ADB:Bouterweck, Friedrich (Philosoph)

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Artikel „Bouterwek, Friedrich“ von Ernst Henke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 213–216, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bouterweck,_Friedrich_(Philosoph)&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 10:03 Uhr UTC)
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Bouterwek: Friedrich B., geb. 15. April 1766 zur Oker am Harz, † 9. Aug. 1828. Sein Vater, der eine angesehene Stelle bei dem dortigen Berg- und Hüttenwesen bekleidete, ließ ihn bis zum 14. Jahre durch Hauslehrer unterrichten, welche ihn schon für Horaz und Ovid, sowie seine Mutter für Klopstock und Gellert zu interessiren wußten. Nach dem Tode des Vaters 1780 wurde er nach Braunschweig geschickt, zuerst ein Jahr auf eine Schule, und dann während zweier Jahre auf das Carolinum, wo damals Lehrer wirkten, wie Ebert und Gärtner, die Freunde Klopstock’s, Remer, Zimmermann und Eschenburg. Diese wußten auch bei B. für vielerlei Studien, alte und neue Litteratur, Geschichte und Mathematik mit so viel Erfolg ohne Zwang ein so nachhaltiges Interesse zu erregen, daß die hier gewonnene Selbstthätigkeit und Vielseitigkeit ohne Oberflächlichkeit für seine ganze nachherige Bildung und Laufbahn viel mehr wirkte als nachher die Universität, wie er denn hier, sagt er selbst, „auch in den neueren Sprachen solche Fortschritte machte, daß er am Ende seiner braunschweigischen Laufbahn Französisch, Englisch und Italienisch wenn gleich sehr mangelhaft sprach, doch mit vieler Fertigkeit las“. Auch erregte das akademische Studium, welches er nun zunächst ziemlich gleichgültig wählte, das juristische, seine Neigung durchaus nicht, obwol er nun in Göttingen, wohin er im J. 1784 abging, auch darauf den gewohnten Fleiß verwandte; schon 1786 erhielt er für seine Bearbeitung einer Preisfrage über das Princip der deutschen Intestaterbfolge den Preis, und wenig später bestand er auch im juristischen Examen in Celle gut. Aber mehr noch war er daneben wieder zu seinen belletristischen und philosophischen Studien angeregt, von welchen zunächst eine zweite Preisschrift „Ueber die Hindernisse des Selbstdenkens in Deutschland“ die Frucht war; seine Gedichte nahm Bürger in den Musenalmanach auf; im J. 1787 verließ er Göttingen und Hannover, vertraute Gleim seine Wünsche an und wurde von ihm bestärkt die juristische Laufbahn aufzugeben. Nun folgten in Berlin und dann in seiner Heimath in Goslar Jahre des Selbstudiums und poetischer Arbeiten, über welche wie über seinen ganzen Beruf zum Dichter er sich selbst später sehr geringschätzig aussprach; „zum ersten Male“, sagt er, „fing er an Philosophie als eine Wissenschaft zu studiren, während er doch seine Poeterei schwärmerischer noch als vorher fortsetzte; Kant’s Kritik der reinen Vernunft wurde [214] sein Studium; bei diesem imposanten Verstande fand der seinige Nahrung und Erquickung, aber die transcendentalen Subtilitäten fanden noch nicht den rechten Eingang in seinen unruhigen Geist.“ Von 1789 bis 1793 ging er zum zweiten Male nach Göttingen, und damals, urtheilt er mit großer Strenge gegen sich selbst, „erreichten seine litterarischen Thorheiten ihren Gipfel; in dem Grafen Donamar“, einem Romane in drei Bänden, welcher 1791–93 gedruckt und viel bewundert wurde, „drängte die verirrte Phantasie des Verfassers alle Extravaganz und falsche Idealität, an welcher sein ganzes Wesen krankte, wie in einem Brennpunkte zusammen“. Auch seine persönlichen Beziehungen in dieser Zeit waren von bedenklicher Art; so war er z. B. der Vertraute und Vermittler der verbuhlten Elise Bürger und eines ihrer Liebhaber. Seit 1791 fing er Vorlesungen über Kantische Philosophie in Göttingen an, that dasselbe auch nach einer Schweizerreise bei einem Aufenthalte in Darmstadt 1794; in den Dialogen seines „Paulus Septimius oder das letzte Geheimniß des eleusinischen Priesters“ (1795) suchte er „die Kantische Philosophie zu popularisiren“. Im J. 1796 zum dritten Male nach Göttingen zurückgekehrt, erhielt er dann hier nach Feder’s Abgange eine Professur, und diese Stellung behielt er nun über 30 Jahre bis an seinen Tod, wurde 1802 ordentlicher Professor, 1806 Hofrath u. dgl. m. und diese ganze Zeit hindurch einer der anregendsten und geschätztesten Lehrer seiner Universität. – Seine akademische wie seine schriftstellerische Thätigkeit wurde dabei nach allen seinen unverlorenen Antecedentien vornehmlich eine zwiefache, welche sich aber vortrefflich ergänzte. Für das große Unternehmen der göttingischen „Geschichte der Künste und Wissenschaften seit der Wiederherstellung derselben bis an das Ende des 18. Jahrhunderts“ ließ er sich von Eichhorn mit dem schweren Antheil daran beauftragen, für welchen damals wol niemand sonst so wie B. die Vorkenntnisse und die sonstigen Erfordernisse vereinigte, nämlich mit der ganzen „Geschichte der Poesie und Beredsamkeit seit dem Ende des 13. Jahrhunderts“. Zwanzig Jahre seines Lebens widmete er dieser Arbeit mit einem Erfolge, daß die zwölf Bände des Werkes, welche 1801–1819 erschienen, auch die Bewunderung der außerdeutschen Völker, deren Litteratur hier mitbehandelt war (von der westeuropäischen fehlte fast nur die dänische und schwedische) in hohem Grade erregte, wie die Geschichte der spanischen Poesie zu Madrid 1828 ins Spanische übersetzt erschien, und die Akademien zu Lissabon, Madrid, Livorno, Amsterdam, wie die zu München, Berlin und zu Göttingen ihn besonders wol dafür früh unter ihre Mitglieder aufnahmen. Die litterarische Sachkenntniß, welche er über dieser großen Arbeit gewann, kam unter seinen philosopischen Studien und Vorlesungen besonders der Aesthetik zu Gute, welche er zum ersten Male, 1806 (3. Aufl. 1824) bearbeitete und über welche er jeden Winter fast von keinem göttingischen Studenten unbenutzt gelassene Vorlesungen zu halten pflegte. Hier machte nach einer kurzen allgemeinen Theorie des Schönen, in welcher er die vier Elemente Harmonie, Ausdruck, Grazie und Andeutung des Unendlichen unterschied, und nach einer allgemeinen Theorie der schönen Künste unter dem Namen der „litterarischen Aesthetik“ eine „Poetik“ und eine Uebersicht über die Geschichte der ganzen Poesie den anziehenden Hauptbestandtheil der Vorlesung aus, der sich über alle Zeiten bis herab auf die großen Dichter der Gegenwart (und Goethe überlebte ihn noch) erstreckte. Seinen eigentlichen Beruf aber fand B., mehr noch als in dem was er als Litterarhistoriker leistete, in seiner Wirksamkeit als philosophischer Lehrer und Schriftsteller. Ein treuer und ganzer Kantianer blieb er nicht allzulange; als er im J. 1793 einen Abriß seiner ersten Vorlesungen über die Kantische Philosophie an Kant selbst geschickt hatte, erklärte sich dieser sehr erfreut, „da er nicht gedacht, daß die trockene Speculation einen Reiz für einen dichterischen Kopf [215] haben könne, obwol es sich aus dem Erhabenen, das in den metaphysischen Ideen liege, wohl erklären lasse“. Aber nach weiterer Beschäftigung nicht nur mit Kant sondern auch mit der Geschichte und den Systemen der früheren Philosophen fand B., daß Kant wol Leibniz und Wolff und ihren Dogmatismus ausreichend bestritten habe, aber nicht gleich sehr den Skepticismus, und dazu forderte er, daß „die Kantische Formalphilosophie durch einen von dieser wie von jeder andern unabhängigen Realismus begründet“ werden müsse. Denken und Wissen habe Kant nicht genug unterschieden; durch bloßes Denken werde Dasein nicht bewiesen, das Denken selbst sei nicht einerlei mit dem was gedacht werde, sondern es beziehe sich darauf als auf seinen Gegenstand; nach diesem frage wer wissen wolle; nach dem Sein frage jede Frage welche mit „was ist?“ anfange; daß ein Sein, eine Realität, ein nicht wieder von einem andern Grunde abhängiges also erweisbares Absolutes sei, daß es sei, nicht wie es sei, denn das sei unerforschlich, dies setze der Mensch bei allem seinem Denken und Reden als Grund davon selbst schon mit voraus, und die Nachweisung davon, daß dies so sei, sei erst das, was man dem Skeptiker entgegensetzen könne, welcher ja auch selbst bei jedem seiner Zweifel sich darauf und nicht auf irgendwelche Schlüsse verlasse. Diese Nachweisung sollte das größere Werk geben, welches B. unter dem Namen „Apodiktik“ (2 Bde. 1799) herausgab, an welches sich im J. 1800 „Anfangsgründe der speculativen Philosophie, Versuch eines Lehrbuches“ anschlossen; als „negativen Spinozismus“ bezeichnet er selbst diesen seinen Versuch, „den Grund der Erfahrung zu finden und vor der Vernunft zu rechtfertigen“. Später modificirte sich dies bei B. noch unter dem Einfluß F. H. Jacobi’s, mit welchem er auch persönlich bekannt und nahe befreundet wurde; Jacobi’s Gedanke wurde auch der seinige, daß durch Beweise die Wahrheit nicht zu begründen sei, da Beweise nur aus einer nicht selbst wieder abgeleiteten Quelle, nur aus unmittelbar Gewissem ableiten könnten und daß alles Erkennen von einem Glauben der Vernunft an sich selbst ausgehe, von einer unmittelbaren Nöthigung, in welcher die Vernunft sich selbst und so auch dem Bedürfniß ihrer Erhebung über Pantheismus und Fatalismus, ihrem unmittelbaren Vernehmen von Freiheit und von göttlichen Dingen, von Vollkommenheit und Heiligkeit eines höchsten Wesens vertraue. In seinem „Lehrbuch der philosophischen Vorkenntnisse“ (1810, 2. Aufl. 1820), in seinem „Lehrbuch der philosophischen Wissenschaften“ (2 Bde. 181Z, 2. Aufl. 1820) und in seiner „Religion der Vernunft“ (1824) gab er die letzte Verarbeitung dieses seines „gemäßigten Rationalismus“ in philosophischem Sinne nicht ohne vielfache Andeutungen, welche ihm schon seine vielseitige historische Bildung und Kenntniß fremder Systeme abnöthigte, daß er einen Abschluß der Untersuchungen damit noch keinesweges für erreicht halte. Eben dieses Nichtfertigsein, dies Sichoffenhalten für weitere Belehrung war es auch, wodurch seine Vorlesungen für seine Zuhörer, welche er eben dafür unwillkürlich gewann, so anziehend und so viel bildender und anregender wurden, als wenn er sie dogmatisch zum Gehorsam gegen ein festes System zu nöthigen gesucht und dadurch ihren eigenen Forschungstrieb erstickt hätte. Auch noch in mancherlei kleinen Aufsätzen, in feiner schmuckloser Sprache leicht und doch nicht unkünstlerisch hingeworfen, stellt er sich als geistreicher Forscher dar; eine Sammlung derselben gab er in seinen „Kleineren Schriften“ (1. Bd. 1818), Beiträge auch zu der von ihm herausgegebenen „Neuen Vesta, Schriften zur Philosophie des Lebens und zur Beförderung der Humanität“ (12 Bde. 1803–12). – In seinen letzten Lebensjahren hatte er durch Augenleiden und noch mehr durch Harthörigkeit zu leiden, aber die anregende heitere Lebendigkeit, das Interesse, man darf sagen, die Begeisterung, welche ihn als Lehrer stets erfüllte und seinen empfänglichen Schülern sich mittheilte, hatte darunter bis zuletzt nicht gelitten.

[216] Selbstbiographie in den Kleinen Schriften S. 1–50. Großentheils daraus alle spätern; so der Nekrolog in der Jen. A. L. Z. 1828 Nr. 53, Blumenbach’s Memoria Fr. Bouterwek in den Commentt. soc. Reg. Gotting. Bd. 7, Nekrolog der Deutschen VI. 2, S. 623–32 und H. Döring in den Zeitgenossen III. 2, 7, S. 28–50, wo auch ein Verzeichniß seiner Schriften und Aufsätze.