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Artikel „Witika, Westgotenkönig“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 563–564, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Witika&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 22:41 Uhr UTC)
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Witika, Westgotenkönig (a. 697–710), ward von seinem Vater, König Egika (a. 687–701) zum dux von Gallizien bestellt, vielleicht auch, um die unruhigen Sueben in dieser Landschaft im Zaume zu halten: er residirte in Puy, wo man Spuren seines Palastes gefunden haben will. Später (15. November 697) erhob ihn der Vater zum Mitregenten, wol um die unangefochtene Nachfolge zu sichern, die bei Egika’s Tod (15. November 701) eintrat. Es ist nahezu unmöglich, aus den sich widersprechenden, dürftigen und zumeist späten Quellen über Wesen und Walten Witika’s ein richtiges Bild zu gewinnen. Die wichtigsten „Quellen“ hierfür, die Acten der von ihm berufenen XVIII. Kirchenversammlung zu Toledo (c. a. 701) sind uns verloren: sie wurden weil „angeblich im Widerspruch mit allen früheren Concilien dieses Reiches und den kanonischen Forderungen der Kirche“ nach dem Untergang des Königs und dem Scheitern seines Reformversuches von der siegreichen Hierarchie vernichtet. Die Untersuchung der späten Ueberlieferungen ergibt, daß wir von W. so gut wie nichts wissen und nur etwa das Folgende aufstellen können: er war bei dem Volk in hohem Maße beliebt, bei der Priesterschaft in gleichem Maße verhaßt: er hat also wahrscheinlich die erdrückende Herrschaft der Bischöfe über den Staat, (vgl. die Artikel Leovigild, Rekared, Hermenigild, Witterich, Sisibut, Svinthila, Sisinand, Kindasvinth, Rekisvinth, Wamba, Erwich) kräftig angegriffen: nicht frei von der in den letzten beiden Menschenaltern im Reiche verbreiteten argen Sittenlosigkeit scheint er auch einzelne Geschlechter des Weltadels durch Ausschweifungen, durch Gewalt oder harte Anwendung der Gesetze gekränkt zu haben. Das Urtheil der ältesten Quellen ist nur günstig: er erließ die von seinem Vater verhängten Strafen, gab vielen Unterthanen die von diesem durch List oder Gewalt erlangten Schuldscheine (cautiones) zurück und zerstörte sie in feierlicher öffentlicher Handlung, er rief die Verbannten zurück und gab ihnen ihre Aemter und Güter wieder, sodaß seine Regierung in ganz Spanien beliebt war. So der Fortsetzer der Chronik des Johannes von Biclaro und Isidor von Beja (– a. 754). Erst hundert Jahre nachher taucht in einer fernen fränkischen Quelle, der Chronik von Moissac (c. a. 818–840), die erste Anschuldigung auf: er habe Priestern und Laien durch seine geschlechtlichen Ausschweifungen ein übles Beispiel gegeben. Und nun wachsen die Vorwürfe lawinenartig in allen späteren Nachrichten: je ferner stehend, also je glaubensunwürdiger, desto heftiger sind die Anklagen: sie steigern sich in der Chronik von Albayda (– a. 883) und bei König Alfons II. († a. 912), dem sogenannten Sebastian von Salamanca, bis endlich in der Mitte des XIII. Jahrhunderts der Diakon Lucas v. Puy († a. 1250) die bisher vereinzelten Züge, durch eigene Zuthaten vermehrt, zu einem Bilde zusammenfaßt, das auf den ersten Blick die Tendenz, die Uebertreibung, die Unmöglichkeit verräth, während der Erzbischof Roderich Ximenez von Toledo gleichzeitig († 1247) den Widerspruch dadurch zu lösen sucht, daß er den König zu Anfang, gemäß den älteren Quellen, musterhaft, dann aber nach einem Umschlag wie bei Nero oder Dagobert I. plötzlich nach den jüngeren Quellen abscheulich regieren läßt. Die Hauptanklagen sind: Unkeuschheit, Auflösung der Kirchenzucht, Aufhebung des Coelibats, Mißhandlung der guten Geistlichen durch den ihm gefügigen Erzbischof (Metropoliten) Sindred von Toledo (dies beides wol zumal auf jener Synode), Trennung vom römischen Stuhle – er soll gedroht haben, als Eroberer in die Stadt des Papstes einzuziehen! – Rückberufung der vertriebenen Juden (das ist [564] wol jene Rückberufung der Verbannten) und Gleichstellung mit den Christen, Schleifung aller Städtemauern im Reiche (ausgenommen Toledo, Leon und Astorga) um den Widerstand der Unterthanen zu brechen, Verbot des Waffentragens (Umwandlung der Schwerter in Pflugschaaren): – diese beiden Fabeln hat wie so viele andere, die spanische Nationaleitelkeit erfunden, das schmachvolle Erliegen vor den Arabern zu erklären – endlich grausame Verfolgung des Adels, zumal der Nachkommen des Königs Kindasvinth und ihres Hauptes, des großen spanischen Nationalhelden Pelagius (Don Pelayo), des sagengefeierten Retters der letzten Goten und des Christenthums in Asturien. W. scheint natürlichen Todes gestorben zu sein (Februar 710 oder 709). Zwischen ihm und seinem sagenumrankten Nachfolger Roderich (A. D. B. XXIX, 21) hat der Eifer der spanischen Genealogen, welche die Könige des XVI. und XVII. Jahrhunderts auf Pelayo, Kindasvinth, Theoderich den Großen und Theodosius I. zurückführten, dadurch Alter und Legitimität des deutschen Kaiserthums und des französischen Königthums weit zu überstrahlen, einen König Acausa, später Acosta, eingeschoben und ein paar hundert Jahre lang verehrt, der aber sammt Gemahlin und Sohn – lediglich ein Lese- und Schreibfehler ist.

Quellen und Litteratur: Dahn, Die Könige der Germanen V 1870, S. 224 f., dann Beilage III, S. 235 f. VI, 2, 1885; zur neueren spanischen Litteratur über westgotische Verfassungsgeschichte, S. 613–693.