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Artikel „Dirichlet, Gustav Peter“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 251–252, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dirichlet,_Gustav_Peter&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 07:06 Uhr UTC)
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Dirichlet: Peter Gustav Lejeune-D., Mathematiker, geb. zu Düren 13. Febr. 1805, gest. zu Göttingen 5. Mai 1859. Nach kaum vollendeter Gymnasialbildung kam D. 1822 nach Paris, wo er seine eigentlichen mathematischen Studien machte und dabei als Hauslehrer in der Familie des Generals Foy lebte. In dessen Hause lernte er die bedeutenden französischen Gelehrten seines Faches, insbesondere Fourier, kennen, der ihn dringend an Alexander v. Humboldt empfahl, und dieser vermittelte für ihn eine Anfangsstellung in Deutschland. 1827 habilitirte D. sich als Privatdocent in Breslau, wurde aber bald mit Urlaub nach Berlin als Lehrer an die allgemeine Kriegsschule gezogen. Der Universität Berlin gehörte er seit 1829 als Privatdocent, seit 1831 als außerordentlicher, seit 1839 als ordentlicher Professor an. Nachdem Gauß im Februar 1855 gestorben war, knüpfte die Universität Göttingen Unterhandlungen mit D. an, welche dahin führten, daß er noch im Herbste desselben Jahres dahin übersiedelte. D. war Mitglied der Akademien in Berlin (1832), in Paris (Auswärtiges Mitglied 1854), in Göttingen (1855). Seine Lehrthätigkeit an dem neuen Aufenthalte war mehrfach durch Krankheit unterbrochen, die nach schweren Leiden am 5. Mai 1859 mit dem Tode endigte. Dirichlet’s akademische Vorträge sowol als seine Abhandlungen zeichneten sich kaum in minderem Grade durch ihre Form als durch ihren Inhalt aus. Seinen Schülern ist die wunderbare Klarheit unvergeßlich, mit welcher D. die Hauptmomente schwieriger Beweisführungen im voraus anzudeuten und dadurch ein ununterbrochenes geistiges Mitschaffen seinen Zuhörern zu ermöglichen wußte, ebenso unvergeßlich auch die Fülle von kurzen gelegentlichen Nebenbemerkungen, welche den Keim neuer Untersuchungen in sich trugen. Ueber den Stil seiner gedruckten Veröffentlichungen gilt vollständig das Urtheil, welches von einem deutschen Analytiker herrührt: „Wer Dirichlet’s Arbeiten kennt, weiß, daß sie Muster auch der Darstellung mathematischer Stoffe sind und selbst durch eine nicht wörtliche Mittheilung nur verlieren können“ (Heine, Kugelfunctionen S. 266). Diese Arbeiten bestehen [252] in einer großen Zahl von Abhandlungen, welche theils in den Veröffentlichungen der Berliner und der Göttinger Akademie, theils in Crelle’s Journal, zum geringeren Theil auch noch anderwärts erschienen sind; Vorlesungshefte Dirichlet’s liegen außerdem den nach seinem Tode gedruckten Werken zu Grunde: „Vorlesungen über Zahlentheorie“ (herausgegeben von R. Dedekind) und „Vorlesungen über die Theorie der bestimmten Integrale zwischen reellen Grenzen“ (herausgegeben von G. F. Meyer). Dirichlet’s Leistungen auf den verschiedensten Gebieten sind bahnbrechend gewesen. In der Theorie der Reihen hat er den ersten gründlichen Beweis der Convergenz der nach trigonometrischen Functionen fortschreitenden Reihen geliefert, sowie die Entwicklung nach Kugelfunctionen. Von ihm rührt das Dirichlet’sche Paradoxon her, d. h. die Bemerkung von den verschiedenen bald endlichen bald unendlichen Summen einer Reihe von Gliedern mit abwechselnden Vorzeichen je nach der Anordnung der Glieder. Nach ihm benannt ist das in der Functionenlehre so wichtig gewordene Dirichlet’sche Princip von der Bestimmtheit einer Function einer complexen Veränderlichen unter Voraussetzung gewisser Angaben für Unstetigkeitspunkte und Querschnitte. D. hat die Lehre von den Euler’schen Integralen beträchtlich erweitert. Er ist der Erfinder des sogenannten discontinuirlichen Factors, d. h. eines bestimmten Integrals, welches außerhalb gewisser Werthe eines in ihm vorkommenden Parameters verschwindet und deshalb mit einem anderen bestimmten Integrale, dessen Grenzen von eben jenem Parameter abhängen, vervielfacht es gestattet, auch die Grenzen des vervielfachten Integrals weiter, etwa von 0 bis , auszudehnen. In der Zahlentheorie hat D. die von Fermat behauptete Unmöglichkeit der ganzzahligen Gleichung unter der Voraussetzung größer als 2, welche von Euler für und bewiesen worden war, auch für die Fälle und festgestellt. Von großer Wichtigkeit ist seine Abhandlung über die unendlich vielen Primzahlen in einer unbegrenzten arithmetischen Reihe, deren erstes Glied und deren Differenz theilerfremd sind. Bedeutende Fortschritte hat durch ihn die Lehre von den quadratischen Formen, besonders von denen mit zwei Veränderlichen gemacht. Auch in der Mechanik knüpfen sich theils neue Entdeckungen, theils neue elegante Beweisführungen an den Namen Dirichlet’s, von welchen nur diejenigen Untersuchungen erwähnt sein mögen, die näher oder ferner auf die Newton’sche Gravitation Bezug haben, sowie eine nachgelassene Abhandlung über die Gleichungen der Hydrodynamik.

Göttinger Nachrichten vom 16. Mai 1859, S. 107. Gedächtnißrede auf G. P. Lejeune-D. von Kummer in den Abhandl. der Berliner Akad. der Wissensch. 1860. S. 1 ff. Nachrufe von Borchardt in Crelle’s Journal LVII. S. 91 ff. und von Tortolini in Annali di matematica II. p. 196.