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Artikel „Chilperich I., merovingischer Frankenkönig“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 473–475, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Chilperich_I.&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 22:49 Uhr UTC)
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Chilperich I., merovingischer Frankenkönig, a. 561–584, einer der geistreichsten und bösartigsten Männer dieses so begabten und so ruchlosen Geschlechts, Sohn Chlothachar’s I. (a. 511–561, s. den Artikel) und Aregundens [die sich Chlothachar neben der Schwester Ingundis als Gemahlin beilegte] folgte a. 561 seinem Vater in dessen ursprünglichen Theilstaat, Neustrien, Aremorica (die Bretagne), das alt-salische Land südlich vom Kohlenwald, mit dem Herrschersitz Soissons, später Tournay, während seine Brüder Charibert das Theilreich Childibert’s I. (s. oben S. 470), Aquitanien mit der Hauptstadt Paris, Guntchramn das Theilreich Chlodomer’s (s. beide Artikel) Burgund mit der Hauptstadt Orléans, Sigibert I. das Theilreich Theuderich’s I. (s. beide Artikel) Austrien und Ripuarien mit dem Hauptsitz Rheims erhielten. Gleich nach der Bestattung des Vaters zeigte Ch. seine treulose, hab- und herrschgierige Eigenart, indem er sich allein dessen Schatzes zu Braine bemächtigte und Paris wegnahm (a. 561), die drei anderen Brüder zwangen ihn aber, die Stadt herauszugeben. Doch schon im folgenden Jahr (a. 562) überfiel er Sigibert’s Reich, während dieser fern in Thüringen die Awaren abzuwehren hatte, und besetzte Rheims und andere Städte: bei seiner siegreichen Rückkehr aber schlug ihn Sigibert im offenen Feld, nahm ihm all’ seinen Raub ab, eroberte Soissons, nahm hier Chilperich’s Sohn Theudibert gefangen, ließ ihn aber nach Jahresfrist, reich beschenkt, frei gegen das eidliche Versprechen, nicht mehr gegen den Sieger feindlich aufzutreten. Als im J. 567 Charibert (ohne Söhne) starb, theilten sich die drei Brüder in sein Reich: Ch. erhielt ein Drittheil des ehemaligen Reiches des Syagrius (s. den Artikel Chlodovech), sodann Bordeaux, Limoges, Cahors, Bearn und Bigorre. Diese Gebiete schenkte er später als Morgengabe seiner Gattin Gailesvintha, der Tochter des Westgothenkönigs Athanagild, (älteren) Schwester der Brunichildis, die Sigibert soeben heimgeführt hatte, dadurch sein Ansehen mächtig erhöhend, [474] während Ch. durch die Buhlschaft mit unfreien und niedrig geborenen Weibern sich selbst erniedrigt hatte. Deshalb und um ihrer reichen Schätze suchte Ch. diese Ehe: aber bald umging er sein eidliches Versprechen, sie nie so lang sie lebe zu verstoßen – man hatte ihm mit großem Mißtrauen und ungern die sich heftig sträubende Braut zugeführt –, indem er sie im Bett durch einen Knecht erdrosseln ließ: sie hatte gefleht, unter Zurücklassung ihrer mitgebrachten Schätze zu den Eltern zurückkehren zu dürfen. Ch. wollte vor allem Fredigundis (s. den Artikel), die schon früher zu seinen Buhlen (oder vielleicht auch Frauen?) gezählt hatte, sich nun (wieder?) feierlich vermählen: dies dämonische Weib hat dann ihn und sein Reich bis an seinen Tod beherrscht, indem sie seine bösen Leidenschaften theilte, – sie ist ihm höchst ähnlich – steigerte und leitete. Den drohenden Rachekrieg Sigibert’s wandte Guntchramn vermittelnd ab, indem er Chilperich bewog, jene fünf Städte (s. S. 473 u.) Brunichildis als eine Art Wergeld abzutreten. Aber wenige Jahre später (a. 573–578) kam es wieder zu Kämpfen zwischen Ch. mit Sigibert und Guntchramn, weil jener Tours und Poitiers an sich gerissen: nun vertrieben seinen Sohn Chlodovech – Ch., durchaus kein Kriegsheld, lässt gern seine Söhne seine Schlachten schlagen – die Verbündeten von dort und auch von Bordeaux. In folgenden Jahr (a. 574) führte Chilperich’s Sohn Theudibert – gegen seinen Eid – ein Heer abermals gegen Tours und Poitiers und drang siegreich gegen Limoges, Cahors und weiter gen Süden vor. Aber nun bot Sigibert seine gefürchteten, rauen „Ueberrheiner“ auf, bewog den schwankenden Guntchramn, von Ch. sich zu trennen und zwang Ch., um Frieden zu bitten und seinen Raub herauszugeben. Als es diesem aber gelungen war, Guntchramn abermals auf seine Seite zu ziehen, erneuerte er (a. 575) den Angriff. Abermals rief Sigibert seine Ueberrheiner herbei, schlug Theudibert, der fiel, gewann Guntchramn wieder für sich und zog auf Rouen und Paris, während Ch., arg bedrängt, nach Tournay floh. Er und seine noch bösartigere Fredigundis hatten sich bei den Ihrigen so verhaßt gemacht, daß jetzt in seiner Noth – er ward in Tournay hart belagert – Viele, die früher Childibert II. Unterthanen gewesen, von ihm abfielen und Sigibert aufforderten, ihr König zu werden. Alsbald ward er zu Vitry (zwischen Douay und Arras) von einem großen Heere auf den Schild erhoben, was nur bei außerordentlichen Durchbrechungen der regelmäßigen Herrscherfolge Sitte war. Da erstachen ihn mit vergifteten Scramasachsen zwei Mörder: Fredigundis hatte sie entsendet; damit war Ch. der Weg aus Tournay geöffnet; erfreut bestattete er den Bruder bei Lambres (zwischen Cambrai und Arras).

Alsbald erschien Ch. in Paris, raubte Brunichilden die Schätze Sigibert’s daselbst und verwies sie und ihre Töchter in Klöster zu Rouen und Meaux, während ihr fünfjähriger Knabe Childibert II. nach Metz geflüchtet und dort als Nachfolger Sigibert’s anerkannt wurde. Eine starke Durchkreuzung seiner Pläne war, daß Brunichildis sich mit seinem Sohn Merovech (von Audovera) vermählte (Bischof Praetextatus von Rouen zog sich durch diese Trauung noch mehr als Chilperich’s Fredigundens tödtlichen Haß zu: sie ruhte nicht ihn zu verfolgen und ließ ihn zuletzt ermorden): das Paar suchte Zuflucht in der Capelle des heiligen Martinus zu Rouen; Ch. eilte herbei, lockte sie durch einen arglistigen Schwur heraus, trennte sie alsbald gegen diesen Eid, entwaffnete Merovech und nahm ihn in Haft, später ließ er ihn zum Priester scheeren; auf dem Weg in das Kloster St. Calais entsprang er seinen Wächtern und gewann Asyl im Tempel St. Martin’s zu Tours: als ihn Ch. von dort mit Gewalt greifen lassen wollte, floh er zu [475] Brunichildis nach Austrasien, ward aber von den dortigen Großen nicht aufgenommen (als König), vielmehr zu Therouenne arglistig in eine Falle gelockt und dort fand er durch Fredigundis oder durch Selbstmord den Tod. Einstweilen gelang es Ch. unerachtet einer Niederlage Tours und Poitiers zu gewinnen (a. 577), aber die empörten Kelten in der Bretagne bekämpfte er ohne dauernden Erfolg (a. 578): auch in den nächsten Jahren (a. 578) war er bei häufigem Parteiwechsel bald auf Childibert’s II. (s. den Artikel), bald auf Guntchramn’s Seite kämpfend, selten siegreich; so erlitt er a. 583 eine schwere Niederlage bei Melun; im folgenden Jahr (a. 584) ward er auf der Jagd zu Chelles bei Paris ermordet; bei der übergroßen Zahl von Männern, die sich dieser „Nero und Herodes unsrer Zeit“ (Gregor von Tours VI, 46) zu Todfeinden gemacht hatte, ist nicht zu errathen, von wem der Plan ausgegangen: vielleicht von jenen Großen, die gleichzeitig unter dem Anmaßer Gundovald (s. den Artikel) sich gegen ihn wie gegen Guntchramn verschworen und empörten. Man wird übrigens dem geistreichen und naiv ruchlosen Enkel Chlodovech’s, der starke Aehnlichkeit mit dem Großvater zeigt, nicht gerecht durch Betrachtung seiner meist erfolgarmen Thaten als Feldherr und stets angriffslustiger König: man muß bei Gregor von Tours diese merkwürdige Gestalt in den Beziehungen zu Fredigundis, zu seinen Bischöfen, zu den Juden, die er bekehren will und brandschatzt, als theologischer Schriftsteller, als Versemacher und Erfinder neuer Buchstaben: er würde eines Shakespeare als Seelenzergliederers würdig sein.

Hauptquelle: Gregorius Turonensis historia ecclesiastica Francorum IV, 22 – VI, 46 ed. Krusch, Monum. Germaniae histor. 1884.
Litteratur: Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker III, Berlin 1883, S. 124–291; – Deutsche Geschichte I b, 1888, S. 123 f.