Empfohlene Zitierweise:

Artikel „v. Münster, Ernst Graf“ von Ferdinand Frensdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 157–185, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCnster,_Ernst_Graf_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:06 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Müllner, Adolph
Band 23 (1886), S. 157–185 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Ernst Friedrich Herbert zu Münster in der Wikipedia
Ernst Friedrich Herbert zu Münster in Wikidata
GND-Nummer 118585509
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|157|185|v. Münster, Ernst Graf|Ferdinand Frensdorff|ADB:Münster, Ernst Graf von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118585509}}    

v. Münster *): Ernst Friedrich Herbert Graf v. M. wurde am 1. März 1766 zu Osnabrück geboren. Der fürstbischöfliche Hofmarschall Georg Ludwig Dietrich v. M., der theils zu Osnabrück, theils auf seinem Gute Surenburg (Kreis Aurich) lebte, war zweimal verheirathet, in erster Ehe mit einer Tochter des Hammerstein-Gesmold’schen Hauses, in zweiter mit Eleonore, Tochter des Generals v. Grothaus, die ihm das Gut Ledenburg (Kreis Osnabrück) zubrachte. Aus der ersten Ehe stammten zwei Söhne, die selbst oder in ihrer Descendenz sich nach Langelage und Meinhövel zubenannten, und zwei Töchter, von denen die eine den Grafen Ernst Franz v. Platen-Hallermund, die andere den Freiherrn v. Schele heirathete und die Mutter des unter König Ernst August vielgenannten Ministers v. Schele wurde. Der einzige Sohn zweiter Ehe war Ernst v. M. In seine Erziehung theilten sich zwei Anstalten sehr verschiedenen Charakters: 1778–81 gehörte er dem von Basedow begründeten Philanthropin zu Dessau, die folgenden Jahre bis 1784 der Ritterakademie zu Lüneburg an. Im Herbst 1784 bezog er die Universität Göttingen, in deren Matrikelbuch er sich am 19. October als Ernst Friedrich Herberth v. Mönster eintrug, eine Namensform, deren sich die Familie bis 1792 bediente. Vier Jahre studirte M. in Göttingen Jurisprudenz und lernte, wie er selbst sagt, die berühmten Männer alle kennen, die sich dort zu jener Zeit auszeichneten. Auffallenderweise findet er sich unter den Zuhörern Pütter’s, der schwerlich einen vornehmen Namen wie den seinen übergangen haben würde, nicht aufgeführt. Jene Jahre waren die [158] glänzendsten der Hochschule; sie feierte während derselben ihr 50jähriges Jubiläum und hatte sich des Besuchs der drei jüngsten Söhne König Georg III. zu erfreuen (s. A. D. B. VI, 264). Die Bekanntschaft, welche M. mit den Prinzen knüpfte, wurde folgenreich für sein ganzes Leben. Unter den Studirenden spielte M. eine hervorragende Rolle und nahm an den Kämpfen der beiden Orden, der Unitisten und der schwarzen Brüder, deren erstem er gleich anderen Grafen und Herren angehört haben wird, lebhaften Antheil. Nach beendeter Studienzeit trat er als Auditor bei der Justizkanzlei zu Hannover in den öffentlichen Dienst. Für geselligen Verkehr sorgte der benachbarte braunschweigische Hof, an dem Herzog Karl Wilhelm Ferdinand und seine Gemahlin Augusta, die Schwester des Königs von England, den französischen Emigranten reiche Feste gaben. 1791 wurde M. Hof- und Kanzleirath in Hannover, ohne jedoch diesem richterlichen Amte viel Zeit und Kraft widmen zu können, denn schon im Juni 1793 erhielt er den Auftrag, den zweitjüngsten Sohn des Königs, seinen ehemaligen Göttinger Studiengenossen, aus Rom, wo er seit Ende 1792 weilte, abzuholen und nach England zu geleiten. Die Aufgabe war in mehr als einer Hinsicht schwierig. Prinz August, nachmals Herzog von Sussex, hatte sich im April 1793 mit der ältesten Tochter des schottischen Grafen von Dunmore, Lady Augusta Murray, in Rom heimlich durch einen englischen Geistlichen trauen lassen; und als der Prinz und sein Begleiter die Rückreise nach England antreten wollten, sperrte ihnen der Krieg die Wege zu Lande wie zu Wasser, so daß das englische Kriegsschiff, das sie in Livorno im Juli aufnahm, erst im September die Heimath erreichte. Die vier Monate des nun folgenden Aufenthalts am Hofe zu Windsor legten den Grund zu der genauen Bekanntschaft, deren sich M. beim Könige und den Mitgliedern seiner Familie erfreute. Nachdem die Eheschließung des Prinzen, der eine zweite Trauung mit der inzwischen in London angelangten Lady Murray auf englischem Boden nachgefolgt war, zur Kenntniß des Königs gekommen und dieser die gesetzlichen Maßregeln gegen die Verletzung des Royal marriage act von 1772 einzuleiten befohlen hatte, verließ der Prinz England wieder und begab sich im Januar 1794, auch diesmal von M. begleitet, nach Italien zurück. Fast fünf Jahre verweilten sie hier, am längsten in Rom und Neapel. Mochten auch Beziehungen zu Staatsmännern wie dem nachmaligen Cardinal Consalvi oder zu dem königlichen Hofe in Neapel geknüpft werden, vorwiegend waren es doch künstlerische Interessen, welche die Reisenden verfolgten, und Künstler und Kunstgelehrte bildeten den Kreis, in dem sie verkehrten. Außer Hirt, Zoëga und dem spanischen Gesandten Azara begegnen die Namen deutscher Künstler in Rom und Neapel, Angelika Kaufmann, Tischbein, Philipp Hackert, die Landsleute Rehberg und Kniep unter der Bekanntschaft des Prinzen August und seiner Freunde, wie man sie nannte. M. und Tatter, der letztere gleichfalls ein Genosse der Göttinger Zeit (s. A. D. B. VI, 264), werden unter ihnen besonders hervorgehoben; „der trotzige Graf, mein eifriger, ernstlicher Freund und zugleich mein Widersacher“, wie er in einem Briefe Zoëga’s heißt. Zu der classischen Bildung, die M. mitbrachte, erwarb er nicht blos eine lebendige Anschauung des Alterthums, sondern auch ein inniges Verständniß der Kunst. Sein ganzes Leben hindurch übte er das Zeichnen und noch in seinen letzten Jahren hat er seine Töchter darin unterrichtet. „Der Maler“ hieß er deshalb in den Briefen, welche während der Fremdherrschaft die Vertrauten miteinander wechselten. 1798 in die Heimath zurückgekehrt, erhielt M. eine Rathsstelle in der Domänenkammer, der zu jener Zeit wichtigsten Verwaltungsbehörde des Landes. Stein, der damals M. in Hannover kennen lernte, bezeichnete ihn in einem Briefe an Frau v. Berg als einen in jeder Hinsicht achtungswerthen Ehrenmann und Kenner in Gemälden und schönen Künsten. Seit dem Jahre 1792 hatte er von dem damaligen Reichsvicar [159] Karl Theodor, Kurfürsten von der Pfalz, zugleich mit den Kindern seines ältesten Bruders und mit seinem älteren Bruder, Georg v. Münster-Meinhövel, die Erhebung in den Grafenstand erlangt.

Mit dem Jahre 1801 beginnt die politische Laufbahn Münster’s, da eine ihm 1797 nach Rastatt zugedachte Sendung unterblieben war. Zunächst waren es diplomatische Aufgaben, die ihm gestellt wurden. Nachdem einmal der Grundsatz der Säcularisation zugestanden war, streckte jeder deutsche Staat, einerlei ob durch die Abtretung des linken Rheinufers geschädigt oder nicht, verlangend seine Hand nach dem ihm zunächst und bequem gelegenen geistlichen Fürstenthum aus. Für Hannover waren die Bisthümer Osnabrück und Hildesheim solch gewinnenswerthe Objecte; aber um beide, jedenfalls um Hildesheim, hatte es Preußen zum Mitbewerber. Um bei Vertheilung der Entschädigungsmasse nach Wunsch bedacht zu werden, galt es sich der Stimme der Schiedsrichter zu vergewissern. Während die deutschen Fürsten, große und kleine, um die Gunst Frankreichs buhlten, erschien es König Georg III. rathsamer, sich den Beistand Rußlands zu sichern. Das war die dem Grafen M. zugedachte Aufgabe. Unterstützt von dem Legationssecretär Tatter, dem italienischen Gefährten, einem gewandten und erfahrenen Manne, fand er sich auf dem Petersburger Boden bald zurecht, kam in günstige Beziehungen zum Kaiser Alexander und hervorragenden russischen Staatsmännern, wie dem damaligen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Fürsten Czartoryski. Einer der ersten Berichte Münster’s galt den Hergängen bei der Ermordung des Kaisers Paul, über die er durch eine hochgestellte Persönlichkeit an Ort und Stelle unterrichtet wurde. Dem Ausdruck seines Entsetzens gegenüber ist damals das seitdem oft citirte Wort gefallen: que voulez-vous? c’est notre magna charta: la tyrannie tempérée par l’assassinat! Münster’s Mission erreichte insofern ihren Zweck, als Hannover den Erwerb Osnabrücks zugesichert erhielt; in Bezug auf Hildesheim mußte es gegen Preußen zurücktreten. Schon um die Wende des Jahres 1802 war dies Ergebniß, das dann auch im Reichsdeputationshauptschlusse seine Bestätigung fand, vorauszusehen. Als im Frühjahr 1803 der Krieg zwischen England und Frankreich wieder ausbrach und im Juni Hannover von den Franzosen unter Mortier widerstandslos besetzt wurde, traten allgemeinere diplomatische Aufgaben heran, zu deren Erledigung M. in Petersburg blieb und mit den österreichischen Staatsmännern, die an den russischen Hof kamen, wie Stadion und Schwarzenberg, in enge Beziehung trat. Durch die Zuverlässigkeit seiner antifranzösischen Gesinnung und die Thätigkeit, die er für das Zustandekommen einer großen Coalition gegen Frankreich damals entwickelte, erwarb er sich das Vertrauen der russischen und österreichischen Staatsmänner, das für spätere Anknüpfungen so wichtig wurde. Zu Ende des Jahres kehrte M. auf der Fregatte, die den englischen Gesandten, General Warren, abgeholt hatte, nach England zurück. Zunächst nur in Form eines Urlaubes hier verweilend, wurde er Ende Mai 1805 an Stelle Lenthe’s zum Staats- und Cabinetsminister bei der Person des Königs ernannt. Das Avancement vom Kammerrath zum Minister erschien auch vorurtheilsfreien Beamten, welche den Staatskalender nicht zum Regulator der Beförderung machten, als unerhört und, wenn sie auch Münster’s Verdienste nicht unterschätzten, doch nur durch die persönliche Gunst des Königs erklärlich. Die Ernennung belohnte nicht blos die Petersburger Mission, sondern auch den am 11. April 1805 in London unter Münster’s Vermittlung zu Stande gekommenen Vertrag zwischen England und Rußland, unter dessen Zwecken die Wiedereroberung Hannovers obenan stand, einen Vertrag, der nicht blos die Grundlage der dritten Coalition bildete, sondern nach Ranke’s Bezeichnung als eine der vornehmsten Transactionen zu betrachten ist, auf denen die neuere Geschichte Europas überhaupt beruht. Noch [160] ehe die vorbereiteten Maßregeln zur Ausführung kamen, räumten die Franzosen den größten Theil Hannovers, und unter dem Schutze preußischer, russischer und schwedischer Truppen konnte Ende October das bisher in Schwerin weilende Ministerium ins Land zurückkehren. Eine königliche Proclamation vom 14. November, unterm 4. December in Hannover bekannt gemacht, übertrug dem jüngsten Sohne des Königs, dem Herzog Adolf von Cambridge, die Direction des gesammten Militärwesens, während Graf M. in Ansehung der Civilangelegenheiten die Landesbedürfnisse erforschen und die zweckdienlichen Mittel zur Abhülfe ergreifen sollte, wobei alle Behörden ihm Folge zu leisten angewiesen wurden. Der wechselvolle Gang der preußischen Politik bereitete der Mission Münster’s ein rasches Ende. Nachdem eben das hannoversche Ministerium Namens des Königs von Preußen eingeladen war, seine Functionen wieder anzutreten, nahmen die preußischen Truppen Ende Januar 1806 auf Grund der mit Frankreich gepflogenen Verhandlungen Hannover zunächst in Verwahrung und Administration, um dann seit dem 1. April eine Besitznahme kraft Cession Frankreichs, das damals nur noch einen Punkt der eroberten Kurlande, die Festung Hameln, in Händen hatte, an die Stelle treten zu lassen. Auf das preußische Publicandum vom 27. Januar antwortete ein Protest Münster’s vom 30. Januar und eine denselben im Wesentlichen wiederholende Bekanntmachung vom 3. Februar, in der zugleich die Unterthanen von allen Widerstandsversuchen abgemahnt und die Staatsdiener zum Ausharren auf ihren Posten aufgefordert wurden. Die Proclamation König Friedrich Wilhelm III. vom 1. April erwiederte Georg III. am 20. April mit einer Declaration, welche M., der am 9. Februar nach England zurückgekehrt war, contrasignirt und offenbar auch verfaßt hatte. Während sich jener Protest kurz und knapp an die Thatsachen hielt und durch ihre Zusammenstellung den schweren Vertrauensbruch constatirte, dessen Preußen sich schuldig gemacht, ist dies zweite Manifest ein langathmiges Actenstück, das, wenn auch Hardenberg’s Vorwürfe gegen seinen Verfasser übertrieben und ungerecht sind, doch in wenig würdiger Weise es sich zur Aufgabe macht, die ganze preußische Politik durchzunehmen und abzukanzeln. Wie vortheilhaft sticht dagegen die Note Fox’ vom 17. März in ihrer Gedrungenheit und Schärfe ab! Hardenberg hat in seinen Denkwürdigkeiten gegen Münster’s Verhalten schwere Vorwürfe erhoben, die ihren letzten Grund doch nur darin haben, daß er nicht in der Vereinigung mit Preußen den größten Vortheil für Hannover erblickte, eine Ansicht, die bei Hardenberg natürlich erscheinen mochte, von dem Minister des Kurfürsten von Hannover nicht wohl erwartet werden konnte. Daß M. nicht der Inbegriff von wüthigen antipreußischen Vorurtheilen war, als welchen ihn Hardenberg zeichnet, läßt sein Verhalten in der nächstfolgenden Zeit erkennen. Wurde auch bei ihm nicht wie bei manchem Hannoveraner das preußische Unrecht vom Frühjahr 1806 durch das preußische Unglück vom Herbst 1806 ausgelöscht, so bemühte er sich doch redlich, die englischen Hülfsmittel für den Widerstand Preußens und Rußlands gegen die Gewaltherrschaft Napoleons und, als diese letzten Versuche niedergeschlagen waren, für eine sich im nördlichen Deutschland sammelnde populare Bewegung zu gewinnen und zu verwenden. Wer auf dem Festlande die Gemüther gegen die französische Unterdrückung zu beleben suchte, wer sich nach England, dem letzten Horte der Freiheit, flüchtete, suchte M. auf. In dem stillen Bunde europäischer Patrioten, der der Allianz der Staaten vorausging, war er eines der wichtigsten Glieder, in England das wichtigste. Bei dem vielfältigen Wechsel der englischen Ministerien blieb er der feste Punkt, der das Vertrauen des Königs unwandelbar genoß, Kenntniß der continentalen Verhältnisse besaß und durch mannigfache Verbindungen in den Cabinetten Europa’s und in seiner Heimath auf dem Laufenden erhalten wurde. [161] Hatten mit der Occupation Hannovers auch die kurfürstlichen Gesandten, Graf Ernst Hardenberg in Wien und Ludwig v. Ompteda in Berlin, ihre officielle Thätigkeit einstellen müssen, so waren sie doch in privater Eigenschaft an ihren Bestimmungsorten geblieben und berichteten, ihre alten Verbindungen benutzend, aufmerksam und eingehend an M. nach England, wie sie sich untereinander fortwährend über alle wichtigeren Vorkommnisse verständigten. Kam es zu Verhandlungen mit England, so zog man es nicht selten vor, sich an M. anstatt an die englischen Minister zu wenden, weil man dadurch sicher war, die Correspondenz, die sonst in die Hände der sich ablösenden Parteiministerien gefallen wäre, vor dem Bekanntwerden und vor der Besprechung im Parlamente zu bewahren. M. legte die Correspondenz blos dem Könige und auf dessen Befehl dem englischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten gegen das treulich gehaltene Versprechen vor, keine Depesche aus seiner Hand kommen zu lassen. Das Jahr 1809 mit seinen verschiedenen Anläufen zu einer großen Schilderhebung ist recht geeignet Münster’s Stellung ins Licht zu setzen. Stadion richtete durch den Grafen Hardenberg in Wien die ersten Mittheilungen über Oesterreichs Absichten an ihn. Dörnberg, durch seine Frau nahe mit M. verwandt, unternahm seinen Aufstand in Hessen unter Mitwissenschaft des Oheims und sollte durch eine Erhebung in Hannover unterstützt werden, zu deren Leitung Hake und Wersebe, von M. mit Waffen und Geld versehen, bestimmt waren. Im Juni kam Ompteda von Berlin nach London und wurde durch M. den Ministern und dem Könige zugeführt, um einen von dem preußischen Minister Graf Goltz ihm anvertrauten Plan über ein eventuelles Zusammenwirken von England und Preußen vorzulegen. Auf Helgoland saß der englische Viceconsul Eduard Nicolas und hielt durch seine Berichte an M. die Verbindung mit Hannover aufrecht. Vergebens bemühte sich M. die in den englischen Südhäfen sich sammelnde Expedition an die hannoversche Küste zu lenken, wie auch Canning vorgezogen hätte; aber Castlereagh, auf dessen Seite sich auch Münster’s Landsmann, Oberst von der Decken, gestellt hatte, setzte ihre Bestimmung nach der Schelde durch; und es war vergebens, daß Gneisenau, der im August 1809 nach London kam, noch einen Theil der Expedition zur Unterstützung einer deutschen Bewegung zu gewinnen suchte. Während seines mehrmonatlichen Aufenthalts trat Gneisenau zu M. in nahe Beziehung, und es entwickelte sich daraus ein Freundschaftsverhältniß zwischen den beiden Männern, das lebenslänglich dauerte. Gneisenau sprach gleich in einem seiner ersten Briefe aus, M. fühle das Unglück von Deutschland so tief, daß er seinen ehemaligen Groll gegen Preußen ganz vergessen habe, in Preußens Erhaltung die Bedingung der Rettung des nördlichen Deutschlands erblicke, und, sofern man nicht sein Hannover antaste, zu Allem mitzuwirken bereit sei. Es ist viel darüber gespöttelt worden, daß M., nicht zufrieden mit einer Wiederherstellung Hannovers, von der Errichtung eines vergrößerten Staates, eines Welfenreiches im westlichen Deutschland geträumt habe. Da durch eine Verheirathung der Tochter des Prinzen von Wales mit einem Prinzen aus einem anderen Hause die englische Krone für Hannover verloren gehen würde, so war unter den jüngeren englischen Prinzen der Plan eines auf Kosten der Nachbarn erweiterten Hannovers zu jener Zeit Gegenstand ernsthafter Erwägung. Gneisenau, dem der Gedanke 1809 entgegentrat, erwärmte sich so für ihn, daß er ihn wol als seinen Plan bezeichnete. In Briefen und Denkschriften der nächstfolgenden Jahre kam er immer wieder auf die Gründung dieses neuen großen Staates Nordgermanien oder Austrasien zurück, welchem er in mannigfacher Gestaltung bald die Trümmer deutscher Bisthümer, verwaiste Fürstenthümer und das Kurfürstenthum Hessen, soviel Küstenländer als möglich, bald die Länder [162] zwischen den Mündungen der Schelde und Elbe, bald Holland, Belgien, Territorien des linken Rheinufers als Gebiet und als verfassungsmäßige Stellung die einer mit Brittannien verbundenen Secundogenitur zudachte, die von jenem Schutz empfangen und dafür ihm Handelsvortheile gewähren sollte. In einer von einem ausführlichen Memoire begleiteten Eingabe trug Gneisenau diese Gedanken dem Prinzen von Wales am 7. December 1812 vor, wie er nachher auch mündlich mit ihm und Castlereagh darüber verhandelte. Der merkwürdige Aufsatz, dem auch die historische Reminiscenz nicht fehlt, daß die Begründung eines solchen Staats eine Vergeltung bilden würde für die ungerechte Beraubung des ältesten Hauses der Welt, das einst den größten Theil Deutschlands und seine schönsten Landschaften besessen, ist eine Zeitlang für ein Werk Münster’s gehalten worden. Pertz, der den Irrthum durch seine Mittheilungen in Stein’s Leben III (1851) S. 237 verschuldet, hat ihn später, als er Gneisenau’s eigenhändige Papiere kennen lernte, im Leben Gneisenau’s II (1865) S. 439 und 674 berichtigt. Gewiß war die Idee M. nicht fremd; es sind genug Zeugnisse vorhanden, daß er sie billigte und förderte. Es lag ihr aber nicht die Ueberhebung noch die feindliche Richtung gegen Preußen zu Grunde, die man später darin erblickt hat. So wenig Gneisenau sie in diesem Sinne verstand, so wenig haben M. und die englischen Staatsmänner ihr solche Bedeutung untergelegt. Im Gegentheil Gneisenau’s begeisterte Befürwortung mußte den Glauben erwecken, der Plan würde auch in Preußen an maßgebender Stelle gutgeheißen. Darin täuschte man sich allerdings. Als im Februar 1813 Gneisenau dem Gedanken gegen Hardenberg Ausdruck gab, erhielt er die unumwundene Erwiderung: das Project, für England ein großes Reich in Deutschland zu stiften, müssen Sie bei näherer Erwägung durchaus selbst als ganz verwerflich erkennen; dadurch würden Sie die Eifersucht der anderen Mächte, besonders Oesterreichs, aufs Höchste reizen. – Die Erkrankung Georg III. im J. 1810 hatte die Regentschaft des Prinzen von Wales nothwendig gemacht wie die Anordnung einer Vormundschaft für das Privatvermögen des Königs, die M. und Sir Herbert Taylor übertragen wurde. Um sich die Unabhängigkeit von dem englischen Ministerium zu erhalten, verzichtete M. auf die angesetzte Vergütung von 1000 Pfund. M. erfreute sich des Vertrauens des Prinzregenten nicht weniger als des seines Vaters. Als mit dem Jahre 1811 der Ausbruch eines Krieges zwischen Frankreich und Rußland immer wahrscheinlicher wurde, veranlaßte M. in seinem Auftrage die hannoverschen Gesandten, Englands Bereitwilligkeit zur Beihülfe auszusprechen, wenn die continentalen Mächte die günstige Gelegenheit zur Niederwerfung der Fremdherrschaft zu benutzen bereit seien. Um dieselbe Zeit setzten sich M. und der seit dem Herbst 1809 in England weilende Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig mit Gneisenau zu demselben Zwecke in Verbindung. Man verständigte sich bald dahin, daß da Preußen Mannschaften genug zu stellen im Stande sei, die Hülfe Englands am zweckmäßigsten in der Lieferung von Waffen und Munition bestehen würde. M. gelang es, die englische Regierung zur Absendung von mehr als 100 000 Gewehren und sonstigem Kriegsbedarf zu bewegen, doch gebrauchte er, um nicht aufs neue englische Hülfsmittel in die Hände des Feindes fallen zu lassen, die Vorsicht, daß die Waffen auf englischen in der Nähe von Colberg postirten Fahrzeugen solange geborgen wurden, bis Preußen mit Frankreich in Krieg gerathen würde. Gneisenau sorgte gewissenhaft für die Innehaltung der Bedingung und verhinderte nach Abschluß des preußischen Bündnisses mit Frankreich (24. Februar 1812) die Ausschiffung der Waffen. Mit dem Frühjahre 1811 hatte sich auch Stein, an die alte Bekanntschaft von Hannover her anknüpfend, mit M. in Verbindung gesetzt, zuerst mit der Anfrage, ob ihm für den Fall der Noth die Zuflucht nach England offen stehe, [163] dann im April 1812 ob ihm nicht M. eine Thätigkeit zuweisen könne, in der er seine Kräfte für die Befreiung des Vaterlandes zu verwenden vermöge. Die Verbindung zwischen beiden war durch die Sperrung des Continents sehr erschwert; als Münster’s Antwort eintraf, hatte Stein bereits seine Vertrauensstellung bei Kaiser Alexander erlangt und suchte nun in dieser die Mitwirkung Englands durch Münsters Vermittlung zu erlangen, auch in der Absicht, dem drohenden Uebergewicht Rußlands bei Zeiten entgegenzuwirken. „Sie sind“, so redete ihn Stein an (September 1812), „von der reinsten Liebe zu unserm Vaterlande beseelt, an weite und freisinnige Auffassungen gewöhnt, und Sie sind überzeugt, daß es uns nur durch Unterordnung aller unserer Kräfte unter einen einzigen handelnden Mittelpunkt gelingen wird, das Joch der Fremden abzuschütteln.“ Stein dachte dabei nicht blos an die Einheitlichkeit der Kriegführung, sondern auch der Regierung der zu erobernden deutschen Gebiete und nahm für diesen politischen Verwaltungsrath M. als Mitglied in Anspruch. Die Correspondenz der beiden Staatsmänner hatte den Erfolg, die Versöhnung zwischen England und Rußland herbeizuführen und eine Verständigung mit Oesterreich einzuleiten; im Uebrigen liefen ihre Ansichten über das rechte Mittel des Befreiungskampfes wie über die Neuordnung der Dinge in Deutschland weit auseinander. Dort ging Stein für M. zu revolutionär, hier zu preußisch zu Werke. Das Entfesseln der Volkskraft, darin die deutschen Patrioten bei der Schwachmüthigkeit der Regierungen die einzige Hülfe erblickten, mußte einem Manne von der aristokratischen Richtung Münster’s, der nur an Höfen und nur im Ausland gelebt hatte, dem die unmittelbare Fühlung mit der Stimmung der Volksmassen wie der intelligenten Kreise in Deutschland und insbesondere in Preußen fehlte, allzu gefährlich dünken. Auch über die der Coalition gegen Frankreich zu gebende Ausdehnung waren Stein und M. verschiedener Meinung: während M. Schwedens Beihülfe für unentbehrlich hielt und Bernadotte sein Vertrauen schenkte, sah Stein das schwedische Wesen für eine Seifenblase an und hätte den Führer am liebsten unter Aufsicht der Bundesgenossen gestellt und jeder selbständigen Verfügung über Geld, Macht und Schiffe entkleidet. In Hinsicht auf Dänemark dagegen waren beide einig. M. fragte, als es sich zu Verhandlungen meldete, ob es nicht wünschenswerther sei, diesen Staat zum Feinde zu haben, und Stein hätte Holstein gern Hannover gegeben. Die Besorgniß vor Stein’s politischer Gesinnung leuchtet schon aus der Schlußwendung des ersten Briefes hervor, mit dem M. die Anfrage vom Januar 1811 beantwortete: soll ich glauben, daß Sie selbst noch mehr Preuße als Deutscher auf einem gewissen Punkte sind? Und dann mit Bezugnahme auf den projectirten Verwaltungsrath: ein viereiniger Dictator hat manches Bedenkliche, indessen glaube ich, daß unsere beiden Köpfe unter einen Hut passen würden, wenn ich gleich nicht schwören wollte, daß Sie den Preußen und ich den Hannoveraner ganz würden ablegen können. Die Antwort, die Stein darauf ertheilt hat, ist oft citirt worden, wenigstens in ihrem ersten Theile; seltener in dem anderen, wo er erklärt, die Dynastieen seien ihm in diesem Augenblick großer Entwicklung vollkommen gleichgültig. M. erwiderte offen und bestimmt: mir sind sie es nicht, und führte alle die berechtigten und unberechtigten Gründe an, die von je für die Vielstaatlichkeit Deutschlands geltend gemacht worden sind. Gegen die flammende, von den Eindrücken der großen Zeit erfüllte Beredsamkeit Stein’s haben die Auseinandersetzungen Münster’s in ihrer kühlen Ruhe und Geschäftsmäßigkeit, in die die geistreichen bald englischen, bald lateinischen Sentenzen seltsam hineinspielen, einen schweren Stand. Und doch wer will es verkennen, wie staatsmännisch richtig es war, auch in solch aufgeregter Zeit ruhig vom Gegebenen [164] auszugehen um von da zum Besseren zu gelangen? Denn dem verschloß sich auch M. nicht, daß die Zeit benutzt werden müsse, um den deutschen Staaten eine freiheitlichere und einheitlichere Verfassung zu verschaffen. Nur den radicalen Plänen, wie sie Stein im raschen Wechsel vorschlug, vermochte er keine Theilnahme abzugewinnen, weder den ganz unitarischen noch den halb unitarischen. Unter den Verfassungsplänen, die Stein und M. im Laufe des Jahres 1813 mit einander besprachen, wird am häufigsten einer Theilung Deutschlands nach der Mainlinie gedacht, einer Stellung des Nordens unter Preußens, des Südens unter Oesterreichs Protectorat. Lord Castlereagh scheint in irgend welcher Form einmal eine Zustimmung Englands zu diesem Plane in Aussicht gestellt zu haben. M. wird nicht müde wieder und wieder zu versichern, es müsse dabei ein Mißverständniß obwalten, der Prinzregent werde nie und nimmer in solches Schutzverhältniß, das doch nur zur Unterwürfigkeit führen würde, willigen. Die positiven Gedanken Münsters über die künftige deutsche Verfassung sind wenig im Detail ausgeführt; doch läßt sich erkennen, daß er der Wiederherstellung der Reichsverfassung vor allen neuen Projecten den Vorzug gibt, weil sie die Hoheitsrechte der Fürsten bestimmten Beschränkungen unterwirft und damit die Rechte und Freiheiten der Unterthanen sichert. So offen er der Erhaltung der Fürstenhäuser das Wort redet, er ist weit entfernt davon auch ihre neu errungene Souveränität erhalten zu wollen. Um aber über die Idee einer bloßen Conföderation der Staaten hinauszukommen, will er auch die Kaiserwürde der alten Reichsverfassung wieder aufrichten. Er betont den von seinem Herrn festgehaltenen Rechtsstandpunkt, von dem man wohl annehmen darf, daß er selbst ihn angerathen hat. Auf die Abdankung Kaiser Franz II. vom 6. August 1806 habe König Georg III. geantwortet, daß er diesen Act, weil erzwungen, nicht als rechtsgültig, die Vernichtung der Reichsverfassung als illegal und das Reich als von Rechtswegen fortbestehend ansehe. Dieser Rechtsstandpunkt ist zugleich der der Zweckmäßigkeit. Nur durch die Zusammenfassung zu einer kraftvollen Einheit läßt sich die Sicherheit gegen Außen erreichen. Wer wird aber nach einer Kaiserkrone, die so wenig Anziehungskraft hatte wie die des heiligen römischen Reichs, Verlangen tragen, zumal jetzt wo das geistliche Fürstenthum, das ihr noch Bedeutung gab, unwiderruflich beseitigt ist? Man muß ihr neue Kraft und neuen Glanz schaffen, indem man die Militärgewalt des Reichs in ihre Hand legt. Eine permanente Reichsarmee unter kaiserlichem Oberbefehl hätte eine Reihe zu errichtender Reichsfestungen und Reichsstädte zu besetzen. Daß M. bei dieser Reconstruction der Oberhauptswürde, deren gesunden Gedanken eine spätere Zeit anerkannt hat, an keinen anderen Träger als Oesterreich gedacht hat, ist ihm nicht zum Vorwurf zu machen. In Stein’s verschiedenen Verfassungsplänen ist das Gleiche der Fall. Die ebenerwähnten Ausführungen Münsters finden sich in einem an Stein gerichteten Briefe vom 8. October 1813, den der Freiherr Hans von Gagern bei seiner Rückkehr aus England überbrachte, wo er einen Vertrag zu Gunsten des Kurfürsten von Hessen vermittelt hatte. Aus dem Verkehr mit Gagern hatte M. die Ueberzeugung, die auch in dem Briefe an Stein ausgedrückt ist, gewonnen, daß ihre politischen Ansichten in den meisten Punkten übereinstimmten, obschon Stein ihm kurz zuvor Gagern’s Ansichten als phantastisch bezeichnet hatte. Die Uebereinstimmung wird sich vorzugsweise auf den gemeinsamen Wunsch die Dynastieen zu schonen und der Willkürherrschaft Beschränkungen aufzuerlegen, die gemeinsame Abneigung gegen die centralisirenden Pläne Stein’s und gegen Rußland beziehen. Für das was man bei Gagern mit Recht als phantastisch bezeichnen darf, hat die Nüchternheit Münster’s ebenso wenig Sympathie als für Stein’s Pläne, der um Preußen zu vergrößern, den Herzog von Mecklenburg nach Berg versetzt und um Oesterreich [165] zu befriedigen, einem Erzherzog Ansbach gibt. War schon der Zweck nicht nach Münster’s Wunsch, um wie viel weniger bei Anwendung solcher Mittel. Er hat des kein Hehl bei den nachherigen Schwierigkeiten, daß manche vermieden wären, wenn „wir gleich anfangs mehr constitutionell gewesen, wenn wir die Fürsten nicht durch Umwälzungspläne erschreckt und dadurch das künftige Schicksal Deutschlands ganz unbestimmt und dunkel gelassen hätten. Das mag sich großentheils Stein vorwerfen“. Von dem Mißtrauen gegen Preußen, das sich in der zu Ende Januar 1813 dem Freiherrn von Hammerstein nach Schweden mitgegebenen Instruction sehr stark geltend machte, mit kaum geringerer Schärfe aber auch in einem Briefe an Stein vom 4. Januar geäußert war, kam M. im Laufe des Jahres unter dem Eindruck der großen Erhebung des preußischen Volkes wohl in etwas zurück. Doch blieb er auf seiner Hut und sorgte vor allem dafür, daß sein Hannover nicht bei der Neuordnung zu kurz kam, sondern eine territoriale Abrundung erhielt, welche neben der Schadloshaltung für die gebrachten Opfer eine Garantie für eine erhebliche und selbständige Stellung gewährte. In dem Briefwechsel mit Stein ist von jenen Vergrößerungsplänen, die in dem Verkehr mit Gneisenau eine so große Rolle gespielt hatten, keine Rede. Ueberhaupt verschwindet das Königreich Nordgermanien oder Austrasien, oder die Idee einer Zurückweisung Preußens hinter die Elbe aus der Unterhaltung der Diplomaten, seitdem der Ernst der Waffen gesprochen und die Erhebung Preußens die Verwirklichung solch chimärischer Pläne beseitigt hatte. Aber das Ziel, Hannover zu stärken, wurde unverrückt im Auge behalten. Und mochte sich auch M. mit der Aeußerung seiner Lieblingsidee, es sei jetzt der Tag gekommen, um für Hannover einen Contrecoup gegen 1180 zu unternehmen, gegen einen geschichtskundigen Mann wie Stein, der sein Ideal in der Zeit Deutschland vom 10.–13. Jahrhundert erblickte, nicht herauswagen, die englische Diplomatie, die in dem Hauptquartier der Alliirten thätig war, hat von Anfang an gewiß nicht ohne Einwirkung Münster’s darauf hingearbeitet, daß ein erheblicher Landgewinn für Hannover gesichert wurde, und nur gegen dies Zugeständniß Subsidien bewilligt. Die territorialen Verhandlungen fanden ihren Abschluß in dem Reichenbacher Vertrag, der am 15. Juni 1813 unter Stein’s Mitwirkung zu Stande kam. Er sicherte außer der Wiedereinsetzung der beiden Linien des Hauses Braunschweig-Lüneburg in ihre Erbbesitzungen Hannover eine Abrundung von 250,000–300,000 Seelen einschließlich des Bisthums Hildesheim zu, wogegen England seine Mitwirkung zur Vergrößerung Preußens wenigstenes bis zu denselben geographischen und statistischen Verhältnissen, die es vor 1806 innegehabt, und seitens Hannovers eine Enschädigung für die zu Gunsten Preußens gemachte Abtretung versprach. Die Gegensätze zwischen M. und den preußischen Staatsmännern, die auf keiner von beiden Seiten verkannt wurden, haben ihr Zusammenwirken nicht gestört. Nachdem der Krieg ausgebrochen, berichtete ihm Gneisenau fortlaufend von jedem erheblichen Fortschritt der alliirten Waffen und M. sorgte für die sofortige Veröffentlichung seiner Depeschen in den englischen Zeitungen. Als ihm Gneisenau im October die Entblößung der Landwehr von allem Nothwendigsten schilderte, bewirkte er, daß von England Kleidungsbedarf für etwa 50,000 Mann abgesandt wurde. Stein richtete im Laufe des Sommers und Herbstes wiederholt die Aufforderung an M. nach Deutschland zu kommen, um die Berathung über die deutsche Verfassungssache, die Metternich sich noch immer anzurühren sträubte, in Fluß bringen zu helfen. Und als er endlich kam, begrüßte er in ihm eine Verstärkung der Partei der ehrlichen Leute. An einem rheumatischen Fieber leidend, hatte M. gegen Mitte December 1813 auf der Fregatte Pactolus die Fahrt über die Nordsee gemacht, war nach der Ankunft in Hannover sofort wieder krank geworden und, kaum genesen, auf [166] Befehl des Prinzregenten aufgebrochen, um den verbündeten Heeren nach ihrem Uebergang über den Rhein zu folgen. Zu Ende Januar traf er im Lager von Langres ein, als sich die Stimmen für und wider die Fortsetzung des Krieges schieden, und die englischen Minister wie Lord Catheart, Aberdeen und auch der mit M. zugleich anlangende Castlereagh sich mit Metternich und anderen diplomatisirenden Staatsmännern für Einstellung der Feindseligkeiten erklärten. M. dagegen redete einer kräftigen Fortsetzung des Krieges das Wort und rieth von jeder vorzeitigen Unterhandlung ab. Die große Zeit hatte ihren Einfluß auf M. nicht verfehlt. Als er den vaterländischen Boden wieder betreten hatte und mit den Menschen wieder in Berührung gekommen war, deren Gesinnung eine zehnjährige Unterdrückung nicht hatte verderben können, da pries er die Deutschen doch als ein herrliches Volk. „Welche Schande, wenn sie fremdem Einfluß und neuer Despotie überlassen bleiben sollten!“ Nachdem er am 1. Februar zu Langres dem Kaiser Franz bekannt geworden, ging er in dessen Gefolge mit Metternich, Stadion, Castlereagh, den beiden Hardenberg nach Chatillon, von da nach Dijon und zog Ende März mit ihnen in Paris ein. Die hier nothwendig werdende Friedensarbeit nahm M. vollauf in Anspruch. Von den acht Comités, welche die Mächte zur Vorbereitung und Entwerfung des Friedensvertrages niedersetzten, arbeiteten fünf unter der Mitwirkung Münster’s als Vertreter Englands, während Castlereagh in den drei übrigen saß und die anderen noch anwesenden Vertreter Englands unthätig blieben. Auch die Auswechslung der Ratificationen mit Talleyrand, die Abwicklung der Geschäfte mit Oesterreich und Preußen, die Verabredungen über die Occupationstruppen schob der englische Minister dem Grafen M. zu, so daß er bis Anfang Juni in Paris verbleiben mußte. Auf Befehl des Prinzregenten war er dann bei dem Besuch der Monarchen von Rußland und Preußen in England anwesend; vergebens hatte er sich bemüht, den Kaiser von Oesterreich zu bewegen der Einladung gleichfalls Folge zu leisten. Die Ruhe von den diplomatischen Geschäften währte nicht lange. Seine Bitte, ihn mit der Theilnahme an den Wiener Verhandlungen zu verschonen, die ihn seiner nächsten Obliegenheit, der Fürsorge für die hannoverschen und braunschweigischen Angelegenheiten, entziehen mußte, war ihm nicht gewährt worden. Am 12. September 1814 kam M. in Wien an, um als Bevollmächtigter des Prinzregenten zusammen mit Graf Ernst Hardenberg für Hannover an dem Congresse theilzunehmen, während Castlereagh die Vertretung für England zu führen hatte. Eine eingehende Instruction dem Grafen M. mitzugeben, lehnte der Prinz mit den Worten ab: no, you know my sentiments, and you will always do what is right. Der Anfang des Wiener Aufenthalts brachte mancherlei Störung der diplomatischen Aufgaben. In Folge des Durchgehens seiner Pferde hatte M. sich stark verletzt und lag längere Zeit krank darnieder. Gegen Mitte November verheirathete er sich achtundvierzigjähig in Wien mit der Gräfin Wilhelmine zu Schaumburg-Lippe, der Schwester des seit 1807 regierenden Fürsten Georg. Der Wiener Congreß bildet den Höhepunkt seines Lebens. Von hier datirt die weiteste Bekanntschaft seines Namens, von hier aber auch der nachtheilige Ruf, der durch die auf die öffentliche Meinung in Deutschland einflußreichsten Schriftsteller weiter getragen wurde. An der ganzen Dauer des Congresses betheiligt, entwickelte er eine ihm nicht immer nachgerühmte Rührigkeit. Unter den Ministern der mittleren und kleineren Staaten war er die hervorragendste Persönlichkeit. Der ihm gestellten Aufgabe wurde er im vollsten Maße gerecht, soweit sie Hannover betraf. Der erste Schritt war, daß er für Hannover den Titel eines Königreichs annahm. Nach der gewöhnlichen Erzählung hätte er das auf eigene Hand gethan, lediglich auf jene allgemeine Instruction gestützt. An sich wenig glaublich, ist die Angabe auch mit dem Wortlaut der Note Münster’s vom 12. October [167] 1814 kaum vereinbar. Eine Ueberhebung sah die Zeit so wenig darin, daß „mehrere der vornehmsten Mächte“, Oesterreich und Preußen vermuthlich, zu jenem Schritt geradezu aufgefordert hatten; und wenn Stein später meinte, M. habe dem kleinen und armen Lande mit der königlichen Krone ein schlechtes Geschenk gemacht, so liegt die treffende Rechtfertigung in den Motiven des gedachten Schriftstückes: nachdem die Wiederaufrichtung des Kaiserthums aussichtslos geworden und nicht blos alle älteren Kurfürsten, sondern auch Würtemberg den Königstitel angenommen, blieb für Hannover keine andere Wahl übrig. Durch Patent vom 26. October brachte der Prinzregent die Erhebung Hannovers zum Königreich zur Kenntniß seiner Unterthanen. Mit der Anerkennung scheint nur Rußland etwas gezögert zu haben: erst im April des nächsten Jahres sprach Nesselrode sie Münster gegenüber aus. M. wirkte dafür, daß der Congreß zu der äußeren Würde Hannover auch die erforderliche materielle Unterlage zuwandte. Er verschaffte dem Lande eine Vergrößerung um die beiden Fürstenthümer Hildesheim und Ostfriesland, die Reichsstadt Goslar, einen Theil des Eichsfeldes, Meppen und die Niedergrafschaft Lingen. Mußte dagegen auch der Besitz von Lauenburg aufgegeben werden, ein Opfer, zu dem sich der Prinzregent während des Lebens seines Vaters schwer verstehen wollte und dessen Nothwendigkeit ihm M. eindringlich vorstellen mußte, so hatte doch das Land eine Vergrößerung um 137 Quadratmeilen, d. h. um etwa ein Fünftel seines nachherigen Bestandes und um etwa 250,000 Seelen erfahren und den lang erstrebten Besitz an der Nordseeküste erlangt. Gestützt auf den Reichenbacher Vertrag, gelang es in Wien durch geschickte Benutzung der Umstände Ostfriesland zu erwerben, andererseits die Abtretung eines durch das südliche Hannover laufenden Streifens, eines Isthmus zur Verbindung der östlichen und westlichen Theile der preußischen Monarchie abzuwehren und in die Einräumung zweier durch Hannover führender Etappenstraßen umzuwandeln. Für das Zustandekommen des Vertrages vom 29. Mai 1815 war M. am rührigsten und zog sich dadurch den Haß der preußischen Schriftsteller zu, den sie richtiger ihren eigenen nachgiebigen Ministern hätten widmen sollen; die englische Diplomatie hatte mehr Interesse für die Begränzung des niederländischen Staats als für Hannover.

Der andere Theil der Aufgabe, an deren Lösung M. in Wien mitzuarbeiten oblag, war die Wiederherstellung einer Verfassung für Deutschland. Schon zu Anfang November 1813 hatte er an Gneisenau geschrieben: „ich halte mich reisefertig und komme sobald als die Elbe sich öffnet, hauptsächlich um mit Stein die teutschen Sachen zu überlegen. Mich deucht, man hat darin noch keinen Plan gemacht, der die Freiheit der Unterthanen gehörig schützte. Dafür muß der Minister der Guelphen aufstehen und sprechen.“ In einem Briefe an Gagern vier Wochen später, der eine ähnliche Aeußerung enthält, sah er sehr klar die beiden Hindernisse voraus, die sich der deutschen Verfassungsarbeit in den Weg stellten: die Souveränetätssucht der kleinen Potentaten und die Eifersucht der großen Höfe gegeneinander. „Man irrt, wenn man glaubt, daß jetzt alle Eifersucht schlafe. Im Gegentheil, sie sind jetzt in der Lage des Spielers beim Schach en trois, wo man im Handeln gegen den gemeinschaftlichen Feind immer darauf Rücksicht nehmen muß, daß nach Erlegung dieses Widersachers unser Freund zum Feinde wird.“ So lautet dieser häufiger angeführte Satz; von Schadenfreude, von Jubel ist nichts darin zu entdecken. Seine durch die Erfahrung nur zu bald bestätigte Beobachtung spricht er aus, um den Rath daran zu knüpfen, für die Behandlung der schwierigen Fragen, welche man aus Besorgniß vor entstehendem Streit nicht anzurühren wagt, die günstige Gelegenheit des persönlichen Zusammenseins der Herrscher zu benutzen, welche Schwierigkeiten ausgleichen könne, die künftig unüberwindlich sein dürften. Und will man sein Programm [168] für Wien kennen lernen, so gibt ein Brief an Gagern vom 10. August, in dem er seine Freude darüber ausspricht, mit ihm beim Congreß zusammenzutreffen, zwar Anhaltspunkte, aber wiederum leider nur nach der negativen Seite! Schon die Bezeichnung der Aufgabe als „die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem einigermaßen zusammenhängenden Ganzen“ klingt nichts weniger als hoffnungsreich. Neben der von den kleinen Herren her drohenden Schwierigkeit ist hier besonders die hervorgehoben: mit so großen Mächten, wie Oesterreich und Preußen sind, ein gesellschaftliches Band einzugehen, welches nicht zu einer societas leonina[WS 1] ausarte. „Wir müssen keine Rechte aufopfern, nur um diesen zwei Monarchieen unterthänig zu werden, oder um ein getheiltes Protectorat in Deutschland zu bilden.“ In Wahrheit wendet sich seine Sorge gegen Preußen, das in und für Deutschland viel mächtiger wird, da sich Oesterreich mehr nach Italien ausbreitet und durch das groß gewordene Baiern von Deutschland mehr als sonst getrennt wird. Es ist ihm deshalb die Stärkung der Mittelstaaten, die von dem niederländischen Staate zu erwarten ist, von großer Wichtigkeit und er wünscht die Theilnahme des souveränen Prinzen von Oranien am deutschen Bunde. Die Besorgniß, welche die Verträge von Ried und Fulda sofort nach ihrem Bekanntwerden M. einflößten, wurde vollauf bestätigt, als nach den zwischen Metternich und Humboldt mit ihm getroffenen Verabredungen die Bevollmächtigten der fünf größten deutschen Staaten am 14. October 1814 zusammentraten. „Ein Ausschuß aus lauter Feudalherren – ruft der alte Schlosser aus – und Graf M. die Krone aller Aristokraten!“ Wenn die Mitglieder alle solche Feudalherren wie W. v. Humboldt gewesen wären, hätte M. mit jener Bezeichnung zufrieden sein können! Es ist bekannt, wie sich Baiern und Würtemberg bei Berathung der von Oesterreich und Preußen vereinbarten zwölf Artikel der Aufnahme irgend einer in die inneren Verhältnisse der Staaten eingreifenden Bestimmung, namentlich einer Verpflichtung, Landstände einzuführen und ihnen ein von Bundeswegen garantirtes Minimum von Rechten zu gewähren, widersetzten. Gegen ihr allem Recht und aller Geschichte hohnsprechendes Verhalten ist die Erklärung Münster’s vom 21. October gerichtet, die in den Sätzen gipfelt: ein Repräsentativsystem ist in Teutschland von den ältesten Zeiten her Rechtens gewesen. Den Rechten der Unterthanen konnte durch Verträge weder mit Buonaparte noch mit den alliirten Mächten etwas vergeben werden; sie durften kein Gegenstand der Transactionen sein. In dem Begriffe der Souveränetätsrechte liegt keine Idee der Despotie. Der König von Großbrittannien ist unläugbar ebenso souverän als jeder andere Fürst in Europa, und die Freiheiten seines Volkes befestigen seinen Thron anstatt ihn zu untergraben. An diese Principien waren dann die praktischen Forderungen geknüpft: Bestimmung der von Alters her den deutschen Unterthanen zustehenden Rechte von Bundeswegen – Aufrechterhaltung der auf Gesetz oder Vertrag beruhenden Verfassungen unter Vorbehalt der nöthig werdenden Modificationen – als Minimum der ständischen Rechte die vier schon früher von Stein formulirten Befugnisse der Steuerbewilligung, des Mitbeschließungsrechts bei der Gesetzgebung, der Mitaufsicht über die Verwendung der Steuern und des Anklagerechts gegen Staatsdiener wegen Malversation. Die Erklärung hat selbst ihre Geschichte. Es war ihr ein lebhafter Ideenaustausch zwischen M. und Stein am 19. und 20. October voraufgegangen. M. hatte einen von Marschall für Nassau ausgearbeiteten Verfassungsplan getadelt wegen seiner Uebertragung englischer Einrichtungen auf das kleine Land und der aus unzufriedenen Mediatisirten geschaffenen Pairskammer und in seiner maßvollen Weise geäußert, dem Stein’schen Entweder-Oder könne er nicht beipflichten; wenn die großen Staaten Oesterreich, Preußen, Baiern und Würtemberg die vier Stein’schen Artikel nicht annehmen könnten, so meine er nicht, man solle nichts thun, sondern auch der Anfang eines [169] Repräsentativsystems, gesetzlich niedergelegt, sei werthvoll; die deutsche Geschichte werde mit dem Wiener Congresse nicht endigen. Stein’s kraftvolle Erwiderung hat dann auch die Frucht getragen, daß die vier Artikel in die hannoversche Erklärung aufgenommen sind, jedoch mit der Münster’schen Befürwortung, daß wenn die vier größeren Staaten sich auch ausschließen sollten, für die übrigen das Minimum der ständischen Rechte zu fordern sei. Die voraufgeschickte principielle Erörterung zeigt in ihrem Wortlaut keine Einwirkung Stein’s, mag auch auf ihre Abgabe die Correspondenz der voraufgegangenen Tage ihren Einfluß geübt haben. Jedenfalls war die Erklärung – sollte nicht G. F. v. Martens, der hannoversche Beirath, der zugleich als Generalsecretär des deutschen Ausschusses fungirte, dabei die Feder geführt haben? – so sehr am Platze, daß die preußischen Bevollmächtigten ihr volles Einverständniß ausdrückten und selbst Metternich sich der Zustimmung nicht entziehen konnte. Lange nachher noch, als die Erklärung längst ihren nächsten Zweck erreicht hatte, hat sie um ihrer zu allen Zeiten beherzigenswerthen Wahrheit willen, weil sie gegen den falschen Souveränetätsbegriff, für die Vereinbarkeit von Königthum und Volksfreiheit und das in der Geschichte wurzelnde Recht deutscher Stände in die Schranken trat, bei den Freunden des Rechts und des Vaterlandes in Ehren gestanden. Zu der Schwierigkeit der im deutschen Comité sitzenden Staaten sich zu einigen gesellte sich bekanntlich nach wenigen Wochen die Forderung der ausgeschlossenen kleinen Staaten, an der Berathung des Verfassungswerkes mitzuarbeiten. Da Metternich und Hardenberg mit der Verbindung der 31 nicht als einer anerkannten Macht verhandeln zu dürfen glaubten, so ermächtigten sie Graf M. unter der Hand, die von ihnen gestellten Verfassungsanträge, insbesondere den auf Wiederherstellung der Kaiserwürde gerichteten, zu beantworten. In seiner Erwiderung vom 25. November leugnete er seine persönliche Sympathie für ihren Vorschlag nicht, konnte ihnen aber bei der Abneigung Oesterreichs keinerlei Aussicht auf Annahme eröffnen.

Die Berathungen über die deutsche Verfassung wurden dann ganz durch die Verwicklungen unterbrochen, welche die dringende Lösung der sächsischen und der mit ihr unheilvoll verschlungenen polnischen Frage hervorrief. Wie England lange Zeit nichts gegen die Ueberweisung Sachsens an Preußen einzuwenden hatte, so finden sich auch bei M. Ausdrücke des schärfsten politischen Urtheils über den König von Sachsen; er, der die deutschen Fürsten so schonend behandelt zu sehen wünschte, meinte nun doch, der König von Sachsen verdiente geächtet, nicht geachtet zu werden. Das geheime Mißtrauen gegen Preußen, das ihn nie verließ, bewog ihn aber, als auf dem Wiener Congreß die Frage der Einverleibung Sachsens in Preußen praktisch herantrat, zu einer anderen Haltung. Er fürchtete jetzt die Stärkung Preußens auf seinem Wege zur Großmacht. Damit wäre jene Gefahr der Hegemonie, die er eben durch seinen energischen Einspruch abgewendet zu haben glaubte, wieder heraufbeschworen. Die innige Verbindung, welche Preußen mit Rußland eingegangen war, verschärfte den Widerstand nur noch. Man kennt die Abneigung der englischen Staatsmänner gegen Rußland und den Kaiser Alexander. Sie mochte bei M. noch verstärkt sein durch den Umstand, daß der russische Kaiser dem Herzog von Oldenburg Hannover versprochen haben sollte. So erklärlich diese Gründe die Haltung Münster’s machten, so verständlich es noch bleiben mag, wenn er schon Ende November 1814 Hardenberg rieth, in eine Theilung Sachsens zu willigen, ein unaustilgbarer Flecken bleibt es, daß er dazu mitwirkte, die Einmischung der Franzosen herbeizuführen und jenes berüchtigte Kriegsbündniß zwischen England, Frankreich und Oesterreich vom 3. Januar 1815 zu Stande zu bringen. M. trat demselben für Hannover bei und lud damit den gerechten Verdacht auf sich, daß er nicht Frankreich, [170] sondern blos Napoleon, den Emporkömmling, bekämpft hatte. Durch den Zwiespalt, der die deutschen Mächte getrennt, war dann auch die Aussicht auf eine gedeihliche Verfassung Deutschlands dahin. Die beste Kraft und Zeit war in den diplomatischen Kabalen verbraucht. Es verschlägt wenig darauf zurückzukommen, ob sich Hannover und sein Vertreter nach Wiederaufnahme der Verfassungsberathungen für eine mehr oder minder straffe Föderation erklärte, ob es die Kreise des preußischen Entwurfs beizubehalten rieth, ob es auf einem Bundesschiedsgericht bestand und auf einer Anerkennung der Rechte der Stände und der Unterthanen. Wenn Metternich in dem einen eine Hinneigung zur Hegemonie, Baiern in dem anderen ein Hinderniß seines Beitrittes zum Bunde erblickte, so gab man nach schon in der Besorgniß, sonst zu isolirt in der neuen Verfassung zu stehen. Was in letzter Stunde zu Stande kam, konnte kaum noch ein Nothbehelf heißen. Wenn M. in der Schlußerklärung vom 5. Juni 1815 die Bundesacte trotz ihrer Mängel unterzeichnen zu wollen erklärte, weil ein unvollkommener Bund immer besser sei als keiner und die Verfassung, wie sie beliebt worden, Verbesserungen nicht ganz ausschließe, so war sein Glaube an die Verwirklichung dieser Möglichkeit nicht groß, denn schon am 15. Mai hatte er dem Prinzregenten bei der Meldung, man werde sich in Wien auf die Grundzüge beschränken und alles wichtige Detail dem in Frankfurt im August zusammentretenden Bundestage überlassen, bemerkt: c’est ainsi que l’espérance des peuples d’Allemagne sera trompée – car il est à prévoir qu’on n’accomplira pas à Francfort ce qu’on n’a su arranger à Vienne. So war M. aus Furcht vor der Großmacht Preußen bei dem Ausgange angelangt, der ihm im October 1813 als die traurigste Eventualität erschienen war. Sah er noch im März 1815 den Congreß vor die Wahl gestellt zwischen une véritable union und un simple système d’une alliance permanente entre les divers états, so war jetzt die Entscheidung gefallen zu Gunsten solcher Vereinigungen, bei denen, wie er es selbst bezeichnet hatte, die Fürsten die alleinigen Contrahenten und die Unterthanen bloße Sclaven waren. – Der Zutritt Münster’s zu dem Bündniß vom 3. Januar ist nicht der einzige dunkle Fleck, der seiner Congreßthätigkeit anhaftet. Eingeladen an den Arbeiten einer Conferenz theilzunehmen, welche die Freiheit der Schiffahrt, wie sie für den Rhein festgestellt worden, auch auf die anderen Flüsse übertragen wollte, lehnte er seine Mitwirkung ab, weil, wie er dem Prinzregenten berichtete, die Sache noch unreif sei und er sich nicht für berufen erachte, auf Kosten seines Herrn Opfer zu bringen pour favoriser quelques idées vagues sur la liberté du commerce! Wer erkennt nicht den Pferdefuß des Stader Zolles! Schon in der vorläufigen Instruction vom 30. März 1813, welche M. für die vom Feinde befreiten hannoverschen Lande entwarf, hatte er die Regierung angewiesen: die Zölle sind auf dem alten Fuß wieder einzuführen, welches vor allen Dingen von dem Brunshäuser Zoll gilt. – Nach Beendigung des Congresses wünschte M. nach Hannover zu gehen, um an den Ministerialberathungen zur Reorganisation des Landes theilzunehmen und seine Privatangelegenheiten ordnen zu können, aber der Prinzregent sandte ihm Herrn v. Bodenhausen mit dem Befehl entgegen, sofort nach London zu kommen. Nach zweimonatlichem Aufenthalt begab er sich mit Aufträgen des Prinzregenten nach Paris in das Hauptquartier der Verbündeten und gerieth hier bald in starken Gegensatz zu den englischen Ministern. In Uebereinstimmung mit den Preußen versuchte er eine Besserung der deutschen Grenze durch Wiedergewinnung des Elsaß zu erlangen und sandte dem Prinzregenten einen in diesem Sinne redigirten Bericht vom 15. August. Waren Fürst und Volk in England auch einem solchen Frieden geneigt, so setzte doch die Autorität Wellington’s es durch, daß dem Feinde glimpflichere Bedingungen [171] gestellt wurden, hauptsächlich in der Besorgniß, der zur Milde geneigte russische Kaiser würde sonst die Allianz verlassen und sich mit Frankreich verbinden.

Da M. sah, daß er mit seiner Forderung einer Theilnahme auch der kleineren Staaten an den politischen Verhandlungen nicht durchdrang und für den Vertreter Hannovers keine andere Thätigkeit übrig bleiben werde, als den Antheil des Landes an der französischen Contribution herauszurechnen, so zog er es vor, die Heimath aufzusuchen und an deren politischer Neuorganisation mitzuwirken. Am 22. September 1815 kam er in Hannover an. Zum Dank für seine Thätigkeit hatte ihm der Regent schon das Jahr zuvor die Würde des Erblandmarschalls in der neugeschaffenen Ständeversammlung des Landes verliehen (12. August 1814) und eine Dotation von 6000 Thalern jährlicher reiner Einkünfte zugesagt, was dann durch die Schenkung des seit 1803 säcularisirten Cistercienserklosters Derneburg im Hildesheim’schen (Amt Bockenem) am 31. März 1815 zur Ausführung kam. Die Erhebung in den Fürstenstand unter Beilegung des Titels Durchlaucht, welche ihm der Regent als beabsichtigt unterm 2. October 1815 melden ließ, unterblieb auf seinen Wunsch.

Die dienstlichen Verhältnisse Münsters erfuhren zwar durch das Jahr 1815 keine Veränderung, er behielt seinen Sitz nach wie vor in London und fungirte wie früher als Minister bei dem Regenten, gleichwol bezeichnet dies Jahr einen deutlichen Abschnitt in seinem Leben. Es schließt die Periode überwiegend diplomatischer Geschäfte; es folgt eine vorherrschend inneren Staatsangelegenheiten gewidmete Zeit. Sein Amt hatte solche auch schon bisher umfaßt, aber seit Jahren war er kaum mehr als Minister in partibus gewesen, Mondminister liebte sein Gegner, der Oberst v. d. Decken, zu sagen. Auch die diplomatische Thätigkeit hatte während der Zeit, da man vom Festlande abgeschnitten war und nur einen verstohlenen Verkehr mit der Heimath unterhalten konnte, keine regelmäßige sein können. Die deutsche Kanzlei war in ihrem Bestande erhalten, und ihre Mitglieder, der geheime Cabinetsrath Best und der Legationsrath Möller, waren schwerlich mit Geschäften überlastet. Aber Münster’s Ehrgeiz, alles selbst thun zu wollen, verbunden mit einer durch die Unregelmäßigkeit der Geschäfte erklärlichen Lässigkeit, hatte zu einer bald verzögerlichen, bald stoßweisen Behandlung der Sachen Anlaß gegeben, die von seinen diplomatischen Agenten auf dem Continente mitunter übel empfunden wurde. – Mit der Wiederkehr geordneter Zustände stellte sich ein geregelter Geschäftsgang wieder ein, und mochte sich auch Münster’s amtlicher Sitz außerhalb des regierten Landes befinden, so machte es doch einen erheblichen Unterschied, ob er sich über die Verhältnisse der Heimath lediglich aus Acten und Briefen, oder auch durch alljährliche Reisen unterrichten konnte.

Das Programm für die innere Thätigkeit ist in Erlassen aus der ersten Zeit des Jahres 1813 vorgezeichnet. Die schon erwähnte Instruction für Hammerstein giebt die Parole aus: Wiedereinführung unserer alten glücklichen Verfassung unter Vorbehalt der durch die Erfahrung der letzten Jahre rathsam und nöthig gewordenen Modificationen. Die Minister in Hannover werden angewiesen mit Zuziehung von Deputirten der Stände in den vom Feinde befreiten Provinzen provisorische Regierungen zu errichten, die nach dieser Norm verfahren sollen. Die acht Wochen später erlassene Instruction für die provisorischen Regierungen, die Anweisung an die Behörden redet schon deutlicher der Restauration das Wort, ohne sich bei den nothwendigen Aenderungen aufzuhalten. Die erste unmittelbar an die Bevölkerung gerichtete Kundgebung ist die Proclamation des Prinzregenten vom 5. October 1813. Sie enthält kräftige Worte über das bisherige Raubsystem, stellt die Unterthanen vor die Wahl zwischen Frankreichs Sclavenkette und der väterlichen Regierung, zwischen Schmach und [172] Ehre, lobt ihre duldende Festigkeit im Unglück und ruft sie auf, jetzt die thätige Kraft, die entehrende Fesseln bricht, zu zeigen. Aber es ist befremdlich, daß während die Proclamation von Rußlands erhabenem Kaiser und seinen siegreichen Armeen, von dem erhabenen Heerführer, dem Kronprinzen von Schweden redet, dessen Befehl der Regent im gerechten Vertrauen seine Unterthemen unterstellt habe, Preußens nicht anders gedacht wird, als in der Zusammenfassung der großen Alliirten Rußland, Schweden und Preußen und ihrer glorreichen Siege. Von innern Landesverhältnissen erwähnt der Aufruf nichts, der auffallenderweise vier Wochen nach seiner Unterzeichnung, als die zurückgekehrten Minister, Decken und Bremer ihre Proclamation vom 4. November erließen, noch nicht in Hannover eingetroffen war, so daß die Geh. Räthe sich für jetzt auf die Versicherung beschränkten, die Hauptabsicht des Regenten gehe dahin, die Unterthanen in den Genuß ihrer ehemaligen glücklichen Verfassung möglichst bald zurückzuführen. In dieser Zeit müssen zwischen Hannover und London wichtige Verhandlungen, die noch unaufgeklärt sind, gespielt haben. Denn während die Kundgebung des Ministeriums des in Hannover weilenden Herzogs von Cumberland (s. A. D. B. VI, 269) gedenkt, der in alter Anhänglichkeit für das Wohl des uralten Erbes seiner glorreichen Vorfahren thätig zu wirken entschlossen sei, erschien nach einigen Wochen der Herzog von Cambridge, um die Regierung des Landes zu übernehmen. Am 19. December zog er, den Grafen M. in seinem Wagen neben sich, von dem Jubel des Volkes begrüßt, in die Residenz ein. Die gewöhnliche Annahme, M. habe den Prinzregenten bestimmt, diesem seiner Brüder anstatt Ernst August’s den wichtigen Posten anzuvertrauen, und zwar aus dem Grunde, weil der lenksamere Charakter Cambridges ihm größere Hoffnung für die Fortdauer seines Einflusses gegeben habe, ist nur zum Theil richtig. M. einen Vorwurf daraus zu machen, durch seine Wahl den künftigen Thronfolger dem Lande fern gehalten zu haben, ist unüberlegt, denn 1813 standen zwischen Cumberland und dem Throne noch drei seiner Brüder, York, Clarence und Kent. Dem Herzog von Cambridge war nicht nur schon 1805 die gleiche Stellung zugedacht (s. oben S. 160); seine ganze bisherige Lebensführung ließ ihn als den würdigeren erscheinen. Er schützte vor „schlechteren Herzögen“ nach Münster’s Ausdruck, ohne daß er in ihm den rechten Mann für den Posten erblickt hätte. Er bemühte sich vielmehr Gneisenau zu gewinnen, zu einer Zeit noch, wo Cambridge seine Stellung längst angetreten hatte. Am 19. October 1814 schrieb er confidentiell an Stein: „Hätte Gneisenau den Antrag des Regenten angenommen, dem Herzog von Cambridge zu succediren, so wäre ich aus aller Noth; er hat aber den Antrag abgelehnt.“ Die Noth kam ihm vorzugsweise aus des Herzogs Umgebung. Mit ihm war „der milzsüchtige“ General Decken zurückgekehrt, der den Herzog ganz beherrschte und von England her M. nichts weniger als freundlich gesinnt war. Während Decken’s einflußreiche Stellung an der Spitze des Heerwesens den Mißmuth der Militärs hervorrief, gab auf dem Gebiete der Civilverwaltung die in der Instruction Münster’s vom März 1813 enthaltene Weisung „de se défaire de tout ce qui est français“ den Anstoß zu einer rücksichtslosen Reaction. Mochte sich auch der Standpunkt, den man einnahm, insbesondere die Unterscheidung, je nachdem man rein usurpatorischen Zuständen oder solchen gegenüber stand, die der Vorbesitzer anerkannt hatte, mit Rechtsgründen stützen lassen, politisch war es nicht gehandelt, wenn man alles wieder dem Adelsregiment überlieferte und aufs neue einführte, was man nach wenig Jahren mit Mühe wieder beseitigen mußte. Neben „den erbärmlichen alten Manieren und Formen, unter die man das Land wieder stellte“ und die dann auch den Erfolg hatten, das Volk, das man zur Erhebung aufrief, einzuschläfern, fehlt es zwar nicht an Erscheinungen erfreulicherer [173] Art; aber gerade dieser Widerspruch an den zur Leitung berufenen Stellen und der Mangel an Nachhaltigkeit in der Verfolgung großer und richtiger Ziele schlug zum Verderben des Landes und am Ende auch der Leiter aus. In der kurzen Zwischenzeit zwischen dem Abschluß der Pariser Verhandlungen und dem Beginn des Wiener Congresses, die M. in England verbrachte, kam das Patent vom 12. August 1814 zu Stande. Fern davon, den Umsturz der deutschen Reichsverfassung zu einer Schmälerung der Rechte seiner Unterthanen zu benutzen, war der Landesherr vielmehr bemüht, diese Rechte zu stärken und berief die Stände der einzelnen Landestheile zu einer allgemeinen Versammlung, der von nun ab alle allgemeinen Landesangelegenheiten zur Beschlußnahme vorgelegt werden sollten. Hätten die Stände diese Grundlage zu benutzen verstanden, hätten sie namentlich, wie es das Rescript wollte, sich als Stände des ganzen Landes, nicht als Delegirte einer Provinz oder eines Standes angesehen, so war der fruchtbarste Keim zu einer nützlichen Thätigkeit gegeben. Statt dessen machte sich alsbald eine Adelsfaction, geführt von dem Freiherrn von Schele, dem Neffen Münster’s, geltend. Ihr Schooßkind waren die „Landschaften“, d. h. die alten Provinzialstände im Gegensatz der Stände. Ihnen suchte sie auf Kosten der letzteren Rechte zu verschaffen oder zu erhalten. Die Regierung, in der Cabinetsrath Rehberg der leitende Kopf war, leistete Widerstand und wurde dabei durch M. gestützt, so daß noch im J. 1817 ständische Beschlüsse, welche eine Stärkung der Provinziallandschaften bezweckten, in feierlicher Form zurückgewiesen wurden. Die immer weiter um sich greifende Reaction und die beginnende Demagogenfurcht verfehlte ihren Eindruck auf den Grafen M. nicht. Zunächst wurde ihm das 1814 durch die Regierung selbst geschaffene Einkammersystem verdächtigt; konnte doch die Adelsopposition, bisher in der Minorität, durch ihre Berufung in eine getrennte Kammer weit sicherer ihre Ziele verfolgen. Dann wußte man M. durch Erfindung schändlicher Beschuldigungen gegen Rehberg einzunehmen, der, so maßvoll und klug er zu Werke ging, den Junkern ein Dorn im Auge war. So kam es zu dem Patente vom 7. December 1819, das eine Scheidung in zwei Kammern vorschrieb und die Verfassung des Landes einseitig ordnete. Die in deutschen Actenstücken dieser und anderer Zeiten obligatorische Phrase von den auf bloße Theorie gebauten politischen Versuchen, die bislang keine erfreulichen Resultate für das Glück der Völker hervorgebracht, fehlt auch hier nicht; ebenso wenig als andererseits der Lobgesang auf die hergebrachten und durch lange Erfahrung bewährten Verhältnisse. Nachdem dann das Bestehende für den Gebrauch zurechtgestutzt und zurechtgeputzt worden war, hatte man das erfreuliche Ergebniß erreicht, daß die Interessen des Adels in die eine und alle anderen Interessen des Landes in die andere Wagschale fielen. Rehberg nahm seinen Abschied und erfuhr den Undank des leitenden Ministers in der herbsten Weise. Ungerechtfertigten Verfahrens bei den französischen Liquidationen beschuldigt, wurde er der Mittel zu seiner Vertheidigung beraubt. Als auf sein Verlangen eine Untersuchung angeordnet wurde, ergab sich die völlige Grundlosigkeit jener Beschuldigungen und die Ausführung der angefochtenen Geschäfte nach Münster’s eigenen Befehlen. Zu den Fehlern der Verfassung von 1819 kam also noch der, den fähigsten und thätigsten Beamten aus dem Dienst des Landes verdrängt zu haben. Es ist dieselbe Zeit, in der sich M. durch die gefügige Gesinnung, mit der er für den skandalösen Proceß des Prinzregenten gegen seine Gemahlin Beweismittel herbeischaffte und durch die hannoverschen Gesandten im Auslande herbeischaffen ließ, gerechtem Unwillen aussetzte. Die Beziehungen zum Fürsten Metternich, gegen den er seit dem Wiener Congreß von großer Hochachtung erfüllt war, wurden durch fast jährliche Besuche auf dem Schloß Johannisberg lebendig erhalten und bestärkt. Im Sommer 1819 nahm M. an den Conferenzen in Karlsbad Theil; [174] und in einem Schreiben vom 3. September an den Prinzregenten erbat ihn sich Metternich zu den Wiener Ministerialconferenzen pour renforcer l’action d’Autriche. Dem österreichischen Gesandten in London, Esterhazy, äußerte er noch besonders seine Genugthuung über die Stütze, die er an den Grafen M. und Hardenberg gefunden, und das unauflösliche Band, das die Höfe von Wien und Hannover nicht zum wenigsten Dank den Eigenschaften dieser Vertreter verbinde. Beide haben dann auch die Wiener Schlußacte mitvereinbart, doch hat nur Graf Hardenberg dieselbe unterzeichnet. – Das Verhältniß zu Metternich und das Zusammengehen mit der Politik Oesterreichs erfuhr aber bald mannigfache kleine und große Erschütterungen. Mochte auch nach dem Congreß von Verona M. sich noch dahin ausgesprochen haben, Hannover werde sich, wie auch England seine Stellung nehmen möge, nie von den verbündeten Mächten trennen, die Verhandlungen des Bundestags wiesen in den nächsten Jahren eine Reihe von Vorkommnissen auf, in denen Hannover eine selbständige, mit den Tendenzen Metternich’s sehr wenig harmonirende Haltung beobachtete. Nach dem Tode G. F. v. Martens’ (1821), der seit der Eröffnung der Bundesversammlung als hannoverscher Bevollmächtigter fungirt hatte, wurde Hans Detlef v. Hammerstein, einst zu jener Mission nach Schweden entsandt und seit der Franzosenzeit in vollem Maße Münster’s Vertrauen genießend, nach Frankfurt geschickt, zum nicht geringen Mißvergnügen Metternich’s, in dessen Umgebung man ihm detestable Grundsätze beimaß. Als im Sommer 1823 Prälaten und Ritterschaft des Herzogthums Holstein in einer von ihrem Secretär Dahlmann verfaßten Eingabe sich über die Verletzung ihrer Rechte beim Bunde beschwerten, erklärte sich Preußen für völlige Abweisung wegen mangelnder Competenz des Bundes, Oesterreich für Vertröstung der Reclamanten auf die Zusage des Königs von Dänemark, künftig dem Lande eine Verfassung zu geben, Hannover in einer ausführlichen Darlegung vom 10. Juli für die wenn nicht aus Art. 56 der Wiener Schlußacte, so aus Art. 13 der Bundesacte zu begründende Zuständigkeit des Bundes und seine Befugniß, die Einführung landständischer Verfassungen nicht blos überhaupt, sondern auch binnen einer bestimmten Zeit zu verlangen. Als am 27. November die Schlußsitzung stattfand, stimmte die Mehrheit für den Präsidialantrag, während sich Hammerstein auf sein vom Könige inzwischen genehmigtes früheres Votum bezog. Metternich hielt mit seinem Tadel nicht zurück und ließ durch den Gesandten, Grafen Hardenberg, M. von dem ungünstigen Eindrucke, den die Haltung Hannovers in Wien hervorgebracht, in Kenntniß setzen. Im nächsten Juni erschien zwar M. wieder unter den Gästen auf Schloß Johannisberg und hatte auch gegen die Erneuerung der Karlsbader Beschlüsse kein Bedenken; daß damit aber keine gründliche Umstimmung bewirkt war, bewies die Abberufung des langjährigen und in Wien überaus geschätzten Grafen Hardenberg, der durch Herrn v. Merveldt, bisherigen Präsidenten der hannoverschen ersten Kammer, einen wohldenkenden und, wie es schien, liberalen Katholiken ersetzt wurde, und das Verlangen Hammerstein’s in der Bundestagssitzung vom 19. Mai 1825, die Beiträge zur Erhaltung der Bundesfestung Mainz aus den Zinsen des bei Rothschild liegenden Kapitals von 20 Millionen Thalern zu entnehmen. Wenn man in Wien hinter dem einen oder anderen dieser Oppositionsbeweise die Hand Canning’s zu sehen meinte, so mag die seit Castlereagh’s Tode veränderte Politik Englands auf die Hannover’s nicht einflußlos geblieben sein. Stärker als hierdurch ist Münster’s Haltung, die immer schärfere Formen gegen Metternich annahm, offenbar durch andere Vorgänge bestimmt worden, die eine Zeitlang im Dunkeln spielten, ehe sie grell genug an die Oeffentlichkeit traten.

Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig hatte, als er sich 1813 zur Heimkehr aus England anschickte, für den Fall seines Todes den Prinzregenten [175] zum Vormund seiner beiden, damals neun und sieben Jahr alten Söhne Karl und Wilhelm bestellt und in einem Codicill den Wunsch ausgesprochen, Graf M., dem er neben Lord Liverpool und Canning die Verwaltung seiner Geschäfte übertrug, möge sich besonders seiner deutschen Angelegenheiten jeglicher Art annehmen. Am 16. Juni 1815 starb der Herzog den Heldentod bei Quatrebras. Die vormundschaftliche Regierung über Braunschweig, die dem Prinzregenten kraft Gesetz und Testament angefallen war, ließ er nicht durch sein Ministerium in Hannover, sondern entsprechend dem Codicill durch M. in Verbindung mit dem Geheimen Rathscollegium in Braunschweig ausüben. Die Leitung ruhte in Münster’s Händen. Der Plan, in der Person des Herrn v. Breymann einen braunschweigischen Geschäftsträger bei dem Prinzregenten zu bestellen, scheiterte an dessen Weigerung, einen anderen Mittelsmann zwischen sich und der braunschweigischen Regierung als den Grafen M. anzunehmen. Das Zusammenwirken Münster’s mit dem Regierungscollegium in Braunschweig, an dessen Spitze erst Graf Schulenburg, nach dessen Tode im J. 1818 Graf Alvensleben stand und dessen thätigstes Mitglied der Geheime Rath v. Schmidt-Phiseldeck war, gestaltete sich durchaus befriedigend. Das wichtigste politische Ereigniß während der Regentschaft bildete der Erlaß der Landschaftsordnung vom 25. April 1820. M. selbst eröffnete die zur Berathung der Regierungsvorlage einberufene Ständeversammlung am 12. October 1819 mit einer sehr ausführlichen Rede, die sich nicht wenig darauf zu Gute that, daß der Entwurf keine sogenannte zeitgemäße Verfassungsurkunde sei, nicht eine auf bloße durch Erfahrung noch unbewährte Theorieen gebaute Repräsentativverfassung an die Stelle der auf frühere Verträge gestützten Landtagsordnung setzen wolle. Daneben war doch zugleich die Besserungsbedürftigkeit des Vorhandenen anerkannt und in dieser Hinsicht entschieden mehr bewilligt als zu gleicher Zeit in dem Patent von 1819 für Hannover geschah. Hervorhebenswerth ist die Vertretung des Bauernstandes im Landtage, die Beseitigung der Patrimonialgerichtsbarkeit und der Grundsteuerexemtionen. Die Verhandlungen mit den Landständen verliefen ohne Schwierigkeit und die Zustände des Landes ordneten und entwickelten sich gedeihlich unter der vormundschaftlichen Verwaltung. Der hoffnungsvolle Fürst, wie ihn die Eröffnungsrede genannt hatte, lebte inzwischen in Lausanne und machte seinem Gouverneur, Kammerherrn v. Linsingen, einem Verwandten Münster’s, das Leben möglichst sauer. Als König Georg IV. im Sommer 1821 Hannover besuchte, stellte Herzog Karl sich seinem Vormunde vor und gab der Erwartung Ausdruck, mit der Vollendung seines 18. Lebensjahres die Regierung seines Landes zu übernehmen. Die Regentschaft hielt das nach allem, was von dem jungen Fürsten bekannt geworden, nicht für räthlich. Das Recht war zweifelhaft. Ein Gutachten, das Martens auf Münster’s Verlangen abgegeben, erklärte das vollendete 18. Lebensjahr für den Thronmündigkeitstermin des braunschweigischen Hauses; der Procurator Hettling, der Minister Alvensleben kamen auf Grund archivalischer Untersuchungen zu dem von 21 Jahren, für den sich auch das Testament des Herzogs Friedrich Wilhelm vom 2. November 1813 mit vielem Grunde anführen ließ. Die vormundschaftliche Regierung verfuhr jedenfalls im besten Glauben und im Interesse des Landes – in reinster und redlichster Gesinnung, wie nachmals König Friedrich Wilhelm III. von Preußen dem jungen Herzoge gegenüber bezeugte – wenn sie nicht schon am 30. October 1822 dem Herzoge Karl Platz machte, ein Entschluß, mit dem sich nicht nur Oesterreich und Preußen, sondern auch Herzog Karl selbst einverstanden erklärt hatte. Der Herzog begab sich zunächst auf Reisen und hielt sich vornehmlich in Wien auf, wurde mit Metternich bekannt, der die glückliche Entdeckung einer belle âme in dem jungen Prinzen machte. Metternich bestimmte dann auch den [176] Vormund, die Beendigung der Regentschaft mit dem 30. October 1823, dem vollendeten 19. Lebensjahre, eintreten zu lassen: ein Schritt, den man nicht als staatsklug anerkennen kann. Mochte das Recht über den Eintritt der Thronmündigkeit Zweifel lassen, darüber daß der Vormund ihn nicht bestimmen konnte, bestand kein Zweifel. Den Angriffen und Verdächtigungen, daß die Verlängerung der Regentschaft aus persönlicher Mißgunst oder zu selbstsüchtigen Zwecken geschehen sei, war damit die Thür geöffnet. Vorerst ließ sich der neue Fürst an Unterlassungen dessen genügen, was die Gesetze von ihm verlangten; hielt sich aber sonst zurück. In England verkehrte er mit M. noch gesellschaftlich, um dann bald seinen ganzen Ingrimm über das ihm angeblich widerfahrene Unrecht in Angriffen gegen ihn und den Geheimrath Schmidt-Phiseldeck, den er als Münster’s Helfershelfer betrachtete, auszuladen. Die Verfolgungen gegen den letzteren erreichten ihr höchstes Maß im J. 1826, so daß er sich genöthigt sah, sich von Braunschweig nach Hannover zu begeben und die ihm längst für den Nothfall von M. zugesagte Aufnahme in den hannoverschen Staatsdienst nachzusuchen. Der Gegensatz wuchs dadurch über einen blos persönlichen Kampf zwischen M. und dem Herzog Karl hinaus, als ersterer Grund zu der Annahme hatte, der Fürst werde in seinem gesetzlosen Treiben durch Metternich bestärkt. Es war gerade die Zeit einer sehr starken politischen Verstimmung zwischen Oesterreich und England. Metternich hatte schon seit längerer Zeit dem hannoverschen Gesandten in Wien, von Merveldt, gegenüber seiner Unzufriedenheit mit Englands Politik kein Hehl gehabt. Um den Klagen Metternich’s auszuweichen, hatte M. den gewöhnlichen Sommerbesuch auf dem Johannisberge 1826 unterlassen. Das Bedauern Metternich’s, so manches was ihm auf dem Herzen liege, nicht durch die Vermittlung Münster’s dem Könige von England vortragen zu können, parirte M. damit, daß er in einer Depesche vom 14. November 1826, die er an Graf Merveldt richtete, sein Herz über die Politik Metternich’s ausschüttete. Neben der Erörterung der schwebenden politischen Fragen in Bezug auf Portugal und auf die Pforte kommt sie auf die speciell deutschen Verhältnisse zu sprechen nach dem Eingange, daß Metternich’s Politik sich seit dem Congresse von Laibach geändert habe, eine Beobachtung, welche auch Graf Bernstorff theile. Im Gegensatz zu seiner Haltung auf dem Wiener Congreß sei Metternich jetzt einseitig auf Erhaltung des monarchischen Systems bedacht. Muß man denn, fragt die Depesche, um die Monarchie zu vertheidigen, Absolutist sein, der Vertheidiger aller Mißbräuche, der eingefleischte Gegner alles dessen werden, was irgend einer Schranke der willkürlichen Gewalt ähnlich ist? Gegen welchen Mißbrauch hat je eine Klage beim Bundestage durchdringen können? Gibt es eine Seele in Deutschland, die sich einbildet, die durch die Bundesacte gewährten Rechte würden einen Schutz an der Bundesversammlung finden, sobald der unbedeutendste Fürst es sich einfallen ließe, sie zu verletzen? Welche Mißachtung dieser Gang der politischen Entwicklung der Bundesverfassung eingetragen hat, will das Aktenstück nicht ausmalen. Aber zu seinen anderen schneidenden Fragen stellt es die: wofür hat man den ungeheuren Vortheil der öffentlichen Meinung aufgeopfert? In der Mehrzahl der deutschen Staaten kann die bestehende Ordnung nicht mehr auf die Unterstützung des Volkes rechnen, der man doch die gegen Frankreich errungenen Erfolge vorzugsweise verdankt. Die Beredsamkeit dieses merkwürdigen Schreibens wird erklärlich durch briefliche Aeußerungen, wie sie schon aus dem Jahr vorher vorliegen. Hier findet sich Vertrauten gegenüber dieselbe Klage über die Bundestagspolitik, über das bloße Walten nach Convenienz ohne Rücksicht auf Recht, über die Reaction, welche aller vernünftigen Freiheit den Hals umzudrehen droht. „Man erlaubt den heiligsten Versicherungen zum Hohn die kleinsten Winkeltyranneien. Hessen und Detmold unterdrücken [177] ihre Stände und geben dem Herzog von Braunschweig sogar ein Beispiel, das Gleiche zu thun, während der das Londoner Pflaster tritt, anstatt zu regieren.“ Damit ist die besondere Beschwerde blosgelegt, die neben den allgemeinen M. zu seinem Auftreten veranlaßte. Er hatte ohne Zweifel Kenntniß, daß der Herzog für sein verfassungswidriges Verhalten eine Deckung an Metternich besaß. Karl hatte seit seinem Regierungsantritt die Stände noch nicht berufen, die üblichen Reversalien nicht ausgestellt, welche nach der Verfassung der Huldigung des Landes vorangehen mußten, und die letztere deshalb auch nicht eingenommen, alles aus dem Grunde, daß er der unter der vormundschaftlichen Regierung vereinbarten Landschaftsordnung die rechtliche Gültigkeit absprach. Bisher war er allerdings nicht offen mit diesem Angriff hervorgetreten, aber sein negatives Verhalten beruhte auf jener Rechtsansicht, welche auch an Oesterreich in der späteren Abstimmung am Bundestage eine Vertretung fand. Die Obliegenheit einer Regentschaft – so hatten ihm seine Rathgeber vorgespiegelt – beschränke sich auf Verwaltungsbefugnisse, sie habe dem Bevormundeten die empfangenen Regierungsrechte rein und ungeschmälert zurückzuliefern; durch den Erlaß der Landschaftsordnung während der Minderjährigkeit habe die vormundschaftliche Regierung ihre Befugnisse überschritten und die Rechte des Bevormundeten verletzt. Diese von der Verwaltung eines Privatvermögens entlehnten Vorstellungen erhielten praktischen Ausdruck in der Verordnung des Herzogs Karl vom 10. Mai 1827, welche die während seiner Minderjährigkeit gefaßten Regierungsbeschlüsse, soweit sie über wohlerworbene Regenten- und Eigenthumsrechte disponirten, für unverbindlich, die während der ungesetzmäßig verlängerten Vormundschaft ergangenen Verordnungen für seiner Zustimmung bedürftig erklärte. Nur provisorisch sollte das bestehende Recht fortgelten; eine eingehende Untersuchung der Regierung das Weitere verfügen. Diesem Schritt, dem ein Erlaß der hannoverschen Regierung vom 7. Juni mit dem Ausdruck des gerechten Unwillens des Königs antwortete, gingen widerrechtliche Maßregeln gegen Schmidt-Phiseldeck, und die Verbreitung von Schmähschriften gegen die vormundschaftliche Regierung zur Seite. Der Herzog, der eine dieser Schriften an die Höfe sandte, klagte M. nicht blos als den eigentlichen Urheber der gegen ihn und sein Land verübten Rechtsverletzungen an, er habe ihm auch eine Erziehung gegeben, die ihn körperlich und geistig habe regierungsunfähig machen sollen, und sei von Feindseligkeit gegen das braunschweigische Land erfüllt. Das Gewicht aller dieser Anklagen wog nicht schwer. Wenn bei der Erziehung des Herzogs etwas versäumt war, so könnte es die Vernachlässigung des im väterlichen Testament ausgesprochenen Wunsches sein, wonach die Großmutter der Prinzen, die Markgräfin von Baden, sich ihrer annehmen sollte. Ob die schon früh an Herzog Karl hervortretenden Züge der Unbotmäßigkeit und des Hanges zu schlechter Gesellschaft durch die Autorität einer Frau zu bannen gewesen wären, ist sehr fraglich. Im August 1827 antwortete M. in der „Widerlegung der ehrenrührigen Beschuldigungen, welche sich Se. Durchlaucht der regierende Herzog von Braunschweig gegen Ihren erhabenen Vormund und die während Ihrer Minderjährigkeit mit der Verwaltung Ihrer Lande und Ihrer Erziehung beauftragten Männer erlaubt haben“. Daß der Ton dieser vom Könige genehmigten Schrift an manchen Stellen ein verletzender wird, entschuldigt die Frivolität der Anklage vollauf. Der Herzog ließ es nicht bei einer „Gehörigen Wiederlegung des erschienenen Libells“ (Straßburg 1828) bewenden, sondern sandte dem Grafen M. eine Herausforderung zu, zu deren Ueberbringer er den Londoner Pferdeauctionator Tattersall wählte. Der Herzog, der mit seinem Vorhaben schon seit Erscheinen der Münster’schen Schrift renommirt und sich seit Wochen in seinem Garten geübt [178] hatte, auf Münster’s Bild zu schießen, that verwundert, als der König, der im Voraus M. die Forderung anzunehmen untersagt hatte, in derselben anstatt einer Ehrenbezeugung eine neue Injurie erblickte. Die erforderliche Genugthuung für die ihm angethanen Beleidigungen zu erlangen, wandte sich der König von England an die Vermittlung der beiden deutschen Großmächte. Metternich, die Gelegenheit gegen England und den Grafen M. auszunützen bemüht, suchte theils Preußen, das sich schlicht und recht der Sache annahm und dem Herzog kräftig ins Gewissen redete, herauszudrängen, theils diese an sich unbedeutende Angelegenheit – nach Münster’s Ausdruck – zu verwirren, wie er alle wichtigem Verhältnisse in Europa in Gährung bringe. Des Herzogs trotzige und immer neue Ausflüchte ersinnende Natur ermüdete aber selbst die finassirende Langmuth Metternich’s. Nach Jahresfrist waren Preußen und Oesterreich einig, von Karl die Erfüllung bestimmter Forderungen zu verlangen, widrigenfalls sie ihre diplomatischen Beziehungen abbrechen würden. Bevor noch die ausersehenen Gesandten dem Herzoge diese Erklärung überbringen konnten, lief die Nachricht ein, daß er den bisherigen Forstmeister von Praun zum Oberjägermeister und Freiherrn erhoben und angestiftet habe, den Grafen M. in den beleidigendsten Ausdrücken zum Zweikampf auf Tod und Leben herauszufordern. Nach diesem Vorgange hatte jede vermittelnde Thätigkeit die Aussicht auf Erfolg verloren. Die Sache gelangte an den Bundestag, und als gelte es, die Worte der Münster’schen Depesche von 1826 zu bewähren, suchten Oesterreich und seine getreuen Diener, namentlich der Berichterstatter von Blittersdorf, durch allerlei Aufschübe und Abminderungen ein entschiedenes Votum zu verhindern. Das Auftreten des hannoverschen Bundestagsgesandten von Stralenheim, der der Nachfolger Hammersteins nach dessen Selbstmord geworden, und eine Depesche Münster’s vom 29. Mai 1829 zeigten aber, wie ernst man die Sache in London nahm. Der letztere unterließ nicht auf die Erwartung hinzuweisen, die man eine Zeitlang gehegt, der Bund würde die Gelegenheit ergreifen, um ganz Deutschland zu beweisen, daß er in seiner collectiven Eigenschaft nicht das unbedeutende Wesen sei, wozu er leider in der Meinung Deutschlands und des Auslandes herabgesunken sei. Aber die Zweifel und Bedenken in Frankfurt und Wien, dem Könige Recht und Genugthuung zu verschaffen, zeigten zu deutlich, daß man den Herzog und seine durch nichts provocirten und durch nichts zu entschuldigenden Handlungen in Schutz zu nehmen wünsche. Man warte jetzt ab, wie der Bundesbeschluß ausfallen werde. Die Unbilde des Herzogs fortdauern und sich ungerügt beleidigen lassen, könne der König nicht, und den Schutz oder Beistand vom deutschen Bunde zu erhalten, wenn er jetzt vergebens gefordert sein sollte, würde für den König ein fast entehrendes Benehmen sein. Preußen unterstützte diese Auffassung in fester und klarer Weise, und so kam am 20. August 1829 der Beschluß zu Stande, der den Herzog für schuldig und verbunden erklärte, binnen vier Wochen das Patent vom 10. Mai 1827 zurückzunehmen und dem Könige mittels eines eigenen Abgeordneten in der zwischen Souveränen üblichen Form die angemessene schriftliche Entschuldigung seines Benehmens zu machen; auch gewärtigte der Bund, der Herzog werde den Oberjägermeister von Praun zur Untersuchung und Strafe ziehen lassen. – Der König gab einen neuen Beweis seiner Mäßigung, indem er zufrieden mit dem Bundesbeschlusse auf den ihn betreffenden Theil der Genugthuung verzichtete. Aber auch da bedurfte es noch der Androhung der Bundesexecution, bevor der Herzog sich zum Gehorsam entschloß und durch Verordnung vom 22. April 1830 das Edict vom 10. Mai 1827, auch jetzt nur in einer kleinlichen versteckten Weise, zurücknahm. – Auch nach der anderen Seite der braunschweigischen Angelegenheit wurde M. Genugthuung zu Theil. Die Stände des Landes hatten sich gleichfalls an den Bundestag [179] gewendet und dessen Schutz für die durch den Herzog angefochtene Landschaftsordnung von 1820 angerufen. Während Oesterreich und seine Genossen sich sträubten die Competenz des Bundes anzuerkennen und die Anwendbarkeit des Artikel 56 der Wiener Schlußacte, der den in anerkannter Wirksamkeit stehenden Verfassungen Schutz verspricht, für den vorliegenden Fall zuzugeben, führte Hannover in einer schneidigen Deduction die Unhaltbarkeit der von Metternich rein privatrechtlich beurtheilten Zuständigkeit einer Regentschaft aus. Mit Stimmenmehrheit sprach die Bundesversammlung ihr Urtheil zu Gunsten der Landschaftsordnung aus – am 4. November 1830, also zu einer Zeit, da den Urheber aller dieser Wirren bereits sein gerechtes Schicksal erreicht hatte.

Mit dem Rücktritte Rehberg’s hatte die Regierung in Hannover ihre bedeutendste Kraft verloren. Die Neuorganisation, welche man in den Jahren 1822 und 1823 mit der Domänenkammer, den Landdrosteien, den Aemtern vornahm, verstärkte die Centralisation. Das Centrum lag nicht im Lande, sondern in London, beim Grafen M. Denn sollte er auch nur ein Minister neben andern Ministern sein, so mußte naturgemäß dem Minister bei der Person des Königs eine seinen Collegen übergeordnete Stellung zufallen. Das erkannte man im Lande sehr wohl, und Private wie Beamte wandten sich nicht selten über die Köpfe der Minister weg an ihn. Zu den in Hannover fungirenden Regierungsmitgliedern gerieth er in die Stellung des einzigen und wahren Cabinetsministers. Die wirklich arbeitenden Persönlichkeiten in der höchsten Landesbehörde, die vortragenden Räthe, unter denen sich seit 1824 besonderes der Cabinetsrath Rose hervorthat, sahen ihre Arbeiten infolge dessen einer doppelten Kritik unterworfen, der der Minister in Hannover und der des Oberministers in London. Alle Schäden, die sich an die Zwischeninstanz eines Cabinets zu heften pflegen, traten auch hier ein, nur noch verschlimmert durch die Entfernung des Regenten von den ausführenden Räthen. Wenn M., wie sein Biograph sagt, die materiellen Interessen für einen köstlichen Ableiter der constitutionellen Haarspalterei ansah, so ist man um so gespannter auf die Resultate, welche seine Verwaltung aufzuweisen hat, als sein Verhalten auf dem Wiener Congreß keine hohen Erwartungen zu erregen vermochte. Der Friede hatte dem Lande die unmittelbare Verbindung mit dem Meere gebracht. Eine Anzahl von Schifffahrts- und Handelsverträgen, eine Reihe von Consulaten sind in diesen Jahrzehnten, meistens in Anlehnung an England, errichtet worden. Aber die Schifffahrt der neuerworbenen Küstengegenden ist nicht erheblich in dieser Zeit gestiegen und von der Regierung wenig beachtet worden. Den Hafen an der untern Weser verstand man nicht zu benutzen und verkaufte das Terrain 1827 an Bremen. Dem Anschluß an das preußische Zollsystem widerstrebte man und errichtete, nachdem sich der mitteldeutsche Handelsverein als unhaltbar erwiesen hatte, mit Braunschweig, Oldenburg und Kurhessen 1830 den Eimbecker Vertrag. Am kleinlichsten zeigte sich die Abneigung gegen alles mit Preußen auch nur Uebereinstimmende in den Münzverhältnissen, indem man 1817 beim Aufgeben des 18-Guldenfußes, der alten Cassenmünze, sich nicht dem Preußischen Thalerfuße anschloß, sondern die Conventionsmünze adoptirte, um dann 1834 doch den früher verschmähten Schritt zu thun. Eine Kurzsichtigkeit wie die hier und bei der Restauration von 1813 bewährte muß doppelt auffallen an einem Manne, der in einem großen Staate und unter Verhältnissen lebte, die den freien, weiten Blick hätten fördern müssen. Aber seine praktische Nüchternheit, die ihm einst Stein gegenüber das bedenkliche Wort eingab: lassen Sie uns doch für unsere eigene Lebenszeit sorgen, hat sich doch selbst in dieser Beschränkung als recht unwirksam erwiesen. In der „Widerlegung“, welche M. gegen die Angriffe des Herzogs Karl richtete, findet sich [180] eine Aeußerung, der Gebrauch, den der Herzog von seiner Souveränetät mache, sei sehr geeignet, Zweifel zu erregen, ob der König von England 1814 recht daran gethan, den nicht mediatisirten deutschen Fürsten die volle Souveränetät zu verschaffen und ob er in Zukunft in einem gleichen Falle wieder so handeln würde. Dieser Ausspruch, der in voller Absichtlichkeit und nicht als bloße Wendung im Wortkampfe in die Schrift nach Pertz’ Mittheilung aufgenommen ist, hat seiner Zeit viel Aufsehen erregt. Das Zu spät! sollte M. noch unmittelbarer, in seiner eigenen, inneren Verwaltung erleben, in deren Bereich manches von dem vorbereitet war und aus eigener Initiative der Regierung herbeigeführt werden sollte, was nachher die im Gefolge der Julirevolution im hannoverschen Lande hervorbrechende Bewegung als ihre Forderung aufstellte und durchsetzte. Seit dem Ende des J. 1830 verbreitete sich unter dem Volke eine namenlose Flugschrift, betitelt: Anklage des Ministeriums Münster vor der öffentlichen Meinung, und wurde nach dem Bericht von Zeitgenossen verschlungen. Ein, es ist nicht anders zu bezeichnen, jämmerliches Machwerk, das dennoch den größten Eindruck hervorbrachte. Man kann es nur daraus erklären, daß bei dem vollständigsten Mangel an Oeffentlichkeit und dem unläugbaren Vorhandensein sehr schwerer Uebelstände des öffentlichen Lebens begierig aufgenommen wurde, was einer öffentlichen Klage gleich. Dabei verschlug es nichts, daß der Inhalt der Klage aus Lügen oder Uebertreibungen bestand, die in einem widerlichen Gemisch von advocatenhaften Deductionen und lyrischen Phrasen vorgetragen waren. Noch weniger war es dem Eindruck hinderlich, daß der Beklagte, Graf M., der wohlgerathene Zögling Castlereaghs, der Freund Metternichs, der Verehrer Polignacs, der Pipin von Heerstall, wie ihn die Schrift abwechselnd titulirt, als tyrannisch und eigennützig geschildert wurde. Man bedurfte einer Personification des Systems und hier war sie gefunden. Der Bewegung des Landes suchte die Regierung durch eine Verordnung vom 4. Februar 1831, die auf ausdrücklichen Befehl des Königs vom 24. Januar erlassen war, zu begegnen. Obschon sie nichts Unrechtes enthielt, scheint sie doch in ihrer etwas barschen Weise, in ihrer Bedrohung jeder rebellischen Bewegung mit den Strafen des Aufruhrs und Hochverraths die Erregung der Gemüther noch gesteigert zu haben. Der Generalgouverneur, der Herzog von Cambridge, hatte den klügeren Weg erwählt. Er hatte im Januar das Land bereist, Deputationen empfangen und sich an Ort und Stelle über die vorhandenen Beschwerden unterrichtet. Er entsandte dann seinen Oberst Prott an den König, wie auch das Ministerium nach London berichtete und deputirte. Seit dem 24. Juni 1830 saß nicht mehr Georg IV., der langjährige Freund und Beschützer Münsters, auf dem Throne; sein Bruder Clarence, als König Wilhelm IV. war ihm gefolgt. In dem Ministerium zu Hannover hatte sich allmählich eine immer stärker werdende Opposition, getragen insbesondere von den bürgerlichen Cabinetsräthen, gegen die ministerielle Oberherrschaft in London ausgebildet. Als den wirksamsten Grund der an ihn gebrachten Beschwerden erkannte der König, daß das Centrum der Verwaltung außerhalb des Landes lag, wo man mit dessen Bedürfnissen zu wenig unmittelbare und stetige Fühlung hatte. Das natürliche Heilmittel mußte er in einer Stärkung der heimischen Regierung erblicken. Er ließ deshalb M. durch seinen Privatsecretär, den Generallieutenant Sir Herbert Taylor seinen Entschluß erklären, der Regierung eine neue Einrichtung zu geben, mit der seine bisherige Stellung unvereinbar sei. Diese Vorgänge entwickelten sich rasch und energisch. Am 10. Februar kam Oberst Prott an, am 12. erfolgte die Entlassung des Grafen. Am 16. traf der königliche Courier mit der Nachricht in Hannover ein, daß der Herzog von Cambridge zum Vicekönig ernannt und M. entlassen sei. „Ein Jubel war [181] überall unter der Masse, die vorwärts strebte, und ebenso allgemeine Niedergeschlagenheit unter der Gegenpartei, die sich nun auf einmal des Schutzes der höchsten Macht beraubt sah“ (Stüve). Die Proclamation, die der neue Vicekönig unterm 22. Februar erließ, sticht in ihrer ruhigen und verständigen Weise sehr wohlthuend von dem einen Monat älteren Erlaß ab. Graf M. führte sein Amt auf Wunsch des Königs noch solange fort, bis die Ernennung des Vicekönigs in Hannover bekannt gemacht war. Am 25. Februar traf die Nachricht darüber in London ein; auf Antrag des neuen Vicekönigs wurde an Stelle des bisher unter M. fungirenden Freiherrn v. Münchhausen der Geh. Legationsrath Möller zum Geh. Cabinetsrath ernannt. Damit endete Münster’s amtliche Thätigkeit: er hatte mehr als 42 Jahre im öffentlichen Dienst, fast 26 Jahre als Minister fungirt. Sein Sturz war, um in seiner eigenen Sprache zu reden, der Contrecoup gegen 1819 und die Verabschiedung Rehbergs. Trotz der sichtbaren Zeichen der königlichen Gnade, die ihm bei seinem Abgange zu Theil wurden, insbesondere der Verleihung des Großkreuzes zum Bathorden in der Form feierlicher durch den König selbst vollzogener Investitur, vermochte M. den Unmuth über die plötzliche Entlassung, an der der Anschein eines Zusammenhanges mit jener verlogenen Schmähschrift haften blieb, nicht zu unterdrücken. Seine im März 1831 noch in London niedergeschriebene Erklärung – Ueber einige in der Schmähschrift: Anklage etc. ihm persönlich gemachte Vorwürfe, sowie über seinen Austritt aus dem Königlich-Hannöverschen Staatsdienst (Hannover 1831) – hat dessen kein Hehl; wie er auch gegen den Herzog von Cambridge und die Regierung in Hannover seitdem stets eine reservirte Stellung bewahrte. Die genannte Schrift, sowie die ihr vorausgegangene „Actenmäßige Widerlegung einer Schmähschrift etc.“ (Hannover 1831) geben bereitwillige Auskunft über die privaten und öffentlichen Verhältnisse des Ministers, die der anonyme Pamphletist in verleumderischer Weise seinem Publikum ausgemalt hatte. Seine stets bewährte Uneigennützigkeit bezeugte M. aufs neue durch Verzicht auf jede Pension, weil er dem Lande, dem seine Dienste nicht ferner nützen sollten, nicht zur Last fallen wolle. Er verließ England und nahm seinen Wohnsitz auf seinem Gute Derneburg, der Beschäftigung mit der Kunst, der Erziehung seiner Kinder und der Erinnerung an die bewegten Zeiten und hervorragenden Männer, die er gesehen, lebend. Den ihm nahegelegten Gedanken, Denkwürdigkeiten seines Lebens aufzuzeichnen wies er ab, wünschte aber, daß andere sich der Aufgabe unterzögen und war bereit, sie nach Kräften zu unterstützen. Der anfängliche Plan, G. H. Pertz mit der Aufgabe zu betrauen, mußte aufgegeben werden, nachdem dieser den Antrag der Schwiegersöhne Steins, dessen Biographie zu schreiben, angenommen hatte. M. theilte ihm zu dem Zwecke seinen Briefwechsel mit Stein mit. Die Bekanntschaft mit Hormayr, seit 1832 baierischem Ministerresidenten in Hannover, brachte dann diesen mit dem reichen Archive des Gutsherrn von Derneburg in Verbindung. Den Landaufenthalt unterbrachen Besuche Münster’s auf seinen Gütern in Ostfriesland und Osnabrück, Reisen nach Berlin und Dresden, die vorzugsweise den Kunstsammlungen galten, Badeaufenthalte in Norderney. Nach Hannover kam er, solange der Vicekönig dort residirte, nur gelegentlich des Besuchs seiner Verwandten und zum Zweck der Wahrnehmung seiner Functionen als Landtagsmarschall. In die Debatten und Arbeiten des Landtags ließ er sich nicht ein, sondern beschränkte sich darauf, die formalen Pflichten seines Amtes zu erfüllen. Erst seit der Thronbesteigung Ernst August’s nahm er seinen Winteraufenthalt in Hannover, ohne sich an den politischen Geschäften zu betheiligen, ein Vorsatz dem er treu blieb, auch nachdem ihn der König zum Mitgliede des Staatsraths ernannt hatte. In den Junitagen des Jahres 1837, [182] nach dem Einzuge Ernst August’s, bemühte er sich eine Audienz für die Deputation des Landtages zu erlangen, aber vergebens. Der Einfluß Schele’s war stärker. Die Hoffnung, die man nach der Vertreibung der Sieben in Göttingen auf ihn setzte und Otfried Müller ihm in einem eindringlichen Schreiben nahe legte, blieb unerfüllt. In enger Parteiansicht befangen, hatte er lediglich Sinn für die Verfassung von 1819, die er als sein liebes Kind ansah, das die Gesetzgeber von 1831 nur verhunzt hätten. Aber in irgend einer Weise muß er sich doch vor Ernst August der geschmähten Universität angenommen haben, denn unterm 6. December 1838 verlieh ihm „libertatis cum principatu miscendae vindici acerrimo“ die juristische Facultät die Doctorwürde; sollte auch darin nach dem Zeugniß der Acten eine Ergänzung der Promotionen von 1837 liegen, so war doch zugleich die Absicht, dem Grafen öffentlich „ob benignum scholae apud regem patrocinium“ zu danken, wenn damit nicht ein verspäteter Protest gegen die Anklagen der Schmähschrift von 1830 über Vernachlässigung der Georgia Augusta eingelegt werden sollte. Hugo, der damalige Decan, war kein Liebediener, wie er denn auch zugleich mit M. dessen Nachfolger, dem Minister Ludwig v. Ompteda, dem Beförderer des Staatsgrundgesetzes, das Doctordiplom überreichen ließ. Trotz alles Einverständnisses mit dem königlichen Staatsstreiche ist M. doch wegen einer Protestation, die er gegen eine Wahlanordnung des Cabinets einreichte, noch in seinen letzten Lebenstagen mit dem Könige in Conflict gerathen, so daß dieser ihm gedroht haben soll: wissen Sie, daß ich die Schenkung von Derneburg widerrufen kann? –

Ein Mann von ungewöhnlicher Größe, in allen Leibesübungen wol geübt, blieb er, wie seine Gestalt ihre ungebeugte Haltung bewahrte, von den Leiden des Alters lange verschont. Erst in den drei letzten Lebensjahren traten sie an ihn heran. Zeitiger als zuvor zog er im Herbst 1838 nach Hannover, wo er nach einem Schlagflusse am 20. Mai 1839 starb. In der Grabcapelle zu Derneburg wurde er beigesetzt. Ihn überlebten die Gemahlin († 1858), sieben Töchter und ein Sohn, der jetzige Botschafter des Deutschen Reiches zu Paris.

Der Blick auf das Leben Münster’s gewährt keinen einheitlichen Eindruck. Kraftvolle Anläufe liegen neben schwachmüthigen Ausgängen, rühmliche Thaten neben Zeugnissen kleinlicher Gesinnung. Oder wie soll man es nennen, wenn der Mann, dem seine unerschütterliche Gesinnung gegen die französische Tyrannei die Freundschaft der Besten verschaffte, den Charakter des Zeitalters nach dem Zeugniß seines Bewunderers nicht anderes als in dem Bilde zu fassen wußte: die Antichambre will in den Salon! Es reicht nicht aus, wenn man sich zur Erklärung auf seine aristokratische Gesinnung beruft; denn diese hatte sonst nichts junkerhaftes an sich und hob ihn über das Niveau des deutschen Hofadels hinaus. Man wird nicht fehlgreifen, wenn man dem Zwieschlächtigen in seiner ganzen äußern Stellung einen tiefgreifenden Einfluß auf sein Wesen beimißt. Von seinem amtlichen Sitz im Auslande regierte er die Heimath, ohne in ihr heimisch zu sein. Den Engländern blieb er ein Fremder; das Mißtrauen, mit dem sie alles Fremde beargwöhnen, galt ihm in erhöhtem Maße; ohne Antheil an ihrem politischen Leben, war er doch dem Staatsoberhaupte aufs engste verbunden, nur ihm verantwortlich, der parlamentarischen Controlle unerreichbar. Minister eines kleinen Staates, täuschte er und andere sich fortwährend über dessen Bedeutung, weil zeitweise die englische Großmacht hinter ihm stand. Wenn, wie nicht selten, auch in englischen Angelegenheiten mitwirkend oder zu Rathe gezogen, erschien er sich wohl selbst als „Unbefugter“ oder brachte seine Ansichten auf Umwegen zur Geltung, indem er die Folgen der zu ergreifenden Maßregeln als auf Deutschland zurückwirkend auseinandersetzte. Dem Wellenschlage des politischen Lebens, dem Wechsel der Parteien sieht er vom Ufer des [183] Hofes zu, ein in fast ununterbrochener Aufwartung stehender Cavalier. Was das englische Leben ihm hätte Gutes bringen können und gebracht hat, büßt seine beste Wirkung durch diese Verbindung von Hofmann und Staatsmann ein. Der Minister des deutschen Territorialstaats, dem das Leben in dem freiesten Land der Welt, unter großen Verhältnissen, einen weiten, von den kleinen Leidenschaften der Heimath ungetrübten Blick hätte gewähren sollen, dem eine mächtige und unabhängige Stellung beschieden war wie wenigen seines Gleichen, wird durch das Zusammenwirken aller dieser Umstände herabgezogen in enge Anschauungen, und von dauernden Wirkungen seines Geistes hat die Geschichte wenig zu verzeichnen. Wie entschieden hatte er den Sultanismus der Großen bekämpft! Mochte er sich auch das ständische Wesen nur in aristokratischer Form verwirklicht denken können, es war und bleibt immer ein Verdienst, dem Souveränetätsdünkel mit der Erinnerung an das nicht von der Gnade abhängige Recht des Volkes auf Mitwirkung bei der Regelung seiner Angelegenheiten entgegengetreten zu sein. Die praktische Gestalt, die er diesem Recht in Hannover gab, erwies sich so unzureichend, daß das auf „altbewährten Grundlagen“ aufgebaute System nach zehnjähriger Dauer zusammenstürzte und ihn selbst in seinem Falle begrub. Niemand hat so früh wie er die Schäden der Bundesverfassung und mehr noch der Bundespolitik erkannt und ihr den Spiegel vorgehalten. Aber wer konnte beim Lesen dieses Sündenregisters den Gedanken unterdrücken, daß es nicht bloß ein Mißerfolg, sondern eine Schuld war, wenn die Arbeit des Wiener Congresses in das armselige Ergebniß der Bundesacte auslief! Und Metternich, wäre er je zu seiner alles beherrschenden Stellung ohne die Gefolgschaft der Minister gelangt, die in dem Jahrzehnt nach dem Wiener Congreß sich ihm so gehorsam unterordnete? Das greifbarste Resultat der Anstrengungen Münster’s war die Schöpfung des Königreichs Hannover. Was sie ohne den Schutz einer kräftigen Bundesverfassung werth war, hat die Geschichte gezeigt. An dem Scheitern der deutschen Verfassung tragen viele die Schuld. Nicht zum wenigsten die preußischen Staatsmänner mit ihren unklaren und wechselnden Plänen. Ein wohlgerüttelt Maß kommt aber auf Münster’s Theil. An dem Erbfehler der hannoverschen Staatsmänner, der sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, krankte auch er. Die stärksten Ausdrücke seiner Feindschaft gegen Preußen, welche man anzuführen pflegt, stammen allerdings aus einer Zeit, in der auch Stein und Gneisenau von einer Auflösung des preußischen Staates reden, sind einem Schreiben vom Anfang Januar 1813 entnommen, wo M. noch nichts von einer Erhebung Preußens bekannt war. Viel mehr als solche briefliche Aeußerungen, wie sie die wechselnde Tagespolitik im Gedankenaustausch unter Vertrauten hervorruft, fällt ins Gewicht, daß M., der in den Jahren 1811–13 in der engsten Fühlung mit den preußischen Staatsmännern gelebt hatte, sich in Wien ihren Gegnern in die Arme warf, mit Metternich und Talleyrand gemeinsame Sache machte und in gleichem Sinne auf Castlereagh wirkte. Seine Stellung in England, seine Erfahrungen in der großen Politik während der napoleonischen Herrschaft hatten ihn genugsam über die Nothwendigkeit einer starken Bundesverfassung für Deutschland belehrt. Daß sie nur um den Preis einer Stärkung Preußens zu haben war, diese Einsicht ließ der „hannöversche Neid“ nicht aufkommen. – Ueber eine Persönlichkeit, deren Betrachtung so wenig Einheitlichkeit bietet, hat das öffentliche Urtheil natürlich sehr geschwankt. Ist M. 1814 in Prosa und Versen gefeiert – er vergißt nicht hinzuzusetzen, daß die Ode, welche er selbst in seiner letzten Schrift mittheilt, von einem „vornehmen und verehrungswürdigen“ deutschen Dichter herrühre – so hat er später seine Verwunderung darüber nicht zurückgehalten, daß ihm der ehemalige Beifall fehle. Mehr noch sind [184] die Stimmen nach seinem Rücktritt von den Geschäften auseinander gegangen. Stüve, der ihn scharf angreift, redet doch nicht anders von ihm als dem hohen Staatsmann. Pertz, der M. persönlich kannte, giebt in seinem Nekrolog seiner Verehrung warme Worte, hat dafür allerdings Dahlmanns scharfe Zurechtweisung erfahren müssen, die sich jedoch wesentlich auf die Vorgänge von 1837 stützt. Arndt in seinen 1840 erschienenen „Erinnerungen“ nannte ihn „geistesarm und engherzig“, ein Urtheil, das die späteren „Wanderungen und Wandlungen“ noch weiter ausführten. Varnhagen, der M. selbst in Wien gesehen hatte, drückte sich maßvoller aus, schrieb ihm mehr politische Gesinnung als Einsicht zu und vorgefaßte Abneigungen, denen er nicht leicht habe entsagen können. Die Gegenwart, die geneigt ist, alles nach heutigen Maßstäben zu messen, ist in der Verurtheilung Münster’s noch viel weiter gegangen. Und doch fällt es nicht schwer, neben allem Tadelnswerthen, das sein Leben darbietet, auch seine Verdienste und die löblichen Eigenschaften seines Wesens zu erkennen. Von jenen wie diesen ist im Verlauf des Artikels hinreichend die Rede gewesen. Von dem begeisternden Wesen, das andere Persönlichkeiten der Freiheitskriege auszeichnet, ist an M. nichts zu bemerken; aber Züge, die man immer als Kennzeichen eines Staatsmannes hat gelten lassen, sind in seinem Bilde vorhanden. Maßvoll und bestimmt steckte er sich sein Ziel und verfolgte es mit äußerster Festigkeit. Wie Gentz von seinem eisernen Willen sprach, so dankte ihm Stein wiederholt für die Ruhe und Mäßigung, die er seinem aufbrausenden Wesen entgegengesetzt. Besorgt hält er mit seinen Verfassungsplänen vor Münster’s einschneidender Kritik zurück. Seiner klaren, wenn auch nüchternen Einsicht, die den nächsten Sorgen gewidmet ist, weiß er scharfen Ausdruck zu geben. Er sucht die Kunst des Staatsmannes nicht in Intrigue und Heimlichkeit. Von vornherein als Stein sich ihm nähert, läßt er ihm keinen Zweifel über seine abweichende Gesinnung. Mit seinen Zielen für Hannover hält er nicht hinter dem Berge, und wenn man sein Streben für die Vergrößerung seines Heimathlandes als Verbrechen ansieht oder mit Gagerns Eifer für den niederländischen Staat zusammenstellt, so vergißt man, daß hier ein fremdes Land auf Kosten Deutschlands bereichert werden sollte und daß Stein im August 1813 Hannover eine Vermehrung um 500,000 Seelen zuzuwenden gedachte, damit es sich wieder zu einem kräftigen Zustand erheben könnte und die Verbindung Deutschlands mit England von den Launen des Kopenhagener Cabinets unabhängig gestellt würde. Daß M. eitel war, ist nicht zu läugnen. Ueber der Hauptthür des großen Saales zu Derneburg prangte eine Tafel, deren Inschrift die Schicksale des Gutes erzählte bis herab auf die Schenkung an M. wegen seiner Verdienste um das Vaterland. Wer aber Männern wie Stein und Gneisenau werth war, kann nicht dem Bilde von Eitelkeit und Hohlheit geglichen haben, das man neuerdings von ihm entworfen hat. Der Verkehr mit Stein ist allerdings nach Anfang des Jahres 1815 abgebrochen; Pertz führt nur noch einmal ein Schreiben aus dem Jahr 1827 an. Mit Gneisenau dagegen hat der Verkehr nach Hormayr mit unveränderter Herzenswärme bis an sein Ende gewährt. Die Gneisenau-Biographie enthält nur ein Schreiben aus dem Jahr 1817, das auf eine Differenz zwischen ihnen wegen der sächsischen Frage anspielt, aber von Hormayr sind Briefe Gneisenau’s von 1827 und von 1831 aus den letzten Wochen seines Lebens mitgetheilt, die von wahrer Freundschaft zeugen. Sein Verhalten in der sächsischen Angelegenheit rechtfertigt M. in dem genannten Brief damit: ich schätzte Preußen damals nicht minder, aber liebte Deutschland mehr.

Außer den bereits genannten eigenen Schriften Münster’s sind als von ihm selbst herrührende Quellen anzuführen: Die Depeschen über den Wiener [185] Congreß, veröffentlicht von Georg Herbert Graf zu Münster, politische Skizzen über die Lage Europa’s (Leipzig 1867), und sein Briefwechsel mit Stein und Gneisenau, veröffentlicht von Pertz, Leben Stein’s Bd. III u. IV, und Leben Gneisenau’s II u. III. Den Anfang einer Biographie Münster’s publicirte Hormayr noch bei dessen Lebzeiten in s. Taschenbuch f. die vaterländ. Geschichte, Jahrg. 1839 (mit einem Bildniß Münster’s); wiederholt und vervollständigt als Nekrolog der Bremer Zeitung 1839 (auch besonders daraus abgedruckt und in Schmidt’s N. Nekrol. der Deutschen XVII 490 aufgenommen), der dann selbst wieder in Hormayr’s Lebensbilder aus dem Befreiungskriege, 3 Abtheil., Jena 1841–44 überging. Das Werthvolle in diesem „zwar gedruckten, aber noch nicht geschriebenen Buche“ sind insbesondere die Briefe und Urkunden von Münster’s Hand und das Bruchstück einer Selbstbiographie (3 S. 639). Gegen die Anschuldigung Faber’s (G. Zimmermann) Hr. v. Hormayr u. die Lebensbilder, Leipzig 1844, Hormayr habe sich Fälschungen erlaubt, vgl. Pertz, Stein III, 588. – (G. H. Pertz), Ernst Graf v. Münster (Augsb. Allgem. Ztg. 1839, Nr. 175 u. 176). Albert Oppermann in Bluntschli u. Brater, Staatswörterbuch VII (1862) S. 54–64. Heinrich Ulmann, Ernst Gf. zu Münster (Histor. Zeitschr. Bd. XX [1868] S. 338–392). – Stüve, Ueber die gegenwärtige Lage des Kgr. Hannover (1832) S. 63 ff., 110 ff. ; Art. Hannover im cit. Staatswörterb. – Hans v. Gagern, mein Antheil an der Politik 2, S. 43 ff. – Hardenberg, Denkwürd., hrsg. v. Ranke, I 18, 20, 611; II 369. – F. v. Ompteda, Polit. Nachlaß L. v. Ompteda’s aus den J. 1804–13. 3 Bde. Jena 1869. – Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. 3, S. 296 ; 9, S. 99. – Arndt, Erinnerungen S. 237; Wanderungen u. Wandlungen S. 33, 224. – Schlosser, Gesch. des 18. Jahrh. VIII, 346 u. 604. – Gervinus, Gesch. des 19. Jahrh. I, 285; II, 415, 430; VII, 192, 208. – v. Treitschke, Histor. u. polit. Aufsätze I, 167 u. 175 in dem Aufsatze Hans v. Gagern; deutsche Geschichte I, 609; III, 548 ff. – (Ilse), die braunschweigisch-hannov. Angelegenheiten. Berlin 1863. – Welcker, Zoëga’s Leben, 2 S. 212. – (Petri) Lebensbilder (Hannov. 1868) S. 102 ff. – Briefwechsel zwischen Böckh und K. O. Müller S. 415; zwischen Grimm u. Dahlmann S. 147, 151, 329, 362.

[157] *) Zu S. 29 dieses Bandes.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. im Original: leouina