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Artikel „Silvester II.“ von Karl Schulteß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 330–342, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Silvester_II.&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 01:09 Uhr UTC)
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Silvester II.: Gerbert (oder Girbert) wurde vor dem Jahre 950 in Aquitanien geboren und schon in frühester Jugend von seinen Eltern in das Benedictinerkloster zu Aurillac in der Auvergne gebracht. Noch jetzt stehen die Gebäude und die Kirche des alten St. Geroldsklosters, und in der Stadt erinnert eine Bronzestatue von P. J. David daran, daß der erste französische Papst hier seine Erziehung genoß. Der Abt Gerald und der Bruder Raimund nahmen sich des anvertrauten Knaben mit Liebe an, und in späteren Jahren spricht Gerbert mit dankbarer Verehrung von dem Abte, der ihm ein wahrer Vater geworden war, und von dem Lehrer, welchem er nächst Gott all sein Wissen verdanke. Hier erhielt er den ersten Unterricht und vertiefte sich in das Studium römischer Schriftsteller; von den mathematischen Fächern dagegen gab es in französischen Klöstern damals wenig zu lernen, weshalb Gerald und Raimund ihren fähigen Schüler zur weiteren Ausbildung fortziehen ließen.

Sie vertrauten ihn i. J. 967 oder 968 dem Markgrafen Borell (Borrell) von Barcelona an, in dessen Gefolge er in die spanische Mark reiste, wo wegen der Nähe der westarabischen Reiche das Studium der Mathematik größeres Interesse [331] fand, als in den übrigen christlichen Ländern. Von einer Reise Gerbert’s nach Cordova, der glänzenden Hauptstadt Abd-Arrhaman’s III. und Al-Hakam’s II. spricht das (übrigens stark interpolierte) Chronikon Ademar’s von Chabannes († 1029), doch hat dieser übertreibend mit Cordova das ganze Land südlich von den Pyrenäen bezeichnet. In Gerbert’s Briefen und den gleichzeitigen Schriften Richer’s ist von einem directen Verkehr mit den Arabern keine Rede, sondern er lebte und lernte mehrere Jahre unter dem Schutze des Bischofs Hatto von Ausa (jetzt Vich), bis dieser im Herbst d. J. 970 sich mit ihm und dem Markgrafen Borrell nach Rom begab. Dort wurde der Papst Johann XIII. auf Gerbert’s ungewöhnliches Wissen aufmerksam und empfahl ihn, brieflich an K. Otto den Großen. So kam er zum ersten Male an den Hof des Kaisers, der während d. J. 971 in Perugia, Pavia und Ravenna verweilte; er gab hier mathematischen Unterricht, bis Otto ihm gestattete, zur Erweiterung seiner philosophischen Kenntnisse mit dem Archidiakonus Garamnus im April 972 nach Reims zu gehen. Bald hatte er auch bei diesem ausgelernt und nun durch seine Studien in Aurillac, Vich und Reims sich alles angeeignet, was das Mittelalter unter dem Namen der 7 freien Künste als den Inbegriff der Bildung betrachtete. Um sie zu vertiefen und zu erweitern ist er später unablässig bemüht, sich durch Kauf oder Tausch die Werke römischer Schriftsteller zu verschaffen, die fast vergessen in fremden Bibliotheken lagen. Auch in der französischen Stadt Reims bleibt Gerbert im Zusammenhange mit Otto I., denn der Erzbischof Adalbero war dem Kaiserhause verwandt und zugethan. Er überträgt ihm bald den Unterricht an der Stiftsschule in der Stadt, welche unter des Erzbischofs eigener Oberleitung stand. Während Gerbert’s zehnjähriger Thätigkeit (972–982) kam sie schnell zu Blüthe und Ansehen, und viele Geistliche, die aus ihr hervorgegangen waren, gelangten zu hohen Würden. Selbst Herzog Hugo Capet, der spätere König übertrug ihm den Unterricht seines Sohnes und Nachfolgers Robert.

Ein Mönch im Remigiuskloster vor der Stadt Reims, Gerbert’s Schüler Richer, hat im 3. Buche seiner Historien (Cap. 46–54) einen Ueberblick über den von ihm befolgten Lehrplan gegeben. Wir ersehen daraus, daß Gerbert den Unterricht in den „7 freien Künsten“ mit einer gewissen Gründlichkeit wieder einführte und sich selbst der Disciplinen annahm, welche besonders schwierig oder weniger bekannt waren. Was zunächst das Trivium, die 3 sprachlichen Fächer anbetrifft, so überließ er die Grammatik und die praktischen Uebungen in der Rhetorik anderen Lehrern, verfaßte jedoch später, im Herbst 986, eine Uebersicht der wichtigsten Regeln in Tabellenform als bequemes Lehrmittel (Brief 92). Er selbst lehrte Dialektik, indem er die darauf bezüglichen Schriften des Aristoteles in der Uebersetzung des Boëthius erklärte, außerdem las er zur Weiterführung des grammatischen Unterrichts und als Vorschule für rhetorische Uebungen die bekanntesten lateinischen Dichter, vor allem den Vergil.

Besonderen Eifer verwandte er auf das Quadrivium, die 4 damals weniger bekannten mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer. In der Musik erklärte er die Grundgesetze an dem schon von Boethius ausführlich besprochenen Monochord; mit eigentlichem Gesangunterricht beschäftigt sich die höhere Schule nicht, doch erkannte G. später mit praktischem Sinn die Wichtigkeit der Orgel für den Kirchengesang. Deshalb versprach er nach seinem Aufenthalt in Italien den Brüdern in Aurillac eine solche und regte seinen Freund Constantin zur Abfassung eines Buches über Orgelspiel an. Die Lehren der Astronomie, deren der Geistliche zur Berechnung des Osterfestes bedarf, macht er an Sphären verständlich, die er nach den Angaben der Alten construirte. Eine von diesen hat er selbst in einem Briefe an Constantin (bei Olleris S. 479–80) beschrieben, während Richer noch 4 andere schildert. Die letzte von diesen zeigte die Sternbilder [332] am Himmelsgewölbe: man benutzte sie, um mit Hülfe der bekannten Sterne die unbekannten bei Nacht aufzusuchen, doch konnte man auch nach der Stellung der Sternbilder die Stunden bei Nacht bestimmen. Hieraus ist wohl Thietmar’s Angabe (VI, 61) zu erklären, daß G. (i. J. 997) in Magdeburg eine Uhr aufgestellt habe. Eigenthümlich ist unserm Gerbert, daß er für das praktische Rechnen nach dem Vorbilde der Alten eine Rechentafel benutzte und über ihren Gebrauch ein besonderes Buch verfaßte (regula de abaco computi). In seinen letzten Lebensjahren schrieb er noch ein besonderes Büchlein über das Dividiren (libellus de numerorum divisione). Von der damals sogenannten Arithmetik und von dem, was wir unter Geometrie verstehen, erwähnt Richer aus Gerbert’s Lehrerzeit nichts. Erst nach seinem Aufenthalt in Bobbio (i. J. 983) verfaßte dieser mit Benutzung der in Italien gefundenen Schriften der römischen Feldmesser (Codex Arcerianus, seit 1815 in Wolfenbüttel) sein Buch über Geometrie, das dem praktischen Gebrauche der Feldmesser dienen soll und die Sätze deshalb ohne Beweise hinstellt.

Eine Fachbildung für den späteren Beruf bietet Gerbert’s Schule in Reims nicht: zum Studium der Medicin reiste sein Schüler Richer nach Chartres, und wenn G. auch die Bibel, die Kirchenväter und das Kirchenrecht trefflich kannte, so hat er doch keine Lehrvorträge darüber gehalten. Wohl aber legte ihm seine Stellung als Leiter der Stiftsschule (scholasticus) die Pflicht auf, Briefe und Urkunden für den Erzbischof mustergültig abzufassen, und dadurch wurde er in die Staatsgeschäfte eingeführt.

Sechs Jahre nach Gerbert’s Ankunft in Reims (im J. 978) überfiel der französische König Lothar den Kaiser Otto II. unerwartet in Aachen. Als darauf der Kaiser gegen Paris zog, fand er im Reimser Gebiet und bei Adalbero Unterstützung. Dieser und Gerbert besuchten ihn denn auch nach dem Friedensschlusse i. J. 981 in Oberitalien und begleiteten den kaiserlichen Hof von Pavia nach Ravenna, wo Otto II. Gerbert’s Schlagfertigkeit auf eine harte Probe stellte. Er gestattete dem sächsischen Gelehrten Othrik, mit ihm eine Disputation über die Eintheilung der Wissenschaften zu beginnen, da Othrik ihn als einen Ignoranten bezeichnet hatte. „Fast einen ganzen Tag hörte der Hof dem gelehrten Wortstreit zu, bis der Kaiser schließlich der Sache ein Ende machte.“ G. war mit Ehren daraus hervorgegangen: zwar zunächst kehrt er mit seinem Erzbischof in die alte Stellung nach Reims zurück, doch nach Jahresfrist berief ihn Otto II. durch ein eigenhändiges Schreiben als Abt nach dem reichen Kloster Bobbio im Ligurischen Apennin. Wegen seiner schweren Niederlage in Unteritalien (982) mußte der Kaiser alle Kräfte zusammenfassen und wichtige Aemter an zuverlässige Leute geben. Er setzte den Abt Petroald wegen seiner Mißregierung ab und ließ G. den Eid der Treue schwören; aber dieser fand in der einst so reichen Abtei drückenden Mangel. Und dabei sollte er dem Kaiser eine Stütze gegen die widerwilligen Italiener sein, die Günstlinge seiner Gönner mit Lehen ausstatten und seinen eignen Verwandten und Freunden aus Frankreich weiterhelfen. Einen Einblick in alle diese Bedrängnisse gewähren uns seine Briefe, deren Concepte er seit dieser Zeit theilweise aufbewahrt hat, und welche von nun an bis zum Jahre 997 die besten Nachrichten über sein Leben bieten. Seinen begründeten Klagen und Beschwerden trug der Kaiser bei einer Zusammenkunft zu Mantua (im Juni 983) Rechnung, doch fand er selbst nicht mehr überall Gehorsam und bei seinem Tode (7. December 983) stand Gerbert ohne Rath und Schutz im aufgeregten Italien. Auch der Papst Johann XIV. kann ihm nicht beistehen; so setzt er seinen Vorgänger Petroald als Stellvertreter ein und verabredet mit der Kaiserin-Wittwe Theophano, daß er sie am 1. December 984 in Rom wieder treffen wolle. Fürs erste geht er nach Reims zurück, wo er auf französischem [333] Gebiete dem Sohne seines Kaisers bessere Dienste leistete, als er es auf dem verlorenen Posten in Bobbio gekonnt hätte. Die Möglichkeit einer Rückkehr dahin hält er sich noch offen und läßt sich am 1. October 998 noch als Erzbischof von Ravenna den Besitz von Bobbio bestätigen. Erst nach seiner Papstwahl wurde sein Vorgänger Petroald am 3. November 999 wieder zum Abt von Bobbio ernannt. (Die Echtheit der Urkunden bei Stumpf 1168 und 1202 ist zweifelhaft.)

Außer den praktischen Erfahrungen verdankte Gerbert seinem Aufenthalt in Bobbio eine wesentliche Bereicherung seiner Bibliothek sowie seiner Kenntnisse in der Geometrie und Astronomie, und machte diese durch Schriften und persönliche Anregung für die Schule nutzbar. Seine volle Lehrthätigkeit scheint er nicht wieder aufgenommen zu haben, denn der gewandte kaiserliche Abt konnte dem Erzbischof in der Kanzlei mehr nützen, als auf dem Katheder in der Schule. Allmählich wird er ihm ein unentbehrlicher Gehülfe, und in den 15 Jahren gemeinsamer Arbeit (von 972–983. 984–989) bestand zwischen ihnen stets ein volles Einverständniß, so daß Gerbert selbst sagt, sie wären ein Herz und eine Seele gewesen. Die politisch so wichtigen Briefe aus der Zeit von Anfang 984 bis zu Adalbero’s Tode am 23. Januar 989, sind vielfach in dessen Namen und Auftrag geschrieben, wobei Gerbert nicht etwa nur die ihm angegebenen Gedanken zu formulieren hatte. So haben auch beide gemeinsam dem Kaisersohne in dessen frühester Kindheit beigestanden.

Otto III. war am Weihnachtstage 983 zu Aachen gekrönt, und als gleich darauf die Nachricht vom Tode seines Vaters eintraf, war sein Nachfolgerecht unbestritten, aber die Frage der Vormundschaft bedurfte der Entscheidung. Für diese konnten von seinen Verwandten in Betracht kommen erstens seine Mutter Theophano, die bei aller männlichen Energie sich doch nie recht als Deutsche fühlen lernte, zweitens Heinrich von Baiern als Otto’s II. Vetter väterlicherseits, von dem er wegen einer Empörung gefangengesetzt war, drittens hielt sich für berufen der französische König Lothar als Otto’s II. Schwager mütterlicherseits, doch waren bei ihm nach dem Feldzuge d. J. 978 eigennützige Pläne zu befürchten. Wir können es begreifen, daß auch treue Anhänger des verstorbenen Kaisers dem deutschen Manne vor der griechischen Frau den Vorzug gaben und für die Vormundschaft Heinrich’s eintraten, so lange dieser nicht mehr verlangte, als die Vormundschaft. Als aber zu Ostern 984 Heinrich’s Anhänger diesen als König ausriefen, mußten der Erzbischof Willigis und die anderen Freunde des Kaisers in Deutschland durch Unterstützung der Theophano Otto III. die Krone erhalten. Um dasselbe Ziel in Lothringen zu erreichen, bitten Adalbero und Gerbert den König Lothar um Hülfe, und dieser verlangt dafür als Sicherheit und Lohn die Vormundschaft, wir wissen nicht, ob für das ganze Reich oder nur für Lothringen. Er übernimmt als Heinrich’s Gegner die vormundschaftliche Regierung in Lothringen, und sein Bruder, der Herzog Karl von Niederlothringen erklärt sich offen für Otto III. und Lothar. Darum greift ihn der Bischof Theoderich von Metz heftig an, und Gerbert hat, von beiden Parteien umworben, erst in Karl’s Namen den groben Angriff Theoderich’s mit scharfen Worten zurückgewiesen, bald nachher aber sucht er den alten Theoderich wieder zu begütigen. Auch Theoderich’s Brief ist in seiner Sammlung (Brief 31) überliefert, doch hat ihn Gerbert natürlich nicht selbst verfaßt, sondern ihn nur zur Beantwortung erhalten. Auch sonst ist Gerbert mit Erfolg bemüht, Herzog Heinrich’s Anhang in Lothringen zu bekämpfen und zu gewinnen, und dieser Rückgang seiner Macht nöthigt ihn, am 29. Juni 984 den jungen König an Theophano auszuliefern. Mit beredten Worten hatte Gerbert im Juni 984 an Willigis geschrieben (Brief 34): „Des Kaisers beraubt, sind wir eine Beute der Feinde. Der Kaiser, so glaubten wir, [334] lebe in seinem Sohne fort. O, wer hat ihn verrathen, wer uns die andere Sonne entrissen? Das Lamm hätte man der Mutter, nicht dem Wolfe anvertrauen müssen!“ Jetzt, da des Kaisers Noth ein Ende hat, denkt er wieder in seinen Dienst zu treten, aber der Friede war nur trügerisch gewesen. Weder Lothar noch Heinrich sind mit dem Verlauf der Dinge zufrieden, denn jener hatte auf Lothringen, dieser auf Baiern gerechnet. Lothar verabredete mit Heinrich auf den 1. Februar 985 eine Zusammenkunft in Deutsch-Breisach, doch Gerbert warnte durch einen geheimen Brief (39), dessen Concept er der Vorsicht halber in italienischer Kurzschrift aufbewahrte, Notker von Lüttich und die andern Fürsten vor Lothar’s Rüstungen, und um nicht durch den Anschluß an Frankreich allen Anhang in Deutschland zu verlieren, findet sich Heinrich nicht in Breisach ein. Lothar jedoch hat einmal seine Absichten enthüllt und greift nun auf dem Rückzuge die lothringische Festung Verdun an, die er zur Uebergabe nöthigt. Bei dem Versuche, sie wieder zu gewinnen geräth Graf Gottfried von Verdun, Erzbischof Adalbero’s Bruder, in französische Gefangenschaft, und Adalbero selbst wird förmlich der Untreue gegen Lothar angeklagt, sein Briefwechsel wird überwacht, und seine Truppen müssen mit denen des französischen Königs Verdun besetzen. Gerbert selbst behält seine Freiheit und darf sogar die Gefangenen am 31. März 985 besuchen, aber er benutzt seine Vermittlerrolle, um die Gefangenen zu trösten und zum Ausharren zu ermuntern, und bringt einen Waffenstillstand seines Erzbischofs mit den Grafen Odo und Heribert zu stande, durch welchen Lothar noch machtloser wird. Das wirkt wieder auf Deutschland zurück, denn Herzog Heinrich kann nun auf keine französische Hülfe mehr rechnen und schließt im Juli 985 zu Frankfurt endgültig mit Theophano Frieden.

Nach dem Tode Lothar’s (2. März 986) gelangen Adalbero und Gerbert anfangs bei dem jungen Könige Ludwig V. und seiner Mutter Emma zu maßgebendem Einfluß. Sie suchen im eignen Interesse den seit der Eroberung Verduns gebrochenen Frieden mit Deutschland wiederherzustellen und werden für ihre Bemühungen von Theophano belohnt. Aber der König Ludwig erfuhr von dem doppelten Spiele, das seine Berather trieben; plötzlich erscheint er mit seinem Heere vor Reims und nöthigt Adalbero zu dem Versprechen, sich im März 987 vor einer Fürstenversammlung wegen seiner Untreue zu verantworten. Ehe es zu einer solchen Verhandlung wirklich kam, starb der junge König unerwartet an den Folgen eines Sturzes auf der Jagd am 22. Mai 987. Als nach seiner Beisetzung über den Erzbischof entschieden werden sollte, führte Herzog Hugo Capet den Vorsitz, aber niemand wagte mehr die Rolle des Anklägers zu übernehmen, und so ging Adalbero gerechtfertigt aus dem Proceß hervor.

Während der letzten Monate hatte Gerbert vielfach mit dem deutschen Hofe verhandelt und Theophano selbst am Rheine besucht, ohne daß sie ihm eine angemessene Stellung in ihrem Dienste angeboten hätte. Nun hatte er Gelegenheit, auf die französische Königswahl einzuwirken, bei der Adalbero von der Thronfolge des Karolingers Karl von Niederlothringen abrieth und Hugo Capet empfahl. Schon lange hatte Gerbert letzteren als den wirklichen Beherrscher Frankreichs bezeichnet, und seine Feinde haben ihm im Hinblick auf die Wahl Hugo’s später den Vorwurf gemacht, „daß er die Könige einsetze und absetze“. Wenn er und Adalbero für Hugo Capet eintraten, so erklärten sie sich für den fähigsten und mächtigsten von beiden Bewerbern, denn es ist nicht einzusehen, warum sie etwa aus Rücksicht auf das deutsche Reich den schwächeren Karl verschmäht haben sollten. Schon am 1. Juni 987 wird Hugo zu Noyon von den Fürsten zum König gewählt, und bald nachher erhält Graf Gotfried von Verdun seine Freiheit wieder, doch muß er einige Orte an Odo und Heribert abtreten, obwohl Gerbert noch einmal den Beistand der Kaiserin angerufen hat. Noch im Sommer oder [335] Herbst des J. 987 setzte Hugo die Wahl seines Sohnes Robert zum Könige durch und sicherte dadurch seinem Geschlecht den eben erworbenen Thron. (Diese von Havet, Revue historique 45,290 und 46,155 abweichende Datirung wegen Richer IV, 18–23 und Gerbert’s Brief 111 und 112.) Doch sollte die Macht der Capetinger noch einmal ernstlich bedroht werden, als sein Mitbewerber, der Karolinger Karl, sich noch im Sommer oder Herbst 987 durch Verrath in den Besitz von Laon setzte. Hugo belagert die feste Stadt, bis ihn der Winter zur Heimkehr nöthigt. Am 30. Dec. 987 läßt er dann seinen bereits früher gewählten Sohn zum König krönen und macht einen vergeblichen Versuch, durch Unterhandlungen den Streit beizulegen, wobei Gerbert wieder als Vermittler nach Laon kam. Im Sommer 988 beginnt die Belagerung von neuem; auch Gerbert liegt im Feldlager vor der Stadt und erkrankt bei der furchtbaren Hitze gefährlich am Fieber. Aber ein Ausfall der Belagerten zerstört alle Werke vor der Stadt, und Karl’s Macht und Anhang nahm von Tage zu Tage zu.

Um diese Zeit stirbt der Erzbischof Adalbero am 23. Jan. 989. Schon lange hatte Gerbert mit ihm die Geschäfte verwaltet, und da er gerade für ihn auf Reisen war, empfahl ihn der Sterbende noch ausdrücklich für die Nachfolge im Amte. An seinen Fähigkeiten konnte Niemand zweifeln, und auch die Könige schienen ihm zu Dank verpflichtet, denn Gerbert’s Briefe aus dieser Zeit zeugen für seine Hingabe an die neue Dynastie. Aber gerade sie lassen ihn im Stiche, denn Hugo hofft in seiner Bedrängniß den Anhang der Karolinger zu versöhnen, indem er Lothar’s unehelichen Sohn Arnulf zum Erzbischof wählen läßt. Und Gerbert weiß seine getäuschten Hoffnungen zu verschmerzen und leistet dem neuen Erzbischof äußerlich dieselben Dienste, wie dem alten, denn auch jetzt sind seine Versuche erfolglos, auf ehrenvolle Weise in Deutschland unterzukommen, und zu Hugo, der in rathloser Schwäche ihm Arnulf vorgezogen hatte, fühlte er sich vollends nicht hingezogen. Er bleibt sogar noch in Reims, als der Presbyter Adalger im heimlichen Einvernehmen mit Arnulf die Stadtthore dem Karolinger Karl geöffnet hatte. Erst als er von Arnulf’s eignem Verrath überzeugt war und König Hugo ihn ausdrücklich zu sich berief, schrieb er Arnulf einen Absagebrief (178) und ließ seinen Besitz in Reims im Stiche. Wie der Karolinger Karl durch Verrath in den Besitz von Laon und Reims gekommen war, so gerieth er selbst und Erzbischof Arnulf durch den schmählichen Eidbruch des Bischofs Adalbero von Laon in die Gefangenschaft Hugo’s. Karl ward mit seiner Familie gefangengesetzt, der Erzbischof dagegen zur Aburtheilung den französischen Bischöfen überwiesen, denn die Gesandten des Königs, welche in Rom über seine Untreue Klage geführt hatten, waren ungehört wieder heimgekehrt.

Am 17. Juni 991 versammelten sich 6 Bischöfe des Reimser Sprengels, 2 Erzbischöfe, 4 andere Bischöfe und mehrere Aebte im Kloster des heiligen Basolus zu Verzy, 2–3 Meilen südlich von Reims. Nach hartnäckigem Leugnen wird Arnulf gezwungen, erst vor 4, dann vor allen anwesenden Bischöfen ein unumwundenes Geständniß abzulegen. Am 18. Juni muß er dann öffentlich vor den Königen seine Schuld eingestehen, seine Absetzungsurkunde wird verlesen, und er selbst entbindet Klerus und Volk von der ihm feierlich versprochenen Treue.

Wenn die Synode Arnulf als meineidigen Verräther absetzte, so hatte er dies Urtheil materiell vollauf verdient, denn den Vorwurf, daß er durch Todesdrohungen zu einem falschen Geständnisse gezwungen sei, hat der Abt Leo später wohl ausgesprochen, aber damit noch nicht bewiesen. Auch Arnulf’s Vertheidiger auf der Synode machen nur den Einwand, daß sie die Bestätigung des Papstes auch für dieses Urtheil verlangen. Da jedoch der König und die Bischöfe seit 18 Monaten sich vergeblich an ihn gewendet hatten, veranlaßte der auch jetzt noch zu gunsten Roms erhobene Anspruch den scharfen Angriff auf das Wissen und [336] den Wandel der letzten Päpste, welchem die „Reimser Synode“ ihre eigentliche Berühmtheit verdankt. Gerbert war auf der Synode ohne amtliche Befugniß, aber er saß in der nächsten Nähe des Vorsitzenden, des Bischofs Arnulf von Orléans, und schrieb sich dessen Reden und Aeußerungen auf. Er selbst scheint nicht stimmberechtigt gewesen zu sein, und den Vorwurf, daß er sonst zu seinem Vortheil Arnulf’s Absetzung betrieben habe, konnte er später mit Entrüstung zurückweisen. Hatte man nach Adalbero’s Tode nur aus politischen Rücksichten von Gerbert’s Wahl Abstand genommen, so konnte man nun sich kaum für einen anderen entscheiden. Und seine Wahl zum Erzbischof von Reims war ihm um so willkommener, als am 15. Juni 991 Theophano zu Nimwegen gestorben war. Damit war das letzte Band zerrissen, welches ihn mit der deutschen Regierung verknüpfte, und erst nach verzweifeltem, nutzlosen Ringen um seine Würde in Reims hat er bei dem jungen deutschen Kaiser wieder eine Zuflucht gesucht und gefunden.

Unter dem schmählichen Drucke des römischen Stadtadels hatte der Papst Johann XV. es versäumt, eine Entscheidung über Arnulf herbeizuführen. Nachher sendet er den Abt Leo vom Bonifaciuskloster in Rom über die Alpen, der die französischen Bischöfe unter Führung ihrer Könige zunächst einig findet und entschlossen, auf der Absetzung Arnulf’s zu bestehen. Aber die deutschen Bischöfe fordern den Papst zu energischem Vorgehen auf, und dieser excommunicirt die Theilnehmer der Synode. Gerbert schreibt an den Ehrenvorsitzenden der Reimser Synode, den Erzbischof Siguin von Sens, sie wollten ruhig ihr Amt weiter verwalten, damit man ihre Nachgiebigkeit nicht als Schuldbewußtsein auslege. Er selbst trug ja für die Beschlüsse der Synode keine Verantwortung, aber an ihrer Gültigkeit hatte er das meiste Interesse. Für jeden einzelnen von den stimmberechtigten Theilnehmern war es nicht schlimm, wenn die höhere Instanz ein Urtheil verwarf, das er vor seinem Gewissen wohl verantworten konnte; Gerbert aber ging seiner bereits 4 Jahre genossenen Macht verlustig, wenn der Papst die Wiedereinsetzung Arnulf’s erreichte. Um dem Abfalle der andern Bischöfe vorzubeugen, arbeitet er jetzt das Protokoll der Synode nach seinen eignen Aufzeichnungen und nach dem amtlichen Berichte aus. Dabei faßt er kurze Aeußerungen zu zusammenhängenden Reden zusammen, deren Stil und Anordnung also wesentlich von ihm herrührt, und die Concilienbeschlüsse, auf welche sich die Redner berufen hatten, führt er wortgetreu an. Sein eigner Name kommt nur in der Einleitung vor, wo er auch darauf hinweist, daß er die Frage mit eignen Gründen an andrer Stelle besprechen wolle. Es ist bezeichnend, daß diese ergänzende Behandlung der beiden streitigen Punkte in einem ausführlichen Briefe (217) an einen deutschen Bischof erfolgt, und zwar ist es der Vertraute der alten Kaiserin Adelheid, Widerold v. Straßburg, dessen Verwendung bei den deutschen und lothringischen Bischöfen er erbittet. Denn die deutschen Bischöfe hatten den Papst zum Eingreifen besonders angetrieben, und in der Marienkirche zu Mouzon, auf lothringischem Gebiete, trat am Sonntage vor Pfingsten (2. Juni 995) eine Synode zusammen. Gerbert wünschte sehnlichst eine Entscheidung und, obgleich die französischen Könige aus Furcht vor hinterlistigen Anschlägen und in berechtigtem nationalen Selbstgefühl ihren Bischöfen die Theilnahme verbieten, ist aus Frankreich er allein mit dem Reimser Vicedominus erschienen. Ein Urtheil fällte die Versammlung in Mouzon nicht, weil sie nur von vier Bischöfen und einigen Aebten besucht war, doch ließ sich Gerbert bestimmen, bis zur nächsten Synode, die am 1. Juli 995 in Reims stattfinden sollte, die Messe nicht zu lesen. Erst zu Pfingsten bekam der Abt Leo das Gerbert’sche Protokoll zu sehen und schrieb in der ersten Entrüstung über den gegen Rom erhobenen Tadel den Brief an die französischen Könige, in welchem [337] er mit derben Worten die Unbildung der römischen Geistlichkeit zugibt und als etwas durchaus berechtigtes bezeichnet.

Die Entscheidung sollte nun am 1. Juli 995 im Remigiuskloster vor Reims fallen, doch scheint die Synode zur festgesetzten Zeit in Senlis abgehalten zu sein, wo vor dem Abte Leo und vielen anderen Gerbert und Arnulf persönlich für ihre Sache eintraten. Die uns erhaltene Oratio episcoporum habita in concilio Causeio, d. h. wohl, die Rede der Bischöfe auf dem Concil, wo über den Streit verhandelt wurde, faßt die Worte und Gedanken Gerbert’s und seiner Vertheidiger zu einer Rede zusammen, ist also für die Herausgabe ähnlich redigirt, wie die Acten der Reimser Synode. Die alten Gründe werden noch einmal mit rücksichtsloser Bestimmtheit vorgetragen: aus den Gegnern spreche der Feind des Menschengeschlechtes, sie heißen Gottlose, denen kein vernünftiger Grund genügt, wenn sie nicht mit körperlichen Sinnen fühlen können. Besonderen Werth legen sie darauf, daß der päpstliche Vicar für Gallien in Reims den Vorsitz geführt habe und daß damit den Machtansprüchen des Papstes genügt sei. Die Franzosen verlangen ihr Recht, der Abt Leo ihre bedingungslose Unterwerfung, und die Gegensätze, wie sie uns in dem Briefe des Abtes Leo und in der „Rede der Bischöfe“ entgegentreten, ließen sich nicht so schnell versöhnen. Am allerwenigsten war es von dem Abte Leo zu erwarten, daß er „die Friedensstörer zur Ruhe verwies, die aus Neuerungssucht, nicht aus Eifer für Gott, die heilige Kirche gegen die Bischöfe in Bewegung setzten“.

Die Bischöfe bleiben standhaft, und nun verwaltet Gerbert ohne oder gegen den Willen des Papstes sein Amt weiter, doch konnte er den Kampf nur fortführen, so lange die französischen Könige, auf deren Klage der Proceß gegen Arnulf eröffnet war, treu zu ihm hielten und so lange der Arm des Papstes durch die Tyrannei des römischen Adels gelähmt war. Das ändert sich aber in kurzer Zeit, denn der junge König Robert hoffte durch Nachgiebigkeit gegen den Papst dessen Zustimmung zu seiner Ehe mit Bertha zu erreichen, die ihm der Erzbischof Gerbert aus kanonischen Gründen verweigern mußte. Nur der alte König Hugo hinderte bis zu seinem Tode (am 24. October 996) ein offenes Nachgeben Robert’s. Schwerer noch fiel ins Gewicht, daß Otto III. in jugendlicher Begeisterung seinen Vetter Bruno am 3. Mai 996 hatte zum Papst weihen lassen, der unter dem Namen Gregor V. alle Ansprüche seiner Vorgänger aufrecht erhielt und vom Kaiser darin unterstützt wurde. Noch bleiben die alten Bischöfe in Frankreich bei ihrem Beschlusse, aber der neugewählte Bischof von Cambrai hielt es für klüger, sich am 21. Mai 996 die Bischofsweihe in Rom zu erbitten, „weil er sie in Reims nicht rechtmäßig erhalten könne“. So wird Gerbert’s Lage im eigenen Sprengel immer peinlicher, und er selbst zieht noch im Sommer 996 nach Rom, um sich endlich mit dem Papste auszusöhnen. Damals traf er den jungen Kaiser, und wir finden unter Gerbert’s Schriften 4 kleine Briefe (213–216) Otto’s III. aus dieser Zeit, die Otto vielleicht selbst verfaßt hat. Eine festere Bekanntschaft knüpfte er noch nicht an, und in der eignen Sache erreichte er auch nichts, denn es ging ihm hier, wie ein Jahr vorher in Mouzon. „Er verantwortete sich vor dem Papste, und da niemand ihn anklagte, wurde eine neue Synode angesetzt“, welche i. J. 997 in Pavia abgehalten wurde, da der Papst nach Otto’s Abreise aus Rom vertrieben war.

Fieberkrank kam Gerbert aus Italien in Reims an; bald starb Hugo, und der König Robert führte nun Bertha als Gattin heim; die Bischöfe beschließen Arnulf’s Freilassung, die dann freilich der König erst im nächsten Jahre anordnete, und Gerbert fand bei Rittern und Geistlichen selbst in der eignen Stadt offene Mißachtung und Ungehorsam. Da entschließt er sich trotz seiner Krankheit, „in [338] der Verbannung“ sein Urtheil abzuwarten und ist wahrscheinlich zur Synode in Pavia i. J. 997 gereist. Die andern französischen Bischöfe waren auch geladen und werden wegen Nichterscheinens excommunicirt, doch erfolgte bald darauf Arnulf’s Freilassung. Das bestimmte Gerbert, sich nach Deutschland zu begeben, wo der Kaiser ihn mit der größten Freundlichkeit aufnahm und ihn mit dem reichen Gute Sasbach bei Straßburg beschenkte.

Als er dann in den Krieg gegen die Liutizen zog, blieb Gerbert ohne ihn in Süddeutschland zurück. Seine Wünsche stoßen nun auch hier auf Widerstand, und in großer Erregung schreibt er an den Kaiser den oft gedruckten Brief 185. Er kann und will es nicht glauben, daß Otto ihm seine Gunst entzogen habe oder sein Versprechen nicht erfüllen könne. „In drei Menschenaltern habe ich Euch, Eurem Vater und Großvater unter den Geschossen der Feinde die lauterste Treue erzeigt, meine schwache Kraft habe ich der Wuth der Könige, dem Wahnsinn der Völker entgegengestellt. In der Wildniß und Einöde, unter den Angriffen der Räuber, von Hunger und Durst, von Hitze und Kälte gepeinigt, unter vielen Stürmen habe ich so gelebt, daß ich lieber sterben wollte, als den damals gefangenen Sohn des Kaisers nicht auf dem Throne sehen. Ich habe ihn gesehen und mich gefreut. Könnte ich doch bis zu meinem Ende mich freuen und mit Euch meine Tage im Frieden beschließen.“ Und der Kaiser erkennt den Anspruch auf Lohn als berechtigt an, indem er „den erfahrenen Philosophen“ an den Hof beruft, damit er ihn unterrichte und ihm in der Regierung treuen Rath gebe. Er möge das bäurische Wesen des Sachsen in ihm bekämpfen und die griechische Feinheit in ihm ausbilden, „denn wenn sich jemand findet, der ihn anfacht, wird man bei uns einen Funken griechischen Geistes finden“. Durch diese Einladung erfüllen sich Gerbert’s Wünsche, die er seit seiner Vertreibung aus Bobbio gehegt und in seinen Briefen so oft ausgesprochen hat. Wenn er Otto unterrichte, so antwortet er, gebe er ihm nur das zurück, was er von ihm und seinen Ahnen erhalten habe. Im Kaiser vereinige sich griechisches Blut mit römischer Macht, und wie nach Erbrecht nehme er die Schätze griechischer und römischer Weisheit in Anspruch. So geht Gerbert im Sommer 997 nach Sachsen und nahm trotz seines Fiebers im Juli und August an den Rüstungen zum Slavenkriege Theil. Der Unterricht beschäftigte sich mit der Astronomie und mit der Arithmetik, d. h. der Lehre von den Eigenschaften der Zahlen, auch stellte der Kaiser wissenschaftliche Fragen, über welche Gerbert mit anderen Gelehrten disputirte. So fragte er einmal, warum man von dem Subject „vernünftiges Wesen“ das Prädicat „Vernunftgebrauch“ aussagen könnte, während doch nach den Regeln der Logik der Prädicatsbegriff höher und umfassender sein müsse, als der des Subjects. Diese damals unerledigte Frage behandelte Gerbert in dem Büchlein de rationali et ratione uti, als er im Winter 997 auf 998 mit dem Kaiser nach Italien zog. Wichtiger als der philosophische Inhalt dieser Schrift sind die einleitenden Worte, denn sie sprechen mit vollster Deutlichkeit die Gedanken aus, welche der 17jährige Kaiser als der Enkel des großen Otto und Sohn einer griechischen Mutter durchführen zu müssen glaubte. Er erfülle, so schreibt Gerbert, das kaiserliche Gebot, „damit Italien nicht glaube, der heilige Palast sei erstarrt, damit nicht Griechenland allein sich kaiserlicher Philosophie und römischer Macht rühme. Unser, unser ist das römische Reich. Kraft gibt uns Italien, reich an Früchten, Gallien und Germanien, reich an Rittern, auch der Scythen tapfre Schaaren sind zu unsrem Dienst bereit. Unser, bist Du, Cäsar, der Römer Kaiser und Augustus, der aus dem edelsten Blute der Griechen entsprossen, die Griechen an Macht übertrifft, den Römern kraft Erbrechtes gebietet und beiden durch Geist und Beredsamkeit überlegen ist. Im Januar 998 hatte das Heer die Alpen überschritten und war nach Pavia gekommen“. Hier [339] konnte Gerbert dem Papste Gregor V. ohne Scheu vor die Augen treten, denn er war zweimal bereit gewesen, sich vor ihm zu rechtfertigen, und es lag nicht an ihm, daß der Streit um das Reimser Erzbisthum noch fortdauerte. Was an den Reden der Reimser Synode den Anhängern des Papstes nicht gefiel, entsprach doch der Wahrheit; um ähnlichen Zuständen ein Ende zu machen, wie sie in Reims mit herben Worten geschildert waren, zog Otto III. nun schon zum zweiten Male nach Italien, und wenn es doch eine Sünde war, die traurigen Zustände zu enthüllen, so traf dieser Vorwurf nicht Gerbert, sondern die Redner der Synode. In einer Zeit aber, wo Otto III. vor den Mauern der abtrünnigen Stadt Rom mit seinem Heer erschien, wo deutsche Ritter den Gegenpapst Johannes XVI. aufs schmählichste verstümmelten und wo der Kaiser den Crescentius auf der Engelsburg enthaupten ließ, konnte ein hartes Urtheil über die Verderbniß des Papstthums unter dem Drucke der römischen Großen für die beiden Machthaber nichts verletzendes haben. Es ist daher nicht auffallend, daß an demselben 28. April 998, an welchem das Haupt des Crescentius fiel, Gerbert auf Otto’s III. Fürsprache vom Papste das Erzbisthum Ravenna erhielt. In dieser Würde nahm er auch an der Synode in der Peterskirche (998 oder 999) theil, auf welcher der König Robert wegen seiner unerlaubten Ehe mit dem Banne bedroht wurde. Als dann Gregor V. im Februar 999 gestorben war, kehrte Otto von einer Wallfahrt in Mittelitalien nach Rom zurück und ließ seinen Freund Gerbert zum Papst wählen.

Als solcher nannte Gerbert sich Silvester II. nach dem Vorbilde des heiligen Silvester, dem Konstantin nach der Sage die Herrschaft Roms übertragen hatte, als er selbst seine Hauptstadt nach dem Osten verlegte. Gerbert hatte seinen Frieden mit dem Papste geschlossen, und er beendigt nun auch den Streit um das Reimser Erzbisthum, indem er Arnulf, „der wegen gewisser Vergehen seines Priesteramtes entsetzt war“, weil seine Abdankung ohne Genehmigung Roms erfolgte, diese Würde auf dem Wege der Gnade zurückgab. Das Ansehen des Papstes solle ihn schützen gegen jedermann, auch gegen die Vorwürfe des eignen Gewissens. Leider tragen die amtlichen Urkunden des Papstes nur selten ein individuelles Gepräge, und wir kennen seine Gedanken und Wünsche in dieser Zeit nicht so gut, wie in den Jahren 983–997, wo er selbst seine Briefe verfaßte und die wichtigsten von ihnen aufbewahrte. So ist es auch nicht möglich, seinen Einfluß auf die Gedanken des Kaisers und die Geschicke Deutschlands im einzelnen zu bestimmen, da hier der persönliche und nicht der briefliche Verkehr in Betracht kommt. Die kaiserlichen Urkunden und die päpstlichen Bullen erwähnen oft ein Zusammenwirken des Kaisers und des Papstes, und auf längere Zeit haben sich die beiden nur getrennt, als Otto III. vom December 999 bis zum Herbst d. J. 1000 seine letzte Reise nach Deutschland unternahm.

Silvester’s Kenntnisse und Ideale wurzelten im classischen Alterthum; deshalb begeisterte er sich für den Plan, das römische Reich wiederherzustellen und Rom zur Hauptstadt der Welt zu machen. In Italien hatte er den Großvater und den Vater des Kaisers kennen gelernt, hier hatte ihn Otto I. als Lehrer der Hofschule, Otto II. als Abt von Bobbio in seinen Dienst genommen. Und nachdem durch den frühen Tod des letzteren Italien für einige Zeit wieder sich selbst überlassen war, hatte Theophano und Otto III. seine Pläne mit noch größeren Ansprüchen wieder aufgenommen, berathen und unterstützt von dem diensteifrigen Markgrafen Hugo von Tuscien, dem eigennützigen „Logotheten“ Leo von Vercelli und dem getreuen Kanzler Heribert. Unter ihrer Mitwirkung waren die ersten Schritte zur Erneuerung des römischen Reiches und zur Werbung um eine griechische Braut geschehen, noch ehe Otto III. i. J. 997 Gerbert in diesen Kreis berief, dessen Programm er in der Einleitung seiner philosophischen Schrift [340] mit classischen Worten aussprach, dessen Ziele zu verwirklichen der gelehrte Kenner der römischen Litteratur besonders berufen schien. Als der Kaiser i. J. 1000 nach Deutschland kam, war er von dem Verlangen beseelt, das Grab des heiligen Adalbert zu ehren. Darum wollte er Gnesen zum Erzbisthum erheben und ließ den Gaudentius schon vorher vom Papste zum Erzbischof weihen. Er befreite Polen in kirchlicher Beziehung von dem Magdeburger Erzbisthum und in politischer Beziehung machte er den mächtigen Polenherzog Boleslaw vom römischen Kaiser abhängig, statt, wie bisher, vom deutschen Könige. Für Silvester II. war es ein Gewinn, daß er die eben erst bekehrten Polen in directe Verbindung mit Rom brachte, und er mochte es gering achten, daß er ein Kirchengesetz umging, um eine Nation aus unnatürlichen Banden zu befreien. Auch dadurch ist sein Pontificat denkwürdig, daß der König Waic von Ungarn in der Taufe den Namen Stephan annahm, Bisthümer und Abteien in seinem Lande gründete und dazu nicht die Genehmigung des byzantinischen Patriarchen, sondern die des römischen Bischofs nachsuchte. Damit war ein lästiger Nachbar Deutschlands in die Reihe der civilisirten Staaten aufgenommen, und der Machtbereich des Papstes war dadurch erheblich erweitert.

In dem jungen Kaiser vereinigte sich mit dem Streben nach unumschränkter Weltmacht die Neigung zu mönchischer Weltentsagung, zu welcher mit dem Hinweis auf das nahe Weltende ein Adalbert und Burchard, Nilus und Romuald ihn aufforderten. Wer Gerbert’s Briefe gelesen hat, weiß, wie fern er solchen mystischen Ideen stand, und wenn er auch in der Fastenzeit des Jahres 1001 mit Otto im Kloster S. Apollinare in Classe bei Ravenna verweilte, so trifft ihn höchstens der Vorwurf, daß er den Kaiser gewähren ließ, wo ein Widerspruch nutzlos gewesen wäre. Denn seine eigene Macht wahrte der Kaiser mit Eifersucht und größter Bestimmtheit. Selbst in der Schenkungsurkunde vom 20. April (1001?) für Silvester weist er die angeblichen Rechtsansprüche der Päpste auf 8 Grafschaften in der Mark Ancona scharf zurück, doch giebt er die fraglichen Güter aus Liebe zum Papste Silvester dem heiligen Petrus zum Geschenk, damit sein Lehrer etwas habe, was er von seinem Schüler dem Himmelsfürsten Petrus schenken könne.

Unter dem Unwillen der Deutschen über Otto’s Regiment sollte niemand mehr leiden als der Papst. Die Deutschen konnten es dem Kaiser und Papst nicht vergessen, daß sie in Polen einen Tributpflichtigen zum Herrn gemacht hatten, und so ruft nach Otto’s III. letzter Reise der Hildesheimer Bischof Bernward vergeblich den Beistand Silvester’s für sein Kloster Gandersheim an. Auf einer Versammlung in Pöhlde fand der pästliche Legat keinen Gehorsam mehr und sah sich genöthigt, den alten Berather Theophano’s, Erzbischof Willigis von Mainz, wegen seines Widerstandes zu suspendiren. So litt der Papst unter seiner Freundschaft zum Kaiser, und die deutschen Bischöfe thaten denselben Schritt, wegen dessen sie kurz vorher die französischen verfolgt hatten. Und den Römern selbst war ihre Freiheit lieber als die glanzvolle Residenz eines Kaisers in ihren Mauern. Schon im Mai und Juni d. J. 1000 war es in Rom und Orta zu Unruhen gekommen, und als Otto III. nach seiner Rückkehr den „Klosterpalast“ auf dem Aventin bezogen hatte, erhoben sich die Römer auch gegen ihn, und wie ein Fliehender verließ er am 17. Februar 1001 die ewige Stadt. Mit ihm zog Silvester II., und auch er durfte, so lange der Kaiser lebte, nicht in seine Stadt zurück kommen. Erst als dieser am 23. Januar 1002 im Schlosse Paterno am Berge Soracte verschieden war, nahm der Papst wieder seinen Wohnsitz in Rom, wo sich der jüngere Crescentius zum Patricius gemacht hatte. Die Römer halten Silvester nun für ungefährlich und lassen ihn sein Amt ruhig weiter führen. Eine am 3. December 1002 unter seinem Vorsitz [341] abgehaltene Lateransynode ist von ebenso geringer Bedeutung, wie die Bullen, welche die päpstliche Kanzlei in dieser Zeit ausfertigt. Den letzten Lebensjahren scheinen auch die 3 theologischen Schriften, soweit dieselben echt sind, und der Brief anzugehören, in welchem er dem Scholasticus Adelbold eine geometrische Frage beantwortet. Am 12. Mai 1003 starb er und wurde zu San Giovanni in Laterano bestattet, wo ihm Sergius IV. eine Grabschrift im Porticus der Kirche setzte.

Es gab mancherlei in Gerbert’s Leben, was dem gemeinen Verstande schwer faßlich ist: zum ersten Male war in ihm ein Franzose auf den Stuhl Petri gekommen, nach einer Zeit tiefster Unwissenheit der gelehrteste Mann seines Jahrhunderts, ein Mann von dunkler Herkunft, den der Kaiser nicht wegen seiner Geburt, sondern wegen seines Wissens zu dieser Würde erhob. Und zufällig hatte er in 3 Städten, die mit R anfangen, die höchsten kirchlichen Würden bekleidet und er selbst soll, fröhlich scherzend über diesen Zufall, auf sich den Vers gemacht haben: Scandit ab R. Gerbertus in R post papa viget R, d. h. Gerbert steigt von Reims nach Ravenna, nachher lebt er als Papst in Rom. Dieser Vers mit seinem dreifachen R hat, wie der über die Päpstin Johanna mit seinem sechsfachen P etwas geheimnißvolles, und mit kleinen Veränderungen finden wir ihn bei fast allen späteren Schriftstellern angeführt. Was aber bei Helgald, dem Biographen des Königs Robert, eine pointirte Zusammenfassung von Thatsachen aus seinem Leben ist, gilt den späteren als eine Prophezeiung, die der Teufel dem jungen Gerbert ins Ohr geraunt hat. Und doch findet sich in der Litteratur der nächsten 80 Jahre nach Silvester’s Tode kein einziger sagenhafter Zug. Die römische Ueberlieferung verwechselt ihn jedoch mit dem Gegenpapste Johann XVI., der in der Fastenzeit d. J. 998 von dem deutschen Ritter Birthilo schrecklich verstümmelt wurde. Das schimpfliche Ende legte den Verdacht eines ungeheuren Verbrechens nahe, ein solches aber konnte bei seinem ungewöhnlichen Wissen am ersten ein Bund mit dem Teufel sein, da eine ähnliche Sage seit Hrotsvitha’s Gedicht über Theophilus im Abendlande bekannt sein mußte. Was das Volk vielleicht schon länger von dem gelehrten Papste geglaubt hatte, schrieb der Cardinal Beno bald nach d. J. 1085 zum ersten Male in der Schmähschrift über Gregor VII. auf, in welcher er diesen Papst und viele seiner Vorgänger teuflischer Mittel beschuldigte.

Als die Welt dann durch die Kreuzzüge für Wundergeschichten empfänglicher geworden war, bot der Engländer Wilhelm von Malmesbury († 1141) seinen Lesern eine sehr erweiterte Sammlung von Sagen, und mit neuen, theilweise eignen Zusätzen gestaltet sie Walter Map in seiner Schrift de nugis curialium um 1190 aus. Bei Walter ist es die Liebe zur schönen Tochter des Reimser Präpositus, bei dem Verfasser eines Gedichtes aus dem Benedictinerkloster Salem bei Konstanz die Angst des unwissenden Schülers vor dem gestrengen Lehrer, in der deutschen Chronik des Wiener Domherrn Jans Enikel († 1250) ist es das Spiel, welches ihn zum Bunde mit dem Teufel geneigt macht. Ein Mißverständniß einer Stelle seiner Grabschrift gab Anlaß zu dem Volksglauben, daß das Rasseln seiner Knochen den Tod eines Papstes anzeige. Die weiteste Verbreitung finden die Sagen durch die um das Jahr 1270 verfaßte Chronik des Dominikaners Martin v. Troppau, die oft gelesen und viel benutzt wurde; selbst in die Isländischen Abenteuer ist sie auf diesem Wege gekommen, und ein altenglisches Gedicht erzählt dieselben Sagen von einem Papste Celestin. Die älteren deutschen Prediger erwähnen ihn öfters, und von den Dichtern seien hier Walther von der Vogelweide und Hans Sachs genannt.

Oeuvres de Gerbert par A. Olleris 1867. – Lettres de Gerbert publiées par Julien Havet 1889. (Die russische Ausgabe von Bubnow, St. Petersburg [342] 1883–90 ist hier nicht benutzt.) Einzelschriften von C. F. Hock, Wien 1837. – M. Büdinger, Kassel 1851. – K. Werner, Wien 1878. – Karl Schulteß, Progr. d. Wilhelm-Gymnasiums Hamburg 1891, wo die übrigen Schriften angegeben sind. Außer den dort genannten Werken bieten Nachweise über die Sagen: H. Gering, Islendsk Äventyri II. 1883 S. 32–34, und Ph. Strauch zu Jansen Enikels Weltchronik. Seite 434 (Quart-Ausgabe der Mon. Germaniae III. 1. 1891). – A. Graf in der Nuova Antologia. Roma 1890. S. 220–250.