ADB:Otto IV. (Markgraf von Brandenburg)
Johanns I. und Sophias, der Tochter des Königs Waldemar II. von Dänemark, war einer der glänzendsten und ritterlichsten Fürsten seiner Zeit, eine Gestalt voll Kraft und Feuer, vielgepriesen von zeitgenössischen Dichtern und selbst ein Jünger des edlen Minnegesangs. Die Lieder, die man ihm zuschreibt, finden sich im ersten Bande von v. Hagens Minnesingern, theilweise auch im ersten Bande der „Märkischen Forschungen“ (S. 104 ff.) abgedruckt. Nach dem Tode seines Vaters (1266) kämpfte er auf Seiten Ottokars von Böhmen zuerst gegen die Ungarn, später gegen Rudolf von Habsburg. Dann suchte er seinen Bruder Erich mit Waffengewalt auf den durch den Tod Konrads von Sternberg erledigten erzbischöflichen Stuhl von [660] Magdeburg zu setzen, wo das Domcapitel sich für die Wahl Günthers von Schwalenberg entschieden hatte. Der Krieg, der darüber ausbrach, verlief für den Markgrafen, so sehr er Gelegenheit fand, seine ritterlichen Eigenschaften zu zeigen, nicht glücklich. Bei Frose erlitt er eine schwere Niederlage, die ihn selbst mit 300 seiner Vasallen in die Gefangenschaft des Erzbischofs fallen ließ. Um sich aus der Haft zu befreien, mußte er große Geldopfer bringen, welche ihm nach der Ueberlieferung nur dadurch möglich wurden, daß ihm sein treuer Rath Johann von Buch das Geheimniß eines von seinem Vater in der Kirche von Tangermünde für Nothfälle hinterlegten Schatzes enthüllte. Dadurch ward er in den Stand gesetzt, die 4000 Mark Silbers, die man in Magdeburg als Lösegeld forderte, zu erlegen. Als er seiner Haft entlassen ward, soll er zu dem Erzbischofe gesagt haben: „Ihr wißt den Werth eines Markgrafen doch nicht richtig zu schätzen: hoch zu Roß mit aufgerichteter Lanze hättet Ihr mich bis zur Spitze derselben mit Gold bedecken sollen, das wäre ein würdiges Lösegeld für einen Markgrafen von Brandenburg gewesen.“ Kaum in Freiheit gesetzt, begann er den Krieg aufs neue, belagerte Staßfurt an der Bode, ward aber bei dieser Gelegenheit durch einen Pfeilschuß schwer am Kopfe verwundet. Ein ganzes Jahr lang soll er den in der Wunde abgebrochenen Pfeil im Kopfe getragen haben: daher sein Beiname „mit dem Pfeil (cum telo)“ oder „Pilemann“. Im J. 1283 erreichte er trotz dieser Unglücksfälle seinen Zweck. Erich bestieg den erzbischöflichen Stuhl in Magdeburg, in welcher Stellung er noch öfter in der Lage war, den Beistand seiner Brüder namentlich gegen die Unbotmäßigkeit der erzstiftischen Vasallen anzurufen.
Otto IV., Markgraf von Brandenburg, zweiter SohnMit der ottonischen Linie seines Hauses stand O. mit dem Pfeil nicht immer in gutem Einvernehmen. Beide Linien haderten um das Recht der Ausübung der Kur, und im J. 1294 kam es zwischen den gleichnamigen Vettern, Otto mit dem Pfeil und Otto dem Langen, sogar zu kriegerischen Verwickelungen, die der König Adolf zu Anfang des Jahres 1295 nur mit Mühe zu Nordhausen beilegte. Vielleicht war dieses gespannte Verhältniß zu seinem Vetter der Grund des Bündnisses, welches der Markgraf noch in demselben Jahre am 12. März mit dem Herzoge Otto dem Strengen von Lüneburg abschloß. Wie groß übrigens sein Ansehen im Reiche war, erhellt daraus, daß ihn König Adolf im J. 1295 zum obersten Friedensrichter in Sachsen bestellte. Im folgenden Jahre (1296) begann Otto mit seinem Bruder Konrad und seinen Vettern von der ottonischen Linie einen Krieg gegen den Herzog (König) Przemislaw von Polen, der sich Pommerns bemächtigt hatte, obschon dieses Land durch wiederholte kaiserliche Verleihung zu einem Brandenburger Lehen erklärt worden war. Im Schlosse Rogozno, fünf Meilen nördlich von Posen, ward Przemislaw in der Fastnacht (7.–8. Februar) überfallen und niedergemacht, wie man wissen wollte, durch des Markgrafen Johann eigene Hand. Nun wählten die Polen den Herzog Wladislaw Loktiek von Masovien zu ihrem König, der die Ansprüche auf Pommern erneute und den Krieg fortsetzte. Aber auch König Wenzel von Böhmen erhob Ansprüche auf Polen und Pommern und Wladislaw mußte als Flüchtling das Land verlassen, das nun auf längere Zeit der Anarchie zur Beute fiel.
Die letzten Regierungsjahre Otto’s sind durch verschiedene Fehden, seine lebhafte Theilnahme an den Reichshändeln, aber auch durch Streitigkeiten mit den Bischöfen von Brandenburg und Havelberg erfüllt, welche letztere dem Markgrafen den Bann der Kirche und seinem Lande die Verhängung des Interdictes zuzogen. An der Absetzung Adolfs von Nassau hat sich O. betheiligt, aber nicht an dem Kriegszuge gegen ihn. Im J. 1299 führte er im Bunde mit den übrigen brandenburger Markgrafen eine Fehde gegen Niklas von Rostock [661] und Witzlaw von Rügen und im J. 1300 mit den Herzögen Heinrich, Albrecht und Otto von Braunschweig. Er starb am 27. November 1309 kinderlos. Das Todesjahr seiner Gemahlin Heilwig, einer Tochter des Grafen Johann I. von Holstein, mit der er sich 1262 verheirathet hatte, ist nicht bekannt.
Bis auf Walther v. d. Vogelweide war die eigentliche Minnepoesie adlichen Dichtern überlassen, während die Fahrenden sich auf die alten Gattungen der volksmäßigen Gnomik beschränkten: er zuerst warf diese Schranken nieder und eroberte für ritterliche Dichter das Feld der Spruchpoesie, die er durch seine bedeutendere Behandlung geadelt hatte. Damit war die Kluft zwischen der Dichtung der bürgerlichen Gehrenden und derjenigen der ritterlichen Sänger ausgefüllt, das Repertoire der altdeutschen Lyrik in weiteren Kreisen ein einheitlicheres, und damit waren vor allem die Spielmänner, die sich fortan wie ihr Lehrer zu Sprechern der öffentlichen Meinung in wichtigen Angelegenheiten des Vaterlands aufwarfen, in eine höhere sociale Stellung gehoben, so daß sie nun auch der ehemals adlichen Minnedichtung sich widmeten. Voll und ganz erstreckt sich jedoch diese Wirkung Walthers nur über Süddeutschland: hier ergreifen fortan Ritter, wie Reinmar von Zweter, die Stoffe der alten Spielmannslyrik in ihrer neuen Metamorphose, dichten fahrende Sänger unadlicher Herkunft, wie der Marner, wie Konrad von Würzburg, auch höfische Liebeslieder. In Norddeutschland dagegen drang, während des 13. Jahrhunderts wenigstens, nur die eine Seite der Waltherschen Neuerung durch: die bürgerlichen Spielleute nahmen zwar nach seinem Beispiel für die Spruchdichtung den neuen großen Inhalt, die Beziehung auf die Politik an, aber sie hielten sich von der eigentlichen Liebespoesie noch immer fern. Denn diese galt hier noch lange als adliche Kunst, als ausschließliches Besitzthum und Vorrecht des ritterlichen Standes.
So erklärt es sich, daß gerade hier im Norden Deutschlands während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die höfische Liebeslyrik in den Kreisen des höchsten, des fürstlichen Adels, durch Fürsten von Meißen, Brandenburg, Breslau, Böhmen, Rügen eine fröhliche Nachblüthe erlebte, während im oberen Deutschland längst alle zarteren Töne der Minnepoesie durch die grellen und unreinen Klänge der ausartenden Neidhart-Steinmarischen Richtung erstickt oder in einem stillosen Gewirr widersprechender Stimmen verklungen waren. Die Väter dieser gekrönten Dichter waren zum Theil Gönner und Liebhaber des Minnesangs, wie wir das vom Vater des Minnesängers Markgraf Heinrich III. von Meißen (Bd. XI, S. 544), jenem Dietrich IV. (Bd. V, S. 186), an dessen Hof sich Heinrich von Morungen und Walther von der Vogelweide aufhielten, und vom Vater des Minnesängers Herzog Heinrich IV. von Breslau (Bd. XI, S. 607), dem von Tanhäuser gerühmten Heinrich III. (l. c. S. 606) wissen (der Liederdichter König Wenzel II. von Böhmen war ein Verwandter und Mündel Otto’s V. des Langen, des Vetters von Otto IV. von Brandenburg): die Söhne üben selbst die Kunst, ähnlich wie hundert Jahre früher in Süddeutschland die beiden Burggrafen von Regensburg[WS 1] und Friedrich v. Hausen, deren Väter Protectoren fahrender Sänger waren.
In der Reihe dieser fürstlichen nord- und mitteldeutschen Minnesänger, die theils durch verwandtschaftliche, theils durch Bande der Freundschaft verknüpft, eine gewisse Uebereinstimmung in dem Charakter ihrer Poesie zeigen, welche sich etwa als maßvoller Realismus bezeichnen läßt, steht nun freilich Markgraf Otto IV. von Brandenburg nicht voran. Ist er an poetischer Begabung seinem etwas jüngeren Zeitgenossen Wizlaw VI. von Rügen (s. daselbst) schon ganz und gar nicht ebenbürtig, so wird er auch von mehreren der übrigen [662] merklich übertroffen. Immerhin erfreut er durch sein kleines, liebenswürdiges Talent: er hält sich von Spielerei und Künstelei wie von allzu großer Sentimentalität frei und versteht es, längst gehörte Weisen anmuthig zu wiederholen. Wir haben von ihm nur sieben Lieder – alle in der Pariser Liederhandschrift – und eines davon scheint unvollständig zu sein. Seine Dichtung bewegt sich in engem Kreise, von dem thatenreichen Leben, das er geführt hat, spiegelt sie nichts wieder und höchstens eine gewisse Frische ihres Tones könnte dem Bilde des mannhaften Regenten entsprechen. Drei Lieder knüpfen an die Jahreszeit an: zwei Winterlieder, in denen der auch bei Wenzel von Böhmen (von der Hagen, Minnesinger I 9a, Str. 6) vorkommende Gedanke erscheint, daß des Winters Beschwerden und das Welken der Blüthen gleichgültig sei verglichen mit dem Glück der Liebe während der langen Nacht; ein Sommerlied mit einfachster Naturschilderung voll volksmäßiger, alterthümlicher Züge. Die übrigen vier Lieder erregen kein Interesse: eins davon ist ein didaktisches Gedicht und handelt von der rechten Art der Minne in der Weise der moralischen Spruchpoesie, wobei die beliebte Antithese von minne und unminne und eine etwas dürre Rhetorik nicht fehlt. Man sieht, der fürstliche Dichter ist nicht nur bei den adlichen Minnesängern der früheren Zeit, sondern auch bei den bürgerlichen fahrenden Meistern in die Schule gegangen und bewährt so auch seinerseits den oben geschilderten Erfolg der Waltherschen Poesie. O. wiederholt sich in den wenigen Strophen: der rothe Mund der Geliebten wird mehrmals hervorgehoben und zweimal in Nachahmung Walthers (Lachmann S. 74, 14. 15) und Anderer versichert, daß er ihn auf den Tod verwundet habe, ein Motiv, das auch Markgraf Heinrich von Meißen (Minnesinger I. 14b) verwendet. Am ansprechendsten wirkt das erste Lied, weil es Scene und Handlung hat und den glücklichsten Fluß der Sprache, welchen der ganz einfache, alterthümliche Strophenbau unterstützt: der Winter wird angeredet; der Dichter erinnert sich eines Zusammentreffens mit seiner Herrin: sie stand vor ihm in reicher Kleidung und ihr Mund erschien ihm so rot wie eine feurige Flamme; Bitte um Gottes Hilfe und Segen macht den Schluß. – Die Strophenformen sind nur in diesem und im zweiten Gedicht so einfach und alterthümlich, sonst ein wenig complicirter; in zwei Liedern ist der letzte Vers des Abgesangs durch gleichen Reim mit dem Schlußvers des Aufgesangs gebunden. – O. hat in hochdeutscher Sprache gedichtet, wie der Mangel jedes niederdeutschen Reimes und die Bindung machen : lachen (v. d. Hagen, Minnesinger Str. 10, 5. 6) beweist, die in seiner Mundart (niederdeutsch mâken : lachen) nicht möglich wäre. Wir haben in dieser Thatsache ein sicheres Zeugniß für die von einigen Gelehrten ohne Grund bestrittene Geltung der hochdeutschen Schriftsprache auf niederdeutschem Gebiet im 13. Jahrhundert. – Von mehreren norddeutschen fahrenden Sängern wird O. gerühmt: von dem Meißner (Minnesinger III 107, Str. 116) und zusammen mit den übrigen brandenburgischen Fürsten, ohne daß sein Name ausdrücklich genannt wurde, von Hermann dem Damen in einem Spruch, der deutlich das Gedicht vom Wartburgkrieg nachahmt (Minnesinger III 165b, Str. 20). Beidemal wird seiner Lieder mit keinem Worte gedacht: die fahrenden Dichter wagen offenbar nicht, den Markgrafen als ihren Collegen zu begrüßen. Nicht auf O. IV., wie behauptet ist, gehen zwei Gedichte des Goldener (Minnesinger III 52b) und Frauenlob’s (Ausgabe von Ettmüller, Spruch 134–138): ersteres bezieht sich auf Otto’s Vetter, den Markgrafen Otto V. den Langen, letzteres auf Otto’s Neffen, den Markgrafen Waldemar.
- von der Hagen, Minnesinger I, 11. 12. III, 585a. IV, 25–29 – Bartsch, Liederdichter Nr. LXXX. – Begründung der litteraturhistorischen Auffassung [663] des Eingangs in meiner Schrift: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, Leipzig 1880, S. 128–139.