Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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die Entwicklung der Erdmessung in der Antike
Band S VI (1935) S. 3154
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Erdmessung. (ἀναμέτρησις, dimensuratio).

Inhalt:

1. Die frühen Anfänge der Lehre von der Kugelgestalt der Erde. Aristoteles, Aristarchos.
2. Archimedes, Dikaiarchos.
3. Eratosthenes.
4. Hipparchos.
5. Poseidonios.
6. Ptolemaios.
7. Kosmas Indopleustes.
8. Arabische Erdmessung durch Al Mamun.

Dies ist ein von Modernen oft und zum Teil mit Leidenschaft behandelter Stoff. Es will aber dem Unterzeichneten bedünken, daß er bisher weder gleichmäßig noch auch ausreichend untersucht worden ist. Daß auch dieser im letzten Augenblick zugesagte und unter erheblichen Schwierigkeiten ausgeführte Nachtrag nicht das zu leisten vermag, was der Stoff verlangt, weiß der Verfasser. Indes scheint es ihm, daß seine Darstellung einer Neubehandlung wenigstens den Weg vorbereiten kann. Vor allem sei auch bemerkt, daß die Fragen der οἰκουμένη sich besser abtrennen lassen und unter diesem Schlagworte zu erörtern sein werden.

§ 1. Allem Anschein nach ist überhaupt zum erstenmal auf griechischem Kulturboden eine im wesentlichen richtige Auffassung der Grundzüge der astronomischen Geographie zur Geltung gebracht worden. Anfang und Ansporn mögen, wie vielfach angenommen worden ist, aus dem früher und energischer zivilisierten Osten, vor allem aus dem Zweistromland und Aegypten gekommen sein; vgl. Boll Bd. VI S. 2337ff. Aber wir besitzen anscheinend bisher wenigstens für die Kugelgestalt der Himmelskörper und also auch der Erde, sowie für die Kreisbahnen der Gestirne, kein strikt bejahendes Zeugnis und sind daher nicht in der Lage Einwirkungen aus dem Osten als für den gewaltigen und zur Bewunderung zwingenden Aufschwung dieser Kapitel bei den Pythagoraeern bestimmend anzusehen. Aber auch hier sind die Entwicklungsstadien vorläufig keineswegs klar und außer Streit. Wir müssen damit rechnen, daß höchstens die gebildeten Kreise folgen konnten, und, was damit nicht gleichbedeutend ist, folgen wollten, und daß noch in Metons Zeit Aristophanes auf den Beifall des Theaters rechnen durfte, wenn er (vgl. Kubitschek Bd. XV S. 1399f.)[1] in den Vögeln 995ff. diesen Astronomen verspottete und zum Schluß seiner Worte noch durch das Bekenntnis persifflierte ὀρθῷ μετρήσω κακόνι προστιθείς, ἵνα ὁ κύκλος γένηταί σοι τετράγωνος, κἀν μέσῳ ἀγορά, φέρουσαι δ’ὧσιν εἰς αὐτὴν ὁδοὶ ὀρθαὶ πρὸς αὐτὸ τὸ μέσον, ὥσπερ δ’ἀστέρος, αὐτοῦ κυκλοτεροῦ ὄντος, ὀρθαὶ πανταχῇ ἀκτῖνες ἀπολάμπωσιν.

Erst von Aristoteles ab haben wir entschiedenes Bekenntnis zur Kugelgestalt und wahre Anerkennung der pythagoraeischen Verdienste um sie (Hugo Berger Gesch. wiss. Erdkunde der Griechen² 171ff.; vgl. Gercke Bd. II S. 1045), obwohl wie H. Wagner Lehrbuch der Geographie I10 99 betont, ,die meisten der angeführten Beobachtungen in Wahrheit nicht zu grob sinnlichen Beweisen sich erheben‘ und ,der Schlußfolgerung‘, daß sich die Sache so verhalten [32] könne, aber nicht müsse, weiten Spielraum lassen, und unsere neuen Beweismittel nicht herangezogen werden konnten. Indes haben viele Momente sinnfällig auf die Annahme der Kugelgestalt hingeführt: in erster Linie die tagtäglich an den Himmel geschriebenen Rundungen der Sonne und des Mondes und der Erdschatten bei Mondfinsternissen; die Geltendmachung und zeitliche Abfolge vieler anderer Beweismittel sind heute noch nicht sichergestellt und werden vielleicht auch in Zukunft nicht klargestellt werden können; sie brauchen auch keine Erörterung in diesem unserem Zusammenhang. Eine einzige Hauptstelle sei hiefür besonders angeführt: Aristoteles περὶ οὐρανοῦ II 13, 1 p. 293 a: ἀλλὰ τῶν πλείστων ἐπὶ τοῦ μέσου κεῖσθαι λεγόντων, ὅσοι τὸν ὅλον οὐρανὸν πεπεγασμένον εἶναὶ φασιν, ἐναντίως οἱ περὶ τὴν Ἰταλίαν, καλούμενοι δὲ Πυθαγόρειοι, λέγουσιν· ἐπὶ μὲν γὰρ τοῦ μέσου πῦρ εἶναί φασι, τὴν δὲ γῆν ἓντῶν ἄστρων οὖσαν κύκλῳ φαινομένηνπερὶ τὸ μέσον νύκτα τε καὶ ἡμέραν ποεῖν. ἔτι δ’ ἐναντίαν ἄλλην ταύτην κατασκευάζουσι γῆν ἣν ἀντίχθονα ὄνομα καλοῦσιν, οὐ πρὸς τὰφαινόμενα τοὺς λόγους καὶ τὰς αἰτίας ζητοῦντες, ἀλλὰ πρός τινας δόξας καὶ λόγους αὐτῶν τὰ φαινόμενα προσέλκοντες, καὶ πειρώμενοι συσκοσμεῖν = (nach der Übers. Prantl), ,während die meisten, nämlich alle diejenigen, welche das ganze Himmelsgebäude als ein Begrenztes bezeichnen, sagen, daß sie in der Mitte sich befinde, sprechen die Philosophen in Italien, nämlich die sog. Pythagoraeer, in entgegengesetzter Weise; denn diese behaupten, im Mittelpunkte sei Feuer; die Erde aber, welche selbst eines der Gestirne sei, werde im Kreise um den Mittelpunkt bewegt und bewirke hiedurch Tag und Nacht. Ferner aber konstruieren sie auch eine zweite, der ersten entgegengesetzte Erde, welche sie mit dem Worte ,Gegenerde‘ bezeichnen, indem sie dabei nicht im Hinblick auf die faktische Erscheinung die Begründungen und die Ursachen suchen, sondern im Hinblick auf gewisse Begründungen und eigene Meinungen die faktische Erscheinung herbeizwängen und das Weltall zu ordnen versuchen.‘

Der Wahrheit von der Kugellehre vermochten, so wenig auf dem Weg bis Platon und Aristoteles Zweifel und Spott samt Phantasterei ihr etwas ernstlich anhaben konnten, späterhin andere Schwierigkeiten sich entgegenzustellen. Im Gegenteil breitet sie sich aus und wird wirtschaftlich fruchtbarer. Ja, Aristarchos von Samos hat zu Anfang des 3. Jhdts. auch schon den Kopernikanischen Lehrsatz vorweg genommen und den geozentrischen Standpunkt aufgegeben, ohne indes durchzudringen (o. Bd. II S. 875). Er hat die Sonne als Mittelpunkt unseres irdischen Systems proklamiert und ein neues Lehrprogramm aufgestellt περὶ μεγεθῶν καὶ ἀπρστημάτων ἡλίου καὶ σελήνης. Dieses Schriftchen ist uns erhalten, weil der Lehrbedarf der höheren alexandrinischen Schulen für den Mathematiker und μηχανικός ihre Aufnahme in das Corpus astronomischer Traktate rätlich hat erscheinen [33] lassen. So gehörte sie fortab in den μικρὸς ἀστρονόμος (oder ἀστρονομούμενος, nämlich τόπος) zusammen mit der ,großen‘ Syntaxis des Klaudios Ptolemaios, des sog. Geographen; so ist dieses Bild der Vorstellung vom Weltall auf uns gekommen, anscheinend nicht in seiner ältesten Gestalt, vgl. Hultsch Bd. II S. 874 und J. L. Heiberg Gesch. der Mathematik und Naturwiss. im Altert. Iw. Müllers Handb. V 1. 2, 43. 52f. (über Ausgaben ebd. 53, 3); es bringt die Berechnung der Länge des Sonnenjahres, Größe und Entfernung der Sonne und des Mondes von der Erde und andere Grundlehren in z. T. grundlegender und vorbildlicher Ausführung. Freilich gebührt ihm nicht ohne weiteres der Ruhm des Nachfolgers eines Forschers oder einer bedeutenden Schule; vielleicht nur das Verdienst eines Exzerptors oder Wiederholers bekannter und in Schulkreisen öfter wiederholter Sätze.

Mit dem Lehrsatz von der Erde, über den mehr hier zu sagen nicht Platz ist und für den ich im übrigen auf Berger und auf Heiberg 82ff. verweise, waren jedenfalls Vorbedingungen für die Abmessungen auf der Erdkugel, Feststellung ihres Durchmessers und der größten Kreise, also auch ihres Umfanges, ihrer Zonen- und Klimaeinteilung gegeben.

Bestimmte Zahlen (oder vielmehr, worauf besonderes Gewicht zu legen ist, Annäherungswerte) erfahren wir für den Umfang durch Aristoteles περὶ οὐρανοῦ II 14 p. 298 a τῶν μαθηματικῶν ὅσοι τὸ μέγεθος ἀναλογίζεσθαι πειρῶνται τῆς περιφερείας, εἰς τετταράκοντα λέγουσιν εἶναι μυριάδας σταδίων (ältere Mathematiker, die die Größe des Umfangs zu berechnen versuchen, haben die Zahl von 400 000 Stadien aufgestellt), wobei der Ton wesentlich durch πειρῶνται bestimmt ist.

§ 2. Zeitlich folgt Archimedes, der in seinem Ψαμμίτης (Hultsch Bd. II S. 515ff., vgl. ebd. 537f.) an König Gelon, Sohn und Mitregenten Hierons II., Ausg. Heiberg II 220 schreibt: πρῶτον μὲν τὰν περίμετρον τᾶς γᾶς εἴμεν ὠς τ̅ μυριάδων σταδίων (3 Millionen Stadien) καὶ μὴ μείζονα καίπερ τινών (über diese τινὲς s. u. Z. 58) πεπειραμένων (also dieselbe Vorstellung und Bezeichnung wie o. Z. 32 im Aristoteles-Zitat) ἀποδεικνύειν, καθὼς καὶ τὺ παρακολουθεῖς, ὲοῦσαν αὐτὰν ὡς λ μυριάδων (300 000) σταδίων· ἐγὼ δ’ὑπερβαλλόμενος καὶ θεὶς τὸ μέγεθος τᾶς γᾶς δεκαπρλάσιον τοῦ ὑπὸ τῶν προτέρων δεδοξασμένου τὰν περίμετρον αὐτᾶς εἴμεν 'ὡς τ̅ μυριάδων (3 Millionen) σταδίων καὶ μὴ μείζω. Berger hat wiederholt,so Erdk.² 370ff., diese Bemessung des Erdumfangs mit 300 000 Stadien mit der sog. E. von Lysimacheia verbunden und den Namen des Dikaiarchos von Messene, Schülers und angeblichen Dissidenten des Aristoteles (s. Martini o. Bd. V S. 560) daran geknüpft. Daß Archimedes o. Z. 50, den Plural τινὲς und οἱ πρότεροι für die einzige Person des Dikaiarchos verwendet haben soll, hat allerdings nichts auf sich, da er ja auch einen oder mehrere seiner Schüler mitverstanden haben mag. Auch liegt kein Anachronismus vor, da Lysimacheia, welches in dem einzigen Bericht, den wir darüber haben, bei Kleomedes I 8, genannt wird, durch König Lysimachos um J. 309 gegründet worden war. Allerdings ist sie nach Lysimachos’ Tod (281) nach Berger von den umwohnenden und selbstverständlich [34] ihr feindselig gesinnten Thrakern zerstört und erst wieder nach 200 durch Antiochos III. neu aufgebaut worden. Also blieben nur die J. 309–281 für das Experiment mit dem Erdvermessen übrig, da sonst Eratosthenes nicht mit seinem Ergebnis hätte rivalisieren können. Daß aber die hier vermutete Zerstörung der Stadt bloß auf einem Versehen beruht, mag der ausführliche Artikel von J. Weiss (Bd. XIII S. 2555) zeigen. Damit fällt freilich eine nicht gar so unwesentliche Stütze für die Verknüpfung Dikaiarchs mit der angeblichen E. von Lysimacheia fort. Mir scheint das erhebliche Moment für das Verständnis der Stelle des Archimedes, daß dieser wohl von dem 300 000 Stadien-Ansatz des Dikaiarchos sprechen soll, nicht aber auch von dem Ansatz des Eratosthenes. Der Meridian durch Lysimacheia und Syene beträgt, gemessen an den Sternen im Zenith dieser beiden Örtlichkeiten, Drachenkopf und Krebs, 1/15 (p. 78 Z. 10) des Zodiakalkreises. Aber man verfolge das gesamte Kapitel und urteile, inwiefern von einer E. zu 300 000 Stadien die Rede ist: ,Wäre unsere Erde eine flache Scheibe, so würde der κόσμος einen Durchmesser von 100 000 Stadien haben. Denn die Einwohner von Lysimacheia haben den Drachenkopf im Zenit, im Zenit der Landschaft von Syene sitzt der Krebs. Vom Meridian durch Lysimacheia und durch Syene fällt 1/15 auf den Kreis-Teil (περιφέρεια) vom Drachen zum Krebs, wie mit den Schattenweisern bewiesen wird. 1/15 des ganzen κύκλος (Tierkreises) ist nahezu 1/5 (πέμπτον) des ganzen Durchmessers (nämlich des Durchmessers des Tierkreises). Setzen wir nun die Erde als Scheibe voraus und ziehen wir Lotlinien von dem Umlauf der περιφέρεια, die vom Drachen zum Krebs zieht, auf sie, so werden diese Linien den Durchmesser treffen, welcher zum Meridian von Lysimacheia und Syene gehört. Zwischen beiden Lotlinien liegen nun 20 000 (das Maß wird nicht genannt); denn von Syene nach Lysimacheia sind 20 000 Stadien. Da nun die Distanz 1/15 des gesamten Durchmessers ausmacht, wird der ganze Durchmesser des Meridians 100 000 betragen. Hat der κόσμος einen Durchmesser von 100 000, so wird er einen größten κύκλος von 300 000 haben.‘ Bis hieher ist alles in der Hauptsache vernünftig; denn, wenn die Distanz der beiden Gestirne 1/15 des Kreises beträgt, so muß der ganze Kreis 15 mal größer sein als jene Distanz, und da diese 20 000 Stadien ausmacht, 300 000; und ferner muß der Durchmesser wie gesagt 100 000 betragen nach der gewöhnlichen Formel D = wobei π wie gleichfalls üblich mit 3 gerechnet wird.

Hören wir weiter: ,1m Verhältnis zu ihm (nämlich dem κύκλος) ist die Erde nur ein Punkt und hat 250 000 (offensichtlich Stadien, und so muß auch mit dem Nürnberger Codex σταδίων dazu gesetzt oder wenigstens gedacht werden. Denn man beachte, daß die nicht benannten Zahlen dieses Abschnitts sich auf die den Landstrecken entsprechenden Einheiten auf der Himmelskugel beziehen!). Der unmittelbar folgende Satz erinnert daran, daß die Sonne, die doch vielmal größer als der Erdkörper ist, nur einen winzigen Platz auf dem Himmelszelt einnimmt, und also einen neuen Beweis für die [35] Kugelgestalt der Erde liefert (p. 80.) Dann werden im gleichen Abschnitt die Thesen einer schüsselförmigen Gestalt der Erde, dann eines Würfels, einer Pyramide usw. ad absurdum geführt. Wo bleibt also bei Kleomedes der Nachweis einer E. von 300 000 Stadien, den selbst Heiberg 83 in Bergers Sinn anzunehmen gewillt ist?

Nur, um dieses Kapitel abzurunden, bemerke ich,

a) daß Lysimacheia und Syene nicht am nämlichen Meridian liegen, sondern um rund 6° voneinander entfernt; Ptolemaios bietet für Lysimacheia 54° 10', für Syene 62° Länge;

b) es wird kaum möglich sein, daß Eratosthenes auch in diesem Punkte (gleichviel ob mit Recht oder nicht) als schöpferisches Genie seinen die E. im Prinzip rettenden Gedanken verwirklicht haben soll, wenn ihm die E. von Lysimacheia das wichtigste Element, das Zusammentreffen der Messung auf dem Himmel und auf dem Erdboden, so vor der Nase weggeschnappt hatte.

§ 3. Kleomedes (I 10) soll uns auch gleich zu Eratosthenes führen. ,Über die Größe des Erdkörpers haben die Naturforscher (φυσικοί) mehrere Meinungen geäußert. Wahrscheinlicher lauten die des Poseidonios und des Eratosthenes; letzterer auf mathematischer Grundlage (διὰ γεωμετρικῆς ἐφόδου); jenes Beweisführung ist einfacher (ἁπλουστέρα). Beide beginnen mit Voraussetzungen und kommen durch Folgerungen aus ihnen zu Beweisen.‘ Aber Eratosthenes war vorangegangen und hatte die Methode angegeben, nach der auch andere das nämliche Thema kritisieren oder, wie die Musiker sagen, variieren können; kritisiert hat den Beweis u. a. Hipparch, variiert u. a. Poseidonios. Zu sagen, wie das gewöhnlich geschieht, daß Eratosthenes und nach ihm Poseidonios, oder auch nach diesen noch Marinos und Ptolemaios die Erde vermessen hatten, geht nicht an. Eratosthenes hat das Beweismaterial zusammengetragen und eine einleuchtende Rechnungsmethode geliefert; natürlich nur in Annäherungswerten. Aber wie kommen wir Moderne dazu, genaue Rechnung zu erwarten? Waren alle Umstände den Antiken bekannt wie z. B. die Abplattung der Erdkugel an den Polen? Waren ihre Beobachtungsinstrumente verläßlich? Konnten ihre Landmaße befriedigen? A. Sprenger hat in seiner alten Geographie Arabiens (1875) darüber gespottet, daß Eratosthenes von den wichtigsten Orten am Meridian von Syene berichte, wie viele Stadien sie vom Aequator entfernt sind, als wäre er mit der Meßkette längs desselben auf- und niederspaziert, und Ptolemaios, Buch 8, gebe von den vorzüglichsten Stationen an, wie viele Stunden die Sonne früher oder später als in Alexandrien aufgehe, als hätte er in beiden Beobachtungsorten gleichzeitig mit der Uhr in der Hand gestanden.‘ Nein, das habe sich weder Eratosthenes[2] noch Ptolemaios je einfallen lassen, solchen Dienst im Feld zu leisten. Ebensowenig wird P. Schnabel im Recht [36] sein, wenn er in seiner Entstehungsgeschichte des kartographischen Erdbildes des Klaudios Ptolemaios (= S.-Ber. Akad. Berl. 1930) 228 meint: Daß er die Feststellung seiner terrestrischen Linie ,mittels geodätischer Methoden und Triangulation usw. gefunden habe, ist im Altertum nirgends bezeugt und moderne Phantasie.‘ Die Annahme ist um so weniger berechtigt, als die Notiz des Mart. Cap. VI 598 Eratosthenes a Syene ad Meroen per mensores regios Ptolemaei certior de stadiorum numero redditus quotaque portio telluris esset adsertus durchaus nicht unbedingt falsch oder mißverstanden sein muß, wie man gewöhnlich liest. Man findet verständige Erwägung bei Nissen Rh. Mus. LVIII 238 und denke ferner an die Postreiter, über die uns der Papyrus von Hibeh (Wilcken Grundz. 372ff.; Chrestomathie 435) überraschende Kunde und Rückschluß auf die persische Einrichtung der königlichen Schnellpost auch im Nilland gebracht hat. Die Postdirektion der Ptolemaeer hat Erathosthenes gewiß alle einschlägigen Nachrichten (vielleicht sogar bis Meroe, das allerdings bei Mart. Cap. nicht erst durch ein Versehen[3] in den Text gelangt zu sein scheint, einhändigen können; und diese Streckenlängen sind mir viel wahrscheinlicher als der Umweg über die jährlichen Landvermessungen des Ackerbodens, auf die man sonst hinweist, wenn sie auch nicht mit Meßlatten und Meßschnüren gewonnen worden waren.

Die Schrift, in der Eratosthenes, der erste, der sich als Philologen bezeichnen lassen wollte, die Ergebnisse seiner Erdmessung vorgetragen hat, mag, wie Knaack Bd. VI S. 364 referiert, in einer besonderen Publikation, die Heron Dioptrik c. 35 (302 Sch) zitiert, ausgeführt haben, ἐν (τῷ) ἐπιγραφομένῳ περὶ τῆς ἀναμετρήσεως γῆς, die dann also nicht ein Teil seiner Γεωγραφικά gewesen wäre, wie früher angenommen worden ist; vgl. auch Berger² 407, der eine solche Sachlage vorausgesehen hat. Das wären also die libri dimensionum, von denen Macrobius Somn. Scip. I 20, 9 spricht. Ihren Inhalt skizziert Galenus Εἰσαγωγὴ διαλεκτική c. 12 p. 26f. Kalbfl., aber ich gebe ihn lieber und kürzer mit Nissens Worten wieder (232): ,Die Größe des Aequators, den Abstand der Wende- und Polarkreise, die Ausdehnung der Polarzone, Größe und Entfernung von Sonne und Mond, totale und partielle Verfinsterungen dieser Himmelskörper, Wechsel der Tageslänge nach den verschiedenen Breiten und Jahreszeiten, kurz und gut was wir astronomische oder mathematische Astronomie nennen.‘ Diese Arbeit wurde als wissenschaftliche Leistung ersten Grades gewertet, und Plin. n. h. II 247 versteigt [37] sich [4]gelegentlich des Erdumfanges zu der selbst in seinem Munde exzeptionellen Anerkennung: Universum circuitum Eratosthenes in omnium quidem litterarum sublimitate in hac utique praeter ceteros solers, quem cunctis probari video, CCLII milium stadiorum prodidit, quae mensura Romana computatione efficit trecentiens quimdecies centena milia passuum, (31 500 Meilen), inprobum ausum, verum ita subtili argumentatione conprehensum, ut pudeat non credere. Censorinus 15 nennt ihn daher orbis terrarum mensor. Die Höhe dieser wissenschaftlichen Leistung ist ein beliebtes Diskussionsthema namentlich in letzter Zeit geworden, und nach der eleganten Behandlung Nissens in seinem Artikel über die Eratosthenes-Erdmessung Rh. Mus. LVIII ist Konrad Miller Erdmessung im Altertum und ihr Schicksal (1919) 18ff. gegen alle Welt, die heutzutage das Verdienst und die Originalität des Eratosthenes zu schmälern sich beflissen zeigt, lebhaft und leidenschaftlich aufgetreten und hat sich insbesondere gegen einen fast burlesk wirkenden Aufsatz von A. Sprenger im Ausland 1867 gewendet, der ohne irgendwo die Wahrheit zu streifen, dem Eratosthenes großen Leichtsinn vorgeworfen hatte: ,Wenn er nur in Alexandrien in den Basar gegangen wäre, hätte er dort Entfernungsangaben, ähnlich wie die im Orient allverbreiteten Itinerarien, erhalten können und hätte finden müssen, daß die Entfernung von Syene nach Alexandrien nicht 5000, sondern nur etwa 3740 [richtiger 3750] betrage, auch daß Alexandrien nicht unter dem gleichen Meridian liege usw. Es fehle ihm jeder Ernst und die Begeisterung für eine so wichtige Frage; deshalb sei anzunehmen, daß er diese Messungen nicht selbst gemacht, sondern in Aegypten vorgefunden habe.‘ usw. usw. Besonders Miller hat sich über solchen ,Raub‘ am ,Verdienst der Originalität‘ aufgehalten. Richtig ist, daß Eratosthenes mit großer Energie und Geduld auf zwei Wegen das Ziel verfolgt hat, und daß er anscheinend vom ägyptischen König dabei sehr gefördert worden ist. Sein Gedanke scheint überaus einfach, seine Methode ist trotz der primitiven Mittel zwingend. Zunächst suchte Eratosthenes die geographische Breite von Alexandrien, wo er als königlicher Bibliothekar funktionierte, und von Syene, weil er sie (mit Unrecht) am gleichen Meridian liegend vermutete. Für Syene, heute Assuan, das er an den Wendekreis legte oder legen zu sollen glaubte[5], hatte er erfahren, daß zu Mittag im Solstiz die Sonne wirklich im Zenit stehe und daß dort der Gnomon in der Skaphe[6] deshalb ohne Schatten bleibe. [38] Diese Schattenlosigkeit erstrecke sich auf 800 Stadien im Umkreis.

Zu ihrer Überprüfung sei (durch Eratosthenes oder zur Unterstützung seiner Studien) ein Brunnen gegraben worden, Plin. n. h. II 183 tradunt puteum eius experimenti gratia factum totum inluminari; damit ist eigentlich nicht gesagt, daß Eratosthenes die Anregung zur Anlage eines solchen Brunnens gegeben habe, wie alle (und so auch Nissen 236) meinen. Von anderer Seite hat Sprenger dies Detail nur für ein Datum vor rund 700 v. Chr. möglich sich bezeichnen lassen, Ausland 1867, 1020[7]; Nissen aber urteilt von den Ortsangaben für Meroe, Wendekreis, Syene und Alexandria, daß sie ,aufrichtigen [39] Respekt vor der Sorgfalt der alten Beobachter einflöße'. Es seien die genauesten Bestimmungen des Altertums und hätten sich noch im 16. und 17. Jhdt. mit Ehren sehen lassen können. In Alexandrien zeigt gleichzeitig (Fig. 2) die Schattenuhr einen Winkel von 7° 12'. Diesem entspricht auf der Erdoberfläche, paralleles Auffallen der Sonnenstrahlen vorausgesetzt, gegen welche Voraussetzung bei der Länge der in Betracht kommenden Linien (Erdradien zum Erdmittelpunkt hin) kein Hindernis gegenübertritt, ein Meridianbogen, der mit rund 5000 Einheiten bemessen wird; die Einheiten werden Stadien genannt, also mit den Namen der gewöhnlichen großen Wegeinheit, dem 40. Teil des σχοῖνος, des ,Meßstrickes‘, d. i. 157,5 bis 159,8 m. Es soll noch die Wertung des στάδιος unten S. 50ff. zur Sprache kommen. – Besonders ist unter den bezüglichen Untersuchungen die von O. Viedebantt Eratosthenes, Hipparchos und Poseidonios, Klio XIV 207–256 hervorzuheben.

Eine Uhrenkontrolle des Verfahrens beim Winkelmessen ist auch beim winterlichen Solstitium möglich. Kleomedes a. O. p. 100 ἑκατέρων (πόλεων) σκιὰς ἀποβαλλόντων μείζων μὲν ἡ ἐν Ἀλεξανδρίᾳ εὑρίσκεται ἀναγκαίως διὰ τὸ πλέον ἀφεστάναι τοῦ χειμερινοῦ τροπικοῦ τὴν πόλιν ταύτην· und εὑρίσκουσι καὶ ταύτην μέρος πεντηκοστὸν τοῦ μεγίστου τῶν ἐν τῷ ὡρολογίῳ κύκλων usw. Die Differenz zwischen den Polhöhen der beiden Beobachtungsorte (7° 7' 52") beträgt nach Kleomedes, der den Vorgang sehr genau und umständlich darstellt, den 50. Teil eines größten Erdkreises; I 10 p. 100 ἡ δέ γε ἐν τῇ σκάφῃ πεντηκοστὸν μέρος εὑρίσκεται τοῦ οοἰκείου κύκλου. δεῖ οὖν ἀναγκαίως καὶ τὸ ἀπὸ Συήνης εἰς Ἀλεξανδρείαν διάστημα πεντηκοστὸν εἶναι μέρος τοῦ μεγίστου τῆς γῆς κύκλου· καὶ ἔστι τοῦτο σταδίων πεντακισχιλίων. ὁ ἄρα σύμπας κύκλος γίνεται μυριάδων εἴκοσι πέντε. καὶ ἡ μὲν Ἐρατοσθένους ἔφοδος τοιαύτη.. Das Prinzip war gewonnen und die Möglichkeit des Kugelbeweises und des Erdumfanges strenge gegeben. Besser konnte Eratosthenes dies nicht erreichen, schon mit Rücksicht auf den primitiven Charakter der Meßinstrumente und wegen der theoretischen Unerfahrenheit betreffs der Genauigkeit oder der Fehlergrenzen seiner Beobachtungen. Die Alten rechneten selbst mit ihrem ,Unvermögen‘ den westöstlichen Abstand zweier Orte astronomisch genau zu bestimmen. Daß dies durch gleichzeitige Beobachtungen von Mondfinsternissen und Sternbedeckungen zu erreichen sei, war wohl bekannt. Um eine zielbewußte und gemeinschaftliche Arbeit anzubahnen und zu erleichtern, hat Hipparch für angeblich 600 Jahre die Finsternisse voraus berechnet. Und was war die Frucht seiner Mühen? Ptolemaios hat für sein Kartenwerk keine Himmelsbeobachtung nach Hipparch und überhaupt nur eine einzige älteren Datums benutzt (Geogr. I 4). Das ist die berühmte Mondfinsternis vom 30. Sept. 331, die um die 5. Stunde der Nacht zu Arbela, um die 2. Stunde zu Karthago beobachtet wurde [8]. Ptolemaios hält die Zeitenangaben für richtig und setzt danach die Entfernung beider Städte zu 45° [40] an. In Wahrheit liegen sie nur 34° auseinander und der Beobachtungsfehler beträgt nicht weniger als 44' (Zech Astron. Untersuchungen über die Finsternisse d. Altertums 33. 47). Der Mangel des Zusammenarbeitens, das Fehlen einer die verschiedenen Sitze der Gelehrsamkeit zusammenhaltenden Organisation wird zunächst als die Ursache betrachtet werden, weshalb die Bestimmung des E. den Alten nicht besser geglückt ist. Allein die Hauptschuld ist den unzulänglichen Leistungen ihrer Mechanik beizumessen. So Nissen 244.

Nach den Tagen Hipparchs und des Poseidonios (s. u. S. 42ff.), aber eben gestützt durch Eratosthenes’ Erfolg, war (abgesehen von dem die Vorbereitung der Kolumbusexpedition äufs äußerste erleichternden Übermaß der Längenerstreckung gegen Osten) jener Gedankengang gegeben, aus dem Senecas Ausruf ,quaest. nat. I prol. 13‘ entstanden ist: tunc contemnit (curiosus spectator) domicilii prioris angustias. quantum enim est, quod ab ultimis litoribus Hispaniae usque ad Indos iacet ? paucissimorum dierum spatium, si navem suus ferat ventus, implebit; vgl. u. S. 44, 42.

Nur eines muß ich gleich hier bemerken: So wichtig des Kleomedes Ausführungen für unsere Erkenntnis der Forschung des Eratosthenes sind, dürfen wir uns nicht blind der Tatsache gegenüber verhalten, daß Eratosthenes in ihnen nicht in erster Linie steht, sondern eher und vorzugsweise allein die Untersuchungen des Poseidonios, und auch diese nicht in autoritärer Weise gegeben werden. Diese Erkenntnis ist nötig, um etwaige Verfälschungen und Abänderungen der eratosthenischen Zahlen aufzuspüren; es ist in diesem Augenblick also bloß vom prinzipiellen Standpunkt aus gleichgültig, ob solche Änderungen aus Bequemlichkeit (sog. ,Abrundung‘), aus Versehen oder durch Popularisierungsanwandlungen, Besserwissen und spätere Korrekturen in Kleomedes’ Text gelangt sein mögen. In ihrer Beurteilung sind die Modernen weit auseinandergegangen, wie ein Blick in Nissen, Viedebantt 211 und Schnabel 226 lehrt. Es handelt sich in erster Linie um den Erdumfang, um das Verhältnis des Schattenwinkels zum Vollkreis und um die Messung der Erdstrecke zwischen Alexandria und Syene:

Den Erdumfang[9] gibt Kleomedes mit 250 000 Stadien an; alle anderen Zeugnisse, d. i. Varro bei Censorinus 13, 2, Vitruv. I 6, 9. Strab. II 113 und 132; Geminos 164, 22; Heron Dioptra c. 35 ; Galen. Inst. log. c. 42 p. 26; Markianos Peripl. I 4 (Müller GGM I 519) und die Ὑποτύπωσις γεωγραφίας I 2 (ebd. II 494) haben 252 000 Stadien. Über den Schattenwinkel und den zugehörigen Meridianbogen (ob oder oder  ?) und die Länge der Landstrecke Syene–Alexandreia s. u. Eine drollige Bestätigung der eratosthenischen Messung hat eine Mystifikation gebracht, die man von einem namhaften Geometer Dionysodorus (unbestimmter Zeit) erzählte; s. Hultsch Bd. V S. 1005. Marcianus von Herakleia Periplus ext. 4 p. 519 Müll. bezeugt dessen Anschluß an Eratosthenes’ [41] Berechnung, nennt ihn aber Dionysos, Sohn eines Diogenes. Strab. XII 549 bezeichnet ohne weiteres Detail einen Geometer aus Melos als der Erinnerung würdig. Plinius aber unterdrückt (n. h. II 248) durchaus nicht den Scherz, den ein Dionysodoros aus Melos, ein namhafter Geometer, sich mit seinen weiblichen Hinterbliebenen erlaubt haben soll. Man fand nämlich nach seiner Bestattung eine epistula Dionysodori nomine ad superos scripta im Grabmal; er wollte bis zum Erdmittelpunkt vorgedrungen sein. Dieser Punkt liege 42 000 Stadien tief, weiter könne man von der Erdoberfläche nicht kommen. Zu diesem Radius gehören als Umfang (π = 3 gerechnet) just 252 000 Stadien. Harmonica ratio, fügt Plinius ohne Übergang an, so daß wir anscheinend das auch noch auf Eratosthenes oder auf den Ulk des Dionysodorus beziehen müßten, verlange noch einen Zuschuß von 12 000 Stadien. Kein Name wird genannt, und die ,Vervollständigung‘ von 252 durch 12 zu 264, etwa durch Richtigstellung von π in Z. 14 zu 31/7 ergäbe allerdings gerade diesen Zuschuß. Plinius fährt fort: terramque XCV partem totius mundi facit!

§ 4. Das Beste und Modernste über Hipparchos von Nikaia gibt Rehm Bd. VIII S. 1666ff. Hipparchs Kritik des Versuches von Eratosthenes geht aus den von Berger gesammelten Geogr. Fragmenten Hipparchs (869) hervor (22ff.), vgl. Berger Gesch. Erdk.² 466ff. 590ff. Hipparch hat die Einteilung des Kreises in 360° in die Geographie eingebürgert, so daß er, im wesentlichen an Eratosthenes’ E. sich anschließend, dem Grad 700 Einheiten des Stadienmaßes zuschreiben mußte, Strab. II C 132.

Hipparch hat am Meridian durch Meroe, Alexandria und Borysthenes, wovon das Stück Syene–Alexandria ein Teil ist, irgend etwas anstößig gefunden (Strab. I 62 μικρὸν παραλλάτειν φήσας παρσ τὴν ἀληθείαν, augenscheinlich aber ohne ihn abzulehnen. ,Diese Worte, Berger Frg. S. 29, sprechen nicht einen allgemeinen Zweifel aus, sondern sie beziehen sich offenbar auf ein spezielles Datum, welches den Hipparch in den Stand setzte, die Fehlerhaftigkeit irgendwo nachzuweisen. Nach seinen Hilfsmitteln konnte er aber dies nur, wenn er den von zwei Punkten des angenommenen Meridians aus beobachteten Eintritt einer Finsternis kannte. Denn zwei solche Beobachtungen aus Rhodos und Byzanz, oder Nicaea, oder Alexandria waren wohl zu erhalten, und auch wenn sie nicht aufs genaueste angegeben waren, hinreichend, den Fehler zu konstatieren.‘ Übrigens wäre auch die (u. S. 42, 35 anzuführende) Pliniusstelle II 108, falls sie überhaupt Sinn haben und zutreffen sollte, doch nur unter der Voraussetzung zu verstehen, daß Hipparch die E. des Eratosthenes im wesentlichen gutgeheißen habe.

Berger 25 schließt aus den erhaltenen Bruchstücken, ,daß Hipparch andere Messungen der eratosthenischen gegenüber halten konnte, Messungen von Mathematikern der nacheratosthenischen Zeit. Wer diese Männer gewesen, die Hipparch und Strabon (I 62) mit οἱ ὕστερον bezeichnen, wissen wir nicht;‘ aber ,es drängt sich immer mehr der Gedanke auf, daß der Versuch zur Lösung dieses Problems, nachdem es anfangs [42] hie und da einzeln aufgetaucht, nach und nach immer mehr in Angriff genommen wurde, daß sich die von Eratosthenes befolgte oder erfundene Methode nach und nach zu einer allgemeinen Formel gestaltete, die nun, bei allmählicher Verbesserung der Instrumente einerseits und stetem Zweifel über die Richtigkeit terrestrischer Entfernungen andererseits jeden Mathematiker von Fach aufforderte, einen neuen Wert einzusetzen und sein Resultat mit den übrigen zu vergleichen, oder auch für das allein richtige zu halten.‘ [10] Überhaupt überwiegt bei Hipparch, wie das Rehm an einer Anzahl von Beispielen klargemacht hat, der Zug zum Kritischen, das Mißtranen gegen Hypothesen und aus diesen abgeleiteten Fortschritten, ein Zug ins Geniale, außerordentliche Kenntnis der Astronomie und kühne Geschicklichkeit im Herstellen des astronomischen Inventarium. Ob dies direkt den Bemühungen um die E. zugute kommen konnte, oder vielmehr: warum dies nicht so gekommen ist, wie man hätte erwarten dürfen, wissen wir nicht. Es ist angenommen worden (so Rehm 1679), daß die hauptsächliche Schuld an diesem Mißerfolg im allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang und im Fehlen einer Arbeitsgemeinschaft zur Förderung streng wissenschaftlicher Forschung gelegen war. Aber es ist erfahrungsgemäß sehr fraglich, ob wissenschaftlicher Aufschwung und das Durchhalten großer Talente wirklich an Perioden oder Momente wirtschaftlicher oder politischer Prosperität gebunden zu sein pflegt. – Im übrigen muß Hipparchs Tätigkeit unter Oikumene beleuchtet werden.

Allergrößte Verlegenheit bereitet ein Satz in Plin- n. h. II 108: Hipparchus et in coarguendo eo (Eratosthene) et in reliqua omni diligentia mirus adicit (mensurae Eratosthenis) stadiorum paullo minus XXVI m(ilia). Es ist so wenig mit ihm etwas anzufangen, daß Berger Frg. S. 28 es geradezu für möglich erachtet, daß in diesem Falle Plinius mit seinen einschlägigen Notizen, durch versehentliche Vermengung, ,ein Unglück passiert sei.‘ Aber es ist nicht recht wahrscheinlich, daß mit solchem Zerhauen der gordische Knoten sich zur Zufriedenheit unseres Gewissens werde lösen lassen. Immer noch war eher ein Fehler in der Zahl, wenn es schon ein Fehler sein soll, als im Tenor der ganzen plinianischen Notiz möglich oder wahrscheinlich. – Einen Lösungsversuch soll u. S. 50 anbahnen.

§  5. Poseidonios von Apameia, Zeitgenosse des Großen Pompeius und Ciceros, bringt neue Zahlen für die alten Begriffe, und zwar aus neuem Berechnen. Sein Beginnen ist merkwürdig und originell, aber nicht ‚grundverschieden‘ von dem des Eratosthenes, wie Viedebantt 208 (ohne Zitat!) ‚bezeichnet‘ wissen will. Seine Idee ist vielmehr die gleiche wie die des Eratosthenes, die Verbindung eines Meridianbogens mit der zugehörigen auf dem Erdmeridian gemessenen Entfernung. Nur ist der Meridianbogen anscheinend nicht direkt in die Rechnung einbezogen, sondern die Messung erfolgt am Zodiakalkreis, und zwar für die beiden Positionen Rhodus und Alexandria. Auch Rhodus liegt nämlich augeblich auf dem gleichen Meridian [43] mit Alexandria und Syene[11] und Rhodos empfahl sich Poseidonios als Ausgangsstation, weil dort seine berühmte Schule sich befand.

Charakteristisch für Rhodus war der Aufgang des Stern Canopus, des hellsten ,am Steuerruder der Argo‘, weil er dort nur für einen Augenblick aufblitze.[12] Hingegen ist er in Alexandria um 1/4 eines Tierkreiszeichens weiter gerückt, also um 1/48 des Zodiacus entfernt. Also ergibt die Multiplikation von 48 und 5000, die nach Angabe der Schiffer zwischen Rhodus und Alexandria liegen, als Produkt 240 000 Einheiten. So Kleomedes I 10 p. 92f., der diese Rechnung als ἁπλουστέρα (90, 24) bezeichnet, als die des Eratosthenes δοκοῦσά τι ἀσαφέστερον ἔχειν; die größere Unklarheit wird sich meines Erachtens auf die terrestrische Messung beziehen.

Die 240 000 Einheiten sind selbstverständlich der nämlichen Art wie die 252 000 des Eratosthenes. Sie mögen ja auch nur als Annäherungswert gefaßt werden; Kleomedes setzt vorsichtig hinzu: εἰ δὲ μή, πρὸς λόγον τοῦ διαστήματος. Ist schon die Distanz der Schiffer 5000 Stadien kaum aufrechtzuerhalten, und werden wir durch Plin. n. h. V 132 belehrt, daß Eratosthenes für die gleiche Entfernung 469[13] Millien, d. i. 3752 Stadien (Meile zu 8 St.) gerechnet habe, und mag vielleicht Kleomedes auch von anderen Angriffen auf die Fünftausend-Distanz gehört haben, so dürfte auch der Himmelsbogen zu groß angenommen sein, wenn wirklich der Canopus sich bloß über den Horizont erhoben haben soll, um sofort wieder unterzugehen. Aber die 240 000 mögen neben den 252 000 des Eratosthenes als Abrundung, etwa um die ganze Beweisführung zu ‚popularisieren‘, zu Recht bestanden haben, schon wegen der Teilbarkeit durch 12 und durch 24. Jedenfalls verblieb die E. in ihrer Gesamtsumme [44] nach dem Urteil des Poseidonios nicht unerheblich hinter Eratosthenes zurück.

Hier hat Viedebantt durch einen zwar ingeniösen, aber schwerlich für andere gangbaren Weg zugunsten Hipparchs und gegen Eratosthenes eingegriffen. Er will (216) die alte Gleichung bei Kleomedes 50✕5000 als Korrektur einer früheren Rechnung 48✕5250, Produkt auch hier 252 000, nachweisen: 48 wie bei Hipparch und 5250 als Abrundung der tatsächlich verwendeten Bogenstrecke vom ‚kleinen Katarakt (Syene)‘ Strab. XVII 786 (,5300‘ Stadien). Damit hätte Eratosthenes ,einen überraschend großen Näherungswert‘ gewonnen, der ,sich bis zu einem gewissen Grade als Zufallstreffer herausstellt.‘ ,Hat aber Hipparch den Meridian nicht zu 240 000, sondern zu 252 000 Stadien gerechnet, dann hat er auch die Breitendistanz Alexandria–Rhodus nicht zu 1/48, sondern zu des Gesamtkreises genommen 50 • 4 (252 000:5000 = 50·4).‘ Also das Endergebnis 252 000 das gleiche, aber für Hipparchos einen gewaltigen Fortschritt: ,eine Großtat astronomischer Beobachtung‘ (S. 220). – Den wirklichen Betrag des Umfangs unseres Geoids berechnet man zu 40 070·3, einen Meridiankreis zu 40 003•423 km. Soll man sich darüber ereifern, daß die moderne Gradforschung das eratosthenische Ergebnis bewundernd zur Kenntnis nimmt, auch wenn es in der Hauptsache wie gesagt nur auf einen Zufallstreffer hinauskommen sollte?

Aber Poseidonios hat angeblich noch eine zweite Messung vorgetragen. Strab. II 95 spricht von seiner kleinsten Einschätzung der Erde (ἡ ἐλαχίστην ποισῦσα τὴν γῆν . . . ὁ Ποσειδώνιος ἐγκρίνει περὶ ὀκτωκαίδεκα μυριάδας οὖσαν) und II 102, wahrscheinlich vom rhodischen Parallelkreis[14], also normal 36° Breite, obwohl die Rechnung auf 39° zu weisen scheint: ὑπονοεῖ (ὁ Ποσειδώνιος) τὸ τῆς οἰκουμένης μῆκος ἑπτά που μυριάδων σταδίων ὑπάρχον ἥμισυ εἶναι τοῦ ὅλου κύκλου καθ’ ὃν εἴληπται, ὥστε (φησίν) ἀπὸ τῆς δύσεως εὔρῳ πλέων ἐν τοσαύταις μυριάσιν ἔλθοι ἂν εἰς Ἰνδούς, also auch (vgl. das Senekazitat o. S. 40, 18) ein Vorläufer der ersten Kolumbusfahrt nach Amerika!

An dieser Zahl 180 000 Stadien ist nicht der geringste Zweifel möglich. Sie ist durch Marinus von Tyrus und durch Ptolemaios gesichert. Es bleibt nichts übrig als eine Erklärung zu suchen. 180 000 dividiert durch 48, welche Zahl für Poseidonios bereits o. Z. 8 erwähnt worden ist, ergibt 3750. Auch diese Zahl kehrt bei den E.-fragen einige Male wieder[15], z. B. bei Alexandria–Rhodus, welche Distanz Eratosthenes (Strab. II 126) mit seinen Schattenmessern festgestellt hatte, während die Schiffer die 5000 Stadien (und ebenso Poseidonios!) berechnet hatten. Ist die Verlegenheit Strabons über die ἐλαχίστη γῆ unverkennbar, [45] so zeigen sich die Modernen über Poseidonios entrüstet. Berger klagt (580ff.) darüber, daß ‚Poseidonios sich so vergessen konnte‘ und daß ,Strabon, der von alledem kein Wort verstand, so wenig wie irgend ein Römer,‘ diese Daten überhaupt herausgeschrieben hat. ,Andere tatens ihm nach und so sind die beiden Angaben von einem Exzerpt zum andern geschleppt worden und haben schließlich die Geltung erlangt, die ihnen ein Mißverständnis schlimmster Art beilegte.‘ ,Hätte Poseidonios eine neue eigene E. damit anstrengen wollen[16], so wäre er dadurch für alle Zeiten zum Idioten gestempelt worden.‘ Viedebantt hat die Frage der Breite der ,verbrannten‘ Zone nach Strab. II 94 erörtert und folgert S. 228: ,Also schmal und breit, klein und groß, je nach Bedarf. Schluß: Poseidonios war ein – Schalk.‘ S. 229: ,Es ist ein Popularisierungsverfahren, vielleicht ein erläuterndes Schulbeispiel, eine Kollegparaphrase.‘ Und K. Reinhardt Poseidonios (1921) 196 versteigt sich bei seiner Analyse dieses Charakters zu den Sätzen: ,Poseidonios macht das Ergebnis (des Eratosthenes: 252 000) zur Grundlage einer neuen Messung. Er mißt also das Maß am Maß and merkt es selber nicht. Man hat alles Mögliche versucht, um das Kompromittierende zu mildern; wie mir scheint, vergeblich.‘ Nun hat Miller, der übrigens, gleichsam zur Unterstützung des merkwürdigen Gehabens des Poseidonios, die resignierte Bemerkung eingeschaltet hat, daß ,Gunst oder die Zugehörigkeit zu einem Ring oder einer Clique, mag sie Stoa oder anders heißen, so oft über den Erfolg entscheide‘[17], (12ff.) die selbstverständliche Forderung erhoben, daß ,die zwei Zahlen des Poseidonios 180 000 und 240 000 denselben Wert darstellen und sich nur auf verschiedenes Maß beziehen.‘ Er hätte aber auch die 262 000 des Eratosthenes mit einbeziehen sollen[18]. Es handelt sich doch immer um das gleiche Objekt und dieselbe Rechenoperation mit objektiv gesicherten Beträgen. Bleiben wir aber bei den beiden Ergebnissen des Poseidonios! Auch Viedebantt hat in einem zweiten Aufsatz Poseidonios Marinos Ptolemaios (Klio XVI) ungefähr die gleiche Lösung vorgeschlagen, allerdings nicht ohne Vorbehalt; vgl. 99: ,Und Poseidonios? Rückt jetzt auch für ihn die „kleinste E.", in ein anderes Licht? Ja und nein.‘

Hier ist wie man deutlich fühlt, eine letzte Hand nötig. Ich möchte vor allem auf die bewegliche Klage des Galenus (XIII 893ff. K.) [46] verweisen, der in Rezeptbüchern Maße und Gewichte ohne irgendeine Präzisierung beanstanden mußte, da die nämlichen Bezeichnungen sehr verschiedene Bedeutungen deckten. ,Er hätte doch sagen müssen, meint Galenus, ob er die attische oder die alexandrinische oder die ephesische oder irgendeine andere κοτύλη meine.‘ Wie sehr der Arzt und die Patienten bei der Dosierung durch unzureichende und nachlässige Bezeichnung des Maßsystems leiden mußten, liegt ebenso auf der Hand wie die Verwirrung durch mangelnde Bezeichnung der Maßgrößen und das Fehlen des Maßstabes auf Karten noch des 15. und 16. Jhdts.; genauere Eintragungen oder Verifizierung ist so verhindert worden. Wagner erzählt bei der Behandlung der E. im Altertum, Lehrbuch I10 101, daß er anfangs sich vergeblich bemüht habe, in die überlieferten Daten Ordnung zu bringen, aber dann nach längerer Beschäftigung mit dem auch noch nach dem Zeitalter der Entdeckungen verfaßten und durch Mangel von Maßeinheiten verwirrten Kartenmaterial auf weitere Versuche in dieser Richtung verzichtet habe. Man ersieht aus dem oben Gesagten, daß diese Verzichte bei den E.-Fragen nicht gutzuheißen waren und ebenso auch, daß der Tadel betreffs des Unterbleibens einer Indikation weit eher die Griechen als die Römer treffen mußte.

Ich möchte dabei auch gleich dessen gedenken, daß H. v. Mžik in seinem nützlichen Buch Erdmessung, Grad, Meile und Stadien nach den altarmenischen Quellen (= Studien zur armen. Gesch. VI 1933) 102 Anm. 216 darauf hinweist, daß Ptolemaios aus den ihm vorliegenden Quellen Stadien verschiedener Länge unterschiedslos als gleichwertig zusammenwirft und vielfach gar nicht in der Lage gewesen wäre, sie auseinander zu halten. Auch, daß die modernen Geographen ,allein bei den deutschen Meilenmaßen vor Einführung des metrischen Systems mit mehr als einem Dutzend recht verschiedener Größe zu rechnen hätten oder daß mit dem scheinbar so eindeutigen Ausdruck English league drei verschiedenen Maßen zu entsprechen wäre. ,Wären wir, trotz unserer – die des Ptolemaios so vielfach überragenden – Hilfsmittel, ohne Arbeit an Ort und Stelle in der Lage, bei Entfernungsangaben in derlei Maßen überall die zugrunde liegende Einheit zu erkennen?‘ Gar nicht will ich dessen gedenken, daß die Adjustierung der Maße und Gewichte in antiker Zeit wahrlich nicht richtig durchgeführt worden ist und z. B. die Straße von Oedenburg (Savaria) zum Lager in Carnuntam nach überlangen Meilen vermessen ist und daß in Mauretanien andere Beispiele noch schlimmerer Art auf den röm. Meilensteinen längs der römischen Heerstraßen konstatiert worden sind, für die also wohl auch keine geaichte Hodometer (s. d.) verwendet worden sein können. Ohne die neueste Wendung in dieser Frage zu berücksichtigen, hat P. Schnabel in seiner (sonst mit voller Beherrschung des Materials und mit bemerkenswerter Kühnheit) verfaßten Abhandlung, über die Entstehung und Geschichte des kartographischen Erdbildes bei Ptolemaios, S.-Ber. Akad. Berl. phil.-hist. Kl. 1933, 226-229, die E. neu behandelt, und zwar hauptsächlich die Frage, ,warum sich Ptolemaios, der sich noch in der Syntaxis Hipparchos in dieser Hinsicht anschloß, [47] in dem Κανὼν ἐπισήμων πόλεων und in der Geographie Poseidonios und Marinos angeschlossen habe‘. Schnabel wird hoffentlich bald eine genauere Darstellung seines Gedankenganges folgen lassen. Heute stehen die einzelnen Glieder noch unvermittelt nebeneinander und ich wage kaum aus dem gegenwärtigen Kontext, der die Stadien nicht benennt und aus Eratosthenes, Poseidonios, Marinus und Ptolemaios etwas wie eine Arbeitsgemeinschaft, allerdings schwerlich in idealem Sinn, bildet, einen Nutzen zu erhoffen.

§ 6. Unter den vielen Leuten, die sich im 1. Jhdt. v. Chr. und weiterhin mit geographischen Problemen befaßt haben, und deren Namen uns meist verlorengegangen sind, wie schon aus vielen Zitaten im vorausgehenden hervorgeht, kann auch Strabon nicht genannt werden, da es uns unter diesem Schlagwort nur um die E. im ganzen und nicht auf Erörterungen des von den Alten bewohnten Globusviertels, unserer Oikumene (s. d.), ankommt. Dies, obwohl wir gerade Strabon die meisten und ausführlichsten Mitteilungen aus der Geschichte der antiken E. verdanken. Auch andere Namen, die nur registrierten, nicht aber selbsttätig eingriffen, werden besser hier weggelassen, daher auch vor allem die Naturgeschichte des Plinius. Wohl aber gehören hieher Marinus von Tyrus und Ptolemaios. Marinus (s. Honigmann Bd. XIV S. 1767–1796[19], ist ein Vorgänger des Ptolemaios und nur durch diesen bekannt. Ptolemaios hat sich entschlossen, Marinus in allem Wesentlichen zu folgen und polemisiert mit ihm fast nur in speziellen Fragen der Kartenzeichnung. Also müssen wir auch von Marinus absehen, da Fragen der Oikumene (s. d.) in diesem Artikel nicht zur Erörterung gelangen sollen. Aus Marinus sind durch Ptolemaios einige wenige (s. u. S. 52) Distanzen, in Stadien, von denen 500 auf einen geographischen Grad gehen, überliefert.

Von Ptolemaios’ (s. d.) Zeit und Leben wissen wir nichts weiter zu erzählen, als was wir selbst in seinen (sicher nicht spärlichen, aber leider großenteils ihrer Veröffentlichung noch harrenden) Schriften ab und zu erfahren, allenfalls von seinen Sternbeobachtungen. Seine Geographie, anscheinend sein letztes und nicht einmal abgeschlossenes Werk, mag in der Zeit der divi fratres verfaßt worden sein, vielleicht erst während der Alleinherrschaft des Marcaurel. Ich habe in meinem Art. Karten Bd. X S. 2061-2100 von dieser Geographie und seiner Bedeutung vieles auseinandergesetzt. Seither [48] habe ich mich eifrig mit Ptolemaios’ Buche befassen müssen und möchte hier wenigstens einiges aus meinen Eindrücken hier mitteilen. Wenn das Epigramm Anthol. IX 577[20] wirklich, was mir aber nicht gerade wahrscheinlich ist, von Ptolemaios herrühren sollte, würde sich eine besondere Begeisterung für Astronomie und eng damit verbundene oder auch ihr überlegene Astrologie daraus ergeben. In kostbaren Hss. sehen wir Ptolemaios von geschicktesten Miniatoren gemalt, im königlichen Gewand und mit der Krone auf dem Haupt seine astronomischen Studien betreiben; ähnlich wie die Kosmographen in den Hss. dargestellt werden. Das wird aber ebensowenig unsere Vorstellung von seinem Rang, Wirken und gesellschaftlicher Bedeutung beeinflussen können, wie die überschwänglichen Attribute (θαυμάσιος, θειότατος) bei späteren Benutzern wie Markianos von Herakleia oder Proklos. Wichtiger ist, daß wir bei ihm, der römischer Bürger ist, kaum eine Spur von Kenntnissen der römischen Verwaltung und des römischen Lebens finden. Ich hoffe Gelegenheit zu ausführlicherer Darstellung an anderem Orte zu haben und will hier nur einen bezeichnenden Zug anführen, nämlich, daß er stets nur Βελτική schreibt, also keinen Umgang mit römischen Beamten und Offizieren gehabt haben kann, die ihm die Gallia Belgica aus ihrer eigenen Laufbahn in Erinnerung gebracht haben würden. Weit eher stelle ich mir ihn heute so vor, wie etwa den Schreiber eines seiner Kodizes, der sich als πενίᾳ συζών bezeichnet. Heiberg hat auch über die Schwächen und Flüchtigkeiten seiner rein astronomischen Bücher ein nicht gerade anerkennendes Urteil gefällt, Müllers Handb. V 1, 2 (1925), 58, 11; und Berthelot Asie ancienne (1930) 109 glaubt prophezeien zu dürfen, daß in Zukunft kein Gelehrter und kein Forscher zu so großartiger Bewunderung gelangen werde wie sie Ptolemaios erreicht hat, ,der während 12 oder 13 Jahrhunderte als der unbestrittene Meister als Astronom und Geograph galt.‘

Aufschluß über die theoretische Auffassung des Erdmessens, sowohl des Gesamtumfanges (eines größten Kreises wie des Äquators oder irgendeines Meridians, zwischen welchen Größen das Altertum keinen Unterschied gemacht hat) als auch einer einzelnen Wegstrecke, die wissenschaftlich als Teil eines größten Kreises anzusehen ist, erhalten wir aus dem die Geographie des Ptolemaios einleitenden ersten Buch. Sie muß auch auf unsere Vorstellungen über die Gedankengänge aller zurückwirken, die sich in Zeiten vor Ptolemaios mit dem gleichen Problem befaßt hatten. Die Hauptstelle ist cap. 3 mit der Überschrift: ,Auf welche Weise aus der Stadienzahl einer beliebigen Wegstrecke (auch wenn sie nicht auf demselben Meridian liegt) die Stadienzahl des gesamten Umfangs (ὁ τῆς περιμέτρου τῆς γῆς σταδιασμός) gewonnen werden kann, und umgekehrt:‘

a) ,Unsere Vorgänger (οἱ πρὸ ἡμῶν) haben eine gerade Wegstrecke nicht bloß auf der Erdoberfläche gesucht, sondern auch in der durch den Meridian gelegten Ebene. Durch Schattenmesser [49] (διὰ τῶν σκιοθήρων) haben sie die Punkte im Zenit an beiden Enden der Wegstrecke visiert und die am Meridian zwischen den Parallelkreisen dieser Punkte gemessene Distanz als identisch (ὁμοίαν) mit dem Wege auf dem Erdkörper angesehen‘ . ..

b) ,So viele (Grade) von dem durch die Pole gezogenen Kreis zwischen den Zenitpunkten ausgewiesen waren, ebenso viele haben sie als Entfernung auf der Erdoberfläche gerechnet.

c) Übrigens, auch wenn nicht ein durch die Pole gezogener Kreis, sondern irgendein größter Kreis für die Vermessung in Betracht kommt, kann die Aufgabe gelöst werden; wenn die Erhebungen an den Endpunkten (der vermessenen Strecke) in gleicher Weise beobachtet und ihre Lage zu den beiden Meridianen festgestellt ist, haben wir durch Konstruktion eines meteorologischen Instruments (ὄργανον μετεωροσκοπικόν), mit dessen Hilfe wir leicht auch andere sehr nützliche Verrichtungen besorgen können, an jedem Tag und zur Nachtzeit die dem Beobachtungspunkt entsprechende Erhebung des Nordpols, und zu jeder Stunde den Meridian und die Neigung der Wegstrecke zu ihm bestimmt, d. h. den Winkel abgelesen, den auf dem größten durch diese Wegstrecke gelegten Kreis eben diese (Wegstrecke) zu beiden Meridianen bildet. Mit Hilfe des μετεωροσκοπικόν gewinnen wir aus diesen Winkeln das gesuchte Kreisstück. Dieses Verfahren erlaubt (also) die geradlinige Vermessung einer Wegstrecke auf der Erdoberfläche, weil man den größten Kreis kennt . . .‘

Wichtig, freilich eigentlich aus dem Gesagten sich ergebend, ist ein Satz aus dem Almagest des Ptolemaios, den ich hier nach der Übersetzung des Manitius anfügen kann: I 10 S. 68 Heib.: ,Leicht zu bestimmen ist ohne weiteres aus dem vorliegenden Beobachtungsergebnis die geographische Breite der Wohnorte, in denen wir unsere Beobachtungen anstellen: erstens wird der im Äquator liegende Punkt in der Mitte zwischen beiden Grenzpunkten (d. i. die Äquatorhöhe) gewonnen, zweitens der zwischen diesem Punkte und dem Zenit sich erstreckende Bogen, welcher bekanntlich der Polhöhe gleich ist.‘

Dieses ὄργανον μετεωροσκοπικόν hat Ptolemaios ausführlich in seiner Synt. meg. I 10 Heib. 64 (Übersetzung Manitius 41ff.) beschrieben und auch Manitius hat in seiner Ausgabe der Hypotyposis des Proklus (1909) 42 seine Rekonstruktion vorgenommen; daraus wiederholt in der Übersetzung der Synt. = Handb. der Astronomie 41. Ein weiter entwickeltes Instrument Synt. V 1, Bildrekonstruktion Manitius Proclus 200 = Handb. I 255.

Ich bin freilich genötigt, aus der in vielen Beziehungen sehr instruktiven Ausgabe der ptolemaischen Geographie durch Wilberg (1838) etwas zu wiederholen, was ich dort zuerst über dieses Instrument aus Delambre Hist. de l’astr. anc. II (1817) 73f. exzerpiert gefunden habe: ,Was Ptolemaios hier ausführt, ist geometrisch wahr. Aber in der Praxis wird dieses Verfahren ebenso umständlich als unsicher sein. Zum mindesten werden die beiden Stationen, außerdem daß der Bogen nur äußerst klein ist, für einander nicht sichtbar sein; man wird die Richtung nur [50] für den Anfang des Bogens beurteilen können. Man müßte den Winkel mit der größten Genauigkeit bestimmen, was niemals leicht fällt und gewiß im Altertum noch schwerer fiel; um sicher zu sein die Linie nicht verfehlt zu haben, was nicht so leicht ist als man sich denkt.‘ Delambre empfiehlt die trigonometrische Berechnung, wie wir sie auf der Schulbank für sphärische Dreiecke und für Ortsbestimmung gelernt haben. Delambre schließt mit den Worten: ,Man sieht, daß Ptolemaios hier tiefstes Stillschweigen über das ganze Verfahren wahrt. Er sagt nicht einmal, daß er oder sonst jemand es versucht habe; und aller Wahrscheinlichkeit nach hat sie nie jemand ausgeführt.‘ Aber auch der Gegensatz zwischen der warmen Empfehlung dieses Instruments und dem Leugnen seiner vermeintlichen Erprobung und Wirksamkeit muß den Leser stutzig machen.

Auf dem Weg zum Rechenmaß des Ptolemaios habe ich einige Vorbemerkungen nötig, die ich hier vorbringen möchte. Es handelt sich A sowohl um das Maß selbst sowie B um einige Bemerkungen über die Geneigtheit des Ptolemaios, dieses Maß tatsächlich in Anwendung zu bringen.

A. Ich werde dann vor allem zum Art. Stadion von Lehmann-Haupt Bd. III A S. 1930–1963 Stellung nehmen müssen, der 1929 erschienen ist. In ihn hat der Verfasser alle seine früheren Gedanken über diesen Gegenstand einbezogen, ohne freilich einer umfassenderen Behandlung vorzugreifen, die er allem Anschein nach plant und jedenfalls uns schuldet. Er hat ein klares Entwicklungssystem ausfindig gemacht und will es durchsetzen, auch gegen die bestimmten Ansichten anderer. Es sei nur daran erinnert, was Hultsch in seiner zu fast kanonischem Ansehen gelangten Griech. und röm. Metrologie² (1882) 61 zu einem Ansatz des eratosthenischen Stadiums zu 157,5 m sagt; dieser Wert sei, weil er von dem gesicherten Maßstabe der altägyptischen Elle abhängt, so zuverlässig wie nur irgendeine Reduktion partikulärer Maße der Gegenwart auf das Metermaß.‘ Auch das sei rühmend anerkannt, daß er die Nutzbarmachung der plinianischen Notiz (o. S. 42) über die von Hipparchos empfohlene Aufwertung des eratosthenischen Ansatzes für den Umfangskreis des Erdglobus, die ein hoffnungsloses Hindernis uns in den Weg geworfen zu haben schien, nun endlich, und zwar was eine große Empfehlung bedeutet, mit Leichtigkeit aus dem Weg geräumt hat, oder mindestens geräumt zu haben scheint.

Aber bevor ich, in wenigen Worten, die Ansätze Lehmann-Haupts hier skizziere, zwischen denen und den älteren Ansätzen klare Entscheidung zu treffen, die wichtigste Aufgabe der nächsten Bemühungen der antiken Metrologie sein wird, möchte ich nochmals betonen, daß die Wahl des Namens der Maßeinheit nicht in das Belieben des Messenden gestellt gewesen sein kann. Es wäre zwecklos gewesen, sowohl bei den älteren Versuchen der E., die gewissermaßen spielerisch hingeworfen worden sind, wie namentlich bei Archimedes (o. S. 33), so insbesondere dann bei Eratosthenes, zu verlangen, daß der Rechnungsquotient mit einem neuartigen Namen ausgestattet werde, statt ihn in das (oder: in ein) bisher in Handel und Verkehr übliche (übliches) Maß einzukleiden; [51] Metrologen haben mehr als einmal versucht, solche ,Itinerarmaße‘, wie sie oder ihre Gegner es nannten, in die Metrologie einzuschmuggeln. Erinnern wir uns auch dessen, daß Miller (1919) Erdmessung 25 auch eine runde Zahl resolut aufzuklären sich bemühte; da die 5000 Stadien des Eratosthenes ,in der Wirklichkeit in staunenswerter Weise stimmen‘, fragt er resolut: ,Was soll da der Vorwurf mit den runden Zahlen beweisen? Kann Eratosthenes dafür, daß es gerade 5000 Stadien sind? Unangenehm war ihm diese Zahl nicht‘ usw. Diese Werte sind vielmehr Näherungswerte, und es ist meines Erachtens nicht im Geiste der antiken E. gedacht, wenn wir exakte Zahlen für sie verlangen.

Lehmann-Haupt lehnt die Gleichung des eratosthenischen Stadiums = 157,5 (oder ähnlich) ab. ,Als, sagt er S. 1937, 16, es sich um das große Werk der Berechnung des Erdumfanges handelte, wählte er unter den vorhandenen verschiedenen Stadien dasjenige aus, bei welchem die Umrechnung in die übrigen gebräuchlichen größeren Entfernungsmaße bequem nach dezimalen Prinzipien geschehen konnte: das u. a. in Syrien und in Italien gebräuchliche Stadium, das 1/40 des Parasang und des Schoinos, 1/10 der römischen Meile bildete und das außerdem zu den übrigen wichtigen Stadienmaßen in sehr bequemen Verhältnissen stand.‘ Dieses Stadium mißt er zu 148,5. Daraus (Lehmann-Haupt geht nicht weiter in die Frage der Erdmessung ein, und ich muß also für ihre Ermittlung in seinem Sinne auf dieser Basis weiterbauen) ergibt sich für den Umfang 37,422 km; für das Stundenmaß (d. i. 15°) 1551 km.

Hipparch billigt im wesentlichen Eratosthenes’ Berechnung, schlägt aber (nach Plin. a. O.) ,weniger als 26 000 Stadien‘‚ also etwa ,ein Zehntel‘ dazu; oder wie Lehmann-Haupt (1935) das auffaßt: ,mehr als 1/10 des Ganzen.‘ Bleiben wir aber, soviel Freiheit muß bei so unbestimmten Zahlangaben bleiben, beim 1/10. Dann hat Hipparch den Umfang zu 41,164 km angesetzt. Hat Poseidonios ein Maß von 4 : 3 des eratosthenischen gewählt, so stehen wir bei dem von Lehmann-Haupt für das philetärische gewählten von 198 m. Also E. (✕180) = 35,640 km. Nun habe ich Bd. X S. 2081 darauf hingewiesen, ,daß Poseidonios als Nichtägypter und als Fortsetzer der Geschichtsschreibung des Polybius so wie dieser gerechnet hat; da wir nun wissen, daß Polybios 81/3 Stadien auf die römische Meile gerechnet und vielleicht mitunter für rasches Rechnen diesen Betrag auf rund 8 Stadien herabgesetzt hat, und daß Strabon, ein jüngerer Fortsetzer des polybianischen Geschichtswerkes, 8 Stadien auf die Meile rechnete, ὡς οἱ πολλοί, so setze ich auch für Marinos und Ptolemaios als Umrechnungszahl 177,5 bis 184,9 m[21] voraus, oder vielmehr bloß letztere, weil [52] sie dem kaiserzeitlichen Gebrauch entsprochen zu haben scheint.‘ Zum gleichen Schluß betreffs der Wertung des Stadions in der ptolemaischen Geographie ist O. Cuntz Die Geographie des Polybios (1923) gelangt (110ff. 120ff.), und er hat sich ausdrücklich mit mir einverstanden erklärt (111, 1). Aber an diesen Werten, 177,5 (oder wie Lehmann-Haupt das entsprechende Stadium Olympicum S. 1961 berechnet: 178,62) und 184,9 (Lehmann-Haupt Stadium Italicum 186,03 m) oder sonst einem ähnlichen Ansatz muß ich festhalten, auch wenn ich kein Zeugnis für den Übergang vom Olympischen zum Italischen Stadium anzuführen weiß, weder zur Zeit meiner Niederschrift, noch heute. Man sieht ja aus dem Obigen, wie lückenhaft unsere Überlieferung ist.

Ptolemaios rechnet überall das Stadion als 1/8 der römischen Meile, dort nämlich wo er überhaupt terrestrische Maße angibt. So insbesondere VII 5, 12 in der ὑπογραφὴ κεφαλαιώδης τοῦ τῆς οἰκονομένης πίνακος, deren Echtheit vorläufig und solange wir keine brauchbare Ausgabe der Geographie besitzen, außer Diskussion bleiben muß: ,das Südende der bekannten Erde begrenzt ein um 16° 25, – so wie man 360° auf dem Äquator ausmißt – jenseits des Äquators gelegener Parallel‘; der nördliche Polarkreis liegt um 63° nördlich vom Äquator und läuft durch die Insel Thule. So beträgt die bekannte Breite[22] 79° 50' oder rund 80°, ungefähr (ἔγγιστα) 40 000 Stadien, da ein Grad 500 Stadien mißt, ὅπερ ἐκ τῶν ἀκριβεστέρων ἀπομετρήσεων κατελήφθη; der Umfang der ganzen Erde ist 180 000 Stadien. Ptolemaios hütet sich sonst eigentlich vor Angabe von Erdmaßen und denkt nur in Maßen und Winkeln seiner astronomischen Beobachtungen. Er ist Astronom und Astrolog, und es ist verkehrt, sich über den letzteren Beruf zu verwundern. Aber, wie in einer von mir vorbereiteten Studie über Ptolemaios betont werden soll, nicht Geograph.

Die Hauptstelle I 11, 2 διὰ τὸ τὴν μὲν μίαν μοῖραν,οἵων ἐστὶν ὁ μέγιστος κύκλος τξ (360), πεντακοσίους ἐπὶ τῆς ἐπιφανείας τῆς γῆς ἀπολαμβάνειν σταδίους, ὅτι ταῖς ὁμολογουμέναις ἀναμετρήσεσι σύμφωνόν ἐστι, τὴν δ’ ὁμοίαν αὐτῇ περιφέρειαν τοῦ διὰ τῆς Ῥοδίας παραλλήλου, τουτέστι τοῦ ἀπέχοντος ἀπὸ τοῦ ἰσημερινοῦ μοίρας τριάκοντα ἕξ, τετρακοσίους ἔγγιστα σταδίους. τὸ γὰρ ὑπερβάλλον αὐτῶν κατὰ τὸ τῷ λόγῳ τῶν παραλλήλων ἀκόλουθον, ὀλίγον ὂν, ὡς ἐν ὁλοσχερεῖ καταλήψει παραλελείφθω. (3) τὴν δὲ ἀπὸ τῆς ἐκτιθεμένης τοῦ Εὐφράτου διαβάσεως μέχρι τοῦ Λιθίνου Πύργου (s. d.) διάστασιν συναγομένην κατ’ αὐτὸν σχοίνων ὀκτακοσίων ἑβδομήκοντα ἕξ, σταδίων δὲ δισμυρίων ἑξακισχιλίων διακοσίων ὀγδοήκοντα, κτλ. und die wenigen anderen Stellen, an denen Ptolemaios das Stadion umrechnet, nämlich [53]

0I 10,1 Grade 16° 25’ Stadien 08200 ἔγγιστα
79° 25’ oder 80° 40 000
⎧ I 12,1 45° 15' 18 100
I 12,3 24 000 = Schoinoi 800
I 12,9 060° 24 000

(diese am rhodischen Parallel, auf dem schon 400 Stadien einen Grad ausfüllen), will Cuntz, da sie in Erörterungen über Marinus enthalten sind, nicht direkt für Ptolemaios ausnützen. Aber es bleibt übh. durch die große Menge der von Cuntz aus anderen Autoren angeführten Parallelen jeder Zweifel an der Wertung des bei Geographen und Historikern in der Kaiserzeit üblichen Stadion ausgeschlossen. Es liegt, so wunderlich es auch sein mag, und so sehr solche Scheu, ein Wegmaß zu definieren, einem Romanschriftsteller etwa der Biedermaier-Zeit, sich schickt, der seine Helden so und soviele Meilen reisen läßt, ohne auch nur einmal das Bedürfnis nach ihrer Definition gegenüber seinem Leserkreise zu spüren, nur an Ptolemaios, daß er nirgends sonst solche Wertungen ausspricht.

Was Ptolem. I 4, 4–7 über die Unverläßlichkeit der Messungen auf festem Boden oder zu Schiff ausführt, für jenen das übliche Fehlen gerader Wegrichtung und die Niveauunterschiede, für diese u. a. auch noch die Windstärke und ihre Dauer und Abwechslung, die zu schätzungsweisen Herabsetzungen der ausgewiesenen Stadien zwingen, gestattet doch nicht das Absehen von jeder Messung und das Ersetzen von Itinerarien durch Ortsentfernungen, die (gleichfalls vermutungsweise) auf Grund von Itinerarien durch Polhöhe bestimmt werden. Hingegen gewähren die Visierungen dem Autor die einzige verläßliche Hilfe für die Abschätzung und Vermessung von Objekten ebensowohl auf dem festen Boden wie zur See.

§ 7. Kugelgestalt und die Daten für die E. sowie die wissenschaftlichen Wege, auf denen man zu ihnen gelangt war, sind nicht einmal in die mittleren Schichten der gebildeteren Gesellschaft und zur Kenntnis der antiken Außenvölker gelangt. Aber auch aus dem Gesichtskreis der Gebildeteren schwand sie immer stärker, und die pietistische Richtung der buchstabengläubigen Interpreten der hl. Schriften von Juden und Christen hat sie nahezu ausgelöscht. Freilich konnte die Neugier nach Größe und Gestalt der Erde nie ganz ersterben, und sie mußte Nahrung finden aus der immer wachsenden Berührung der Völker untereinander. Solche Berührungen erwuchsen hauptsächlich durch Wanderungen, durch Krieg, durch Handel und durch die christliche Missionstätigkeit.

Durch schmale byzantinische Kulturkreise und durch orientalische, insbesondere arabische Schulen, welche im Osten und in Spanien auf die Schriften des ptolemaeischen Nachlasses sich stützten, wurde der wissenschaftliche Funken der E. am Leben erhalten. Man sollte meinen, daß die Schriften der lateinischen und vor allem der griechischen Kirchenschriftsteller Andeutungen über die jeweils geltenden Vorstellungen vom Weltbau enthalten. Aber mir ist keine brauchbare Zusammenstellung des Materials (weder aus R. Beazley Dawns of modern geography I 1897, noch aus Marinelli, noch aus Konrad Kretschmer) je begegnet, und die Indizes der Migne'schen [54] Ausgaben laden nicht leicht zu den nötigen Exzerpten ein. Hingegen ist die wunderliche Τοπογραφία Χριστιανική des Kosmas Indopleustes, Mitte des 6.Jhds.,s. o., Wecker o. Bd. XI S. 1487ff.) allgemein bekannt. Das ist ein ungelehrter und unbelehrbarer Autor mit tollen und verkehrten kosmologischen Anschauungen, die sich auf eine Beschreibung der Stiftshütte (Exodus 25, 23) in allegorischer Interpretation stützt. Er eifert leidenschaftlich gegen den sündigen Fürwitz, der sich durch Sonnen- und Mondesfinsternisse betören läßt. Da die Grenze zwischen Erdtafel und Erdkörper sich in kurioser Art bei ihm verwischt, halte ich die Erinnerung an seinen E.-Versuch hier für eher am Platz als unter ,Oikumene‘. Er setzt, entsprechend den Worten des ,großen Kosmographen Moses‘, die Ostwestrichtung als doppelt so lang an als die Nordsüdlinie. Seine Weisheit geht nun angeblich auf die indischen Βραχμᾶνες zurück. Diese hätten eine ‚schnurgerade‘ Abmessung empfohlen, durch ein σπαρτίον, von Tzinitza = China aus. Die διαστήματα der Meßpunkte führen bis zum Westen (δύσις) über Οὔννια, Ἰνδία und ἡ Βάκτρων χώρα,

über ,ungefähr 150 μοναί’
dann ἡ Περσῶν χώρα 080 00
dann die Linie Νίσιβι bis Σελεύκεια 013 00
die Linie Σελεύκεια, Ῥώμη, Γαλλία, Ἱβηρία (= Ἱσπανοί) bis Γάδειρα ἔξω εἰς τὸν Ὠκεανὸν ungefähr 150 000000
Summe πλέον ἔλαττον (= plus minus) 393,
jede μονή: ἀπὸ μιλίων λ̅ (30).
Die Breite mißt er ἀπὸ τῶν ὑπερβορείων τόπων bis
Βυζάντιον nicht mehr als 50 μοναί
Ἀλεξανδρεία 50 00
καταράκται 30 00
Ἀξώμη 30 00
Αἰθιοπία λιβανωτοφόρος und Βαρβαρία ungefähr 40 0000
Summe 200 μοναί

Somit rechnet Kosmas die ,Länge‘ zu rund 400, die Breite zu 200 μοναί; also zu 12 000 bzw. 6000 μίλια, aber er führt diese Rechnung nicht aus und definiert nicht das μίλιον. Zur Bestätigung der Daten und Zahlen bringt er eine von ihm mit einem Freunde ausgeführte Abschrift einer Denkschrift des Ptolemaios III. Euergetes aus dem abessynischen Axume. Sie ist in anderer Beziehung sehr wertvoll für uns, aber mit E. hat sie so wenig zu tun als ebendort eine zweite Inschrift eines axumitischen Barbarenkönigs; Syll. or. 54 und 199; a. o. Wecker 488.

§ 8. Die nächste E. fällt erst ums J. 827, in die Zeit der Araber unter Al-Mamun mit ähnlich großer Aufmachung wie mehr als ein Jahrtausend früher Eratosthenes zum Ruhm der alexandrinischen Wissenschaft unternommen hatte; vgl. Miller Erdmessung 32ff.

Nachträge und Berichtigungen

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Band R (1980) S. 105
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Anmerkungen (Wikisource) Bearbeiten

  1. welcher Artikel?
  2. Damit soll aber in keiner Weise der durch die ganze Entwicklung geforderten Forschungsreise des Eratosthenes nach Syene und Meroe praejudiziert sein. Hingegen wird man gut tun, Ptolemaios, wenigstens zur Zeit der Abfassung seiner Geographie, als Stubengelehrten anzusehen.
  3. Strab. II C 95 sagt ausdrücklich von dieser Gegend: τοῦτο μὲν οὖν τὸ διάστημα πᾶν ἐστι μετρητόν, πλεῖταί τε γὰρ καὶ ὁδεύεται. – Vgl. H. Nissen in seinem wichtigen Aufsatz über die E. des Eratosthenes Rh. Mus. LVIII 237. Auch läßt eine etwas erweiterte Fassung der Details dieser E., so wie sie Gerbert (später 999–1003 n. Chr. als Papst: Silvester II) erzählt, geom. c. 93, sich nicht einfach aus Mart. Cap. a. O. ableiten, sondern empfiehlt als Quelle für sie einen ähnlichen, inhaltsreicheren (verschollenen) Bericht vorauszusetzen; vgl. Müllenhoff Deutsche Altertumsk. I 274f.
  4. Nissen 238 läßt ihn diese Zeilen ,in der ganzen Ehrlichkeit mangelnden Verständnisses‘ schreiben: ein Wort zu schön, um es hier zu unterdrücken.
  5. Bei Ptolem. IV 5, 32 und VII 5, 15 23° 50', heute 24° 4' 23" (ich entnehme die Zahl Nissen 237).
  6. Die übliche Nachbildung einer solchen Halbkugel, auch σκαφίον oder πόλος genannt, mit Parallelkreisen im Innern und dem lotrecht aufgestellten Weiser (γνώμων) ist Fig. 1 gegeben.
     

    Vgl. Mart. Cap. 41, 194 scaphia rotunda ex aere vasa (eherne Gefäße zum Auffangen der Sonnenstrahlen), quae, horarum ductus stili in medio fundo sui proceritate discriminant; qui stilus gnomon appellatur. Zur Theorie vgl. z.B. Drecker, Zeitmesser- und Stundendeutung (1925) 71ff.

  7. Sprenger sagt dort: ,Ein solches Werk zur Konstatierung einer astronomischen Tatsache ist ganz im Geist der Erbauer der Pyramiden. Wir können sicher sein, es ist von den Pharaonen erbaut worden, und zwar etwa 700 Jahre v. Chr.‘ – Nach Abschluß des Manuskripts erst bemerkte ich, daß Strabon XVII 817 den heute wieder hergestellten ,Nilmesser‘ mit seinen Marken des Überschwemmungsstandes und jenen Brunnen beschreibt, in den die Sonne zur Zeit der Sommersonnenwende ihre Strahlen senkrecht hineinsandte, so daß (Aristides Rhet. Aigypt. II p. 347 J.) inmitten des heiligen Brunnens die Sonnenscheibe wie ein Deckel auf der Wasserfläche aufsitze. Vgl. die Stellensammlung Kees Bd. IV A S. 1020. Es ist also wohl ausgeschlossen (und wird auch wie gesagt von Plinius nicht direkt behauptet, sondern ist von modernen Bearbeitern in den Text hineingelesen worden), daß Eratosthenes den merkwürdigen Brunnen angelegt habe. Vielleicht hat eben die Kunde von ihm Eratosthenes zu seiner Arbeit oder besser gesagt bei seiner E. mit angeregt. [Ein befreundeter Astronom hält einen Spätansatz 700 v. Chr. für lange nicht ausreichend!]
  8. Das Notwendigste über die totale Mondfinsternis von Arbela 20. Sept. 331 v. Chr. gibt Boll Bd. VI S. 2357.
  9. Die Zitate auf die einschlägigen Stellen bringen Berger Frg. des Hipparch 22 und Viedebantt Klio XIV 211.
  10. Das diene zugleich zur Richtigstellung von Schnabel 226.
  11. Syene hat bei Ptol. 62° Länge, Alexandria 601/2, und Rhodus fehlt unglaublicher Weise. Der Grund ist nicht festzustellen. Ich will davon absehen, daß im achten Buch 17, 21 Rhodus nicht am gleichen Meridian liegt, sondern 1/8 einer Stunde, d. h. 71/2’ eines Grades von Alexandria gegen Westen entfernt, weil das Verhältnis dieses Buches zu den übrigen sieben der Geographie nicht geklärt ist. Auch Viedebantt hat Klio XVI 95 das Fehlen von Rhodus in der Beschreibung Asiens V 2, 34 konstatiert und kommentiert. Ob K. Müller und Kurt Fischer in der Didotschen Ausgabe recht daran getan haben, eine Zeile für Rhodus einzusetzen und die für Lindus hsl. erhaltene Position in ihr zu verwenden, 582/3° Länge und 36° Breite, soll hier nicht erörtert werden.
  12. Rehm o. Bd. XI S. 688 hingegen zweifelt an dieser Behauptung, weil ‚Poseidonios selbst gelegentlich erwähnt, daß Eudoxos den Kanopos in Knidos beobachtet hat (Strab. II 119). Gleichwohl haben wir kein Recht, die Darlegungen dem Poseidonios abzusprechen oder auch nur für schwer entstellt zu halten.‘
  13. Auch 468 ist überliefert. Die Pliniusstelle ist lehrreich, und daher folgt hier ihr voller Wortlaut: (Rhodus) distat ab Alexandria Aegypti 583, ut Isidorus tradit, ut Erathosthenes 468 (bzw. 469), ut Mucianus 500 (nämlich Millien).
  14. Das ist das sog. Diaphragma, also jener allerwichtigster Parallelkreis, der durch mehr als zwei Jahrtausende, Süd und Nord scheidend, den Hauptstrang dargestellt hat, an den Geographen und Astronomen ihre Beobachtungen anknüpften, reichend von den Säulen des Herakles bis Sizilien, Kreta, über Rhodus zum Taurus und dessen Fortsetzung in Indien.
  15. Vgl. auch o. S. 37, 33.
  16. Nein! Das wollte und konnte Poseidonios nicht wünschen. Und wenn er es trotzdem hätte versuchen wollen, so hätten die günstigen Vorbedingungen ihm gefehlt!
  17. Auch andere Mängel und Härten dieser (übrigens ungewöhnlich frisch und anziehend geschriebenen) Abhandlung verlangen eine Remedur.
  18. Das ptolemäische Stadion = 157,5 bis 159,8 m (so nach Viedebantt a. O. XIV 232ff., Exkurs) und das philetairische = 210 bis 213,1 m verhalten sich ungefähr wie 3:4, sowie die Umfangszahlen 180 000 und 240 000. – Übrigens hat Viedebantt selbst schon in seinem ersten Artikel 209 die Möglichkeit von Maßverschiedenheiten berührt, freilich nicht entschieden ins Auge fassen wollen, vgl. o. S. 39, 16.
  19. Zuwachs zur dort verzeichneten Literatur: Ant. Wurm Marinos of Tyre, some aspects of his work (1931, mit Karte). A. Herrmann Petermanns Mitt. Erg.-Heft 200 (Wagnerheft), gleichfalls mit Karte. – Daß Marinus noch in die Zeit des Partherkriegs reicht, ist daraus zu schließen, daß Satala τῆς Ἀρμενίας I 15, 10 mit Milliendistanz angeführt und also aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Kriegsbericht Traians direkt oder indirekt stammt; die Millienangabe hat Wurm anscheinend richtig für diesen Zusammenhang betont Er hätte auch hinzufügen können, daß dieser (früher nicht besiedelte) Platz seit Traian das Lager der Legio XV Apollinaris trug. Geschichte und Reste von Satala bei Cumont Studia Pontica II 342–352.
  20. Vgl. Nobbes Ausgabe I p. XX n. III.
  21. Zu diesen Zahlen bemerke ich, daß sie der Natur der Sache und dem (damaligen und) gegenwärtigen Stande der Forschung nach nur Näherungswerte bedeuten können. Ich binde mich auch an keinen der Zahlenvorschläge, die von anderer Seite gemacht worden sind. Die Theorie mag Maß- und Gewichtssysteme aufbauen, aber die Praxis hinkt nach. Um Plinius’ Ausdruck zu verwenden, die harmonica ratio verlangt z. B. auch glatte Berücksichtigung der Rechenbrüche, und mußte die Unterdrückung eines Bruchrestes wie 1/8 bei acht Stadien = 1 Meile, ὡς οἱ πολλοί, oder 1/7 bei der ludolphischen Zahl perhorreszieren.
  22. Ptol.: τὸ ἐγνωσμένον αὐτῆς (= τῆς ἐγνωσμένης γῆς) πλάτος.