Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1/Drittes Kapitel
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[180] Drittes Kapitel.
Die Verbreitung der neuen Kunst im Auslande.
Der Wanderzug der deutschen Buchdrucker. – Schweinheim und Pannartz. – Deutsche Drucker in Rom. – In Venedig. – In den übrigen Städten Italiens. – Die Wanderdrucker. (Johann Neumeister.) – Deutsche Drucker in Frankreich. – Neumeisters weitere Wanderungen. – Verbreitung der Kunst in Frankreich. – Deutsche Drucker in Spanien und Portugal. – Buchdruck in den Niederlanden. – In England. – In Dänemark und Schweden.
Im Mittelalter zogen die deutschen Kaiser, die Kräfte des Landes in zu weit gegriffenen Zielen vergeudend, mit Roß und Reisigen über die Alpen, um mit den Waffen in der Hand neue Reiche zu gründen oder die Freiheit der Städte zu vernichten. Ehe aber noch das 15. Jahrhundert in sein letztes Drittel getreten war, begannen deutsche Schriftsetzer und Drucker in friedlichen Eroberungs- und Siegeszügen sich über ganz Italien zu zerstreuen und als „Waffenschmiede der Bildung“, wie der spanische Dichter Lopez de Vega sie nennt, der Erfindung Gutenbergs in der Heimat der Renaissance Eingang zu verschaffen. So sühnten die niedrig geborenen Söhne Deutschlands doppelt, ja dreifach die Fehler und Irrtümer ihrer Fürsten. Was diese kleinen Leute, als sie gen Süden wanderten, in ihren bescheidenen Ränzlein trugen oder auf einem zerbrechlichen Handwägelchen zogen, unscheinbare, metallene Typen, dürftige hölzerne Pressen, das stahl ihnen kein Räuber, das nahm ihnen kein Zöllner, und was sie im Kopf mit sich führten, die Kunst, Tausende und Millionen solcher kleinen Buchstaben als geflügelte Herolde des Gedankens in die Welt zu senden, das ahnten weder vornehme Ritter, noch stolze Fürsten, weder hochmütige Kardinäle, noch unfehlbare Päpste.
[181] Ein berühmter Benediktiner, der Kardinal Johann Torquemada (Turrecremata), veranlaßte die Berufung der ersten deutschen Drucker nach Italien. Er war in seinen jüngern Jahren Kommendatarabt des etwa 14 Stunden östlich von Rom gelegenen Benediktinerklosters Subiaco gewesen. Unter den dortigen Mönchen befand sich um 1462 eine Anzahl Deutscher, welche durch ihre Erzählungen von der neuerfundenen Kunst in Turrecremata nicht allein eine große Begeisterung für den Bücherdruck erweckten, sondern auch den Wunsch in ihm rege machten, deutsche Setzer und Drucker nach Italien zu ziehen. Von ihm ermuntert, luden denn auch die deutschen Mönche zwei ihrer Landsleute ein, nach Subiaco zu kommen und im dortigen Kloster eine Druckerei zu errichten. Es waren dies Konrad Sweynheim (Schweinheim aus Schwanheim, einem am Main zwischen Mainz und Frankfurt gelegenen Dorfe) und Arnold Pannartz aus Prag, sehr geschickte, fleißige und für ihre Kunst begeisterte Schüler Gutenbergs. Schon 1463 oder 1464 müssen sie über die Alpen gezogen und in Subiaco zu Anfang 1464 angekommen sein, da ihr erster Druck, der Donat, von welchem indessen kein Exemplar auf unsere Zeiten gekommen ist, bereits gegen Ende 1464 erschien, während ihr Lactantius, ein Folioband von 368 Seiten, nur wenig später, am 29. Oktober 1465, ausgegeben wurde. Nach Fumagalli’s[1] gründlichen Forschungen ist es sogar gewiß, daß zu Anfang des Jahres 1465 zwischen diese beiden Bücher noch ein Cicero „De Oratore“ von 216 Seiten fällt. Daß Schweinheim und Pannartz ihre Typen nicht fertig gegossen mitgebracht haben, beweisen ihre Drucke, denn während in Deutschland zunächst nur gotische Typen gebraucht wurden, bedienen sie sich zuerst lateinischer Typen, der Antiquaschrift. Die Anfertigung der Matrizen, der Guß der Schriften, die Herstellung der Presse, kurz die vollständige Einrichtung der Druckerei muß unter diesen Umständen gewiß eine Zeit von anderthalb bis zwei Jahren in Anspruch genommen haben. Dem Eifer dieser Männer und ihren staunenswerten Leistungen entsprach jedoch nicht die Aufnahme, welche ihre Drucke in den litterarischen Kreisen Italiens fanden. Die Bücherliebhaberei war damals noch nicht so entwickelt, daß die Käufer, selbst wenn sie von der neuen Kunst gehört gehabt hätten, die beschwerliche Reise ins Gebirge gemacht haben würden. Sodann war die Verbindung des Klosters mit der Außenwelt zu spärlich, als daß sich von dort aus ein regelmäßiges Geschäft hätte aufbauen lassen. Die Bedürfnisse [182] der benachbarten Klöster aber, selbst wenn solche vorhanden waren, ließen sich mit nur wenig Exemplaren befriedigen. So gaben denn die beiden deutschen Drucker, nachdem sie noch am 12. Juni 1467 des heiligen Augustinus „De Civitate Dei“ in Subiaco vollendet hatten, ihre Druckerei dort auf und siedelten mit ihr nach Rom über. Hier fanden sie in dem Palast der Gebrüder Pietro und Francesco de Massimi gastliche Aufnahme und arbeiteten bis 1472 rüstig weiter. Namentlich richteten sie ihr Hauptaugenmerk auf die Vervielfältigung der römischen Klassiker, einiger Kirchenväter und Bibelkommentare. In dieser verhältnismäßig kurzen Zeit druckten sie nicht weniger als 36 Werke. Aber auch in der Ewigen Stadt entsprach der Absatz nicht ihren Erwartungen. Schon im März 1472 sahen sie sich gezwungen, ihre Thätigkeit einzustellen. Johannes Antonius de Buxiis, Bischof von Aleria und Sekretär der vatikanischen Bibliothek, welcher Korrektor und Herausgeber fast aller bei Schweinheim und Pannartz in Rom gedruckten Werke war, richtete deshalb am 20. März 1472 in der Vorrede zum fünften Bande der von ihnen gedruckten Nikolaus de Lyra’schen Bibelerklärung an Sixtus IV. die Bitte, den um die Wissenschaft so hochverdienten und unverschuldet in Not geratenen deutschen Druckern hilfreich beizustehen, und legte dem Papst zugleich ein vollständiges Verzeichnis der von ihnen in Subiaco und Rom gedruckten Werke vor. Beide Aktenstücke sind dadurch von besonders hohem Wert, daß sie nicht nur das älteste Zeugnis eines bedeutenden Zeitgenossen von der ersten Thätigkeit und den Leiden deutscher Drucker in Italien enthalten, sondern daß sie auch einen Blick in die geschäftlichen Anfänge der sogenannten Inkunabelnzeit gewähren. Leider finden sich die Preise der einzelnen Bücher nicht angegeben; indessen auch ohne diese Zugabe sind beide Urkunden so wichtig, daß sie wörtlich hier mitgeteilt werden müssen:
„Allgemein und bekannt“ – so beginnt jener Brief Bussi’s an den Papst[2] – „war ehedem unter den Heiden die Meinung, allerheiligster Vater Sixtus IV., erhabenster Pontifex, daß alles den Göttern, die Götter selbst, auch jene zwölf auserwählten obern und „die Großen“ genannten, der Einen Notwendigkeit ständig gehorcht und daß sie unter allen Gottheiten ohne Berufung ihr mächtiges Herrscheramt ausgeübt haben. Damit dies nicht auch unter den Christen in Wahrheit ausgesprochen werde: dem kann Deine Weisheit und Milde vor allem begegnen [183] und daß Du Dich gnädigst herablassest dem zu begegnen, das erflehen von Dir die Diener Deiner Heiligkeit Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz, unsere Drucker und ersten Meister dieser sehr nützlichen bildnerischen Kunst in Italien, die größten Arbeiter in der Stadt, indem sie vor Deinen allerheiligsten Füßen den Deine Spuren tragenden Staub küssen. Denn ich, Dein Geschöpf, habe die übrigen Briefe im eigenen, diesen im Namen jener, sowohl früher an Deinen Vorgänger, als auch später an Deine erhabene Majestät gerichtet. Die Klage nun der Buchdrucker, welche jetzt unter so großen Papierstößen in Not sind und, wenn nicht Deine Freigebigkeit ihnen beispringen wird, in Mangel geraten, ist, heiligster Vater, folgende: Wir aus Deutschland haben als die ersten diese so nützliche Kunst an Deiner Römischen Kurie unter vielen Mühen und Kosten zur Zeit Deines Vorgängers eingeführt. Wir Meister haben die übrigen Buchhändler durch unser Beispiel angeregt, ein Gleiches zu wagen. Wir haben den übrigen, welche sich wegen der Größe der Ausgaben bei einem so großen Geschäft entweder durchaus oder größtenteils keinen Rat wußten, mit frischem Mut und verdoppelten Kräften unter den größten Schwierigkeiten widerstanden. Jetzt endlich, in unserer Lebenskraft geknickt, flehen wir Deine erhabene Hilfe an. Wenn Du das Verzeichnis der von uns gedruckten Werke durchgelesen haben wirst, wird sich Deine apostolische Hoheit, ehrwürdigster Vater, wundern, daß für diese Menge Bücher sowohl Pergament als auch Papier ausgereicht haben. Und damit Du, schon genügend von Deinen oberhirtlichen Sorgen in Anspruch genommen, diesen Brief durchliest, soll er nichts anderes enthalten. Denn sobald Du die Namen so großer Schriftsteller vernommen hast, wirst Du nicht umhin können (wenn anders wir Dein Wohlwollen richtig beurteilen), daß Du uns schleunigst zu Hilfe kommst und Dich durch keine Beschäftigung oder Schwierigkeit davon abschrecken läßt. Gedruckt sind durch unsern Fleiß, allerheiligster Vater, folgende Werke, welche wir der Reihe nach hier unten für Dich aufzählen:
Donati pro puerulis, numero 300 | 300 | |
Lactantii Institutionum volumina 825 | ||
1465. In monasterio Sublacense | 275 | |
1468. In domo Petri Maximi | 275 | |
1470. " " " " | 275 | 825 |
Ciceronis Epistolarum familiarium volumina 550. | ||
1467 | 275 | |
1469 | 275 | 550 |
Ciceronis Epistolarum ad Atticum volumina 275 (1470) | 275 | |
Speculi humanae vitae (Roder. Zamorensis) volumina 300 (1468) | 300 | |
Augustini De Civitate Dei volumina 825. | ||
1467. In monast. Sublac. | 275 | |
1468 | 275 | |
1470 | 275 | 825 |
Hieronymi Epistolarum et libellorum volumina 1100. | ||
1468 vol. I, II zu 275 | 550 | |
1470 " I, II " 275 | 550 | 1100 |
Ciceronis de Oratore cum caeteris volumina 550. | ||
In monast. Sublac. | 275 | |
1469 | 275 | 550 |
Ciceronis Operum omnium in philosophia volumina 550. | ||
1469. De Officiis | 275 | |
1471. Opera philosophica | 275 | 550 |
Apulei Platonici cum Alcinoo volumina 275 (1469) | 275 | |
Gellii Noctium Atticarum volumina 275 (1469) | 275 | |
Caesaris Commentariorum gall. et. civil. bellorum volumina 275 (1469) | 275 | |
Defensionis (Bessarionis) divi Platonis volumina 300 (1469) | 300 | |
Virgilii Maronis Operum omnium volumina 550. | ||
s. d. (? 1469) | 275 | |
s. d. (? 1471) | 275 | 550 |
Livii Patavini cum epitomate omnium decadum volumina 275 (? 1469) | 275 | |
Strabonis Geographici volumina 275 (? 1469) | 275 | |
Lucani Volumina 275 (1469) | 275 | |
Plinii Veronensis de naturali historia volumina 300 (1470) | 300 | |
Suetonii Tranquilli de XII Caesaribus volumina 275 (1470) | 275 | |
Leonis Papae Sermonum Volumina 275 (1470) | 275 | |
Quintiliani Institutionum orator. volumina 275 (1470) | 275 | |
Thomae Aquinatis continui, id est Catenae Aureae vol. 550 (1470). | ||
2 partt. zu 275 | 550 | |
Cypriani Epistolarum volumina 275 (1471) | 275 | |
Bibliae cum opusculo Aristeae volumina 550. (1471). 2 partt. zu 275 | 550 | |
Silii Italici cum C. Calphurnio et Esiodo vol. 275 (1471) | 275 | |
Ciceronis Orationum cum invectivis omnibus in Antonium, Verrem, Catilinam et caeteris volumina 275 (1471) |
275 | |
Ovidii Nasonis Metamorphoseon et Elegiarum omnium vol. 550 | ||
2 partt. zu 275 | 550 | |
Nicolai de Lyra volumina 1100. | ||
vol. 1, 3, 4, 5 zu 275 | 1100 | |
(vol. 2 erschien erst nach vol. 5) | ||
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Summa 12475 |
[184] [185] „Die Zahl aller dieser Bände, heiligster Vater, beläuft sich, wie Dein Wohlwollen ersieht, auf 12475, wenn wir nicht irren: ein gewaltiger und für uns, Deine Drucker, soweit er noch vorhanden ist, unerträglicher Ballast, wegen jener Notwendigkeit, die wir zu Anfang unsers Briefs erwähnten, denn der bedeutende Aufwand für den Lebensunterhalt kann beim Mangel an Käufern nicht länger von uns getragen werden. Und für den Mangel an Käufern gibt es kein gewichtigeres Zeugnis, als daß unser ziemlich großes Haus voll von Quinternionen ist, leer aber von nützlichen Gegenständen. Auf Dir also, gnädigster Vater, der Du so weise und so gelehrt bist, beruht unsere Hoffnung; an Dir ist’s, unserm Mangel an Mitteln abzuhelfen, damit wir nicht untergehen. Gewähre uns von dem erhabenen Throne Deiner Majestät aus Hilfe. Wir sind bereit, nach Deinem gnädigen Ermessen an unserer Ware, d. h. von unsern gedruckten Bogen, Dir so viele und zwar diejenigen zu übergeben, welche Du wünschest. Deine außerordentliche Güte möge uns eine Anstellung verleihen, von welcher wir uns und die Unserigen ernähren können. Die Kosten, welche wir allein durch die Herausgabe der Bände des Nikolaus von Lyra gehabt haben, sind so groß gewesen, daß uns zum Leben nichts mehr übrigbleibt. Wenn wir unsere Werke verkaufen könnten, würden wir von Deiner Milde nicht allein nichts erbitten, sondern vielmehr in der gegenwärtigen Zeit, in welcher Du, wie wir wissen, vieles entbehrst, Dir selbst das Unserige anbieten, und wir werden es thun, sobald uns mit Deiner Unterstützung das Glück [186] freundlicher anlächelt. Inzwischen, heiligster Vater, möge uns Dein Erbarmen helfen, weil wir gar zu arm geworden sind. Mögest Du immer gesund und glücklich sein! Rom, am 20. März 1472, im ersten Jahre Deines erlauchten Pontifikats“.
Dieser Notschrei des Bischofs verhallte jedoch ungehört. Sixtus hatte entweder kein Geld oder wollte keins hergeben. Schweinheim und Pannartz konnten also ihr Geschäft nicht fortsetzen. Jener widmete sich dann in Rom der Kupferstecherkunst und machte mit Domitianus Calderinus die ersten Versuche, Landkarten für die Buchdruckerpresse in Kupferhochschnitten herzustellen, wie das aus der Vorrede zu Ptolemäus’ „Geographie“ hervorgeht. Beide Künstler starben aber schon drei Jahre später. Die Weiterführung des Werkes übernahm alsdann Arnold Pannartz, der es 1478 vollendete. In der Schlußschrift nennt er sich merkwürdigerweise Arnold Bucking und gab dadurch zu dem noch heute verbreiteten Irrtum Veranlassung, daß ein anderer deutscher Kupferstecher dieses Namens die Vollendung des Werkes übernommen habe. Raidel hat jedoch schon 1737 den Beweis der Identität beider Namen geführt.[3] Mit demselben Jahre 1478 verliert sich dann auch die letzte Spur von Pannartz.
Die reichste, aus 21 Bänden bestehende Sammlung der schönen Schweinheim und Pannartzschen Drucke findet sich in der baseler Universitätsbibliothek, welche sie, teilweise in prächtigen Pergament-Exemplaren, von Johannes Heynlein de Lapide (vom Stein) geschenkt erhalten hatte. Ausstattung und Druck sind gleich schön. Die gut geschnittenen und gegossenen Schriften ihrer Ausgaben von Subiaco erinnern zwar noch etwas an die gotische Type, nähern sich aber schon der römischen, während die Typen der von ihnen in Rom vollendeten Werke den reinen Antiquaschnitt aufweisen. Das Papier ist gut und vortrefflich geleimt, die Schwärze ausgezeichnet; die Ränder sind breit und groß. Für die griechischen Stellen im Lactantius ist im Anfange der Raum freigelassen, um ihn später mit der Feder ausfüllen zu können; erst später, gegen Ende des Buchs, finden sich auch gedruckte griechische Stellen, aber stets von kleinerm Schriftgrade und noch ohne jeden Accent oder Spiritus.[4]
Das Beispiel dieser ersten Pioniere fand zahlreiche Nachfolger, ehe noch etwas Zuverlässiges über ihren Erfolg oder Mißerfolg bekannt sein [187] konnte. Italien, das Land des klassischen Altertums und die Wiege der Renaissance, und Rom, der Sitz des Oberhauptes der Christenheit, die Ewige Stadt, die Sehnsucht aller Nordländer, zogen die Jünger der neuen Kunst mit derselben zauberhaften Gewalt an sich, welche sie seit Jahrhunderten schon auf die deutschen Ritter, Geistlichen und Gelehrten ausgeübt hatten. Natürlich standen Rom, Venedig und Mailand in erster Linie, allein auch nach den kleinern Orten der Halbinsel fanden die Schüler Gutenbergs ihren Weg und arbeiteten dort wenigstens vorübergehend. Wer nicht berufen wurde, kam aus freiem Antrieb und half den Bücherdruck bis in die abgelegensten Teile Italiens tragen.
In demselben Jahre (1467), in welchem Schweinheim und Pannartz die erste Ausgabe der Briefe Cicero’s veröffentlichten, trat auch Ulrich Hahn aus Ingolstadt (Udalricus Gallus, Alamanus de Ingolstadt oder de Vienna, wie er sich selbst nennt), zuerst in Rom auf.[5] Er vollendete hier am 31. Dezember 1467 die „Meditationes Joannis de Turrecremata“ in großer gotischer Schrift und versah sie mit 34 Holzschnitten. Hahn druckte in den folgenden Jahren noch verschiedene Werke und schloß später einen Gesellschaftsvertrag mit seinem Schüler und Gehilfen Simon Nikolaus de Lucca. Beide arbeiteten dann eine Zeit lang gemeinschaftlich. Wie lange der Vertrag gedauert hat, das steht nicht fest, doch finden sich datierte Drucke bis 1474. Hahn selbst arbeitete bis 1478; wenigstens gehen seine datierten Drucke nicht über dieses Jahr hinaus. Der gelehrte Campanus, Bischof von Teramo, war sein Gönner und zugleich sein so eifriger Korrektor, daß er sich nur drei Stunden Schlafs gestattete. In der Hahnschen Druckerei würde, wie Campanus in einer Schlußschrift die Römer belehrte, an einem einzigen Tage so viel Lehrstoff fertig gestellt, als in einem ganzen Jahre geschrieben werden könnte.
Auch der Würzburger Georg Lauer wurde 1469 von einem hohen geistlichen Würdenträger, dem Kardinal Caraffa, nach Rom berufen und druckte hier, anfangs im Kloster des heiligen Eusebius, von 1469 bis 1481. Seine erste Arbeit war die lateinische Übersetzung der „Homilien des Chrysostomus“ von Franz Accolti von Arezzo. Im Jahre 1472 verband er sich mit Leopold Pflügel und lieferte in Gemeinschaft mit ihm manches treffliche Werk, trennte sich aber nach Verlauf von kaum zwei Jahren wieder von ihm. Sein letzter datierter Druck stammt aus [188] dem Jahre 1481. Gelehrte Männer, wie Pomponius Laetus und Platina, waren seine Korrektoren.
Die Ewige Stadt zählte bereits bis zum Jahre 1500 nicht weniger als 199 Pressen und 23 deutsche Drucker. Bekannt gemacht haben sich unter den letztern namentlich Johann Schurener aus Boppard (1474 bis 1475), Adam Roth, Clericus aus Metz (1471 bis 1474), Eucharius Silber aus Würzburg, auch Argenteus und Franck genannt, welcher schon 1478 eine Druckerei in lebhaftem Gange hatte und 1490 die Ciceronianischen Briefe an Atticus herausgab; Stephan Planck aus Passau (1479 bis 1499), früher Drucker in Hahns Hause, und ferner Theobald Schenkbecher (1473); Johann Reynard (Reinhard ?) von Ehningen (1473 bis 1476), der als Wanderdrucker vorher auch in dem Städtchen Trevi auftrat, wo er 1470 die Buchdruckerkunst einführte. Auch Johann Gensberg (1473 bis 1474), Georg Sachsel von Reichenthal, zusammen mit Bartholomäus Goltsch von Hohenbart (1474), Johann Nikolaus Hanheymer von Oppenheim (1474 bis 1475), Bartholomäus Guldinbeck von Gultz (1475 bis 1481), Veit Pücher (1475 bis 1478), Wolfgang Gallus (1476), Johann Bremer oder Bulle (1478 bis 1479), Georg Herolt von Bamberg (1481), Johannes Hugo von Gengenbach (1482 bis 1485) und besonders noch der bereits in Basel erwähnte Johann Besiken aus Besigheim, alle diese Jünger der neuen Kunst halfen sie in Italien einbürgern.
Schon lange vor Ende des 15. Jahrhunderts hörte die Erfindung auf, ausschließlich von Deutschen ausgebeutet zu werden. Italiener, welche bei deutschen Druckern gelernt hatten, arbeiteten zunächst allerdings zu ihrer weitern Ausbildung bei diesen, associierten sich dann mit ihnen und errichteten schließlich ihr eigenes selbständiges Geschäft. Derselbe Prozeß vollzog sich, wie in Italien so auch in andern Ländern, wie in Frankreich, Spanien und Portugal.
Der Zeit nach jünger als Druckerstadt, aber an Leistungen viel bedeutender als Rom, ist Venedig. Auch hier waren es Deutsche, welche die ars teutonica einführten und ausbildeten, aber ihre Vollendung bald den Söhnen des Landes überließen.
Venedig war damals die reichste Stadt Italiens, zählte mehr als 200000 Einwohner und stand auf dem Höhepunkt seiner politischen und kaufmännischen Größe. Als alter Vermittler, namentlich des orientalischen [189] Handels mit Europa, als Sitz des feinsten Geschmacks und geistreich realistischer Kunst, förderte es zugleich das Kunstgewerbe zu seltener Vollkommenheit und bot auch der wissenschaftlichen Thätigkeit einen freien und günstigen Spielraum. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte hier die Gelehrsamkeit eine bleibende Stätte gefunden. Der Kardinal Bessarion (gestorben 1472) schenkte dem Senat seine einzig dastehende Sammlung seltener und wertvoller griechischer Handschriften und legte damit den Grund zur großen Markus-Bibliothek. Die griechischen Flüchtlinge, welche sich nach dem Falle des griechischen Kaiserreichs hauptsächlich nach der Dogenstadt, als dem ihnen am leichtesten zugänglichen Hafen, gewandt hatten, schufen hier dem Studium des Griechischen einen glänzenden Mittelpunkt, an welches die übrigen Gelehrten das des klassischen Altertums anschlossen. Es galt ihnen nicht allein, die alten Quellen zu studieren, sondern auch neue zu erschließen und aller Welt zugänglich zu machen. Die Erfindung Gutenbergs kam diesem Bedürfnis so schnell zu Hilfe, als wenn sie ausdrücklich zu einem so edeln Zweck bestellt worden wäre. Wie die deutschen Kaufleute von Ulm, Augsburg, Regensburg, Nürnberg und selbst aus dem Norden schon vom 13. Jahrhundert an, namentlich aber während des ganzen 15., einen lebhaften und gewinnreichen Handel mit Venedig getrieben, wie sie ihre Söhne dahin als auf die hohe Schule des Handels gesandt hatten, so lenkten jetzt auch die deutschen Drucker ihre Schritte nach der reichen Handelsstadt am Adriatischen Meere, deren märchenhafte Pracht den damaligen Deutschen in mächtigen, aber unbestimmten Bildern vorschwebte. Schon 1469 druckte hier Johann von Speyer „Ciceronis Epistolae ad familiares“ mit römischen Typen und Plinius’ „Naturgeschichte“, jene in einer Auflage von 300, diese von nur 100 Exemplaren. Der Senat gab ihm ein ausschließliches Privilegium für die Ausübung der Buchdruckerkunst, weil er diese durch seinen Fleiß, seine Beharrlichkeit und sein Genie eingeführt und, wie es in der Motivierung weiter heißt, die genannten Werke in einer großen Anzahl von Exemplaren mit Lettern von bewunderungswürdiger Form gedruckt habe. Johann konnte von diesem Privilegium aber keinen Gebrauch mehr machen, da er schon 1470, unmittelbar nach seiner Verleihung, starb. Sein Bruder, Wendelin von Speyer, setzte die von Johann angefangenen Werke fort, druckte aber selbständig 1470 bereits den Sallust in 400 Exemplaren, den er schon im folgenden Jahre neu [190] auflegen mußte, den Livius, Virgil u. a., darunter eine Editio princeps (erste überhaupt gedruckte Ausgabe) des Martial, Juvenal, Sallust und eine solche des Tacitus. Sein letzter Druck stammt aus dem Jahre 1477.
Den beiden Brüdern folgte zunächst der französische Formschneider Nikolaus Jenson 1470 mit einer Ausgabe von Eusebius, „De Praeparatione Evangelica“, Quintilian, Justin und verschiedenen Schriften Cicero’s; 1476 druckte er dann eine Bibel mit gotischer Schrift und 1478 ein Breviarium in Quart, wegen dessen vortrefflicher Ausstattung er vielfach als der Fürst der zeitgenössischen Buchdrucker gepriesen wurde, während andere ihn wegen seiner schönen und geschmackvollen Typen den neuen Daedalus nannten. An den bis 1482 thätigen Jenson schloß sich unmittelbar Christoph Waldorfer (Valdarfer) aus Regensburg (1470 bis 1472) an, der von 1471 an unter andern die Briefe des Plinius, die Kommentare des Servius über Virgil, das Decameron von Boccaccio und die Reden Cicero’s druckte, allein bald nach Mailand übersiedelte, wo er schon 1474 wieder in Thätigkeit trat. Nach Ilgenstein stimmen die Typen Waldorfers mit denen Johanns von Speyer überein, wonach also jener nach dessen Tode diese Schriften erworben zu haben scheint, während Wendelin von Speyer noch in demselben Jahre mit andern Typen zu drucken begann.[6] Johann aus Köln (1471 bis 1487), ein Wanderdrucker, druckte 1474 mit Johann Manthen aus Gerresheim einen prachtvollen Folianten: „Baldi Lectura super Codicem.“ Als Drucker einer schönen Ausgabe des Lactantius (1471) wird von den Bibliographen verschieden Adam von Rotweil und Adam aus dem Ammergau genannt. Namen von geringerer Bedeutung für Venedig sind Leonhard Achates aus Basel, Gabriel Petri, Christoph Arnold, Leonhard Wild, sämtlich aus Regensburg, Nikolaus aus Frankfurt, Johann Hammann, genannt Herzog, Albert aus Stendal, Johann Lucilius Santritter aus Heilsbronn, Bernhard Maler oder Pictor und Peter Löslin, letztere beide aus Augsburg. Sie alle beweisen, wie stark damals der Zug deutscher Drucker nach Venedig war. Der bedeutendste aber von allen hier namhaft gemachten Männern und überhaupt einer der gefeiertsten deutschen Drucker war Erhard Ratdolt aus Augsburg, welcher, wie schon im vorigen Kapitel erzählt wurde, von 1476 bis 1486 in Venedig wirkte. Eins seiner schönsten hier gedruckten Werke ist der Appian von 1477, welcher [191] durch seine Vollendung selbst der Editio princeps Wendelins von Speyer den Rang streitig macht. Die Schriften dieser, mit Ausnahme Jensons, ausschließlich deutschen Drucker zeichneten sich zum großen Teil, im Gegensatz zu den damals fast allgemein noch üblichen gotischen Typen, durch die Gefälligkeit ihres Schnittes aus, was die Verleger anderer Städte veranlaßte, ausdrücklich zu betonen, daß auch ihre Ausgaben mit den beliebten „venetianischen Typen“ gedruckt seien.
Aus den übrigen großen Städten Italiens ist verhältnismäßig weniger über die Thätigkeit der deutschen Drucker zu berichten. In Mailand führten Landeskinder die neue Kunst ein, Philipp von Lavagna (1469 bis 1489) und Anton Zarot (1470 bis 1497). Deutsche stehen wohl in ihren Diensten, sind aber nicht am Geschäft beteiligt, welches gleich in seinen ersten Anfängen, dem großhändlerischen Charakter der Stadt entsprechend, im großen Stil geführt wird. Erst 1474 wanderte, wie schon bei Venedig angedeutet, der Regensburger Christoph Waldorfer von Venedig aus ein und druckte hier bis 1484. Zu gleicher Zeit etwa ließ sich auch Johannes Wurster aus Kempten nieder. An ihn schlossen sich Ulrich Sczinzenzeller und Leonhard Pachel, beide aus Ingolstadt, an, welche von 1480 bis 1500 druckten und bald mit ihren Vorgängern in Trefflichkeit ihrer Arbeiten wetteiferten. Im Jahre 1476 erschien bei Dionysius Paravisino die erste Auflage von Lascaris’ griechischer Grammatik, und 1493 druckte Henricus Germanus, auch der Deutsche genannt, mit Sebastian Pontremulo die erste griechische Ausgabe des Isokrates, ebenso ausgezeichnet durch Schönheit der Schriften, als durch die Korrektheit des Drucks. Überhaupt war die Druckerthätigkeit eine so lebendige und die Teilung der Arbeit eine so wohlgeordnete, daß sich schon 1472, wie später näher erzählt werden wird, eine Gesellschaft für die Herstellung und den Vertrieb von Druckwerken bilden konnte. Vorwiegend war es die Herausgabe von Klassikern, juristischen und medizinischen Werken, welche die mailänder Pressen beschäftigte. In den Jahren 1498 und 1499 erschien auch bei den Gebrüdern Munitianus die erste Gesamtausgabe der verschiedenen Ciceronianischen Schriften in vier Folianten. Gelehrsamkeit, Kunstliebe und große kaufmännische Gesichtspunkte trugen in Mailand viel dazu bei, die Buchdruckerkunst zu heben und den Buchhandel zu einem gewinnbringenden Geschäft zu machen. Verschiedene Schlußschriften zu den bedeutendsten Drucken Waldorfers, Sczinzenzellers und Pachels sagen [192] ausdrücklich, daß edeldenkende Männer die Kosten des Drucks bestritten hätten. Es liegen hier also offenbar Associationen vor, zu welchen der eine Teil das Geld, der andere die Arbeit gab, während der Ertrag geteilt wurde.
Auch in Florenz finden sich zwar viele Deutsche, indessen hatten schon vor ihrer Niederlassung daselbst die einheimischen Buchdrucker festen Fuß gefaßt. In erster Linie ist dies das Verdienst des Goldschmieds Bernardo Cennini, welcher an Ghiberti’s berühmten Thüren mit gearbeitet hatte. Es schmerzte ihn, daß Italien in der Buchdruckerkunst von Deutschland ganz abhängig sein sollte.[7] Er studierte deshalb genau die Drucke und Manuskripte und ging dann selbst daran, Stempel, Schriften, Pressen u. s. w. herzustellen; indessen kostete ihn diese Arbeit solche Opfer, daß er bald wieder mit dem Druck aufhören mußte. Es dauerte aber nicht lange, bis kunsterfahrene Deutsche nach Florenz kamen, darunter Nikolaus von Breslau, welcher 1477 Bellini’s „Monte Sancto de Dio“ druckte, das erste Werk mit Illustrationen in Metallplatten, da Schweinheims Ptolemäus noch nicht erschienen war. Noch bedeutender ist seine Dante-Ausgabe. Außer Nikolaus ließen sich im Anfang der florentiner Druckerthätigkeit von Deutschen noch Johann Petri aus Mainz und Gerhard aus Haerlem dort nieder.
In Genua führten Mathias von Olmütz und Michael von München 1474 mit der „Summa Pisanella“ gemeinschaftlich die Druckerei ein. Die Schreiber waren jedoch damals in der großen Handelsstadt noch so mächtig, daß ihre Einsprache gegen diese Konkurrenz durchdrang und Mathias sich nach Neapel wandte, wo er von 1475 bis 1490 wirkte.
Es gab gegen Ende des 15. Jahrhunderts kaum eine Stadt in Italien, wohin die deutschen Drucker ihren Weg nicht gefunden und wo sie nicht kürzere oder längere Zeit gearbeitet hätten. Von der Linde vergleicht diese Wanderdrucker sehr richtig mit den heutigen Jahrmarkt-Photographen[8], die mit ihrem Apparat von Ort zu Ort ziehen und so lange bleiben, als sie Arbeit finden. Johann von Köln z. B. arbeitete zuerst 1471 in Venedig, von 1474 bis 1476 in Brescia, von 1478 bis 1485 in Bologna, von 1485 bis 1489 in Siena, von 1489 bis 1491 in Lucca, von 1491 bis 1493 in Nozani und 1493 in Urbino. Nikolaus Petri von Haerlem war 1474 in Vicenza, um 1476 in Padua, [193] 1482 in Bologna, 1483 in Venedig, 1486 in Siena, 1491 in Lucca thätig. Hermann Lichtenstein aus Köln (Levilapis) ließ sich erst in Vicenza 1475 bis 1476 nieder, zog dann nach Treviso 1477 bis 1486, kehrte von dort 1486 nach Vicenza zurück und arbeitete zuletzt in Venedig, zu dessen vorzüglichsten Druckern er gehörte. Leonhard Achates aus Basel tritt zu Anfang der siebziger Jahre schon vor Erhard Ratdolt in Venedig auf und wendet sich 1473 nach Padua, ist aber schon 1474 in St. Ursino und 1475 in Vicenza. Auch in Neapel bürgerte ein deutscher Drucker, Sixtus Riessinger aus Straßburg, 1471 die Buchdruckerkunst ein. Fast nur Deutsche sind hier thätig, wie Mathias aus Olmütz (1475 bis 1490), Berthold Reging aus Straßburg (1475 bis 1477), Jodocus Havenstein aus der Diöcese Speyer (1475), Heinrich Alding, der früher in Messina gewirkt hatte (1476), Konrad Guldemund (1478) und Joseph Gunzenhauser (1487 bis 1490); doch gelangte Neapel als Druckerstadt erst später zu einiger Bedeutung. Es würde ermüdend sein, die Namen der bedeutendsten deutschen Drucker weiter einzeln aufzuzählen. Einmal wären über 100 Druckereien zu berücksichtigen, dann aber ist von ihrer Thätigkeit kaum eine einzige Thatsache erhalten. Soweit nicht Deutsche die Buchdruckerkunst eingeführt haben, tritt auch die Druckerthätigkeit der italienischen Städte aus dem Rahmen der gegenwärtigen Darstellung heraus; so z. B. die alte Universität Bologna, wo die Buchdruckerkunst schon 1471 durch Balthasar Azzoguidi Eingang findet, indessen die Deutschen die Hauptarbeit thun.
Dagegen soll hier noch einer der hervorragendsten deutschen Wanderdrucker ausführlicher besprochen werden. In ihm veranschaulicht sich die große Kulturmission dieser bescheidenen Männer für Italien und das südliche Frankreich; erst neuerdings ist er in seiner Bedeutung gewürdigt worden. Es ist dies Johann Neumeister (oder Numeister) aus Mainz. Der französische Bibliograph A. Claudin hat in einer vortrefflichen kleinen Schrift, welche gründliche Forschung mit sicherer kritischer Methode verbindet, das trübe, aber zugleich lehrreiche Bild des Lebens und Strebens dieses verdienten Mannes entworfen.[9] Begeistert für seinen Beruf und hingebend in ihm schaffend, wird er trotzdem von Nahrungssorgen verfolgt und zieht, vergebens eine bleibende Stätte für seine Thätigkeit suchend, rastlos von Ort zu Ort, von Land zu Land, bis er endlich, in seinen berechtigtsten Hoffnungen getäuscht, von bitterer Armut verfolgt, [194] nach mehr als vierzigjähriger Wanderung den Kampf nicht mehr fortsetzen kann und in hohem Alter vereinsamt stirbt.
Neumeister gilt als ein Gehilfe Gutenbergs. Allerdings hat in neuerer Zeit der Engländer Hessels[10] erwiesen, daß die handschriftliche Notiz am Ende eines von Gotthelf Fischer[11] beschriebenen „Tractatus de Celebratione Missarum“, welche Neumeister als Gehilfen Gutenbergs bezeichnet, eine Fälschung ist. Indessen ist trotzdem, daß der Angabe jede geschichtliche Beglaubigung fehlt, die Annahme durchaus nicht unwahrscheinlich. Neumeister nennt sich nicht immer mit seinem Familiennamen, oft nur Johann den Deutschen (Alemanus) von Mainz, oder nach einem seiner spätern Druckorte in Languedoc, „Johann von Albi“. Nicht lange nach der Einnahme von Mainz zieht er mit andern Landsleuten und Geschäftsgenossen nach Italien, um im Lande der Wissenschaft und Kunst Arbeit und Verdienst zu suchen. Ob er schon mit Schweinheim und Pannartz nach Subiaco gekommen war, oder sich mit Ulrich Hahn in Rom niederließ, ist nicht erwiesen; dagegen taucht Neumeister 1470 urkundlich zuerst in Foligno auf, einer kleinen Stadt in Umbrien. Er hatte hier in Emil Orsini, einem Angehörigen der berühmten Familie gleichen Namens, einen einsichtigen und thätigen Gesellschafter gefunden, der ihm die Mittel für die Einrichtung einer Druckerei lieferte und ihn samt seinen Gehilfen bei sich unterbrachte, um von ihnen „die Kunst der Teutonen“ zu erlernen. Das erste aus dieser Druckerei hervorgegangene Werk war „Leonardi Bruni Aretini Historia Belli adversus Gothos“. Das Schlußwort zu demselben lautet: „Emilianus de Ursinis Fulginas“ (in der Mehrzahl der Exemplare sogar Orsinis Eulginas) „et Johannes Numeister Theutunicus (sic) et ejusdem sotii (sic) impresserunt Fulginei in domo ejusdem Emiliani anno domini Millesimo quadringentesimo septuagesimo feliciter“. Die Socien waren, wie sich aus einem einige Jahre später in Perugia angestrengten Prozeß ergibt, Stephan von Mainz und Johannes Ambracht von ebendaher, zwei tüchtige Setzer und Drucker, und Kraft (Crafto) von Mainz, der die Schriften zu gießen und fertig zu stellen, die Patrizen zu feilen und die Matrizen zu adjustieren hatte. Das zweite von Neumeister in Foligno vollendete Werk, in nur 200 Exemplaren gedruckt, waren „Ciceronis Epistolae ad Familiares“, ein Nachdruck der Schweinheim und Pannartzschen Ausgabe von 1469. Neumeister nennt im Kolophon Orsini den [195] „auctor“, den Urheber, des Buches, sich selbst aber, Johannes Almanus, als Drucker. Das dritte und bedeutendste Erzeugnis der folignanischen Presse war aber 1472 Dante’s „Göttliche Komödie“. „Das bin ich“, ruft Neumeister am Ende mit eigenartigem Stolze aus, „ich, der Meister Johannes Neumeister, der ich meine Sorgfalt dem Druck dieses schönen Werkes gewidmet habe; es stand mir aber dabei zur Seite der Folignaner Emil Orsini, der mein Evangelist gewesen ist, der meine Ankunft angekündigt und mich der Welt bekannt gemacht hat“.
Nach 1472 hörte die Druckerei in Foligno auf, da der Absatz bedeutend hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Orsini hatte nur zugesetzt und seine Mittel ziemlich erschöpft. So ging er denn nach Rom und trat 1474 als Münzmeister in den Dienst des Papstes, in welcher Stellung er die von Neumeister erlernten Kenntnisse verwertete. Die Zeiten waren eben schlecht, und gute Geschäfte wurden um so weniger gemacht, als die Konkurrenz auf allen Seiten wuchs und den Markt überall beschränkte. In demselben Jahre baten ja auch aus dem nämlichen Grunde Schweinheim und Pannartz den Papst Sixtus IV., und Philipp de Lignamine, ein anderer römischer Drucker, den Abt des Klosters St. Placidus, Matthäus de Marcho, vergebens um Unterstützung. Neumeister ging wahrscheinlich zunächst auf einige Zeit nach Rom, während seine Mitarbeiter, Stephan, Ambracht und Kraft dem Rufe eines reichen Patriciers, Branco Braglione, nach Perugia folgten; auch er wollte seiner Vaterstadt die Vorteile „der teutonischen Kunst“ sichern. Die hier errichtete und der Universität gehörende Druckerei stand unter der Leitung des Deutschen Johann Bydenast (Weidenast), Minister almae Universitatis Perusinae, unter welchem jene drei arbeiteten. Nach Vermiglioli[12], dessen Angaben Claudin bestätigt, lieferten sie als erstes Werk 1473 den lateinischen Kommentar des perusinischen Rechtsgelehrten Baldus zum Justinianeischen Codex. Dieses Verhältnis löste sich gegen Ende 1476 oder Anfang 1477, da die in Perugia wütende Pest die Drucker nach Rom trieb. Zudem klagte Stephan im September 1477 gegen Weidenast, weil er lange keine Zahlung erhalten hatte. Neumeister andererseits ging nach Deutschland zurück und taucht hier erst 1479 in Mainz wieder auf. Ohne Angabe des Orts, doch, wie Schrift, Papier und andere Eigentümlichkeiten ergeben, druckte er hier die mit 34 Metallschnitten ausgestatteten „Meditationes Joannis de Turrecremata“; die Schlußschrift [196] vom 3. September 1479 unterzeichnete er als Clericus Maguntinus mit seinem vollen Namen. Ob er die 1480 erschienene „Agenda Ecclesiae Maguntinensis“ selbst gedruckt, oder ob er nur seine Schriften dazu hergegeben hat, ist dagegen ziemlich zweifelhaft. Er blieb auch nicht lange in Mainz, sei es, daß er neben Schöffer nicht aufkommen konnte, sei es, daß er wie Fust seine Drucke selbst vertreiben wollte. Zunächst ging er den Rhein hinauf bis nach Basel. Hier, an einem Hauptplatze des Buchhandels, mochten ihm wohl von fern die Verhältnisse in Lyon verlockend winken, denn dieses stand mit Basel in steter Verbindung und bezog von hier aus das typographische Handwerkszeug. Es schien den von allen Seiten dahin strömenden deutschen Buchdruckern reiche Beschäftigung und lohnenden Absatz zu verheißen. Aber erst auf weiten Umwegen gelangte Neumeister dorthin. Bevor jedoch die Reise Neumeisters nach Lyon und seine dortige Thätigkeit näher geschildert wird, ist es am Platze, erst die Einbürgerung der Buchdruckerkunst in Frankreich überhaupt zu erzählen. Natürlich steht auf diesem Gebiet die Hauptstadt im Vordergrunde der Entwickelung.
In Paris führte der bereits genannte Johannes Heynlein de Lapide die Buchdruckerkunst ein. Er war 1467 und 1470 Prior der Sorbonne und 1468 deren Rektor. Im Jahre 1469 verband er sich mit dem gelehrten Savoyer Wilhelm Fichet, dem damaligen Bibliothekar derselben Anstalt, zur Berufung deutscher Drucker nach Paris. Es waren ihrer drei: Martin Kranz, von welchem nur der Name und als engere Heimat Süddeutschland bekannt ist, Michael Freiburger aus Kolmar und Ulrich Gering aus der Diöcese Konstanz, wenn nicht aus der Stadt Konstanz selbst.[13] Ihr erster gemeinschaftlicher Druck brachte die Briefe des Kaspar von Bergamo (gestorben 1431). Er wurde etwa um die Mitte des Jahres 1470 beendigt und umfaßte 118 Seiten zu je 22 Zeilen in klein Quart, ward auch von Heynlein selbst korrigiert. Diesem Werke folgten schon Ende Januar 1471 der Sallust in 105 Quartblättern zu 23 Zeilen auf der Seite und im Herbst 1471 Laurentius Valla’s sechs Bücher der Feinheiten der lateinischen Sprache in 281 Folioblättern und 32 Zeilen auf der Seite. Noch in demselben Jahre ließ Fichet, wahrscheinlich von dem ihm innig befreundeten Verfasser darum gebeten, die Briefe, Reden und Rhetorik des Kardinals Bessarion in der Sorbonne drucken. Daran schlossen sich 1471 und 1472 die Drucke sowohl verschiedener [197] Ciceronianischer Schriften (wie die Bücher vom Redner, von den Pflichten, der Freundschaft, dem Alter, Tusculanen), als auch des Florus, des „Speculum Humanae Vitae“ u. s. w. Im ganzen belief sich die Zahl der von diesen drei Deutschen in der Sorbonne hergestellten Drucke auf etwa 22. Gering und Genossen waren durch Heynlein und Fichet sehr gut beraten, weshalb sie auch mit großem Gewinn und Erfolg arbeiteten.
Gegen Ende 1472 oder zu Anfang 1473, als Bessarion eben gestorben war und Fichet und Heynlein Paris verlassen hatten, zogen die deutschen Drucker aus der Sorbonne aus und ließen sich in der Straße St. Jacques im Hause Ad solem aureum („Zur goldenen Sonne“, jetzt Nr. 70) nieder.[14] Hier fingen sie an, populäre Werke zu drucken, welche einen noch größern Absatz versprachen, wie die „Legenda aurea“, die „Exempla Sacrae Scripturae“; 1476 verlegten sie auch eine lateinische Bibel. Bezeichnend für den damaligen Markt ist es, daß sie in der „Goldenen Sonne“ keinen Klassiker mehr druckten. Unter den 21 Werken, die hier vollendet wurden, nehmen lateinische, und unter ihnen vorzugsweise die für die Geistlichkeit bestimmten theologischen Glossen, Kommentare u. s. w., den Hauptplatz ein. Gering und Genossen druckten eben rein geschäftsmäßig, was dem Geschmack der Zeit entsprach, anderwärts schon Beifall gefunden hatte, also Absatz und Gewinn verhieß. Kein einziges Buch in französischer Sprache ging aus ihrer Offizin hervor. Daß die drei Deutschen aber in Paris hochangesehene Leute waren, beweist der Umstand, daß sie im Februar 1475 in Frankreich kostenfrei naturalisiert wurden.
Gering scheint der jüngste und thätigste unter ihnen gewesen zu sein. Er war bis zu seinem am 23. August 1510 in Paris erfolgten Tode als Drucker thätig und starb als ein angesehener und reicher Mann, welcher namentlich der Sorbonne bedeutende Legate hinterließ. Freiburger und Kranz scheinen schon 1477 nach Deutschland zurückgekehrt zu sein oder sich ganz vom Geschäft zurückgezogen zu haben; wenigstens geschieht ihrer seit dem am 31. Oktober 1477 vollendeten Druck der Fastenreden des Leonhard von Udine keine weitere Erwähnung. So tragen die am 30. Januar 1478 erschienenen „Exempla Sacrae Scripturae“ nur noch den Namen von Ulrich Gering als Drucker.[15] Dieser associierte sich zunächst mit Georg Maynyal, mit welchem er am 29. April 1480 das [198] erste gemeinschaftlich gedruckte Werk veröffentlichte, außer welchem Panzer nur noch ein zweites verzeichnet. Das Verhältnis zwischen beiden Männern scheint sich also sehr bald gelöst zu haben. Gering wohnte zwar nach wie vor in der „Goldenen Sonne“, druckte aber von 1480 bis 1489 so gut wie gar nichts. Der Grund für diese seine Unthätigkeit war ein allgemeiner und ein persönlicher. Gering hatte bisher ausschließlich lateinische Bücher gedruckt und dem entsprechend auch nur eine für sie eingerichtete Druckerei zur Verfügung. Um jene Zeit aber erwachte die Vorliebe für französische Werke mit solcher Macht, daß sie die Nachfrage nach lateinischen Drucken zunächst ganz in den Hintergrund drängte. Dann aber lähmten die mit dem französischen Thronwechsel (1483) verbundenen politischen Unruhen und Kämpfe, sowie die Ungewißheit über die Stellung des neuen, des Lesens und Schreibens unkundigen Königs Karl VIII. zum Buchdruck und zur Litteratur überhaupt den Unternehmungsgeist und beschränkten die Thätigkeit der pariser Drucker auf ein äußerst geringes Maß. Erst am 21. Oktober 1489 erschien bei Gering wieder ein ansehnlicher Quartband: Holkots „Super sapientiam Salomonis“. Von 1490 bis 1492 druckte der Badenser Georg Wolf für ihn; wenigstens bezeichnet dieser seine Arbeiten als Parisiis ad solem auratum opera M. G. Wolf Badensis impressae.[16] Wolf scheint also kein Gesellschafter Gerings gewesen zu sein, sondern nur in dessen Auftrag und auf dessen Kosten gedruckt zu haben. Erst 1494 associierte sich letzterer mit Berthold Rembolt aus Straßburg, mit welchem er mehr als ein Dutzend Folianten für Geistliche und Juristen druckte, darunter namentlich ein in drei Bänden 1500, 1501 und 1504 ausgegebenes „Corpus juris Canonici cum glossis“. Das letzte Buch, welches sie gemeinschaftlich druckten, trägt das Datum des 8. März 1508; das erste von Rembolt allein ausgegebene „Bruno in Epistolas Pauli“ erschien 1509. Dieser verband sich im Januar 1510 mit Johann Waterloes; sie führten ihr Geschäft im Hause „Der Hahn und die Elster“ fort, das sie in „Goldene Sonne“ umtauften, offenbar, um sich deren Kundschaft zu erhalten.[17]
Bei der Bedeutung des pariser Büchermarkts für die ganze gebildete europäische Welt war eine Konkurrenz natürlich nicht lange ausgeblieben. Schon 1473 errichteten zwei deutsche Studierende, Peter Caesaris (Keysers) und Johann Stoll, im Hause zum „Follis viridis“ (Soufflet vert, Grüner [199] Blasebalg), zwischen den St. Benediktinern und Jakobinern, eine neue Druckerei, welche ganz ungescheut das nachdruckte, was Kranz, Freiburger und Gering ein Jahr vorher gebracht hatten. Ihre Thätigkeit fällt zwischen die Jahre 1474 und 1480 und umfaßt nach französischen Angaben 21, nach Panzer aber nur 19 verschiedene Werke, davon 14 in Folio und 5 in Quart. Darunter befinden sich nicht weniger als 11 Ciceronianische Schriften und drei römische Schriftsteller, nämlich Sallust, Seneca und Valerius Maximus, aber kein Dichter.[18] Keysers starb im Jahre 1509.
Bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts zählte Paris 66 Druckereien, darunter neun ausschließlich von Deutschen begründete, wie z. B. außer den bereits genannten die Drucker Georg Mittelhaus aus Straßburg (1484), Johann Higman (1484), Wolfgang Hopilius (Hopyl), 1490, Johann Philipp aus Kreuznach (1494), Anton von Nidel (1497), Thielmann Kerver aus Koblenz (1498) und Nikolaus Wolf, Lutriensis (1500).[19] Unter den Setzern und Druckern der verschiedenen Offizinen müssen sich natürlich mehrere hundert Deutsche befunden haben. Genug, Deutsche bürgerten die Kunst in Paris ein und brachten sie dort zur Blüte.
Ebenso tief eingreifend in die französischen Buchdrucks- und Verlagsverhältnisse erwies sich in der Folge auch die Verbindung der großen deutschen und französischen Druckerdynastien. So verheiratete sich der, seinen Gesellschafter Gering um acht Jahre überlebende Berthold Rembolt, etwa zu Anfang des Jahrhunderts, mit Charlotte Guillard, welche in der Schule ihres Mannes bald eine ausgezeichnete Druckerin wurde und die Kunst fast ein halbes Jahrhundert, bis zu ihrem 1566 erfolgten Tode, ausübte. In zweiter Ehe heiratete sie 1520 einen nicht minder bedeutenden französischen Drucker, Claude Chevallon, der aber auch vor ihr (1542) starb. Von da an bis zu ihrem Ableben gab Frau Charlotte ihre hervorragendsten Drucke heraus: eine lateinische Bibel und die Kirchenväter Gregor, Hieronymus, Chrysostomus, Basilius, Augustin und Origenes, in lateinischer Sprache natürlich, aber mit griechischen und hebräischen Verweisungen.[20] Ein Deutscher, sagt Madden, führte die Buchdruckerkunst in Frankreich ein, und die französische Frau eines Deutschen entwickelte sie zur höchsten Blüte. Der in Lyon eingewanderte und 1498 daselbst gestorbene deutsche Drucker Johann Trechsel verheiratete seine Tochter Thalia an seinen Korrektor, den frühern Professor der pariser Universität, den Belgier Josse Bade (Badius) aus Asche, [200] einen Schüler der „Brüder vom gemeinsamen Leben“, der bei seinem gelehrten Zeitgenossen Gaguin librorum imprimendorum diligentissimus admodum castigator heißt. Badius siedelte bald nach Paris über, errichtete dort 1495 eine eigene Druckerei und verlegte bis an seinen 1535 erfolgten Tod an 400 Werke, darunter eine große Zahl griechischer und römischer, von ihm selbst recensierter Klassiker. Trechsel hatte der spätern Frau Badius den Namen einer der neun Musen gegeben, gleichsam um dadurch seine Hoffnungen für die Richtung ihres spätern Lebens anzudeuten. Sie entsprach den in sie gesetzten Erwartungen vollauf und zeichnete sich, herangewachsen, durch Gelehrsamkeit und feine Bildung aus.[21] Die aus der Badiusschen Ehe hervorgegangenen drei Töchter heirateten wieder drei der bedeutendsten französischen Buchdrucker und Verleger ihrer Zeit, und zwar die älteste, Perrette, den berühmten Robert Etienne (Stephanus, gestorben 1559), Katharina den Michael Vascosan (gestorben 1576) und Johanna den Johann von Roigny. Perrette war noch hervorragender als ihre Mutter und nicht allein eine vortreffliche Frau und Gattin, sondern auch eine hochgebildete, des Lateinischen mächtige Kennerin der klassischen Litteratur. Perrette’s Sohn ist Henri Etienne (Henricus Stephanus, geboren 1532, gestorben 1598), der gelehrte Verfasser und Verleger des „Thesaurus Linguae Graecae“. Vorzugsweise den Verbindungen so bedeutender deutscher und französischer Druckerfamilien und ihrer rastlosen, sowohl geschäftlichen als geistigen Thätigkeit verdankt denn auch Frankreich während des ganzen 16. Jahrhunderts seine hervorragende Bedeutung in der Geschichte des Buchdrucks und des Buchhandels.[22]
Damals war aber noch nicht, wie später, das geistige Leben des Landes in Paris konzentriert; im Süden blühte namentlich die große Handelsstadt Lyon als buchhändlerischer und wissenschaftlicher Mittelpunkt nicht allein für diesen Teil Frankreichs, sondern auch für die angrenzenden Völker des Mittelmeeres bis tief nach Spanien hinein. Schon seit Ende des 14. Jahrhunderts hatte das alte Lugdunum eine wichtige und bleibende Niederlage für die augsburger und nürnberger Kaufleute gebildet; sie gründeten hier bald selbständige Geschäfte oder Filialen und fanden in ihnen später einen Hauptstützpunkt bei ihrem Vordringen nach Spanien und Portugal. Die Welser hatten dort z. B. 1498 eine sehr bedeutende Faktorei, an deren Spitze ein geborener Augsburger, Narciß [201] Lauginger, stand.[23] Reisende und Warenzüge zwischen Nürnberg, Augsburg und Lissabon bewegten sich geraden Wegs über Lyon, dessen Verbindungen mit dem Innern und mit Italien seine Bedeutung als eines der größten europäischen Handelsplätze noch erhöhten.
Natürlich hatten sich also, wie bereits angedeutet, die Blicke der deutschen Drucker auf diesen wichtigen Centralpunkt gerichtet; sie fanden in ihm selber ein verständnisvolles Entgegenkommen vor. Ein reicher Lyoneser, Bartholomäus Buyer, war es, der einen Jünger Gutenbergs, Wilhelm Regis (Königs), nach Lyon kommen und von ihm in seinem eigenen Hause eine Druckerei einrichten ließ. Königs (1472 bis 1488) druckte hier im Jahre 1473 als sein erstes Buch das „Compendium breve“ des Kardinals Lothar (des spätern Papstes Innocenz III.). Er fand schnell Nachfolger unter den Wanderlustigen. Schon in den siebziger und achtziger Jahren finden sich unter den selbständigen Druckern Lyons, ihrer zahlreichen Gehilfen und der andern Hilfsarbeiter des Buchgewerbes nicht zu gedenken, die Deutschen Nikolaus Philipp Pistoris aus Bensheim (1477 bis 1488), Mathias Hus oder Huß aus Bottwar in Schwaben, zu derselben Zeit und später Martin Huß, welch ersterer sich mit Johann Schmidt (Faber) associierte, Johann Clayn oder Clein, genannt der Schwab, aus Ulm (1479 bis 1490), Sixtus Glockengießer aus Nördlingen (1480), Johann Syber, Siber oder Ciber (1482), der auch eine Zeit lang mit Martin Huß zusammen arbeitete, wie dies ebenso Johann Schabeller oder Scabeler that, der gewöhnlich der Battenschnee (1484) aus Basel genannt wird, Johann Trechsel (1488), Michael Tobiä aus Pyrmont (1488), Lazarus David Großhofer (1489), Peter Martin (1489), Johann Schmidt (Jean Faber, 1489), Johann Herrenbeck (1489), Engelhard Schults (1491), Reinhard aus Straßburg (1491), Michel aus Basel (1494 und 1495), Peter Schenck (1495 bis 1499) und Nikolaus Wolf (Lupus oder Lupi, 1497).
Unter den schließlich nach Lyon gelangten Druckern befand sich nun auch Johann Neumeister. Der Wandertrieb schien ihn zu beherrschen; er hatte sich, wie bereits erwähnt, von Basel aus von neuem auf die Wanderung begeben, auf der er zahlreichen Buchhändlern, welche ihre Preßerzeugnisse vorteilhaft verkauften, begegnete. Im Verlauf dieses Herumschweifens machte er in Albi einen längern Halt. Hier, in einer reichen Stadt, dem Sitze eines Bischofs und mehrerer Schulen, schienen [202] die Verhältnisse günstig zu liegen. Er begann hier seine Thätigkeit, wenn nicht schon 1480, so doch bestimmt im Jahre 1481 und blieb bis 1484. Mit nur geringen Mitteln versehen, brauchte er eine ziemliche Zeit, um seine beiden ersten Drucke, die „Epistolae Aeneae Silvii de Amoris Remedio“, ein Büchlein von nur acht Blättern, und die „Historia septem Sapientum“, eine Schrift von 48 Seiten in Doppelspalten, zu vollenden. Um sich der Geistlichkeit gegenüber zu sichern, erklärte er am Schlusse als seinen Zweck bei der Herausgabe des zuletzt genannten Werks: „Zur Verbesserung der Sitten der Männer und Frauen“. Das dritte Erzeugnis der Neumeisterschen Presse in Albi sind die „Meditationes Cardinalis Joannis de Turrecremata“, welche Ausgabe, am 17. November 1481 vollendet, mit fast allen Stichen des mainzer Drucks von 1479 versehen ist. Sein vierter und letzter Druck, welcher Albi als Druckort angibt und Ende 1483 oder spätestens Anfang 1484 erschien: „Ordo missalis secundum usum Romanae Ecclesiae“, enthält 304 zweispaltige Seiten in Folio und ist ein Meisterwerk der Kunst; es erinnert namentlich in seinen schönen gotischen Typen an die mainzer Schule. Das Missale fand in Lyon, wie auch im ganzen südlichen Frankreich, eine gute Aufnahme, weil es die dort im Gebrauch befindliche Gregorianische Liturgie, d. h. den uralten römischen Ritus, abdruckte.[24] Aber dem armen Neumeister, selbst von seinem Gönner, dem Bischof Louis von Amboise, im Stich gelassen, entging auch jetzt wieder der ehrlich verdiente Gewinn. Schon 1485 brachte Mathias Huß in Lyon, durch den guten Abgang der Ausgabe verlockt, einen Nachdruck.
Neumeister stand nach vierjährigem fleißigen Schaffen neuen Nahrungssorgen gegenüber; in Lyon, das er wohl von Anfang an im Auge behalten hatte und wo er nun vom Jahre 1485 an seine Thätigkeit fortsetzt, hoffte er eine bleibende Stätte zu finden. Der Erzbischof dieser Stadt, Kardinal Karl von Bourbon, ein Mäcen der Wissenschaft, Freund des Kardinals Bessarion und Gönner Wilhelm Fichets, gab ihm den Auftrag, eine neue Ausgabe des „Missale Ecclesiae Lugdunensis“ herzustellen. „Gedruckt“, heißt es in der Schlußschrift, „auf Befehl des Kardinals Karl von Bourbon, im Jahre 1487 von Johann von Mainz, auch Jehan von Albi genannt.“ Das Werk erschien 1487, zweispaltig in Folio, mit großer gotischer Schrift gedruckt. Die Ausführung ist [203] von solcher Vollkommenheit und Pracht, daß sie heute noch die Bewunderung aller Kenner erregt. Karl von Bourbon starb zwar schon im nächsten Jahre, aber Neumeister fand sofort in Angelo Cattho, Erzbischof und Graf von Vienne in der Dauphiné, einen neuen Gönner, welcher 1489 auf seine Kosten das Breviarium der Vienner Diöcese bei ihm drucken ließ. Fortan behielt Neumeister seinen festen Wohnsitz in Lyon; im Jahre 1495 druckte er für den Bischof Nikolaus Maugras das Missale von Uzès. Aber seine Lage muß schon damals wieder eine sehr ärmliche gewesen sein, denn er nahm nach dem Tode des ihm wohlwollenden Erzbischofs Cattho einen Gesellschafter in der Person des bereits erwähnten Michael Tobiä aus Pyrmont (französisch verunstaltet in Topié, auch Toupier und Touprier), um mit dessen Hilfe neue Typen für den Druck und die Beendigung des Missale zu beschaffen. Dieses verrät in seiner Ausstattung schon eine gewisse Ärmlichkeit der Mittel und steht bedeutend hinter den beiden ihm voraufgehenden Drucken zurück. In der Folge scheint sich Neumeisters äußere Lage immer mehr verschlimmert zu haben. Im Jahre 1498 bemerkt der städtische Steuereinnehmer dem Namen Johann von Albi gegenüber: „Arm“ und zieht keine Steuern von ihm ein; Neumeister muß sogar seine Selbständigkeit aufgeben und als Gehilfe in das Geschäft seines ehemaligen Partners Tobiä eintreten. Im Jahre 1503 wird er im Verzeichnis der Einwohner Lyons zwar wieder als Meister geführt; allein schon im folgenden Jahre kennt ihn die Steuerliste als solchen nicht mehr. Zuletzt erscheint sein Name in einem Verzeichnis von 1507, dann verschwindet jede Spur von ihm. Neumeister muß hochbetagt 1507 oder 1508 gestorben sein.
In der Stadt Lyon waren bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht weniger als 40 Druckereien in Thätigkeit, aus welchen viele hundert Werke hervorgegangen und sogar noch 250 auf die Gegenwart gelangt sind.[25] Anton Koberger in Nürnberg hatte schon in den neunziger Jahren eine Filialbuchhandlung in Lyon errichtet und stellte seinen Neffen Johannes an deren Spitze. Wie in andern großen Druckereien, so ließ er auch in Lyon auf Bestellung drucken: so 1509 bis 1513 drei Werke: bei J. Sacon (2) und J. Clein (1). Seine Nachfolger Johannes und Anton junior folgten 1514 bis 1520 mit 7, resp. 1515 bis 1522 mit 11 Nummern bei den beiden genannten Druckern, sowie bei B. Lescuyer [204] und J. Marion.[26] Die lyoneser Drucke zeichneten sich von Anfang an durch schöne Ausstattung und sorgfältige Korrektur aus, sodaß es ihnen sogar später gelang, die Käufer der Aldinischen Ausgaben zu täuschen. Es ist auch beachtenswert und jedenfalls eine Folge der engen geschäftlichen Beziehungen zu Deutschland, daß der Gebrauch der Antiquaschrift, zu dem ja alle romanischen Völker sehr schnell übergingen, in den lyoneser Druckereien erst sehr spät, nach der Mitte des 16. Jahrhunderts, zu voller Herrschaft gelangte. Lyons kaufmännische Messen zogen Handelsleute aus ganz Europa an, die sich hier auch mit den neuesten Erscheinungen des Buchhandels versahen. Mit einziger Ausnahme von Venedig war Lyon der größte Büchermarkt für das ganze südliche Europa. Andererseits gehörten die lyoneser Verleger schon früh zu den regelmäßigen Besuchern der frankfurter Buchhändlermessen und führten von dort aus die neu erschienenen litterarischen Erzeugnisse bei sich ein, sodaß Buchdruck resp. Verlag und Buchhandel einander ergänzten und sich zu hoher Blüte entwickelten, eine Blüte, die sich auch während des ganzen 16. Jahrhunderts erhielt. Das deutsche Haus Trechsel, welches schon 1487 den ersten Band der Werke des heiligen Augustin gedruckt hatte, verlegte auch einzelne Werke des auf Betreiben Calvins 1553 in Genf verbrannten Michael Servet. Der große deutsche Verleger Sebastian Gryphius (Greiff), Bruder des bis 1540 in Paris druckenden Franz Gryphius, ließ sich 1528 in Lyon nieder, fing seine Thätigkeit mit einem Gebetbuch in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache an und schloß sie 1556 mit einer Ausgabe des Terenz. Maittaire schätzt die Zahl der von 1528 bis 1547 von ihm ausgegangenen Drucke auf 300. Gryphius verlegte unter anderm auch eine, wenn nicht mehrere Schriften für den gelehrten lyoneser Buchdrucker Stephan Dolet, der 1546 als Ketzer in Paris verbrannt wurde. Jean, der erste Chef der großen, 240 Jahre blühenden Buchhändlerfamilie de Tournes (von 1540 bis 1585 in Lyon und bis 1780 in Genf thätig), bestand seine Lehre bei genanntem Sebastian, dessen Sohn Anton noch 1580 zu den hervorragendsten Verlegern Lyons zählte. Kurz, überall zeigen sich hier deutsche mittelbare und unmittelbare Einwirkungen, und es dauert seit der ersten Einwanderung deutscher Drucker mehr als ein volles Jahrhundert, bis der Buchhandel Lyons seinen spezifisch nationalen Charakter gewinnt. Die Einzelheiten dieser Entwickelung gehören aber selbstredend nicht hierher.
[205] Von den übrigen französischen Städten ist während des ganzen 15. Jahrhunderts nur wenig und auch im 16. verhältnismäßig nicht viel zu berichten. In Troyes, in dessen Nähe sich viele Papierfabriken befanden, wurde das erste Buch, ein Breviarium, 1483 ohne den Namen des Druckers gedruckt; in Rouen führte eine vornehme deutsche Familie von Marneff, deren Glieder schlechtweg L’Allemand genannt werden und später sich auch an andern Orten einbürgerten, im Jahre 1494 die Druckerkunst ein. Sie nahm nämlich einen geschickten Techniker, Martin Morin, unter ihren besondern Schutz, ließ ihn in Paris und Deutschland ausbilden und versah ihn nach seiner Rückkehr mit einer vollständig eingerichteten Buchdruckerei. Er entwickelte eine erfolgreiche Thätigkeit und bildete in der Folge eine gute Schule von Setzern.[27] Ein anderer bedeutender Drucker aus Rouen war Peter Maufer, den die Marneffs, wie es hieß, ebenfalls auf ihre Kosten ausbilden ließen. Er arbeitete von 1474 bis 1477 in Padua, 1480 in Verona, 1483 in Venedig und 1491 in Modena. Ein dritter, Wilhelm Signere, druckte 1496 „Franchini Garfurii Practica Musicae“ in Folio und 1498 „Caelius Apicius de Re Coquinaria“ in Quart. In Tours, welches heutzutage zu den bedeutendsten Druckorten Frankreichs zählt, erschien zwar auch schon 1485 ein „Missale Turonense“; indessen ist es fraglich, ob es hier auch gedruckt ward. Es fehlt nämlich der Name des Druckers, und zu derselben Zeit taucht auch in der benachbarten Diöcese Chartres ein mit denselben Typen zwei Jahre früher hergestelltes Missale auf. Der erste namentlich bekannte Drucker in Tours ist dagegen Simon Porcelet, der 1494 mit einem Breviarium der Kirche St. Martin in Tours hervortrat.[28] Er verschwindet aber sehr bald, und wenn er auch die Kunst in Tours eingeführt haben mag, so bildete Mathias Latherac (1492 bis 1521) sie doch erst aus. Im Jahre 1496 druckte er „Die Wunder des heiligen Martin“ für den Buchhändler Johann aus Lüttich, Chef der Familie Marneff, und 1497 den „Manipulus Curatorum“. Das 16. Jahrhundert mit seinen Bürgerkriegen legte die fast ausschließlich theologische Schriften liefernde Druckerthätigkeit von Tours so ziemlich lahm, höchstens verdient noch Johann Rousset (1535 bis 1562) genannt zu werden. Von den beiden bedeutendsten Handelsstädten Frankreichs aber erhielt Bordeaux seine erste Presse nicht früher als 1529 und Marseille sogar erst im Jahre 1594.
[206] In Spanien bürgerte sich die neue Kunst verhältnismäßig erst spät ein und erreichte auch in der Folgezeit trotzdem, daß hier manche klassische Werke gedruckt wurden, keine irgendwie bemerkenswerte Höhe. Als der Buchdruck sich weiter zu verbreiten begann, standen die Kämpfe mit den Mauren im Vordergrunde, dann ward die ganze Nation jahrzehntelang von den transatlantischen Entdeckungen berauscht und vergeudete ihre beste Kraft in der Suche nach den amerikanischen Schätzen, oder in der Ausbeutung jener. Zu gleicher Zeit aber, und später, sorgte die Inquisition dafür, daß alles, was nicht im blinden Gehorsam gegen Rom erstarb, zum Schweigen gebracht wurde. Die Jünger Gutenbergs fanden auch ihren Weg nicht sofort in die Hauptstadt des Landes, sondern zogen erst von der Peripherie aus, von den östlichen Seestädten und den äußersten Grenzen nach Madrid. Der Umstand, daß 1494 und 1499 der Druck königlicher Ordonnanzen und Gesetze von hier aus befohlen wurde, spricht durchaus nicht unbedingt für die Hauptstadt als Druckort; jene Sammlungen können ebenso gut in Sevilla hergestellt sein, wo sich der Hof damals aufhielt, und wo es schon seit 1477 eine Druckerei gab. Das erste nachweisbare, Madrid angehörige Buch mit dem Namen des Druckers stammt aus dem Jahre 1528. Es war „Juliani Caesaris in Regem Solem ad Sallustium Panegyricus, Madriti apud Petrum Tazo“.
Valencia dagegen erhielt bereits 1474 die ersten Pressen. In diesem Jahre veröffentlichte hier „der Cavalier von altem Adel“ und Kanonikus Don Bernhard Fenollar eine Sammlung von 36 Gedichten zu Ehren der unbefleckten Empfängnis Mariä, von denen eins in castilianischer Mundart, vier in italienischer Sprache und die übrigen 31 in limusanischem Dialekte geschrieben sind. Der Name des Druckers ist nicht angegeben, der Titel selbst lautet: „Certamen poeticli en Lohor de la Concecio, Les Obres ò Probes davall escrites, les quals tracten de Lohor de la Sacratissima Verge Maria. En Valencia 1474“, in Quart.[29] Ebenfalls ohne Namen des Druckers folgten 1475 die Werke Sallusts; erst die „Biblia Sacra sermone Valentino reddita“, auf Kosten des Kaufmanns Philipp Vizlant aus Isny in Oberdeutschland hergestellt, nennt als Drucker Meister Alfred Fernandez de Cordova und Meister Lambert Palomar (er hieß Palmart), Magister der Künste aus Deutschland. Was der berühmte spanische Astronom [207] bei dem Druck zu thun hatte, ist unaufgeklärt; jedenfalls aber steht fest, daß ein schwäbischer Kaufmann die Kosten der von einem andern Deutschen hergestellten Ausgabe bezahlte. Begonnen im Februar 1477, ward diese Bibel im März 1478 vollendet; nur ihre vier letzten Blätter sind in einem einzigen Exemplar im Dom von Valencia entdeckt worden. Es scheint, daß die Auflage auf Befehl der geistlichen Obern vernichtet wurde, wie zu ersehen, mit gründlichem Erfolg. Bis zum Jahre 1500 folgten auf Valencia in den verschiedenen Teilen des Landes noch 20 Druckereien. Abgesehen von den kleinern Städten, wo die Kunst nur vorübergehend Fuß faßte, sind zu nennen: Barcelona und Saragossa 1475, Lerida 1479, Salamanca 1481, Sevilla 1485, Burgos 1485, Tolula 1486, Tolosa 1489, Valladolid 1493, Granada 1496 und Tarragona 1498. Überall waren es deutsche Drucker, welche die Kunst einführten; nicht allein ihre Namen, auch der Schnitt ihrer (gotischen) Typen, welche bis 1520 ausschließlich in Spanien in Gebrauch blieben, beweisen diese Thatsache. Von der Linde führt[30] eine lange Reihe von Niederländern, deren Heimat damals noch zum Deutschen Reiche gehörte, und von Norddeutschen an, welche in Spanien ihre Kunst ausübten. Die spanischen Quellen nennen unter andern folgende Deutsche als die Männer, welche die Kunst zuerst dort eingeführt oder mit Zuziehung der Landesangehörigen fortgebildet haben: den schon erwähnten Lambert Palmart, gewöhnlich mit dem Zusatz „der Deutsche“ (1478 bis 1486), Peter Hagenbach (1493), Leonhard Hutz (1495) und Christoph Kaufmann aus Basel (1500), sämtlich in Valencia; Nikolaus Spindler aus Zwickau (1478), Johann Gerling (1478), Johann Rosenbach aus Heidelberg (1492), Gerold Preuß und Johann Luschner aus Lichtenberg (1495) in Barcelona; Michael aus Flandern (1475), Johann Hurus aus Konstanz (1489), Paul Hurus (1492), Georg Koch, Leonhard Hutz und Wolf Appentegger „Germaniae nationis“ in Saragossa; Heinrich Botel aus Sachsen (1479 bis 1495) in Lerida; Leonhard Alemanus, Wolf Sanz (1481) und später Hans Gießer aus Siligestat (Seligenstadt) in Salamanca; Johann Paris aus Heidelberg und Stephan Clebatt (Kleeblatt, 1489) in Tolosa; Johann von Köln und drei Genossen in Sevilla, nämlich: Johann Pegnitzer aus Nürnberg, Jakob Magnus (Groß) und Johann Thomas (1492), quatro alemanes compañeros, denen schon ein Michael Dachauer vorhergeht und denen dort [208] als bedeutendster Vertreter der Kunst Jakob Cromberger folgt[31]; Friedrich Biel aus Basel, von den Spaniern Maestro Fadrique Aleman genannt (1485) in Burgos; Maestro Lope de la Roca (Aleman) – Wolf vom Stein? – (1487) in Murcia; Meinhard Ungut und Johann von Nürnberg (1496) in Granada, zu denen Jakob Groß (Magnus) aus Straßburg, Johann aus Speyer und Jodocus aus Gerlichshofen kommen, – endlich (1498) Johann Rosenbach aus Heidelberg in Tarragona.
Trotz dieses zahlreichen Einströmens deutscher Künstler war die Druckerthätigkeit in Spanien nie bedeutend. Die geistliche Censur lastete zu schwer; kaum irgendwo in der ganzen Welt ist es derselben so gut gelungen, Schriften, die in großen Auflagen gedruckt waren, ganz oder bis auf wenige Exemplare zu vernichten. Wissenschaft und Gelehrsamkeit wurden nur so weit in Ehren gehalten, als sie der Kirche dienten oder ihr wenigstens nicht feindlich gegenübertraten. So kam es denn auch, daß spanische Gelehrte später häufig in Paris oder bei Plantin und dessen Nachfolgern in Antwerpen drucken ließen. Die inländischen Druckereien beschränkten sich meist auf Andachts- und Gebetbücher, Indulgenzbriefe und amtliche Veröffentlichungen.
Eine Ausnahme, und zwar eine glänzende, bildet allerdings die sogenannte „Complutensische Polyglotte“, welche von 1514 bis 1517 in Alcala de Henares (Complutum) herausgegeben wurde.[32] Der Kardinal Franz Ximenes de Cisneros, Minister Ferdinands des Katholischen, ließ sie neben einer Anzahl von Klassikern zum Gebrauch für die Studierenden auf der dort 1499 von ihm begründeten Universität von Wilhelm de Brocar in sechs Foliobänden drucken. Sie stellt eins der prachtvollsten Erzeugnisse damaliger Zeit dar und verursachte einen Kostenaufwand von etwa 50000 Goldkronen. Zu ihrer Vollendung waren 15 Jahre erforderlich. Anfangs beanstandete Papst Leo X. die allgemeine Verbreitung und gestattete sie erst am 22. März 1520; die Übergabe des Werks in den Verkehr selbst erfolgte jedoch erst im Jahre 1522.
Ein größeres Interesse aber als diese kostbare Bibelausgabe bietet die Thatsache, daß kein Geringerer als Christoph Columbus eine Zeit lang dem spanischen Buchhandel angehört hat. In seinem Leben liegt die Zeit von 1484 bis 1486 ziemlich im Dunkeln. Wie Herrera angibt, wandte er sich im erstgenannten Jahre von Portugal nach Spanien, [209] trat aber hier erst am 6. Januar 1486 in die Dienste des Königs. Es fragt sich nun, was er in der Zwischenzeit getrieben hat? Der spätere Entdecker genoß während dieser Periode die Gastfreundschaft des Herzogs von Medina-Coeli in der Stadt Cogolludo. Ein Palastgeistlicher des spanischen Königs, Andreas Bernaldes, berichtet nun aus dieser Zeit von ihm[33]: „Es war da ein Mann aus den gennesischen Landen, Händler mit gedruckten Büchern, welcher hier in Andalusien seine Waren feilbot und welcher Christoph Columbus hieß.“ Der Ausdruck „in Andalusien feilbot“ spricht dafür, daß Columbus im Lande herumgezogen sein muß, um etwas bares Geld zu verdienen. Freie Wohnung hatte er zwar in Cogolludo im Palast des Herzogs, allein für seine übrigen Bedürfnisse mußte er selbst sorgen. Es liegt also die Schlußfolgerung nahe, daß der Entdecker Amerikas einer der ersten Kolporteure war. Die Vorliebe für Bücher scheint sich übrigens vom Vater auf den Sohn vererbt zu haben, denn Ferdinand Columbus gründete eine Bibliothek von 12000 Bänden, die Columbina, welche er dem Dominikanerkloster San Pablo in Sevilla vermachte und regelmäßig durch Ankäufe in sechs, testamentarisch namhaft gemachten Städten ergänzen ließ.
Portugal erhielt seine erste Druckerei auch nicht früher als in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Von ihm ist kaum etwas anderes, ja noch weniger als von den spanischen Leistungen zu sagen. Während in Spanien die Deutschen die neue Kunst einführten und jeden damit bekannt machten, der sie erlernen wollte, waren in Portugal die gelehrten Juden die Vermittler, welche jedoch, um sich ein Monopol zu sichern, ihre Kenntnisse sehr geheimhielten.[34]
Wenn sich Leiria im portugiesischen Estremadura auch rühmt, nach Mainz die vierte Stadt der Welt gewesen zu sein, wo die Buchdruckerkunst Eingang gefunden habe, so steht thatsächlich doch nur so viel fest, daß Magister Hortas 1484 in Leiria den „Almanach perpetuus ecclesiasticus Astronomi Zacuti“ als die älteste portugiesische Inkunabel druckte. Ihm folgten Rabban Eliezer und Samuel Zorba zu Lissabon mit dem „Sepher Orach Chaim“ (1485), einem Kommentar zum Pentateuch (1489), dann mit dem Text des Pentateuch (1491), schließlich mit „Sepher Thephiloth“ (1495). Um für den Druck christlicher Werke nicht auf jüdische Hände angewiesen zu sein, ließ die Königin Leonore, Gemahlin Johanns II., aus Deutschland die Drucker Valentin [210] von Mähren und Nikolaus von Sachsen nach Portugal kommen. Jener, kenntnisreich und des Lateinischen mächtig, nannte sich auch Valentin Fernandes, mit dem Zusatz Alemão (Deutscher), oder später einfach Valentin der Deutsche. Selbst Schriftsteller, war er zugleich Sekretär des Königs Dom Manuel für dessen lateinische Korrespondenz und Notar der deutschen Kaufleute zu Lissabon, welche ihre Geschäftsbriefe und Kontrakte in lateinischer Sprache abzufassen pflegten. Ob auch Johann Gerling, welcher 1494 zu Braga im Auftrag des erzbischöflichen Domkapitels das „Breviarium Brachariensis ecclesiae“ druckte, auf Veranlassung der Königin einwanderte oder einer jener vielen fahrenden Gesellen ist, welche die neue Kunst aus den deutschen Werkstätten nach den südeuropäischen Ländern trugen, läßt sich nicht bestimmen. Wahrscheinlich aber ist er derselbe, welcher schon 1478 in Barcelona thätig war.
Valentin Fernandes arbeitete von 1495 bis 1513 in Lissabon als Drucker und fand für seine Presse um so mehr Arbeit, als das Dezember-Dekret des Jahres 1496, das alle Nichtchristen unter Todesstrafe aus dem Lande wies, die jüdische Konkurrenz beseitigte. Überdies kam die Erfindung Gutenbergs nach Portugal zu gelegener Stunde. Dom Manuel plante die Ersetzung der Rechtsordnungen Dom Affonso’s durch einen neuen Codex; der rasch wachsende Handelsverkehr und die Kolonialverwaltung erforderten manche gesetzliche Bestimmungen, Hafenordnungen, Zolltarife u. s. w., und die in den Kolonien mit Erfolg betriebene Missionsthätigkeit machte das Bedürfnis nach einer zur Massenverbreitung geeigneten Darstellung der christlichen Lehre fühlbar. Ehe Valentin Fernandes diesen praktischen Aufgaben diente, druckte er eine Anzahl Werke, die der Königin Leonore besonders ans Herz gewachsen waren.
So vollendete er in Gemeinschaft mit Nikolaus aus Sachsen 1495 die „Vita Christi“ des Kartäusermönchs Ludolf, und, außer einigen Novellen, 1502 auch eine von ihm selbst besorgte Übersetzung der Reisen des Marco Polo. Diesen Arbeiten folgte der Druck von Gerichtsordnungen, Katechismen, biblischen Schriften und Gesetzbüchern bis 1513, in welchem Jahre sein Name völlig verschwindet, ohne daß ermittelt wäre, ob Tod, Rückkehr in die Heimat, Aufgabe des Geschäfts oder anderweitige Gründe den plötzlichen Abbruch seiner Arbeiten herbeigeführt haben.
Im Jahre 1509 hatte sich zu Setuval an der Sadãomündung (vier Meilen südlich von Lissabon) Hermann von Kempen niedergelassen, der dort [211] seine Druckerthätigkeit in Portugal mit der Herausgabe der „Statuten des Ritterordens von Santiago“ begann. Später verlegte er sein Geschäft nach Lissabon und druckte als Hofbuchdrucker eine portugiesische Übersetzung des „Flos Sanctorum“ (1513), dann bis 1516 zwei Regierungsverordnungen und das „Kompromiß der Misericordia-Bruderschaft“. Die „Regel des Ordens von Aviz“ (1516) ist von Almeirim am linken Tajo-Ufer datiert, wohin Dom Manuel den deutschen Drucker speziell zur Besorgung dieser Arbeit an sein Hoflager berufen hatte. In seiner ersten Leistung nennt sich der Drucker Herman de Kempis, später portugiesierte er nach dem Vorbilde der übrigen ausländischen Drucker seinen Namen, und schrieb sich Herman de Campos oder Armão de Campos, durch den Zusatz Alemão seine Nationalität wahrend.
Unzertrennlich ist der Name Hermanns von Kempen mit der portugiesischen Litteratur durch den Druck des von Garcia de Resende (1516) herausgegebenen „Cancioneiro Geral“ verknüpft, des berühmten Liederbuchs, das die Poesien von 275 höfischen Dichtern enthält. Der Druck ist sauber und geschmackvoll, gotisch, mit zwei Holzschnitten geziert, die sich sofort durch Zeichnung und Ausführung als deutsche Arbeit kennzeichnen. Von dieser Ausgabe sind nur noch 12 Exemplare vorhanden und auch diese meist verstümmelt, da das Inquisitionstribunal die ihm mißfälligen Verse durch Herausreißen der betreffenden Blätter entfernen oder mittels Tinte auslöschen ließ. Seine letzte Arbeit gab Hermann von Kempen 1518 heraus.
Da Valentin Fernandes aus unbekannten Gründen von 1505 ab auf längere Zeit unthätig blieb, hatte Dom Manuel dem seit Anfang des Jahrhunderts in Sevilla etablierten Jakob Cromberger für die Herausgabe des neuen Gesetzbuchs Vorschläge gemacht. Cromberger kam 1508 nach Lissabon und erhielt zunächst ein Privileg ausgefertigt, das ihm und allen andern fremden Buchdruckern, die sich in Portugal niederlassen würden, in Anerkennung ihrer hohen Verdienste um Stadt und Kirche, den Titel „Ritter des königlichen Hauses“ (cavalleiro da casa d’El-Rei) zusprach. „Pferde und Wappenknechte zu halten“, sagt das am 20. Februar 1508 erlassene Dekret, „wie die Ordonnanz für die Ritter Unseres königlichen Hauses vorschreibt, sind die ausländischen Drucker bei Annahme des Titels nicht verbunden; dagegen müssen sie ein Vermögen von mindestens 2000 Dublonen Gold nachweisen.“ Charakteristisch [212] für den Zeitgeist ist die weitere Bedingung: daß die fremden Buchdrucker „Altchristen“ (christãos velhos) seien, d. h. sie durften früher weder Juden, noch Mauren gewesen sein, noch in irgend welchem Verdacht der Häresie stehen, „da andernfalls zu besorgen ist, daß sie durch ihre Druckwerke Irrlehren in Unseren Landen ausstreuen“. Die Verhandlungen kamen damals zu keinem Abschluß, wurden aber wieder aufgenommen, als es sich um eine zweite Auflage der „Ordenações do reino“ handelte. Jakob Cromberger besorgte dieselbe 1521, und zwar wurden das erste und das vierte Buch des Codex zu Evora, die drei übrigen Bücher zu Lissabon gedruckt. Der Drucker nennt sich auf dem Titelblatt Jacobo Cronbergner Alemão. Später trat die portugiesische Regierung noch einmal mit der Firma Cromberger in Geschäftsverbindung und ließ die vierte Auflage der „Ordenações do reino“ 1539 in Sevilla bei Johann Cromberger drucken, der 1528 die Druckerei seines Vaters übernommen hatte.
Die Reihe der deutschen Buchdrucker des 16. Jahrhunderts in Portugal schließt João Blavio de Colonia Agrippina, der 1554 bis 1564 in Lissabon als Hofbuchdrucker (impressor regio) ansässig war und während dieser Zeit 36 Werke herausgab. Den Verbindungen Blavio’s mit der Heimat mag es zuzuschreiben sein, daß Bernardim Ribeiro seine berühmte Ritternovelle „Menina e Moça“, der die Inquisition das Imprimatur versagt hatte, zugleich mit den Dichtungen des Bukolikers Christovão Falcão bei dem kölner Buchhändler Arnold Birckmann (1559) erscheinen ließ.
Während des ganzen 15. Jahrhunderts standen die germanischen Völker hinter den romanischen an wissenschaftlichem Interesse und in dessen Bethätigung durch die Buchdruckerkunst entschieden zurück. Erst mit der Reformation schlug dieses Verhältnis in sein Gegenteil um. Fortan nahm der Norden Europas einen mächtigen geistigen Aufschwung, während der Süden, der sich gegen die neuen Ideen schroff ablehnend verhielt und absperrte, zunächst stehen blieb und mit jedem Jahrzehnt mehr zurückging. Deutschland verlor allerdings infolge der nur halb durchgeführten Reformation seine frühere tonangebende politische Stellung, indessen war es immer noch stark genug, sich durch die geistige Thätigkeit seines protestantisch gewordenen Teils bis zum Dreißigjährigen Kriege für ganz Europa die Oberherrschaft auf dem wissenschaftlichen Gebiete [213] zu sichern. Holland und England dagegen entwickelten mit dem vollen Siege der Reformation ein reges wissenschaftliches und politisches Leben und traten, wenn auch erst ein Jahrhundert nach den religiösen Kämpfen, an die Spitze der europäischen Politik. Auch in den Niederlanden zeigte sich dieselbe Erscheinung. Der südliche Teil, das heutige Belgien, hatte anfangs einen mächtigen Vorsprung vor dem nördlichen, dem gegenwärtigen Holland, und sah einige der größten Meister der Kunst zur höchsten Bedeutung emporblühen, wie Christoph Plantin und seine nächsten Nachfolger in Antwerpen. Mit der Wiederunterwerfung unter die spanische Herrschaft sank dort aber bald das litterarische Interesse und die wissenschaftliche Thätigkeit, also auch Buchdruck und Buchhandel, während Holland das gedruckte Wort überall freigab und namentlich im 17. Jahrhundert ein reges geistiges Leben entwickelte, an dessen Förderung der Buchhandel in erster Linie mitarbeitete. Abgesehen von andern berühmten Firmen ist der Name Elsevier allein ein sprechender Beweis für diese Thatsache.
Die Buchdruckerkunst fand ihren Weg in die Niederlande über Köln. Diese Stadt war der nächste große Handels- und Stapelplatz, welcher schon seit Jahrhunderten in regem geschäftlichen Verkehr mit Brabant und Holland gestanden hatte. Von Brügge und Antwerpen aus ging der Warenzug über Köln nach dem Norden und Nordosten, den Rhein hinunter und herauf gelangten die Schiffe von Köln nach Rotterdam und zurück. Wie schon früher die alte niederrheinische Hafenstadt, so zog im 15. Jahrhundert auch die Universitätsstadt Köln einen großen Teil der Niederländer an sich und wandte sich ihnen mit ihrer Kunst und Wissenschaft zu.
Die erste niederländische Stadt, in welcher sich ein beglaubigtes Datum für die Ausübung der Buchdruckerkunst findet, ist Utrecht, und das erste niederländische, mit Angabe des Druckers und der Jahreszahl gedruckte Buch ist die „Historia scholastica“, 1473 von Kettelaer und Leempt in Utrecht.
Man kennt 45 undatierte niederländische Drucke, die jedenfalls noch früher hergestellt sind und als Urerzeugnisse der niederländischen Pressen gelten dürfen, allein Druckort und Drucker derselben sind bis auf den heutigen Tag noch unermittelt.[35] Da sich aber die Holzschnitttafeln des als ältestes niederländisches Druckwerk geltenden „Speculum humanae [214] salvationis“ in dem 1481 ebenfalls zu Utrecht von Johann Veldener gedruckten „Epistelen ende Evangelien mitten Sermonen van al den jaere“ wiederfinden, und zwar dem Format des Werks angepaßt in zwei Hälften geteilt, so darf dies als weiterer Grund gelten, um der Stadt Utrecht den ersten Platz unter den niederländischen Druckstädten zuzusprechen.
Wenn also auch die erste holländische Druckerstadt, so ist Utrecht doch von keiner weittragenden Bedeutung als solche; außer den ersten dortigen Typographen Kettelaer und Leempt, welche in den Jahren 1473 und 1474 daselbst 26 Druckwerke herstellten, darunter drei datierte, trat 1475 noch Wilhelm Hees mit sechs Erzeugnissen auf, während Johann Veldener, der vorher schon in Löwen thätig war und später nach Culenborg in Geldern übersiedelte, hier von 1478 bis 1481 acht verschiedene Werke druckte, unter welchen der „Fasciculus temporum“ von 1480 lange als das erste Buch mit Randverzierungen in Holzschnitt gegolten hat. Von ihrem hauptsächlichen ornamentalen Bestandteil, den Weinranken, „vignettes“ genannt, wurde diese Bezeichnung für jeden ähnlichen Schmuck beibehalten. Diese Angabe sei hier jedoch nur wiederholt, um ihrer langen Reise durch die Litteratur endlich ein Ziel zu setzen; denn es steht fest, daß Johann Zainer in Ulm sich schon um 1470 eines gleichartigen Bücherschmucks bediente.
Der zweite niederländische Druckort ist die ostflandrische Stadt Aalst, in welcher 1473 und 1474 die berühmten Druckerdioskuren Johann der Westfale, aus Hachen, im jetzigen Regierungsbezirk Arnsberg in der Diöcese Paderborn, und Dierck Martens ihre Laufbahn begannen. Während Martens daselbst bis 1490 thätig blieb und sich erst dann nach Antwerpen und Löwen wandte, verließ Johann der Westfale schon 1474 die Stadt, um die Kunst nach Löwen, der alten Hauptstadt Südbrabants, welche durch ihre 1426 begründete Universität sich eines bedeutenden Rufs erfreute, zu tragen. Löwen wurde die erste Stadt der Niederlande, in welcher die Buchdruckerkunst zu wirklicher Bedeutung gelangte; sie verdankte dies vorwiegend der außerordentlichen Thätigkeit Johanns. Er lieferte daselbst von 1474 bis 1496 über 180 bekannte Drucke, von denen 57 Firma und Datum aufweisen. Sein Verlag vertritt alle Seiten des damaligen litterarischen Lebens; das Recht und die Theologie kommen zu gleicher Geltung, wie die Werke der Alten und [215] der Grammatiker. Von besonderer Bedeutung ist es sogar, daß darunter schon in den siebziger Jahren Aristoteles, Juvenal, Persius, Virgil, Cicero, Ovid, Poggius glänzen.
Bis zum Ausgange des Jahrhunderts waren in Löwen noch acht Typographen thätig, worunter auch die schon genannten Johann Veldener und Dierck Martens. Die Drucke aller acht zusammengenommen betragen nun zwar an Zahl noch nicht die Hälfte der von Johann von Westfalen gelieferten (bis zum Jahre 1500 zählt man im ganzen etwa 250 löwener Drucke); dagegen gelangte aber auch Dierck Martens’ Offizin zu einer viel intensivern Bedeutung.[36] Er war ein Gelehrter von Ruf und nach dem Zeugnis des Erasmus ein Freund von Gelehrten ersten Ranges. Martens schrieb fertig Griechisch und Hebräisch, sprach Lateinisch, Deutsch, Französisch und Englisch und liebte den heitern Lebensgenuß, namentlich den Wein. Seine Devise war: „In vino veritas!“ Er übte nicht allein in Löwen, sondern auch in Antwerpen seine Kunst aus und hatte bis zu seinem 1534 erfolgten Tode eine ruhmvolle, fast sechzigjährige Thätigkeit hinter sich, während welcher er etwa 150 griechische, hebräische und lateinische Bücher gedruckt hatte. Seine Schriften sind von ihm selbst und zwar sehr gut geschnitten, seine Drucke aber vortrefflich ausgeführt. Sein erster griechischer Druck stammt aus dem Jahre 1501.
Dem berühmten flandrischen Handelsplatz Brügge wurde die Einführung der Typographie im Jahre 1476 durch Colard Mansion, einen Schönschreiber, zuteil; sein Name kommt schon von 1454 bis 1468 in den Registern der St. Johannis-Gilde vor. Sein erster Druck, undatiert, ist „Le Jardin de Devotion“ mit dem Kolophon: „Primum opus impressum per Colardum Mansion, Brugis. Laudetur omnipotens“, sein erstes datiertes Werk die französische Übersetzung von Bocaccio’s „Buch von berühmten Männern und Frauen“ (von 1476). Wahrscheinlich hat Mansion die Buchdruckerkunst in Köln, wo er mit William Caxton zusammengetroffen sein mag, erlernt; aber verbürgt ist dies keineswegs. Jedenfalls haben die Charaktere dieser beiden Typographen eine außerordentliche Ähnlichkeit, die um so bemerkenswerter ist, als in ihren Lettern zum ersten mal der Charakter der französischen Bâtardetype auftritt. Mansion druckte bis 1484 24 Werke, von welchen nur vier die Firma tragen, ein zweiter Drucker in Brügge, Johann Brito, um 1488 drei.
[216] In Brüssel wurde die Buchdruckerkunst um 1476 durch die „Brüder vom gemeinsamen Leben“ eingeführt; sie lieferten daselbst bis 1487 36 Druckwerke. Im übrigen aber blieb Brüssel, gleichwie Brügge, im folgenden Jahrhundert ohne Bedeutung. Dagegen wurde Deventer, die Hauptstadt der Provinz Oberyssel, wo die genannte Brüderschaft 100 Jahre früher gestiftet worden war, durch die ausgedehnte Thätigkeit zweier Männer während des 15. Jahrhunderts der Mittelpunkt der litterarischen Produktion Hollands. Mit dem Jahre 1477 beginnt hier die großartige Betriebsamkeit Richard Paffroets oder Paffraets aus Köln; bis zum Ausgange des Jahrhunderts hatte er über 260 Werke aus allen Fächern des Wissens geliefert, darunter 145 mit Hinzufügung seiner Firma. So entfällt auf jedes Jahr ein Dutzend Bücher, die seinen Ruhm weit über die Grenzen des Landes hinaus verbreiteten. Bis zum Jahre 1511 hielten diese bedeutenden Leistungen an und wurden alsdann bis 1525 von Albert Paffroet, vermutlich einem Sohn Richards, fortgesetzt. Als sein würdiger Nebenbuhler muß Jakob von Breda bezeichnet werden, der von 1485 bis 1500 nicht weniger als 210 Werke herausgab. Auch er wirkte bis zum zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts.
Wegen ihrer verhältnismäßig geringen Bedeutsamkeit seien die zunächst auftretenden Städte nur kurz erwähnt: Gouda in Südholland beherbergte von 1477 bis 1487 fünf Druckereien, aus denen 86 Werke hervorgingen. Gleichzeitig war Delf bis zum Ausgang des Jahrhunderts mit nur vier Druckereien dennoch bedeutender, da es gegen 140 Drucke aufzuweisen hat. Die kleine Stadt S. Martinsdyck in Zeeland ist 1478 nur mit Einem Druckwerke zu nennen. Es folgen 1479 bis 1500: Zwolle in Oberyssel mit vier Offizinen und 100 Werken; Nymegen 1479 bis 1481 mit einer Presse und vier Druckwerken; die kleine Stadt Hasselt bei Zwolle 1480 bis 1490 ebenfalls mit einer Druckerei und acht, desgleichen Oudenarde in Westflandern 1480 mit sechs Werken.
Im Jahre 1482 tritt endlich auch Antwerpen in die Reihe der Druckstädte. Obgleich erst im 16. Jahrhundert durch die ruhmvolle Thätigkeit Christoph Plantins die höchste Stufe ihrer Bedeutung erreichend, nimmt diese große Handelsstadt doch auch schon im 15. Jahrhundert eine achtunggebietende Stellung ein. Ihr erster Typograph war [217] Mathias van der Goes von 1482 bis 1492. Etwa 80 Drucke bezeichnen seine sich meist in den Bahnen der Theologie und Scholastik bewegende Thätigkeit. Die größere Bedeutung Dierck Martens, des zweiten Typographen der Stadt, ist bereits oben gewürdigt worden. Die Führerschaft für das 15. Jahrhundert übernahm jedoch Gerard Leeu 1484 bis 1493, der von 1477 an seine Kunst schon in Gouda mit großem Erfolge ausgeübt hatte. Über 130, darunter viele mit Holzschnitten gezierte Werke legen von seiner Thätigkeit zu Antwerpen ein rühmliches Zeugnis ab; besonders erwähnenswert ist die erste niederdeutsche Übersetzung der „Fabeln des Äsop“ von 1485. Gerard Leeu zählte zu denjenigen Männern, die Erasmus von Rotterdam mit seiner Freundschaft beehrte. Die übrigen acht Offizinen bis zum Ausgang des Jahrhunderts sind von geringer Bedeutung, während der Beziehungen Nikolaus Keßlers in Basel zu Antwerpen schon gedacht worden ist.
Um die Reihe der niederländischen Druckstädte des 15. Jahrhunderts zu vervollständigen, mögen hier noch kurz die betreffenden Angaben folgen. Im Jahre 1483 waren es die Städte Culenborg, Haerlem, Gent und Leyden, die sich mit nur wenigen Werken an der Ausübung der neuen Kunst beteiligten. Als ganz unbedeutend dürfen schließlich die Ortschaften Bois-le-duc (1484), Carpen(tras? 1494), Schonhoven (1495), Schiedam (1498) bezeichnet werden.
Englands erster Drucker war William Caxton, geboren um 1421 in London, gestorben 1491. Er ging, nachdem er hier bei einem Wollhändler in der Lehre gewesen war, nach Brügge, damals ein Hauptmarkt für englische Wolle, und wird dort schon 1450 als Kaufmann genannt. Lange Jahre war er hier kaufmännischer Vertreter seiner Landsleute und schloß auch im Auftrage des Königs Eduard IV. einen Handelsvertrag mit Philipp von Burgund ab; er nannte sich im Jahre 1469 selbst: „William Caxton marchant dangleterre maistre et gouverneur des marchans de la nation dangleterre par deca.“[37] Bald darauf trat er in die Dienste der Gemahlin Karls des Kühnen, Margarete von York, Schwester des englischen Königs, die ihn nach seiner eigenen Angabe veranlaßte, die damals sehr beliebten Ritterromane des Hofkaplans Raoul de Fevre: „Recueil des Histoires de Troyes“ ins Englische zu übersetzen. Er fing damit, wie er selbst sagt, am 1. März 1468 (oder vielmehr 1469, da das Jahr damals nicht vor Ostern begann) in Brügge [218] an, setzte die Übersetzung in Gent fort und beendete sie in Köln am 19. September 1471. Der Beifall, welchen die Übersetzung fand, veranlaßte Caxton, sich der neuen Kunst zuzuwenden; er sagt am Schluß: „Da ich verschiedenen Herren und Freunden versprochen habe, ihnen dieses Buch zu schicken, sobald ich könnte, so habe ich mich der Erlernung und Ausübung der Buchdruckerkunst mit großen Auslagen unterzogen, um dieses Buch in Druck zu bringen.“
Die Ansichten über den Ort, wo Caxton die Kunst erlernte und sein erstes Werk druckte, sind geteilt. Sein Biograph Blades hält aus typologischen Gründen Brügge dafür und Colard Mansion für seinen Lehrmeister; allein von anderer Seite sind Gründe vorgebracht worden, welche unbedingt nachzuweisen scheinen, daß Köln der Ort war, wo Caxton sein erstes Druckwerk, den „Recueyll of the Histories of Troye“, nach 1471 vollendete.[38]
In die Zeit seiner Thätigkeit auf dem Kontinent, also bis 1476, fällt noch ein zweiter Druck von ihm: „The Game and Play of the Chess Moralized“, ebenfalls von ihm selbst aus dem Französischen übersetzt und mit denselben Typen wie „The Recueyll“ gedruckt. Bald darauf kehrte Caxton nach England zurück und gab im November 1477 zu Westminster sein erstes mit Namen und Jahreszahl gedrucktes Buch, die erste Ausgabe seiner „Dictes and Sayings of the Philosophers“ heraus. Da der Charakter seiner Typen fortan ein anderer, als der der bisher verwendeten ist, so schließt man mit um so mehr Recht, daß er die alten, weil wahrscheinlich das Eigentum seiner Gönnerin Margarete von York, auf dem Kontinent zurücklassen mußte. In seinem Vaterlande entwickelte Caxton von jetzt an eine ausgedehnte Thätigkeit. Fünfzehn Jahre wirkte er noch als Drucker, zugleich als Übersetzer und Bearbeiter eines großen Teils der von ihm gedruckten Schriften, deren Gesamtzahl 94 beträgt.
Unter Caxtons Schülern zeichnet sich namentlich sein Nachfolger Wynkyn de Worde aus Lothringen aus. Als Drucker übertrifft er seinen Lehrmeister bedeutend. Über 400 Drucke seiner Pressen, aus allen Fächern der Litteratur, geben rühmliches Zeugnis von seiner bis zu seinem Tode, im Jahre 1534, andauernden Thätigkeit. Weniger produktiv, aber ebenfalls geschätzt und von Heinrich VIII. sogar zum Hofbuchdrucker ernannt, war sein einstiger College bei Caxton, Richard [219] Pynson, der bis 1529 über 200 Werke aus seinen Pressen hervorgehen ließ.
Schließlich muß hier noch, wenn auch nur kurz, der Einführung der Buchdruckerkunst in Dänemark und Schweden gedacht werden. Das erste Buch, welches überhaupt in Dänemark erschien, war eine lateinische Beschreibung der Belagerung von Rhodus und wurde 1482 von Johann Snell in Odense auf Fünen gedruckt. Man weiß nicht, woher er kam, noch wohin er schließlich ging; denn nur einmal noch taucht er im folgenden Jahre als Drucker eines einzigen Buchs in Stockholm auf. Seinem Namen nach zu urteilen war er ein Niederdeutscher, dessen Schreibart nach ein Westfale. Offenbar war er einer jener Wanderdrucker, die bald hier, bald dort, mit ihrem kleinen Vorrat von Schriften unbedeutende Schulbücher oder Flugblätter herstellten und durch deren wohl nur langsam zu ermöglichenden Vertrieb eine kümmerliche Existenz fanden. Einige Jahre später fand Snell einen Nachfolger in Gottfried af Ghemen, der 1489 oder 1490 in Kopenhagen einen Donat druckte. Er gilt zwar als Holländer, wenigstens hatte er, bevor er nach Dänemark kam, in Gouda und Leyden gedruckt; aber Ghemen ist eine Herrschaft im nordwestlichen Münsterlande und stammte er möglicherweise von dort. Zudem waren anfänglich die in Holland thätigen Drucker und Setzer fast ausschließlich Deutsche aus den benachbarten Landesteilen, und so mag auch Gottfried in derselben Weise wie Snell zunächst als ärmlicher Wanderdrucker begonnen haben. In der dänischen Hauptstadt wirkte er allerdings 20 Jahre lang (1490 bis 1510); indessen kann man mit Sicherheit nur 19 Drucke als aus seiner Presse hervorgegangen bezeichnen. Einige davon sind ganz verloren gegangen, andere wieder erlebten mehrere Ausgaben. So erschien die dänische „Reim-Chronik“ von 1495 bis 1508 in vier Auflagen und in zwei (1506 und 1508) die dänische „Sprichwörtersammlung“ von Peter Laale. Gottfried druckte vor allem Schulbücher, geschichtliche und dichterische Schriften, religiöse Werke und endlich die wichtigsten der damals noch geltenden alten Provinzialgesetze. Er war arm und lebte von der Hand in den Mund; seine Bücher waren voller Druckfehler, ärmlich, wenn auch vielfach mit Holzschnitten, doch nur mit herzlich schlechten, ausgestattet und mit nur zwei Arten von Typen hergestellt. Auch der Buchhandel, den er mit seiner Druckerei verband, mag ihm nur wenig eingebracht haben.
[220] In Schleswig druckte der Hamburger Stephan Arndes 1486 das „Missale Sleswicense“. Er kam aus Perugia, wo er bereits mit Neumeister gearbeitet hatte, und ging über Lübeck nach Dänemark. Arndes war bis zu seinem 1519 erfolgten Tode einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Buchdrucker in Nordeuropa und muß auch Mittel besessen oder erworben haben, denn seine Drucke, namentlich jenes „Missale“, zeichnen sich vorteilhaft durch vortreffliche Typen, schöne Ausstattung und guten Geschmack aus.[39]
In Schweden druckte 1483 der aus Dänemark gekommene Johann Snell in Stockholm das erste Buch: „Dyalogus creaturarum moralizatus.“ Auf ihn folgte 1494 Johann Fabri mit dem „Breviarium Strengnense“, während Fabri’s Witwe 1496 das „Breviarium Upsaliense“ vollendete. Von da an tritt eine Unterbrechung von 50 Jahren ein, während welcher sich in Schweden von der Kunst keine Spur zeigt. Erst von der Mitte des 16. Jahrhunderts an faßte sie dort festen Fuß.[40]
In beiden Ländern ward also anfangs fast ausschließlich für die Zwecke der Schule und Kirche gedruckt. Diese sind ihrer Natur nach zur Befriedigung ihrer litterarischen Bedürfnisse auf die Heimat, auf die nächste und billigste Gelegenheit angewiesen. Für die gelehrten Studien dagegen war der heimische Markt noch zu eng und zu abgeschlossen, dessen Kaufkraft zu schwach, als daß selbständig Drucke auf wissenschaftlichem Gebiete mit einiger Aussicht auf Erfolg hätten unternommen werden können. Man muß sich deshalb auch hüten, aus jener beschränkten Druckerthätigkeit Schlüsse auf den damaligen Bildungsstand Dänemarks und Schwedens zu ziehen. Ihre gebildeten Söhne gingen damals gern nach Italien, Paris und Deutschland – Shakspeare läßt sogar Hamlet in Wittenberg studieren – und kauften sich teils dort an der Quelle die Bücher, deren sie für ihre Studien bedurften, teils führten deutsche Buchhändler sie ihnen zu; wittenberger Buchhändler besuchten wenigstens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fast alljährlich den kopenhagener Markt.
Ganz zu übergehen ist übrigens Ungarn, das sich ebenfalls einer Inkunabelnzeit rühmt und seine litterarischen Verdienste im Jahre 1879 durch einen vortrefflich gedruckten und ausgestatteten Katalog von 751 Seiten in groß Oktav[41] darzulegen gesucht hat. Aber sonderbar berührt es, wenn die Verfasser jenes Katalogs zu diesem Behufe selbst die Titel der zuerst mit ungarischem Gelde gedruckten lateinischen und [221] deutschen Bücher ins Ungarische übersetzen, welches zu jener Zeit noch keine Schriftsprache war. Die erste und einzige wirkliche ungarische Inkunabel ist die 1484 in Nürnberg gedruckte „Oratio et Cantilena de Inventione dextrae S. Regis Stephani idiomate Ungarico“. Den zweiten Druck besorgte 1531 der deutsche Drucker Hieronymus Vietor in Krakau, wo auch die Nummern 3. 4. 5. 8. 10. 11. 12. 13 (des gedachten Katalogs) gedruckt wurden, während 6. 7 und 9 aus den Pressen von Johann Singriner in Wien hervorgingen und der älteste thatsächlich ungarische Druck, eine lateinisch-ungarische Grammatik (Nr. 14), erst 1539 in Sárvár im Eisenburger Komitat erschien. Erst 1550 (Nr. 22) wird in Kolozsvár (Klausenburg) ein kurzer Katechismus von Kaspar Helth, Pfarrer daselbst, veröffentlicht.[42]
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Fumagalli, C., Dei primi libri a stampa in Italia. Lugano 1875.
- ↑ Daselbst S. 19–29.
- ↑ Raidel, Commentatio critica literaria de Claudii Ptolemaei Geographia. Nürnberg 1737.
- ↑ Das interessante Exemplar von Cicero’s De Oratore (Subiaco 1465) mit der wichtigen Schlußschrift des Antonio Tridentone ist mittlerweile aus dem Besitze seines Entdeckers Fumagalli in die reiche Klemmsche Sammlung in Dresden (für den Preis von 6275 Mark) übergegangen.
- ↑ Didot, Firmin, Histoire de la Typographie. Paris 1882. S. 632.
- ↑ Katalog der Klemmschen Sammlung. Nr. 596.
- ↑ Lorck, C. B., Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst. Leipzig 1882. I, 60 u. 61.
- ↑ van der Linde’s Gutenberg. S. 93.
- ↑ Claudin, A., Antiquités Typographiques de la France. Origines de l’Imprimerie à Albi en Languedoc (1480–1484). Les Pérégrinations de J. Neumeister, Compagnon de Gutenberg en Allemagne, en Italie et en France (1463–1484). Paris 1880. 104 Seiten.
- ↑ Hessels, Gutenberg. Is he the Inventor of Printing? S. 108–113.
- ↑ Fischer, G., Essai sur les Monumens de la Typographie. S. 79.
- ↑ Vermiglioli, G. B., Principj della Stampa in Perugia e suoi progressi per tutto il secolo XV. Perugia 1820. S. 209.
- ↑ Madden, I. P. A., Lettres d’un Bibliographe. V. Paris 1878. S. 150 fg.
- ↑ Daselbst S. 201.
- ↑ Didot a. a. O. S. 739.
- ↑ Madden a. a. O. S. 244.
- ↑ Daselbst S. 229.
- ↑ Daselbst S. 231.
- ↑ Daselbst S. 245–247. Madden schließt sich übrigens hier im wesentlichen an Panzer an.
- ↑ Daselbst S. 262.
- ↑ Didot a. a. O. S. 889.
- ↑ Madden a. a. O. S. 263.
- ↑ Greiff, B., Tagebuch des Lukas Rem aus den Jahren 1494–1541. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte der Stadt Augsburg. Im 26. Jahresbericht des historischen Kreisvereins Schwaben und Neuburg. Augsburg 1861. S. 6 u. 82.
- ↑ Claudin a. a. O. S. 67.
- ↑ de Vinne, Th. L., The Invention of Printing. Newyork 1876. S. 506.
- ↑ Hase, O., Die Koburger. S. 25.
- ↑ Didot a. a. O. S. 895.
- ↑ Giraudet, E., Les Origines de l’Imprimerie à Tours (1467–1550). Tours 1881. S. 29–34 u. 41–48.
- ↑ Didot a. a. O. S. 705.
- ↑ van der Linde a. a. O. Vorrede S. V.
- ↑ Falkenstein, K., Geschichte der Buchdruckerkunst. Leipzig 1840. S. 292.
- ↑ Didot a. a. O. S. 704.
- ↑ Don Fernando Colon, Historiador de su Padre, Ensayo critico por el autor de la Biblioteca Americana Vetustissima (H. Harisse). Madrid 1871. S. 79.
- ↑ Deutsche Buchdrucker des XV. und XVI. Jahrhunderts in Portugal. Augsburger Allg. Zeitung vom 18. Februar 1878. Nr. 49, die hier vielfach benutzt ist.
- ↑ Campbell, F. A. G., Annales de la Typographie Néerlandaise au XV. Siècle. La Haye 1874. S. 517 u. 518.
- ↑ Lambinet, Origine de l’Imprimerie. II, 97–170. – Bernard. De l’Origine de l’Imprimerie en Europe. II, 401. – Van Iseghem. La Biographie de Thierry Martens. Malines 1852. – Holtrop. Thierry Martens d’Alost. La Haye 1867.
- ↑ Blades, W., The Biography and Typography of William Caxton. Newyork 1882. S. 26–32.
- ↑ Ilgenstein, M., William Caxtons Thätigkeit in Köln im Centralblatt für Bibliothekswesen. 1884. Der Schüler und Nachfolger Caxtons, Wynkyn de Worde, sagt in der Vorrede seiner englischen Ausgabe und Bartholomäus von Glanvilla’s, „De proprietatibus rerum“, daß sein Meister Caxton zuerst das lateinische Original in Köln gedruckt habe. Hat man nun auch bis heute kein Exemplar dieser Ausgabe aufgefunden und ist ihre Existenz daher noch zweifelhaft, so darf man doch nicht ohne weiteres die daraus wohl hervorgehende Thatsache, daß Caxton überhaupt in Köln gedruckt habe, für falsch erklären. Denn müßte auch angenommen werden, Wynkyn de Worde schreibe seinem Meister irrigerweise den Druck zu, so konnte er, Caxtons Schüler und zwar höchst wahrscheinlich schon auf dem Kontinent, unmöglich darin irren, ob Caxton zuerst in Köln oder in Brügge gedruckt habe. Da nun aber auch Caxton selbst in der Vorrede seines „Recueyl“ sagt, daß er die Übersetzung zu Köln beendet, und in der Schlußrede, daß er darauf die Ausübung der Buchdruckerkunst auf eigene Kosten erlernt habe, so kann es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß Köln der Druckort war. Ohnehin stünde auch der gegenteiligen Ansicht, welche Brügge dafür hält, entgegen, daß dessen erster Typograph Colard Mansion die Kunst erst im Jahre 1476 auszuüben begann, während die Übersetzung des Werkes durch Caxton schon am 19. September 1471 in Köln vollendet war. Naturgemäß geht also aus diesen Erwägungen hervor, daß nur Köln die Lehrstätte Caxtons gewesen sein kann, denn in keiner Stadt der damaligen burgundischen Staaten wurde zu jener Zeit die Buchdruckerkunst bereits ausgeübt.
- ↑ Nyrop, C., Bidrag til den danske Boghandels Historie. Kopenhagen 1870. I, 59–66.
- ↑ Lorck a. a. O. I, S. 75, und Falkenstein a. a. O. S. 298.
- ↑ Szabò, K., Régi Magyar könyntár az 1531–1711. Budapest 1879. S. 1–11.
- ↑ Szabò, K., Régi Magyar könyntár az 1531–1711. Budapest 1879. S. 1–11.