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Artikel „Dove, Heinrich Wilhelm“ von Alfred Dove in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 51–69, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dove,_Heinrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 04:47 Uhr UTC)
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Dove: Heinrich Wilhelm D., namhafter Physiker, von hoher Bedeutung für die Meteorologie durch den ersten großartigen Versuch einer umfassenden und durchgreifenden Ausbildung dieser Wissenschaft; geboren zu Liegnitz am 6. October 1803, † am 4. April 1879 in Berlin. – D. entstammte westfälischen Ahnen: ein Geschlecht dieses Namens fand sich schon in der ersten Mindener Bürgerrolle von 1415 unter den Altbürgern verzeichnet; die Rathsacten der Folgezeit nennen Angehörige bis ins 17. Jahrhundert als Träger von Gemeindeämtern der früh zur Reformation übergetretenen Stadt. Nachdem diese beim westfälischen Frieden dem Großen Kurfürsten zugefallen, zog Reinhard D., 1629 in Minden geboren, nach Cöln an der Spree, wo er 1655–59 als Apothekergeselle thätig war. In gleicher Condition stand er sodann bis 1661 in Thorn und schlug endlich seinen Wohnsitz dauernd in Liegnitz auf. Dort nahm er 1677 eine zweite Frau und starb 1683 als selbständiger Apotheker, Gerichtsbeisitzer und angesehener Mann; das Andenken an eines seiner häuslichen Feste lebt in der Mustersammlung von Gelegenheitspoemen der zweiten schlesischen Dichterschule fort. Der Sohn Gottfried Reinhard (1680–1733), der ebenfalls als Hofgerichtsassessor erscheint, begründete ein Colonialwaarengeschäft, das unter dem Enkel Ernst Reinhard (1706–57) zur Blüthe gedieh und von dessen Wittwe vor den Gefahren des siebenjährigen Krieges behütet auf ihren jüngsten Sohn als stattliches Erbtheil überging. Dieser, Wilhelm Benjamin D. (1754–1817), ist der Vater Heinrich Wilhelms, der ihm nach fünf Söhnen erster, fünf Töchtern zweiter Ehe – mit Susanne Brückner (1767–1825) aus altem Liegnitzer Bürgergeschlecht – als [52] letztes Kind geboren ward. In Wilhelm Benjamin erreichte der Wohlstand der Familie seinen Höhe- und Wendepunkt. Als Großkaufmann verfügte er außer dem schönen Wohn- und Geschäftshause am Ring noch über anderen ausgedehnten Grundbesitz in und vor der Stadt, bis ihn das Verhängniß des Kriegsjahres 1806–7 mit desto schwereren Schlägen heimsuchte. Umsonst bekämpfte er alternd nach Schlesier Art beim Glase Wein das Gefühl, ein herabgekommener Mann zu sein; nach seinem Tode mußte die Wittwe auch die Handlung liquidiren. An der Erziehung des jüngsten Knaben ward indessen nichts versäumt. Die Mutter, eine warm empfindende Frau, bot das Vorbild protestantischer Frömmigkeit; der Vater, nicht ohne Weltbildung, des Italienischen mächtig, guter Cellospieler, bewahrte noch im Unglück die gemessene Form überlieferter Sitte, die Treue preußisch-patriotischer Gesinnung. Auch daran aber hielt er einsichtig fest, daß sein Heinrich, begabt und regsam wie er war, einmal studieren müsse; die Stiefbrüder, die verwöhnt und leichtsinnig auf den Trümmern des väterlichen Vermögens verschollen sind, haben den Kleinen denn auch mit prophetischer Ironie als künftigen Professor bezeichnet.

D. war als Kind und Jüngling bei mäßigem Wuchs von zarter, ja schwächlicher Constitution; jede Krankheit erregte begründete Besorgniß, dreimal haben ihn die Aerzte achselzuckend aufgegeben. Glücklicher Weise gereichte ihm häufige Bewegung in freier Luft wieder und wieder zu heilsamer Stärkung. „Geboren in einer heiteren Gegend und fast am Fuße des Gebirges“, erzählt er selbst, „habe ich mich jedes Jahr auf den Bergen umhergetrieben; kein Pfingsten fand mich zu Hause, die Hundstage war gar nicht daran zu denken.“ So übte er zugleich unwillkürlich die behende Einbildungskraft in bestimmter Auffassung der wirklichen Natur; indem er den mannigfachen Reizen der Heimath vom Iser- und Riesengebirge bis in die Grafschaft Glatz empfänglich nachging, ward er früher und besser als die Stadtkinder der Tiefebene auch mit dem Räthselspiel des deutschen Wetters anschaulich vertraut. Den mächtigen Eindruck der Stürme des Schicksals theilte er mit den Zeitgenossen; die Erinnerung an 1813, sein zehntes Lebensjahr, im wechselvollen Lauf durch Hoffnung, Enttäuschung, Spannung zur Erlösung stand ihm noch im Alter unmittelbar vor Augen: wie er dem Auszug der Freiwilligen jubelnd das Geleit gegeben und dann doch Napoleon unterm Zuruf seiner Garden düster einreiten sah, wie er im Waffenstillstand der mißtrauischen Einquartierung des Marschalls Ney die Speisen vorkosten mußte, bis endlich die nahe Schlacht an der Katzbach das Zeichen zur Befreiung gab. Im Triumph ward nach dem Friedensschluß unter Führung Vater Jahns die Wahlstatt turnerisch durchwandert; die Welt war vorwärts gegangen, aber das Haus zurück: nach dem Tode des Vaters umgaben den Heranwachsenden Kummer und Sorge der Mutter und der Schwestern. Nimmt man jene Kränklichkeit des Knaben hinzu, so begreift sich, daß es zur vollen Entfaltung der unerschöpflich frohen Laune, die ihn später so eigen auszeichnete, damals doch nicht kam; noch als junger Mann hat er selber fast beklagt, daß er von der schlesischen Gemüthlichkeit, die Jeden anspreche, in seiner Person nur wenig darstelle. Er erkannte darin eine norddeutsche Ader; wenn er deren besaß, so war es vor allen die der Ausdauer. Wie rühmlich er sich in den trüben Erfahrungen der Jugend zusammennahm, beweist das Sittenzeugniß, mit dem man den Siebzehnjährigen zur Universität entließ; es schildert ihn als verträglich, gefällig, allgemein beliebt, noch umständlicher jedoch als gerade, willig gegen das Gesetz, pflichttreu, bescheiden, besonnen u. s. w. Zu Ostern 1815 von der Elementarschule auf die Ritterakademie der Vaterstadt verpflanzt, erwarb er, auch an Lerneifer und angestrengtem Fleiß ein Musterschüler, in sechsjährigem Cursus die [53] tüchtige Gymnasialbildung der Zeit. In den alten Sprachen, im Deutschen, wie in der Geschichte erntet er reiches Lob; die glücklichste Anlage beweist er indeß für die Mathematik, in der er von Haus aus allen Genossen einen weiten Vorsprung abgewinnt. Nachdem er an Mitschüler auch in anderen Gegenständen öfters Privatstunden ertheilt hat, wird ihm als Primaner sogar der öffentliche Unterricht in der zweiten arithmetischen Classe übertragen. Er bewährte dabei, wie das Abgangszeugniß sagt, „Lust, Fähigkeit und Geschicklichkeit zum Lehrfach, dem er sich widmen will“.

Im Frühling 1821 bezog D. die Hochschule der Provinz und hat dort sechs Semester hindurch auch der classischen Philologie bei Passow und Schneider, der Geschichte bei Wachler ein emsiges Studium zugewandt. Ein humanistischer Gesichtskreis, ein starkes historisches Interesse, zumal für die Entwicklung der exacten Wissenschaft, sind ihm daher noch als ausübendem Naturforscher stets zu eigen geblieben. Hierzu aber fühlte er sich doch von Anfang an überwiegend bestimmt und entschied sich noch in Breslau endgültig für diese Richtung. Zwar zog ihn der Chemiker N. W. Fischer nicht besonders an, und die liebenswürdig begeisterte Vielseitigkeit eines Steffens ging über allgemeine Anregung nicht hinaus; ganz anders stand es dagegen mit dem Mathematiker H. W. Brandes. Dieser gediegene Gelehrte und treffliche Docent, der, im Grenzgebiet der Physik und Astronomie erfolgreich thätig, auch meteorologischen Fragen eindringende Theilnahme bewies, hat auf Dove’s wissenschaftliche Bahn in der That beträchtlich eingewirkt; er zog ihn bei seinen Sternschnuppenbeobachtungen zu und entließ ihn ausdrücklich als einen seiner vorzüglichsten Schüler. Gewöhnt, mit seiner Zeit gleich gut wie mit seinen knappen Mitteln hauszuhalten, wußte D. auch sonst aus den Breslauer Studienjahren Nutzen zu ziehen. Nationale Gesinnung bewog ihn zum Eintritt in die Burschenschaft Arminia; doch ward er als harmloses Mitglied bei der Relegation zur Begnadigung empfohlen und nicht wesentlich behelligt. Seine Ferienwanderungen dehnte er jetzt bis über den Harz und Thüringen aus; im Semester befreundete er sich mit der schönen Litteratur und dem damals blühenden Theater. Gegen das eigene Verstalent, dies Gemeingut der Schlesier, wie er selber scherzt, zeigt er weise Enthaltsamkeit; desto unbefangener erfreut er sich an wahrer Poesie. Neben Goethe, den er lebenslang unablässig las, gewann er Kleist besonders lieb; mit gleichem Verständniß ergriff er später die Werke der Engländer und Franzosen. Sein Sinn für Musik, der ihm im Bereich der Akustik zu gute kam, blieb zu seinem Bedauern praktisch unausgebildet; aber noch nach Jahrzehnten erleichterte er mitten in der Berechnung seiner Tausende von meteorologischen Mittelwerthen am liebsten sein Herz im Trällern einer Melodie von Mozart oder Weber, wie er sie als Student mit unendlichem Vergnügen von der Bühne aufgenommen. Trotz alledem trieb ihn ein höher gerichtetes Verlangen aus der Heimath fort; zu Ostern 1824 wandte er sich nach Berlin: von der dortigen Universität erhoffte er den rechten Abschluß seiner Studien.

In der Hauptstadt erhielt er von dem Wohlwollen Johannes Schulze’s die Erlaubniß, auch ohne Immatriculation Vorlesungen zu hören; bald darauf ward die Relegation gegen die üblichen Erklärungen vollends suspendirt. Zum Militärdienst untauglich befunden, durfte er ungestört seinem Ziele zustreben. Die weiträumige Stadt mit ihrer dürftigen Umgebung berührte seinen Natursinn anfangs fremd; „aber das geistige Leben, welches ich da fand“, setzt er diesem Geständniß hinzu, „und das man erst schätzen lernt, wenn man nicht darin aufgewachsen ist, entschädigte mich bald“. Berlin befriedigte derzeit ein vielseitiges Bildungsbedürfniß im zwanglosen Verkehr einer bürgerlich guten [54] Gesellschaft; in diesen sah sich auch der junge D. durch den Physiker Paul Erman eingeführt, der ihm auf Brandes’ Empfehlung väterlich entgegenkam. Seitdem fühlte er sich über die provinziale Enge der Heimath für immer hinausgehoben. Den Verwandten, den Schul- und Studiengenossen blieb er anhänglich gesinnt, gern hat er noch lange Zeit für sich und die Seinen schlesische Bäder und Sommerfrischen ausgesucht; der Horizont seines Geistes hatte jedoch seinen Mittelpunkt in Berlin gefunden. Seine Kenntnisse in Mathematik und Physik ergänzte er nun bei Dirksen und Erman; außerdem schrieb er 1824–25 vier Hauptcollegien des majestätisch thronenden Hegel nach. Von dem mächtigen Impulse des Systems nach der geschichtlichen Seite hin behielt er einen dauernden Eindruck, das Irrlicht speculativer Naturphilosophie hat ihn dagegen nie einen Schritt vom Wege der empirischen Forschung weggelockt; laut und fest ist er stets gegen die Anmaßung der philosophischen Spinnstube der Hegelianer aufgetreten. Mittlerweile rüstete er sich mit Ernst zur Doctorprüfung. Die ferne Mutter, die nicht ohne schüchternen Zweifel, ob solch ein Aufwand unumgänglich nöthig sei, das von ihm als Darlehen erbetene Geld doch von Herzen hergab, hat den glänzenden Erfolg des guten Sohnes leider nicht erlebt. Am 4. März 1826 ward D. nach löblich bestandenem Examen auf Grund einer Brandes gewidmeten Dissertation „de barometri mutationibus“ promovirt. Die Arbeit sammelt die seit den Tagen Delucs[WS 1] (1772) über die Schwankungen des Barometers beobachteten Thatsachen und wägt die zu ihrer Erklärung vorgebrachten Meinungen, um zuletzt eine eigene Entscheidung zu versuchen. Sie verbindet Kritik mit Belesenheit, bewegliche Vorstellung mit bewußter Präcision; für ein Grundthema der Meteorologie zieht sie die Summe der bisherigen Wissenschaft und deutet, noch fern von dem Wagniß hypothetischer Gesetze, vielmehr auf künftige Probleme hin, die zum Theil – wie Ursprung, Fortrücken und gegenseitige Lage der Minima und Maxima des Luftdrucks – erst in modernen Tagen nach Ablauf der Herrschaft der späteren Dove’schen Windtheorie in den Vordergrund getreten sind. Kein Wunder, daß eine so reife Leistung in und außerhalb der Facultät volle Anerkennung fand. Erman empfahl den jungen Doctor, dem er eine ungewöhnliche Laufbahn weissagte, dem Minister Altenstein, und sofort erhielt D. eine Anstellung als Privatdocent der Physik mit einem Gehalt von 200 Thaler an der Universität zu Königsberg.

Als der zweiundzwanzigjährige schmächtige Docent seinen ersten Anschlag am schwarzen Brett überlas, schlug ihm ein alter Bursch mit der freundlichen Frage auf die Schulter: „Nun, Füchslein, hast du dir schon deine Collegia ausgesucht?“ „Ich will bei D. hören“, lautete die schelmische Antwort. „Das ist nur gut“, gab der Frager zurück, „da wirst du wohl all seine Weisheit allein genießen.“ Aber er blieb nicht allein – so schloß Helmholtz die Erzählung dieser Königsberger Anekdote. Mit stetem Beifall las D. dritthalb Jahr über allgemeine Physik oder deren besondere Disciplinen und erlangte rasch eine sichere Leichtigkeit in der Behandlung des Einzelnen wie des Ganzen. Nach dem vierten Semester ward er zugleich mit F. E. Neumann zum außerordentlichen Professor ernannt. Ueberhaupt schwang sich damals in Königsberg die Naturwissenschaft vielversprechend auf; zu dem führenden Bessel blickte D. mit Verehrung empor, dem Zoologen v. Baer trat er nahe, mit dem jungen Physiker Moser und zumal dem genialen Mathematiker Jacobi schloß er herzliche Freundschaft. An dem geistigen Leben dieses Kreises nahm auch die im übrigen stille Stadt genießenden Antheil; die rührige physikalisch-ökonomische Gesellschaft, neben ihr die physikalisch-medicinische forderten im Winter 1827/28 auch D. zu einem Cyklus von Vorträgen auf. Er wählte [55] als Thema den „inneren Zusammenhang der Witterungserscheinungen“; denn der Meteorologie hatte er nun erst recht seine productive Gedankenarbeit geweiht. Schon seine Habilitationsschrift (die ungedruckt bei den Facultätsacten ruht) handelte de distributione caloris per tellurem – sein erster Schritt auf das Feld der Klimatologie, das er später so fruchtbar bestellen sollte. Mit wissenschaftlicher Freude begrüßte er das nahe Meer, den scharf ausgesprochenen Winter; zu Schlitten und Schlittschuh fuhr er meilenweit auf dem gefrorenen Haff. Seit dem September 1826 beobachtete er gleichzeitig Windrichtung und Barometer und stieß sofort auf eine überraschende Erscheinung. Während das Instrument eine Welle des Luftdrucks auf und ab beschrieb, drehte sich der Wind in der Folge von Süd, West, Nord, Ost, Süd ohne jeden Rücksprung durch die ganze Rose. Mehr oder weniger deutlich wiederholte sich das Phänomen, D. fand es für andere Orte Europas aus den bisher so spärlichen Beobachtungen bestätigt, jene Windfolge an sich als Regel schon seit Bacon litterarisch bezeugt. Die Reihe solcher Zeugnisse hat er nachmals bis auf Aristoteles zurück verfolgt; daß auch Kant in einem Vorlesungsprogramm von 1756 die Thatsache berührt hatte, und zwar in Verbindung mit einer allgemeinen Windtheorie, war nach siebzig Jahren selbst in Königsberg vergessen. Das Originelle an Dove’s eigener Entdeckung bestand sonach in der Combination jener regelmäßigen Winddrehung mit dem entsprechenden Verhalten des Barometers, wozu er alsbald auch die Veränderungen der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit in verständliche Beziehung setzte. Die Summe seiner Wahrnehmungen und Berechnungen erklärte er ansprechend durch die Hypothese zweier in der gemäßigten Zone einander begegnender, abwechselnd einander verdrängender Luftströme, eines äquatorialen und eines polaren, die jedoch durch die Erdrotation abgelenkt bei uns als Südwest und Nordost, auf der südlichen Erdhälfte in entgegengesetzter Umbiegung auftreten mußten. Die Verknüpfung mit den längst bekannten ständigen Erscheinungen des tropischen Gebiets ergab sich aus dem kurz zuvor durch Leopold v. Buch auf den canarischen Inseln ermittelten Herabsinken des Gegenpassats; wie denn die meteorologischen Arbeiten gerade dieses Forschers auf Dove’s selbständige Anfänge – wie z. B. auch bei der Berechnung seiner mannigfachen Windrosen – sichtlich den größten positiven Einfluß ausgeübt haben.

Schon früh hie und da bestritten, von ihm selbst unermüdlich vertheidigt und weiter ausgestaltet, hat Dove’s „Drehungsgesetz“ im ganzen unerschüttert ein Menschenalter hindurch als die erste genugthuende Gesammtordnung der Erscheinungen im Luftkreise gegolten. Daß es einem unendlich vervielfältigten Beobachtungsmaterial gegenüber am Ende nicht Stand hielt, thut seiner epochemachenden Bedeutung keinen Eintrag. Die neuere wissenschaftliche Witterungskunde bedurfte jedenfalls – wie ähnlich ihrerzeit die Geologie – von vorn herein der Generalisation durch kühne, zugleich überall zum speciellsten Studium anreizende Vermuthung. Der unmittelbare Zusammenhang aller atmosphärischen Veränderungen in Temperatur, Druck, Strömung und Feuchtigkeit mit ihren Niederschlägen, ihre gemeinsame und ausschließliche Abhängigkeit von der Sonnenwärme und der Erdoberflächengestalt, die Nothwendigkeit gleichzeitiger Compensation entgegengesetzter örtlicher Abweichungen von der Mittellage, die äußere und innere Einheit der einfachen tropischen Verhältnisse und der so verwickelten Vorgänge in höheren Breiten, für die letzteren die Statuirung erkennbarer Gesetze statt des Zufalls überhaupt – alle diese meteorologischen Ideen, bisher im besten Falle wenig mehr als bloße theoretische Postulate, sind in der That erst durch Dove’s weittragende systematische Hypothese lebendig in Scene gesetzt worden: die Bahn war gebrochen für eine planvolle universelle [56] Wetterforschung, beseelt von Ernst und Zuversicht. D. legte die Resultate seiner umwälzenden Studien in einer großen Abhandlung nieder, die in fünf Abschnitten – „Einige meteorologische Untersuchungen über den Wind, über den Zusammenhang der Hygrometeore mit den Veränderungen der Temperatur und des Barometers, über das Gewitter, über mittlere Luftströme, über barometrische Minima“ – 1827–28 im 11. und 13. Bande von Poggendorffs Annalen erschien. Buch, dem das Manuscript vorgelegt worden, hatte erklärt, die Arbeit entspreche schlechtweg seinem Ideal einer wissenschaftlichen Meteorologie und sei schleunigst als Muster bekannt zu machen. Merkwürdig ist übrigens, daß darin Dove’s Ansicht vom Wesen seiner Entdeckung im einzelnen noch so elastisch erscheint, daß sie auch zur modernen Cyklonenlehre einige Hinneigung verräth: alle Winddrehung hätte er eigentlich am liebsten auf die Wirbelform zurückgeführt. Insbesondere wies er schon hier für den großen europäischen Sturm von Weihnachten 1821, den sein Lehrer Brandes irrig durch die Annahme centripetaler Strömungen zu erläutern versucht hatte, mit eindringendem Scharfblick vielmehr die Natur eines Wirbelsturmes nach und legte so den Grund zu der noch heute gültigen, praktisch so wichtig gewordenen Theorie dieser gewaltigsten atmosphärischen Begebenheiten.

In Berlin tagte im September 1828 unterm Vorsitz des unlängst aus Paris heimgekehrten Alexander v. Humboldt die berühmteste der sechs Jahr früher gestifteten Versammlungen deutscher Naturforscher. Auch der junge D. war über Warschau herzugereist; seine Leistung gewann ihm die Theilnahme der Sachkenner, vor allen Humboldts selbst als der größten meteorologischen Autorität. Es war der Anfang einer persönlichen Beziehung, die durch dreißig Jahre ungetrübt sich zu vielseitigem Einverständniß ausgebildet hat. Die nämlichen Tage bezeichnet D. als eine Epoche seines inneren Lebens, wodurch dieses erst den eigentlichen wahren Inhalt empfangen habe. Schon als Berliner Student hatte er der aufblühenden Schönheit einer Nichte Ermans, Luise Oetzel (1810–77), Tochter des als Geograph bekannten Generalstabsmajors (später Generals v. Etzel, s. A. D. B. VI, 402 f.) seine erste Herzensneigung zugewandt. Jetzt beim Wiedersehen faßte er den Entschluß zur Verlobung, die zu Weihnachten 1828 stattfand. Dies war der vornehmste Grund, aus dem er schon im October das Ministerium um Versetzung an die Berliner Universität ersuchte; ein Tausch, der ihm freilich auch im Interesse seiner wissenschaftlichen Entwicklung zu liegen schien. Er erhielt eine kleine Zulage und halbjährigen Urlaub, jedoch unter der Bedingung unfehlbarer Rückkehr auf seinen Königsberger Posten, den er denn auch Ostern 1829 pflichtgemäß – für ein letztes Semester – wieder einnahm. Aufs neue wirkte er dort mit erfreulichstem Erfolg: auf die Bitte von Professoren, Aerzten und Offizieren hielt er für diese neben seinen anderen Vorlesungen noch ein drittes Privatcolleg über Experimentalphysik. Zugleich jedoch erfuhr er eine Zurücksetzung, die er als Unbilligkeit empfand. Während seines Urlaubs war K. G. Hagen gestorben, der in seinem Ordinariat Physik mit Mineralogie vereinigt hatte; die Facultät schlug zum Nachfolger für jenes Fach D., für dieses Neumann vor. Aber Neumann hatte in Dove’s Abwesenheit das gewichtige Fürwort Bessels erlangt, und das Ministerium übertrug daher ihm nach einigem Zögern die ungetheilte Stelle. D. verkannte die Bedeutung des begünstigten Collegen keineswegs, doch habe dieser seit der Habilitation noch keine Zeile publicirt; vor allen Dingen begriff er nicht, warum man ihn selber wider seinen Wunsch nach Königsberg zurückgeschickt, um ihn dann doch von der verdienten Beförderung auszuschließen. Unbedenklich knüpfte er in Berlin Unterhandlungen an, die ihm für den Herbst ein Lehramt am Friedrichsgymnasium auf dem [57] Werder in Aussicht stellten; unter Hinweis hierauf wiederholte er seine Bitte um Versetzung. War es Aerger über solchen Eigenwillen, oder lediglich die Sparsamkeit der damaligen Verwaltung: Altenstein genehmigte zwar die Uebersiedelung, strich jedoch zwei Semester lang das Gehalt und ließ auch danach elf Jahre lang D. bei einer Universitätsbesoldung von 200 Thaler verharren, ohne jede Rücksicht auf Würdigkeit und Ruf. Von Dank und Bedauern seiner ostpreußischen Zuhörer und Collegen geleitet – Baer bezweifelte, daß D. je wieder so viel Liebe finden werde wie in Königsberg – zog dieser im Herbst 1829 für immer nach Berlin; seine Wanderzeit nahm mit seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr ein Ende.

Gleich nach seiner Ankunft in Berlin ward D., wie andere junge Physiker und Astronomen, zu den Beobachtungen herangezogen, die nach Humboldts Anleitung im eisenfreien Häuschen des Mendelssohn-Bartholdy’schen Garten in Correspondenz mit Freiberg, Petersburg u. s. w. über die täglichen Veränderungen der magnetischen Abweichung angestellt wurden; die Ehre, die Ergebnisse zu bearbeiten, fiel ihm zu und damit die Gelegenheit, auch die Erscheinung des Nordlichts aufklärend zu berühren. So trat er als ebenbürtiges Glied in den Kreis aufstrebender Gelehrter ein, durch deren Zusammenwirken die preußische Hauptstadt für Jahrzehnte zur vornehmsten Stätte der endlich auch in Deutschland kräftig entfalteten exacten Wissenschaft geworden ist. Unter den im Alter wenig verschiedenen Genossen sind ihm da besonders Poggendorff, Rieß, die Brüder Heinrich und Gustav Rose zeitlebenes in wärmster Vertraulichkeit zugethan geblieben; nicht erheblich ferner standen ihm Magnus, Dirichlet und der früh Verstorbene August Seebeck. Von Jüngeren schlossen sich hernach du Bois Reymond und Siemens dieser Gruppe lebhaft an; aber D. in seiner munteren Umgänglichkeit wußte beinahe mit allen Gefährten, sogar mit dem stacheligen Steiner, freundlich auszukommen. Ungemein auf sich selber gestellt war die ganze Generation, von der freigebigen Staatshülfe späterer Tage keine Rede; den größten äußeren Schwierigkeiten indeß hatte ohne Zweifel D. seinen Antheil an der gemeinsamen Production durch Talent und Charakter abzuringen. Im Herbst 1830 führte er die Gattin heim, die ihm fast siebenundvierzig Jahre lang in glücklichster Ehe hingebend zur Seite stand; der Verbindung entsprossen acht Kinder, darunter vier Söhne. Um dies Haus zu erhalten, in dessen Leben er während der kurzen Pausen seiner Arbeit seine hellste Freude fand, mußte D. sich auch außerhalb der Universität mit einer Lehrthätigkeit beladen, wie sie unter Männern seines wissenschaftlichen Ranges und Verdienstes kaum ihresgleichen hat. Zwölf Jahre lang blieb er auf den eigentlichen Schulunterricht in Mathematik und Physik angewiesen; 1834 vertauschte er die Stelle am Werder’schen mit einer besseren am Friedrich-Wilhelmsgymnasium und war daneben selbst an der Luisenstiftung für Lehrerinnen eine Weile beschäftigt. 1838 begann er eine fast vierzigjährige Wirksamkeit an der Allgemeinen Kriegsschule (später Kriegsakademie) mit Vorlesungen über physikalische Geographie, denen sich 1843 solche über Experimentalphysik anreihten; von 1840–50 lehrte er außerdem Physik an der Artillerie- und Ingenieurschule. 1849 ward ihm der physikalische Unterricht am Gewerbe-Institut (heute Technische Hochschule) übertragen, den er neunzehn Jahre hindurch ertheilt hat. Sieht man von Episoden ab, wie den Vortragscursen in der Polytechnischen Gesellschaft in den funfziger, am Statistischen Seminar in den sechziger Jahren, so ergibt sich doch auch so, die Universitätscollegien eingerechnet, für die Zeit von 1829–41 die Summe von 24–30 wöchentlichen Lehrstunden, die erst dann unter 20, erst 1868 unter 12 herabsinkt. Zum Glück wuchs inmitten solcher Mühseligkeiten seine Körperkraft. Bis zum [58] vierzigsten Lebensjahr bedurfte er noch bisweilen dringend einer stärkenden Brunnen- oder Badekur, und die Bildnisse aus jener Zeit zeigen in dem länglichen, von weichem dunkelbraunen Haar umrahmten Antlitz mit seinen lichtblauen Augen und dem feinen Schwung der Züge eine eigene Mischung von Zartheit und Entschiedenheit. Auf der Höhe des Mannesalters aber erscheint er zäh gesund, untersetzt und breit, mit vollerem, unternehmendem, geistig ausgemeißeltem Gesicht; früh ergraut, aber über dem militärisch stattlichen Schnurrbart tiefe Spuren eines Humors, der gewohnt ist, über Tages Last und Widerwärtigkeit zu triumphiren.

Allen Aufgaben nun jener mannigfachen Unterrichtspflicht hat sich D. stets mit dem gleichen Eifer unterzogen; Vergnügen machte ihm besonders auf der Kriegsschule, wo er auch ein ansehnliches Cabinet von physikalischen Instrumenten zu verwalten hatte, der persönliche Verkehr mit der frischen Hörerschaft der künftigen Generalstabsoffiziere. Seine wahre Bestimmung aber sah er doch immer in der Universität und empfand es bitter, daß man ihn dort so lange äußerlich als unbequemen Eindringling betrachtete und behandelte. Erst 1841, als er bereits vier Jahre der Akademie der Wissenschaften als Mitglied angehörte und als vielseitig bedeutender Forscher weit über Deutschland hinaus in Ansehen stand, verschaffte ihm ein lockender Ruf nach Dorpat daheim unter dem neuen Minister Eichhorn ein Gehalt, das ihm wenigstens die Gymnasialstunden aufzugeben erlaubte. Ein Jahr darauf bot ihm die preußische Behörde selber ein Ordinariat an der rheinischen Hochschule an; er lehnte ab, weil er in Bonn das litterarische Material zum vollen Betrieb seiner meteorologischen Arbeiten niemals finden werde. So bedurfte es denn noch neuer Rufe nach Freiburg und Jena wie des mahnenden Antrags der eigenen Facultät, bis ihm Anfang 1845 eine ordentliche Professur der Physik in Berlin übertragen ward. Seitdem nahm er endlich an der geliebten Anstalt, zu deren Zierden er innerlich längst gehörte, die gebührende Stellung ein, ward seiner praktischen Begabung gemäß wiederholt zum Decan, zweimal zum Rector erwählt und erschien überhaupt im Gesammtleben der Körperschaft als eine wesentliche, in ihrer charaktervollen Haltung schwer hinwegzudenkende Gestalt. Für die Ausübung seines Lehramts aber war auch damit keineswegs jedes Hinderniß überwunden. Die Universität besaß einen geringen physikalischen Apparat, den der reiche Magnus erst aus eigenen Mitteln auf die Höhe brachte. D., dem die Mitbenutzung versagt blieb, mußte sein Leben lang die Instrumente zu jeder Vorlesung erst vom Gymnasium, dann von der Kriegsschule im Marktkorb herbeischaffen lassen; Zerbrechliches trug er ohne Umstände selbst in der Hand. Einen besoldeten Assistenten erhielt er erst 1868, nahe dem Ausgang seiner Laufbahn. Trotz alledem las er Jahrzehnte hindurch mit ununterbrochenem Zudrang und beneidenswerthem Erfolg. Anfangs begegnet unter seinen Themen neben der Experimentalphysik und ihren einzelnen Zweigen, worunter besonders häufig Optik und Elektricität, auch theoretische Physik, deren spätere, abstract mathematische Entwicklung er jedoch nicht weiter verfolgt hat; an den ersteren hielt er dagegen bis in höhere Jahre fortschreitend fest, sein vornehmstes Colleg blieb immer, im Wechsel mit Magnus, Experimentalphysik im ganzen, auf zweimal zwei Stunden wöchentlich vertheilt. Der Besuch seines einstündigen Winterpublicums über Meteorologie, das er dreißig Jahre lang im größten Hörsaal regelmäßig zwei- bis dreihundert Zuhörern vortrug, galt zu jener Zeit für einen nothwendigen Bestandtheil allgemeiner akademischer Bildung. Die Wirkung seines physikalischen Unterrichts strahlte sozusagen nach zwei Richtungen auseinander. Schule zu machen, eine Reihe von Nachfolgern in seiner Wissenschaft durch directe Anleitung zu eigener [59] Production heranzubilden, war unter den äußeren Umständen seines Docententhums unthunlich und lag wohl auch an sich nicht recht in seiner Art. Wohl aber empfingen auch solche Geister, und zwar die selbständigsten am sichersten, durch sein bloßes Vorbild Anregung und Förderung in reichem Maß; während demgegenüber eine nach Tausenden zählende Menge von Schülern außerhalb des Fachs, Gymnasiallehrern, Aerzten, Apothekern u. s. f. dank der Klarheit, Lebendigkeit, ja selbst dem vielgepriesenen Witz seiner Darstellung, die durch rasches und geschicktes Experimentiren glücklich unterstützt ward, den freien und hellen Ueberblick über den wesentlichen Inhalt des physikalischen Wissens nach Wunsch gewann. Das eine wie das andere bezeugen die Worte du Bois-Reymonds: „Nicht leicht hat so wie Sie ein Lehrer auf dem Katheder empfänglichen Naturen, gleichsam durch geistige Transfusion, seine eigene hohe Denkart eingeflößt, und nicht leicht traf in deutscher Sprache einer besser als Sie den Ton allgemein faßlichen, heiter belehrenden Vortrags.“ „Ich kann aus eigener Erfahrung nicht genug rühmen“, bestätigt Helmholtz, „wie D. die Freude an kühnen und scharfsinnigen Gedankencombinationen und an der geistreichen Ueberwindung von praktischen Schwierigkeiten auf seine Schüler zu übertragen wußte; die nachfolgende Generation, die zu seinen Füßen gesessen hat, gibt in ihren Arbeiten davon Kunde. Und für die Anfänger war es ebenso belebend, daß er ihrer Anschauung durch in die Augen fallende witzige Einfälle, durch treffende Bilder, die das Verständniß sofort für die Erinnerung fixirten, zu Hülfe kam.“

Die dergestalt der mündlichen Lehrweise Dove’s nachgerühmten Vorzüge haben auch litterarisch dauernde Spuren hinterlassen. Als Muster für eine zugleich das Denken beschäftigende und die Phantasie ergötzende Behandlung naturwissenschaftlicher Gegenstände galten lange die gelegentlich in der Singakademie vor gemischtem Publikum gehaltenen Einzelvorträge, deren Druck jedesmal stürmisch verlangt ward und die zum Theil in mehrfacher Auflage verbreitet sind. So „Die Witterungsverhältnisse von Berlin“ (1842), „Ueber Wirkungen aus der Ferne“ (akustischen Inhalts, 1845), „Ueber Elektricität“ (1848), „Der Kreislauf des Wassers auf der Oberfläche der Erde“ (1866); ihnen schließt sich die Ansprache beim Stiftungsfest der Berliner geographischen Gesellschaft von 1858, sowie die akademische Gedächtnißrede auf Alexander v. Humboldt von 1869 liebenswürdig an. Methodisch strenger, doch ebenfalls in edlem Sinne populär gehalten sind unter den eigentlichen Schriften Dove’s die beiden Schulprogramme von 1833 und 1838: „Ueber Maß und Messen“ und „Die neuere Farbenlehre mit anderen chromatischen Theorien verglichen“. An jenem erfreut die interessante Verarbeitung eines trockenen Stoffs bei höchster Bestimmtheit, in diesem wird die bisweilen schwierige physikalische Erörterung angenehm belebt durch weite historische Perspective, wie durch scharfe Polemik gegen die Goethe’sche Farbenlehre und deren täppische Vertheidigung von Seiten Hegels und der Seinen; von zahlreichen eigenen „optischen Studien“ begleitet (denen 1859 eine zweite Sammlung folgte), erschien die „Darstellung der neueren Farbenlehre“ 1853 in erweiterter Gestalt. Als wissenschaftlicher Bearbeiter fremder und eigener Forschung zum Nutzen der Fachgenossen zeigt sich uns D. in seinem „Repertorium der Physik“, das er nach Fechners älterem Beispiel im Verein mit Königsberger und Berliner Freunden 1837–49 in acht Bänden herausgab. Er selbst übernahm dabei außer der Gesammtredaction in den ersten fünf Bänden die umfassende Berichterstattung über die Fortschritte in allgemeiner Physik, Meteorologie und Wärmelehre nebst der Bibliographie der Optik, des Magnetismus und der Elektricität. Das Werk, [60] von den Zeitgenossen dankbar bewillkommnet, dient noch heute als Fundgrube zuverlässiger Litteraturangaben.

Mittlerweile hatte D. schon seit 1832 eine lange Reihe experimenteller Untersuchungen eröffnet, durch die er in die allgemeine physikalische Bewegung jener Zeit, als deren größten Meister er Faraday bewunderte, mit selbständigen, oft höchst originellen Ideen wirksam eingriff und die Lehre vom Licht, von der Elektricität und dem Magnetismus, gelegentlich auch die vom Schall, durch eine Fülle charakteristisch feiner Wahrnehmungen bereicherte. Theoretische Aufklärung schloß sich ungezwungen daran, die Gabe zweckmäßiger Erfindung bewährte sich in der Construction von Apparaten: die Berliner Mechaniker bekamen durch D. zu denken und zu thun. In der Akustik, in der er sich namentlich mit den Interferenzerscheinungen abgab, ersann er (1851) die mehrstimmige Sirene. In der Optik begann er mit dem Studium der Polarisation, das er Jahrzehnte hindurch mit Vorliebe pflegte; sein Polarisationsapparat (von 1834) und das Rotationspolariskop erinnern daran in den Sammlungen, mancher seiner einschlagenden Versuche wird in den Vorlesungen herkömmlich wiederholt. Von da ging er einerseits über zu krystallographischen Darlegungen, andererseits zur Farbenlehre überhaupt, in der er zumal die Methoden zur Erzeugung und Beurtheilung subjectiver Farben sinnreich ausbildete. Ausdauernde, glückliche Bemühung widmete er der Stereoskopie und dem Wesen des zweiäugigen Sehens im allgemeinen. Er erfand das Prismenstereoskop und eine ganze Reihe ähnlicher Constructionen, lehrte 1851 die Nachahmung des Glanzes auf dem Wege der Stereoskopie, 1859 die Anwendung des Stereoskops, um falsches von echtem Papiergeld oder auch sonst Copien vom Original zu unterscheiden. Aus dem Bereich der Reibungselektricität behandelte er Ladungsstrom und Flaschensäule; von eingreifender Bedeutung sind seine bereits 1833 anhebenden elektromagnetischen Forschungen, von denen er die wichtigsten 1842 in einer akademischen Abhandlung als „Untersuchungen im Gebiete der Inductionselektricität“ zusammenfaßte. Durch seinen Differential-Inductor isolirte und individualisirte er die Erscheinungen des Nebenstroms, wodurch vornehmlich zur Erkenntniß der physiologischen Wirkungen der Elektricität der Weg geebnet ward. Die meisten Arbeiten dieser Art wurden der Akademie vorgetragen, zu deren thätigsten Mitgliedern zu zählen D. sich zur höchsten Ehre schätzte.

Ueberschaut man die Summe solcher Leistungen, so erkennt man einen Physiker von vielseitigem Talent und Fleiß, der fruchtbar ins Ganze gewirkt, ohne doch selbst in einer der bezeichneten Disciplinen ein Ganzes von eindrücklicher Größe hervorzubringen. Was wir hier vermissen, vollbrachte D. in seinem eigensten Bezirk, der Meteorologie, der gegenüber ihm für jene experimentellen Studien von Jahr zu Jahr mehr doch nur Nebenstunden übrig blieben. Ununterbrochen folgten einander nach seiner Uebersiedelung nach Berlin Aufsätze und Abhandlungen, in denen er die einst in Königsberg gefaßten meteorologischen Ideen erweiterte und entwickelte. 1831 zog er Passat und Monsun erörternd in ihren Kreis, 1834 und 1835 den Regen und seine Vertheilung auf der Erde – hernach ein Lieblingsgegenstand seiner klimatologischen Forschung. Im letztgenannten Jahr schritt er außerdem zu einer begründenden Ableitung seines Drehungsgesetzes aus dem verallgemeinerten Princip der Hadley’schen Passattheorie; insofern verhängnißvoll, als nun erst die Wirbelform, von den Stürmen abgesehen, von seiner Auffassung der Windphänomene ausgeschlossen ward. Sein damit wesentlich vollendetes System legte D. dann 1837 unter dem bescheidenen Titel „Meteorologische Untersuchungen“ in einem Hauptwerke dar, das nicht mit Unrecht die Grundlage [61] seines wissenschaftlichen Ruhms geworden ist. Denn wie vollständig auch immer die darin vorgetragene Theorie einige zwanzig Jahr später beseitigt ward, so besaß doch das nicht eben sehr umfangreiche Buch – es zählt nur 344 Seiten kleineren Octavs – für seine Zeit in zwiefacher Hinsicht hohe litterarische Bedeutung: in dieser besonderen Wissenschaft war noch nie eine ähnlich concentrirte geistige Arbeit ans Licht getreten, auch mit den besten Leistungen der damaligen Gelehrtenwelt auf anderen Gebieten aber hatte sie den Vergleich mit nichten zu scheuen. Als eine Inconsequenz in seinem sonst so einheitlich entworfenen Lehrgebäude empfand D. nun das Dasein der einst von ihm selber zuerst als solche erkannten Wirbelstürme, deren Natur inzwischen besonders Redfield und Reid aus dem originalen Studium der westindischen Orkane übereinstimmend ermittelt und beschrieben hatten. Er suchte deshalb 1841 ihren Ursprung und ihr Wesen in einer Abhandlung „Ueber das Gesetz der Stürme“ durch eine eigene, allerdinges unzureichende theoretische Ableitung mit seinen Ansichten von der Gesammtheit der Lustströmungen in Einklang zu bringen. Aus dieser Abhandlung erwuchs mit der Zeit ein stattliches Buch, das unter der Aufschrift „Das Gesetz der Stürme in seiner Beziehung zu den allgemeinen Bewegungen der Atmosphäre“ 1873 in vierter Auflage erschien, nachdem es schon seit Jahren in die vornehmsten Sprachen der Seefahrer übersetzt worden war. Es enthält und bewahrt in dieser Gestalt, da D. die allseitig anwachsende Beobachtung und Forschung aufmerksam prüfend verfolgte, eine Fülle anschaulich verarbeiteten empirischen Materials; während die seit der zweiten Auflage zum Schluß aufgestellten praktischen Regeln für das Verhalten des Schiffers bei herannahendem Sturm nach der modernen, mechanisch genaueren Kenntniß der Wirbelerscheinungen zum Theil nicht mehr für zutreffend gelten. Ein reales Interesse wirthschaftlicher Art berührten Dove’s Arbeiten aus den vierziger Jahren über den Zusammenhang der Wärmeveränderungen der Atmosphäre mit der Entwicklung der Pflanzen, wie über meteorologische und geologische Modificationen der Bodentemperatur.

Schon 1838 indeß, gleich nach jener systematischen Abrundung seiner meteorologischen Theorie, hatte D. der Akademie die erste seiner Abhandlungen „Ueber die nichtperiodischen Aenderungen der Temperaturvertheilung auf der Oberfläche der Erde“ vorgelegt und damit die mühevolle Bahn seiner gediegenen und dauerhaften Leistungen im Gebiete der Klimatologie beschritten. Im Auge hatte er freilich auch hierbei „die lebensvolle Wirklichkeit der meteorologischen Erscheinungen“. Indem er an die gewaltige Arbeit ging, die reale, „auf Zahlenwerthe gegründete Witterungsgeschichte“ zu erforschen und zu schreiben, soweit in Raum und Zeit die vorliegenden Temperaturbeobachtungen die Handhabe dazu boten, befeuerte ihn jedenfalls die Hoffnung, am letzten Ende auch in den nichtperiodischen Aenderungen selbst, den „Störungen“ der jährlichen Periode, Regeln aufzufinden, in denen er sozusagen die Ausführungsbestimmungen seines Drehungsgesetzes vermuthete. Der nächste und wichtigste Gewinn aber für die Wissenschaft bestand in dem Unterbau, dessen es zu solchem Zwecke bedurfte. Denn jene Störungen ließen sich gar nicht erkennen und beurtheilen, ohne daß gleichzeitig Maß und Art der periodischen Veränderlichkeit festgestellt wurden, wozu in der bisherigen, von Humboldt geschaffenen Klimatologie kaum ein schwacher Anfang gemacht war. So führte denn D. selbst dies klimatologische „Erdgeschoß“, wie er es einmal nennt, für das Gebäude der neueren Witterungskunde auf, und zwar auf so solidem Fundament und in so großem Stile, daß es bis heute nur geringe Umwandlungen erfahren hat. 1848 erschienen die „Temperaturtafeln nebst Bemerkungen über die Verbreitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde und ihre jährlichen periodischen Veränderungen“ [62] als Vorarbeit zu dem Kartenwerk der „Monatsisothermen“, das (1849) Alexander v. Humboldt zugeeignet ward, in Erinnerung an den 1817 von ihm unternommenen ersten Versuch einer graphischen Darstellung der Temperaturvertheilung wenigstens im Jahresmittel, wobei der durchschnittliche Gegensatz von Sommer und Winter nur durch beigeschriebene Zahlen angedeutet worden war. Die Gestalt der Jahresisothermen war dann (1832) durch Kämtz nach der maritimen Seite hin entwickelt worden; an Linien gleicher Monatswärme jedoch, auf deren realistischen Werth D. schon 1827 hingedeutet, hatte sich niemand gewagt, bis er nunmehr selber Hand ans Werk legte. „Sie sind, mein theurer D.,“ schrieb Humboldt, indem er die Widmung der „Riesenarbeit“ dankbar annahm, „der Gründer der neueren Meteorologie als Wissenschaft, wie Leopold v. Buch der Gründer der neueren Geognosie ist. Einzelne Menschen haben den Fortschritten der Meteorologie in einzelnen Theilen genützt, aber Sie haben mit soviel Geist als beharrlicher Thätigkeit das Einzelne wie das Große und Allgemeine erfaßt. Damit ist unsere Wissenschaft noch nicht fertig; es ist aber klarer, was zunächst ihr fehlt.“ D. selbst ließ es in dieser Erkenntniß an weiteren Fortschritten nicht ermangeln. Die zweite Auflage der Monatsisothermen von 1852 („Die Verbreitung der Wärme“ etc.) bereicherte er durch die höchst eigenthümliche, besonders sinnige Erfindung seiner „thermischen Isanomalen“, der Linien gleicher örtlicher Abweichung von der wiederum aus umfassender Empirie erschlossenen Normaltemperatur des betreffenden Breitenkreises. Auf den ersten Blick gewähren die so entworfenen Erdkarten überraschende Einsicht in die klimatische Gunst oder Ungunst der Lage etwa Europas oder Nordamerikas; die befremdende Gestalt der Isothermen selbst wird einleuchtend auf die sie bedingenden Ursachen in den geographischen Verhältnissen der Länder zurückgeführt.

Unermüdlich suchte D. auch fernerhin diese klimatologischen Darstellungen zu vervollkommnen. Nachdem durch den Aufschwung der Polarexpeditionen in den funfziger Jahren sichere Daten für die Erkenntniß des arktischen Klimas herbeigeschafft worden, über dessen Natur er sich niemals den phantastischen Illusionen manches Zeitgenossen hingegeben hat, wandte er bei der wiederholten Verbesserung seiner Isothermkarten (1855, 56 und zumal 64) die geschlossene Polarprojection an. Alte und neue Forschung findet sich vereint in den beiden Sammelbänden, die unter dem Titel „Klimatologische Beiträge“ 1857 und 69 ans Licht traten; wobei bemerkt werden mag, daß D. überhaupt, während seine zahlreichen Publicationen jederzeit reich an sachlichem Zuwachs waren, auch andererseits nie Bedenken trug, das einmal oder öfter präcis von ihm Gesagte wörtlich zu wiederholen – schriftstellerischer Ehrgeiz über das wissenschaftliche Interesse hinaus war ihm unbekannt. Im zweiten Bande jener „Beiträge“ erreichte denn auch die dreißigjährige bewundernswerthe Arbeit an den „nichtperiodischen Aenderungen“ ihren Abschluß; sechs früheren Abhandlungen (von 1840–59) reihte sich hier ein Nachtrag an und zugleich der Versuch, einige Hauptergebnisse aus dem Ganzen zu ziehen. Sieht man hierbei ab von den vermeinten Beziehungen auf das „Drehungsgesetz“, so können als wirkliche Erträge bezeichnet werden: die thatsächliche Feststellung einer auf anfangs über 200, später 2000 Beobachtungsstationen gegründeten, von Monat zu Monat durch 140 Jahre – 1729–1868 – fortschreitenden Geschichte der Schwankungen der Temperatur um den örtlichen Mittelwerth; die daraus hervorgehende Ueberzeugung von der säcularen Beständigkeit der klimatischen Verhältnisse im allgemeinen; die Wahrnehmung ferner, daß jene Schwankungen weder mit rein localen Ursachen, noch auch mit kosmischen Einflüssen etwas zu thun haben, sich vielmehr zur nämlichen Zeit im selben Sinn [63] über weite Gebiete erstrecken, während im ganzen betrachtet stets eine Ausgleichung der regionalen Gegensätze stattfindet. Dazu gesellt sich die anschauliche Schilderung bestimmter Typen der Abweichung vom Mittel, als sehr milder oder strenger Winter der Weinjahre, Mißwachszeiten und dergleichen; zum Theil wieder unterstützt durch kartographische Vergegenwärtigung mittels (1864) neu entworfener Linien gleicher einmaliger Abweichung, der sogenannten Isametralen, In der zeitlichen Aufeinanderfolge der so oder so charakterisirten Schwankungen ließ sich dagegen keinerlei Gesetz entdecken; insofern müßte das riesenhafte Unternehmen vor der Hand als meteorologisch erfolglos bezeichnet werden. Aehnlich gelang es D. in einer klimatologischen Monographie „Ueber die Rückfälle der Kälte im Mai“ (1857) zwar, dies für die Vegetation so oft verhängnißvolle Phänomen in seinem Auftreten, seiner Umgrenzung, seinem Verlauf in helles Licht zu setzen; in Bezug auf seine Ursachen aber blieb es bei dem negativen Resultat, daß sie keine kosmischen seien. Den Antrieb zu dieser Norddeutschland besonders angehenden Untersuchung empfing D. von seiner Stellung als Leiter des preußischen meteorologischen Instituts, wie hiermit auch der Entschluß zusammenhing, die jährliche Temperaturbewegung noch weit genauer durch Berechnung fünftägiger statt der monatlichen Mittel zu verfolgen. In drei umfassenden Publicationen gab D. selbst 1856–69 das Beispiel einer so ausführlichen „Darstellung der Wärmeerscheinungen“ über weite Räume und lange Zeiten hin. Die Eintheilung des Jahres in 73 Pentaden ward infolge dessen in alle Beobachtungssysteme eingeführt.

Längst zuvor war unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Leistungen Dove’s die Theilnahme an meteorologischen und vornehmlich klimatologischen Fragen ringsum mächtig gewachsen, am frühesten natürlich in dem weitherrschenden England. Schon bald nach 1840 setzten sich von dort aus Sabine und Herschel mit D. in Verbindung, um bei der Ausbreitung eines Netzes von Wetterwarten über die britischen Colonien auf seine Wünsche, seine Rathschläge zu achten. Zu persönlichem Besuche dringend eingeladen, nahm er 1845 einen Sommerurlaub und ward in London wie auf der Naturforscherversammlung in Cambridge mit Auszeichnung begrüßt. An Sabine gewann er lebenslang einen zartsinnig zuvorkommenden Freund; dessen Gattin hat, wie Humboldts Kosmos, so auch klimatologische Arbeiten Dove’s ins Englische übertragen. Nirgends im Ausland hat sich dieser bei wiederholter Einkehr so wohl gefühlt wie jenseits des Canals, wo er später auch Fitzroy herzlich nahe trat. In Paris dagegen, über das er damals nach einem Abstecher in die Hochlande den Rückweg nahm, fand er erst nach Jahren, so bei Leverrier, für seine Interessen rechtes Verständniß. Arago war ihm abgeneigt; diesem schrieb es D. zu, daß ihm von allen namhaften Akademien allein das französische Institut die Aufnahme nicht gewährt hat. Bald nach seiner Heimkehr hatte er die Freude, auch in Preußen auf Humboldts Betrieb die Organisation meteorologischer Beobachtungen von Staatswegen in Angriff genommen zu sehen. Dr. Mahlmann, der die erste Einrichtung besorgte, starb jedoch jung schon Ende 1848, noch bevor es zur Veröffentlichung von Ergebnissen gekommen war; an seiner statt ward D. mit der Direction des neuen, mit dem statistischen Bureau verbundenen Instituts betraut, die er dreißig Jahre lang in Händen behalten hat. Auch wenn man in Anschlag bringt, daß eben deshalb Zahl und Umfang seiner Lehrämter allmählich eingeschränkt ward, daß gleichzeitig unter seinen wissenschaftlichen Anliegen die physikalischen neben den meteorologischen mehr und mehr zurücktraten, muß die persönliche Arbeitsleistung des dem höheren Alter zuschreitenden Mannes Staunen erwecken. Die ganze Centralstelle bestand eigentlich aus ihm, dem Director, allein, die eingelaufenen [64] Beobachtungen ruhten in einem großen Actengestell zu Häupten seines Bettes; erst in den letzten zwölf Jahren hatte er zur Hülfe bei den Berechnungen einen einzigen Assistenten. Die Zahl der Stationen wuchs durch die Verdichtung des preußischen Netzes, den Anschluß anderer nord-, dann süddeutscher Staaten, zuletzt Elsaß-Lothringens unter seiner Waltung von 27 auf 168. Von 1849–71 machte er jeden Spätsommer eine Revisionsreise, oft von Memel bis Trier oder Sigmaringen, trug das Normalbarometer auf dem Rücken den Brocken hinauf und hielt es im rüttelnden Postwagen Masurens oder der Eifel behutsam in den Händen. Immerhin hatten diese äußeren Beschwerden auch ihre körperlich erfrischende Seite; ungleich zähere Geduld erforderte die rechnerische Bewältigung des Beobachtungsmaterials für die dichte Reihe der amtlichen Publicationen, zu denen sich noch eine Menge von zwanglosen Abhandlungen und Aufsätzen zur Klimatologie Norddeutschlands gesellte. Hierbei suchte und fand D. geistige Erfrischung in der wissenschaftlichen Wechselbeziehung, in die er diese speciellen Leistungen zu seinen gleichzeitigen generellen Untersuchungen setzte. Eben hierdurch gewann das preußische Institut, das im höheren Sinne Dove’s eigene Schöpfung war, eine innerlich überaus anregende, vorbildliche Bedeutung für die nach und nach im Ausland emporkommenden meteorologischen Anstalten, die an reicher Ausstattung und zweckmäßiger äußerer Organisation jenes Muster freilich je später, desto entschiedener übertrafen, so daß nach dem Tode des Meisters eine umfassende Reform daheim als unabweisbares Bedürfniß erschien.

Hatte doch auch das eigentliche Gelehrtenleben Dove’s die nur allzu gewöhnliche tragische Peripetie in besonders starker Ausprägung erfahren. In der Physik überhaupt, an deren Entwicklung er nur eben mitgeholfen, kann davon allerdings nicht viel die Rede sein; der Umschwung der funfziger Jahre, den seine Generation überrascht erlebte, berührte ihn auch deswegen verhältnißmäßig wenig, weil er längst den für ihn nicht leichten Entschluß gefaßt hatte, „einseitig zu werden, ganz zu sein in Einem, nicht halb in Vielem“. Die Entdeckung der Spectralanalyse nahm er noch mit Freuden auf; die mechanische Wärmelehre jedoch, wie die ganze mit ihr gegebene Wendung der Physik von der experimentellen nach der mathematischen Seite blieb ihm ziemlich fremd, und selbst von den genial erschöpfenden Arbeiten, die Helmholtz in der Optik und Akustik vollbrachte, hat er nicht mehr die eingehende Notiz genommen, zu der ihn seine eigenen Vorarbeiten vor anderen befähigten. Als Helmholtz 1871 an Magnus’ Stelle nach Berlin berufen worden, erkrankte D. bald, und so bildete sich mit jenem wie mit dem 1875 hinzutretenden Kirchhoff kein Gedankenaustausch mehr. Doch dies lag alles in der Natur der Dinge, ganz anders stand es dagegen bei der Meteorologie. Auch auf deren modern theoretische Umgestaltung, wie sie um das Jahr 1860 von verschiedenen Seiten angebahnt ward, haben freilich die strenger genommenen mechanischen oder allgemein physikalischen Principien wesentlich mit eingewirkt; die Hauptsache war jedoch hier die ungemeine Erweiterung und Verschärfung der Empirie durch die Masse der in Raum und Zeit gehäuften Beobachtungen, die nunmehr telegraphisch wechselseitig mitgetheilt die Möglichkeit boten, das wirkliche Wetter jedes einzelnen Tags für ein weites Gebiet in synoptischer Kartenzeichnung sofort zur Anschauung zu bringen, woraus dann der Uebergang des gestrigen in den heutigen Zustand der Atmosphäre fast von selbst in die Augen sprang. Man studierte die Vertheilung des Luftdrucks an und für sich, entwarf die Isobaren und erkannte die Cyklonenbewegung um die von Westen her über Europa heranziehenden Minima. Während andere Forscher die zuvor auf die Stürme beschränkte Theorie der Luftwirbel zugleich verallgemeinerten und feiner [65] ausführten, stellte der begabteste Nachfolger Dove’s, Buys-Ballot in Utrecht, seine berühmte Regel auf, die das Drehungsgesetz des älteren Meisters aus dreißigjähriger Anerkennung für immer verdrängte. Von dieser Umwälzung hat D. für sich vollkommen Kenntniß genommen, allein sich ihr anzuschließen, brachte er nicht übers Herz; ohne der neuen Lehre direct entgegenzutreten, wies er sie doch in den letzten Auflagen seines Gesetzes der Stürme in Seitenbemerkungen von der Hand. Merkwürdig: er selbst hatte den nun zum Siege gelangenden Ansichten anfangs überhaupt nicht fern gestanden, in der von ihm zuerst entwickelten Auffassung der Stürme stand er ihnen auch jetzt noch wenigstens theilweise nah; welcher Lebende hatte wie er durch Beispiel und Anmahnung das allgemeine Streben nach Erkenntniß der atmosphärischen Vorgänge in ihrer vollen Wirklichkeit beflügelt? Und dennoch schloß er sich, noch mitten in rastloser Production begriffen, von der Theilnahme an einem gewaltigen Fortschritt in jener Erkenntniß aus! Von Eigensinn kann bei einem der Wahrheit so tief ergebenen Forscher nicht die Rede sein, noch minder von Mißgunst bei seiner stets bewährten Gerechtigkeit gegen fremdes Verdienst. Buys-Ballot, der D. als „den Vater der zweiten Aera in der Meteorologie“ verehrte, ward von diesem seit jeher besonders hoch geschätzt; ja noch in seinen letzten Jahren bezeichnete D. im Gespräch den Utrechter Gelehrten ausdrücklich als den, der unter den jüngeren Meteorologen weitaus das Beste gethan. Kein Zweifel daher, daß er nur nicht mehr die geistige Geschmeidigkeit besaß, um sich noch von dem loszusagen, was ihm durch so lange energische Gewöhnung geradezu die Weltordnung seiner wissenschaftlichen Ideen bedeutete. Er äußerte gern: jeder wirksame Forscher habe eigentlich nur einen Gedanken gehabt; ihrer zwei zu haben, dazu gehöre ein Geist allerersten Ranges, wie Newton. Der eine Gedanke nun, den er sich selbst mit Genugthuung beimaß, war sein Drehungsgesetz. Nicht mit Unrecht beklagt der ihm herzlich ergebene Neumayer, daß D. auch in der Meteorologie persönlich keine Schüler erzogen, deren jugendlich selbständiger Zuspruch seine eigenen Ideen in späteren Tagen mehr im Flusse der Zeit erhalten hätte; doch lag die heroische Einzelarbeit, in der Wissenschaft wie in seinem Institut, nicht bloß in seinem Wesen, sondern auch im Zwange der Umstände. Vor allem aber darf man eines nicht übersehen: der Gewinn aus der modernen Lehre bot ihm keinen Ersatz für den zunächst mit ihr verknüpften Verlust. Dove’s Hypothese vom Aequatorial- und Polarstrom entstammte noch dem kosmologischen Zeitalter Humboldts mit seinem Verlangen nach universaler Combination; sie setzte die Witterungserscheinungen des Orts und des Augenblicks, freilich vorschnell und allzu unmittelbar, in physikalische Gedankenverbindung mit der Grundursache aller anderen meteorologischen Factoren, der Vertheilung der Wärme in ihren vornehmsten Gegensätzen – eben hieraus entsprang dann der Antrieb zur weiteren klimatologischen Forschung. Die moderne Meteorologie aber schien wenigstens für den Moment von allen klimatischen Zuständen absehen zu wollen, ihre Anhänger verachteten häufig geradezu das Streben nach Erkenntniß der Mittelwerthe; für sie hatte nur das Spiel der Atmosphäre um das Gleichgewicht Interesse, und auch dies vor der Hand nur in seinem anschaulichen Verlauf, da Ursprung und Zug der Depressionen zwar auf eine gewisse Regel deuteten, hinter der sich indeß eine tiefere Ursache noch durchaus verbarg.

Natürlich handelt es sich hier lediglich um den Versuch einer biographischen Erklärung, warum sich D. von der neuen Gestalt der Witterungskunde abgestoßen fühlte; ihr volles Recht bewies die letztere alsbald durch ihre Erfolge in der Wettervoraussicht. Wetterprophezeiung hatte D. von seinem Standpunkt [66] aus abgelehnt: er wünschte nur, das Wirkliche zu begreifen; das Künftige vorauszusagen, gab ihm sein Gesetz kein Mittel an die Hand, da es über die Geschwindigkeit der Drehung des Windes, auch wenn sie ungestört verlief, keinerlei Bescheid gab. Mit lebenslänglicher Geduld wich er der immer wiederholten Zumuthung des Publicums scherzend aus; der Barbier, der ihn in der Hoffnung auf nutzbare Orakel möglichst früh vor den übrigen Kunden bediente, fand ihn gegen jede Frage unerbittlich stumm. Nur den Wirbelstürmen gegenüber machte D. eine Ausnahme; wie er da sein Lehrbuch mit Winken für den Schiffer ausgestattet, so hat er in den sechziger Jahren bei bedrohlicher Witterung zuweilen Warnungen an die Häfen telegraphirt. Auch die gewöhnlichen Wetterdepeschen legte ihm damals die Behörde regelmäßig vor, mit der Bitte um einen prognostischen Ausspruch für die Zeitungen; ohne Glauben an die Wirbelnatur der alltäglichen Processe, vermochte er diesem Wunsche selten zu genügen. Den Bemühungen anderer legte er dagegen nicht nur kein Hinderniß in den Weg; vielmehr hat er die Gründung der Norddeutschen Seewarte v. Freedens (1868), wie deren Ersetzung durch die großartige Reichsanstalt der Deutschen Seewarte (1876) mit vollster Sympathie und einflußreicher Förderung begleitet. Er machte so zugleich eine ungerechtfertigte Unterschätzung wieder gut, mit der er früher das geschäftige Streben des Amerikaners Maury nach einer Weg weisenden Meteorologie für das Meer betrachtet hatte. Die Deutsche Seewarte aber erwuchs unter Neumayers meisterhafter Leitung sofort zu einem zweiten Institut für moderne, praktische Meteorologie, das den altfränkischen Zuschnitt der Berliner Anstalt in Dove’s letzten Zeiten weniger schwer empfinden ließ. In den sechziger Jahren war übrigens die geschilderte Revolution in den meteorologischen Anschauungen noch so wenig durchgedrungen, daß der Streit um Ursprung und Wesen des Föhns sich noch ganz auf dem Boden der alten Ideen abspielen konnte. Die Schweizer Geologen leiteten den Föhn als verlängerten Scirocco aus der Sahara ab, um durch deren junge Erhebung aus dem Meere das Ende der früher so weit reichenden Vergletscherung zu erklären. D. machte dagegen auf der Züricher Naturforscherversammlung von 1864 seiner Theorie gemäß die westindische Herkunft des heißen Alpenwindes geltend, die er durch vermeintlich vorhergehende Niederschläge auf der Südseite der Kämme für erwiesen hielt. Beide Theile hatten Unrecht, und auch diese Frage ward erst später mit Hülfe der mechanischen Wärmetheorie und im Hinblick auf die Cyklonenbahnen befriedigend gelöst. D. widmete ihr 1867 eine gehaltreiche, jedoch ihr eigentliches Ziel verfehlende Schrift „Ueber Eiszeit, Föhn und Scirocco“, der er 1868 noch einen Nachtrag folgen ließ („Der Schweizer Föhn“), in gereizter Erwiderung auf einen etwas spöttischen Angriff des Berner Meteorologen Wild.

Dove’s Name war zu jener Zeit noch umgeben von einer Popularität, wie sie ein einfacher Gelehrter selten erlangt hat. Er schrieb sie bescheiden der allgemeinen Beliebtheit seiner Wissenschaft zu, weil ja jeder Mensch wohl oder übel etwas von einem Meteorologen in sich trage; mindestens ebenso sehr aber beruhte sie auf dem Zauber seines persönlichen Bezeigens. Geist und Witz, wie sie seine Vorlesungen belebten, zeichneten noch mehr seine gesellige Unterhaltung aus. Schon 1843 erfuhr eine Engländerin in Berlin: zu einem innerlich angeregten Abend gehöre nothwendig Ranke oder er; wer etwas erster Güte haben wolle, müsse beide laden. Niemand erzählte besser Geschichten, zahllose geflügelte Worte liefen von ihm um. Berliner Wortwitz blieb ihm freilich fremd – es war eine völlig unbegründete Sage, daß er je für den Kladderadatsch geschrieben. Sein unverwüstlicher Humor trieb vielmehr stets ein sachliches Spiel mit der Phantasie, das in die Spitzen eines so gutmüthigen [67] Sarkasmus auslief, daß schwerlich Jemand eine Dove’sche Bemerkung übel nahm. Selbst ein preußischer Prinz ließ sich während der Epidemie des Tischrückens auf die Frage, warum sich der Tisch doch zuletzt augenscheinlich bewege, die Antwort gefallen: „Königliche Hoheit, schließlich gibt eben der Gescheitere nach.“ In dem heiteren geistigen Gewande schätzte man jedoch zugleich den Mann von tüchtigem Charakter. Selbst politisch hat D. deßhalb zu Zeiten eine gewisse Rolle gespielt. Da er den constitutionellen Ideen entschieden anhing – wie er denn täglich „bei Stehely“, am Sammelplatz der Berliner Litteraten, die westeuropäischen Zeitungen las –, so wählten ihn im März 1848 die Studenten zum Führer einer ihrer Scharen, die nach dem Abzug der Truppen die öffentliche Ordnung herstellen und schützen sollten. Die „Rotte D.“ that der Anarchie gegenüber ihre Schuldigkeit; D. selbst verhaftete im Palais des Prinzen von Preußen einen Demagogen, der dort im „Nationaleigenthum“ ein Bureau für Volkswünsche aufgeschlagen. Auch sonst griff er beruhigend und versöhnlich ein; einem parlamentarischen Mandat für Frankfurt oder Berlin mochte er indeß seine werthvollere Berufsarbeit nicht opfern. Die siegreiche Reaction der funfziger Jahre vergalt ihm seinen maßvollen Liberalismus durch sichtliche Abneigung. Friedrich Wilhelm IV., für dessen Conversation er doch so geeignet gewesen wäre, befriedigte deßhalb seine meteorologische Wißbegier lieber durch schriftliche Anfragen, die Humboldt in seinem Namen an D. richtete. Vergebens erhoben die Gesinnungsgenossen unter den Collegen diesen dreimal bei der Rectorwahl gegen Stahl und seine Gefolgschaft auf den Schild; daß D. beim vierten mal 1858 durchdrang, galt allgemein – nach politischem Drehungsgesetz – als ein Wetterzeichen der „neuen Aera“. Hernach ging er als Altliberaler mehr und mehr zur Rechten über. Mit welcher Freude er die große Wendung des deutschen Geschickes erlebte, bedarf keines Wortes; auch ihm freilich raubte der französische Krieg einen hoffnungsvollen Sohn, der als junger Offizier der Anstrengung im Felde bald darauf erlag. König Wilhelm und die Seinen zogen D. häufig in ihre Nähe; für das zwanglosere Geplauder im kleinen Kreise war er bei Hof ein besonders gern gesehener Gast. Auch der Staat, einst so karg gegen ihn, suchte nun das Versäumte durch freiwillige Zuwendung, Rücksicht und Auszeichnung wieder gut zu machen. Er aber bewahrte durchaus eine die jüngere Welt beschämende Genügsamkeit und die unbefangenste Frische; eben darum begrüßte er auch die Ehren, mit denen er überhäuft ward, mit der offenen Zufriedenheit des selbständigen Mannes. So die Masse der Mitgliedschaften in aller Welt von der Royal Society in London herab bis zur humoristischen Gesellschaft „Ulk“ in Haspe; so die Taufe von Kauffahrteischiffen oder Lotsendampfern auf seinen Namen, die Benennung von Buchten, Vorgebirgen und Gletschern nach ihm – in der Polarzone, wo das Klima in seiner Allmacht dem Menschen vor die Seele tritt. Decorationen schätzte D., sofern sie auf Wahl durch Sachverständige beruhten, wie die englische Copleymedaille, die er 1853 erhielt, oder der preußische pour le mérite für Wissenschaft und Kunst, von dem er 1860 Humboldts Exemplar überkam; seit 1867 fungirte er neben Ranke als Vicekanzler des Ordens.

Mit einsichtig genießender Theilnahme bewegte er sich auf den Weltausstellungen zu Paris 1855, London 1862, 1867 abermals zu Paris als Mitglied und Vorsitzender der Jury für physikalische Instrumente oder geographische Karten und Apparate. Eine Menge von anderen wissenschaftlichen Commissionen kam hinzu, theils im Auftrag des Staats, theils auf Anruf als Sachverständiger – öfters wunderlich genug. Die Weinbauer des Rheingaues baten um seinen Schutz gegen die Stromcorrection, die den Nebel vermindere [68] und damit der Edelreife schade; nicht ohne Anstrengung schlug sich D. probirend von einem berühmten Kellerstück zum anderen durch. Mit derselben Bereitwilligkeit aber erschien er im unwirthlichen Osten vor einem ländlichen Gericht, das seinen Wahrspruch über die Frage verlangte, ob die Ausrottung eines Wäldchens den Flügeln einer Mühle den günstigen Wind zu entziehen im Stande sei. Die deutsche Naturforscherversammlung hat er auch nach 1828 dann und wann besucht, zum letzten mal 1869 in Innsbruck. Von höherer Bedeutung war sein Verhältniß zur Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, der er bald nach ihrer Gründung beitrat und später gewöhnlich im Wechsel mit Ritter, nach dessen Tode mit Barth präsidirte. Unablässig zeigte er sich zu mündlichen Mittheilungen und gediegenen Beiträgen für die Zeitschrift der Gesellschaft bereit, unverdrossen bestrebt, einer Mehrzahl von Dilettanten gegenüber die Verhandlung auf der Höhe wahrer Wissenschaft zu erhalten. Aus eigener Anschauung kannte er freilich nur Mitteleuropa von Polen bis Frankreich, Schottland bis Oberitalien; in Deutschland war ihm durch seine meteorologischen Amtsreisen jeder Winkel vertraut, wie umgekehrt ihn dabei in jedem Nest dankbare Schüler vom Civil und Militär mit Jubel als altverehrten Bekannten umringten. Allein wenigen stand das Ganze der Erdoberfläche in seiner Mannigfaltigkeit so deutlich vorm inneren Auge wie ihm; mit seiner lebhaften Einbildungskraft wetteiferte seine Belesenheit in den Werken der Land- und Seefahrer aller Zeiten. Die Forschungsreisenden der Gegenwart sprachen persönlich bei ihm vor, erbaten und erhielten für ihre Beobachtungen seinen Rath und sandten ihm ihre Journale zur Verwerthung ein. Vornehmlich hat er so auf die wissenschaftlichere Gestaltung der Polarexpeditionen eingewirkt.

Solchem Wesen und Treiben setzte die menschliche Natur, nicht auf einmal, aber desto empfindlicher und trauriger ein Ziel. Unter all seiner ungeheuren Arbeitslast noch vollkommen rüstig und wohlgemuth, übernahm D. im Herbst 1871 als Achtundsechziger zum zweiten mal das Rectorat der Universität. Da traf ihn im Januar 1872 ein Schlaganfall, der sich, wiewohl die unmittelbaren Folgen bald wieder zurücktraten, nichtsdestoweniger als entscheidende Wendung in seinem körperlichen und geistigen Dasein erwies. Andere quälende Leiden kamen zu der allmählich verkümmerten Ernährung des Gehirns hinzu, so daß die sieben Jahre, die ihm noch zu athmen beschieden war, das Bild eines im einzelnen unterbrochenen, im ganzen stetigen Niederganges gewährten. Es gehörte seine unvergleichliche Beharrlichkeit dazu, um ihn auch da noch längere Zeit zur Arbeit in einem gewissen Umfange zu befähigen. Er schrieb noch eine Reihe klimatologischer und witterungsgeschichtlicher Aufsätze, besorgte die letzte Ausgabe seines Gesetzes der Stürme und überwachte die von seinem Assistenten ausgeführten Publicationen seines Instituts. Er setzte die Vorlesungen an der Universität bis zum Abschluß des hundertsten Semesters fort, die geographischen an der Kriegsakademie noch länger, bis kurz vor seinem Ende. Er konnte noch ein paar Badereisen unternehmen und erlebte die glänzende Feier seines Doctorjubiläums; allein gerade da mußte es die Schar der Dankenden mit tiefer Wehmuth erfüllen, wie der einst so überaus lebendige und schlagfertige Mann den sinnvollen Ansprachen der nunmehr führenden Geister stumm und müde gegenüberstand. Er ordnete und katalogisirte noch selbst seine gegen 10000 Bände umfassende Bibliothek, die mit ihrem Schatz von meteorologischen, hydrographischen, geographischen und physikalischen Werken von der Admiralität angekauft worden war, um die Deutsche Seewarte damit auszustatten. Er betrauerte noch die seit längeren Jahren von Krankheit heimgesuchte Gattin und versank unter der treuen Pflege [69] der Töchter in duldende Stille. Die überlebenden Söhne hatten sich der Jurisprudenz und der Geschichte zugewandt, den wissenschaftlichen Spuren des Vaters folgte keiner. Mit zarter Schonung beließ Kaiser Wilhelm dem Veteranen der Lehrthätigkeit, auch nachdem er seiner Amtspflicht enthoben worden, bis an seinen Tod die Dienstwohnung, die er seit Jahrzehnten in der Kriegsakademie innegehabt; sie bildete im alten Hause der Burgstraße an der Spree den obersten Stock, von dessen Fenstern man den Mittag- und Abendhimmel in weitem Umkreis überschaute. Dort hatte D. viel tausendmal mit immer neuem Vergnügen zu den Wolken emporgeblickt, den Schaumstellen im Bette der Luftströme nach seinem malerischen Vergleich. Was er dabei an Gedanken der Erdphysik gehegt, gehört in zwiefachem Sinne der Geschichte an: in seiner maßgebenden Geltung ist es überwunden, unvergänglich dauert es in seiner bahnbrechenden Bedeutung. –

[Der vorstehende Artikel beruht in seinem biographischen Gehalt auf Originalpapieren und persönlicher Erinnerung; die gedruckten Nachrufe in Zeitungen und Zeitschriften (auch der eingehende von C. Bruhns in der Gegenwart XVI Nr. 28 vom 12. Juli 1879) entbehrten genauer Kunde. Das Urtheil über Dove’s wissenschaftliche Leistungen stützt sich auf Aeußerungen der Fachmänner; darunter du Bois-Reymond in der Adresse der Berliner Akademie zum 4. März 1876, Helmholtz und andere in den damaligen Tischreden, wie sie die Berliner Zeitungen brachten. Ausführlicher G. Karsten: „Dove’s Doctorjubiläum“, Im neuen Reich 1876 I, 381 ff.; vor allem der kritisch gediegene Nachruf von Neumayer an der Spitze des 49. Heftes der Preußischen Statistik 1879. Ebenda im 47. Heft eine Aufzählung der amtlichen Veröffentlichungen des Meteorologischen Instituts unter Dove’s Waltung. Das umfangreichste, trotzdem sehr unvollständige Verzeichniß seiner Schriften in Poggendorffs biographisch-litterarischem Handwörterbuch I, 598 f.; III, 375 f. Die meisten und wichtigsten der nicht einzeln verlegten finden sich in den Abhandlungen und Monatsberichten der Berliner Akademie, in Poggendorffs Annalen der Physik und der Berliner Zeitschrift für Erdkunde.]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jean-André Deluc, schweizerischer Geologe und Meteorologe, † 1817