Ἀνάκρισις[WS 1], Prüfung, wird gebraucht a) von der Dokimasie (s. d.) der Beamten. Das Verbum ἀνακρίνειν steht so Demosth. LVII 66. 70. Dein. II 17; ob aber das Substantiv in diesem Sinne technisch war, ist fraglich trotz Pollux VIII 85 ἐκαλεῖτο δέ τις θεσμοθετῶν ἀνάκρισις und Lex. Cantabr. s. θεσμοθετῶν ἀνάκρισις, da weder Aristoteles Resp. Ath. 55 den Ausdruck erwähnt noch Harpokration diese Bedeutung bemerkt; b) von der Voruntersuchung eines Processes durch die einleitende Behörde (ἀνακρίνειν τοῖς ἀντιδίκοις τὴν δίκην oder γραφήν, auch ἀνακρίνειν τοὺς ἀντιδίκους, s. die Stellen bei Schoemann-Lipsius Att. Proc. 823). Diese Untersuchung hatte den doppelten Zweck α) zu ermitteln εἰ εἰσαγώγιμός ἐστιν ἡ δίκη, β) die Beweismittel zu den Streitfragen zu sammeln. Befand also die Behörde nicht, dass die Klage aus irgend einem Grunde von vornherein abzuweisen sei, so setzte sie den Parteien, wahrscheinlich gleich beim Anbringen der Klage, einen Termin zu dieser Voruntersuchung fest. Blieb der Kläger aus, so galt die Klage für nichtig, und er selbst fiel, wenn sie eine öffentliche war, in eine Busse von tausend Drachmen; das Ausbleiben des Beklagten dagegen hatte Verurteilung in contumaciam zur Folge. Waren jedoch die Parteien erschienen, so begann die Voruntersuchung mit einer Vereidigung des Klägers auf seine Klage, des Beklagten auf seine Gegenrede (s. ἀντωμοσία, διωμοσία, ἀμφιορκία). Ging nun diese letztere darauf hinaus, dass die Klage nicht statthaft sei (μὴ εἰσαγώγιμον εἶναι τὴν δίκην, s. διαμαρτυρία und παραγραφή), so musste zunächst diese Einrede zur Entscheidung gebracht werden. Denn wenn der Kläger hierbei unterlag, so musste er seine Klage entweder aufgeben oder in anderer Form erneuern. Gewann er jedoch, oder war eine solche Einrede gar nicht erfolgt – das Verfahren hiess dann εὐθυδικία (s. d.) – so gingen Privatprocesse, so weit sie nicht zu den ἔμμηνοι gehörten (s. d.), zu weiterer Verhandlung an den öffentlichen Schiedsrichter (Lipsius Att. Proc. 1010; Ber. der sächs. Gesellsch. 1891, 58), während die δίκαι ἔμμηνοι und die öffentlichen Klagen von der Behörde selbst untersucht wurden. Es galt jetzt die für die Sache wesentlichen Beweismittel (πίστεις) beizubringen, und zwar konnte es sich dabei nur um die sog. πίστεις ἄτεχνοι handeln (Arist. Rhet. I 2), als 1) Gesetze, 2) Urkunden aller Art, öffentliche z. B. Volks-, Rats- oder Gerichtsbeschlüsse, wie private z. B. Verträge, Testamente, Handelsbücher, 3) [2051] Zeugnisse (s. μαρτυρίαι), 4) Sclavenaussagen, welche, da sie peinlich abgenommen wurden, βάσανοι (s. d.) hiessen, 5) Eide (s. d.); vgl. Arist. Rhet. I 15. Schoemann-Lipsius Att. Proc. 865. Dazu kommen (Arist. Resp. Ath. 53) noch die προκλήσεις (s. d.), die Aufforderungen, welche eine Partei an die andere erliess, sei es zum Eide oder zur Herausgabe von Beweismitteln, zur peinlichen Befragung von Sclaven u. drgl., und die ἀποκρίσεις (s. d.), die Erklärungen, welche die Parteien bei der ἀ. selbst abgaben (Isaios VI 12f.). Alle diese Beweismittel wurden schriftlich beigebracht und nach beendeter Untersuchung, die jeder Partei gesondert (Arist. Resp. Ath. 53), in Kapseln, ἐχῖνοι (s. d.), gethan, versiegelt und bis zum Gerichtstage verwahrt, vgl. Demosth. XXXIX 17. XLV 57f. XLVII 16. XLVIII 48. LIV 27. Poll. VIII 17. Harpokr. s. ἐχῖνος. Kam eine Streitsache durch Appellation von dem Diaeteten an die Behörde zurück, so fand keine neue Voruntersuchung statt, vielmehr waren die Parteien auf die bei diesem beigebrachten Beweismittel beschränkt, welche zu diesem Zwecke nebst dem schiedsrichterlichen Urteil der einleitenden Behörde übergeben wurden. Diese hatte dann die Sache zur Entscheidung an den Gerichtshof zu bringen. Vgl. Schoemann-Lipsius Att. Proc. 823f.