Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Trainer, beurteilt die körperlichen Verhältnisse auch diätetisch
Band VII,2 (1912) S. 20262030
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Gymnastes (γυμναστής), der Trainer. Der Ausdruck taucht erst bei Platon auf, während vorher nur die Bezeichnung παιδοτρίβης (s. d.) üblich war. Seine Einführung knüpft Galen Thrasyb. 33 (V 870 K. 79, 3 H.) an das Aufblühen der Berufsathletik, mit welcher kurz vor Platon die Kunst der Gymnasten ihren Anfang genommen habe. Doch treten Athleten (s. o. Bd. I S. 2050f.) schon viel früher auf, und mit ihnen ist wohl auch eine frühere Existenz von Trainern gegeben. Platon faßt den G. regelmäßig auf als den Vertreter der Gymnastik (s. d.) im Sinne von Leibespflege: [2027] γυμναστής Politic. 267 e; Leg. III 684 c. IV 720 d e. XI 916 a;. γυμναστικός Phaedr. 248 d; Gorg. 464 a; Prat. 313 d; Politic. 295 c. Und es ist wahrscheinlich, daß hier noch die ursprüngliche Bedeutung des um jene Zeit neugeprägten Terminus vorliegt. Seine Einführung dürfte dem Erfinder der wissenschaftlichen Leibespflege und Heilgymnastik, Herodikos von Selymbria (s. d.), zu verdanken sein, der sich diese Bezeichnung beilegte, als er das Amt eines Paidotriben wegen Kränklichkeit aufgeben mußte und an sich und anderen seine neue Heilmethode erprobte. Als G. wurde fortan ein Trainer bezeichnet, der die Fähigkeit besaß, die körperlichen Verhältnisse seiner Pfleglinge zu beurteilen und ihr Training auch in diätetischer Beziehung zu leiten. Er mußte also gewisse medizinische Kenntnisse besitzen. Auf diesem Standpunkt steht auch Aristot. Polit. VIII 3 p. 1338 b 6 παραδοτέον τοὺς παῖδας γυμναστικῇ καὶ παιδοτριβικῇ. τούτων γὰρ ἡ μὲν ποιάν τινα ποιεῖ τὴν ἕξιν τοῦ σώματος. ἡ δὲ τὰ ἔργα. G. klang daher vornehmer als Paidotrib, und es scheint, daß sich gerade die Trainer der Berufsathleten mit Vorliebe so zu nennen pflegten. Doch kam seit Aristoteles noch eine dritte Bezeichnung hinzu, nämlich ἀλείπτης (s. d.). Die Rivalität mit den ärztlichen Diätetikern, die sich naturgemäß entwickelte, hatte zur Folge, daß letztere statt des entwerteten Titels G. einen neuen suchten. Es wurde um das J. 300 v. Chr. der Begriff der Hygiene eingeführt und der ὑγιεινός dem G. entgegengestellt, ohne daß jedoch diese Terminologie durchgedrungen wäre. Denn Galen, der an Platon und Aristoteles anknüpft, greift auf den alten Namen wieder zurück, verficht aber die Ansicht, daß nicht die Trainer, sondern nur die Mediziner als G. bezeichnet werden dürfen. Sie brauchen als solche in der Ausführung der Übungen nicht bewandert zu sein, sondern sind Theoretiker, die die Wirkung (δύναμις) jeglicher Bewegung, insbesondere der Leibesübungen auf den Körper kennen müssen und sie je nach der Individualität auszuwählen haben: Gal. VI 157 Kühn αὐτῆς μὲν γὰρ τῆς κατὰ μέρος ὕλης ἑκάστης τῶν τεχνῶν ἄπειρός ἐστιν ὁ γυμναστής, ᾗ γυμναστής ἐστιν · εἰ δὲ ἅπαξ αὐτὴν θεάσαιτο, τήν τε ποιότητα καὶ τὴν δύναμιν αὐτίκα γνωρίζει; vgl. ebd. 152f. Der praktische Turnlehrer ist aber der Paidotribe, der die hygienischen Weisungen des G. zu befolgen hat und diesem insofern untergeordnet ist. Er steht zu ihm in einem ähnlichen Verhältnisse wie der Koch zum Arzte oder wie der Soldat zum Feldherrn, d. h. er führt die Übungen unter der Leitung des G. kunstgerecht aus, kümmert sich jedoch nicht um deren hygienische Wirkungen (Gal. VI 143. 155f.; Tbrasyb. 45, V 892 K. 95, 18 H.). Die theoretische Forderung nach strenger Scheidung der Kompetenz des G. und Paidotriben, die Galen aufgestellt hat, wurde in der Praxis nie befolgt, da sich die Trainer der Athleten, ob sie nun tiefer gehende medizinische Kenntnisse besaßen oder nicht, beliebig den einen oder den anderen Namen bei legten. Auf dem Athletendiplom aus dem J. 194 n. Chr. (Kenyon and Bell Greek Pap. in the Brit. Mus. III S. 218 Z. 63) führt der Schatzmeister des Vereins Proklos, welcher Periodonike, also Berufsathlet war, offiziell den Titel γυμναστής. [2028] Solche G. begegnen bei Galen unverhohlener Verachtung; denn was sei von solchen zu erwarten, die eben erst aufgehört haben, sich in unnatürlicher Weise zu überladen und dem Schlafe hinzugeben, die das körperliche Training nur betrieben, um Siege zu erkämpfen und, als sie sich ungeeignet erwiesen und keinen Kranz erlangen konnten, sich plötzlich dem Gymnastenberufe zuwendeten? (Gal. Thrasyb. 37).

Am ausführlichsten und im Zusammenhang hat sich Philostratos in der Schrift über Gymnastik mit dem Wesen der Trainer befaßt und eingehende Weisungen über ihre Ausbildung gegeben. Im Gegensatze zu den rein theoretischen Ausführungen Galens, die ihm übrigens unbekannt waren, verlangt er Kap. 14, offenbar in Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse, vom G. auch die Kenntnis der Paidotribik, d. h. des praktischen Turnens, allerdings in zweiter Linie. Die Hauptsache bleibt auch für ihn die Beaufsichtigung der hygienischen Seite des Training, von der der Paidotrib nichts versteht. Vor allem aber ist bei Philostrat Arzt und G. nicht identisch, wohl aber muß letzterer zu allen Eingriffen befähigt sein, die mit hygienischen Mitteln durchführbar sind, ja er kann mit Diät und Massage auch Krankheiten bekämpfen. Chirurgie und Pharmakologie bleiben also den Ärzten Vorbehalten. Nach Kap. 15 muß es ebenso wie bei den Athleten auch bei den Trainern Spezialisten gegeben haben: ὁ τὰ δρομικὰ εἰδὼς τὰ τῶν παλαίόντων καὶ παγκρατιαζόντων οὐκ ἐπιστήσεται ἢ ὁ τὰ βαρύτερα γυμνάζων ἀμαθώς τῆς ἄλλης ἐπιστήμης ἅψεται.

Was der G. im einzelnen wissen muß, wird von Philostrat in der zweiten Hälfte seines Werkes dargelegt. Als Vorbildung wird Kap. 25 und 26 beansprucht ein gewisser Grad rhetorischer Übung sowie Kenntnis der gesamten Physiognomik, d. h. der Augenethik, der Körperproportionen und der Säfte. Diese Kenntnisse sind bei der Assentierung der Athleten von Wichtigkeit, wo es ferner auch darauf ankommt, die Tauglichkeit nach der Art der Eltern und eventueller hereditärer Belastung zu beurteilen (Kap. 27–30). Auch muß der G. beim Anblick des Athletenkörpers imstande sein anzugeben, zu welchen speziellen Übungen ein jeder geeignet ist (Kap. 31–35), ja er muß auch die jeweilige Kondition des Athleten beurteilen können und danach das Training individuell gestalten (Kap. 48–53). Hiemit hat wohl Philostrat die Anforderungen formuliert, die man in der Kaiserzeit an einen vollkommenen G. stellen konnte. Die Wirklichkeit wird jedoch hinter diesem Idealbild meist stark zurückgeblieben sein und die große Masse der Trainer zwar im gymnastischen Handwerk bewandert, im übrigen aber von geringer Bildung gewesen sein.

Immerhin hat sich eine Reihe von Vertretern dieses Berufes sogar zu literarischer Tätigkeit aufgeschwungen, und die umfängliche Gymnastenliteratur, die einst existierte und jetzt bis auf geringe Reste verloren ist, blieb wegen ihrer wertvollen Beiträge zur Hygiene auch von Ärzten und Philosophen nicht unbeachtet. Die G., die sich vermutlich oder erwiesenermaßen literarisch betätigten, waren folgende (vgl. die betreffenden Artikel): Ikkos von Tarent in der ersten Hälfte [2029] des 5. Jhdts., Herodikos von Selymbria, der Begründer der Heilgymnastik oder Iatraleiptik, der etwas später lebte, Diotimos, dessen Ausführungen περὶ ἱδρώτων von Theophrast frg. IX 11 (III 143 Wimmer) zitiert werden, endlich die von Galen so ausgiebig benützten G. Theon von Alexandreia und Tryphon, von denen ersterer Περὶ τῶν κατὰ μέρος γυμνασίων in vier Büchern, Γυμναστικά in mindestens 16 Büchern verfaßte, aus denen uns Galen auch einige Fragmente bewahrt hat. Diese und ähnliche Werke der G., auf deren Inhalt auch aus Philostrats Schrift über Gymnastik Rückschlüsse gezogen werden können, enthielten nicht etwa Anleitungen zur praktischen Durchführung der gymnastischen Übungen, sondern sie befaßten sich kurz gesagt mit dem hygienischen Detail des athletischen Training. Die Leibesübungen (γυμνάσια) selbst werden nur im Hinblick auf ihre Wirkungen auf den Körper behandelt und klassifiziert (εἴδη), insbesondere ihr Ausmaß (μέτρα) angegeben und die üblen Folgen der Überanstrengung (κόπος) bekämpft. Ein viertägiger Zyklus, die sogenannten Tetraden, wird von Theon und Tryphon als besonders geeignete Trainiermethode empfohlen. Wichtige Partien handelten ferner in großer Ausführlichkeit von der Nahrungsaufnahme, der Massage (τρίψις), den Bädern und anderen diätetischen Einzelheiten, von der Euexie und Gesundheit im allgemeinen. Vgl. Gal. Thrasyb. 46. Gal. VI 93. VII 546. VIII 107. XIII 5. Daß nicht nur Ärzte, sondern auch G. ὑγιειναὶ πραγματεῖαι schrieben, bezeugt Galen. VI 164.

Neben den literarisch tätigen G. werden auch andere namhaft gemacht, die sich sonst auf irgend eine Weise, als Athleten oder Trainer, hervorgetan haben, z. B. Hippomachos von Elis (Aelian. var. hist. II 6. Plut. Dion 1, Meiesias von Aigina (Pind. Ol. VIII 71 und Schol. zu 70 und 71). Teisias (Phil. Gymn. 20), Eryxias (ebd. 21), Secundus (Gal. VIII 254), über welche die Spezialartikel zu vergleichen sind.

Über das Auftreten des G. in der Öffentlichkeit teilt Philostrat mit, daß seine Kleidung bei den Spielen in einem Tribon bestand; nur in Olympia mußte er nackt auftreten, weil sich dort angeblich einst eine Frau, Pherenike, als G. eingeschlichen hatte, um ihren Sohn zum Siege zu führen (Kap. 17; vgl. auch Paus. V 6. 8). Als Attribut trug er angeblich die Striegel (Kap. 18). Bei den Lakedaimoniern war er der Lehrer der militärischen Taktik, da Krieg und Gymnastik eng zusammenhängen (Kap. 19). Zu den Festspielen begleiteten die G. ihre Athleten, führten mit ihnen in Olympia die von den Hellanodiken vorgeschriebenen Vorübungen durch (Kap. 54) und spornten sie beim Ernstkampf gelegentlich durch Zuspruch, Tadel, Drohung oder List zum Siege an. Solcher Beispiele weiß Philostrat Kap. 20–24, obwohl er nur eine Auswahl trifft, mehrere zu berichten (vgl. auch Schol. Pind. Ol. XI 19). Aber auch üblen Einfluß konnten sie ausüben, wenn sie das Bestreben mancher Athleten, sich mittels Bestechung einen mühelosen Sieg zu verschaffen, durch Darlehen auf Wucherzins unterstützten (Kap. 45).

Darstellung von G. auf Monumenten, insbesondere Vasenbildern mit Palästraszenen erkennen [2030] zu wollen, ist ein müßiges Unterfangen; denn im 5. Jhdt. ist ja der Begriff, wie wir sahen, überhaupt erst aufgekommen, und in der Folgezeit dürfte es schwerlich je gelingen, die Trainer von den Kampfrichtern und vor allem die G. von den Paidotriben mit Sicherheit zu unterscheiden. Literatur: Krause Gymnastik und Agonistik d. Hell. 218ff. Grasberger Erziehung und Unterr. I 263ff. Hermann-Blümner Griech. Privatalt. 335. Spathakis Athen. I 322. J. B. Egger Begriff der Gymnastik bei d. alt. Philos. u. Mediz. Diss. Freiburg (Schweiz) 1903, 18f. 49ff. 61f. 65f. 87ff. 98. Jüthner Philostr. über Gymnastik 3ff. Gardiner Greek athlet. sports a. festiv., Lond. 1910, 503ff.