Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Mathematiker und Astronom aus Samos im 3. Jhdt. v. Chr.
Band II,1 (1895) S. 873876
Aristarchos von Samos in der Wikipedia
GND: 102381380
Aristarchos von Tarsos in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register II,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|II,1|873|876|Aristarchos 25|[[REAutor]]|RE:Aristarchos 25}}        

25) Aus Samos, Mathematiker und Astronom, war Schüler des Peripatetikers Straton aus Lampsakos [874] (Aetios bei Stob. Ekl. I 16, 1 p. 313 b Diels). Im J. 281/80 hat er, wie Ptolemaios (Synt. Bd. I 162 Halma) unter Berufung auf Hipparchos meldet, eine Beobachtung des Sommersolstitiums festgestellt. Seine Hypothese, dass nicht die Erde, sondern die Sonne den Mittelpunkt bilde, um welchen die Planeten einschliesslich der Erde sich bewegen, wurde von Kleanthes heftig angegriffen, wahrscheinlich zu einer Zeit, wo dieser schon Vorsteher der Stoa war. Man nimmt deshalb an, dass A. noch nach dem J. 264 lebte. Ob er zeitweilig, oder vielleicht gar dauernd in Alexandreia gewirkt hat, muss dahingestellt bleiben (Susemihl Litt.-Gesch. I 718f.). Seine Schrift περὶ μεγεθῶν καὶ ἀποστημάτων ἡλίου καὶ σελήνης wurde in die Sammlung kleiner astronomischen Schriften (μικρὸς ἀστρονόμος oder ἀστρονομούμενος, nämlich τόπος) aufgenommen, welche neben der grossen Syntaxis des Ptolemaios in den Schulen von Alexandreia im Gebrauch war (Fabricius Bibl. Gr. IV 16 Harl. Hultsch zu Pappos Bd. II 475. III 1143. Susemihl a. a. O. 760), und so ist sie auch auf die Gegenwart gekommen. Ausgaben: Aristarchi Samii lib. de magnit. et distant. solis et lunae ed. Wallis, Oxon. 1688 und in Wallisii Op. mathem. III 565ff., Oxon. 1699. Histoire d’Aristarque de Samos par M. de F(ortia d’Urban), Paris 1810. Unbrauchbar, weil mit grosser Flüchtigkeit abgefasst, ist A. . . . mit kritischen Berichtungen herausg. v. E. Nizze, Stralsund 1856. Lat. Bearbeitungen: Aristarchi Samii de magnit. etc. in ,Georgio Valla interprete. Hoc in volumine hec continentur Nicephori logica‘ etc., Venetiis per Simonem Papiensem dictum Bevilaquam 1498. A. de magnit. etc. a. F. Commandino in Lat. conversus ac comment. illustr., Pisauri 1572. Deutsche Übersetz. von A. Nokk, Freiburg 1854. Der Beweis zur 7. Proposition ist behandelt von Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 372ff. – Auszüge aus dieser Schrift des A. und Erläuterungen dazu giebt Pappos (Synag. VI 554–568, vgl. die Scholien dazu Bd. III 1183 Hultsch). Die 9. Proposition, nach welcher der Sonnendurchmesser zwischen 18 und 20mal so gross als der Monddurchmesser ist, citiert Archim. aren. Bd. II 248 Heiberg. Auf die 17. Proposition bezieht sich Plut. de fac. lun. 19 p. 932 B. Nach der Ansicht von Tannery Mém. de la société des sciences de Bordeaux V 2 (1883), 237ff. (vgl. dens. Hist. de l’astronomie ancienne 43. Heiberg Philol. XLIII 482) hat A. hierbei die alte Methode, nach welcher schon Eudoxos die Durchmesser der Sonne und des Mondes annähernd bestimmte, weiter entwickelt und durch geometrische Beweise erhärtet. Über des A. Methode, den Abstand der Sonne von der Erde zu bestimmen, vgl. Grunert in Archiv für Math. und Phys. V (1844), 401ff. Marie Hist. des sciences mathém. I, Paris 1883, 69ff. Günther Quadrat. Irrationalitäten in Abhandl. zur Gesch. der Math. IV 12ff.; Gesch. der Math. u. Naturwiss.² 282. – In der eben erwähnten Schrift hatte A. festgestellt, dass die Erde den Mittelpunkt der Mondbahn bilde (Hypoth. 2), und dass der Mond unterhalb (κατώτερον) der Sonne sich bewege (Propos. 6). In Propos. 7 liess er auch die Sonne um die Erde laufen; er hatte also hier der damals allgemein verbreiteten geocentrischen Anschauung [875] sich anbequemt. Allein in der Sandrechnung des Archimedes sind uns Auszüge aus einer andern Schrift des A. erhalten, welche vielleicht ὑποθέσεις, oder auch ὑποθέσεων γραφαί, d. i. geometrische Constructionen zu Hypothesen (über das Weltall), betitelt war (Archim. II 244, 9 citiert: Ἀρίσταρχος ὁ Σάμιος ὑποθεσίων τινῶν ἐξέδωκεν γραφάς, vgl. Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 376, 1). Hier erhob er sich kühn über die engen Anschauungen des Altertums, die ja auch nachher bis auf Galilei und Copernicus geherrscht haben, und ging nicht nur zum heliocentrischen System über, sondern erweiterte auch die gesamte Vorstellung vom Weltall. Die Sonne ist ein Fixstern wie die übrigen Fixsterne, die wir am Firmamente sehen (der scheinbare Tageslauf der Sonne und der Sterne ist also auf die Axendrehung der Erde zurückzuführen). Um die Sonne bewegt sich die Erde (gleichwie die übrigen Planeten). Denken wir uns die Erdbahn als grössten Kreis einer Kugel, so ist diese ganze Kugel im Vergleich zum Weltall nur als ein Punkt zu betrachten (nach der geocentrischen Anschauung war es nur gestattet, die Erdkugel sich als Punkt zu denken). Bestimmen wir nun den Abstand der Erde von der Sonne, d. i. den halben Durchmesser des gewöhnlich so genannten κόσμος (246, 5–7), nach Stadien, so ist die gefundene Zahl von Stadien mit sich selber zu multiplicieren, um den Abstand von der Erde bis zur Fixsternsphäre zu finden. Archim. aren. 244–248. 288. 290 Heib., vgl. Heiberg ebd. 247 und Quaest. Archim. 202. Auch aus Plut. quaest. Plat. 8, 1; de fac. lun. 6. Aetios bei Stob. I 25, 3 p. 355 Diels. Sext. Empir. adv. math. X 174 p. 512 Bekk. Simplic. zu Aristot. de caelo p. 200 Karsten geht hervor, dass nach des A. Ansicht die Erde nicht stillsteht, sondern um ihre eigene Axe sich dreht und zugleich in einer zu der Axe schief liegenden Ebene um die Sonne sich bewegt. Wenn Plut. quaest. Plat. a. a. O. hinzufügt, dass A. dies nur voraussetzt (ὑποθέμενος μόνον), Seleukos es aber auch erwiesen habe, so steht damit unsere obige Annahme, dass A. seinen Hypothesen geometrische Constructionen beigefügt habe, nicht im Widerspruch. Vgl. auch Schaubach Gesch. der griech. Astronomie, Göttingen 1809, 450ff. und in Ersch und Gruber Encyclop. u. d. W. A., ferner R. Wolf Geschichte der Astronomie 35ff. Tannery Hist. de l’astron. 97. 99. 100ff. Günther a. a. O. 277f. Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 118. Susemihl Litt.-Gesch. II S. VI. Gegen diese den hergebrachten Glauben umstürzenden Ansichten verfasste der Stoiker Kleanthes eine Schrift, in welcher er den A. der Gotteslästerung beschuldigte (Plut. de fac. lun. 6. Diog. Laert. VII 174). – Die Länge des Sonnenjahres soll A. zu 365 + Tagen bestimmt haben; doch hat vielleicht in die hsl. Überlieferung bei Censorin (de die nat. 19, 2) ein Fehler sich eingeschlichen. Das sog. grosse Jahr, d. i. die Periode, nach deren Ablauf alle Gestirne wieder dieselbe Stellung wie zu Anfang einnehmen, hat A. wahrscheinlich mit Abwerfung eines kleinen Bruchteiles zu 2484 Jahren abgerundet, Censorin 18, 11. Tannery Mém. de la société des sciences [876] de Bordeaux, 3. série IV (1888), 79ff. (bei Censorin will Tannery S. 80 statt der überlieferten 2484 Jahre 2434 hergestellt wissen). – Um die Sonnenhöhe möglichst genau aufzunehmen, erfand A. einen verbesserten Gnomon, die sog. σκάφη, eine hohle Halbkugel mit einem Weiser in der Mitte, der den Sonnenschatten warf und die Höhe der Sonne zu jeder Tageszeit nach den auf der Halbkugel angebrachten Teilungslinien abzulesen gestattete (Vitr. IX 9. Marie a. a. O. 76f.). – Auch über Sonnenfinsternisse, über Licht und Farben, über die Gesichtswahrnehmungen hat A. geschrieben (Aetios bei Ps.-Plut. und Stob.: s. Doxographi Gr. ed. Diels 355. 313. 404 b, 1. 853. Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 119. Susemihl I 719f.).