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Artikel „Arndt, Wilhelm“ von Hermann Geffcken in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 39–41, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arndt,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:21 Uhr UTC)
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Band 46 (1902), S. 39–41 (Quelle).
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Arndt: Wilhelm Ferdinand A. wurde am 27. September 1838 zu Lobsens in der Provinz Posen geboren. Seine Gymnasialbildung erhielt er zuerst in Elbing, seit 1848 jedoch in Kulm, wo ihm ein besondere verehrter Lehrer, der nachmalige Director des Gymnasiums zu Neustadt, Professor Dr. Johannes Seemann, die erste Anregung für das Studium der Geschichte vermittelte. Im Herbst 1858 zog er als junger Student nach Berlin. Aber nur ein Jahr litt es ihn zu Füßen des als Lehrer bereits alternden Ranke, mit dem Wintersemester 1859 siedelte er nach Göttingen über, wo Georg Waitz seit 1849 eine äußerst fruchtbare akademische Thätigkeit entfaltete, indem er die von Ranke und Pertz inaugurirte streng wissenschaftliche Methode der Quellenkritik mit einem hervorragenden Scharfblick, namentlich für Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte und mit einer glänzenden pädagogischen Begabung verband. Durch den Eintritt in das Waitzsche Seminar vollzog A. den entscheidenden Schritt für die Gestaltung seiner eigenen wissenschaftlichen Thätigkeit. Schon nach zwei Göttinger Jahren war er so weit gefördert, daß er mit einer Arbeit über die Wahl Konrad’s II. Summa cum laude promoviren konnte. Unmittelbar darauf verschaffte Waitz’ Empfehlung dem jungen Doctor die Stelle eines Mitarbeiters an den Monumenta Germaniae historica, in deren Diensten er bis zum Jahre 1875 verblieb. Auf ausgedehnten Reisen, die er während dieser Zeit im Auftrage des Leiters der Editionen unternahm, hat er den „Monumenten“ höchst schätzenswerthes Material zugeführt: in Rußland und Belgien, in der Schweiz und in Frankreich sammelte er Abschriften wichtiger, zum Theil bis dahin unbekannter Codices. Während der zwischen diesen Ausflügen liegenden Pausen wurden dann die Früchte des Sammelfleißes, soweit A. ihre Ausnutzung nicht anderen Monumentisten überließ, in Ausgaben von dauerndem Werthe verarbeitet. So edirte A. in den „Monumenten“ die Annales Foroiulienses, die Notae Passerini, die Annales Romoaldi archiepiscopi Salernitani, die Relatio de pace Veneta, die Annales Pommeraniae, Prussiae, Silesiae und Poloniae (letztere mit Richard Röpell zusammen), das Chronicon Ebersbergense, die Annales Dudemundenses und Posonienses, die Fragmenta Vitae primariae Anselmi episcopi Lucensis, den Triumphus S. Lamberti de castro Bullonico, die Historia pontificalis, das Chronicon Lippoldsbergense, die Gesta abbatum Lobbiensium, Reineri monachi S. Laurentii Leodiensis opera historica, Ghisleberti chronicon Hanoniense und endlich Heinrici chronicon Lyvoniae. In Marseille entdeckte er das wichtige Registrum Friderici II., welches auf Grund seiner Abschrift später von Winkelmann veröffentlicht wurde; in Bern copirte er ein werthvolles Martyrologium, das er sodann in selbstlosester Weise den Bollandisten überließ, welche es 1881 edirten. Selbständig gab er 1874 „Kleine Denkmäler aus der Merovingerzeit“ heraus. Neben der Editionsthätigkeit aber beschäftigten A. noch andere Arbeiten, auf die ihn das Studium der Handschriften hingeleitet hatte. Es war die Lehre vom Wandel der Schriftzüge selbst, die Paläographie, welche ihn aufs lebhafteste anzog. Arndt’s Verdienst um deren Förderung wird bezeichnet durch seine „Schrifttafeln“, welche 1874 in erster, 1887 in zweiter Auflage erschienen, und in denen eine fortlaufende Geschichte des mittelalterlichen Schriftwesens gegeben ist; sie haben seither für Jeden, der sich mit Paläographie zu beschäftigen hatte, ein ausgezeichnetes Belehrungsmittel abgegeben.

Seinen eigentlichen Beruf aber hatte A. trotz dieser gewiß fruchtbaren Thätigkeit noch nicht gefunden. Gerade die Arbeit an den „Schrifttafeln“, einem ausschließlich praktischen-Belehrungszwecken dienenden Werke, hatte ihm die Reize des akademischen Lehrberufs nahe bringen müssen, wie denn ja auch [40] sein Drang, Jüngere zu unterweisen, ihn bereits in seinen letzten Berliner Jahren zur Abhaltung von Privatcursen für besonders interessirte Studenten geführt hatte. So entschloß er sich, den „Monumenten“ wenigstens als ständiger Mitarbeiter Valet zu sagen. Im Juli des Jahres 1875 habilitirte er sich in Leipzig mit einer Arbeit über Bischof Marius von Aventicum, um schon im folgenden Jahre zum außerordentlichen Professor ernannt zu werden. Seither ist sein Leben ununterbrochen mit den Geschicken der Leipziger Hochschule verknüpft geblieben. Aeußere Erfolge waren ihm dabei nicht in allzu reichem Maße beschieden, und erst nach neunzehnjähriger Bewährung wurde er, ein halbes Jahr vor seinem Tode, zum ordentlichen Lehramt berufen. Ganz unabhängig aber von seiner äußeren Laufbahn gestaltete sich der Einfluß, den A. schon bald nach seiner Habilitation im neugegründeten historischen Seminar der Universität zu gewinnen wußte. Seine Seminarthätigkeit ist es gewesen, welche ihm im Laufe der Jahre einen wachsenden Ruf als akademischer Lehrer von hervorragender Bedeutung verschafft hat und ihn in dieser Hinsicht als Haupterben von Waitz erscheinen läßt. Denn mit seiner ganzen mannhaften Persönlichkeit stand er hinter dem, was er lehrte und wie er es lehrte: lebhafte Discussion war die Form, in der sich seine Uebungen bewegten, jede Documentirung selbständigen Denkens fand Anerkennung und nachhelfende Aufmunterung. So gelang es A., seine Schüler nicht bloß zur Aneignung der historischen Methode anzuleiten, sondern auch die Fähigkeit zu eigener Production in ihnen zu wecken und die Energie ihrer Arbeitsfreude zu stählen.

Gegenüber Arndt’s umfassender Thätigkeit als akademischer Lehrer, die sich, abgesehen vom Seminar, in Vorlesungen über deutsche Verfassungsgeschichte, Paläographie, Urkundenlehre, Chronologie, Numismatik und Sphragistik bekundete und sich später auch auf verschiedene Epochen der neueren politischen Geschichte ausdehnte, tritt die Zahl der seinen Namen tragenden Erzeugnisse eigener wissenschaftlicher Production entschieden in zweite Linie zurück. Zwar gab er 1882 bis 1884 noch das umfangreiche Werk des Gregor von Tours über die Geschichte des Frankenreiches für die „Monumenta Germaniae“ heraus, und 1889 folgte die Edition der Briefe des Bischofs Desiderius von Cahors. Ja, selbst als litterarhistorischer Editor bewährte er sich: 1881 besorgte er die 2. Auflage von Goethe’s Briefen an die Gräfin Auguste zu Stolberg und veröffentlichte das Singspiel „Jeri und Bätely“ nach einer von ihm gefundenen Handschrift in der ursprünglichen Gestalt. Aber die Studien, welche er in seinen letzten Lebensjahren über die Geschichte des 17. Jahrhunderts und insonderheit die schwedisch-brandenburgischen Beziehungen während der zweiten Hälfte desselben machte, sind nicht zum Abschluß gediehen. Nur einige vereinzelte Aufsätze sind seit 1886 auf Grund des reichen Materials, das A. für diese Zwecke namentlich in Wien und Stockholm gesammelt hat, von ihm veröffentlicht worden; sie zeigen, daß auf viele Einzelfragen jener verworrenen Zeit durch A. hätte neues Licht geworfen werden können, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, sein Werk zu vollenden. Ein plötzlicher Tod versagte ihm diese Gunst: in der Nacht vom 9. zum 10. Januar 1895 erlag A. ohne vorherige Erkrankung einem Herzschlage.

Was Arndt’s wissenschaftliche Persönlichkeit charakterisirte, war die peinliche Sorgfalt, welche er jedem Detail zuwandte; was jedoch den Hauptzug seines sittlichen Wesens ausmachte, war eine geradezu großartige Selbstlosigkeit. In diesen beiden Momenten liegt auch der Schlüssel für die Eigenart dessen, was er geleistet hat. Keineswegs von berechtigtem Ehrgeiz frei und des eigenen Werthes durchaus froh bewußt, konnte ihm doch der Gedanke niemals vertraut werden, daß er, um die breite Muße zu gewinnen, welche er für seine langsam vorschreitende Production gebraucht hätte, die Detailarbeit mit und an seinen [41] Schülern wenigstens zeitweise einigermaßen in den Hintergrund treten lassen solle. War er darum nicht disponirt, durch umfassende Werke seinen Namen auf die Nachwelt zu bringen, so hat er dafür in den Annalen des deutschen Hochschulwesens für immer einen besonderen Ehrenplatz als akademischer Pädagoge zu beanspruchen.