ADB:Leovigild
Alarich II. und Kindasvinth. L. steht der Zeit nach zwischen beiden: das Reich von Toulouse war nach dem Tode Alarich II. in der Schlacht von Voulon im J. 507 untergegangen. [407] Das nun errichtete Reich von Toledo hatte zu äußeren Feinden die drei katholischen Nachbarn: die Franken, welche soeben bereits den größten Theil des westgothischen Reiches in Gallien erobert hatten, die Sueben in der Nordwestecke der pyrenäischen Halbinsel, stets bereit, eine Bedrängniß der Gothen zu einem Stoß in den Rücken zu verwerthen, und die Byzantiner, welche, nach Vernichtung des Vandalenreiches in Afrika (a. 534) wieder die Küsten jenseit der Meerenge von Gibraltar beherrschten und, nach Vernichtung des Ostgothenreiches in Italien (a. 553), sich anschickten, nun auch das dritte arianische Germanenreich auf römischem Boden zu zerstören und wie Afrika und Italien, so auch die pyrenäische Halbinsel wieder unter das Scepter des Reiches zu ziehen. Und wahrlich, sie schienen auf bestem Wege hierzu: ganz ebenso wie bei Vandalen und Ostgothen Streit und Parteiung innerhalb des Königshauses die byzantinische Intervention selbst ins Land gerufen hatte, welche unter dem Schein, dem rechtmäßigen und römerfreundlichen Herrscher beizuspringen, die Vernichtung beider Barbarenreiche erstrebt und erreicht hatte, ganz ebenso hatte Justinian a. 554 auf Anrufen eines westgothischen Empörers Athanagild Flotte und Heer nach Spanien geschickt, welche zwar König Agila vernichten halfen, aber einen langgedehnten Küstenstrich von Sucruna am Mittelmeer im Osten bis zum heiligen Vorgebirg im atlantischen Ocean im Westen besetzten, auch gar manche Stadt im Binnenland, vor Allem Cordova, gewannen und von Athanagild sowie von dessen Nachfolgern nicht wieder ausgeschafft werden konnten. Zu diesen äußeren Feinden gesellten sich aber noch viel bedenklicher für das spanische Gothenreich innere Schäden und Gefahren: die römische und katholische Bevölkerung haßte und verachtete die barbarischen und ketzerischen Gothen und deren Könige, welche, freilich meist im Weg der Abwehr drohender Empörung, Härte gegen die Katholiken, zumal die Bischöfe, nicht immer vermieden, vermeiden konnten; seit vollends die Fahnen von Byzanz auf den Zinnen zahlreicher spanischer Festungen weheten, bestand die Conspiration der Katholiken mit diesen rechtgläubigen Befreiern in Permanenz. Vandalen und Ostgothen waren soeben diesem Uebertritt der katholischen Bevölkerung zu Byzanz erlegen; es schien nur eine Frage der Zeit, wann das Westgothenreich das gleiche Schicksal erleiden werde. Denn in den Zuständen, zumal in der Verfassung dieses Reiches, gerade auch was die gothische Bevölkerung und deren Einrichtungen betraf, fehlte es an allen Garantieen der Widerstandskraft, drohten vielmehr die äußersten Gefahren der Selbstzerstörung. Kein Geschlecht hatte, nach dem Erlöschen des Hauses Theoderich’s und Eurich’s, sich im erblichen Besitz der Krone zu behaupten vermocht: der Königsmord war die normale Form der Thronerledigung geworden; von 14 Königen seit Alarich waren neun ermordet, zwei in der Schlacht gefallen, nur drei natürlichen Todes gestorben *), so daß bei den Nachbarn die Westgothen dieserhalb in bösesten Leumund gerathen waren. Zwar war noch nicht jene Herrschaft des Episcopats dem König über die Krone gewachsen, welche dem Uebertritt zum Katholicismus sofort nachfolgte. Die katholischen Bischöfe wurden – mit gutem Grund! – in strenger Aufsicht gehalten und die arianische Kirche war nicht in der Lage, [408] die Krone zu beherrschen, deren Schutz gegen den überall angreifenden Katholicismus sie dringend brauchte. Aber statt der geistlichen Aristokratie, welche sie alsbald in Beherrschung des Staates ablösen sollte, zerrüttete mehr noch als beherrschte das Reich eine meisterlose weltliche Aristokratie großer, reicher gothischer, auch verwilderter römischer Geschlechter, welche, kleine Dynasten auf ihren wol abgerundeten weiten Besitzungen in natürlichen territorialen Gliederungen, in geschlossenen Thälern oder auf herrschenden Höhenzügen, an der Spitze ungezählter bewaffneter Knechte, Freigelassener, persönlich freier, aber wirthschaftlich völlig abhängiger Schützlinge mannigfaltigster Rechtsformen mit oder ohne Landleihe, thatsächlich Herren des Landes waren und in junkerhafter Zuchtlosigkeit keine Gewalt des Staates über sich aufkommen ließen; gar mancher König war ermordet oder in offener Rebellion in der Feldschlacht erschlagen worden, weil er diesen jedem Staatsgedanken trotzenden Adel hatte bändigen wollen. Das waren die Zustände, die tödtlichen Gefahren, in welchen L. bei seiner Thronbesteigung das Westgothenreich vorfand. Athanagild war im Jahre 567 (November?) gestorben „friedlichen Todes“, was die Quellen, gleichsam erstaunt, als seltenste Ausnahme hervorheben. Der Mangel einer festen Erbordnung und der Ehrgeiz der hadernden Großen, die lieber Könige werden oder morden als wählen wollten, zeigte sich auch bei dieser Thronerledigung wieder klar und verderblich. Fast ein halbes Jahr (fünf Monate) lang konnte man sich über keine Wahl einigen und als zuletzt die gallische Provinz („Septimanien“) den langjährigen Dux von Narbonne, Leova, zum König erhob, drohte das Reich in seine beiden Gruppen auseinanderzufallen. Denn die Gothen in Spanien wollten den ohne ihre Mitwirkung Gewählten nicht anerkennen und die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges wurde vielleicht nur dadurch abgewandt, daß Leova seinen jüngeren Bruder L., der in Spanien, wenn nicht an der Spitze seiner Gegner, doch in der ersten Machtstellung stand, – er hatte durch Heirath mit der Wittwe Athanagild’s, Godisvintha, auch dessen Anhang gewonnen – als Nachfolger und Mitregenten, genauer als alleinigen König des spanischen Theiles, anerkannte, während er sich mit Septimanien begnügte; diese Theilung, welche freilich an den merovingischen Staaten eine Art Vorbild hatte, zeigt immerhin, welch schwaches Band dies gothische Königthum gegenüber den starken Partei- und Gebietsgegensätzen war. Doch vereinte nach Leova’s baldigem Tode im J. 572 L. wieder beide Theile des Reiches. Leovigild’s Persönlichkeit und Regierung tragen einen bestimmt ausgeprägten Charakter, welcher fast den meisten westgothischen Königen gebricht, von denen wir, außer den Namen, nur etwa noch die gewaltsame Todesart kennen. Alle die chronischen Gefahren, äußere und innere, welche dies Reich bedrohten, alle verderbliche Elemente, welche in und nahe seinen Grenzen seit lange gährten, traten, in plötzlichen Krisen, geschärft und zu klarer Erkennbarkeit gesteigert, gegen diesen König heran. Der kräftige Herrscher wehrte sie nach allen Seiten mit Ueberlegenheit ab, in einsichtiger Wahl bald milde Klugheit, bald rücksichtslose Energie bewährend. Die nationalen Contraste der Einwohner und der Nachbarn dieses Reiches waren wegen ihrer feindseligen Spannung durch die religiösen Gegensätze die eine Hauptbedrohung. Die Verbindung der katholischen, romanischen Provinzialen mit den gleichfalls katholischen Sueben, Griechen, Franken gegen die arianischen Gothen war eine fortwährende, schweigend lauernde Todesgefahr für diesen Staat. Sie zu beseitigen war eine Unmöglichkeit: denn sie hätte nichts Geringeres als die Vernichtung oder erzwungenen Bekehrung dieser vier katholischen Mächte vorausgesetzt: – die andere Alternative zu ergreifen, nämlich die Katholisirung der Gothen, dazu entschloß sich erst Leovigild’s Nachfolger; wir werden sehen, daß dieser Ausweg eine Gefahr in sich schloß, welcher dann schließlich auch das Reich [409] erlegen ist. – Dieser religiös-politischen Bedrohung durch innere und äußere Feinde war nun nichts entgegenzustellen als ein Königthum, das, untergraben durch den Mangel der Erblichkeit, durch die zur Gewohnheit gewordene Rebellion eines meisterlosen, übermächtigen, königsmörderischen Adels – der zum Gehorsam nur durch Schrecken, zur Treue aber durch gar nichts zu bringen war, – eine höchst unsichere Macht gewährte: und daneben bot sich der Krone nur noch dar ein gothisches Nationalgefühl, das durch tief und alt eingewurzelte Parteiungen und durch starke Hinneigung zu dem römischen Wesen, zu der glänzend überlegenen römischen Cultur sehr stark erschüttert war. In der Zeit nach dem Tod Athanagild’s sah es fast danach aus, der Gothenstaat als solcher könne nicht fortgeführt werden: – ein halbes Jahr Thronerledigung: dann eine in Spanien nicht anerkannte septimanische Wahl: hierauf neue Parteiungen: endlich eine Theilung von Gebiet und Regierungsgewalt des Reiches. Inzwischen aber hatten nicht blos die Byzantiner vom Südosten, die Sueben vom Nordwesten her sich auf Kosten des schützerlosen Reiches ausgebreitet: – es war, was ungleich bedenklicher, in den noch nicht von diesen Feinden geradezu occupirten Gebieten die gesammte romanische Bevölkerung und zwar die bäuerliche auf dem Lande, namentlich in den Gebirgen, ganz ebenso wie die Städte – also die ganze große übermächtige Volkszahl der Katholiken – auf allen Punkten, im Norden mit den Sueben, im Osten mit den Franken, im Süden mit den Byzantinern in natürliche Verbindung getreten, bald unwillkürlich, bald mit der bestimmten Absicht der Losreißung von dem, wie es schien, zerfallenden Ketzerstaat der Gothen. Dieser großen Gefahr schritt L. sofort energisch entgegen: unermüdlich trug er in den nächsten acht Jahren seine Waffen nach allen Richtungen der Halbinsel, überall den zum Theil hartnäckigen Widerstand der verbündeten inneren und äußeren Feinde brechend. Noch im Jahre seiner Thronbesteigung (a. 569) zog er nach dem Süden gegen die Byzantiner in die „bastanische und malaccitanische Landschaft“, schlug die Feinde und verheerte das Land; im nächsten Jahre (a. 570) gewann er im Westen des byzantinischen Gebiets durch Einverständnisse mit den gothischen Einwohnern die feste Stadt Assidonia. Das ganze folgende Jahr (a. 571) aber leistete das wichtige und stolze Cordova, den Mittellauf des Bätis (Quadalquivir) beherrschend, eifrig katholisch, den Byzantinern zugethan, der gothischen Herrschaft immer abgeneigt und seit 20 Jahren entrückt, gewiß auch von kaiserlicher Besatzung vertheidigt, einen erbitterten Widerstand, den die Bauern der andalusischen Berge unterstützten. Endlich fiel die Stadt, wie Assidonia, durch nächtlichen Verrath: dieser Schlag traf die kaiserliche Partei im ganzen Lande schwer und entmuthigend; die blutige Bestrafung der Bürger und der Bauern, wiederholte Niederlagen der byzantinischen Truppen im offenen Feld scheinen eine große Zahl der zu diesen abgefallenen Städte und Castelle zur Unterwerfung gebracht zu haben. Im nächsten Jahre (572) zog der König gegen Norden, wo die Rebellion, wie im Süden bei den Byzantinern, bei den Sueben Halt und Hilfe suchte; aber das rasche und machtvolle Vordringen Leovigild’s schreckte die Sueben von bewaffneter Unterstützung des Aufstandes ab und so wurde zuerst im Norden die Stadt Aregia und das Gebiet der Aregenses, dann im Nordwesten Sabaria, hart an der suebischen Grenze, bezwungen. Nun kam (a. 573 oder 574) die Reihe an das östlich angrenzende Cantabrien, wo die Stadt Amaja erobert wurde; eine diesmal von suebischen Truppen unterstützte Wiedererhebung in den aregischen Bergen ward niedergeworfen und das Haupt der Erhebung, ein vornehmer Spanier, Aspidius, mit seiner Familie gefangen. In diesem dem Centrum des Gothenstaats ferner gelegenen Gebieten hatten sich, man sieht das deutlich, einzelne hervorragende Häupter des alten Provinzialadels, durch Reichthum, ausgedehnten Grundbesitz und starke Clientelen mächtig, [410] als die natürlichen Führer an der Spitze der Bewegung gefunden, welche die Ueberordnung des Staates sprengen wollte. Im J. 576 mußten zweimal die Aufstände der Städter und der Bauern (rustici) in dem Gebirgsland von Orospeda unterdrückt werden. Damit waren zunächst die dringendsten Aufgaben für das Schwert des Königs gelöst: aber in der mit Mühe gewonnenen Zeit der Waffenruhe galt es jetzt, mit aller Kraft das Scepter zu schwingen, d. h. das Ansehen der Staatsgewalt herzustellen. Denn die Neigung der alt-iberischen Thäler und ihrer romanischen Bevölkerung, sich unter localen Dynasten gegen die barbarische Staatsautorität der Gothen selbständig zu stellen, traf in gefährlichster Weise zusammen mit dem schlimmen Hang der gothischen Großen, in meisterloser Selbstherrlichkeit alle kräftige Handhabung der Regierung unmöglich zu machen und jeden Regenten, der sie versuchte, zu verderben; von einer Anhänglichkeit, wie sie die Ostgothen ihrem Königthum bewähren, war in diesem Wahlreich keine Rede; die Treue der Unterthanen war noch viel geringer als die Zwangsgewalt der Könige: man konnte genau die stolzen und unbändigen Geschlechter bezeichnen, welche in den letzten 50, ja 150 Jahren einen König nach dem anderen ermordet und durch genehmere Männer ersetzt hatten. In solchem Zusammenhang betrachtet gewinnen die naiven Ausdrücke jener Zeit nahestehender Autoren tiefe Bedeutung; derselbe Gregor von Tours, der „jene abscheuliche Angewöhnung der Westgothen“ rügt, berichtet uns, L. habe „alle jene getödtet, welche die Könige zu ermorden sich angewöhnt hatten, nicht einen Einzigen des Mannesstammes ließ er leben“. Wenn kirchlich gesinnte Quellen dem König, der später so manchen Act der Nothwehr gegen die katholische Kirche zu üben nicht vermeiden konnte, bei seinem Auftreten gegen diese „Mächtigen“ lediglich Geiz und Neid, d. h. mißgünstige Beargwöhnung ihrer Macht, als Beweggründe beimessen, so gestatten, ja zwingen uns wie die Vergangenheit so die Zukunft dieses Königthums und vor Allem Leovigild’s übrige Maßregeln und seine schlimmen Erfahrungen, nicht in solchen persönlichen Leidenschaften, – mögen diese auch in der Ausführung mitgewirkt haben, – sondern in einem klar gedachten und energisch verfolgten politischen Trachten die wahre Ursache seines Verfahrens zu suchen. Und eine unbefangene, obwol ebenfalls bischöfliche, für diese Zeit die werthvollste Quelle, ein Mann, welchen der König selbst in Verbannung geschickt hat, Johannes von Valclara, nennt die Sache beim rechten Namen mit den Worten: „Leonegild (sic) überwand überall und rottete aus die Tyrannen und gewaltsamen Bedrücker Spaniens und erlangte so für sich und das (geringere) Volk Ruhe“. Also Schutz für die kleinen gothischen Freien, die natürlichen Verbündeten des Königthums gegen die bisherige Herrschaft eines Adels, dessen Macht sich als Unbotmäßigkeit nach Oben, als Druck nach Unten äußerte. Alles, was wir sonst von L. erfahren, bestätigt, daß er mit vollem Bewußtsein, systematisch, die sämmtlichen einem starken Königthum feindlichen Momente aufsuchte und bekämpfte, daß er alle Mittel, welche die bisher schwächsten Seiten der Regierung heben und kräftigen konnten, anzuwenden und planmäßig zu verbinden nicht ermüdete. Das Königthum war bisher schon finanziell gegen den reichen Adel in schwerem Nachtheil gewesen: kein erbliches Geschlecht konnte hier die erschöpften und viel in Anspruch genommenen Staatsmittel durch einen mächtigen Hausschatz verstärken: L. zuerst suchte, wie durch Kriegsbeute, so durch erhöhte Steuern das Aerar zu bereichern und die vielen Confiscationen der Güter des gebändigten Adels dienten dem gleichen Zweck. Gewiß war es ferner nicht blos prahlende Eitelkeit, wenn L. in dem ganzen Auftreten des Gothenkönigs eine Aenderung vornahm: „bis auf ihn hatte der König in Tracht und Sitz vor dem Volke sich nicht ausgezeichnet; er zuerst nahm königliche Kleidung an (Purpur) und seinen Sitz auf einem Thron.“ Fortan sollte auch äußerlich der König sich [411] von dem ihm umgebenden Adel durch die Abzeichen der königlichen Würde unterscheiden. Er schuf auch Toledo zur bleibenden Residenz des Reichs. Wenn wir nun weiter vernehmen, daß L. an der von Eurich stammenden Gesetzgebung Aenderungen vornahm, neue Bestimmungen hinzufügte und überflüssige abschaffte, so werden wir wol auch bei diesen Aenderungen zum Theil jene politische Tendenz des Königs wirksam denken dürfen. Vielleicht gilt das gleiche von der Gründung einer Stadt in Celtiberien, welche er seinem jüngeren Sohn Rekared zu Ehren „Rekopolis“ nannte: dieses Werk wurde als ein Zeichen der glücklich hergestellten Ruhe im Lande wie als Ausdruck der königlichen Herrlichkeit betrachtet und den wol aus der gothischen „plebs“ herangezogenen Colonisten der neuen Stadt eine Reihe von Privilegien ertheilt. Jedesfalls aber stand diese Gründung und Benennung im Zusammenhang mit dem wichtigsten Schritt, welchen der König auf der bezeichneten Bahn vorwärts trat: mit dem Versuch, die Krone in seinem Geschlecht erblich und dem Wahlrecht des Adels ein Ende zu machen. Um nach seinem Tod seinem Hause die Krone zu wahren, ließ er im J. 572 seine beiden Söhne erster Ehe, Hermenigild und Rekared, als Mitregenten anerkennen; eine Realtheilung in Provinzen hat man (für d. J. 572) allzubestimmt auf Gregor von Tours hin angenommen und L. zu Toledo, Hermenigild zu Sevilla, Rekared zu Rekopolis residiren lassen; fränkische Sitte und spätere Vorgänge können Gregor getäuscht haben. Jedesfalls wollte L. durch die schon bei seinen Lebzeiten befestigte Stellung der Söhne dem Wechsel der Dynastie zuvorkommen. Aber in der eigenen Familie des Königs sollte, nachdem er sich und seinem Volke eine Zeit der Ruhe erkämpft, der verderblichste der zahlreichen diesen Staat bedrohenden Gegensätze, der confessionelle, zu einem Ausbruch kommen, welcher, alle anderen Gefahren wieder entfesselnd, sein Haus und sein Reich an den Rand des Abgrunds drängte. Und wieder wie unter Athanagild gab eine merowingische Verschwägerung dazu den Anlaß. – L. war ursprünglich keineswegs ein Feind des Katholicismus: dies beweist seine Verbindung in erster Ehe mit Theodosia, der katholischen Tochter eines byzantinischen Großen, Severianus aus Karthagena; diese, wahrscheinlich unterstützt von ihrem Bruder Leander *), einem Mann von gleich großer Neigung wie Begabung zu seelenbeherrschendem Einfluß, dem späteren Metropolitan von Sevilla, mochte ihre beiden arianisch getauften Knaben früh mit dem katholischen Bekenntniß befreundet haben. Seit L. den Thron bestiegen und jahrelang die Conspiration der Katholiken mit den Reichsfeinden zu bekämpfen hatte, mußte ihn allmählich strengere Gesinnung gegen die gefährliche Macht dieser Kirche erfüllen: – darauf ist wol mehr Gewicht zu legen als auf seine Verbindung in zweiter Ehe mit Godisvintha, der Wittwe Athanagild’s, einer leidenschaftlichen Arianerin. Verschwägerung mit den Merovingen sollte abermals das Frankenreich und den Gothenstaat einander nähern: Hermenigild ward mit seiner Stiefnichte Ingunthis, der Tochter Sigibert’s und Brunichilden’s (Tochter Athanagild’s, also Enkelin seiner Stiefmutter Godisvintha) verlobt, vornehmlich auf Betreibend der fränkischen Königin. Seit vier Jahren Wittwe – Sigibert war a. 576 durch Fredigunthis ermordet worden – und von ihren Feinden stets mit Vernichtung bedroht, griff die Tochter Athanagild’s nach der gothischen Macht, als ihrer natürlichen Stütze. Mit reicher Ausstattung ward die Braut nach Toledo geleitet (a. 580). Dabei scheint man gothischer Seits den Uebertritt der künftigen Königin zum Arianismus vorausgesetzt zu haben, wie ja auch Brunichild (und deren Schwester Gailesvintha bei ihrer Vermählung mit Chilperich) den Katholicismus angenommen hatten. Gewiß hatte namentlich Godisvintha nicht daran gedacht, einer katholischen Königin – ihrer eigenen Enkelin – [412] am Hofe zu Toledo eine Stätte zu bereiten. Als daher Ingunthis, die noch unterwegs zu Agde durch den Bischof Fronimius in dem Festhalten an ihrem Glauben und in dem Abscheu wider das „Gift der Ketzerei“ bestärkt worden, unerachtet alles Andringens den Uebertritt auf’s Festeste weigerte, mußte man einen politischen Plan, von dem man Günstiges erwartet, nicht gescheitert blos, nein, in verderbliche Gefahr umgeschlagen erblicken: statt sich den Franken zu nähern hatte man eine eifrige und einflußreiche Vertreterin der reichsgefährlichen Confession ins Land gezogen. Diese politischen, geschichtlichen Motive hat man außer Acht gelassen, wenn man, den dramatisch schildernden und alles aus persönlichen Leidenschaften naiv erklärenden Quellen jener Zeit folgend, in Godisvintha nur die einäugige, häßliche, Jugend und Schönheit beneidende böse Stiefmutter, in Ingunthis immer nur die leidende, jugendlich schöne Königstochter des Märchens erblickt. Uebrigens scheint zwar in der That Godisvintha, als Zureden nicht half, die Enkelin thätlich mißhandelt zu haben: der König jedoch, obwol in seiner Berechnung getäuscht, ist weit entfernt, die Widerstrebende zu zwingen; er hofft, den brennenden Hader in seinem Hause dadurch zu löschen, daß er Hermenigild und seine Gattin vom Hof in eine Art Verbannung entfernt und ihnen bei Sevilla eignes Gebiet anweist. Aber der Erfolg zeigte, daß die katholische Kronprinzessin in der That nicht ungefährlich war: es gelang ihrem unablässigen Zuspruch, den Gemahl zu Sevilla, unterstützt durch dessen mütterlichen Oheim Leander, seit dem J. 579 daselbst Metropolitan – („Erzbischof“ begegnet im Gothenreich noch nicht) – zum Uebertritt zu bewegen: er nahm in der katholischen Taufe den Namen Johannes an. Nach der ganzen politischen Constellation war dieser Schritt nichts anders als Empörung gegen den Vater, Gefährdung des Staats, Untergrabung der gesammten bisher von dem König mit so viel Anstrengung hergestellten Baues. Es ist höchst bezeichnend, daß die orthodoxen Zeitgenossen, selbst so leidenschaftliche Feinde des Arianismus wie Gregor von Tours, so eiferwarme Katholiken wie Johannes von Valclara (Biclaro), das Beginnen Hermenigild’s nicht zu rechtfertigen wagen: so gewaltig war die Persönlichkeit des Königs, so großartig sein staatsmännisches Werk, so klar sein Recht und so grell der politische Frevel des Sohnes. Denn, darf man auch nicht die Entthronung des Vaters als sein ursprünglich treibendes Motiv annehmen: – sofort, noch im J. 580, sah sich Hermenigild in die engste Verbindung gedrängt mit allen schlimmsten Feinden des Reichs: mit den Sueben im Nordwesten, den Byzantinern im Süden, mit den unzufriedenen Katholiken und Romanen in allen Provinzen. Die Bischöfe der rechtgläubigen Kirche mit ihrer dem unfertigen Germanenstaat so weit überlegenen, unübertroffenen, welterobernden Organisation waren seine natürlichen Verbündeten, seine besten Helfer überall: im ganzen Reiche loderten die katholischen Erhebungen empor, Sueben und Byzantiner rückten in das gothische Gebiet, Hermenigild nahm den Königstitel an und schlug Münzen mit seinem Brustbild und einer geflügelten Victoria, ja er trachtete nun dem Vater nach dem Leben. Das rechte Wort für Hermenigild – „tyrannus“, d. h. „Empörer“, nennt er ihn und sein Thun ein „rebellare“ – hat der wackere Johannes von Valclara, der doch damals sein Bisthum Gerunda durch den Zorn des Königs verlor: – erst später hat man in Spanien und anderwärts aus Sympathie für den katholischen Martyr den rebellischen Sohn, den reichsverderberischen Prinzen übersehen. Die Wucht des gegen L. gefallenen Streiches war groß: außer seiner Residenz Sevilla hatte sich eine ganze Reihe der wichtigsten Städte und Castelle für Hermenigild erklärt, das kaum erst wieder gezähmte andalusische Cordova schüttelte feurig den Zügel der gothischen Herrschaft ab und lud einen byzantinischen Präfecten mit starker Truppenmacht in seine Mauern: „viele Tausende“ hat Hermenigild noch ganz [413] zuletzt unter seiner Fahne: der König wagte nicht, sich dieser übermächtigen Bewegung sofort mit den Waffen entgegen zu werfen; klar erkannte er die Nothwendigkeit, weitere Fortschritte der katholischen Erhebungen zunächst in dem noch äußerlich treu gebliebenen oder doch von seinem Schwert überherrschten Gebiet zu hemmen; dazu brauchte er, so klug wie entschlossen, bald Milde, bald Strenge. Mit so großer Feinheit operirt der König (auf die Nachricht von einem Mirakel läßt er restituiren, was seine Truppen in einem katholischen Kloster geraubt; er bezeugt geflissentlich den katholischen Heiligen, z. B. St. Eulalia, und deren Heiligthümern, seine Verehrung; ein katholischer Einsiedler von höchstem Ruf, St. Nunctus, lebt nur von Leovigild’s Unterstützung), daß Gregor von Tours erbangend einen durchreisenden Spanier fragt, „wie bei den Christen (d. h. Katholiken), deren nur geringe Zahl in jenem Lande noch übrig, der Glaube bestehe?“ Sein Gewährsmann meint dann zwar: sie bewahren den Glauben treu; „aber der König trachtet sie nun mit neuem Kunstgriff zu irren, indem er arglistig in den Kirchen unserer Religion zu beten scheint“. Er erkläre: das habe ich nun klar erkannt, daß Christus, der Sohn Gottes, dem Vater gleich ist; nur daß auch der heilige Geist vollkommener Gott sei, glaube ich nicht: deswegen, weil in keiner Bibelstelle steht, er sei Gott.“ – Daß auch katholische Römer fest am König hielten, erhellt aus der Wahl von zwei solchen zu Gesandten an Chilperich von Soissons. Aber im Ganzen war der Conflict auch ein nationaler: auf Seite des Vaters haben wir uns das Gothenthum zu denken, während Hermenigild sich auf die Romanen, d. h. die Katholiken, die Kaiserfreunde, stützen mußte. Die von L. in dieser Zeit nothwendig verhängte Verfolgung der Kirche hat man sehr übertrieben. Die gefährlichsten Bischöfe wurden freilich durch Verbannung unschädlich gemacht und durch Einziehung ihrer Güter und „Privilegien“ gestraft. So, natürlich, Leander von Sevilla, 584–586, sein Bruder Fulgentius von Ecija (Astigi), Licinian von Karthagena; Fronimius von Agde sollte (angeblich) für seine Einflüsterungen getödtet werden, er entfloh in die Merovingerreiche. Damals auch wurde Johannes von Gerunda (später Gründer von Biclaro, Valclara) nach Barcelona verbannt. Gegen Mausona von Merida unternahm man vergebliche Versuche der Gewinnung oder Einschüchterung. Anfangs hatte man sich begnügt, ihm nur einen arianischen Bischof an die Seite zu setzen, der ihm einige Kirchen wegzunehmen suchte. Da leisten die Katholiken mit Gewalt Widerstand: gleichwol ordnet der König noch einen besonderen „Streit“, wol zugleich Religions- und Rechtsstreit, an, obzwar unter Zuziehung der Richter, um den Besitz der Hauptkirche der heiligen Eulalia. Darauf wird Mausona zunächst nach Toledo zur Verantwortung geladen und erst als er die Auslieferung des Gewandes jener Heiligen an die arianische Kirche weigert (er trug es insgeheim um den Leib gefaltet, behauptete aber, er habe es verbrannt und die Asche verschluckt), wird er auf drei Jahre in ein Kloster verbannt: ein wildes Pferd, das ihn abwerfen und tödten soll, wird plötzlich zahm; hätte er wirklich die ihm von seinem Biographen in den Mund gelegten Reden gegen L. geführt – er will ihn durch herausfordernde Schmähungen bekehren – hätte er wol schwerere Strafe erhalten und – verdient. Der in Merida vom König eingesetzte Bischof wird halb und halb von den Katholiken verjagt; jene kirchlichen Quellen legen überall wider Willen von der Staatsgefährlichkeit dieser Bischöfe bestes Zeugniß ab *). L. wirkte weniger durch Gewalt als durch Klugheit: vor Allem suchte er die noch nicht offen abgefallenen Katholiken um jeden Preis zurückzuhalten; zu diesem Zweck nahm er sich, mitten im schlimmsten Gedränge (a. 581), Zeit, ein Concil seiner Bischöfe nach Toledo zu berufen, um [414] durch nachgiebige Beschlüsse den Orthodoxen goldene Brücken zur Versöhnung mit dem Arianismus zu bauen. Da sich dieselben am meisten an der bisher bei ihrem Uebertritt geforderten nochmaligen Taufe gestoßen hatten, erließ ihnen das Concil fortan diese Form, begnügte sich mit der Handauflegung und einer das Abendmahl begleitenden Erklärungsformel, welche, da sie den eigentlichen Glaubensgegensatz umging, an sich (d. h. wenn ihr nicht eben die Bedeutung des Uebertritts beigelegt worden wäre) ein Katholik ohne Bedenken aussprechen konnte. Der König hatte sich nicht getäuscht. Sehr viele Katholiken, auch Geistliche, so Bischof Vincenz von Saragossa, zwischen Verfolgung und diesen glimpflichen Ausweg gestellt, wählten, zumal wenn Bestechung nachhalf, den letzteren: die Zahl derer, welche das Martyrium vorzogen, war gering. Erst jetzt brach der König von Toledo und dem Tajo mit Heeresmacht gegen die Empörung auf, welche im Süden, in Bätica und Hispalis, wegen der Anlehnung an die Byzantiner ihre Basis und in Sevilla, der Residenz Hermenigild’s, ihren wichtigsten Punkt hatte. Schon hatte L. Merida erobert und sich hier von der Guadiana (Anas) gegen den Guadalquivir (Bätis) gewandt, als von drei Seiten her zugleich die katholischen Verbündeten Hermenigild’s durch drohende Bewegungen diesem Luft zu schaffen suchten; die Sueben fielen vom Nordwesten heerend in das Land, im Nordosten standen die Katholiken von Cantabrien und Vasconien auf und im Südosten drohten die fränkischen Schwäger Hermenigild’s, Guntchramn von Orleans und Chilperich von Soissons, Ingunthis zu schützen und zu rächen und zumal das hilflose und unablässig begehrte Septimanien wegzunehmen, wenn der arianische Vater nicht von seiner Verfolgung abstehe. L. wußte diese letzte und größte Gefahr durch kluge Trennung seiner fränkischen Gegner, der ohnehin durch Mißtrauen und böse Erinnerungen tief gespaltenen Merovingen abzuwenden, indem er den Einen, Chilperich, durch ein Project, dessen und Fredigunthen’s Tochter, Rigunthis, mit Rekared zu vermählen, zu gewinnen suchte: er trat in Verhandlungen hierüber, wodurch er jedesfalls die burgundisch-fränkische Action aufhielt. Dem Umstand, daß der Weg aus Spanien nach den Höfen der Merovingerreiche über Tours führte, verdanken wir die Aufzeichnung dieser Gesandtschaften bei Gregor von Tours – man sieht, wie lebhaft der Verkehr, wie geschäftig die Politik, wie Aufsehen erregend der Ausbruch des großen Kampfes zwischen Vater und Sohn und den beiden Confessionen war: – er gestaltete sich den Zuschauern auch als ein Kampf der Nationen, der Gothen und Romanen. Die neue Freundschaft zwischen L. und Chilperich mußte Guntchramn (und Brunichildis) zwar im Haß gegen den Gothenfürsten bestärken, aber im Angriff durch die Besorgniß um ihre bedrohte Rückenstellung lähmen: von dieser Seite also frei schlug der König mit Raschheit und blutiger Strenge den Aufstand in den Bergen nieder (a. 582), gründete dort, die Landschaft im Zaume zu halten, eine feste Stadt, welcher er, obwol noch mitten im Kampfe, den stolzen Namen „Siegesstadt“ (Victoria) verlieh, und trieb durch seine Härte einen großen Theil der baskischen Bevölkerung zur Auswanderung über die Pyrenäen. Jetzt wandte sich L. zur Bezwingung von Sevilla zu dem Quadalquivir zurück (a. 583): eng umklammerte er die Stadt; der Suebenkönig Miro rückte zwar mit einem starken Heere zum Entsatz heran, wurde aber von dem kriegserfahrenen Helden dergestalt eingeschlossen, daß er nur durch eidlich gelobte Unterwerfung sich den Rückzug erkaufen konnte. Die sehnlich erwartete Hilfe von Byzanz, welche Bischof Leander daselbst aufbieten sollte, blieb aus: der König sperrte die geängstete Stadt vom Fluß und durch ausgedehnte Umschanzungen, in welche er die Ruinen der alten Römerstadt Italica einzuflechten verstand, von aller Zufuhr ab und nahm sie zuletzt mit Sturm. Hermenigild entkam (vorher?) und floh nach Cordova zu den Kaiserlichen. Aber [415] nach Eroberung der übrigen Städte und Schlösser – eine besonders steile und feste Burg, castrum Osser, hatte Hermenigild mit 300 Mann besetzt, die sich lange vertheidigten – erschien der König auch vor diesem letzten Bollwerk der Empörung und der byzantinische Präfect ließ sich durch die Summe von 30 000 Solidi bestechen, die Stadt und den Flüchtling Preis zu geben. Aus dem Asyl einer Kirche, von wo aus er die Gnade des Vaters anrief, entfernte ihn sein Bruder Rekared durch eidliche Zusicherungen im Auftrag des Königs: er wurde gefangen nach Toledo geführt, a. 583/584, und dann nach Valencia verbannt. Im Einzelnen schwanken die Berichte. Nach Gregor von Tours wirft er sich dem Vater zu Füßen, dieser erhebt ihn mit Küssen und weichen Worten, winkt dann, „seines Eides vergessen“, läßt ihm die königlichen Kleider abreißen und sie mit schlechten vertauschen, seine Diener (pueri) von ihm trennen und ihn mit nur einem puerulus ins Exil gehen; harte Behandlung und Ketten fügt erst Papst Gregor der Große bei; selbstverständlich war Einziehung seiner Güter; wenn Johannes von Biclaro sagt: „er wird der Herrschaft beraubt“, so meint dies wol einmal das ihm seit seiner Verheirathung eingeräumte Gebiet von Sevilla und dann den Thronfolgeanspruch: – sofern ein solcher in diesem Wahlreich bestand. Gleich darauf (583/584) bot sich erwünschte Gelegenheit, dem höchst unbequemen suebischen Nachbarreich ein Ende zu machen. L. verleibte dies Gebiet seinem Reich ein und der letzte Suebenkönig verschwand in einem Kloster. So trägt der König den Ruhm, eine vier- und fünffache Bedrohung nach allen Seiten durch Klugheit und Kraft überwunden und eine Krisis, welche die Existenz des Staates gefährdete, abgeschlossen zu haben mit einer stolzen Erweiterung seiner Macht und seiner Marken. – Die Vermählung Rekared’s mit Rigunthis, durch deren Betreibung L. sich Chilperich’s guten Willen und Unthätigkeit auch bei der Unterwerfung der Sueben erkauft hatte, kam nicht zu Stande, obwol der Verlobungsvertrag endgültig abgeschlossen und die Braut mit reichster Ausstattung von den gothischen Gesandten schon aus Paris (September d. J. 584) bis nach Toulouse war geleitet worden, da bei ihrem Eintreffen in dieser Stadt die Ermordung Chilperich’s (a. 584) bekannt wurde; die Prinzessin, welche die eigene Bedeckung auf der Reise ausgeraubt hatte, wurde von Chilperich’s Feinden gefangen gehalten und später ihrer Mutter Fredigunthis zurückgesandt. Die völlige Unthätigkeit, mit welcher L. und ihr Verlobter all’ dies mit ansahen, scheint allerdings dafür zu sprechen, daß sie, nach Chilperich’s Tod, auf diese Verbindung kein Gewicht mehr legten. Im nächsten Jahre fiel das Haupt des gefangenen Hermenigild. Der König mochte mit gutem Grunde fürchten, daß die Glaubensverschiedenheit seiner beiden Söhne nach seinem Tode neue Unruhen, namentlich eine neue Erhebung der Katholiken unter Hermenigild, herbeiführen könnte; er wollte dem letzteren volle Amnestie und gleiches Erbrecht mit Rekared gewähren, wenn er öffentlich zum Arianismus zurücktrete. Aber unentwegt hielt Hermenigild an seinem neuen Glauben fest – er weigerte sich, am Ostertag das Abendmahl von einem arianischen Bischof zu nehmen – und der König ließ ihn zu Tarraco mit dem Beil hinrichten, wol weniger aus Groll über die Vergangenheit als aus Besorgniß für die Zukunft. Papst Sixtus V. sprach ihn heilig auf Bitten des Königs Philipp II., gegen welchen sich auch ein Sohn empört hatte; die spanische Kirche begeht sein Fest am 13. April, sein Kerker in Sevilla an der porta cordubana ward noch spät gezeigt. Seine Gattin Ingunthis war von den Byzantinern festgehalten worden, vielleicht als Geisel für die Versprechungen ihres Bruders Childibert (II.), der gegen große Summen die Unterwerfung der Langobarden verheißen hatte; vielleicht auch hatten sie noch eine Wiedererhebung Hermenigild’s gehofft: nach seinem Tode schifften sie die Wittwe nach Byzanz ein; sie starb unterwegs auf Sicilien oder in Afrika; nur [416] ihr Knabe, Athanagild, gelangte nach Byzanz. Briefe über ihn und an ihn von seinem Mutterbruder Childibert und seiner Großmutter Brunichildis an Kaiser und Kaiserin erbitten günstige Behandlung, einmal auch Freilassung; „rex“ reden ihn die Briefe an, doch das ist nur merovingischer Sprachgebrauch, nicht etwa tendenziöse Anerkennung als legitimer König der Gothen gegenüber Rekared. Nach Hermenigild’s Tod, aber sicher nicht blos, um diesen zu rächen, ergriffen Guntchramn von Burgund und Childibert von Metz, der Sohn Sigibert’s und Brunichilden’s, die Waffen gegen die Gothen: es erklärt sich dies vielmehr aus der ganzen damaligen Parteigruppirung der betheiligten Mächte; die Verbindung Leovigild’s mit Chilperich, Fredigunthis, Rigunthis war bei der Familienfeindschaft der Merowingen zugleich als gegen Brunichild, deren Sohn Childibert und wol auch gegen Guntchramn gerichtet, gemeint oder doch angesehen. Dem entsprach, daß L. in Brunichigild, der Mutter, und in Childibert, dem Bruder der Ingunthis, der Verderbenstifterin in seinem Haus und Reiche, natürliche Rächer und Feinde erblicken mußte: Childibert, der schon früher ein Heer gegen Spanien gerüstet, stand überdies mit der Gothen alten Feinden, den Byzantinern, im Bunde. Nach Chilperich’s Tod mußte also der Hof von Toledo auf Seite von Fredigunthen’s seine natürliche Stellung finden. Dieser Sachverhalt fand sogar in dem unglaubhaften Gerücht seinen scharfen Ausdruck, L. habe mit Fredigunthis die Ermordung der Brunichild und Childibert’s geplant. Bei Guntchramn von Burgund aber, der unmittelbar mit dem gothischen Gebiet in Gallien grenzte, wirkte, wie dereinst in Chlodovech, das weltliche Verlangen nach der Pyrenäengrenze mit dem frommen Ketzerhaß zusammen: „unerträglich ist es, spricht er, fast mit den Worten seines Ahnherrn, daß sich das Gebiet dieser abscheulichen Gothen nach Gallien herein erstreckt“; er, als Beherrscher Südfrankreichs, ist daher der eigentliche Träger dieser merovingischen Politik der „natürlichen Südwestgrenze“. Während Childibert im Bunde mit Byzanz durch seinen langobardischen Feldzug beschäftigt war, bereitete Guntchramn einen sehr ernst gemeinten Doppelangriff gegen die Gothen: er schob in Septimanien zwei Heere auf verschiedenen Straßen gegen Carcassonne und Nîmes vor, indeß seine burgundisch-fränkische Flotte an der galläcischen Küste landen, vielleicht eine Erhebung der Sueben daselbst unterstützen und die Gothen im Herzen ihrer Macht mit einem Einfall von Nordwesten bedrohen sollte. Aber während L. diese Flotte bei ihrem Landungsversuch überfallen und so übel zurichten ließ, daß nur wenige ihrer Bemannung auf Kähnen sich mit der traurigen Nachricht nach Frankreich zurück retteten, trieb Rekared die beiden Landheere aus Septimanien hinaus; durch ihre grausamen Verwüstungen auch im eignen Lande hatten die Franken sich selbst alle Lebensmittel auf ihrer Rückzugslinie zerstört und den Ingrimm der Bauern wachgerufen: von Nîmes mußten sie abziehen, Carcassonne, das die Thore geöffnet, ward ihnen wieder entrissen, ihr Feldherr, Graf Terentiolus von Limoges, fiel und unter großen Verlusten durch Hunger, Seuchen und Schwert flohen sie, ihre Beute im Stich lassend, vor Rekared, der ihnen noch drei Grenzcastelle an dem Rhone abnahm. Gleichwol suchte L. den Frieden durch wiederholte Gesandtschaften, unter deren noch einmal durch die Waffen und gothische Siege unterbrochenen Verhandlungen er zu Toledo starb. Leovigild’s Regierung bezeichnet den letzten Versuch, das gothische Reich nach seinem hergebrachten Charakter durch kräftige Anspannung aller gegebenen Mittel gegen die gleichfalls hergebrachten Gefahren zu befestigen: Bekämpfung des Katholicismus, Bändigung des Adels, Erkräftigung des Königthums, Abwehr der feindlichen Nachbarn. Und man muß einräumen, daß der König Großes geleistet hat, mehr freilich durch das, was er verhütet und niedergekämpft, als durch das, was er erreicht und aufgerichtet hat; wiewol die Unterwerfung der Sueben und Zurückdrängung [417] der Kaiserlichen nicht gering anzuschlagen ist: „Er hat sich des größten Theils von Spanien bemächtigt, denn vor ihm war das Gothenvolk in enge Grenzen eingezwängt. L. hat als Grundlage des Staats noch streng die alte gothische Nationalität aufrecht erhalten, wie sie sich durch Sprache, Sitte, Glaube den Romanen entgegenstellte. Letzterer Gegensatz, der confessionelle, wurde von diesem Stamme mit einer besonderen angeborenen oder doch frühe durch seine Geschichte anerzogenen Leidenschaftlichkeit des Religionstriebs erfaßt: ein verhängnißvoller Charakterzug, der die Westgothen von den Verfolgungen Athanarich’s und Fridigern’s und den Parteiungen unter Theodosius anhebend durch die bereits geschilderten Katholikenverfolgungen hindurch zu den alsbald sie ablösenden Arianer- und Judenverfolgungen begleitet, eine Sinnesart, welche das innere und das äußere Verderben, die Unterjochung der Krone durch die Bischofsmütze und die Hereinziehung des Islam zur Folge gehabt hat, eine Gluth der Empfindung, welche dann zwar in den langen Kämpfen zwischen Mauren und Christen die schöne Blüthe castilischen Ritterthums trieb, aber nach dem Siege des Christenthums in ungezählten Scheiterhaufen loderte, deren dicht zerstreute Asche das schöne Land und das edle Volk auf Jahrhunderte hinaus, für freie Geistescultur unempfänglich machend, überdeckt hat. – Dabei ist jedoch hervorzuheben, daß historische Gründe – so früher die Herrschaft der Bischöfe und später der Racenkampf gegen die Mauren – zu einer so extremen Ausbildung dieses Hanges weiter mächtig beigetragen hat, ja, daß von Anbeginn der religiöse Gegensatz dadurch vergiftet worden, daß er jedes Mal eine politische Gefahr in sich schloß. Der Zufall aber, daß sich das Wort „bigot“ aus „Visigot“ entwickelt hat, ist, wenn auch ein blinder, kein ganz ungerechter.
Leovigild, Westgothenkönig, von 568 bis 21. April 586. Die schweren inneren und äußeren Gefahren, welche den Westgothenstaat in Gallien und Spanien, das Reich von Toulouse und das Reich von Toledo, bedrohten, sind zum großen Theil dargestellt worden in den beiden Artikeln:- S. die erschöpfende Zusammenstellung der gesammten Litteratur bis 1870 bei Dahn, Die Könige der Germanen, V. Würzburg 1870, VI. 1871. – In scharfsinniger Weise hat Dr. Görres die Abstammung der Theodosia von Severianus und was damit zusammenhängt in Zweifel gezogen und diesen Theil der Ueberlieferung in der That als sehr fragwürdig dargewiesen. Dagegen hat mich wiederholte Prüfung der Quellen nicht von dem weiteren Satz dieses Kritikers zu überzeugen vermocht, daß Hermenigild gar nicht katholisch geworden sei. Daß er als Rebell, nicht als Convertit bekämpft wurde, steht freilich fest. Hätte er nach seinem Uebertritt der Krone entsagt, er wäre um des Glaubenswechsels willen als solcher nicht bekämpft worden. Sein Bündniß mit den Kaiserlichen, den Franken, den Sueben, den katholischen Bischöfen macht den Uebertritt an sich sehr wahrscheinlich. Ueber die Gründe, weshalb die katholischen Zeitgenossen den Glaubenswechsel verschweigen und über die verdienstvolle Schrift von Dr. Görres überhaupt: s. Dahn, Bausteine II, Berlin 1880, S. 291 f.
[407] *) Nämlich: Athaulf 410–415, ermordet; Sigrich nach sieben Tagen ermordet, 415; Walja 415–419, gestorben; Theoderich I. 419–451, gefallen bei Châlons; Thorismund 451–453, ermordet; Theoderich II. 453–466, ermordet; Eurich 466–485, gestorben; Alarich II. 485–505, gefallen bei Voulon; Gesalich 507–511, erschlagen; Amalarich 507–531, ermordet (wahrscheinlicher als in der Schlacht gefallen, keinesfalls friedlich gestorben); Theudis 531–548, ermordet; Theudigisel 548–549, ermordet; Agila 549–554, ermordet; Athanagild 554–568, gestorben. In 158 Jahren regierten 14 Könige: also Einer durchschnittlich nur 11 Jahre; sieht man aber von der ausnahmsweise langen Regierung Theoderich I. (32 Jahre) ab, so ergeben sich auf 13 Könige nur 126 Jahre, d. h. für jeden durchschnittlich nur 9 Jahre.
[411] *) S. aber die Litteratur am Ende des Artikels.
[413] *) Geschrieben 1869.