Juedischer Krieg/Buch VII 1-6
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Ende des Krieges.
Der Fall von Machärus und Masada.
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[483]1 (1.) Da jetzt der Grimm der Soldaten gar keine Nahrung mehr fand, und das Heer nichts mehr zu morden und zu rauben hatte – denn sicher war es nicht das Gefühl der Schonung, das die Römer zurückgehalten haben würde, falls es für sie noch etwas zu thun gegeben hätte – so befahl ihnen der Cäsar, die ganze Stadt und den Tempel abzugraben: stehen lassen sollten sie nur die Thürme, welche alle anderen überragten, den Thurm Phasael, Hippikus und Mariamne, 2 wie auch das Stück der Festungsmauer, das die Stadt von der Abendseite her schützte. Die Mauer sollte der zurückzulassenden Besatzung zum Lager dienen, die drei Thürme aber den künftigen Geschlechtern ein Wahrzeichen sein sowohl für die Macht der Stadt, der die römische Tapferkeit Meister geworden, als auch für die merkwürdige Art und Weise, wie ein so festes Bollwerk ihnen in die Hände fallen konnte. 3 Die ganze übrige Ringmauer wurde von den Arbeitern so gründlich geschleift, dass kein Fremder mehr sich hätte an Ort und Stelle überzeugen können, ob irgend je hier Menschen gewohnt haben. 4 Das war also das entsetzliche Ende, das Jerusalem, die Prächtige und bei allen Völkern Gefeierte, dank der Verblendung ihrer aufrührerischen Kinder, gefunden hat!
5 (2.) Als Besatzung sollte nach dem Beschlusse des Cäsars die zehnte Legion nebst einigen Reitergeschwadern und Cohorten Fußvolk in Jerusalem zurückbleiben. Da jetzt die militärische Aufgabe für Titus soviel wie gelöst war, so drängte es ihn nunmehr, dem gesammten Heere für seine glänzenden Leistungen die öffentliche Anerkennung auszusprechen und denen, die sich besonders ausgezeichnet hatten, die verdienten Ehrenpreise zu übergeben. 6 Zu diesem Zwecke betrat er in Begleitung seiner Unterfeldherrn eine große Estrade, die man ihm in der Mitte des früheren Lagers errichtet hatte, und hielt von da folgende, auch dem letzten Mann noch vernehmliche Ansprache: „Zunächst muss ich euch, Soldaten, meinen innigsten Dank für die Anhänglichkeit aussprechen, die ihr meiner Person bis zur Stunde unentwegt bewahrt habt. 7 Ich kann aber auch nicht umhin, euch meine volle Anerkennung [484] für den pünktlichen Gehorsam auszusprechen, den ihr mir während des ganzen Feldzuges unter sovielen und schweren Gefahren mit der heldenmüthigsten Selbstaufopferung geleistet habt. Ihr habt dadurch ebensowohl dem Vaterlande seine innere Kraft gemehrt, als auch der ganzen übrigen Welt den klaren Beweis geliefert, dass auch der zahlreichste Feind mit seinen stärksten Vesten und größten Städten, dass die unsinnigste Verwegenheit und eine geradezu bestialische Wildheit seiner Heerscharen niemals dem römischen Schwerte zu entrinnen vermögen, und sollten auch manche Völker, wie die Juden, selbst das Glück nicht selten unter ihren Fahnen finden. 8 Somit habt ihr nun auch dem langwierigen Kriege ein Ende und zwar ein glorreiches Ende gemacht. Denn unsere kühnsten Erwartungen, mit denen wir in den Kampf gezogen, sind eingetroffen. 9 Was aber für euch noch schöner und glanzvoller ist, das ist die Thatsache, dass ihr durch Männer eurer Wahl für die Leitung und Verwaltung des römischen Reiches gesorgt und sie glücklich nach Italien geleitet habt, wie auch, dass dieses Haus sich der allgemeinsten Sympathie erfreut, und nicht minder die von ihm erflossenen Erkenntnisse treuen Gehorsam, als die Wähler selbst überall dankbare Herzen finden. 10 Obgleich sich demnach alle insgesammt einen Anspruch auf meine Bewunderung und Liebe erworben haben, da das Wollen bei jedem mit seinem Können gleichen Schritt gehalten hat, 11 so muss ich doch jenen, die, dank ihrer größeren Körperstärke, sich im Kampfe besonders rühmlich gehalten und so nicht bloß ihre eigene Laufbahn mit Lorbeeren bestreut, sondern auch dem Ruhm meines Heeres durch ihre Waffenthaten neuen Glanz verliehen haben, schon jetzt gleich die verdienten Ehrenpreise und Auszeichnungen zutheil werden lassen, damit keinem einzigen von denen, welche da mehr, als andere, thun wollten, die gebürende Entlohnung vorenthalten werde. 12 Es soll mir dies eine wahre Herzenssache sein, weil es mir viel mehr Freude macht, wenn ich die Tapferkeit meiner Kriegsgefährten ehren kann, als wenn ich ihre Nachlässigkeit strafen muss“.
13 (3.) Auf einen Wink von Titus begannen sofort die dazu bestellten Soldaten die Liste jener Krieger abzulesen, welche im Feldzug Hervorragendes geleistet hatten. 14 Nach dem Namensaufruf, den Titus persönlich vornahm, ließ er zunächst den Betreffenden vortreten und belobte ihn mit Ausdrücken der herzlichsten Freude, die nicht größer hätte sein können, wenn ihm selbst alle diese Thaten angehört hätten. Hierauf setzte er ihnen goldene Kränze aufs Haupt, schlang um ihren Nacken goldene Ketten, gab ihnen lange, goldene Speere und aus Silber gearbeitete Fähnchen 15 und ließ bei jedem zugleich eine Rangserhöhung eintreten. Doch auch von der Kriegsbeute bekamen sie noch [485] Silber und Gold und Kleider und sonstigen reichlichen Antheil. 16 Nachdem so Titus einen jeden nach seiner besten Ueberzeugung ausgezeichnet hatte, sprach er dem gesammten Heere seine Glückwünsche aus und stieg dann unter begeisterten Ovationen von der Estrade, um die Dankopfer für den Sieg darzubringen. Es stand zu diesem Zwecke schon eine stattliche Anzahl von Opferstieren an den einzelnen Altären bereit, deren Fleisch er nach dem Opfer den Soldaten zum Festschmause überließ. 17 Er selbst feierte mit seinen Generälen ein dreitägiges Siegesfest. Hierauf verabschiedete er das Heer, soweit es nicht zu den Legionen gehörte, und ließ jeden ziehen, wohin es ihm beliebte. Die zehnte Legion, die früher am Euphrat stationiert gewesen, schickte er nicht mehr an ihren alten Standort zurück, sondern betraute sie mit der Besetzung Jerusalems, 18 während die zwölfte Legion zur Strafe für ihr schmähliches Zurückweichen unter Cestius die syrische Provinz, wo sie seit Alters in Raphaneä gelegen hatte, vollständig räumen musste und nach dem Bezirk von Melitene am Euphrat an der Grenze von Armenien und Kappadocien verlegt wurde. 19 Zwei Legionen, die fünfte und die fünfzehnte, durften den Cäsar noch auf seiner Rückkehr nach Aegypten begleiten. 20 Vorderhand begab er sich mit seinem Heere nach Cäsarea am Meere hinab, um dort die ungeheure Kriegsbeute zu bergen und die Gefangenen sicherer bewachen zu können. Denn an eine Ueberfahrt nach Italien konnte er jetzt wegen des nahen Winters nicht mehr denken.
21 (1.) Während der Cäsar Titus noch mitten in der Belagerung Jerusalems stand, war unterdessen schon Vespasian auf einem Lastschiff von Alexandrien nach Rhodus hinübergesegelt. 22 Von dort ab konnte er bereits Trieren benützen, mit denen er sämmtliche Städte, die auf seiner Seefahrt gelegen waren, anlief. Ueberall mit Segenswünschen empfangen, setzte er von Ionien nach Hellas hinüber, dann von Korcyra nach dem Japygischen Vorgebirge, von wo er seine Reise nur mehr zu Lande fortsetzte. 23 Was Titus angeht, so brach er von Cäsarea am Meere wieder auf und zog nach dem anderen, nach Philippus benannten, Cäsarea, wo er nun lange Zeit verblieb und allerlei Schauspiele gab, 24 bei denen eine Menge kriegsgefangener Juden ihr Leben lassen mussten. Ein Theil der Unglücklichen wurde den Bestien vorgeworfen, die anderen wurden gezwungen, sich truppweise untereinander zu zerfleischen. 25 In Cäsarea Philippi erhielt Titus auch [486] die Nachricht von der Gefangennahme des Simon, Sohnes des Gioras, die sich in folgender Weise abspielte.
26 (2.) Genannter Simon, der sich bekanntlich während der Belagerung Jerusalems auf der Oberstadt befand, hatte sich in dem Augenblicke, wo das römische Heer über die Mauern eindrang und die ganze Stadt zu verwüsten begann, in Begleitung seiner verlässlichsten Freunde und einiger Steinbrecher, ausgerüstet mit den für ihre Arbeit nothwendigen eisernen Werkzeugen und mit einem auf längere Zeit berechneten Speisevorrath versehen, in einen der vielen versteckten Gänge hinabgelassen. 27 Zunächst drangen sie soweit vor, bis sie an das Ende des alten Stollen kamen, und die feste Erdwand ihnen Halt gebot. Hier begannen sie nun ihre unterirdische Arbeit, in der Hoffnung, nach Ausgrabung einer längeren Strecke irgendwo unbeachtet an die Erdoberfläche steigen und davonlaufen zu können. 28 Aber der wirkliche Erfolg strafte diese Erwartung Lügen, indem die Minengräber trotz der angestrengtesten Arbeit nur äußerst langsam vorwärts kamen, und bei all’ ihrer Sparsamkeit auch der Proviant schon auf die Neige zu gehen anfieng. 29 Jetzt zog nun Simon in dem Glauben, die römischen Wachen ins Bockshorn jagen zu können, weiße Unterkleider an, schnallte darüber ein feines purpurnes Obergewand und tauchte plötzlich an der nämlichen Stelle, wo ehemals der Tempel gestanden, aus der Erde empor. 30 Einen Augenblick stutzten wohl die Wachen bei diesem Anblick und starrten unbeweglich auf die Erscheinung, dann aber rückten sie ihr auf den Leib und schrien: Halt, wer da? 31 Simon gab sich ihnen aber nicht zu erkennen, sondern befahl ihnen nur, den Commandanten zu rufen, was sie auch eiligst thaten. Sofort war Terentius Rufus, der zurückgelassene Besatzungscommandant, zur Stelle und nahm von Simon das volle Geständnis entgegen. 32 Er ließ ihn hierauf fesseln und in sicheren Gewahrsam bringen und meldete dem Cäsar die Umstände seiner Verhaftung. Auf solche Art ward Simon zur gerechten Strafe für die Grausamkeit gegen seine Mitbürger, die er wie der ärgste Tyrann bedrückt hatte, von Gott in die Gewalt seiner erbittertsten Feinde gegeben, und zwar nicht etwa so, dass er mit den Waffen in der Hand von ihnen überwältigt worden wäre, sondern in der Weise, dass er von freien Stücken dem Feinde und Henker entgegenlief, 33 obschon er in vielen Fällen dieselbe Handlungsweise bei andern oft auf rein erdichtete Anklagen hin als Römerfreundlichkeit mit dem qualvollsten Tode bestraft hatte. 34 Wahrhaftig, dem Zorne Gottes entflieht kein Bösewicht, und der Arm seiner Gerechtigkeit wird niemals altersschwach; wenn auch spät, einmal packt er sicher den, der gegen ihn gefrevelt hat, und er fällt dann [487] umso zermalmender auf den Ruchlosen herab, je sicherer derselbe erwartet hatte, er werde, weil er nicht auf der Stelle gestraft worden sei, überhaupt nie von Gott erreicht werden. Diese Erfahrung musste nun auch Simon machen, da er in die Hände der ergrimmten Römer fiel. 35 Sein Erscheinen aus der Tiefe gab übrigens das Signal zur Verhaftung einer Menge anderer Rebellen, die während der nächsten Tage in den unterirdischen Gängen aufgespürt wurden. 36 Als der Cäsar wieder nach Cäsarea am Meere zurückgekehrt war, wurde hier Simon vor seinen Richterstuhl gebracht und hierauf auf seinen Befehl aufs schärfste bewacht, um bei dem großen Triumphzuge, den er in Rom halten wollte, aufgeführt zu werden.
37 (1.) Bei seinem längeren Aufenthalt in Cäsarea gab Titus aus Anlass des Geburtstages seines Bruders ein glanzvolles Fest, zu dessen Verherrlichung auch viele Juden dem Tode geweiht wurden. 38 Gieng doch die Zahl der hiebei von den Bestien zerrissenen, verbrannten und in den Fechterspielen gefallenen Juden noch über 2500 hinaus! Und dennoch war das alles, ja es waren die tausendfachen Todesarten der armen Opfer in den Augen der Römer nur eine milde Strafe! 39 Hierauf zog der Cäsar nach Berytus, einer in Phönicien gelegenen römischen Coloniestadt, wo er ebenfalls einen längeren Aufenthalt nahm. Bei dem in dieser Zeit einfallenden Geburtsfeste seines Vaters entfaltete Titus in den luxuriösesten Schauspielen und in allen möglichen kostspieligen Unterhaltungen eine noch glänzendere Pracht, 40 der auch, wie beim früheren Feste, eine Masse Gefangener zum Opfer fallen musste.
41 (2.) Um diese Zeit kamen auch die damals noch in Antiochien lebenden Juden durch schwere Anklagen in Todesgefahr. Infolge von ganz frischen Verleumdungen, die man gegen die Juden ausgestreut hatte, sowie infolge gewisser älterer Zetteleien, über die aber auch das Gras noch nicht gewachsen war, herrschte in der ganzen Stadt eine furchtbare Gährung gegen die Juden. 42 Ich muss über die letzteren Zetteleien ein paar Worte vorausschicken, damit die Leser der Erzählung des späteren Falles leichter folgen können.
43 (3.) Finden wir auch die jüdische Nation auf der ganzen bewohnten Erde überall neben den Eingebornen stark vertreten, so ist doch die Mischung in Syrien wegen der Nachbarschaft Palästinas am allerstärksten. Ganz ausnehmend zahlreich waren aber die Juden in [488] Antiochien, was sich sowohl aus der Größe der Stadt, wie auch ganz besonders aus dem Umstande erklärt, dass die Könige nach Antiochus die Judencolonie daselbst mit ihrem Ansehen schirmten. 44 Antiochus, mit dem Beinamen Epiphanes, hatte freilich Jerusalem verwüstet und den Tempel geplündert, aber seine Nachfolger auf dem Throne gaben alle Weihegeschenke, soweit sie aus Erz bestanden, den Juden in Antiochien wieder zurück und ließen sie in der dortigen Synagoge aufstellen. Auch räumten sie den Juden gleiche Bürgerrechte mit den Griechen der Hauptstadt ein. 45 Da dieselbe gute Behandlung den Juden auch von Seite der späteren Könige zutheil wurde, so wurde die Colonie immer volkreicher und konnte mit ebenso kunstvoll gearbeiteten, wie wertvollen Weihegaben ihrem Heiligthum einen immer größeren Glanz verleihen. Ferner übte auch ihre Religion stets eine große Anziehung auf viele Griechen aus, die durch deren Annahme in gewisser Hinsicht selbst wieder ein Stück jüdischen Volksthums wurden. 46 Es war nun um die Zeit, wo der Krieg bereits erklärt, und Vespasian soeben in Syrien gelandet war – der Judenhass schoss überall gerade in seine üppigsten Halme – 47 da begab sich ein gewisser Antiochus, selbst ein Jude und zwar infolge der Stellung seines Vaters, der da das Haupt aller Juden in Antiochien war, sogar ein höchst angesehener Jude, in das Theater, in dem gerade das Volk von Antiochia eine Versammlung abhielt, und machte gegen seinen eigenen Vater und die anderen Juden die Anzeige, dass sie beschlossen hätten, in einer einzigen Nacht alle Quartiere der Stadt niederzubrennen. Er brachte auch gleich in Fesseln einige auswärtige Juden mit, die an jener Verschwörung theilgenommen haben sollten. 48 Bei dieser Mittheilung kannte der Zorn des Volkes keine Grenze mehr. Mit allem Ungestüm forderte man die sofortige Verbrennung der eingelieferten Juden, die auch gleich an Ort und Stelle alle miteinander den Flammentod erlitten. 49 Nun stürmte alles gegen die Judencolonie, um ja schnell genug die Schuldigen der verdienten Strafe zuzuführen und so die gefährdete Vaterstadt noch zu retten. 50 Antiochus machte dabei den Hetzer und glaubte sogar durch die Entrichtung eines Opfers nach griechischer Weise dem Volke einen Beweis von seinem Gesinnungswechsel und seinem gründlichen Abscheu vor dem Judenthum geben zu müssen; 51 ja, er gieng soweit, die Heiden aufzufordern, sie sollten alle Juden zu demselben Schritte zwingen, da sich dann die Mordbrenner durch ihren Widerstand verrathen würden. Wirklich versuchten die Antiochener das Mittel, und das Ende war, dass nur wenige Juden sich ihrer Forderung fügten, während die Mehrzahl für ihre Weigerung den Tod erlitt. 52 Damit noch nicht zufrieden, ließ sich Antiochus vom römischen [489] Statthalter Soldaten geben und setzte damit seinen Mitbürgern in der ärgsten Weise zu, um auch ihre Sabbathsruhe zu stören und sie mit aller Gewalt zu zwingen, den siebenten Tag durch die verschiedensten knechtlichen Arbeiten zu entheiligen. 53 Er terrorisierte die Juden derart, dass nicht bloß in Antiochia, sondern unter dem von dort ausgehenden Drucke auch in anderen Städten, für einige Zeit wenigstens, die Sabbathsfeier ganz verschwand.
54 (4.) Diesen traurigen Ereignissen, welche um die genannte Zeit über die Juden von Antiochia hereinbrachen, folgte bald wieder ein neuer Unglücksschlag, den wir gleich anfangs angedeutet und zu dessen Verständnis wir auch das eben erzählte vorausgeschickt haben. 55 In Antiochien war eine Feuersbrunst ausgebrochen, welche das bekannte viereckige Forum, das Stadthaus, das Archiv und die Basiliken verzehrte und sich über die ganze Stadt zu verbreiten drohte, so dass man selbst mit Aufbietung aller Kräfte den Flammen nur mit genauer Noth Einhalt thun konnte. Diesen Brand legte nun Antiochus den Juden zur Last, 56 und gewiss hätten sich die Einwohner der Stadt, auch wenn sie nicht bereits von früher her gegen die Juden einen Groll gehabt hätten, schon infolge der durch die Feuersbrunst hervorgerufenen Aufregung sofort von der Verleumdung einnehmen lassen. Um so leichter musste es also Antiochus werden, aus den früheren Zetteleien seine jetzige Behauptung den Einwohnern plausibel zu machen, was ihm in einer Weise gelang, dass die Antiochener sich fast selbst einredeten, die Juden mit Brandfackeln an ihren Gebäuden gesehen zu haben. 57 Nicht anders, als wären alle toll geworden, wollten sie sich schon mit fanatischer Wuth auf die Opfer der Verleumdung werfen, 58 als es noch dem Legaten Cnejus Collega, freilich mit Mühe, gelang, ihren Ungestüm zu zügeln und seine Forderung durchzusetzen, dahingehend, man möge doch zunächst an den Kaiser Vespasian einen Bericht über die letzten Vorfälle abgehen lassen. 59 Es war nämlich damals der Statthalter von Syrien Cäsennius Pätus schon auf dem Wege vom Kaiser her, aber noch immer nicht in Antiochien eingetroffen. 60 Als nun Collega die Sache sorgfältiger untersuchen ließ, kam er auf die Wahrheit: kein einziger von den Juden, denen Antiochus die Schuld gab, hatte auch nur den geringsten Antheil an der Verschwörung genommen; 61 vielmehr war das Ganze nur das Werk etlicher Taugenichtse, die sich vor Schulden nicht mehr zu helfen wussten und der Meinung waren, wenn sie den Markt mit den öffentlichen Archiven niederbrennen würden, wären sie aller Forderungen ledig. 62 Solange nun dieser Process noch in der Schwebe war, mussten die Juden in furchtbarer Spannung der kommenden Dinge harren.
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63 (1.) Als man dem Cäsar Titus die Nachricht brachte, wie ersehnt sein Vater Vespasian allen Städten Italiens gekommen sei, und wie ihn namentlich die Stadt Rom mit der größten Begeisterung und Auszeichnung empfangen, da kehrte wieder herzliche Freude und Frohsinn in seine Seele ein, weil ihm wenigstens die Sorge um seinen Vater, und zwar durch die denkbar glücklichste Wendung, genommen war! 64 Denn während Vespasian noch weit entfernt war, huldigte ihm auch schon ganz Italien mit einem Jubel, als wäre er bereits zur Stelle. Der außerordentliche Enthusiasmus machte eben keinen Unterschied mehr zwischen Erwartung und Ankunft, und die zuvorkommende Huldigung für Vespasian galt schon als gleichbedeutend mit der Beseitigung jeglicher Noth. 65 Denn was zunächst den Senat betrifft, so hatte derselbe die traurigen Erfahrungen, die er beim Sturze der letzten Kaiser gemacht hatte, nur zu frisch noch im Gedächtnisse, um nicht mit Segenswünschen die Ankunft eines Kaisers zu erwarten, dessen ehrwürdiges graues Haar das schönste Lorbeerreis kriegerischen Ruhmes schmückte, und von dem man sicher wusste, dass seine erhabene Würde ihm nur Mittel sein würde, um das Wohl seiner Unterthanen zu befördern. 66 Aber noch mehr drängte das von den Leiden des Bürgerkrieges ganz erschöpfte Volk nach der Ankunft des Vespasian, da es jetzt einmal sicher von seinem Elende loszukommen hoffte und mit Vertrauen dem Eintritt ebenso ruhiger als gesegneter Zeiten entgegensah. 67 Ganz besonders aber waren die Blicke des Heeres erwartungsvoll auf ihn gerichtet, da schließlich doch nur die Militärs am besten die Größe seiner kriegerischen Erfolge zu würdigen vermochten. Sie hatten unter der Unkenntnis und Feigheit der übrigen Kaiser soviel zu leiden gehabt, dass sie einerseits den sehnlichsten Wunsch hatten, endlich ihre persönliche arg befleckte Ehre wieder hergestellt zu sehen, und andererseits mit Freuden einen Mann begrüßen mussten, der allein das rechte Zeug in sich hatte, ihnen Heil und Siegesruhm zu geben. 68 Angesichts dieser großartigen allgemeinen Begeisterung für Vespasian litt es die Spitzen der Behörden nicht mehr in Rom, sondern sie beeilten sich, soweit als möglich, von der Hauptstadt aus ihm entgegenzukommen. 69 Aber auch die übrige Einwohnerschaft konnte seine Ankunft nicht mehr erwarten. Wie ein mächtiger Strom flutete die ganze Menschenmasse zu den Thoren hinaus, und jedermann fand diesmal das Fortgehen bequemer und leichter, als das Bleiben, so dass jetzt auch die Stadt selbst das erstemal ihre Vereinamung [491] nur mit einem innigen Vergnügen betrachten konnte. Denn die Zahl der Zurückgebliebenen war viel kleiner, als die der Ausziehenden. 70 Als man nun sein Nahen meldete, und die ersten, die eintrafen, nicht genug von seiner Herablassung zu erzählen wussten, die er bei seinem Empfange gegen jederman bewiesen, da eilte nunmehr die ganze übrige Bevölkerung mit Frauen und Kindern auf die Plätze heraus, wo er vorüber musste, um ihn dort zu erwarten. 71 Ueberall, wo er vorbeikam, entfesselte seine gewinnende Erscheinung, wie sein freundliches Antlitz ein tausendfaches Willkomm: die einen nannten ihn preisend ihren „Wohlthäter“, die anderen ihren „Retter“, noch andere den „einzigen würdigen Erben des römischen Kaiserthrons“. Die ganze Stadt war ein einziger Tempel: überall nur Blumengewinde und Weihrauchwolken! 72 Kaum vermochte Vespasian sich durch die ihn umwogenden Massen eine Bahn nach dem Kaiserpalaste zu brechen, wo er zunächst den Hausgöttern Dankopfer für seine glückliche Ankunft entrichtete, 73 während das Volk sich gütlich that, und die Mitglieder der einzelnen Stämme und Geschlechter, wie auch die Nachbarn untereinander Freundesmahle feierten, bei denen man unter Trankopfern zu Gott flehte, er möchte doch Vespasian recht lange auf dem römischen Kaiserthrone lassen und auch seine Kinder und deren Nachkommen für ewige Zeiten im unbestrittenen Besitze der Herrschaft erhalten. 74 Seit diesem begeisterten Empfange Vespasians durch die Stadt Rom nahm auch sofort ihr Wohlstand einen gewaltigen Aufschwung.
75 (2.) Noch vor unserer Zeit, gerade damals, als Vespasian noch in den Mauern Alexandriens weilte, und Titus eben mit vollem Eifer die Belagerung Jerusalems betrieb, ward ein großer Theil der Germanen von einer aufrührerischen Bewegung ergriffen, 76 mit welcher auch die angrenzenden gallischen Völker sympathisierten und auf die sie, im Vereine mit den Germanen, die hoffnungsvollsten Pläne gründeten, endlich einmal von der römischen Tyrannei erlöst zu werden. 77 Zu diesem Wagnis eines Abfalles und eines Krieges mit Rom wurden die Germanen zunächst durch ihr Naturel angefeuert, das da, aller gesunden Erwägungen bar, sich bei dem kleinsten Hoffnungsschimmer ohne weiteres in die größten Gefahren stürzt. 78 Dazu kam noch der Hass gegen ihre Bändiger, deren Faust ja, wie sie wissen, die erste und einzige war, welche ihrer Nation die Knechtschaft aufgezwungen hatte. Was jedoch den Germanen noch den allergrößten Muth einflösste, das waren die günstigen Zeitverhältnisse. 79 Sahen sie doch das römische Kaiserthum durch den beständigen Wechsel der Monarchen bis ins Innerste erschüttert und erfuhren sie überdies, wie in der That schon der weltumspannende Bau der Römerherrschaft in allen Fugen [492] wankte und zitterte: kein Wunder, dass die Germanen zur Ueberzeugung kamen, nie und nimmer habe ihnen das Missgeschick und die Uneinigkeit ihrer Feinde einen besseren Zeitpunkt zum Losschlagen geboten. 80 Zwei Männer waren es besonders, welche den Plan des Aufstandes eifrig betrieben und die Aufständischen mit den oben erwähnten Hoffnungen zu berauschen suchten, Classicus und Vitillus, 81 zwei ihrer Anführer, die offenbar schon seit langer Zeit auf eine solche Umwälzung ausgiengen, aber erst jetzt, durch den günstigen Zeitpunkt zu ihrem Wagnis verlockt, offen Farbe bekannten. Sie sollten aber für ihren Versuch bei den Massen auch einen nur allzu empfänglichen Boden finden! 82 So hatte bereits ein großer Theil der Germanen sich bestimmt für den Abfall erklärt, während die übrigen sicher auch keine andere Gesinnung hegten, als Vespasian, wie auf eine Fügung von oben hin, den Petilius Cerealis, gewesenen Statthalter von Germanien, in einem Schreiben mit der Würde eines Consulars auszeichnete und zugleich beauftragte, zur Uebernahme der Verwaltung Britanniens nach diesem Lande abzugehen. 83 Auf der Durchreise nun nach seinem neuen Posten kam Cerealis zur Kenntnis der ganzen aufständischen Bewegung in Germanien und warf sich unverweilt auf die bereits vereinigten Scharen der Rebellen, von denen eine große Zahl in dem folgenden Gefechte am Schlachtfelde blieb, während die übrigen sich gezwungen sahen, von ihrem thörichten Plane abzustehen und wieder Vernunft anzunehmen. 84 Hätte sich aber auch Cerealis nicht so rasch auf die bedrohten Punkte geworfen, so hätten die Rebellen dennoch in nicht allzulanger Zeit ihr Unterfangen büßen müssen: 85 Sobald nämlich die erste Kunde von dem Abfall der Germanen nach Rom drang und auch dem Cäsar Domitianus zu Ohren kam, trug derselbe keinen Augenblick Bedenken, die Riesenlast einer solchen Unternehmung auf sich zu nehmen, obschon jeder andere auf dieser Altersstufe – Domitian stand ja damals noch in seiner zartesten Jugend – sich ihr entzogen haben würde. 86 Mit jener Tapferkeit, die ihm schon vom Vater her im Geblüte lag, und ausgerüstet mit einer weit über sein Alter hinausgehenden militärischen Uebung, brach er sofort gegen die Barbaren auf. 87 Aber schon das bloße Gerücht von seinem Anmarsch brach den Muth der Barbaren derart, dass sie sich ihm von freien Stücken unterwarfen und es noch als ein großes Glück betrachten mussten, dank ihrem Schrecken, wenigstens ohne weitere Schlappen sich wieder dem alten Joche fügen zu dürfen. 88 Nachdem dann Domitian in ganz Gallien die Ordnung durch entsprechende Maßnahmen in einer Weise gesichert hatte, dass auch späterhin das Land nicht leicht mehr in Unruhen gestürzt werden konnte, kehrte er mit Glanz und Ehren auf [493] diese Ruhmesthaten hin, die zwar nicht bei seiner Jugend, wohl aber bei seinem edlen Geblüte verständlich sind, wieder nach Rom zurück.
89 (3.) Gleichzeitig mit dem vorerwähnten Abfall der Germanen spielte sich auch ein verwegener Angriff der Scythen auf die Römer ab. 90 Die sogenannten sarmatischen Scythen, ein zahlreicher Volksstamm, waren unversehens über den Ister nach Mösien eingedrungen und hatten sich mit einer starken Streitmacht und mit einem unwiderstehlichen, weil ganz und gar unerwarteten, Anprall auf die römischen Wachtposten geworfen, von denen sie viele niederhieben. 91 Selbst den Consularlegaten Fontejus Agrippa, der ihnen entgegengezogen war, vernichteten sie nach tapferer Gegenwehr und ergossen sich hierauf über das ganze unter den Römern stehende Land, wo sie alles, was ihnen in die Hände fiel, forttrieben oder fortschleppten. 92 Als Vespasian von diesen Ereignissen und von der Verwüstung Mösiens Kunde erhielt, sandte er Rubrius Gallus ab, um die Sarmaten dafür zu züchtigen. 93 In einer Reihe von Gefechten, die nun Gallus den Sarmaten lieferte, gelang es ihm eine Menge Barbaren zu tödten, während die übrigen, die noch mit heiler Haut entrannen, in größter Verwirrung nach ihrem Heimatlande flohen. 94 Nach dieser glücklichen Beendigung des Krieges war der Feldherr auch auf die künftige Sicherheit des Landes bedacht, indem er zu diesem Zwecke die dortigen Stromwachen derart vervielfältigte und verstärkte, dass den Barbaren der Uebergang von da an ganz und gar unmöglich wurde. 95 So hatte der mösische Feldzug eine rasche Wendung genommen.
96 (1.) Der Cäsar Titus hielt sich, wie oben gesagt wurde, einige Zeit in Berytus auf. Von da brach er dann wieder auf, um seinen Zug durch verschiedene Städte Syriens zu nehmen, wo er überall die prächtigsten Schauspiele aufführen und die gefangenen Juden ihr eigenes Sterben zum Besten geben ließ. Auf diesem Zuge sah er sich auch einen ganz eigenthümlichen Fluss an, der hier wohl eine Erwähnung verdienen dürfte. 97 Dieser Fluss schlängelt sich zwischen der Stadt Arkäa im Königreich des Agrippa und Raphanäa hin und hat die wunderbare Eigenschaft, 98 dass er, so oft er überhaupt fließt, immer eine große Wassermenge und zwar in keineswegs trägem Laufe dahinwälzt, dann aber wieder und zwar volle sechs Tage hindurch in seiner [494] ganzen Länge bis zu seinen Quellen hinauf verschwindet und den Anblick eines ganz trockenen Bettes darbietet. 99 Ist der siebente Tag gekommen, so strömt er wieder, wie vordem, als wäre mit ihm gar nichts geschehen, und diesen Wechsel befolgt er nach langjährigen Beobachtungen stets aufs genaueste, woher er auch den Namen Sabbathfluss, vom Namen des siebenten Tages, der den Juden heilig ist, bekommen hat.
100 (2.) Als die Einwohner Antiochiens erfuhren, dass Titus schon in der Nähe stehe, wollte vor lauter Freude Niemand mehr innerhalb der Mauern bleiben. Alles wollte ihm entgegeneilen: nicht bloß die Männer, sondern auch eine Masse Frauen mit ihren Kindern strömten zu den Stadtthoren hinaus 101 und giengen Titus mehr als dreißig Stadien weit entgegen. 102 Sobald sie nun seiner ansichtig wurden, stellten sie sich zu beiden Seiten des Weges auf und bewillkommten ihn mit hocherhobenen Händen, worauf sie ihn unter tausendstimmigen Jubelrufen in die Stadt zurückgeleiteten. 103 Stets klang aber auch aus der Mitte der Freudenrufe die Bitte heraus, dass Titus die Juden aus Antiochia verjagen möchte, 104 und obschon Titus darauf gar nicht eingieng, sondern diesen lauten Wünschen nur Stillschweigen entgegensetzte, so fragten sich doch die Juden in ängstlicher Spannung: „Was denkt er sich?“ „Was wird er wohl thun?“ Es waren Tage langer und banger Furcht für sie, 105 indem Titus noch nicht in Antiochia verblieb, sondern gleich wieder seinen Marsch nach der Stadt Zeugma am Euphrat aufnahm, wohin unter anderen auch vom Partherkönig Bologeses Gesandte geschickt worden waren, um dem Titus einen goldenen Kranz für seinen Sieg über die Juden zu überreichen. 106 Nach der Uebernahme desselben gab Titus der königlichen Gesandtschaft ein festliches Mahl und kehrte dann von Zeugma nach Antiochien zurück. 107 Als ihn nun hier der Rath und die Bürgerschaft mit Bitten bestürmten, sich in das Stadttheater zu begeben, wo sich die ganze Volksmenge versammelt hatte, um Titus zu huldigen, sagte er gnädig zu. 108 Wie aber die Antiochener im Theater aufs neue mit großer Zähigkeit ihm anlagen und in einemfort baten, dass er die Juden aus der Stadt vertreiben möchte, gab er ihnen zuletzt eine schlagende Antwort: 109 „Aber ihre Vaterstadt“, sprach er, „wohin man sie versetzen müsste, ist ja nicht mehr, und kein Ort auf der Welt würde sie mehr aufnehmen“. 110 Trotz dieser Fehlbitte wagten die Antiochener noch eine zweite. Sie stellten das Verlangen, dass er wenigstens die Erztafeln, auf dem die Rechte der Juden eingegraben waren, vernichten lassen möchte. 111 Aber auch hierin willfahrte ihnen Titus nicht, sondern ließ alle Rechtsverhältnisse der Juden zu Antiochia in ihrem früheren Bestande. [495] Darauf verließ er Antiochien, um sich nach Aegypten zu begeben. 112 Da er auf diesem Zuge wieder Jerusalem berührte, so konnte er nicht umhin, einen Vergleich zwischen der düsteren Oede, die er jetzt vor sich sah, und der einstigen Pracht dieser Stadt anzustellen, und indem er sich die gewaltigen Bauten, die jetzt in Trümmer lagen, und die entschwundene Herrlichkeit der Stadt vergegenwärtigte, überkam ihn ein tiefes Bedauern für die unglückliche Stadt. 113 Weit entfernt, sich einem stolzen Gefühle hinzugeben, dass es ihm gelungen, eine so starke und ausgedehnte Stadt mit stürmender Hand zu nehmen, wie es jeder andere gethan haben würde, brach Titus wiederholt in die heftigsten Verwünschungen gegen diejenigen aus, welche das Volk in den Abfall hineingerissen und dadurch eine so furchtbare Züchtigung über die Stadt heraufbeschworen: kurz, man sah aus seinem ganzen Benehmen, wie wenig er darnach Verlangen trug, aus den Trümmern eines niedergetretenen Volkes sich einen Ruhmestempel zu bauen. 114 Von den ungeheuren Schätzen dieser Stadt wurde selbst unter den Ruinen noch ein nicht unbeträchtlicher Theil aufgefunden. 115 Vieles konnten die Römer selbst herausgraben, aber die meisten Funde verdankten sie den Angaben der Kriegsgefangenen, infolge deren man Gold- und Silberschmuck und anderen überaus kostbaren Zierat aushob, wie er von den betreffenden Eigenthümern der unsicheren Kriegszeiten wegen in die Erde versteckt worden war.
116 (3.) Nun machte sich Titus, wie er vorgehabt hatte, auf den Weg nach Aegypten und erreichte nach einem äußerst raschen Wüstenmarsch die Stadt Alexandria. 117 Da er von da nach Italien zu fahren gedachte, so schickte er die beiden Legionen, mit denen er gekommen, wieder in ihre alten Standorte, die fünfte nach Mösien und die fünfzehnte nach Pannonien zurück. 118 Er traf dann unter den Kriegsgefangenen eine Auswahl und ließ die zwei Rebellenführer Simon und Johannes nebst einer Anzahl von 700 ausnehmend starken und schöngewachsenen Männern ohne Verzug nach Italien schaffen, um sie dort im Triumphe aufzuführen. 119 Nach einer Ueberfahrt, wie sie sich Titus selbst nicht besser wünschen konnte, erfuhr er von Seite der Hauptstadt denselben herzlichen Empfang und dasselbe Entgegenkommen, das man seinem Vater erwiesen hatte. Was aber seinen Einzug besonders glänzend gestaltete, das war der Umstand, dass ihm sogar sein eigener Vater zum Empfange entgegenzog, 120 und es war für die versammelten römischen Bürger ein herzerfreuendes, göttliches Schauspiel, die drei Fürsten jetzt vereinigt zu sehen. 121 Schon nach Verlauf von wenigen Tagen fassten sie den Beschluss, nur einen einzigen und zwar gemeinsamen Triumph über die Juden zu feiern, obwohl der Senat dem Vespasian, [496] wie dem Titus, jedem für sich, einen Triumphzug bewilligt hatte. 122 An dem schon früher kundgemachten Tage, an dem der Siegesfestzug stattfinden sollte, war von der unermesslichen Menge in der Hauptstadt keine Seele zu Hause geblieben: alles war herbeigeeilt und hatte jede freie Stelle bis auf das letzte Stehplätzchen besetzt – nur eine knappe Straße ward für die Entfaltung des Schaugepränges freigelassen.
123 (4.) Noch herrschte nächtliches Dunkel, als zuerst das ganze Militär, nach Manipeln und Cohorten geordnet und geführt von seinen Officieren, aus seinen Quartieren rückte und vor der Wohnung der Imperatoren, die diesmal nicht im obern Palast, sondern in der Nähe des Isistempels übernachtet hatten, Aufstellung nahm. 124 Als die Morgenröthe aufgieng, erschienen bereits Vespasian und Titus, einen Lorbeerkranz um das Haupt gewunden, sonst aber noch mit den gewöhnlichen Purpurgewändern bekleidet, und begaben sich nach der Gallerie der Octavia, 125 wo der Senat, die Spitzen der Behörden und die römischen Ritter auf ihren Empfang warteten. 126 Vor der Halle war eine Estrade aufgeschlagen, auf der ein elfenbeinerner Thron mit zwei Sitzen stand. Die Triumphatoren traten auf ihn zu und setzten sich. In diesem Augenblicke erscholl aus dem Heere ein brausender Jubelruf, und alles überhäufte sie mit Beweisen der Anerkennung für ihre Tapferkeit. Wohlgemerkt, trugen auch die Soldaten nur die Civilkleidung, aber eine solche aus Seidenstoffen, und hatten Lorbeerkränze auf dem Haupte. 127 Nachdem Vespasian für die ehrenden Kundgebungen gedankt, gab er, weil der Beifallssturm noch immer sich nicht legen wollte, endlich das Zeichen zum Stillschweigen 128 und erhob sich unter lautloser, allgemeiner Stille von seinem Throne, schlug seine Toga fast über das ganze Haupt und begann die altherkömmlichen Dankgebete, die auch Titus verrichtete. 129 Nach dem Gebete hielt Vespasian an die ganze Versammlung eine kurze Ansprache und ließ dann die Soldaten zu dem Morgenimbiss gehen, der ihnen nach altem Brauche von den Imperatoren an diesem Tage beigestellt ward. 130 Er selbst gieng nach dem Thore, das von den Triumphzügen, die stets durch dasselbe ihren Weg nehmen müssen, seinen Namen „Triumphpforte“ erhalten hat, 131 um daselbst zunächst mit Titus ein kleines Mahl einzunehmen und sich in die Gewänder der Triumphatoren zu werfen. Nachdem sie noch den beim Thore befindlichen Heiligthümern der Götter Opfer dargebracht hatten, eröffneten sie ihren Triumphzug, welcher mitten durch die Theater gehen sollte, damit so die Zuschauermenge einen besseren Ueberblick gewinnen könnte.
132 (5.) Es ist nun geradezu unmöglich, von der Unzahl der hier aufgeführten Prunkgegenstände, wie auch von der Großartigkeit aller [497] nur erdenkbaren Kostbarkeiten, ob nun ihr Wert in der kunstvollen Bearbeitung oder im edlen Gehalt der Artikel oder nur in ihrer natürlichen Seltenheit bestand, einen entsprechenden Begriff zu geben. 133 War ja doch fast alles, was die Glücksmenschen aller Zeiten an bewunderungswürdigen und wertvollen Dingen, nach Ländern und Völkern verschieden, einzeln erworben hatten, an diesem Tage in Rom beisammen, um die Größe des römischen Reiches widerzuspiegeln. 134 Die Menge des Silbers, des Goldes und des Elfenbeines, wie sie da in den mannigfachsten Kunstformen bearbeitet zu sehen war, hatte schon nicht mehr den Charakter einer bloßen Schaustellung, sondern glich fast, möchte man sagen, einem ununterbrochen mächtig daherwogenden Strome. Hier trug man Gewebe vom seltensten Purpur, dort wieder solche, die, mit babylonischen Kunststickereien bedeckt, durch ihre zarte Ausführung an förmliche Gemälde erinnerten. 135 Dazwischen das Farbenspiel der Edelsteine, die theils in goldene Kronen eingesetzt, theils in anderer Adjustierung in so verschwenderischer Fülle vorüberzogen, dass einem fast der bisherige Glaube an ihre Seltenheit als ein bloßes Vorurtheil hätte erscheinen mögen. 136 Auch die Statuen der römischen Götterwelt brachte man vorüber, Werke von ebenso erstaunlicher Größe, wie fleißiger Technik und durchgehends kostbarem Material. Desgleichen wurden alle möglichen Gattungen lebender Thiere, jedes in eigenthümlicher Ausstaffierung, vorgeführt. 137 Sogar die Schar der Träger, die mit all’ diesen Herrlichkeiten beladen war, prangte in Purpurkleidern mit reicher Goldverzierung, umsomehr natürlich die eigentlichen Theilnehmer des Triumphzuges, die eine außerordentliche, ja geradezu sinnverwirrende Pracht in ihrer Erscheinung entfalteten. 138 Dazu vermisste das Auge nicht einmal an der Schar der Gefangenen eine hübsche Bekleidung, da im Gegentheil gerade hier eine besonders buntfärbige und herrliche Gewandung gewählt wurde, um die durch die Leiden des Krieges verursachte körperliche Entstellung vor den Blicken der Zuschauer zu verschleiern. 139 Das allergrößte Staunen aber erregte die Einrichtung der Schaugerüste, die man vorübertrug, da sie einmal von einer so ungeheuren Größe waren, dass man bei ihrem Anblick den Kopf schütteln und unwillkürlich für die Sicherheit der Ladung fürchten musste, 140 indem viele aus drei oder selbst vier Stockwerken bestanden. Ferner war die ganze Arbeit daran von einer Pracht, die ebenso das Herz erfreuen, wie das Auge berücken musste. 141 Viele darunter waren mit gewirkten Decken in reichster Goldstickerei behangen, und ringsum zeigten sich auf allen Gerüsten Gold- und Elfenbeinzieraten von ungewöhnlicher Feinheit. 142 Aus einer Menge von Darstellungen, von denen die eine diese, die andere jene Kampfscene [498] behandelte, konnte man sich ein sehr klares Bild von dem ganzen Feldzuge machen. 143 Hier schaute man z. B. ein glückliches Land, verheert von römischen Scharen, dort wurden eben ganze Schlachtreihen feindlicher Krieger niedergemäht, während andere auf voller Flucht begriffen waren, und wieder andere als Sclaven fortgetrieben wurden. Dann sah man wieder, wie Mauern von ungeheurer Größe unter den Stößen der Widdermaschinen in Schutt und Trümmer sanken, und steile Vesten erklommen wurden. Dann erschienen volkreiche Städte mit ihren Ringmauern, auf deren Zinnen bereits die Römer standen, 144 indes das übrige Heer sich durch die Breschen der Mauern in die Stadt wälzte, wo man überall die grässlichsten Mordscenen und die Gruppen der Wehrlosen mit flehend erhobenen Händen sehen konnte. Dort war ein Tempel abgebildet, in den man soeben die Brandfackel hineinschleuderte, dann eine Reihe von Häusern, die von den Siegern über den Leichen ihrer Eigenthümer zusammengerissen wurden. 145 Zuletzt kamen auch Flüsse, welche zunächst eine endlose und traurige Wüste durcheilten, um dann, nicht etwa bebautes Land zu befruchten und Menschen und Thiere zu tränken, sondern bloß den Feuerschein unzähliger brennender Städte und Flecken widerzuspiegeln: kurz die ganze Kette von Leiden war da zu schauen, die von dem Augenblick an über die Juden hereinbrechen sollte, wo sie sich freiwillig der Kriegsfurie in die Arme geworfen hatten. 146 So stellten diese Tafelgemälde durch ihre kunstvolle Behandlung und ihren kolossalen Umfang denen, die den Feldzug nicht mitgemacht hatten, dennoch alle seine Einzelnheiten mit einer Anschaulichkeit vor Augen, als stünden sie jetzt mitten unter ihnen. 147 Auf jedem Schaugerüste hatte auch stets der Commandant der betreffenden eroberten Stadt genau in derselben äußeren Verfassung, wie er gefangen genommen worden, seinen Platz einnehmen müssen. 148 Es kamen dann auch noch viele Schiffe, und ein Beutezeug ohne Ende; die weitaus schönsten Stücke darin waren im Tempel zu Jerusalem getroffen worden: so ein goldener, viele Talente schwerer Tisch und ein Leuchter, der ebenfalls aus Gold bestand, aber in seiner Arbeit von den bei uns im gewöhnlichen Gebrauche stehenden Leuchtern abwich. 149 Denn mitten aus dem Fußgestell ragte ein Schaft auf, von dem dann wieder dünnere Zweige, ähnlich wie die Zurken bei einem Dreizack, ausgiengen, deren Krönung eine aus Erz gearbeitete Lampe bildete. Es waren ihrer sieben Arme, um die hohe Würde des siebenten Tages bei den Juden symbolisch darzustellen. 150 Den Schluss der Beutestücke machte das Gesetzbuch der Juden. 151 Darauf zogen viele mit Statuen der Siegesgöttin vorüber, die durchwegs aus Elfenbein und Gold hergestellt waren. 152 Endlich kam Vespasian gefahren [499] und hinter ihm Titus, während Domitian im prächtigen Aufzug mit einem stattlichen Rosse zur Seite paradierte.
153 (6.) So bewegte sich der Festzug seinem Ziele, dem Tempel des Capitolinischen Jupiters, entgegen. Dort angekommen, blieb er stehen. Es war nämlich eine alte, von den Vätern überlieferte Sitte, daselbst solange zuzuwarten, bis einer den Tod des feindlichen Feldherrn meldete. 154 Dieser war in unserem Falle Simon, Sohn des Gioras, der soeben den Triumphzug als Gefangener hatte mitmachen müssen: jetzt ward er mit einem Stricke um den Hals unter den Streichen seiner Schergen auf die oberhalb des Forums gelegene Stätte geschleift, wo nach römischer Sitte die zum Tode verurtheilten Uebelthäter hingerichtet wurden. 155 Die Botschaft von seinem Ende wurde mit einem allgemeinen Jubel aufgenommen, worauf die Triumphatoren erst zur Darbringung der Opfer schritten. Nachdem sie dieselben unter den vorgeschriebenen Gebeten und unter günstigen Anzeichen beendet, zogen sie sich in den Kaiserpalast zurück, 156 wo sie, umgeben von vielen geladenen Gästen, die Festmahlzeit hielten, während alle anderen zu Hause eine reich gedeckte Tafel erwartete. 157 Feierte doch an diesem Tage ganz Rom zugleich das Siegesfest für den glücklich beendeten Krieg, das Ende seiner inneren Wirren und den Beginn einer glückverheißenden neuen Zeit.
158 (7.) Nach seinem Triumphe beschloss Vespasian, da er jetzt die Ordnung im römischen Reiche vollständig gesichert hatte, der Friedensgöttin ein Heiligthum zu errichten. Der Bau war auch überraschend schnell vollendet und fiel dabei über alle Vorstellung herrlich aus, 159 da Vespasian die Fülle seiner Reichthümer mit einer geradezu göttlichen Freigebigkeit darauf verwendete und überdies mit uralten Kunstschöpfungen auf dem Gebiet der Malerei und Sculptur denselben auszuschmücken wusste. 160 Denn alle möglichen Sehenswürdigkeiten, derentwegen die Menschen ehedem die ganze Erde durchstreifen mussten, um ihre Wissensbegier zu befriedigen, solange die eine nur dort, die andere nur da zu finden war, wurden in diesem Tempel zusammengebracht und aufbewahrt. 161 Auch die goldenen Gefäße aus dem jüdischen Tempel ließ Vespasian als Weihegeschenke in diesem Heiligthum aufstellen, ein Beweis, wie sehr er sich durch ihren Besitz geschmeichelt fühlte. 162 Das jüdische Gesetz und die purpurnen Vorhänge vor dem Allerheiligsten ließ er dagegen in seiner Residenz auf das sorgfältigste aufbewahren.
[500]
163 (1.) Unterdessen wurde Lucilius Bassus als Legat nach Judäa entsendet, um von Cerealis Vitellianus das Commando zu übernehmen. Ihm gelang es zunächst, die auf dem Herodiumberg gelegene Festung sammt ihrer Besatzung auf dem Wege der Capitulation in seine Hand zu bekommen. 164 Hierauf vereinigte er das ganze Provinzialheer, das zu einem großen Theile durch das Land hin zerstreut lag, mit der zehnten Legion und beschloss damit die Veste Machärus anzugreifen, deren Wegnahme schon darum eine gebieterische Nothwendigkeit war, weil zu befürchten stand, dass der starke Platz auf die aufständische Bewegung eine große Anziehungskraft ausüben könnte. 165 Machärus hatte ja alle Eigenschaften, um einerseits seinen Vertheidigern die festeste Zuversicht auf den Sieg, einem Belagerungsheer aber starke Bedenken und sogar Schrecken einzuflößen. 166 Die Mauern der eigentlichen Festung standen auf einer felsigen, himmelanstrebenden Höhe, die schon aus diesem Grunde schwer zu erstürmen ist. 167 Sie ist aber überdies durch ihre Umgebung derart natürlich befestigt, dass man sie nicht einmal recht zugänglich machen kann, indem sie nach allen Richtungen hin durch wilde Schluchten, wie durch natürliche Gräben, abgesperrt erscheint, und zwar Schluchten von einer solchen Tiefe, dass das Auge von oben gar nicht auf ihren Grund hinabdringen, und der Fuß nur schwer einen Weg durch dieselben finden kann: mit einem Damm sie zu durchschneiden, ist ganz und gar unmöglich. 168 Die Schlucht, die Machärus im Westen absperrt, verläuft sechzig Stadien weit und endet erst am Asphaltsee. Und gerade nach dieser Seite hin streckt auch die Höhe von Machärus ihr steilstes Horn aus. 169 Die Senkungen im Norden und Süden sind zwar nicht so ausgedehnt, wie die eben erwähnte, bieten aber einem Angriff so ziemlich dieselben Schwierigkeiten. 170 Die östliche Schlucht dagegen erreicht bei aller Tiefe, die sicher nicht unter hundert Ellen beträgt, dennoch ihr Ende gleich bei dem Berge, der dort Machärus unmittelbar gegenüberliegt.
171 (2.) Dem Scharfblick des jüdischen Königs Alexander war die treffliche Ortslage nicht entgangen, und er war es auch, der zuerst auf der Höhe von Machärus eine Veste anlegte, die später allerdings von Gabinius im Kriege mit Aristobulus wieder niedergerissen ward. 172 Auch Herodes glaubte nach seinem Regierungsantritte diesem Platze vor allen anderen seine Aufmerksamkeit zuwenden und eine der stärksten Befestigungen geben zu müssen, ganz besonders wegen der [501] Nachbarschaft der Araber, indem Machärus einen sehr wichtigen Punkt beherrscht und so recht ein Lug ins Land Arabien hin ist. 173 Herodes legte also dort in einem weiten Umfang feste Mauern und Thürme an und gründete eine Stadt, von der ein weiterer Aufstieg auf den eigentlichen Berggipfel hinaufführte. 174 Aber nicht bloß die Stadt, sondern auch die Spitze oben gürtete Herodes mit einer Ringmauer, an deren Ecken er durchgehends 60 Ellen hohe Thürme aufführen ließ. 175 Im Mittelpunkte dieses befestigten Kreises baute er sodann einen prächtigen königlichen Palast mit weiten und herrlichen Wohnräumen. 176 Auch ließ er viele Cisternen zur Aufnahme und reichlichsten Verwendung des Regenwassers an den geeignetsten Punkten herstellen: mit einem Worte, er wetteiferte, sozusagen, mit der Natur selbst, um die Festigkeit der Lage durch die Befestigungen von Menschenhänden noch in den Schatten zu stellen. 177 Er versah dann weiters die Veste mit einer Masse von Handgeschossen und schweren Geschützen und sorgte für eine so allseitige Ausrüstung, dass die Vertheidiger sogar mit einer gewissen Geringschätzung auch der längsten Belagerung entgegensehen konnten.
178 (3.) Im Garten des Königspalastes stand auch eine Raute, die eine staunenswerte Größe erreicht hatte; denn ihre Höhe und Dicke blieb hinter keinem Feigenbaum zurück, 179 und es gieng die Sage, dass sie sich noch aus der Zeit des Herodes erhalten habe. Sie wäre wohl noch die längste Zeit stehen geblieben, wenn sie nicht bei der Occupation von Machärus durch die Juden selbst ausgehauen worden wäre. 180 Es existiert ferner in dem Thale, das sich auf der Nordseite um die Stadt herumzieht, ein besonderer Platz mit dem Namen Baaras, auf dem eine Wurzel gleichen Namens wächst. 181 Dieselbe hat eine feuerrothe Farbe und strahlt jeden Abend einen Lichtglanz aus; will aber jemand sich ihr nahen, um sie auszureißen, so lässt sie sich durchaus nicht leicht fassen, sondern entzieht sich den Händen und kann nicht früher gebannt werden, bis man nicht Menstruationsblut oder Urin daraufschüttet. 182 Aber selbst in diesem Falle ist dann noch die Berührung der Wurzel gleichbedeutend mit dem augenblicklichen Tode, wenn man sie nicht gerade so in der Hand trägt, dass sie nach unten hängt. 183 Doch kann man sich ihrer auch ohne jede Gefahr und zwar auf folgende Art bemächtigen. Man gräbt sie ringsum so vollständig ab, dass nur mehr ein ganz kleines Stück der Wurzel von der Erde bedeckt wird. 184 Dann bindet man einen Hund daran, und wie nun derselbe dem Menschen, der ihn angebunden, wieder folgen will, zieht er natürlich die Wurzel mit aller Leichtigkeit aus dem Boden, um aber augenblicklich, gleichsam zur Sühne für den, der eigentlich die Pflanze wegnehmen will, den Tod zu erleiden. Jetzt kann man dann ohne Bedenken [502] nach der Wurzel greifen. 185 Der Grund aber, warum diese Wurzel bei all’ ihrer Gefährlichkeit so gesucht ist, liegt in einer einzigen Wirkung, die sie besitzt. Sie hat nämlich die Kraft, die sogenannten Dämonen, das sind die Geister böser verstorbener Menschen, die in noch lebende hineinfahren und dieselben, wenn sie keine Hilfe bekommen, auch tödten, sofort schon durch ihre bloße Annäherung an die Kranken auszutreiben. 186 Es fließen an diesem Orte auch heiße Wasserquellen, die aber ganz verschieden schmecken. Denn während einige darunter bitter sind, lassen die anderen an Süßigkeit nichts zu wünschen übrig. 187 Daneben haben übrigens auch viele Wasseradern mit kalter Temperatur ihre Quellen und zwar nicht bloß weiter thalabwärts, 188 sondern – man höre und staune – selbst oberhalb der Höhle, die man in der Nähe sieht, und deren keineswegs tiefer Raum von dem vorspringenden Felsen geschützt wird. 189 Von diesem Felsen nun ragen oben in geringer Entfernung voneinander zwei brüsteartige Spitzen auf, deren eine eine sehr frische Quelle, die andere dagegen eine sehr heiße hervorsprudeln lässt. Mischt man beide, so erhält man ein sehr angenehmes Bad und ein Heilmittel für verschiedene Krankheiten, ganz besonders für Nervenleiden. Auch Schwefel und Alaunlager weist der Ort auf.
190 (4.) Als Bassus die Lage der Veste nach allen Seiten hin recognosciert hatte, entschloss er sich, quer durch die östliche Schlucht Dämme aufschütten zu lassen, um sich so einen Zugang zum Platze zu bahnen. Eifrig betrieb er die Werke und gab sich alle Mühe, so schnell, als möglich, die Dämme in die Höhe zu bringen, um sich dadurch den Sturm auf die Festung zu erleichtern. 191 In der eingeschlossenen Stadt hatte sich unterdessen das jüdische Element von dem fremden getrennt und eine eigene Stellung bezogen. Man hatte die Fremden, die nach der Meinung der Juden ohnehin nur gemeines Pack waren, gezwungen, in der Stadt unten zu bleiben und, sozusagen, den Puffer für die ersten Schläge abzugeben: 192 die obere Festung dagegen hielten die Juden besetzt, nicht bloß wegen der größeren Sicherheit des Platzes, sondern auch darum, weil sie denselben als Pfand für ihr Leben zu benützen gedachten: die Auslieferung der oberen Veste an die Römer musste ihnen ja nach ihrer Annahme sicher freien Abzug verbürgen. 193 Vorderhand aber wollten sie noch ihr gutes Glück versuchen, um, wenn möglich, den Plan einer Belagerung überhaupt ganz zu vereiteln. Mit großer Bravour machten sie daher Tag für Tag Ausfälle und kamen mit den Schanzarbeitern ins Handgemenge, bei dem sie, allerdings nicht ohne eigene schwere Verluste, den Römern viele Leute tödteten. 194 Den Ausschlag zum Siege gab auf beiden Seiten regelmäßig der gutgewählte oder vorhergesehene Augenblick des Angriffes. [503] So blieben stets die Juden im Vortheil, wenn es ihnen gelang, die Römer unvorbereitet zu treffen, die Römer aber, wenn die Soldaten auf den Dämmen schon die Vorbereitungen zu einem Ausfall merkten und, Schulter an Schulter geschlossen, die Feinde empfangen konnten. 195 Uebrigens sollte nicht auf diesem Wege das Ende der Belagerung herbeigeführt werden, vielmehr sollte es ein ganz unerwarteter Zwischenfall sein, der die Juden in die Nothwendigkeit versetzte, die Festung zu übergeben. 196 Unter den Belagerten befand sich nämlich ein Jüngling, namens Eleazar, der ein ebensogroßer Wagehals, wie gefürchteter Haudegen war. 197 Er hatte sich an den Ausfällen in hervorragender Weise betheiligt, indem er sowohl die Kämpferscharen zum Sturm auf die Römer und zur Zerstörung ihrer Dammarbeiten anfeuerte, als auch im Handgemenge persönlich den Römern vielfachen und schweren Schaden that. Jenen, die an seiner Seite einen Ausfall wagten, bahnte er stets eine bequeme Straße durch die Feinde und sicherte auch ihren Rückzug, da er dabei immer der letzte war. 198 Einstmal nun, da der Kampf schon zu Ende war, und die beiden feindlichen Parteien sich bereits zurückgezogen hatten, blieb der Jüngling aus lauter Geringschätzung für den Feind, und weil er glaubte, dass keiner mehr den Kampf aufnehmen werde, allein vor dem Thore stehen und plauderte so eifrig mit seinen Leuten auf der Mauer, dass er nur für sie mehr Aug’ und Ohr war. 199 Nicht sobald aber hatte ein Aegyptier aus dem römischen Lager, namens Rufus, diese nur allzu günstige Gelegenheit erspäht, als er auch schon mit Blitzesschnelle, ehe jemand noch einen Gedanken haben konnte, sich auf den Mann warf, ihn in seiner vollen Rüstung emporhob und, während die Zeugen dieser Scene auf der Mauer droben noch starres Entsetzen an die Stelle bannte, mit ihm schon drüben im römischen Lager war. 200 Der römische Feldherr ließ nun dem Gefangenen die Kleider ausziehen und ihn an einer von der ganzen Stadt aus sehr gut sichtbaren Stelle mit Geißelhieben zerfleischen, ein Anblick, der den Juden dermaßen das Herz zerriss, dass die ganze Einwohnerschaft vor Mitleid aufschrie und einen Jammer schlug, als wäre schon die ganze Stadt und nicht etwa bloß ein einziger Mann verloren. 201 Kaum hatte der schlaue Bassus das heraus, als er aus diesem Mitleid eine Schlinge für die Feinde zu machen beschloss. Er wollte nämlich ihr eigenstes großes Herzeleid, sozusagen, auf die Folter spannen, um sie zu zwingen, für die Begnadigung des Jünglings ihm die Veste auszuliefern, was ihm auch nur zugut gelang. 202 Er ließ zu diesem Zwecke ein Kreuz in die Erde einrammen: offenbar sollte Eleazar sofort daran aufgehängt werden! Als die Leute auf der Festung diese Vorbereitungen sahen, schnitt es [504] ihnen noch tiefer in die Seele, und sie erhoben ein durchdringendes Jammergeschrei: 203 „Das ist zuviel! Das ist zuviel!“ Wie nun aber jetzt auch Eleazar selbst sie inständig zu bitten anfieng, sie möchten ihn doch nicht eines so erbärmlichen Todes sterben lassen und den ferneren Widerstand gegen die Macht und das Glück der römischen Waffen, denen ja schon alles erlegen sei, aufgeben, um so auch das eigene Leben zu retten: 204 da brach unter solchen flehentlichen Worten von draußen und unter den stürmischen Bitten seiner ebenso weitreichenden, wie äußerst zahlreichen Verwandtschaft von drinnen ihre Fassung vollständig zusammen, und sie ließen sich ganz gegen ihren sonstigen Charakter vom Mitleid fortreißen. 205 Schleunig schickte man einige Unterhändler hinaus und bot den Römern die Auslieferung der Burg unter der Bedingung an, dass ihnen freier Abzug und die Mitnahme des Eleazar gestattet würde. 206 Bassus und seine Römer giengen auf diese Vorschläge ein. Als die Einwohner der Unterstadt von diesem nur für die Juden geltenden Uebereinkommen Kunde erhielten, entschlossen sie sich, bei der Nacht heimlich aus der Stadt zu fliehen. 207 Kaum aber hatten sie die Thore aufgemacht, als dem Bassus auch schon die geplante Flucht von denen, die mit ihm den Vertrag geschlossen hatten, verrathen ward, sei es nun, dass man den übrigen wirklich die Rettung nicht gönnen mochte, oder auch für ihr Entweichen verantwortlich gemacht zu werden fürchtete. 208 So geschah es nun, dass nur die muthigsten Männer aus dem flüchtigen Volke sich noch bei Zeiten durchschlagen und entrinnen konnten, während von den übrigen, die in die Stadt eingeschlossen worden, 1700 Männer niedergemetzelt, die Frauen und Kinder aber als Menschenware verkauft wurden. 209 Dagegen hielt es Bassus für seine Pflicht, das den Juden für die Uebergabe der Festung gegebene Wort genau zu halten: sie konnten thatsächlich unbehelligt abziehen und bekamen auch ihren Eleazar heraus.
210 (5.) Nachdem Bassus diese Aufgabe gelöst hatte, marschierte er in aller Eile mit seinem Heere gegen den sogenannten Wald von Jardes, woselbst nach einer ihm zugekommenen Meldung eine Menge Flüchtlinge aus den früher belagerten Städten, Jerusalem und Machärus insbesondere, sich angesammelt haben sollte. 211 Als er, an Ort und Stelle angelangt, sich von der Richtigkeit dieser Meldung überzeugt hatte, ließ er zunächst den ganzen Waldgrund durch seine Reiter einschließen, um jenen Juden, die einen Durchbruch wagen sollten, mit der Reiterei den Weg zu verlegen: das Fußvolk dagegen bekam den Befehl, die ganze Waldung, in der sich die Flüchtlinge versteckt hatten, zu fällen. 212 Dadurch wurden die Juden in die Nothwendigkeit versetzt, sich zu einer heldenmüthigen That aufzuraffen, um sich durch einen Verzweiflungs- [505] kampf vielleicht noch Luft zu machen. So brachen sie denn in einem dichten Schlachthaufen unter wildem Geschrei im Sturmlauf auf den Truppengürtel heraus, 213 wurden aber von den Römern ebenso kräftig empfangen. Da nun die einen ihre ganze Kraft der Verzweiflung, die anderen aber ihren ganzen militärischen Ehrgeiz zusammennahmen, so zog sich der Kampf eine ganz beträchtliche Zeit hin, um schließlich dennoch mit einem ganz unverhältnismäßigen Ergebnis zu enden. 214 Während nämlich auf römischer Seite im Ganzen nur zwölf Mann blieben, und auch nur wenige verwundet wurden, kam von den Juden auch nicht ein einziger lebend vom Schlachtfelde, sondern alle insgesammt, in der Zahl von nicht weniger als 3000, starben den Heldentod, 215 darunter auch ihr Führer Judas, der Sohn des Ari, von dem wir schon früher berichtet haben, dass er bei der Belagerung Jerusalems ein Commando inne hatte, und der damals durch einige der geheimen Gänge den Römern entwischt war.
216 (6.) Um dieselbe Zeit sandte der Kaiser dem Bassus und seinem Schatzmeister Laberius Maximus den Befehl zu, das ganze Judenland käuflich zu vergeben. 217 Vespasian hatte sich nämlich das Land als Hausgut vorbehalten und darum auch keine Städtegründungen unternommen, mit alleiniger Ausnahme der 30 Stadien von Jerusalem entfernt gelegenen Ortschaft Emmaus, die er an 800 verabschiedete Soldaten zur Ansiedlung verschenkt hatte. 218 Außerdem hatte der Kaiser den Juden allerorts eine Steuer von zwei Drachmen per Kopf auferlegt, die sie fortan alle Jahre an den Tempel auf dem Capitol abliefern mussten, wie sie dieselbe früher dem Tempel zu Jerusalem geleistet hatten. Soweit also war es mit den Juden gekommen!
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