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Artikel „Regensburg, der Burggraf von“ von Konrad Burdach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 550–552, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Burggraf_von_Regensburg&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 07:32 Uhr UTC)
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Regensburg, der Burggraf von R., Minnesänger. Unter diesem Namen sind in der Pariser und Heidelberger Liederhandschrift vier Gedichte aufgezeichnet. Daneben erscheint in den Handschriften noch als Dichter der burggrâve von Rietenburg. Da nun das aus Stevening (heute Steffling, Amtsgericht Nittenau) stammende Geschlecht der Burggrafen von Regensburg sich auch nach seiner Besitzung Rietenburg (an der Altmühl) nannte, lag die Vermuthung nahe, welche von der Hagen ausprach, Haupt halb und halb anerkannte, die beiden seien in Wahrheit ein und dieselbe Person. Eine genaue Untersuchung der ihnen von den Handschriften beigelegten Lieder durch Scherer hat aber in Sprache, Stil, Metrik und Inhalt viele beträchtliche Unterschiede ergeben. Danach darf man der Ueberlieferung glauben und zwei Dichter unterscheiden, die derselben Familie angehören. Ihre Zeit läßt sich nur aus ihren Gedichten durch litterarhistorische Combination bestimmen. Die Lieder des „Burggrafen von Regensburg“ tragen ein alterthümlicheres, volksmäßigeres Gepräge als die des Burggrafen von Rietenburg, sind ohne Zweifel die früheren und mögen etwa um 1170 gedichtet sein. Wahrscheinlich waren die beiden Dichter Brüder, da für Vater und Sohn der Abstand ihrer Kunst nicht groß genug ist, und zwar Söhne des Burggrafen Heinrich III., der bedeutendsten Persönlichkeit des tüchtigen, hochangesehenen Geschlechts, der seit 1143 die Burggrafschaft inne hatte und zwischen 1174 und 1177 starb. Der ältere der beiden Minnesänger war entweder Friedrich (in Urkunden zuerst 1150, neben dem Vater Burggraf seit 1160, † 1181/82) oder dessen jüngerer Bruder, Heinrich IV. (Burggraf seit 1176, † nach 1184/85), während man den jüngeren Dichter für Heinrich II. oder für den Stiefbruder Otto III. († nach 1185) halten kann. Die Lieder des Burggrafen von Regensburg stehen in ihrem Charakter den anonymen, unter dem Namen des Kürenberger überlieferten am nächsten. Gleich diesen sind sie die ältesten erhaltenen Beispiele einer naiven, volksmäßigen Liebespoesie aus den ritterlichen Kreisen der bajuvarischen Lande. Gewöhnlich hält man die Kürenberglieder für ein wenig älter, aber auch das umgekehrte Verhältniß ist möglich, und die Vergleichung der Strophenformen könnte sogar dafür sprechen: der Regensburger bewahrt noch den alten Typus der Otfriedstrophe mit vorgesetzten reimlosen Zeilen (Waisen), die Kürenbergstrophe (= der Nibelungenstrophe) verkürzt die ersten drei Reimzeilen. Jedenfalls bestand zwischen Baiern und Oesterreich auf dem Gebiet der Lyrik damals ein lebendiger Verkehr, eine gemeinsame Tradition. Und das erklärt sich in diesem Falle auch noch aus persönlichen Beziehungen: die beiden Brüder Friedrich und Heinrich IV. von Regensburg waren Söhne der Babenbergerin Bertha, der Tochter Leopold’s III. von Oesterreich, hielten sich oft und lange in Oesterreich auf; Friedrich verwaltete die österreichischen Besitzungen des Hauses, besuchte wiederholt seinen Oheim Heinrich II. wie seinen Vetter Leopold V., den Gönner Reinmar’s des Alten; und auch Heinrich IV. war zeitweise in Wien. „Der Burggraf von Regensburg“ ist der älteste uns mit Namen bekannte Minnesänger Baierns, aber er macht aus seinem Dichten noch keine Profession. Schon sein Stand verbot das: er gehörte als Burggraf, der nicht nur königlicher Beamter in der Stadt, sondern Gaugraf in einem Theile des Donaugaus war und als solcher den Gerichtsbann, Heerbann und Administrationsbefugnisse besaß, zu den principes, kam dem Range nach unmittelbar hinter dem Markgrafen und war den Pfalzgrafen ebenbürtig; seine Familie konnte sich der Verwandtschaft mit deutschen Königen und den ersten Männern des Reiches rühmen. Ein wichtiges Beispiel wie damals – zwischen 1160 und 1170 – das litterarische [551] Interesse des hohen Adels in selbständige poetische Thätigkeit umschlug. Der Vater wurde nach einer sehr glaubhaften Vermuthung Haupt’s (zu Minnesangs Frühling 25, 21), die angezweifelt, aber durch keine bessere ersetzt ist, als ein Gönner der Fahrenden von einem anonymen Sänger gerühmt, die Söhne üben selbst die Kunst. Aber es ist noch eine freie Kunst, vielleicht nur „der natürliche Ausfluß eines oder zweier poetischer, liebebewegter Jugendjahre“, jedenfalls noch keine Gesellschaftspoesie, noch keine Berufsdichtung: die ersten Blüthen jenes lyrischen Frühlings, die wie Improvisationen anmuthen, ohne es doch völlig zu sein, Confessionen des persönlichen Verkehrs der Liebenden unter einander, der Wirklichkeit selbst entlehnt. Wie die Kürenberglieder sind es Perlen ohne prunkende Fassung, die eine glückliche Welle des Zufalls aus den heimlichen Gründen der volksthümlichen Dichterkraft emporgespült hat, versprengte Reste unmeßbarer Schätze, die jene Tiefen beschlossen und die wir nur ahnen können. Hier herrscht noch die alte Auffassung von dem Verhältniß der Geschlechter: der Mann ist der Gebieter, die Frau die Werbende, Sehnsüchtige, zart Empfindende. Keine Spur noch von dem modernen, aus Frankreich eingeführten Begriff der Galanterie, der höfischen Etikette, des förmlichen Minnedienstes. In den drei Frauenstrophen des Regensburgers erklingt ein weicheres Gefühl, die eine Mannsstrophe ist keck, hat nur über Neid der Merker zu klagen, kennt nicht den Kummer der Liebe. Nichts findet sich aber auch von den typischen Zügen des alten chorischen Tanzliedes, das wir aus Neidhart’s Reien erschließen können: weder Naturbild, noch Tanzbild, noch Anrede an ein Publicum, was doch höfische Dichter, wie z. B. Veldeke in ihren für die Gesellschaft gedichteten Liedern benutzen. Es ist eben durchweg monodische, durchweg einsame Lyrik, d. h. solche, die sich als Aeußerung eines Einzelnen gibt und die sich an keinen gegenwärtigen Hörer wendet. Es könnten poetische Billets der Liebenden an einander sein, Aufträge an Boten, die Keime einer später kunstmäßig gepflegten Gattung: der Botenlieder. Es fehlen alle epischen und alle dramatischen Elemente (kein Dialog), die Empfindung strömt rein lyrisch dahin. Die Charakteristik der Liebenden beschränkt sich auf Andeutung: kaum ein paar directe Epitheta. Wir gewahren im Unterschied von den Kürenbergliedern weder Scene noch bestimmte äußere Situation noch Handlung; einmal begegnet ein Hinweis auf die Jahreszeit mit sparsamstem Gebrauch einer typischen Formel. Es erklingen die uralten, einfachen Motive natürlicher Liebe unter natürlichen Menschen: zwei die mit Seele und Leib eins sind, ungescheut ihre Sinnlichkeit offenbaren, müssen heimlich ihr Glück genießen, werden von Aufpassern gestört, betheuern sich ihre Treue, gedenken vergangener Wonnen, weisen Trennungsversuche zurück. Und ebenso einfach die Mittel der Sprache, des Stils, der Verskunst: Syntax und Wortgebrauch noch ungekünstelt, kein complicirter Satzbau, keine raffinirte Terminologie, keine Antithesen, keine rhetorischen Figuren, keine Metaphern und Vergleiche; die Reime noch theilweise unrein. Die Grundthatsachen, die Urelemente aller Liebeslyrik reden aus den wenigen Versen, nicht so lebendig. so leuchtend und quellend wie in den Kürnbergliedern, aber auch unter der stillen Gefaßtheit dieser wortkargen Bekenntnisse birgt sich echte Leidenschaft, spüren wir das Zittern wahrhaft bewegter Herzen.

Von der Hagen, Minnesinger II, 171. IV, 480 ff. – Lachmann und Haupt, Des Minnesangs Frühling, 3. Ausg. Leipzig 1882, Nr. IV, S. 16 ff., 233 ff., 239 ff. – Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrh., 2. Ausg. Stuttgart 1879, Nr. V. – Scherer, Deutsche Studien II (Sitzungsberichte d. Wiener Akad. phil.-hist. Cl. Bd. LXXVII, Jahrg. 1874) S. 27 ff., 76 ff. – Martin, Zeitschr. f. deutsch. Alterth. XX, 64. – Burdach, Reinmar und Walther, Leipzig 1880, S. 166. – R. M. Meyer, Zeitschr. f. deut. Alterth. [552] XXIX, 190 ff. – Grundlos ist die Athetese des ersten Tons durch Becker, Altheimischer Minnesang, Halle 1882, S. 75 ff., 222, 225. – Das Historische jetzt am besten bei Manfred Mayer, Geschichte der Burggrafen von Regensburg, München 1883, wo die früheren Arbeiten von Wittmann, Theodor Mayer, Giesebrecht und die in Betracht kommenden Urkundensammlungen verzeichnet sind.