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Artikel „Sisinanth“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 421–422, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sisinanth&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 12:14 Uhr UTC)
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Sisinanth, Westgothenkönig, 631 bis März 636. Seit dem Uebertritt Rekared I. vom Arianismus (s. d. A.) zum Katholicismus war der katholische Episcopat der siegentscheidende Bundesgenosse des Königthums in seinem schweren Kampf gegen den weltlichen Adel. Der Episcopat gewährte seine Hilfe nur um den herkömmlichen Preis: Herrschaft über Krone und Staat. Seit Rekared I. scheiden sich alle Westgothenkönige in Pfaffenkönige, welche nur durch Ueberlassung der Herrschgewalt an die Bischöfe, (die das Reichsconcil leiten) sich gegen den Laienadel halten zu können glauben und in Staatskönige, welche, wie den unbotmäßigen, reichsverderberischen Junkeradel, so auch den bischöflichen Krummstab vor dem Königsstabe beugen. Einer der staatsschädlichsten Pfaffenkönige nun war S. Gegen den kraftvollen heldenhaften König Svinthila (s. d. A.) bereiteten die von der Krone gebändigten Bischöfe den Aufruhr vor: es kam ihnen, wie herkömmlich, nicht darauf an, durch Verrath, durch geheimes Bündniß den Erbfeind, den Merowingen, in das Land zu rufen und – diesmal obenein – dessen Waffenhilfe gegen den eignen König zu erkaufen durch Preisgebung eines gothischen Nationalkleinods, kostbarer noch an Ruhmes- als an Goldeswerth: in dem immer unsichern gallisch-septimanischen Reichstheil nordöstlich der Pyrenäen stellte sich Graf S. an die Spitze der Unzufriedenen und von den Bischöfen gegen Svinthila Aufgehetzten, ließ sich krönen, wahrscheinlich vom Bischof von Narbonne, und bot Dagobert I. (s. d. A.), um seine Waffenhilfe zu erkaufen, jenes Nationalkleinod: das fünf Centner schwere Goldbecken, welches, so rühmte die gothische Sage, dereinst Held Thorismund (s. d. A.), der Besieger Attila’s, von den Römern als Ersatz für die aufgegebene Beute von den catalaunischen Feldern durch Drohungen erpreßt hatte. Längst schon hatten die Franken die gierigen Hände nach dem gothischen Gallien ausgestreckt, die „natürliche Grenze“ der Pyrenäen angestrebt; stets waren sie, vor allem durch Rekared, empfindlich zurückgeschlagen worden: nun rief ein Gothenkönig selber sie ins Land. Eifrig ging der Enkel Fredigundens auf einen Handel ein, bei dem er an Leistung und Gegenleistung gewinnen zu müssen glaubte und schickte ein starkes Hilfsheer. Die verbündeten Septimanier und Franken drangen unter Führung von S. und zweier Feldherrn Dagobert’s, Abundantius und Venerandus durch die Pyrenäenpässe, die einverstandenen Feinde Svinthila’s in Spanien fielen ihnen zu; ohne Widerstand gelangten sie bis Saragossa. Hier wollte ihnen der König in offner Schlacht entgegentreten: allein die Uebermacht der Gegner und der Verrath in seinem [422] eignen Lager waren so stark, daß – ein Zeichen von der Ausschlag gebenden Stellung der Geistlichkeit – sein ganzer Anhang, auch sein Bruder Gaila, ihn treulos verließ und S. als König anerkannte (16. April 631). Von Svinthila’s und seines Sohnes Geschick wird nichts weiter erwähnt; da er 633 noch lebte, ist er wohl sammt seinem Sohne geschoren und in ein Kloster gesteckt worden: sein und seiner Sippe Vermögen ward eingezogen bis auf einzelne Gnadenbelassungen des Siegers. Dieser lieferte den Gesandten des Merowingen die versprochene Goldschüssel aus (ohne Grund hat man hier den geschichtlichen Kern der Sage erblickt, wonach der Graltempel auf dem Pyrenäenberge Mont-Serrat gestanden haben soll): aber die Gothen verschmerzten den Verlust des Kleinods nicht und nahmen es den Franken mit Gewalt (per vim, nicht per viam auf dem Wege) wieder ab: Dagobert mußte sich mit einer Abfindung von angeblich 200 000 Goldsolidi (?? 500 Pfund Gold wären nur 36 000 Solidi) zufrieden geben. S. stand völlig unter der Herrschaft der Bischöfe: das erklärt sich durch die Hergänge bei seiner Erhebung auch ohne die Vermuthung, er habe sich gegen spätere Verschwörungen auf die Geistlichkeit stützen müssen: war doch die ganze Empörung gegen Svinthila von dem Klerus beseelt und zum Siege geführt worden. S. war nur Werkzeug, Ziel war gewesen die Wiederherstellung der durch Svinthila erschütterten Vollherrschaft der Bischöfe. Das IV. Concil zu Toledo (633) unter Vorsitz des hochgelehrten Bischofs Isidor von Sevilla war der stärkste Ausdruck dieser Unterwerfung der Krone durch die Bischofsmütze: „der König flehte, vor den geistlichen Vätern knieend, in unterwürfigster Haltung des ganzen Körpers, unter Schluchzen und reichen Thränenströmen um Fürbitte bei Gott“: diese schuldeten sie ihm freilich, hatten sie ihm doch bei dem Bruch des Treueschwures gegen seinen König am meisten beigestanden, wenn nicht von Anfang an dazu gedrängt. Eine alte Quelle sagt von ihm kurz, bündig und deutlich: „S. regierte 3 Jahre, hielt eine Versammlung der Bischöfe, war willfährig (patiens) und gehorchte den rechtgläubigen katholischen Vorschriften.“ Es war also keine Stärkung des Thrones, nur ihrer Herrschaft über den Thron, suchten die Bischöfe einen solchen Schattenkönig gegen Empörungen zu sichern: der andere Verräther, Gaila, mochte grollen, daß die Früchte seiner Treulosigkeit ungetheilt S., nicht auch ihm, zu Gute gekommen waren: er schmiedete neue Verschwörung: aber er scheiterte und nun entzogen die Bischöfe auch ihm und seiner Sippe alle Würden und Güter.

Zur Besigelung des engen Bündnisses zwischen König und Kirche bedrohte die letztere jede künftige Empörung mit dem Banne. Daß aber die Bischöfe hiermit nichts weniger bezweckten als eine Kräftigung des Königthums an sich, erhellt daraus, daß sie auf demselben Concil das so höchst staatsschädliche freieste Wahlrecht des geistlichen und des weltlichen Adels im Fall der Thronerledigung auf das feierlichste betonten und sicherten. Und Vorsitzer dieses für die weitere Unterjochung des Staates durch die Kirche verhängnißvollen Concils war derselbe gelehrte, fromme und heilige Isidor von Sevilla, der ehedem Svinthila, den „Vater der Armen“, hoch erhoben hatte mit seinem Lob: jetzt fand er gegen den gestürzten Mann kaum Worte genug des Tadels. Der Sieg der romanischen Kirche über den germanischen Staat war ein vollständiger: das Leben des Reiches war zusammengeschnürt von den kirchlichen Gängelbanden: die Versuche späterer Könige wie Kindasvinth, Wamba, Witika (s. d. A.), aus dem Pfaffenstaat wieder einen Männerstaat zu machen, scheiterten und das wie ein verrottetes Mönchskloster im Innern vermorschte Reich, vom Krummstab, nicht vom Königschwert überherrscht, erlag schmählich dem ersten Anlauf der Araber.

Quellen und Litteratur wie bei Sisibut; außerdem Acta Concilii IV. Tolet. a. 633 ed. Mansi l. c.