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Artikel „Gryphius, Andreas“ von Hermann Palm in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 73–81, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gryphius,_Andreas&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:02 Uhr UTC)
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Gryphius: Andreas G., Lyriker und Dramatiker, entstammte einer hauptsächlich in Thüringen angesessenen adelichen Familie Greif und war geboren 1616 zu Groß-Glogau in Schlesien, wo sein Vater Archidiaconus war. Der Tag seiner Geburt wird von allen neueren Biographen infolge der Ueberschrift eines seiner Sonette (II, 15) und eines Epigramms (I, 61) auf den 11. Octbr. verlegt, jedoch irrthümlich, die ursprünglich römische Ziffer II scheint in die deutsche 11 verwandelt und der Druckfehler in allen Ausgaben stehen geblieben zu sein; [74] eine noch zu Zeiten Leubscher’s (De claris Gryphiis S. 53) vorhandene Selbstbiographie, sowie der Abdankungs-Sermon von Stosch geben den 2. October an, erstere mit dem Zusatze sive Dominica XVIII post Trinitatis S. S., und letzterer Sonntag fiel 1616 auf den 2. October; dies entscheidet.

Seinen Vater verlor der Knabe schon 1621; die Mutter heirathete zwar 1622 einen Schulcollegen M. Eder zu Glogau, der später Pastor in Driebitz, zuletzt in Fraustadt war, doch starb auch sie schon 1628, und das Verhältniß zwischen G. und seinem Stiefvater scheint nun nicht das freundlichste gewesen zu sein, denn jener nimmt nach dem Tode der Mutter seine Zuflucht zu einem älteren Bruder Paul, damals Pastor in Rückersdorf. Die Angaben über die nächsten Erlebnisse seiner Jugend sind widersprechend, das richtige scheint, daß der Bruder ihn im Herbst 1630 auf die Schule zu Glogau brachte; daß ihn von dort ein am 24. Januar 1631 fast die ganze Stadt verzehrender Brand vertrieb und zu dem Versuche nöthigte, in Görlitz seine Schulbildung fortzusetzen, daß aber auch hier keine bleibende Stätte für ihn war, so daß er endlich sich genöthigt sah, seinen Stiefvater durch eine klagende Elegie zu versöhnen, der ihn am 9. Juni der Schule zu Fraustadt übergab. Hier legte er unter dem Rectorate seines Glogauer Lehrers Jacob Rollius den Grund zu seiner später so ausgezeichneten classischen Bildung. Außer Latein und Griechisch erlernte er Hebräisch, Chaldäisch, Polnisch und Schwedisch; durch mancherlei Proben seines Wissens und Fleißes zog er die Aufmerksamkeit Vieler schon damals auf sein Talent, und noch als Schüler ließ er sein gewöhnlich verloren geglaubtes, aber noch vorhandenes erstes größeres lateinisches Gedicht in heroischem Versmaß: „Herodis Furiae et Rachelis lacrymae“, 1634 zu Glogau drucken, dem ein zweiter Theil: „Dei vindicis impetus et Herodis interitus“, 1635 nachfolgte.

Die Zugehörigkeit der Stadt Fraustadt zu Polen hatte ihn den schwersten Bedrängnissen seines Vaterlandes Schlesien gerade in diesen Jahren des Krieges glücklich entzogen; am 16. Mai 1634 verließ er die dasige Schule, sei es wegen der Pest, sei’s weil sie ihm für seine Weiterbildung Nichts mehr zu bieten vermochte, und begab sich nach Danzig, um auf dem dasigen akademischen Gymnasium dieselbe fortzusetzen. Gute Empfehlungen mögen ihm hier die Aufnahme in das Haus und an den Tisch des Rectors der Schule, des Professors Botsack, verschafft haben, bis er den Unterricht und die Leitung der Söhne eines angesehenen Mannes überkam und dadurch, sowie durch Privatunterricht sich seinen Unterhalt zu sichern vermochte. Er erklärte schon damals jungen Leuten den Tacitus. Unter seinen Lehrern zeichnet er später den Mathematiker Krüger, einen auch von M. Opitz gefeierten Gelehrten, durch ein an ihn gerichtetes Sonett aus. Obschon sein Aufenthalt in Danzig bis zum 21. Juli 1636 dauerte, kann er mit letzterem damals noch nicht zusammengetroffen sein, der frühestens Ende August desselben Jahres nach Danzig übersiedelte. Sollte es nun richtig sein, was von seinem Biographen Stief (Histor. Labyrinth S. 820) erzählt wird, daß Opitz aus etlichen ihm überreichten Dichtungen den künftigen Ruhm des Jünglings geweissagt habe, so müßte diese Begegnung ins Jahr 1638 fallen, wo G. sich einige Wochen wieder in Danzig aufhielt.

Infolge seiner tüchtigen Bildung und poetischen Begabung wurde der nunmehr fast 20jährige bei seiner Rückkehr in die Heimath zum Erzieher der Söhne des angesehenen und wie es scheint begüterten kaiserlichen Kammerfiscals Georg Schönborn oder Schönborner auf Schönborn und Zissendorf berufen. Im Hause dieses classisch gebildeten und mit dem Titel eines kaiserlichen Pfalzgrafen geehrten Mannes verlebte G. die glücklichsten Jahre seiner Jugend; aus der Hand dieses Freundes und Gönners empfing er am 30. November 1637 auch den Dichterlorbeer und die Würden eines Magisters der Philosophie. Das Diplom [75] des „poeta laureatus“, welches Leubscher De claris Gryphiis S. 56 uns erhalten hat, bezieht sich auf schon früher veröffentlichte Schriften und eine poetische Tüchtigkeit, vermöge deren er es mit jedem anderen Dichter aufnehmen könne. Von dem mit der Krönung verbundenen Adel hat er niemals Gebrauch gemacht. Schönborner starb am 23. December desselben Jahres, kurz nach diesem Erweise seines Wohlwollens gegen G., der ihm die unter dem Titel „Brunnendiscurs“ („Fontanalia“ mit Anspielung auf den Namen Schönborn) erhaltene Grabrede hielt.

Wol auch der Unterstützung dieses Mannes verdankte G. noch die Möglichkeit, im folgenden Jahre 1638 zur Erweiterung seiner gelehrten Studien nach Holland zu gehen. Den Weg dahin nahm er zur See von Danzig aus, wo er im Juni verweilte. Am 27. dieses Monats fuhr er von dort ab, wurde durch Sturm an die rügensche Küste verschlagen, gelangte jedoch glücklich über Amsterdam am 22. Juli nach Leyden, wo er sich am 26. von dem Rector der Universität Constantin l’Empereur immatriculiren ließ. Hier lebte er in freundschaftlichem Verkehr mit den gelehrten Holländern Claudius Salmasius, Daniel Heinsius, Boxhorn, Heurnius u. A. und bildete sich, indem er die verschiedenartigsten Studien trieb, zum echten Polyhistor aus. Zu den ihm schon bekannten Sprachen erlernte er noch mehrere der neueren und soll es zur Kenntniß von elfen gebracht haben. Oefters betheiligte er sich an Disputationen, ließ sich als öffentlicher Redner hören und las von 1639–44 selbst Collegien über die mannichfachsten Gegenstände, als Anatomie, Philosophie, Geographie, Mathematik, Astronomie, Antiquitäten, Geschichte und Poetik. Im J. 1639 erschienen dort „Son- undt Feyrtags Sonnete“, die in der Gesammtausgabe von 1663 das dritte und vierte Buch, in der von 1698 das vierte und fünfte Buch der Sonette bilden, 1643 das erste Buch derselben und das erste der Oden, ebenso lateinische und deutsche Epigramme.

Im J. 1644 bot sich ihm eine erwünschte Gelegenheit zu einer größeren Reise. Als Führer des Sohnes eines reichen Stettiner Kaufmanns Wilhelm Schlegel und zweier pommerischen Adelichen ging er mit diesen über den Haag nach Paris, wo man am 3. Juli eintraf. Hier und in anderen großen Städten, namentlich auch im Süden Frankreichs hielt man sich fast 1½ Jahr auf, ging im Winter 1645 nach Italien, verlebte diesen in Florenz, Rom, Bologna, Ferrara und Venedig, wo G. am 9. Mai 1646 dem Senate der Republik in einer Audienz sein in Florenz kurz vorher gedrucktes „Olivetum“ überreichen durfte, und kehrte von da nach Deutschland zurück. In Straßburg trennte sich die Gesellschaft und G. lebte hier nun fast ein Jahr seinen Studien und im freundlichen Verkehr mit den gelehrten Männern der dasigen Universität: Dorschäus, Dannhauser, Boecler, Biccius u. A. (Hochzeitgedichte S. 71). Hier begann er seine dramatischen Dichtungen mit Leo dem Armenier und Entwürfen zu anderen Tragödien. Ende Mai 1647 kehrte er nach neunjähriger Abwesenheit in seine Heimath zurück. Die Reise ging über Speyer, Mainz, Frankfurt a/M., Köln, Amsterdam und Stettin, wo er am 25. August eintraf und einige Monate sich aufhielt; am 20. November war er wieder in Fraustadt. Hier verlebte er etwa 2½ Jahr ohne öffentliche Stellung in glücklicher Muße, welcher wir mehrere seiner Trauer- und Lustspiele verdanken. Daß ihm ausreichende Mittel zu Gebote standen, beweist ebenso wol seine Verheirathung mit Rosina Deutschländer, der Tochter eines Fraustadter Handelsherrn, am 12. Januar 1649, als die Ablehnung mehrerer ihm angebotenen Professuren, so zu Heidelberg, Frankfurt a/O., ja zu Upsala. Erst 1650 nahm er das Amt eines Syndicus des Fürstenthums Glogau an, welches er vom 3. Mai ab bis an seinen Tod bekleidet hat. Im J. 1662 wurde er als Mitglied in die fruchtbringende Gesellschaft mit dem Beinamen des „Unsterblichen“ aufgenommen.

[76] Das schwere Mißgeschick, was ihm seine Jugendjahre so trüb gestaltet hatte (man vergleiche u. a. seine Klagen in den Begräbnißgedichten S. 42, 45 und den Sonetten I, 10, 12, 13), verfolgte ihn auch später noch mannichfach. Abgesehen von dem fortdauernd auch seine Seele belastenden Elende seiner schlesischen und deutschen Heimath, verlor er während seines Leydener Aufenthaltes 1640 seinen älteren, schon 1638 aus Amt und Vaterland vertriebenen Bruder und Erzieher Paul, zuletzt Superintendent in Crossen, desgleichen eine ohnelängst verheirathete Schwester, und ihn selbst warf in demselben Jahre eine schwere Verwundung (Sonette I, 46, 47, 48, III. 15) auf ein langes und gefährliches Krankenlager; auch sein Ehestand wurde wiederholt von Unglück heimgesucht. Eine Feuersbrunst vernichtete ihm 1657 Haus und Habe; eine begabte Tochter verlor im fünften Lebensjahre plötzlich den Gebrauch der Glieder und Sprache, um noch 40 Jahre lang ein qualvolles Dasein zu führen, und ihn selbst ereilte am 16. Juli 1664 während einer Sitzung der Landstände der Tod durch einen Schlaganfall in einem Alter von noch nicht 48 Jahren.

G. hat während seines Lebens eine rege wissenschaftliche, wie poetische Thätigkeit entwickelt; die erstere tritt freilich für uns hinter letzterer weit zurück; doch erwähnen wir aus ihr folgende Schriftwerke: „Beschreibung des Freistädtischen Brandes“, Lissa 1637, deutsch; „Brunnen-Discurs“, erst einzeln 1638, dann mit 12 anderen Leichenabdankungen, Proben außerordentlicher Gelehrsamkeit, 1666 veröffentlicht; „Des Glogauer Fürstenthums Landes Privilegien“, 1653; „Mumiae Vratislavienses“, Beschreibung einer von ihm 1658 in Breslau vorgenommenen Aufwickelung zweier Mumien, 1662 und die deutsche Uebersetzung der meditationum sacrarum aus dem Englischen von Richard Baker (nicht Baxter!), 1663, ein Beleg für seine Kenntniß auch der englischen Sprache. Sehr groß war die Menge der ungedruckten wissenschaftlichen Arbeiten aus den verschiedensten Gebieten; zu erwähnen ist daraus ein „Tractatus de spectris“. – Ist auch seine Bedeutung als dramatischer Dichter für unsere Litteratur am größten, so darf doch auch seine lyrische Dichtung nicht unbeachtet bleiben. Schon frühzeitig drängte ihn sein poetischer Trieb, die Bewegungen seines Gemüthes bei den meist traurigen Ereignissen seiner Jugend in der Form von Sonetten und Oden auszudrücken. Ist auch die in den späteren Ausgaben dem 28. Sonett des 1. Buches gegebene Jahreszahl 1627 von Goedeke (11 Bücher deutscher Dichtung I. S. 377) aus der ältesten als ein hartnäckig fortgeführter Druckfehler für 1637 nachgewiesen worden, so datirt anderes doch schon aus seiner Schülerzeit. Abgesehen von seinen oben erwähnten größeren lateinischen, auf den bethlehemitischen Kindermord bezüglichen beschreibenden Dichtungen schließt das fünfte Buch der Sonette mit der ausdrücklichen Angabe, daß er dasselbe in seiner ersten Blüthe als Kind für Kinder geschrieben habe. Dieses, so wie das vorhergehende vierte Buch der Gesammtausgabe von 1698 mit starken Abweichungen von der späteren Gestalt zuerst 1639 in Leyden gedruckt, behandelt die Texte der Sonn- und Festtags-Evangelien im Geiste und Geschmacke des strengen Lutherthums jener Periode der Gegenreformation. Es sind die Ideen, in denen der Knabe im Hause der Seinigen sich von Jugend auf bewegt hatte: Verachtung des irdischen Lebens und Sehnsucht nach dem himmlischen, die fast jedes einzelne Gedicht ausdrückt. Noch mehr beinahe trägt das vierte Buch der Oden oder „Thränen über das Leiden Jesu Christi“ (zuerst gedruckt 1652); das Gepräge der schlichten Jugendarbeit, als welche er sie (Vorrede S. 190) deutlich bezeichnet. Es enthält Schilderungen der Leidensgeschichte zu bekannten Melodien in höchst einfacher Sprache, die er, wie er sagt, gewählt habe, weil er nichts als Andacht gesucht. Doch will er den Schmuck der Dichtkunst und Wohlredenheit so wenig aus der christlichen Kirche verbannt wissen, [77] als sie es aus dem alten Bunde war; er eifert im Gegentheil wider solche, die da meinen, es sei nicht erlaubt, daß die Musen um das Kreuz des Herrn singen, und so erhebt auch er sich in anderen Büchern seiner Oden (zweites Buch vollendet 1646, drittes Buch 1655) zu schwerem pindarischen Strophenbau und einer echt poetischen schwungvollen, wenn auch nicht mit dem Bilderreichthum und den centnerschweren Worten der Tragödien überladenen Sprache. Auch durch die Tiefe der Gedanken unterscheiden sich die späteren geistlichen Dichtungen; „Kirchhofs-Gedanken (nach der Widmung vollendet 1656)“, „Begräbniß-Gedichte“, „Kirchen- und geistliche Lieder“ (vollendet 1660) von seinen Jugendproducten und den meisten seiner Zeitgenossen, wenn gleich derselbe Grundton, die trübe Weltanschauung von der Vergänglichkeit und Eitelkeit aller Weltherrlichkeit als das Hauptresultat seiner eigenen Lebenserfahrungen auch durch die Erzeugnisse der reiferen Jahre hindurchgeht. Bei der Ausmalung dieses Gedankens wird er durch grauenvolle Bilder unschön und widerlich; die Kirchhofs-Gedanken erinnern stark an Schubart’s Fürstengruft. Die mäßige Anzahl seiner in die älteren Gesangbücher übergegangenen Kirchenlieder dürfte jetzt meist daraus verschwunden sein. Freundliche Bilder, heitere Gedanken begegnen außer in einigen Hochzeitsgedichten (nur in der Gesammtausgabe von 1698) nirgends, doch zeigt er in letzteren, daß er allerdings auch leicht und ohne Frivolität zu scherzen versteht. All’ seine Lyrik ist Gelegenheits-Dichtung bester Art, wahr und warm empfunden, nichts künstlich erzwungen und erheuchelt, daher hoch über den Massen der elenden Reimereien stehend, mit denen seine Zeitgenossen die Freuden und Leiden aller Welt ausschmückten.

Die Epigramme (vier Bücher, wie die Scherzgedichte nur in der Gesammtausgabe von 1698), so weit auch sie nicht religiösen oder rein persönlichen Inhalts sind, geißeln mit oft scharfem Witze die allgemeinen Gebrechen und Laster des Jahrhunderts. Sittlicher Ernst und Reinheit der eigenen Gesinnung sprechen aus ihnen, wie aus den drei Scherzgedichten, von denen die beiden ersten als Strafgedichte, d. i. als Satiren, das dritte als Epistel des Capitän Schwermer an die schönste und edelste der Welt bezeichnet ist, eine Verspottung desselben Charakters, den G. später im Horribilicribrifax durchzieht. – Seine Thätigkeit auf dramatischem Gebiete beginnt er erst im Alter von 30 Jahren nach seiner Rückkehr aus Italien. Der Aufenthalt in Holland, Paris, Florenz, Venedig hatte ihn vertraut gemacht mit dem Besten, was das Theater des Auslands damals bot; die Dramatiker der Alten kannte er durch gründliches Studium. Schon früh hatte er, wie er versichert, nur zur Uebung, aus dem Italienischen ein Lustspiel des Girolamo Razzi, die Seugamme, übersetzt. In Holland ergriff ihn die dort herrschende antike Richtung, die van der Hooft und am meisten Vondel repräsentirten. Von den Gibeonitern des letzteren veranstaltete er, wol schon in Holland, eine, erst von seinem Sohne in der Gesammtausgabe 1698 veröffentlichte Uebersetzung. In Straßburg begann er mit „Leo dem Armenier“ (zuerst gedruckt 1650 in der zu Frankfurt erschienenen Gesammtausgabe der „Teutschen Reimgedichte“, deren letzter Bogen unechtes enthält) die eigene Production. Den Stoff entnahm er den Geschichtswerken der Byzantiner Cedrenus und Zonaras, die nach seinem Geständniß alles so eigentlich entworfen hatten, daß er nicht nothwendig hatte, viel Eigenes hinzuzuerfinden. Zweck war ihm auch hier wie bei „etlichen folgenden Trauerspielen“, „die Vergänglichkeit menschlicher Sachen“ darzustellen. Eine Liebesgeschichte verflocht er noch nicht in das Stück, da er nicht gesonnen war, der den Alten unbekannten Meinung beizupflichten, als könne kein Trauerspiel ohne Liebe und Buhlerei sein. In der Anlage und äußeren Einrichtung erscheint nun G. zunächst als Schüler von Vondel und Seneca; die regelrechte Eintheilung in „Eingänge“ oder Scenen und „Abhandlungen“ [78] oder Acte und zwischen diesen die Chöre oder „Reyen“ mit „Satz, Gegensatz und Zusatz“, ebenso Ton und Schwung der Sprache und das Gesetz der Einheit der Zeit (nicht so des Ortes) sind Nachbildungen jener Muster und charakteristische Merkmale der nun durch ihn sich einbürgernden deutschen Kunsttragödie. Wie sehr man auch an jenem Erstlingsdrama die Lebhaftigkeit der Empfindung und den Glanz der Sprache rühmen mag, so verräth doch der Mangel an Fortschritt der Handlung und an Charakteristik der Personen noch sehr den Anfänger und macht das Stück keineswegs zu seinem besten. In erster Beziehung gelungener ist die zweite auch in Straßburg begonnene, doch in Stettin (1647) erst vollendete Tragödie, „Katharina von Georgien“, eine Märtyrer-Geschichte aus dem Leben des Schah Abbas von Persien (1629); hier zeigt sich besonders im Schlusse wieder jene schon in der Lyrik begegnende Vorliebe des Dichters fürs Grelle und Gräßliche, ein Geschmack, der sich nur aus der an die grausamsten Scenen des Krieges gewöhnten Empfindungsweise jener Zeit erklären läßt und in allen seinen Trauerspielen einen Hauptzug bildet.

Mit „Cardenio und Celinde“, geschrieben nach der Rückkehr aus Straßburg, that G. einen kühnen Griff ins bürgerliche Leben, den er darum zu entschuldigen für nothwendig fand, weil die Personen fast zu niedrig für ein Trauerspiel seien, d. h. den hohen Kothurn der Rede nicht zuließen. Da er den reichen novellistischen Stoff möglichst unverändert geben, sich aber an die Einheit der Zeit binden wollte, überwiegt auch hier wieder die Erzählung die Handlung. Trotz einiger tragischer Motive ist der Schluß doch nicht tragisch, und da auch die Rede „nicht viel über die gemeine“, d. h. ohne tragisches Pathos und ohne Schwulst ist, so wird der Dichter in diesem Stück der Erfinder einer neuen Gattung, des Schauspiels, für die er nur den Namen Tragödie hatte. Freilich leidet auch dies Stück noch an starken Mängeln. Gespenster- und Geistererscheinungen, an die er selbst glaubte, führen die Lösung herbei, der Chor nach dem dritten Acte bildet ein kleines Zwischenspiel für sich; indeß begegnen wir schon einem Versuche zur Charakteristik und nach der Exposition im ersten Acte auch einer lebhaft fortschreitenden Handlung. Derselbe Stoff wurde von Apel, Arnim und Immermann zu neuer Bearbeitung brauchbar gefunden.

In dieselbe Zeit fruchtbarer Production (1648–50) fällt wahrscheinlich nicht nur die Bearbeitung „Der heiligen Felicitas oder beständigen Mutter“ aus dem Lateinischen des Jesuiten Causinus, sondern auch die Abfassung von seinem ersten und der Entwurf zu seinem zweiten Lustspiele, dem „Peter Squenz“ und dem „Horribilicribrifax“. Der Verfasser dieses Artikels hat in seiner Ausgabe der Lustspiele des G. (1879) den näheren Nachweis für diese Entstehungszeit beider Stücke gegeben. Die Gründe der späten Veröffentlichung des Squentz 1657 und der noch späteren des Horribilicribrifax 1663 entziehen sich unserer Kenntniß. Beide Werke zeigen uns den Dichter von einer ganz neuen Seite, nämlich als gewandten und witzigen Komiker, den seine düsteren Trauerspiele nicht ahnen lassen. Das „Schimpfspiel“ Peter Squentz ist eine Verspottung der tölpelhaften Darstellungen dramatischer Werke durch ganz unberufene und unfähige Leute niedersten Standes, wie solche in jener Zeit häufig waren. Die Aufklärung über den Zusammenhang des Stückes mit der Episode in Shakespeare’s Sommernachtstraum, sowie mit der Behandlung des Stoffes durch den Altorfer Professor Daniel Schwenter, auf die G. in der Vorrede selbst hinweist, ist von Jul. Tittmann zwar verheißen, bis jetzt jedoch noch nicht gegeben; jedenfalls dürfen wir unserm Dichter nicht mehr als die glückliche Erweiterung und Ausführung des überkommenen Stoffes zueignen. Weit selbständiger ist das „Scherzspiel“ Horribilicribrifax, wenn gleich der miles gloriosus des Plautus dafür die Grundidee hergab und andere Behandlungen derselben durch ausländische [79] Dramatiker unserm G. nicht unbekannt gewesen sein mögen. Neben der Verspottung der großsprecherischen Maulhelden, die in jener Zeit ein stehendes Uebel sein mochten, verfolgte er noch als Nebenzweck die Geißelung der während des Krieges so mächtig eingerissenen Sprachmengerei und thut dies mit Aufgebot all’ seiner Sprachkenntniß, wodurch das Stück freilich zum Lesedrama, ja auch als solches den Meisten theilweise unverständlich wird. Leider macht sich die Rohheit der Zeit in der Komik oft in recht unerfreulicher Weise geltend.

Sicherer als die Zeitbestimmung dieser Lustspiele ist die des vierten großen Trauerspiels, „Der ermordeten Majestät oder des Karolus Stuardus“, welcher fast unter dem unmittelbaren Eindrucke von der Hinrichtung des Königs (vix conditio in hypogaeum regis cadavere), also 1649 in wenigen Tagen niedergeschrieben und in dieser Gestalt 1657 in der zu Breslau erschienenen zweiten Gesammtausgabe herausgegeben, später aber vor der letzten Ausgabe der Freuden- und Trauerspiele durch den Dichter selbst (1663) einer neuen Recension unterworfen wurde. Mancherlei in den Anmerkungen von ihm angeführte neue Quellen waren ihm seitdem zugeflossen; aus ihnen entnahm er neue Motive, fügte neue Personen und Scenen hinzu, freilich nicht zur Förderung des Ganges der Handlung, die dadurch überladen und schleppend wurde. Zur Rettung der göttlichen Gerechtigkeit stellt er in dieser neuen Fassung u. a. auf dem der englischen Bühne nachgeahmten „inneren Schauplatze“ die an des Königs Mördern bei der Restauration vollzogene Rache und die Krönung Karls II. in einer Reihe lebender Bilder dar. Der Dichter vertritt seinem eigenen politischen Standpunkte nach die Göttlichkeit des Fürstenrechts, stempelt den König zum Engel, die Independenten zur teuflischen Rotte und verkennt völlig historische Wahrheit und Recht. Abgedruckt ist die ältere einfache Gestalt des Stückes in Tittmann’s Ausgabe dramatischer Dichtungen von A. G., 1870.

Die Uebernahme seines öffentlichen Amtes lähmte zunächst die poetische Thätigkeit. Im J. 1653 verfaßte er zur Feier der Krönung Ferdinands IV. zum römischen Könige das „Freudenspiel“ „Majuma“, was im Mai dieses Jahres „gesangsweise auf dem Schauplatz vorgestellt wurde“. Der Stoff ist auf eine Stelle in Ovids Fastis begründet, sonst aber eigene Erfindung, welche die Fesselung des Kriegsgottes und die glückliche künftige Regierung Ferdinands ankündigen soll. Bis auf einige glänzende rhetorische Stellen ist das Stück unbedeutend. Erst im J. 1659 erscheint wieder ein größeres Trauerspiel unter dem Titel „Großmüthiger Rechts-Gelehrter oder sterbender Aemilius Paulus Papinianus“, wiederum ein Märtyrerthum, nämlich das der weltlichen Gerechtigkeit darstellend. Der Anlage nach gehört das von den Zeitgenossen viel bewunderte Stück nicht zu den besten Leistungen des Dichters, der hier vor allem gegen die Einheit der Handlung sündigt. Neben der Felicitas ist es das einzige Trauerspiel, von welchem sich eine Aufführung und zwar durch breslauische Schüler nachweisen läßt.

Im folgenden Jahre verfaßte derselbe zwei Festspiele zur Feier von Ereignissen, welche die ihm befreundeten Familien des damals in Schlesien noch regierenden piastischen Fürstenhauses betrafen. Das von den evangelischen Landesbewohnern damals allgemein befürchtete Aussterben des letzteren war durch die unerwartete Nachricht von der Schwangerschaft der Gemahlin Herzogs Christian von Wohlau auf einige Zeit beseitigt worden. Man setzte die Geburt eines männlichen Erben voraus und gedachte diesem den Namen Piast beizulegen. In dieser Zeit der Erwartung dichtete G. sein Lust- und Gesangspiel „Piastus“, dessen Schlußscene auf das bevorstehende Ereigniß so klar hinweist, daß eine sorgfältigere Erwägung des Wortlautes die neueren Biographen vor der Annahme Bredow’s hätte bewahren müssen, das Stück sei schon 1648 bei der Verheirathung [80] jenes Herzogs geschrieben worden. Dasselbe hat die heidnische Ceremonie des Haarabschneidens bei der Mündigkeits-Erklärung des Sohnes Piast’s zum Gegenstande, bei welcher Gelegenheit die glänzende Zukunft dieses Hauses von den polnischen Gästen geweissagt wird.

Umfangreicher und bedeutender war das zweite zu Ehren der Vermählung des Herzogs Georg III. von Brieg mit der von G. schon früher öfter gefeierten Pfalzgräfin bei Rhein, Elisabeth Marie Charlotte, verfaßte Stück, welches bei der Durchreise des bräutlichen Paares in Glogau am 10. October 1660 aufgeführt wurde. Es ist ein Doppelspiel: „Das verliebte Gespenst“, Gesangspiel und „Die geliebte Dornrose“, Scherzspiel, deren unabhängige, aber in einander geschobene Handlungen Act um Act wetteifernd die Wirkungen treuer Liebe bei Hohen und Niedrigen veranschaulichen sollen. Das erste hochdeutsche und in Alexandrinern geschriebene Stück hat ein aus Cardenio und Celinde entlehntes Motiv, die Liebe zweier Frauen zu demselben Manne zum Gegenstande, das zweite ist ein Bauernspiel in schlesischer Volksmundart und in Prosa geschrieben, das älteste dialectische Drama und das beste deutsche Lustspiel vor Lessing, das wir besitzen, voll Lustigkeit und echten, wenn auch derben Humors, das uns nur bedauern läßt, den Dichter nicht öfter diesen Weg des Volkstückes betreten zu sehen, wodurch er unserem deutschen Lustspiele ein durchaus selbständiges glückliches Gepräge gegeben haben würde. Der Piast wurde erst der Gesammtausgabe der Werke durch den Sohn Christian G. (1698) beigegeben, das Doppelspiel dagegen erschien selbständig in mehreren Auflagen gedruckt in den J. 1660 und 61, und wurde erst 1855 zum ersten Male wieder von dem Unterzeichneten mit Erläuterungen herausgegeben.

Ebenfalls allein in der Ausgabe von 1698 erhalten ist die 1662 auf den Wunsch des Grafen Leopold Schafgotsch verfaßte Uebersetzung des berger extravagant von Thomas Corneille, „Der schwärmende Schäfer“. G. bekundet in dem Vorworte zu seiner Bearbeitung dieser „Pastorale burlesque“ auch sein eigenes Mißfallen an der damals immer mehr um sich greifenden Spielerei der Schäferstücke, welcher er durch das Vorhalten dieses Spottbildes steuern wollte. Die Uebersetzung zeichnet sich durch die Schwere und die dem Lustspiel besonders widerstrebende Kürze und Gedrungenheit der Sprache unvortheilhaft vor anderen Werken aus.

Außer diesen gedruckten Werken des Dichters erwähnt theils dieser gelegentlich selbst, theils sein Sohn Christian in der Vorrede der Gesammtausgabe noch eine Anzahl unfertiger Dramen, so eines bis auf die Chöre vollendeten „Heinrich der Fromme“, ferner der „Gibeoniter“, einer eigenen Bearbeitung desselben Stoffes, dessen Behandlung von Vondel er schon früher übersetzt hatte, eines „Ibrahim“ und eines schon vor dem Glogauer Brande 1657 fertigen Stückes „Die Fischer“. Von all’ diesem Nachlaß hat sich bis jetzt noch keine Spur gefunden. Wie mancherlei Mängel nun auch den dramatischen Dichtungen unseres G. noch anhaften mögen, so reicht das hier in Kürze Gesagte wol hin, sein immerhin bedeutendes Verdienst um die Entwickelung des modernen Drama’s, als dessen Vater er ja gewöhnlich bezeichnet wird, ins Licht zu stellen. In noch höherem Grade würde dies durch einen Hinweis auf dasjenige geschehen, was das Jahrhundert sonst auf diesem Gebiete hervorgebracht hat, worauf hier verzichtet werden muß. An Tiefe der Gedanken, an poetischer Empfindung und an Fülle und Glanz der Sprache überragt G. alle Dichter nicht nur seiner, sondern auch der nächsten Zeit. Namentlich ist auch seines Einflusses auf die Sprachbildung noch zu gedenken; sein bewußtes Streben durch Nachahmungen der entwickelteren Sprachen der alten wie der neueren Völker in lexikalischer, wie syntaktischer Beziehung unsere deutsche zu bereichern und geschmeidiger zu [81] machen, führte ihn freilich oft zu übergroßer Kürze und Dunkelheit, aber auch zu außerordentlicher Herrschaft über den Ausdruck und hat so vielfach nachgewirkt, so mancherlei neue Elemente in der Dichtersprache zurückgelassen, daß G. in dieser Beziehung als die nächste Stufe zu Klopstock betrachtet werden muß. Was derselbe Mann unter günstigeren Einwirkungen seiner Zeit unserem Volke hätte werden können, hat Gervinus schön gezeigt; den Ruhm, welchen Opitz seinem Vaterlande Schlesien auf litterarischem Gebiete verliehen, hat er wesentlich erhöht.

Neue handschriftliche Quellen für sein Leben haben sich nirgends auffinden lassen; die gedruckten sind außer seinen Werken und deren Vorworten, vor allem sein christlicher Lebenslauf von Baltzer Siegmund v. Stosch in dessen „Last- und Ehren- auch daher immerbleibende Danck- und Denckseule bei vollbrachter Leichbestattung etc. Andreae Gryphii.“ Gedr. im J. 1665; dann Joh. Theod. Leubscheri Schediasma de Claris Gryphiis. Brigae 1702, S. 51–68 und (Stief’s) schlesisches historisches Labyrinth, Breslau 1737, S. 805–24. Ganz unergiebig sind die Leichenreden von Knorr und Pirscher. – Neuerdings sind außer den Behandlungen des Lebens und Wirkens in den litterarhistorischen Hauptwerken von Gervinus, Koberstein, Cholevius u. A. von größerer oder geringerer Bedeutung: Tieck im deutschen Theater, Bredow in seinen nachgelassenen Schriften 1816, Tittmann in der Einleitung zu der Auswahl dramatischer Dichtungen, Leipz. 1870, F. Th. Richter’s gründlicher Artikel im 95. Theile von Ersch und Gruber’s Encyklopädie; als Monographien: Jul. Herrmann, Ueber A. G. Programm d. städtischen Realschule zu Leipzig, 1851 und Onno Klopp, A. G. als Dramatiker, Progr. Hannover 1852.

Außer den oben genannten drei Gesammtausgaben von des Dichters Hand und der von Christian G. veranstalteten der „merklich vermehrten Teutschen Gedichte“, 1698, sind von einzelnen Werken nächst den alten vom Dichter selbst herrührenden und im Texte erwähnten zu nennen die einzelner Dramen von Tieck im altdeutschen Theater und von Tittmann, dann die Breslau 1855 von dem Unterzeichneten mit Einleitung erschienene des verliebten Gespenstes und der geliebten Dornrose; dann „das Olivetum oder Oelberg. Lat. Epos des A. G. übersetzt und erläutert von Fr. Strehlke“, 1862, endlich die neueste Ausgabe der sämmtlichen Lust- und Festspiele von Unterzeichnetem. (Publication des litter. Vereins zu Stuttgart, 1879.)