ADB:Kindasvinth
[746] Bischöfe das welthistorische Experiment durchgeführt, was aus einem nach jenen Ideen von der Kirche beherrschten Staate wird: das Resultat liegt vor: wenige Menschenalter genügten, den Staat unrettbar zu Grunde zu richten und ein Reich von Helden zu verwandeln in ein modriges Mönchskloster, in welchem alle Laster und Frevel der Unnatur walten unter dem Mißbrauch des Heiligsten zur Beschönigung des Meuchelmordes, unter dem Pallium der scheußlichsten Heuchelei. Das westgothische Königthum hatte außer der hoffnungslosen Vertheidigung gegen die Erwürgung durch den Episcopat einen fast gleich schwierigen Kampf gegen den meisterlosen weltlichen Adel zu führen, der den Staat beherrschen und ausbeuten wollte, durch das verderbliche streng festgehaltene Wahlprincip die Krone in Ohnmacht bannte, keine Dynastie im Reich aufkommen ließ und jeden König, der mit Recht jenem Junkerthum entgegentreten wollte, bald durch trotzige Rebellion in den Provinzen, bald durch Palastrevolutionen mit Dolch und Gift beseitigte. Von den 35 Westgothenkönigen seit Alarich I. sind nur 14 natürlichen Todes und im Besitze der Krone gestorben: bei diesen 34 Thronerledigungen folgte nur zehn Mal dem Vater der Sohn, zwei Mal der Bruder dem von ihm ermordeten Bruder, in allen anderen 22 Fällen ging die Krone auf einen Ungesippen. In diesem ungleichen Kampf gegen den weltlichen Adel suchten die Könige seit Rekared I. den Schild des geistlichen Adels: der Metropolitane und Bischöfe: wirklich schützte dieser Schild das Königthum wiederholt gegen die weltlichen Großen: aber er erdrückte es: die Bischöfe verkauften ihren Beistand nur um den Preis völliger Auslieferung der Staatsgewalt an das „Reichsconcil“, in welchem die geistlichen zu den weltlichen Gliedern sich zu verhalten pflegten, wie 60 zu 15. Diese Zustände walteten mit besonders scharfer Steigerung um die Mitte des 7. Jahrhunderts. Der tüchtige König Svinthila war durch die kirchliche Partei gestürzt und ersetzt worden durch den völlig von den Bischöfen abhängigen Schwächling Sisinanth, 631–36, diesem folgte der ebenso von den Priestern beherrschte Kindila (s. d. Art.), der den bündigen Rechtssatz aufstellte: in seinem Reiche dürfe Niemand athmen, der nicht katholisch sei: es gelang ihm, durch Hülfe der Geistlichen, die Wahl seines Sohnes Tulga zu seinem Nachfolger zu sichern. Diesen jungen Fürsten stürzte aber nach 11 Monaten K. vom Thron und steckte ihn mit geschorenem Haar in ein Kloster. Nicht Ehrgeiz allein konnte den Mann treiben, der damals im 79. Jahre stand und sich also nur auf kürzeste Zeit die Krone erwarb: wir dürfen und müssen andere Beweggründe suchen, welche die Tendenz seiner Regierung uns auch deutlich aufdeckt. Vornehmem Haus entstammt war K. in seinen jungen Jahren bei gar mancher der landesüblichen Bewegungen des Adels betheiligt gewesen: er hatte jene Verschwörungen und Empörungen, welches kein starkes Königthum aufkommen ließen, oft genug selbst mitgemacht. Wenn wir oben die Krone das Bündniß mit der Kirche zum Schutz gegen den weltlichen Adel suchen sahen, fehlte es doch nicht auch an Constellationen, in welchen gegen einen künftigen König, der sich dem Krummstab nicht beugen und der allein mit dem Weltadel fertig werden wollte, letzterer sich mit dem Episcopat verband, wider den pflichttreuen und selbstbewußten Herrscher: der Weltadel ermordete oder entthronte ihn und die Bischöfe sprachen ihren Segen dazu oder sie beschönigten das Verbrechen, weihten den zum Nachfolger gemeinsam mit dem Adel gewählten Schwächling und theilten sich mit der Aristokratie in die Beherrschung des Staates. Diese politische Conjunctur war gerade jetzt bei Svinthilas Entthronung und der Wahl der drei Pfaffenkönige Sisinanth, Kindila und Tulga wieder eingetreten: es war weder das erste noch das letzte Mal. Aber diese Allianz des geistlichen und des weltlichen Adels war doch auf die Dauer keineswegs eine verläßliche: so mächtig auch die Verbreitung der nämlichen [747] oder doch nahe verwandter oder verschwägerter Geschlechter durch die geistliche und weltliche Aristokratie jenes Band durch die Gemeinsamkeit der Familieninteressen verstärkte: in solchen Zeiten und aus solchen Gründen pflegen dann auch wol die Bischöfe die Interessen des Adels, gegen die Krone Partei nehmend, wie auf dem fünften und sechsten Reichsconcil zu Toledo geschehen war. Allein der Weltadel konnte sich bei der Theilung der politischen Siegesbeute doch leicht verkürzt fühlen: so auch jetzt: er spielte neben, richtiger nach den Bischöfen, doch nur die zweite Rolle unter diesen drei Bischofskönigen, zumal wenn, wie damals, kein Krieg den Ruhm und Werth der Palatinen durch den Glanz der Waffen in helles Licht setzte. Denn der geistliche Adel überragte im Frieden den weltlichen in allen Dingen: wie an Reichthum, so an Bildung, wie an Fertigkeit und Feinheit der Organisation, so an Zahl der Stimmen auf dem Reichsconcil (richtiger als: „Reichstag“), wie an Klarheit der Zwecke, so an kluger Wahl der geschmeidigeren Mittel: also in allen Stützen politischer Macht. Nicht gern aber begnügten sich der Weltadel oder doch einzelne seiner vornehmsten Familien und deren stolze Häupter mit jener zweiten Rolle im Staat: und waren auch ihre Beweggründe meistens ebenso selbstisch wie die der Bischöfe – manchmal mischte sich in das Trachten des Adels doch auch wie unwillkürlich ein wohlthätiges und gesundes, ob zwar zunächst nur kriegerisch empfundenes Widerstreben gegen die Herrschaft der Priester über das Heldenvolk Alarichs, Eurichs und Leovigilds, gegen den süßlichen Weihrauchqualm der Concilienbeschlüsse, der erschlaffend und verdumpfend durch Gesetze, Regierung und alle Zustände dieses Staates zog. Manneskraft wollten ihren gekrönten Werkzeugen die spanischen Bischöfe nicht einflößen: konnten sie aber auch nicht immer ersetzen: oft zwar stand an der Spitze des Episcopats ein gewaltiger Geist, der Kirche und Staat zugleich zu beherrschen Mannes genug war: wie Leander von Sevilla (s. unter Leovigild) oder Julian von Toledo (s. Wamba): aber an Tulga’s Seite stand kein solcher geistlicher Beschützer. Ohne Blutvergießen gelang es K., den jungen Fürsten zu stürzen: er versammelte um sich sehr viele der „Senatoren“, d. h. des gothischen und römischen Adels, sowie Anhang aus dem Volk und ließ sich zum König ausrufen, Tulga in ein Kloster bringen. Solang der eiserne Greis das Scepter führte, schwang er es in nerviger Faust, er wollte, Leovigild und Svinthila (s. diese Artikel) ähnlich, ein kraftvolles Königthum aufrichten, Episcopat und Adel der Krone voll unterwerfen. Der Zeitgenosse Fredigar ca. 660 schildert das in seiner naiven, aber drastischen Sprache „K. hatte die krankhafte Sucht (morbus) der Gothen, ihre Könige zu entthronen, scharf erkannt: war er doch selbst oft Theilnehmer an solchen Plänen gewesen: daher kannte er genau die unbotmäßigen Geschlechter und sicher wußte er sie zu treffen. – Da ließ er denn Alle, welche sich früher bei Vertreibung der Könige betheiligt oder in den Verdacht der Empörung gebracht hatten, mit dem Schwert ausrotten oder verbannen: 200 der Vornehmsten, 500 der Geringeren (d. h. Gemeinfreien) soll er auf diese Weise getödtet haben: ihre Frauen und Töchter und ihr Vermögen wurden den Anhängern des Königs zugetheilt. Da flohen Viele, die ähnliche Strafen fürchteten aus Spanien zu den Franken oder nach Afrika, riefen dort um Hilfe und trachteten von da aus mit den Waffen zurückzukehren und Rache zu nehmen. Der König aber ließ nicht nach, bis er durch solche Strenge im ganzen Reich den Geist der Empörung gebrochen hatte: die Gothen waren von ihm gebändigt und wagten nicht mehr gegen ihn, wie sie es wider ihre Könige pflegen, sich aufzulehnen: dies Volk ist nämlich störrisch, wenn es nicht ein starkes Joch auf seinem Nacken fühlt“. Die früher herrschende Auffassung, welche in Kindasvinth’s Auftreten grundlose Willkür und Tyrannei erblickte, darf seit der Darstellung der ganzen westgothischen Geschichte, der politischen [748] und der Verfassungsgeschichte in Könige der Germanen V. und VI. als überwunden gelten: in diesem Staat war die Herstellung eines kraftvollen Königthums gegenüber dem geistlichen und weltlichen Adel, die Errettung der in wirthschaftlicher Noth versinkenden Kleinfreien Lebensbedingung. Die hierauf gerichteten Bestrebungen Kindasvinth’s erkennt man deutlich aus den Beschlüssen des von ihm berufenen und überherrschten siebenten Concils von Toledo vom J. 646, sowie aus seinen übrigen zahlreichen Gesetzen, aus welchen man, auch ohne jene ausdrückliche Angabe des Chronisten, ein völlig klares Bild von seiner Persönlichkeit und seiner inneren Politik zu gewinnen vermöchte. Auf jenem Reichsconcil wird die gefährliche Emigration der geflüchteten Großen kraftvoll bekämpft: die Frevel und die unsägliche Ueberhebung (superbia) der Empörer (tyranni), die Gefahren, welche sie zuletzt durch Flucht ins Ausland heraufbeschworen: nämlich die „Abreißung von Provinzen vom Reich und die unablässige Anstrengung der gothischen Truppen“. Aber nicht nur der Laienadel, auch ein starker Theil der höheren Geistlichen war, im Bund mit der rebellischen Aristokratie, geflüchtet: auch gegen diese läßt der König durch die ihm treu oder doch in seiner Gewalt verbliebenen Bischöfe Absetzung, wie über die Rebellen insgesammt Verbannung und Gütereinziehung verhängen. Um die gefährlichen geheimen Verbindungen mit den Emigranten, zumal den Geistlichen, zu hemmen, wird der Verkehr mit denselben mit gleich schwerer Strafe bedroht. So zwang der kraftvolle König in späteren Gesetzen, die Bischöfe und Priester, welche in geistlichem Hochmuth und im Bewußtsein ihrer Herrscherstellung in diesem Reich die königlichen Gerichte verachtet hatten, auf Klagen der Laien vor jenen Gerichten Recht zu geben. Aber auch sonst führte er eine umfassende Reform des Gerichtswesens durch, namentlich in der Absicht, den kleinen Freien die Rechtshilfe des Staates zu sichern: ja er wies die Gerichte an, die Vermögensstrafen für die ärmeren Freien zu mildern, welche erschreckend rasch zu Schutzhörigen des geistlichen und weltlichen Adels herab sanken, während sie doch die natürlichen Stützen des Thrones gegen jene doppelte Aristokratie bilden sollten. Außerordentliche Rechtshilfe königlicher Beamten sollte, die Schranken der gewöhnlichen Grafschaftsgerichte überschreitend, sichere Vollstreckung der Urtheile auch gegen den Trotz der Großen gewähren: eine strenge Strafgesetzgebung stellte vielfach gleiches Maß für den stolzesten Palatin, wie für den kleinen Freien her. Er schaffte das Princip des „persönlichen Rechts“ ab, wonach bisher (analog allen diesen Reichen) der Gothe nach gothischem, der Römer nach römischem Recht gelebt hatte, indem er, unter Aufhebung der Lex Romana Visigothorum (s. Alarich II.), auch die Römer fortab der Lex Visigothorum unterstellte. Darin äußert sich immerhin das Streben, die Einheit des Staates über den nationalen Zwiespalt der Bevölkerung hinaus kraftvoll zur Geltung zu bringen: Unterdrückung der Römer lag übrigens nicht darin, da das Gothenrecht im Laufe der Jahrhunderte (d. h. seit 506) völlig romanisirt und seit 586 völlig von katholischem geistlichem Recht durchdrungen war. (Ueber die Bedeutung dieser Maßregel und die Tendenzen der Einzelgesetze Kindasvinth’s Könige, VII, S. 192 und westgothische Studien, S. 31.) Der Kirche gegenüber setzte K. zumal in der so wichtigen Frage der Verleihung der Bisthümer kraftvoll seinen Willen durch: so erhob er den bisherigen Archidiakon zu Saragossa, Eugenius, zum Metropoliten von Toledo, so lebhaft Bischof Braulio klagte, seine Altersschwäche könne jener Stütze nicht entrathen: geistvoll antwortete ihm der König, sein Bittschreiben selbst verrathe durch Kraft und Fülle der Gedanken, wie er gar keine Hülfe brauche. Uebrigens war der Herrscher nur ein Bändiger der Kirche, durchaus kein Gegner des Christenthums, vielmehr so fromm, daß er in der Umgegend eines angeblich (er beschenkte allerdings reichlich viele [749] Gotteshäuser) von ihm als Begräbnißstätte gestifteten Klosters San Roman (zwischen Toro und Tordesillas am Duero) noch im 16. Jahrhundert als Heiliger verehrt wurde. (Die hier verwahrte Biographie ist aber eine späte Fälschung.) Nach den ersten Jahren, in welchen außer den Kämpfen mit dem verbündeten Junker- und Priesterthum, Seuchen, Dürre, Mißwachs Spanien heimgesucht hatten, folgte eine Zeit friedlichen Behagens, da das Land aufblühte in der durch den starken Fürsten gesicherten inneren Ruhe. Da pflag dieser, für einen Laien jener Tage von seltener Bildung, besten Einvernehmens mit der treu gesinnten Geistlichkeit: er schickte einen gothischen Priester, Tajo, nach Rom, gewisse Werke des Papstes Gregors des Großen (den Commentar zum Buch Hiob), von denen keine Handschrift mehr in Spanien zu finden war, vom Tiber zu holen; er forderte den genannten Eugenius auf, die Gedichte des Afrikaners Dracontius neu zu bearbeiten und zeichnete den als Gelehrten und Dichter Gefeierten vielfach aus. Aber dieser falsche und undankbare Priester verfaßte, nach dem Tode des von ihm bei Lebzeiten, in Lobgedichten verherrlichten Königs, eine bösartige Schmähung auf den gewaltigen Bischofsbändiger. Es gelang K., die Gefahren eines Thronstreites nach seinem Ableben dadurch zu beschwören, daß er schon 649 die Erhebung seines Sohnes Rekisvinth (s. den Art.) zum Mitregenten (und Nachfolger) durchsetzte: schon im höchsten Greisenalter stehend überließ er diesem fortab das Regiment fast völlig und starb bald darauf am 1. Okt. 652.
Kindasvinth, König der Westgothen, 641 bis 1. October 652. Die Verfassungsgeschichte des Reiches der Westgothen in Spanien, des „Reiches von Toledo“, von 507–711, hat eine über die pyrenäische Halbinsel und jene Periode hinausragende Bedeutung deshalb, weil sie den ersten Kampf der Kirche um Unterwerfung der Staatsgewalt darstellt: einen Kampf der mit ihrem vollen Sieg enden mußte, weil und sofern die theokratischen augustinischen Ideen über das Verhältniß vom „Reiche Gottes“ (d. h. einstweilen der Kirche) zu dem weltlichen Staat die Köpfe nicht nur der Geistlichen, auch der gläubigen Laien erfüllten und beherrschten. Verhielt sich wirklich die Kirche zum Staat wie der Himmel zur Erde, die Heiligkeit zur Sünde, die Seele zum Fleisch, wie die Sonne zum Mond, der nur von ihr ableitet, was er an Licht hat, sind wirklich Recht und Staat nicht, wie wir annehmen, nothwendige Güter, Postulate der Vernunft, sondern nothwendige Uebel, zwei Krücken, welche die durch den Sündenfall erkrankte Menschheit leider braucht, aber fortwerfen wird, sobald sie wieder gesundet, sind also wirklich Recht und Staat Folgen der Sünde und nur durch den Teufel nothwendig geworden – wie sie denn nach St. Augustin zugleich mit dem Teufel untergehen werden – auf Erden, – dann versteht sich, daß die Kirche den Staat so völlig zu beherrschen hat, wie die Seele den Leib, und daß jeder Widerstand des Staates hiegegen eine sündhafte Empörung des Fleisches gegen den heiligen Geist ist. In dem Westgothenstaat haben seit dem Uebertritt des Volkes vom Arianismus zum katholischen Bekenntniß die- Dahn, Könige der Germanen, V, VI. Würzburg 1870, 1871, und westgothische Studien, Würzburg 1874 a. a. O., daselbst vollzählig die gesammte Litteratur bis 1873.