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Artikel „Withof, Johann Philipp Lorenz“ von Hermann Sickel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 559–563, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Withof,_Lorenz&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 02:50 Uhr UTC)
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Withof: Johann Philipp Lorenz W., Lehrdichter, Arzt, Professor der Geschichte u. s. w., der zweite Sohn Joh. Hildebr. Withof’s, wurde am 1. Juni 1725 in Duisburg geboren. Bis zum 15. Jahre besuchte er das lateinische [560] Gymnasium, nebenher ging Privatunterricht, vor allem beim Vater, der sich auch sonst liebevoll mit den Kindern beschäftigte. „Er machte ihnen das Herz durch die lieblichen Betrachtungen über die Gegenstände der Felder, der Ströme und der Büsche rege. Und dann lenkte er diese Regung allemal zu Gott und zur Poesie.“ Von 1740 studirte W. an der Universität Duisburg classische Philologie, Geschichte und Philosophie, von 1743 an auch Medicin, Mathematik und Naturwissenschaften; die Verbindung so vieler Wissensgebiete konnte auch damals, wo man von der heutigen Specialisirung nichts wußte, nur durch eisernen Fleiß, z. Th. auf Kosten der körperlichen Gesundheit, ermöglicht werden. 1745 hielt er auch medicinische Vorlesungen vor Bekannten, um sich einen guten Vortrag anzugewöhnen. 1746/47 setzte er seine Studien in Utrecht und Leyden fort und knüpfte auf Reisen durch Holland Verbindungen mit Gelehrten an. Aus dieser Zeit stammen Ad systema Leuwenhoekianium comment. duo. 1747 promovirte er mit der Schrift De aere in humanis liquoribus haerente, prakticirte bis 1750 mit staunenswerthen Erfolgen in Lingen, wo er u. a. mit Stosch, dem späteren Herausgeber des „Neuen Gel. Europa“, befreundet wurde, und habilitirte sich dann in Duisburg, wo er, zuletzt als Assessor in der medicinischen Facultät, bis 1752 blieb. 1750 ernannte ihn die königl. deutsche Gesellschaft zu Göttingen zum Mitgliede, was ihn zur Veröffentlichung seiner „Gedichte“, 1751, bewog. Auf seine „Dissertationes de pilo humano“ hin, von denen ein Auszug in den Comm. soc. reg. scient. Gotting. II, 368 ss. abgedruckt ist, wurde er auch familiaris der Götting. Ges. d. Wiss. M. Bendix in seiner Diss. De pilis corporis hum., Ber. 1829, urtheilt, daß W. prima accuratioris pilorum anatomes fundamenta zu verdanken sind. 1752 trat W. die Professur für Geschichte, Philosophie und Beredsamkeit am akademischen Gymnasium zu Hamm mit einer Oratio de religione medica an, in der die Aerzte gegen den Vorwurf des Atheismus vertheidigt werden. 1755 gab er eine zweite Sammlung von Poesien als „Aufmunterungen in Moralischen Gedichten“, 1760 „Die Moralischen Ketzer“, eine Umarbeitung eines Gedichtes der ersten Sammlung, heraus. 1756 erschienen die Diss. duae de scientiarum in animi corporisque enervando robore damnosa efficacia, die trotz des für einen akademischen Lehrer etwas wunderlichen Thema manchen guten Gedanken zeigen, 1756 De castratis comm. IV (vgl. G. G. A. 1756, S. 1277 ff.), 1765 Das meuchelmörderische Reich der Assassinen (in den G. G. A. 1766, S. 357 ff. nicht günstig beurtheilt; der Mangel an wissenschaftlichen Hülfsmitteln wird von W. selbst beklagt). In Hamm blieb W. bis etwa 1765, danach (Meusel, wohl nach ihm Koberstein u. a. schieben irrthümlich eine medicinische Professur in Frankfurt a. O. ein) wirkte er als Bentheimischer Leibarzt und Hofrath und als Professor der Medicin, der Philosophie und der Geschichte am akademischen Gymnasium zu Burgsteinfurt. 1767 Diss. academ. de optimo … infantes … educandi modo, von der ich bis jetzt kein Exemplar habe auftreiben können. Nach dem Tode seines Vaters, 13. Februar 1769, erwartete er und die meisten Duisburger Professoren, daß W. zum Nachfolger berufen werde. Doch der Professor der Rechte v. Eichmann, seit 1768 (nicht 1769) auch Director der Universität, der schon mit Hildebr. W. in Feindschaft lebte und sich „noch auf dem Todtbette an ihm versündigte“, hatte W. beim Minister v. Fürst angeschwärzt, daß „seine Lebensart viel Aergerniß gegeben“ habe. Diese Beschuldigung, soweit sie etwa den Vorwurf der Ausschweifung in sich schließen soll, läßt sich mit dem bis zur Gesundheitsschädigung gehenden wissenschaftlichen Streben, ganz abgesehen von dem Ernste seiner Poesien, schwer in Einklang bringen und ist mindestens unwahrscheinlich. Man vergleiche auch die zwar von vielleicht schmeichelnder Freundeshand gegebene Charakteristik im N. Gel. Europa mit den Angaben über Eichmann bei Weidlich, biogr. Nachr. von den jetzt leb. [561] Rechtsgel., Nachtr. 1788, S. 63 f. und Wern. Hesse, Beitr. z. Gesch. d. früh. Univ. Duisb. S. 87. W. reichte ein „Instanz-Memorial“ und zugleich „die Redlichkeit“, Bearbeitung eines älteren Gedichtes, an Fürst ein; dieser gab nach einem Briefwechsel mit Gleim und nach günstigen Berichten der klevischen Regierung, die meist den zweiten Curator für Duisburg stellte, seinen Widerstand auf, und Winter 1770/71 konnte W. die Professur der Geschichte, der Beredsamkeit und der Moral antreten. Mit ihr war die Verpflichtung, die officiellen Reden zu halten, verbunden. Etwas wichtiger als diese meist hohlen Machwerke sind Withof’s lateinische Vorreden zu den elenchis, Vorlesungsverzeichnissen, 1771 bis 1786 (ein Exemplar in Bonn), in denen er mit Vorliebe ästhetische Fragen vom Standpunkte des moralischen Nutzens, ungefähr wie Haller in den Tagebüchern (vgl. z. B. über Homer I, 42 u. s. w.), beantwortet. Rector war W. 1776 und 1786. 1782 f. erschienen in zwei Bänden die „Academischen Gedichte“, Umarbeitungen der meisten früher gedruckten Gedichte, im zweiten Bande auch einige neue. Am 31. März 1773, also schon 48 Jahre alt, ließ sich W. mit Philippine Lüttringhausen, die einer angesehenen Elberfelder Familie entstammte, trauen (Kopulationsbuch der ref. Gem. zu Elberfeld); sie gebar ihm zwei Kinder, Jeannette Christiane und Friedrich August; für diese fertigte er die Gedichtchen „Unterhaltungen mit seinen Kindern“ an, die aber erst 1792 f. in drei Theilen herausgegeben wurden. W. starb am 3. Juli 1789. Sein Bildniß steht vor den Acad. Ged. Man fand Aehnlichkeit zwischen ihm und Gleim; Withof’s Mutter war die Tochter des Stiefbruders von Gleim’s Vater, diese Stiefbrüder hatten Schwestern gefreit (so gegen Körte, Gleim’s Leben S. 410), doch haben sich die Dichter persönlich nicht gekannt.

W. ist der bedeutendste unter den Dichtern, die sich enger an Haller anschließen (v. Creuz, der neben W. gestellt wird, hat sein berühmtestes, die Gräber, in Anlehnung an Young geschaffen). Haller’s Einfluß zeigt sich in Wahl und Behandlung des Stoffs, in zahlreichen inhaltlichen Anklängen, in Stil und Syntax, Flexion, Wortschatz, Vers- und Strophenbau. Und doch ist er etwas mehr als bloßer Nachahmer. Freilich machen es die großen Ungleichheiten seiner Dichtungen schwer, ihm gerecht zu werden: neben Zeichen feinster psychologischer Beobachtungs- und Zergliederungskunst, neben tiefen, prägnanten Gedanken nichtssagende Weitschweifigkeiten, neben treffenden, kühnen Bildern weithergeholte, in ihrer Häufung ermüdende, pedantisch-gelehrte, Anmerkungen erheischende Anspielungen, neben edelm Schwung wunderliche Verstiegenheit und Unverständlichkeit oder gereimte Prosa, hier meisterliche Beherrschung der Sprache, dort vergebliches Ringen nach adäquatem Ausdruck. Kann z. B. der Mystiker kürzer und schärfer charakterisirt werden, als daß er „in Gott versenket Nicht denket was er fühlt und fühlet was er denket“? Aber am Schluß der „Redlichkeit“ singt W.: „Die Hebamm und nach ihr der Feldscheer sind doch wohl Das Unentbehrlichste, das nirgend mangeln soll“; doch ist dies erst Zusatz der Ausgabe von 1770. Ueberhaupt sind die ersten Fassungen trotz zahlreicherer sprachlicher Härten durchaus vorzuziehen; und doch wird jetzt wol W. meist nach den am ehesten noch zugänglichen Acad. Ged., in denen die Mängel viel deutlicher hervortreten, beurtheilt. Nach Withof’s eigenen Angaben sind alle größeren Gedichte schon zwischen 1743–1747 entstanden; da ihm von den Kritikern häufig Rauhheit der Sprache und Dunkelheit des Ausdrucks vorgeworfen waren und eine neue Ausgabe erwartet wurde, feilte er, auch hierin Haller ähnlich, immer wieder, doch fast ausschließlich an der Form: der inhaltlich meist unveränderte Gedanke wurde in den Acad. Ged. fast in jedem Verse gepreßt oder gezerrt, hauptsächlich metrischen Marotten zu Liebe, auch zur Beseitigung [562] schriftsprachwidriger Formen. Doch bleiben auch hier außer Archaismen und Provincialismen eine Menge Batavismen stehen, die sich aus dem Aufenthalte in Holland und aus Duisburgs Lage leicht erklären (vergl. Leidenfrost’s Oratio funebris … post exequias … Hild. Withofii p. 64: ut Duisburgensis academia … arctiorem fere cum batavis quam cum germanis societatem alit). Zu erwähnen sind auch die zahlreichen, glücklichen und verfehlten, Neologismen, die besonders in den Acad. Ged. unter dem dort auch sonst bemerkbaren Einflusse Klopstock’s entstanden sind. – Die Weltanschauung ist in allen Ausgaben die gleiche. In ihrem Mittelpunkte steht positiver, der Freigeisterei und der Möncherei gleich abholder protestantischer Glaube; in den Punkten, in denen die Philosophie nicht mit der Religion collidirte, war W. Eklektiker. Wie er über den einzelnen Systemen steht, zeigen besonders „Die Moral. Ketzer“, Schilderungen der verschiedenen „eitlen Bemühungen zu einer zeitlichen Glückseeligkeit“, die ihre Widerlegung meist schon in sich tragen. (S. auch Mendelssohn’s treffende Vergleichung dieses Gedichtes mit Uzens „Kunst stets fröhlich zu sein“ im 128. Lit. Br.) In solchen Typen kann W. seine volle Stärke entfalten; nahe stehen die „sinnlichen Ergetzungen“, da sich auch hier der Stoff ganz natürlich in kleinere, ziemlich selbständige Bilder zerlegt; „Die Redlichkeit“ dagegen ist besonders im 2. und 3. Gesange der vielen Abschweifungen wegen fast ungenießbar. „Der medicinische Patriot“ zeugt gerade mit seinem „poßierlichen Plane“ (Kinder lasterhafter Mütter mit Kuhmilch aufzuziehen) von nicht geringem Vermögen, scheinbar völlig Widerstrebendes dichterisch zu gestalten. Der Ode nähert sich „Socrates“, noch mehr an Shaftesbury als an den fortlaufend citirten Plato anklingend. Dies sind die fünf großen Lehrgedichte Withof’s. Die kleineren, unter ihnen einige gute, wie z. B. „Die Entschliessung“, und viele minderwerthige, übergehe ich; sie zeigen an mehreren Stellen (s. besonders Moral. Ged. S. 7), daß W. auch für das rein Lyrische Begabung besaß, die er aber absichtlich vernachlässigte. „Ihr, philosophische Gedanken, … Verhindert’s, wenn mir Tand den Wohllaut zu kränken unternimmt.“ – Ueber die Kunstrichter hat sich W. im allgemeinen nicht zu beklagen gehabt. Keinem konnten zwar die Fehler entgehen, aber fast alle sind darin einig, daß große Schönheiten die großen Mängel doch überwiegen. Haller weist ihn schon 1751 in den G. G. A. 826 seinen Anhängern, den „Participianern“, zu, doch erscheint er in den Streit der Leipziger und Schweizer nicht verwickelt, in Schönaich’s „ganzer Aesthetik in einer Nuß“, 1754, wird sein Name weder erwähnt noch angedeutet. Völlig absprechend urtheilen über ihn natürlich ebenso wie über Haller Mauvillon und Unzer (Br. üb. d. Werth einiger d. Dichter II, 117). Mendelssohn hat sich verschiedentlich liebevoll mit W. beschäftigt. Herder spricht sich, nachdem er in den Fragm. über die neuere deutsche Litteratur, 1767, (Suphan I, 471) W. mit Ehren hatte bestehen lassen, 1770 Merck gegenüber (Briefe an … Merck 1838, 2. Br.) ziemlich schroff über Withof’s Schattenseiten aus, doch umfängliche Citate und Bearbeitungen (s. Goedeke) beweisen, wie hoch Herder Vieles von W. schätzte; vgl. auch Joh. Georg Müller’s Schilderung seines Besuchs bei Herder 1780, veröffentlicht in den Prot. Monatsbl. XIII, 187 f. Von sonstigen Urtheilen sind hervorzuheben das Kütner’s (Charaktere S. 320) und Bouterwek’s (Gesch. d. Poesie XI, 200–203). – Der Anklang, den so W. bei der Mehrzahl der bedeutenden Kritiker fand, fehlte beim Publikum (Klotzens dtsch. Bibl. d. sch. Wiss. V, 2. St. und Kütner), die ersten Ausgaben waren schon 1770 sehr selten, und Eschenburg (in Campes Beitr. I, 3. St.) und Bouterwek bezeugen, daß Withof’s Dichtungen fast völlig vergessen waren.

Das Neue Gel. Europa III, 694, XIII (1758), 117–136. – Vier von mir nicht eingesehene Briefe Withof’s an Haller, 1751 bis 1753, sind in der Berner Stadtbibl. – 12 Briefe aus d. Gleimbibl. in Halberstadt, darunter 8 von [563] W. an Gleim, 15. Oct. 1769 bis 19. März 1789. – Litteratur bei Jördens und Meusel. – Kannegießer, Erinnerung an den deutschen Dichter W., Progr. Bresl. 1840 (in der Hauptsache Sentenzensammlung). – H. Sickel, Withofs Metrik und Sprache, Diss. Leipzig 1895 (dort verdruckt: geb. 1. Juli statt 1. Juni).