Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Athaulf“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 630–631, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Athaulf&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 18:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Athanarich
Nächster>>>
Athin, Walter von
Band 1 (1875), S. 630–631 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Athaulf in der Wikipedia
Athaulf in Wikidata
GND-Nummer 118848291
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|1|630|631|Athaulf|Felix Dahn|ADB:Athaulf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118848291}}    

Athaulf, Westgothenkönig 410–415, Bruder der Gattin Alarich I. und dessen Nachfolger: er hatte, vielleicht das Haupt eines altedlen Geschlechts und ein mächtiger Gefolgsherr, seinem Schwager aus Oberpannonien Verstärkungen zugeführt; eine bedeutende Persönlichkeit: so erschien er den Zeitgenossen, so erscheint er uns nach seinen Absichten und Erfolgen. Er gab, sowie er König geworden, den Plan Alarich’s, Sicilien und Afrika zu gewinnen auf und führte im J. 412 nach wechselnden Verhandlungen und Feindseligkeiten mit Kaiser Honorius sein Volk aus Italien nach Gallien, ungewiß, ob auf eigene Faust oder ob aus Auftrag des Kaisers, der freilich leicht das ohnehin dermalen für ihn verlorene Land den Gothen überlassen mochte, welche dasselbe erst dem von Burgunden und Alanen unterstützten Anmaßer Jovinus und den empörten Bauern, den Bagauden, entreißen mußten. A. trachtete offenbar vor Allem nach ruhigem Landbesitz für sein seit mehr als 30 Jahren heimathlos umherirrendes Volk, dem das oft sieghafte Schwert die bitter vermißte Pflugschar nicht zu ersetzen vermochte. In Gallien angelangt neigt A. eine Zeit lang zur Verbindung mit Jovinus: als aber der Westgothe Sarus, bisher im Dienst des Honorius und ein alter Feind des Königs, zu dem Usurpator übergeht und dieser seinen Bruder Sebastian zum Mitregenten annimmt, ergreift A. Partei für Honorius, läßt den Sarus unterwegs überfallen und tödten, verbindet sich mit dem kaiserlichen Präfecten Dardanus, sie erobern Valence und Narbonne und senden die Häupter der beiden Brüder nach Ravenna an Honorius, dem gegen eine Getreidespende auch die einflußreiche Schwester Placidia, welche seit 408 als Gefangene, Geisel und Vermittlerin von dem gothischen Lager mitgeführt wurde, zurückgegeben werden sollte. Aber dieses Uebereinkommen blieb von beiden Seiten unerfüllt: A. mußte wieder zum Schwerte greifen, sein Volk zu versorgen: von Marseille abgeschlagen, gewann er 413 Narbonne, Toulouse und Bordeaux und feierte (Januar 414) zu Narbonne mit großem Pomp in streng römischen Formen seine Vermählung mit Placidia: ein Ereigniß, dessen hohe Bedeutung von den Zeitgenossen lebhaft empfunden wurde. Der Gothenkönig, der gegenüber der überlegenen römischen Culturmacht in Gallien sich lediglich als barbarischer Eroberer auf die Dauer nicht behaupten konnte, suchte nach Versöhnung mit der römischen Welt. Weigerte diese Honorius selbst, so mochte A. als Gatte der Tochter des großen Theodosius auch ohne kaiserliche Sanction als Beschützer des Römerthums in Gallien auftreten und immer noch die Aussöhnung mit seinem Schwager in Ravenna erhoffen. Denn es ist charakteristisch was eine merkwürdige und glaubhafte Ueberlieferung (Orosius VII. 43) von Athaulf’s politischen Idealen berichtet: er selbst hat erklärt, nachdem er eingesehen, daß er weder das Römerthum austilgen noch auch ein römisches Reich gothischer Nation gründen könne, da der germanische centrifugale Sinn seines Volkes die Einordnung in die Gesetzeszucht (civilitas) des römischen Staates nicht ertrage, habe er den einzig offenen Mittelweg ergriffen, das Imperium durch die Kraft seines Volkes zu stützen und durch engsten Anschluß an Rom zugleich dieses Reich und sein Volk vor anderen Feinden zu schützen.

Aber gerade die Vermählung mit Placidia zerstörte das Verhältniß zu Honorius in unheilbarer Weise: denn Constantius, der dermalige Günstling und Beherrscher des schwachen Kaisers, trachtete für sich selbst nach der Hand der Kaisertochter und verfolgte deßhalb den Gothenkönig unversöhnlich bis in den Tod: [631] A., von Honorius in Gallien nicht anerkannt, erhob den schon früher von Alarich (s. den Artikel) mit dem Purpur bekleideten Attalus, der als Privatmann im Lager der Gothen lebte, abermals zum Gegenkaiser 414, mußte aber, von Nahrungsmangel bedrängt, von der Zufuhr zur See durch die kaiserliche Flotte abgeschnitten, Gallien räumen: er suchte, seine Residenz Narbonne und Bordeaux aufgebend, von Constantius eifrig verfolgt, ruhigere Sitze für sein Volk in Spanien. Barcelona wurde der Stützpunkt seiner Bewegungen: als ihm hier Placidia einen Sohn gebar, der den bedeutungsvollen Namen Theodosius erhielt, scheint die Hoffnung einer Versöhnung mit Rom nochmals aufgeleuchtet zu haben: die Zeitgenossen beklagten den Tod des Kindes als ein verhängnißvolles Ereigniß. Bald darauf wurde A. von dem in seine Dienste getretenen Gefolgsmann eines alten Feindes (vielleicht des Sarus), der neben dem Blute seines Herrn eigene Kränkung – Verhöhnung seiner kleinen Gestalt – rächen wollte, ermordet (August od. Sept. 415). Sein Tod war von der römerfeindlichen Partei im Gothenvolk vielleicht herbeigeführt worden: jedenfalls wurde er von ihr benutzt: A. hatte sterbend seinem Bruder Rückgabe der Placidia und Anschluß an Rom empfohlen – dies politische Testament charakterisirt sein ganzes Leben – aber nicht sein Bruder, sondern Sigrich, der Bruder des Sarus, wurde sein Nachfolger, der die 6 Kinder aus Athaulf’s früherer Ehe tödten ließ und durch die harte Behandlung der Placidia seine römerfeindliche Politik bezeugte.

Aschbach, Geschichte der Westgothen, Frankf. a. M. 1827. Rosenstein, Geschichte des Westgothenreichs in Gallien, Berlin 1859. Dahn, Könige der Germanen, Würzburg 1870.