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Artikel „Strehlke, Friedrich“ von Otto Pniower in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 620–622, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Strehlke,_Friedrich&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 05:32 Uhr UTC)
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Strehlke: Friedrich St., geboren am 8. März 1825 in Danzig, † am 1. Februar 1896 in Berlin, Schulmann und Litterarhistoriker. Nachdem er in Berlin 1843–46 Philologie studirt hatte, wurde er Lehrer am Gymnasium seiner Vaterstadt, später (1864) Director des Gymnasiums in Marienburg in Westpreußen; 1878 Leiter einer Doppelanstalt in Thorn, die aus einem Gymnasium und einer Realschule erster Ordnung bestand. Als Litterarhistoriker bethätigte er sich hauptsächlich auf dem Gebiete der deutschen Poesie, insbesondere derjenigen Goethe’s. Zuerst wandte er sich dem siebzehnten Jahrhundert zu. Mit einer Monographie über „Martin Opitz“, die er 1856 (Leipzig) veröffentlichte, verdiente er sich die Sporen. Allerdings blieb er hinter der Lösung der Aufgabe, die eine mit der Lebensbeschreibung des Dichters verbundene Charakteristik bieten soll, beträchtlich zurück. Man vermißt ein tieferes Erfassen der Persönlichkeit des interessanten Schlesiers ebenso wie ein Bild der Zeit und der Umwelt, in der er wirkte. – Noch einmal betrat er das Gebiet des siebzehnten Jahrhunderts und hier zugleich als Schulmann, indem er 1877 (Berlin) für Unterrichtszwecke eine Sammlung ausgewählter Dramen Pierre Corneille’s herausgab. Sie enthielt den „Cid“, „Horace“, „Cinna“ und „Polyeucte“. Eine allgemeine Einleitung gibt einen kurzen Abriß des Lebens des Dichters und eine Uebersicht über seine Werke, während besondere Einführungen zu den einzelnen Dramen über ihre Entstehung und die Absichten des Schöpfers Auskunft geben. Unter dem Text werden einzelne Stellen erläutert. Schon hier zeigt sich Strehlke’s bibliographische Neigung und ein besonderes Interesse für die Textgeschichte.

Diese Arbeiten bestimmen jedoch nicht die Stellung, die St. in der Geschichte der Wissenschaft erlangt hat. Natürlich auch nicht eine gelehrte Spielerei, die er gegen das Ende seiner Laufbahn unter dem Titel „Deutsche Lieder in lateinischer Uebersetzung“ (Berlin 1885) erscheinen ließ. Das Büchlein bietet eine Reihe der bekanntesten Gedichte von Goethe, Schiller, Uhland u. A. in der Sprache des Horaz, wobei die Form der Originale aufs genaueste beobachtet wird. Eine gewisse Gewandtheit darf man dem Kunststück wohl nachrühmen. Jene Stellung beruht vielmehr auf seinen Beiträgen zur Goetheforschung. In ihr hat die Hempel’sche Ausgabe der Werke des Dichters (benannt nach dem rührigen Verleger und 1868–79 erschienen) Epoche gemacht. St. hat an der Edition zunächst quantitativ einen Hauptantheil gehabt. [621] Von den sechsunddreißig Bänden bearbeitete er fünfzehn. Und wenn auch seine Leistung nicht diejenigen seiner besten Mitarbeiter v. Loeper’s, Kalischer’s und J. H. Düntzer’s erreichte, so muß man doch anerkennen, daß er durch seine Thätigkeit daran zur Begründung der methodischen und wissenschaftlichen Erforschung unseres größten Dichters beigetragen hat. Er hatte ein Auge für die stilistische Persönlichkeit und beachtete in einer in Anbetracht des damaligen Standes der Beschäftigung mit Goethe lobenswerthen Weise das sprachliche, während ihm freilich die nicht minder nothwendige Fähigkeit, ein Kunstwerk zu charakterisiren, die dichterischen Intentionen hervorzuheben in geringem Maße eigen war. Jener Sinn fürs Sprachliche aber bewirkte, daß er beispielsweise eine Dichtung wie die „Pandora“ mit ihrem tönereichen Stil und ihrer Pracht der Diction förderlich erläuterte. Auch trieb er ihn dazu, dem ersten Geschäft des Herausgebers, der eigentlichen Voraussetzung einer wissenschaftlichen Edition: der Textgestaltung besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auch das bedeutete damals bei der Veröffentlichung der Werke eines modernen Dichters nicht wenig. Wie er dabei im einzelnen verfuhr, zeigte er in der im J. 1873 erschienenen kleinen Schrift „Zur Textkritik von Goethe’s Werken“, in der er eine Geschichte des Textes der vom Dichter übersetzten Memoiren Benvenuto Cellini’s gab. Er hatte sie in der Hempel’schen Ausgabe edirt und wies nun an den Mängeln einer 1868 bei Cotta erschienenen, ohne kritische Berücksichtigung hergestellten Ausgabe die Ergebnisse nach, die aus seiner sorgfältigen Beachtung der im Laufe der verschiedenen Auflagen eingetretenen Veränderungen resultirten. Er handhabte dabei mit Geschick das Rüstzeug des Philologen, der dem Ziele zustrebt, das wahre Gesicht seines Autors zu zeigen, d. h. ihm zu dem Rechte des eigenen Wortes zu verhelfen. Ob dabei die Grundlage seiner Auffassung richtig war oder nicht, kommt jetzt um so weniger in Betracht, als inzwischen die Behandlung der Textgeschichte von Goethe’s Werken auf eine neue Basis gestellt ist. – Von geringerer Bedeutung war ein 1870 erschienenes Marienburger Programm „Ueber Goethes ‚Elpenor‘ und ‚Achillëis‘“. In ihm wird das Problem, auf das es ankam: wie die Fragmente gebliebenen Dichtungen im Sinne des Schöpfers weiter zu denken sind, nicht gefördert. Die Behandlung des Epos bleibt ganz an der Oberfläche, inbezug auf das Drama wird nur über die von verschiedenen Seiten unternommenen Versuche der Fortführung referirt.

Wirklich verdienstlich war dagegen und ist heute noch die von St. veranstaltete Sammlung „Goethe’s Briefe“, 2 Theile (Berlin 1882–84). Das Buch gibt ein Verzeichniß aller Briefe des Dichters, die nach den alphabetisch geordneten Empfängern aufgezählt sind. Jeder Correspondent hat eine kurze Biographie erhalten, deren Kern die Darstellung der Beziehungen zu Goethe bildet. Datum und Anfang eines jeden Schreibens werden notirt. Auch wird angegeben, wo es bisher gedruckt ist. Nicht wenige bis dahin unbekannte werden mitgetheilt, wichtigere verborgene neu veröffentlicht, oder es wird von ihnen eine kurze Inhaltsangabe geboten. Am Schluß gruppirt St. noch die Briefe nach dem Stand oder dem entscheidenden Thätigkeitsgebiet der Empfänger und sucht in einer zusammenfassenden Betrachtung die Gesammtresultate der Publication zu geben. Hier zeigt er nun aber wieder, daß die Synthese nicht seine Sache war. Kahl und nüchtern wird dieses unendlich fruchtbare Thema mehr registrirt als behandelt. Ein chronologisches, sehr nützliches Verzeichniß sämmtlicher Briefe, das die Verlagshandlung anfertigen ließ, bildete eine Art Anhang zum Ganzen, das zum Handwerkszeug für den Goetheforscher geworden ist und die wichtigste Vorarbeit für das Briefcorpus der Weimarer Ausgabe von Goethe’s Werken bildete. Für dieses Corpus gab [622] St. übrigens den dritten Band heraus (1888), während er den vierten (1889) nur zugerüstet hatte.

Eine 1886–1888 erschienene, von ihm besorgte Ausgabe von Goethe’s Gedichten mit Commentar in drei Bänden bezeichnete keinen Fortschritt gegenüber den vorhandenen und blieb ohne alle Wirkung in der Wissenschaft.

Strehlke’s letzte Schriften, die beide 1891 (Stuttgart) erschienen, galten Goethe’s „Faust“. Die eine, „Paralipomena zu Goethes Faust“ betitelt, ist eine Sammlung der so zahlreichen Entwürfe, Skizzen, Vorarbeiten und Fragmente zum Drama. Sie bot nicht viel mehr als eine Wiederholung der im vierzehnten und fünfzehnten Bande der Weimarer Ausgabe publicirten Materialien. Nur durch eine zum Theil neue Anordnung der Stücke und durch die Beigabe von Erläuterungen, die dort nicht gegeben werden konnten, wich sie von dieser Edition ab. Dieser Commentar aber ist sehr dürftig. Auch textlich zeigte der Abdruck keine wesentlichen Verbesserungen. Die zweite Schrift ist ein „Wörterbuch zu Goethe’s Faust“. Es ist einmal ein sprachliches Lexikon, das die charakteristischen Worte der einzigen Dichtung verzeichnet und deutet, dann aber auch ein Lexikon der Realien, indem es Gestalten wie die „Mütter“, den „Erdgeist“, „Homunculus“, [„Mephisto“] erklärt, daneben jedoch auch Erscheinungen wie Metrik, Zusammensetzungen, Stabreim u. dgl. behandelt, d. h. also im Grunde ein alphabetisch disponirter Commentar. Als sprachliches Lexikon ist es weder lückenlos, wie Erich Schmidt in einer Recension des Buches im „Anzeiger für deutsches Alterthum“ 1894 gezeigt hat, noch erfüllt es die tieferen Bedürfnisse der Wortexegese. Lediglich als erster Versuch, als Verzeichniß behält es seinen Werth. Nicht minder ließ der Commentar, die Erörterung der Realien, zu wünschen übrig.

So habe ich an fast allen Arbeiten Strehlke’s Schwächen zu constatiren. Trotzdem hat er um die wissenschaftliche Ergründung der Goethischen Persönlichkeit Verdienste. Er war mehr ein Vorarbeiter als ein selbst Gestaltender. Philologisch ausgedrückt besaß er mehr die recensio als die interpretatio. Aber indem seine Wirksamkeit in eine Zeit fiel, da sich die Beschäftigung mit Goethe von dilettantischer Behandlungesweise zu einem fachmäßigen Betrieb erhob und indem er die in der classischen Philologie erlernte Technik auf die Erforschung der Werke des Dichters anwandte, hat er seine Erkenntniß fördern helfen und sich dadurch mittelbar der wissenschaftlichen Betrachtung der modernen Litteratur überhaupt nützlich erwiesen.

Vgl. den vom Verf. herrührenden Nachruf im Biographischen Jahrbuch und Deutschen Nekrolog 1896, S. 319 ff. Er wurde für diese Biographie begreiflicher Weise benutzt.