungen zur Geschichte des Bisthums Pomesanien. Alle diese Ausgaben stehen auf der Höhe philologisch-historischer Editionsthätigkeit. [620] Nur ein selbständiges größeres Buch, ein Urkundenbuch zur Geschichte des Deutschen Ordens („Tabulae ordinis Theutonici“, Berlin 1869) trägt Strehlke’s Namen, auch dieses wurde erst nach seinem Tode fertig, Philipp Jaffé legte die letzte Hand daran.

Ein wiederholter Aufenthalt im Süden, am Genfer See, konnte Str.’s Leiden nicht zum Stillstand bringen, am 23. März 1869 erlag er demselben in Berlin. Er war unvermählt geblieben; wie warm sein Herz, neben der Begeisterung für seine Wissenschaft, für Naturschönheit und menschliche Anmuth schlug, beweist ein als Manuscript gedrucktes, nur für seine Freunde bestimmtes Bändchen Gedichte, die mehr als dilettantische Formgewandheit zeigen.

Nachruf von A. v. Mülverstedt im Königlich Preußischen Staatsanzeiger 1869, Nr. 84 vom 10. April, besondere Beilage. – Nachruf von Hirsch und Töppen im 4. Bande der Scriptores rerum Prussicarum 1870, S. V bis VIII. – Curriculum vitae in Strehlke’s Dissertation (siehe oben), Berlin 1856. – Ein Verzeichniß seiner Schriften (70 Nummern) habe ich in Band 39 der Altpreußischen Monatsschrift zusammengestellt.