ADB:Merowech II.
Chilperichs I. und der Audovera, also Stiefsohn der Fredigundis (s. d. Art.). Nachdem diese König Sigibert I. von Austrasien zu Vitry hatte ermorden lassen (576), bemächtigte sich Chilperich zu Paris der Wittwe seines Bruders, Brunichildis (s. d. Art.), der Tochter des Westgothenkönigs Athanagild (s. d. Art.) und ihrer Schätze und stieß sie in Verbannung nach Rouen. Bald darauf entsandte Chilperich seinen Sohn M. mit einem Heere gegen Poitiers (Pictavis). Jedoch der Prinz ließ den Auftrag des Vaters unerfüllt, ging nach Tours, verbrachte hier das Osterfest und unter dem Vorgeben, seine in ein Kloster bei Le Mans verstoßene Mutter Audovera besuchen zu wollen, eilte er nach Rouen, traf hier mit Königin Brunichildis zusammen – und ließ sich mit ihr trauen. Dieser höchst überraschende Schritt mußte freilich Chilperich wie eine Art Empörung des Sohnes erscheinen, noch viel feindlicher aber nahm ihn – schwerlich ohne Grund! – die fürchterliche Fredigundis auf: denn diese, nicht Chilperich selbst, war der eigentliche Gegenpart von Brunichildis, der sie nicht nur soeben den trefflichen Gemahl ermordet hatte, deren Schwester Gaileswintha, die frühere Gemahlin Chilperichs, jedenfalles um Fredigundens willen, wenn nicht geradezu durch diese war erdrosselt worden. Es war ein kühnes Wagniß der schutzlosen Wittwe Brunichildis: diese stand ganz hilflos: die austrasischen Großen hatten ihren Knaben zwar gerettet, aber auch ihr entzogen und schalteten in Sigiberts verwaistem Reich völlig eigenmächtig, der Wittwe keinerlei Einfluß verstattend, welche so gut wie gefangen war in Rouen. Durch diese Heirath wollte sie offenbar eine Stütze gewinnen in dem Stiefsohn ihrer Todfeindin Fredigundis: aber sie bereitete dadurch nur dem Unseligen das sichere Verderben, ebenso dem Bischof Praetextatus von Rouen, welchem Fredigundis nie vergab, daß er diese Ehe eingesegnet. Chilperich eilte auf diese Nachricht sofort nach Rouen, „voll gewaltigen Ingrimms“, wohl nicht „wegen der gegen die Canones verstoßenden Ehe von Tante und Neffe“, – er setzte sich in seinen Leidenschaften über ganz andere Verbote hinweg! – sondern weil er die Absicht der Wittwe klar erkannte. Zuerst versuchte er die Neuvermählten durch allerlei Listen aus ihrer unantastbaren Freistatt, der Basilika des heiligen Martinus herauszulocken. Als dies an wohlbegründetem Mißtrauen scheiterte, leistete er ihnen den Eid, er wolle sie nicht trennen, „wenn dies so Gottes Wille sei“. Unbegreiflicherweise vertraute das Paar diesem so verdächtig abgefassten Schwur und verließ die Freistatt. Zunächst nahm sie der König würdig auf, küßte sie und speiste mit ihnen. Aber es war doch wohl schon der leise Anfang des Endes d. h. des Wortbruchs, daß er wenige Tage darauf M. allein mit sich nach Soissons nahm. Einen Angriff der Leute der Champagne auf diese Stadt führte er auf Anstiften dieses seines Sohnes zurück, [455] vielleicht war Brunichildis wenigstens dabei nicht unbetheiligt: – er nahm ihm deshalb die Waffen, übergab ihn Wärtern und hielt ihn in leichter Haft, einstweilen die endgültige Entscheidung über sein Geschick aussetzend: keineswegs aber fing er erst jetzt an, M. „wegen jener Heirath für verdächtig zu halten“, wie der naive Gregor meint. Alsbald ließ er den Sohn zum Priester scheren, – trennte also nun nicht blos thatsächlich die Gatten – in geistliche Gewänder stecken und in das Kloster Anninsola bei Le Mans bringen, um dort in der Regel der Priester unterwiesen zu werden. Allein auf dem Wege dahin ward er durch Herzog Guntchramn Boso, einen Feind Chilperichs, mit Gewalt befreit: er nahm nun wieder weltliche Gewandung an, verhüllte sein Haupt – um die Tonsur zu verdecken – und floh in die Kirche des heiligen Martinus zu Tours, dem gefeiertesten Weihthum in ganz Gallien und sicherstem Asyl, in welchem auch jener Guntchramn Boso weilte. Dadurch ward Gregor, der Bischof von Tours, sofort in den Conflict zwischen dem eidbrüchigen Vater und der blutigen Fredigundis einerseits und dem doch wohl rebellisch gesinnten Sohn und der herrschsüchtigen Rächerin Brunichildis andererseits verwickelt. Zunächst verlangte der Flüchtling, zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden, was der Bischof nach einigem Zögern wegen der wider die Canones verstoßenden Heirath mit seiner Tante, anfangs verweigerte, dann aber, nach Berathung mit dem zufällig anwesenden Bischof Ragnemod von Paris gewährte. Alsbald ließ Fredigundis einen Neffen Gregors, der sich an den Hof begab, als Spion Merowech’s verhaften, aller Habe berauben und verbannen. Der König aber forderte Ausstoßung des Flüchtlings aus dem Asyl, widrigenfalls er die ganze Landschaft von Tours werde in Flammen aufgehen lassen. Unerschrocken erwiderte der pflichttreue Bischof, solcher Frevel sei nicht einmal früher, da Ketzer (arianische Gothen) hier gewaltet, gewagt worden, unmöglich könnten ihn Christen (d. h. Katholiken) begehen. Darauf sandte Chilperich in der That ein Heer gegen Tours (577). M. suchte durch reiche Geschenke die Gnade des großen Schutzheiligen Martinus zu gewinnen, wobei sein Gebet doch auch darauf abzielt, er möge das Reich (regnum) erwerben, d. h. wenigstens nach dem Tode seines Vaters, (wenn er auch diesem nicht nach Leben oder Krone trachtete), mit Ausschluß der Söhne Fredigundens, dessen Reich allein erben. Der Graf von Tours Leudast, trachtete, um die Gunst der allgewaltigen Königin zu gewinnen – später sollte er durch deren tollkühn gereizten unversöhnlichen Haß ein grauenvolles Ende finden – M. aus der Basilika zu locken: aber es gelangen diese listigen Anschläge nur gegen dessen Diener (pueri), die er ermorden ließ. M. dagegen ließ zur Vergeltung den Oberarzt des Königs, Marileif, nach dessen Rückkehr vom Hof ergreifen, schwer geißeln und berauben: ja er hätte ihn tödten lassen, wäre er nicht ins Asyl entronnen – in dasselbe, welches M. schützte. Wie M., selbst ein wehrloser Schützling, der die Basilika nicht zu verlassen wagen durfte, solche Gewaltthaten üben lassen konnte, bleibt dunkel: man muß wohl annehmen, daß er selbst und Brunichildis über Geld und Anhänger in nicht unerheblichem Maße verfügten. Uebrigens tadelt es Gregor, daß M. damals viele Beschuldigungen wider Vater und Stiefmutter aussprach, „obschon diese zum Theil begründet waren“ und prophezeiht ihm aus dem Bibelorakel (dem wahllosen Aufschlagen einer Stelle) den Untergang. Fredigundis suchte nun Guntchramn Boso, dem sie schon deshalb wohlwollte, weil er vor zwei Jahren als Feldherr König Sigiberts, Theodebert, ihren andern Stiefsohn geschlagen und (er selbst?) getödtet hatte, durch große Versprechungen zu bestechen, M. aus der Freistatt zu locken, „so daß man ihn tödten kann“. Sofort ging dieser darauf ein, „ein gar braver Mann“, meint Gregor, „nur daß er jeden Eid brach, den er einem Freunde geschworen hatte“, obwohl er bis dahin einer [456] Weissagerin (pythonissa) Glauben geschenkt, welche prophezeiht hatte, Chilperich werde noch im laufenden Jahre sterben, M. sein alleiniger Erbe werden und Guntchramn, seinem bisherigen Leidensgefährten, das Herzogthum über sein ganzes Reich und später das Bisthum Tours übertragen. Wirklich gelang es Gruntchramn, M. zu bewegen, behufs fröhlicher Falkenjagd mit Roß und Meute die Freistatt zu verlassen: denn Guntchramn meinte, die Mordboten Fredigundens stünden schon vor der Kirchthüre – aber glücklich gelangte M. bis nach Joué (Jocundiacensis domus, südlich von Tours am linken Ufer des Chèr) und zurück. Fredigundis betrieb ihre eigene, die des Königs oft kreuzende Politik; der Hauptzweck ihres Lebens war, nicht nur sich selbst den entscheidenden Einfluß zu wahren, sondern ihren Söhnen allein, unter Vernichtung der übrigen Söhne Chilperichs, die Thronfolge zuzuwenden. Sie ruhte nicht bis sie wie M., so dessen Bruder Chlodowech, ihren zweiten Stiefsohn, aus der Welt geschafft hatte: aber obzwar nun ihren echten Söhnen der Thron gesichert schien (nachdem Theodebert bereits gefallen, oben S. 455), mußte sie erleben, daß diese alle im zarten Alter von Krankheiten fortgerafft wurden: auch die Mutterliebe dieses Weibes hat etwas von wölfischer Wuth, und nun beschuldigt sie jenen Chlodovech und andere ihrer Feinde, durch Zauber und Gift ihre Knaben getödtet zu haben. Während Fredigundis insgeheim durch Guntchramn Boso M. zu verderben trachtete, suchte der König jenen Guntchramn, dem er den Tod seines Sohnes Theodebert Schuld gab, in seine Gewalt zu bringen: da dies misslang, ließ er Guntchramn schwören, nicht ohne königliche Erlaubniß die Kirche zu verlassen. Guntchramn leistete den Eid in feierlichster Form, zog aber gleichwohl bald darauf mit M., der etwa 500 Mann um sich geschaart hatte (höchstwahrscheinlich durch Geldmittel Brunichildens) aus Tours ab: welche Beweggründe M. hierbei leiteten, ist nicht zu erkennen: vielleicht mißtrauete er der Sicherheit der Freistatt: wahrscheinlicher aber ist, er hoffte von den Austrasiern als König, als Nachfolger Sigiberts anerkannt zu werden, wenn er an der Seite Brunichildens als deren Gemahl auftrete. Im Gebiet von Auxerre (Autisiodorense territorium) von Erpo, Herzog des zur Zeit mit Chilperich verbündeten Königs Guntchramn (von Burgund) ergriffen, entkam er gleichwohl, gewann abermals Asyl in der Basilika des heiligen Germanus zu Auxerre, floh nach zwei Monaten von da zu Brunichildis (wir wissen deren Aufenthalt nicht), ward aber von den Austrasiern (deren Name hier zuerst in der Geschichte genannt wird) nicht aufgenommen: d. h. als König oder doch als Muntwalt von Sigiberts Knäblein Childebert II. und als Regent an dessen Statt. Denn diese austrasischen Großen wollen lieber selbst die Regentschaft führen. Vielmehr schlossen dieselben nun ein enges mit König Guntchramn von Burgund, der, söhnelos, den jungen Childibert als Sohn und Erben annahm. Dies Bündniß richtete seine Spitze gegen Chilperich, der vergebens M. mit Heeresmacht in der Champagne zu greifen gesucht hatte, und nun dessen und Brunichildens Anhänger im Innern seines Reiches rasch unschädlich zu machen eilte. Diese Bedeutung hatte der Proceß gegen Bischof Praetextatus von Rouen, der zwar vor allem durch jene Trauung (oben S. 454) Fredigundens Rache gereizt hatte, aber doch wohl vielleicht in die feindlichen Pläne Brunichildens überhaupt nicht nur so wenig und so harmlos verwickelt war als der gutmüthige Gregor glaubt. Nachdem Praetextatus gestürzt und verbannt war, suchte M., der sich nun wohl schwer gefährdet fühlte, abermals die sicherste Freistatt, die es in Gallien gab, die Basilika des heiligen Martinus zu Tours zu gewinnen: so hieß es wenigstens: da ließ sein Vater alle Zugänge schließen und scharf bewachen. M. hielt sich in der Champagne von Rheims verborgen, ward aber nun von den Bewohnern von Térouenne (Tarabennenses) in eine Falle gelockt. Sie ließen ihm sagen, sie [457] wollten seinen Vater verlassen und sich ihm unterwerfen. Er kam. Sie aber schlossen ihn in einem Hofe (villa) ein, umgaben ihn mit Bewaffneten und schickten Boten an Chilperich. M. besorgte, die Rachelust seiner Feinde (Fredigundis) werde ihm einen qualenreiche Tod bereiten, und sprach zu Gailen, einem seiner Vertrauten (vielleicht Gefolgsmann, jedesfalles Germane): wir waren bisher Eine Seele und Ein Gedanke: „bitte, laß mich nicht in die Hände meiner Feinde fallen, nimm dies Schwert und stoße mirs ins Herz.“ Und Gailen zauderte nicht, sondern durchbohrte ihn mit dem Messer (Kurzschwerte, cultro); andere berichteten, Fredigundis habe diese Worte Meroveus’ erdichtet und auf ihr Geheiß sei er heimlich ermordet worden, – wohl um der Begnadigung durch den immerhin noch menschlicheren Vater zuvor zu kommen. Die „Tapfersten“, welche M. bei seinem letzten Unternehmen begleitet hatten, (lauter Germanen: außer Gailen Grindio und Ciucilo, weiland Pfalzgraf König Sigiberts und noch viele andere) wurden unter den grausamsten Qualen langsam zu Tode gemartert: schwerlich wäre M. besser behandelt worden. Als Anstifter des Anschlags zu Térouenne wurden genannt: Egidius, Bischof von Rheims, der schon früher die Gunst der Königin Fredigundis erworben, und der oben genannte Guntchramn Boso, der sich ihr bereits durch die Vernichtung Theodeberts im Geheimen sehr empfohlen hatte. Der guthmütige König Guntchramn betrauerte später offen den Tod Meroweus’ und Chlodowechs, welchen Fredigundis ebenfalls bald zu grausamem Tode verhalf, und ließ die Leichen der beiden gemordeten Neffen durch Bischof Pappolus von Chartres in der Basilika des heiligen Vincentius (Saint Germain des Près) zu Paris neben einander beisetzen. Die Episode Merowechs ist sehr bezeichnend für die Sittengeschichte des Reiches der Franken gegen Ende des 6. Jahrhunderts.
Meroweus II., merowingischer Königssohn, c. 550 – Sohn- Gregorii Turonensis historia ecclesiastica, ed. Arndt et Krusch, I, Hannoverae 1884. V, 2. 14. 19. – Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit, 2. Aufl. Leipzig 1869. – Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, III, Berlin 1884. S. 165–196.