ADB:Childebert II.
Sigibert I. und Brunichildens, der Tochter des westgotischen Königs Athanagild (vgl. die drei Artikel) war bei Ermordung seines Vaters durch Fredigundis (vgl. den Artikel) erst fünf Jahre alt: ein Herzog Gundovalt flüchtete den Knaben (in einem Ranzen aus einem Fenster des Palatiums) aus Paris nach Metz (December a. 575) und rettete so sein Leben oder doch seine Freiheit und die Nachfolge auf des Vaters Thron vor Chilperich, seinem bösartigen Oheim, der alsbald (Anfang a. 576) in Paris erschien, die Wittwe Brunichildis der Schätze Sigibert’s beraubte und in ein Kloster nach Rouen, wie ihre Tochter in eines nach Meaux bringen ließ. Ch. aber ward in Metz, der Hauptstadt Austrasiens, von den leudes dieses Theilreiches als König anerkannt (am 8. December a. 575). Diese rettende That war von dem Dienstadel und dessen Häuptern keineswegs nur um des Knaben willen gethan, sondern ganz besonders auch um während der nun zu erwartenden Namensherrschaft eines Minderjährigen in Wirklichkeit selbst die höchste Macht in dem Theilstaat auszuüben, ein Plan, der zum schweren Schaden nicht nur des Ansehens des Königthums, auch zum Nachtheil des ganzen Volkes für viele Jahre nur allzu gut glückte: denn geraume Zeit herrschten nun in Austrasien lediglich die wechselnden geistlichen und weltlichen Häupter des Dienstadels in Zurückweisung der Versuche der hochbegabten und kraftvollen Mutter Brunichildis († a. 613) oder des gutmüthigen Oheims, König Guntchramn von Burgund, (a. 561–593, vgl. den Artikel) in Austrasien die Rechte der Krone zu üben und jene zweifache Aristokratie – zum Heile der Gesammtheit – zu bändigen. Schon im J. 576 hielt Guntchramn mit dem Knaben und dessen Vornehmen eine Zusammenkunft ab bei Pompierre, der „Stein-Brücke“ (pons petreus) über den Mouzon bei Neufchateau, nahe der Maas. Der Söhnelose nahm den Neffen als Wahlsohn an, setzte ihn auf seinen eigenen Thron und übergab ihm für den Fall seines Todes sein ganzes Reich: die Großen von Austrasien erwiderten im Namen des Knaben diese Zusagen, räumten also wol auch Guntchramn ein Folgerecht ein bei söhnelosem Versterben Childibert’s mit Ausschluß Chilperich’s, gegen den das enge Bündniß sich richtete. Allein wenige Jahre später (a. 581) erfolgte ein plötzlicher Umschlag der Parteistellung, wie er in jener Zeit nicht nur bei den Herrschern, auch bei den Adelsgruppen gar häufig war. Ch. schloß ein Waffenbündniß gegen seinen Wahlvater mit Chilperich, sein Herzog Gisulf entriß jenen Marseille; der Beweggrund der austrasischen Großen war wol Abneigung gegen die allerdings ungermanische Regentschaft eines Weibes, welche die kraftvolle Brunichildis wenigstens thatsächlich sich anmaßte und insbesondere zur Wahrung der Rechte der Krone gegen jenen Adel anwandte: auch Guntchramn’s Eingriffe waren den Vornehmen Childibert’s höchst unerwünscht, sie besonders unterstützten die Erhebung eines Anmaßers Gundovald (a. 584/585) gegen diesen. Nach kurzem Frieden (a. 582) begannen die Kämpfe aufs neue (a. 583), endeten aber noch im selben Jahre nach einer Niederlage Chilperich’s bei Melun mit dessen Bitten um Frieden, worauf sich Ch. wieder an den Sieger Guntchramn schloß. Damals begegnet zum ersten Mal im Frankenreich eine Erhebung der kleinen Freien gegen die Mißwirthschaft und verderbliche Staatsleitung des geistlichen und weltlichen Adels; in dem Lager Childibert’s bricht in der Nacht die Erbitterung des geringen Volkes gegen den Führer jener Adelsherrschaft, [472] Bischof Egidius von Rheims, und die vornehmsten Herzoge in bewaffnetem Aufstand aus: der Bischof muß sich durch eilige Flucht retten: er besonders hatte den Uebertritt zu Chilperich bewirkt: jetzt nach seinem Sturz erfolgte Childibert’s Rückkehr zu Guntchramn, der, nachdem Chilperich (a. 584) ermordet war, auch für dessen eben geborenen Knaben Chlothachar II. (a. 584 bis 628) die Muntschaft übernahm. Bald darauf entdeckte Guntchramn dem Neffen einen gefährlichen Mordanschlag von austrasischen Großen gegen diesen und Brunichildis: nachdem Ch. die Empörer vernichtete hatte, schlossen er und seine Mutter mit Guntchramn den gegenseitigen Erbverbrüderungsvertrag zu Andelot (27. November 587, nordöstlich von Chaumont, Haute-Marne, an der Grenze beider Reiche), in welchem die bisher bestrittenen Grenz- und andere Fragen entschieden wurden. Ch. übernahm den Schutz von Guntchramn’s Tochter nach dessen Tod, umgekehrt bei Childibert’s Vorversterben Guntchramn den Schutz Brunichildens, der Gemahlin Childibert’s Faileuba, und deren Kinder. Gleichzeitig versprach Ch. dem Kaiser Mauritius (seit a. 582) gegen reiche Hilfsgelder (50,000 solidi) die Langobarden aus Italien zu vertreiben, auch dem Papst Pelagius II. (a. 578–590) und dem Bischof Laurentius von Mailand machte er solche Zusagen und führte a. 584 – gerade vierzehn Jahre alt – selbst das Heer nach Italien, schloß aber bald Friede mit König Authari (vgl. den Artikel) und zog nach Hause, ohne dem Kaiser die nun zurück geforderten Gelder heraus zu geben: von „Unterwerfung“ der Langobarden, wie sie fränkische Quellen berichten, war keine Rede: vielmehr begannen die Kämpfe bald aufs neue und währten bis a. 590/91. Ein Heer Childibert’s ward (a. 588) von den Langobarden in Italien geschlagen, ein zweites gewann zwar nach kurzer Waffenruhe (a. 589) einige Burgen im Tridentinischen, worauf mit Authari’s Nachfolger Agilulf (vgl. den Artikel) Friede zu Stande kam. Bei Guntchramn’s Tod (a. 593) übernahm Ch. gemäß dem Vertrag von Andelot dessen Reich. Alsbald sandte er unter Herzog Wintrio von der Champagne ein Heer gegen seinen Vetter Chlothachar II. von Neustrien, das aber in blutiger Schlacht (bei Droisy?, südwestlich von Soissons) schwer geschlagen ward (a. 594). Dagegen wahrte er erfolgreich die Rechte und Machtstellung des austrasischen Königthums bei den Stämmen rechts vom Rhein, indem er einen Aufstand der Warnen, sogenannten Nordschwaben, in Thüringen niederwarf und in Baiern einen Herzog (Tassilo I.) einsetzte (a. 595). Im folgenden Jahre (a. 596) starb er (nach unverbürgtem Bericht von seiner Gattin vergiftet), erst 26 Jahre alt: mit ihm beginnt das Frühversterben in dem merovingischen Mannstamm. Für seine Knäblein, Theudibert II. von Austrasien (a. 596–612) und Theuderich II. von Burgund (a. 596–613), übernahm Brunichildis die Muntschaft und Regentschaft.
Childibert II., merovingischer Frankenkönig, a. 575–596, Sohn- Quellen und Litteratur: Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker III, 1883, S. 164–542; IV, 1888, S. 120; – Deutsche Geschichte I b, 1888, S. 139–162; – Die Könige der Germanen VII, 3, S. 418–478.