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Artikel „Petrus Ravennas“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 529–539, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Petrus_Ravennas&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 08:17 Uhr UTC)
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Petrus Ravennas, auch Petrus Thomai oder Thomasius Petrus Franciscus und dessen älterer Sohn Vincentius, Ersterer Jurist und Humanist des 15. Jahrh. Petrus, nach Geburt und Bildung Italiener, verbrachte seine Jugend und den größeren Theil des Mannesalters auf italienischen Rechtsschulen, ungefähr im 51. Lebensjahr kam er als Universitätsprofessor nach Deutschland, wo er bis zu seinem Tode verblieb. Für die Gelehrtengeschichte Deutschlands ist somit nur diese letztere Periode von unmittelbarem Belange. Der Familienname des Petrus ist unbekannt; Balthasar’s Vermuthung, er habe Johannes Baptista geheißen, ist ebenso grundlos, als der Versuch, aus dem Beinamen Thomasi auf eine Familie „Thomasini“ zu schließen. Wahrscheinlich führte er als von geringer Herkunft, – „ex bassa platea“, wie er selbst im Streite gegen Hochstraten („alta platea“) einmal sagt, – gleich seinen Eltern gar keinen Geschlechtsnamen. Wie wir aus seiner Schrift „de immunitate ecclesiarum“ erfahren, ist er in dem an weltgeschichtlichen Begebenheiten so reichen Ravenna etwa 1448 geboren, hörte bei dem gefeierten Alexander de Tartagnis [530] (nach seinem Geburtsorte „da Imola“ genannt) schon frühzeitig die Rechte, und, trat im 20. Jahre zu Padua mit der Behauptung auf, das gesammte corpus juris auswendig zu wissen. Am Katharinentage 1468 lieferte er beiden Universitäten, der der Scholaren und der der Magister, den öffentlichen Beweis, indem er beliebige vom Bischofe, als dem Haupte der Schulen, bezeichnete Gesetzesstellen wörtlich wiedergab und sie hierauf aus den summariis des Bartolus mit allen Glossen und Ansichten der Doctoren gleich einem geübten römischen Rechtslehrer aus dem Gedächtnisse erklärte. Sein Lehrer Imola hörte anfangs wie versteinert zu, dann schlug er, wie zur Abwehr des Bösen, in der Luft ein Kreuz, während die übrigen sich beeilten, den beglückten Jüngling zu umarmen. P. führte auch wegen seines staunenswerthen Gedächtnisses den Beinamen „da memoria“, nannte sich selbst auf den Büchertiteln gern „memorabili memoria praeditus“ und schrieb eine Anleitung zur Uebung und Schärfung des Gedächtnisses mit der Bezeichnung: „Petri Ravennatis libellus de artificiosa memoria, Foenix dictus“, welche Abhandlung am 10. Januar 1491 bei Bernardinus de Choris in Venedig, 1500 in Erfurt, in dritter Auflage 1508 zu Cöln und dann wiederholt als Bestandtheil der aurea opuscula gedruckt wurde. Es scheint auch das bewundernswürdige Gedächtniß vereint mit gewandter Redegabe der Hauptgrund des ausgedehnten Ruhmes gewesen zu sein, welchen er in ganz Italien genoß, während solcher Ruhm mit seinen schriftlichen Arbeiten nicht in vollem Einklang steht. Eitel geworden durch den ihm verschwenderisch gestreuten Weihrauch bereiste er später mehrere Städte Italiens, trug Schaustücke seines Gedächtnisses vor, ertheilte Rechtsgutachten, zeigte sich auch als höfischer Dichter und erntete von Fürsten, Staatsmännern und holden Frauen Gunst- und Ehrenbezeigungen. Eine Reihe überraschender Beispiele der unvergleichlichen Gedächtnißkraft Petrus’ liefert Girolamo Tiraboschi in seiner Storia della letteratura italiana, T. VI, P. II, p. 544 u. ff.

Wenige Wochen nach dem erwähnten Vorgange zu Padua wurde P. dort zur lectura institutionum erwählt, las vier Jahre als auditor juris und erwarb im 24. Jahre die Würde eines Doctors beider Rechte. Etwas später hielt er in Bologna, in Pavia und Ferrara, auch in Pistoja mit Beifall Vorträge, bildete bisweilen Schüler und lehrte von 1477 bis Ende 1479 gegen ein Stipendium von 355 Gulden in Pisa, wo er an Abfassung des 1. Bandes der 1480 erschienenen akademischen Statuten mitarbeitete. Am Schluß des genannten Jahres verließ er trotz inständiger Vorstellungen und lockender Versprechungen der Rectoren Pisa und ging wieder nach Padua; seinen Pisaner Freunden aber erwiderte er auf ihre wohlmeinende Abmahnung von seinem unsteten Wanderleben, er habe es leichter als andere, da er ja alles, was er besitze, mit sich trage; wobei er weniger auf seine bescheidenen Glücksgüter, als auf sein unvergleichliches Gedächtniß anspielte.

Als P. zum zweiten Male in Padua, einer Hochschule der Republik Venedig, die Professur für kanonisches Recht bekleidete, bezog er anfänglich ein Honorar von 80 Ducaten, das wegen seiner Unzulänglichkeit 1484 auf 150 erhöht wurde und wozu mit Rücksicht auf seine vielen Söhne seit 1492 eine Jahreszulage von 50 Ducaten trat. – Im November 1497 hielt sich der Pommernherzog Bogislav X. (s. A. D. B. III, 48) auf der Heimkehr aus dem gelobten Lande einige Zeit in Venedig auf und hörte im häufigen Verkehr mit Gelehrten und Staatsmännern das Lob des Wundermannes, in welches auch die von Bogislav nach Padua entsandten Vertrauensmänner – wahrscheinlich Propst Martin Karith und Geheimschreiber Dalmer – nach ihrer Rückkehr von dort einstimmten. Da der Herzog der damals herrschenden Meinung huldigte, daß berühmte Ausländer den Glanz deutscher Universitäten erhöhen (weßhalb wir damals und auch später [531] auf denselben sehr häufig französischen und welschen Namen begegnen), war er von dem lebhaften Wunsche beseelt, P. für seine junge, aber der Hebung dringend bedürftige Hochschule in Greifswalde zu gewinnen. Der wanderfreudige Professor sagte auch sofort zu, machte aber seinen Wegzug von der Erlaubniß des Dogen abhängig. Agosto Barbarigo trug anfangs Bedenken, einen Gelehrten, dessen Lob in ganz Italien widerhallte, scheiden zu lassen; gab jedoch endlich den persönlichen Bitten des Herzog nach und die Stelle wurde P. bis zur Rückkehr ins Vaterland offen gelassen. Bogislav übersandte ihm am 25. November (1497) 100 Ducaten, „um sich damit auszurichten und mit nach dem Lande Pommern zu reisen“; er selbst ging mittlerweile zum Besuche des Papstes nach Rom. Im Vorfrühlinge des nächsten Jahres (1498) zog Petrus mit seiner zweiten Gattin, der zärtlich geliebten Lucretia, mit seinen Söhnen: Vincentius, der bereits Doctor der Rechte war, und dem jüngeren Johann Baptista, mit seinem Töchterchen Marieta und dem Koche Christoffero da Madiano, voll des Lobes über die Huld seines neuen Gebieters nach dem fernen Greifswalde, vielleicht der „seltsamste Vogel Minerva’s, der je über die Alpen nach Deutschland geflogen“. Bogislav stand damals auf dem Gipfel der Macht und des Ansehens; seine Heimreise durch Italien und Deutschland glich nach dem Tagebuche des Geheimschreibers Dalmer und anderen Aufzeichnungen nahezu einem Triumphzuge, weil Fürsten und Städte, welche der hohe Gast auf seinem Wege besuchte, mit Freudenfesten und Ehrenbezeigungen wetteiferten, an denen P., als im unmittelbaren Gefolge des Herzogs, in der Regel theilnahm. Dessen besondere Erlebnisse erfahren wir aus der 1508 zu Cöln in der Bursa Knyck verfaßten „Criticomastix suae peregrinationis“ des Magister Ortuinus Gratius (s. A. D. B. IX, 600), damals ein begeisterter Anhänger Petrus’, später die Zielscheibe des Spottes in den bekannten epistolis virorum obscurorum. Die Criticomastix ist zur Widerlegung der kölnischen Gegner des P. abgefaßt und überquillt auf jeder Seite vom Lobe des Gefeierten. Ein Brief des Ortwin Gratius bildet gewissermaßen die Vorrede; er ist im gleichen Tone wie die Criticomastix selbst gehalten und P. wird darin als der edelste unter allen Gelehrten und als der gelehrteste unter allen Edeln gepriesen! Am Schluß der Abhandlung ist das sehr warm abgefaßte Erwiderungsschreiben unseres Gelehrten an Gratius angereiht. P. gibt ihm hierin das Zeugniß, gut und richtig geschildert zu haben; „doch“, fährt er selbstbewußt fort, „unsere Uebersiedlung verdient auch in der That solche Anerkennung“. – Die Criticomastix erzählt in sehr breiter Weise, daß beim Wegzuge des P. in Venedig wie Padua unter allen Männern und Frauen tiefste Trauer geherrscht habe und daß die an letzterer Hochschule studierenden Deutschen ihrem Meister gefolgt seien. Als man nach Innsbruck kam, wo eben Maximilian I. Hof hielt, ließ der König, obwol unpäßlich, jedoch begierig den Doctor kennen zu lernen, diesen noch zur Nachtzeit rufen. P. setzte die aus Notabeln, Staatsmännern und Gelehrten bestehende Versammlung durch seine Gedächtnißkünste in Staunen, besang sodann in lateinischen Versen des Königs Lob, mit dem er das seines neuen Gebieters verflocht, und suchte zuletzt in seiner Höflingsweise aus der Glosse die Abhängigkeit der europäischen Könige vom römischen Kaiser darzuthun, worauf er mit Ehrenbezeigungen und dem Titel eines „eques auratus“ huldvoll entlassen wurde. P. hat später die in Gegenwart Maximilian’s zur Nachtzeit vorgetragenen carmina als Beilagen verschiedener seiner Werke veröffentlicht. Mit Bogislav gelangte er im April 1498 nach Pommern und Stettin und wurde sodann vom Herzog selbst nach Greifswalde geleitet, wo er an dessen Seite einritt, von der Einwohnerschaft freundlich begrüßt. Wenige Tage darnach (am 24. April) [532] wurden P. und sein Sohn Vincentius immatriculirt; der Eintrag in das Universitätsalbum durch den Rector Borchard Beckemann aus Stralsund, Collegiat in der Artistenfacultät, lautet: „Praestantissimus perceleberrimusque utriusque juris interpres, dominus Petrus de Ravenna, intitulas XXIIIj mensis aprilis, nihil solvit.

Egregius ac eximius vir, dominus Vincentius de Ravenna, praememorati domini doctoris Petri filius, utriusque Juris doctor; nihil solvit; qui quidem domini Doctores per serenissimum principem notrum dominum ac ducem Bugeslaum non minimis expensis de Italia ad nostram almam universitatem pro reformatione ejusdem Universitatis sunt adducti.

Gleichzeitig wurde auch der Koch Madiano, als zur Universitätsjurisdiction gehörig, umsonst mit inscribirt.

Als Facultätscollegen hatte der Ravennate außer seinem Sohne den Nicolaus Louwe aus Stettin, den Lorenz Bokholt und Heinrich Bukow aus Greifswalde.

Schon am 3. Mai desselben Jahres wurde P. nach damals bestehender Uebung, Neuberufenen das Rectorat anzutragen, zum Rector erwählt, welches Amt er im Frühjahr 1501 abermals bekleidete. Auch der Sohn Vincentius war zweimal mit den Rectoratsgeschäften betraut; das erste Mal im Frühjahre 1499, das zweite Mal im Frühjahre 1502, nun als Kanonikus bei Sanct Nicolai bezeichnet. – Unmittelbar nach der Immatriculation begannen die Vorlesungen über beide Rechte – das römische und kanonische. Auf wiederholtes Ansuchen hervorragender Greifswalder Bürger, ein Gutachten darüber abzufassen: ob flüchtige Verbrecher an geheiligter Stätte ergriffen werden dürfen? schrieb P. seine Abhandlung: „de immunitate ecclesiae“. Am Schluße sagt er, im Besitze weniger meist neuerer Bücher habe er das Meiste aus dem Gedächtnisse schöpfen müssen; allein er wisse eben nebst dem corpus juris zwanzigtausend Stellen gelehrter Doctoren und siebentausend Bibelsprüche auswendig. Die Abhandlung wurde zu Lübeck 1499 in Folio (50 Bl.) mit schöner Mönchsschrift per magistrum Lukam Brandis gedruckt. In den ersten Octobertagen 1500 hielt der Caminer Bischof, Martin Karith, eine Synode zu Stettin, auf welcher neben liturgischen Fragen die Kirchenzucht behandelt wurde. Im Auftrage des Bischofs verfaßte P. eine längere Rede, die er bei Eröffnung der Synode halten wollte; da aber dies aus ihm und uns unbekannten Gründen nicht gestattet wurde, ließ er sie in seinen „opusculis aureis“ drucken. Diese Rede bildet einen sehr anziehenden Beitrag zur Sittengeschichte jener Zeit und wirft ein grelles Licht auf den damaligen lockeren Wandel des Caminischen Clerus. P. eifert in seinem Vortrage gegen das Zu- und Vortrinken, gegen Würfel und Beischläferinnen, zugleich warnt er vor Beherbergung von Histrionen, vor muthwilligen Schauspielen und dem Auftreten verlarvter Geistlicher bei Kirchenfesten!

1502 erschienen zu Leipzig (in ducali oppido Liptzensi) bei Baccalarium Wolfg. Monacensem die „aurea opuscula“ (54 Bl. in Quart). Sie enthalten 1) die oben erwähnte Synodalrede: „Sermo Dom. Petri de Ravenna etc. quem habiturus erat de mandato -- domini Martini dignissimi Episcopi Caminensis etc. etc.“; dann 2) eine Sammlung „argumenta et responsa juris“ nebst einer Anweisung über das Verfahren des Sachwalters bei Gericht. 3) Den Schluß bildet eine Reihe von zehn lateinischen Gedichten: An die heilige Jungfrau, an die Zuhörer, an Herzog Bogislav und dessen Räthe, an den Propst von Lübeck und andere namhafte Persönlichkeiten; weßhalb er bemerkt: das Büchlein sollte eigentlich libellus florum heißen.

Vor Veröffentlichung dieses Werkchens hatte P. auf Einladung Hamburg und Lübeck besucht; dortselbst Responsa ertheilt und zu Hamburg in einer [533] Elegie den Rath, zu Lübeck den Propst Bockholt, und, trotz seiner Jahre, die schönen Frauen besungen. (In den aureis opusculis sind es die Gedichte [III] Nr. 3, 4 und 5.) Um jene Zeit schrieb ihm auch der Dänenkönig Johann: Wenn sein (des Königs) Name bei P. noch irgend welches Ansehen genieße, möge er sofort zu ihm kommen; es harrten seiner mannichfache und schwierige juristische Arbeiten, die keiner so wie er zu lösen vermöchte und für deren Erledigung der König sehr dankbar wäre. Auch die Herzoge von Mecklenburg, Johann und Balthasar, sandten Boten an P., die bei ihm Rath erholten und ihn einluden in herzogliche Dienste zu treten. P. war indeß durch das dem Herzog Bogislav gegebene Wort gebunden und konnte deßhalb den freundlichen Aufforderungen keine Folge geben.

Trotz des gewaltigen Gegensatzes zwischen dem heiteren südlichen Himmel und der rauhen Ostseeküste, zwischen den blühenden Städten Oberitaliens und dem bescheidenen Greifswalde, ist in dieser Richtung keine Klage des P. laut geworden; er scheint sich in seiner neuen, nordischen Heimat bald und leicht zurecht gefunden zu haben, getragen durch die besondere Gunst des Herzogs und ausgezeichnet durch einen ungewöhnlich hohen Gehalt. Letztere Umstände mögen für die älteren Professoren eine Quelle des Neides und der Scheelsucht gewesen sein; sie führten jedoch zu keinem Zerwürfnisse. P. stand vielmehr mit der Mehrzahl der herzoglichen Räthe in sehr gutem Einvernehmen, namentlich waren er und sein Sohn eng befreundet mit dem ihnen gesinnungsverwandten D. Johann v. Kitscher aus Meißen, welchen Bogislav in Sachsen kennen gelernt und zu sich als Berather gerufen hatte. Aber auch P. wurde häufig in organisatorischen und juristischen Fragen zu Gutachten aufgefordert; so wegen Zeugenvorladung, der Prinzessinnensteuer, wegen Lehenheimfalls u. dergl. m., welche Punkte der Gefragte zum Verdruße des Adels stets im Sinne des seinen Vortheil ausbeutenden Herzogs entschied.

Eine verheerende Seuche, welche im Sommer 1501 Deutschland heimsuchte, und im folgenden Jahre auch in Pommern auftrat, veranlaßte den Rector mit mehreren Universitätsangehörigen nach dem nahen Dörfchen Dersekow zu fliehen, wo auch P. mit den Seinen bis zum Erlöschen der Krankheit blieb und erst im October 1502 nach der Stadt zurückkehrte. Trotzdem fiel sein Töchterchen Marieta der tückischen Krankheit am 25. October 1502 zum Opfer. Vergeblich hatte der fromme Vater den Schutzpatron in Pestzeiten, Sanct Rochus, in einem (in den aureis opusculis abgedruckten) Gedichte angefleht. Die zwanzigjährige Tochter wurde mit vielem Pompe bei den Dominikanern bestattet und widmete ihr der Bruder Vincentius im Universitätsalbum einen rührenden Nachruf. Dieser schmerzliche Verlust weckte bei P. und seiner Gattin Lucretia die bisher zurückgehaltene Sehnsucht nach der fernen Heimat mit voller Macht. Umsonst versuchte Bogislav, umsonst versuchten die befreundeten Räthe, besonders Johann v. Kitscher, den geschätzten Gast zurückzuhalten, der nach der Criticomastix in Greifswalde „mehrere“ Kinder verloren.

Im April 1503 verließ er mit seiner Gattin und seinen beiden Söhnen Greifswalde. Der Herzog beschenkte ihn mit einem edlen Rosse, hundert Ducaten und ließ ihm ein rühmendes Empfehlungsschreiben zustellen. Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte eben die hohe Schule zu Wittenberg gegründet; als er und sein Bruder Johann von dem Beschlusse des berühmten Italieners hörten, luden sie ihn durch abgesandte Boten zum Besuche von Wittenberg ein, empfingen ihn nach Ortwins Bericht schon vor den Thoren der Stadt und geleiteten ihn mit großem Pompe in dieselbe. Kurz darauf, am 3. Mai, hielt er an der Universität einen sehr interessanten Vortrag: über die Gewalt des Papstes und des römischen Kaisers (de potestate summi pontificis et Romani Imperatoris), worin [534] er u. A. Letzterem die Befugniß einräumt, ohne Mitwirkung des Papstes Universitäten su gründen.

Bald entsprach er auch dem Wunsche der Fürsten, an der neuen Hochschule Lehrvorträge zu halten. Doch scheint er wahrscheinlich aus Rücksicht auf seine bisherige Stelle bei Bogislav kein ordentliches Lehramt – keine lectura ordinaria – übernommen zu haben; denn er ist weder bei der Universität immatriculirt, noch ist er irgendwo als ordinarius Witebergensis aufgeführt. Dagegen findet sich Vincentius im Wintersemester 1503/4 als Vincentius de Thomais Ravennas U. J. Dr. Paduensis in der Matrikel eingetragen, und wurde nicht bloß zum Professor ernannt, sondern am 23. Mai oder 1. Juni 1504 sogar zum Rector erwählt. Doch bemerkt Balthasar in seinen handschriftlichen Zusätzen zu seinem „Leben der Greifswalder Juristen“: der Kurfürst habe bald wahrgenommen, daß Vincentius in seinem Wandel kein so vorzüglicher Mann sei, wie er dem Kurfürsten durch dessen Rath, Doctor Martinus Pollichius Mellerstadtius, dargestellt worden. Als D. Nicolaus Marschalk vor Ostern 1505 Wittenberg verließ, erlangte Vincentius das Ordinariat des Codex und behielt es bis zu seinem Abzuge im Spätsommer oder Herbst 1506. Um Walpulgis 1507 erhielt dessen Professur Dr. Hieronymus Schürpf. –

Der Vater P. hielt, wie bereits erwähnt, nur außerordentliche Vorlesungen, indem er an Festtagen in Gegenwart der fürstlichen Brüder seine „sermones extraordinarii“ vortrug, das sind 24 Reden über verschiedene religiöse und moralische Fragen, welche (nach Löscher) bereits 1505 zu Wittenberg in officina Trebelliana im Drucke erschienen unter dem Titel: „Sermones extraordinarii et pulcherrimi cum multa rerum et historiarum copia clarissimi, -- miranda memoria praediti Doctoris Petri Ravennatis Itali, quos diebus festibus suis auditoribus pronunciavit in Universitate Wittebergensi assidentibus serenissimis principibus Illustrissimis Saxoniae ducibus Frederico Electore et Joanne fratribus.“ Außerdem lehrte P. nach eigenen Compendien römisches und kanonisches Recht. Das compendium juris civilis erschien schon 1503 (Albiburgi. 4°); der erste Theil des compendium juris canon. „in quo innumerabilia aurea et elegantia dicta continentur“ ebenda am 20. April 1504 mit einem Huldigungsschreiben an den Kurfürsten schließend; am 26. April 1506 folgte zu Leipzig bei Wolfg. Monacensis der zweite Theil dieses umfassenden Werkes, an den sich noch ein dritter anreihte. – In einer späteren Cölner Ausgabe ist das compendium in 3 partes getheilt und sind die Materien alphabetisch geordnet. Pars 1 umfaßt die Buchstaben a bis h; P. 2 i bis p. Fol. CCX beginnt P. 3 hujus utilissimi compendii, zuletzt: conclusio, d. h. Anrede an die Zuhörer. Petrus zählte in Wittenberg manchen Freund; zu diesen gehörte auch Nicolaus Marschalk, der die Vorrede zum compendium juris civilis verfaßte, dann Kilian Reiter aus Mellerstadt und Herman Trebelius aus Eisenach, welche die Veröffentlichungen ihres Gönners mit Gedichten schmückten, während hinwieder dieser bedacht war, die sächsischen Fürsten und deren erste Beamte in wohlgesetzten Versen zu besingen.

So günstig sich hiernach für P. die Dinge in Wittenberg gestalteten, so war doch auch hier seines Bleibens nicht. Im Sommer 1506 brach die Pest aus, weßhalb die Universität am 4. Juli (nach Muther am Ulrichstage, dem 7. August) nach dem Landstädtchen Herzberg verlegt wurde, wo sie bis Anfang December desselben Jahres verblieb. Auch P. schloß sein Collegium über Civilrecht im Juli mit den Worten: „Wie ich sehe, liebe Zuhörer, vertreibt uns die Pest. So Gott will, gedenke ich seiner Zeit das begonnene Werk zu vollenden!“ Dieser Vorsatz kam jedoch nie zur Ausführung; denn P. zog, an mehreren deutschen Hochschulen vorsprechend, auf Umwegen nach Köln, dessen [535] Universität sich gerne das „deutsche Paris“ nennen hörte, obwohl deren wissenschaftliche Leistungen auf diesen hochstrebenden Namen damals keinen Anspruch mehr verliehen.

Doctor Vincentius scheint den Vater nicht begleitet, sondern Wittenberg später verlassen zu haben, und von da unmittelbar nach Italien zurückgekehrt zu sein. Bald darauf wurde er Auditor des Cardinals von St. Sabina in Rom, und war nach Versicherung des Vaters eifrig bemüht, allen Deutschen, die sich am päpstlichen Hofe an ihn wandten, hilfreiche Hand zu bieten. Hiermit schließen die Nachrichten über Vincentius und ist uns über dessen spätere Schicksale nichts bekannt. –

P. war nach Köln ein glänzender Ruf vorangegangen und man sah seinem öffentlichen Auftreten mit größter Spannung entgegen. Wenn wir den übertreibenden Schilderungen des Ortwin Gratius Glauben beimessen dürfen, konnte bei der ersten Vorlesung ein sehr geräumiger Saal nicht die Menge der Herbeiströmenden fassen. Dicht gedrängt stand man bis weit über die Thüre hinaus noch im Freien. Mancher suchte ein Plätzchen auf den Aesten der vor den Fenstern befindlichen Bäume; andere im Sparrenwerk des Daches. Dem gewaltigen Getöse, durch die Anwesenheit so Vieler entstanden, folgte plötzlich lautlose Stille. P. war erschienen und hatte zu sprechen begonnen. Wie ein majestätischer Strom ergoß sich seine Rede. Alles lauschte mit ungetheilter Aufmerksamkeit. Und als er geendet, ertönte ein gewaltiger Beifallssturm, wie man ihn zu Köln kaum noch gehört. – Der Rath der freien Reichsstadt beeilte sich, den Gelehrten für die Universität zu gewinnen und P. übernahm gegen ein ziemlich bescheidenes Honorar den Vortrag in beiden Rechten, worauf er am 3. December 1506 immatriculirt und ihm „ob reverentiam personae“ die übliche Inscriptionsgebühr nachgelassen wurde. Da er auch seine sermones extraordinarii zum Gegenstand einer Vorlesung machte, besorgte er im Winter 1506/7 eine neue Ausgabe derselben und reihte an sie drei weitere, schon früher veröffentlichte Werke, die „Repetitio C. inter alia de immunitate ecclesiae“, den „libellus de potestate Papae & Imperatoris“, endlich den „Clypeus contra doctorem Cajum impugnantem suum consilium“, der bereits 12 Cal. Julii 1503 zu Wittenberg in 4° die Presse verlassen hatte. Am Schlusse des Buches theilt der Verfasser dem Leser die biographisch wichtige Nachricht mit, daß er und seine Gattin in den Orden der Tertiarier von der Regel des heiligen Franziscus getreten seien. Im folgenden Jahre (1508) veröffentlichte P. sein bekanntes „Alphabetum aureum“ (Alphabetum aureum famatissimi Juris utriusque Doctoris et equitis aurati dni Petri Ravennatis itali. quod ob publicam Scholasticorum utilitatem ac ut multa ex tempore in utroque Jure tum opponendo tum respondendo tum etiam determinando memoriter pronunciare possent. in lucem edidit, atque amplissime Germanorum universitati coloniensi nuncupavit); nach der Anlage unseren juristischen Encyklopädien vergleichbar, aber an Umfang und Tiefe des Gehaltes weit hinter diesen zurückstehend, denn das Buch enthält eine systemlose Aneinanderreihung juristischer Begriffe und Rechtsfragen, sammt deren Erläuterung in alphabetischer Ordnung, bereichert durch einen großen Citatenkram und bestimmt, von den Schülern auswendig gelernt zu werden. Nur durch den großen Ruf des Verfassers ist es erklärlich, daß dieses Werk in verhältnißmäßig rascher Folge vier Auflagen erlebte. Die zweite erschien in dem nämlichen Jahre wie die erste, 1508 (impressum Rothomagi per P. Olivier); die dritte am 6. Februar 1511; die vierte besorgte Dr. Johannes Thierey zu Lyon 1517. Dem Alphabete sind noch beigegeben die (wenige Blätter umfassenden) „Dicta quaedam notabilia quasi extravagantia sine ordine alphabeti“; dann die „Allegationes et conclusiones in materia consuetudinum“; [536] welche unter dem Titel: „Enarrationes in titulum de consuetudine“ auch in besonderem Drucke ausgegeben wurden. In der 3. und 4. Auflage ist die mehr erwähnte Criticomastix des Ortwin Gratius angehängt, nebst dessen Briefe an P. und dem Antwortschreiben des Ravennaten, welche beiden Schriftstücke schon früher kurz besprochen wurden. – Die günstige Aufnahme, welche der Ankömmling sofort bei seinem ersten Erscheinen in Köln gefunden hatte, sicherte ihm unter der Bevölkerung zahlreiche Anhänger, deren Namen wir aus der Criticomastix erfahren; wir finden unter vielen anderen den Protonotar des apostolischen Stuhles, Propst Andreas de Venroed, die Bürgermeister Gerhard v. Wesel und Gerhard Wasser, den erzbischöflichen Fiscal Urban de Viersen, Joh. Rincus, der Petrus malen und dessen Bild in seiner Wohnung aufhängen ließ, den Engländer Harisius, der gleich einigen Fremden des P. wegen nach Köln gekommen, und mehrere Andere.

Aber auch an Gegnern fehlte es dem welschen Gaste nicht, an deren Spitze kein Geringerer stand als der Dominikanermönch Jacob Hochstraten (s. A. D. B. XII, 527), einer der einflußreichsten Männer des theologischen Deutschland, doch schlimm gekennzeichnet in jenen epistolis obscurorum virorum; mit ihm und seinen Anhängern gerieth P. in eine wissenschaftliche Fehde, die beiderseits mit großer Zähigkeit und steigender Erbitterung geführt wurde. (Dr. Muther hat in seinen Vorträgen „Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation“, S. 99 u. ff., unter dem Titel: „Ausgang des Petrus Ravennas“ den Verlauf und die Einzelheiten dieses höchst unerquicklichen Streites sehr ausführlich geschildert.)

Um Johannis 1507 erschien die zweite Ausgabe des Jus canonicum; aus ihr entnehmen wir 2 Streitfragen, welche zwischen P. und den Kölner Theologen zu Meinungsverschiedenheiten geführt hatten. Die erste Streitfrage betrifft die Natur des Zehenten. P. vertritt in Uebereinstimmung mit den Kanonisten und gegen die Ausführungen eines ungenannten Doctors der Theologie den Satz: daß die Zehenten nicht juris humani, sondern juris divini, sohin unverjährbar seien. Der zweiten Controverse lag der concrete Fall zu Grunde: daß die Herausgabe des Leichnams eines reuig am Galgen verstorbenen Verbrechers behufs kirchlichen Begräbnisses verlangt wurde. P. hatte die Antwort ertheilt, daß die Verweigerung dieses Verlangens gegen göttliches, menschliches und natürliches Recht verstoße und sowohl guter Sitte wie Anstand widerstreite! … Gegen diesen Ausspruch richtete nun Hochstraten anfangs 1508 oder 1509 die Streitschrift: Justificatorium principum Alamaniae a Jacobo Hochstraten compilatum, dissolvens rationes P. Ravennatis (s. l. e. a.). Daneben veröffentlichte Gerhard von Zütphen, der freien Künste und der Theologie Professor, den „Tractatum de cadaveribus maleficorum morte punitorum ad considerationem Alamaniae Principum et aliorum Judicum.“ (Colon. 1508. 4°.)

Da P. und die Kölner Theologen übereinstimmend der papistischen Richtung huldigten und die erwähnten Controversen als theologische im strengeren Wortsinn nicht bezeichnet werden können, wird man kaum fehl gehen, wenn man die eigentliche Ursache des Zwistes zwischen P. und seinen kölnischen Widersachern auf ganz anderem Gebiete sucht. Zweifellos erregten die durchschlagenden Erfolge des welschen Gastes den Neid und die Scheelsucht der Einheimischen, zumal P., von Ueberhebung und Eitelkeit nicht frei, mit einem verletzenden Selbstgefühle aufzutreten pflegte. Auch Ordenseifersüchteleien mögen eine beachtenswerthe Rolle gespielt haben; wenigstens waren die Dominikaner sehr ungehalten, daß P. und seine Frau Lucretia Tertiarier geworden. Als die Tractate von Hochstraten und Gerhard erschienen, war P. gerade damit beschäftigt, einige „dicta notabilia“ zu seinem alphabetum aureum zusammenzustellen. Er benützte [537] diese Gelegenheit, in den dictis die zweite Streitfrage zu berühren und zu seinen Gunsten die schwerwiegende Ansicht des gefeierten Juristen Baldus de Ubaldis ins Treffen zu führen. Fast gleichzeitig trat er mit einer zweiten Schrift gegen Hochstraten auf, welche den Titel führt: „Valete cum perpetuo silentio ad clarissimum theologiae professorem magistrum Jacobum de Alta platea, ordinis predicatorum, Petri Ravennatis J. U. Doctoris de bassa platea etc.“; Petrus nennt sich hier im Wortspiele mit Hochstraten’s latinisirtem Namen („de alta platea) „de bassa platea“ (von der niederen Straße, d. h. von geringer Herkunft), und vertheidigt seine allerdings derbe Kampfweise mit dem hochfahrenden Gegner durch die ironische Behauptung: er sei eben plump an Körper und Geist, müsse daher plump vorgehen, weil Plumpem Plumpes gezieme. Er wolle sich indeß bei des Gegners Albernheiten nicht länger aufhalten; er werde das von Hochstraten ausgegebene Büchlein nebst seiner Entgegnung in Italien drucken lassen, die italienischen Doctoren mögen dann über diese Umgereimtheiten urtheilen.

P. stand in der heißen Fehde nicht allein; er fand in Ortwin von Graes kräftige Unterstützung, welcher in der mehrgenannten Criticomastix (ad Petr. Ravennatem suae peregrinationis Criticomastix ist der volle Name der Abhandlung) für den Angegriffenen in die Schranken trat, dessen Wanderschaft rechtfertigte und in allerdings starker Uebertreibung die Leistungen und Verdienste des P. hervorhob. Ortwin’s Verhalten bleibt jedoch ebenso räthselhaft als auffallend; denn während er 1508 jene, man darf sagen, begeisterte Schutzschrift veröffentlicht, finden wir ihn 1511 im Lager der Gegner des Petrus, da er der 1511 erschienenen dritten Ausgabe von Hochstraten’s „Protectorium principum Alamaniae“ ein lobendes Distichon voraussetzte und dem Dominikaner Gerardus de Zutphania eine höchst floskelreiche Grabschrift widmete. – Ebenso räthselhaft und auffällig bleibt es, daß die bekannten epistolae obscurorum virorum, welche an zwei Stellen (Brief 20 und 50, Band II) des Ravennaten gedenken, und Ortwin als „poeta, orator et philosophus, nec non theologus et plus si vellet“ verhöhnen, von jenem Meinungswechsel keine Erwähnung thun, obwol er für den Verfasser der Briefe eine sehr brauchbare Waffe gegen den Magister gewesen wäre.

Die beständigen Nörgeleien und Angriffe von Seite der Dominikaner verleideten P. allmählich den Aufenthalt im „glücklichen, heiligen Köln, der berühmtesten Stadt Deutschlands“, und er rüstete sich zur Abreise nach der ersehnten Heimat. Am Sonntag Palmarum, den 16. April 1508, hielt er vor einer großen Menge in der Minoritenkirche seine Abschiedspredigt über den Tod und verließ unter heißen Thränen die Kanzel. Am Donnerstag nach Ostern (27. April) bestieg er ein Schiff und fuhr einstweilen nach Mainz; denn die sofortige Rückkehr ins Vaterland war unthunlich, weil an Po und Adda der Kriegslärm tobte und gerade das Paduanische Gebiet mit feindlichen Truppen überzogen war. In Mainz wurde dem Fremdling warmer Willkomm. Wenige Tage nach der Landung sprach er in zahlreicher Gelehrtenversammlung (welcher auch der päpstliche Legat vom heiligen Kreuze anwohnte), unvorbereitet über einige ihm angewiesene Stellen des Hebräerbriefes und die Gewalt eines Legaten a latere, worüber letzterer sich sehr beifällig äußerte. Die Universität übertrug ihm alsbald die lectura ordinaria in jure canonico und er las noch gegen Ende des Sommersemesters 1508, wie wir aus der Aufzeichnung eines seiner Zuhörer, Johannes Sorbillo, erfahren. Im Laufe des Sommers vollendete er sein zu Köln begonnenes „Compendium breve in materia consuetudinum feudorum etc.“ Die Widmung (praefatiuncula) an Kaiser Maximilian ist datirt aus Köln am 13. April 1508 und floß aus der Feder seines [538] Schülers, des Engländers Guilelmus Harisius, jur. utr. baccalaureus, den wir bereits in Köln kennen gelernt haben. – P. bezeichnet im Eingange dieses Werk ausdrücklich als sein letztes, da er nach vielen Mühen endlich zu ruhen wünsche. Indessen werde er nicht versäumen, dem Jacob Hochstraten zu antworten, der voll Hochmuth, Dreistigkeit und Eigendünkel, in großer Ignoranz über Rechtsmaterien geschrieben habe, obwol er zwischen den Clementinen und dem liber sextus kaum unterscheiden könne und niemals Hörer des Rechts gewesen sei!

Letzterer entgegnete auf das Büchlein „Valete cum perpetuo silentio etc.“ mit der „Scholastischen Vertheidigung der Fürsten Deutschlands darin, daß sie die Verbrecher unbeerdigt am Galgen lassen“, wahrscheinlich nur ein etwas vermehrter Wiederabdruck des 1508 erschienenen Justificatorium Principum Alamaniae, das 1511 mit einem Lobgedichte Ortwin’s in dritter Auflage erschien, nachdem Hochstraten mittlerweile zur wichtigen Stelle eines inquisitor haereticae pravitatis ernannt worden war.

Während also Hochstraten den Kampf fortsetzte, sucht man vergebens nach der von P. im comp. feudorum in Aussicht gestellten Entgegnungsschrift; er scheint durch den Tod daran verhindert worden zu sein. Nur eine sehr triftige Hinderungsursache konnte die Erfüllung der sehr bestimmt gegebenen Zusage vereiteln. – Da wir nach dem Sommer 1508 jede Spur unseres Gelehrten verlieren, ist mit Grund anzunehmen, daß er in der zweiten Hälfte dieses oder anfangs des nächsten Jahres das Zeitliche segnete. Wir haben über den Tod des P. keine unmittelbare Nachricht; von Belang ist ein Brief, den Reuchlin am 1. November 1518 an den Cardinal Achilles de Crassis richtete. Er spricht hierin von Hochstraten, der sich rühme, Petrus Ravennas aus Köln vertrieben zu haben, und schreibt dann wörtlich: „Der göttliche Petrus Ravennas ging durch dieses Ungeheuer von Menschen, Aschthrata I. R. VII (denn so wird auf Chaldäisch auch der Teufel genannt), unter – aus Kummer (prae maerore)“.

P. hatte 1508 das 60. Lebensjahr überschritten und durch seine unstäte, aufregende Lebensweise einen guten Theil seiner Kräfte verbraucht, weßhalb ihn auch Ortwin als sehr gealtert und gebrechlich schildert. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß er ohnedieß durch Verdruß und Aerger über die beständigen Kämpfe vorzeitig aufgerieben wurde und aus Kummer über die erlittenen Kränkungen und böswilligen Angriffe starb. Wenn ihn Luther in seinen „Resolutiones de indulgentiis“ unter die Zeugen der evangelischen Wahrheit setzt, welche um dieser willen von den Anhängern der römischen Curie mit Gewalt unterdrückt wurden, so hat schon Hugo in seinem civilistischen Cursus (VI, 183) das Irrthümliche dieser Behauptung dargethan, weil P. dem papistischen Systeme huldigte und der Fehde nicht theologische Meinungsverschiedenheiten, sondern ganz vorwiegend persönliche Gehässigkeiten zu Grunde lagen.

Trotz unstäten Wanderlebens war unser Gelehrter ein sehr fleißiger und fruchtbarer Schriftsteller. Er hinterließ achtzehn Werke, von denen das compendium juris canonici mehrere Theile umfaßt. Sein nun selten gewordenes Erstlingswerk ist die eigentlich aus vier Reden bestehende „Oratio pro patria ad illmum[WS 1] Principem Nicolaum Trunum Venetum Ducem“, welche am 14. Februar 1472 von Nicolaus Jenson zu Venedig in Folio gedruckt wurde. Lange nach seinem Tode erschien die „Constitutio de statutis“, zuerst 1574 in Königsberg, dann 10 Jahre später 1584 Fol. in Venedig. Die mehreren seiner Werke beigegebenen lateinischen Carmina zeugen von dichterischer Begabung und sicherer Beherrschung der Sprache. Prof. Dr. Muther hat als Anhang zu seinem oben erwähnten Vortrage: „Ausgang des Petrus Ravennas“ (Seite 95–128, dann 370–395), sämmtliche Schriften desselben sorgfältig zusammengestellt, unter genauester Angabe [539] der einzelnen Titel, des Inhaltes jeden Bandes und der verschiedenen Ausgaben.

Ueber die Periode in Italien die in Savigny’s Gesch. des röm. Rs. im Mittelalter Bd. VII S. 253 Citierten, bes. Fabronius, Hist. acad. Pisanae T. I – u. G. Tiraboschi, Storia della letter. italiana VI. P. III, 544–55. – Ueber die Greifswalder Periode: Kosegarten, Gesch. d. Univers. Greifsw. etc. S. 154–162. – Ueber die Kölner und Mainzer Periode: Dr. Muther, Nr. III, „Ausgang des Petrus Ravennas“, S. 95–128 u. 370–395 in dessen Vorträgen: Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben etc. – Ein vollständiges Lebensbild gibt F. W. Barthold, Gesch. v. Rügen u. Pommern, Thl. IV, Bd. II, S. 7–17 u. 51–63. Siehe auch A. Balthasar, Vitae J.Ctorum Gripisw. u. dessen handschriftl. Zusätze.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Abkürzung von: illustrissimum