Die Elektrizitäts-Industrie (1914)

Textdaten
<<< >>>
Autor: Georg Dettmar
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Elektrizitäts-Industrie
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Sechstes Buch, S. 111 bis 130
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[559]
Die Elektrizitäts-Industrie
Von Georg Dettmar, Generalsekretär des Verbandes Deutscher Elektrotechniker


Entwicklung der Elektrizitäts-Industrie.

Die Anfänge der deutschen Elektrizitätsindustrie gehen bis fast in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Sie beschränkten sich allerdings damals auf Telegraphie und Galvanotechnik; später erst trat die Telephonie hinzu. Die Grundlagen für die Starkstromtechnik aber waren damals noch nicht vorhanden. Erst im Jahre 1867 wurde von Werner Siemens der entscheidende Schritt getan, durch welchen die Möglichkeit der Verwertung größerer Energiemengen auf elektrischem Wege gegeben wurde. Auch hiernach waren natürlich noch viele Schwierigkeiten zu überwinden, ehe überhaupt von einer nennenswerten Anwendung der sogenannten Starkstromtechnik gesprochen werden konnte. Jedenfalls war der Umfang der gesamten Elektrizitätsindustrie im Jahre 1888 gegenüber dem der gesamten deutschen Industrie ein so verschwindender, daß sie noch völlig zurücktrat. In dem kurzen Zeitraum von 25 Jahren hat sie sich dagegen zu einem der bedeutendsten Zweige deutscher Technik entwickelt. Es ist ihr gelungen, in dieser kurzen Zeit überall einzudringen und sich unentbehrlich zu machen. Dies trifft nicht nur für die anderen industriellen Gebiete zu, sondern in gleichem Maße auch auf das öffentliche und private Leben. Durch die Elektrizitätsanwendungen haben sich die Lebensgewohnheiten der Menschen in letzter Zeit ganz erheblich geändert und es ist zu erwarten, daß dies auch in der kommenden Zeit noch in weitgehendem Maße geschehen wird. Wie tiefgreifend die Lebensgewohnheiten beeinflußt worden sind, ersieht man, wenn man sich klar macht, was geschehen würde, wenn man der Menschheit den Telegraphen, das Telephon, die elektrische Straßenbahn, den Elektromotor und andere Erzeugnisse der Elektrizitätsindustrie nehmen würde. Es hat wohl kaum ein Zweig der Technik sich mit solcher Geschwindigkeit entwickelt und sich so schnell überall unentbehrlich gemacht, wie die Elektrotechnik.

Das Emporblühen der Elektrizitätsindustrie zu einer solchen Bedeutung konnte in früherer Zeit von niemandem vorausgesehen werden. Selbst in industriellen Kreisen hat man der Starkstromtechnik keine günstige Zukunft vorausgesagt. In der vor zirka 30 Jahren herausgegebenen Jubiläumsschrift der Deutschen Kontinentalen Gasgesellschaft befindet sich eine diesbezügliche interessante Äußerung. Der Teil dieser Denkschrift, welcher sich mit der Starkstromtechnik befaßt, konstatierte nach Passow[1] „.... eine [560] solche Umständlichkeit und Kostspieligkeit der elektrischen Beleuchtung, daß von einer ausgedehnten industriellen Verwendung derselben, an Stelle des Gases, keine Rede sein wird“. Weiter wird in dieser Schrift ausgeführt: „Zugleich haben angestellte Berechnungen die Unmöglichkeit ergeben, jemals größere Distrikte von einer Zentralstation aus elektrisch zu beleuchten, weil die Kosten der Kupferdrahtleitungen nicht im einfachen Verhältnis, sondern im Quadrat der Entfernung wachsen und somit für längere Leitungsstrecken geradezu unerschwinglich werden. Auch läßt sich die Elektrizität nicht, in ähnlichem Verhältnis wie Gas, aufspeichern und dem unendlich wechselnden Konsum der verschiedenen Tages- und Jahreszeiten anpassen, sondern die Apparate und Motoren müssen in ihrer Leistungsfähigkeit stets auf die augenblickliche Befriedigung des höchstmöglichen Beleuchtungsbedürfnisses berechnet sein. Alle diese und noch viele andere Umstände, welche eine irgendwie umfangreiche Konkurrenz der elektrischen Beleuchtung im eigentlichen Gebiete des Gases undenkbar erscheinen lassen, beruhen aber im wesentlichen auf Naturgesetzen, an denen kein Erfinder etwas ändern kann.“ Die Beurteilung der Starkstromtechnik ist jetzt allerdings eine etwas andere. Es ist besonders interessant, zu sehen, wie sich gerade in den Kreisen der Gastechniker die Ansichten geändert haben. Direktor W. Eisele-Kassel schreibt z. B. in seinem Aufsatz „Die Zukunft des Leuchtgases“, Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1911, Seite 97 folgendes:

„Wir Gasfachleute erkennen das gerecht und neidlos an. Wenn wir aber sehen, wie sich der elektrische Strom Aller Gunst erfreut, sich entwickelt und uns von unseren Abnehmern für Licht und Kraft beharrlich Schritt um Schritt die besten entzieht, dann kann der Gasfachmann, der nicht reiner Optimist ist, sich der bangen Frage und eines Versuches ihrer Beantwortung nicht entziehen: Wie wird sich die Zukunft unserer alten blühenden Leuchtgasindustrie gestalten? Wird sie durch ihre jüngere, schönere Schwester, die Elektrizität bedroht und zur Aschenbrödelrolle verurteilt werden? Werden auch wir über kurz oder lang zu den Opfern zählen, über die eine neuere Entwicklung schonungslos hinwegstürmt?“

Die durch die letzteren Worte gekennzeichnete hohe Bedeutung der Starkstromtechnik hätte nicht erreicht werden können, wenn die Elektrizitätsanwendung sich auf die Beleuchtung beschränkt hätte. Dies Anwendungsgebiet hätte fraglos sich zu hoher Blüte entwickelt dank seiner hervorragenden, alle anderen Beleuchtungsarten übertreffenden Eigenschaften. Es wäre aber immerhin die Bedeutung der Elektrizitätsanwendung eine wesentlich geringere geblieben als sie heute ist, wenn nicht die Kraftverteilung auf elektrischem Wege allmählich immer mehr Bedeutung gewonnen hätte. Die Elektrizitätswerke waren im Anfang wesentlich Beleuchtungswerke. Noch im Jahre 1895, in welchem die erste Statistik über die Elektrizitätswerke veröffentlicht wurde, betrug der Anteil des Kraftanschlusses am Gesamtanschluß nur 14%. Ganz anders liegen die Verhältnisse heute, wo der Kraftbetrieb schon den überwiegenden Teil der Leistungsfähigkeit der Elektrizitätswerke in Anspruch nimmt. Welche Bedeutung der Elektromotor jetzt für Industrie und Gewerbe hat, geht am besten aus einer Äußerung des rheinisch-westfälischen Provinzial-Tischler-Verbandes hervor. Dieselbe lautet:

„Heute können wir die erfreuliche Tatsache verzeichnen, daß selbst kleine Handwerksbetriebe bis zu vier Gesellen sich in steigendem Maße des maschinellen Werkzeugs [561] bedienen, was jedem Freunde des Handwerks berechtigte Hoffnung auf Hebung des Handwerks gegeben hat, und das haben wir ausschließlich der Elektrizität zu danken.“

Daß auch diese Entwicklung selbst von den hervorragendsten Männern früherer Zeit nicht vorausgesehen werden konnte, ergibt sich aus einer sehr interessanten Ausführung des ehemaligen Generalpostmeisters von Stephan. In der 181. Sitzung des Reichstages vom 26. Februar 1892 führte er nämlich folgendes aus:

„Wenn nun immer auch angeführt wird, daß die Kleinindustrie einen großen Vorteil davon haben werde, so habe ich auch dagegen meine Bedenken, denn die elektrische Kraft ist ja an die Leitungen gebunden. Sie können nicht die Leitung an jede Drehbank, in jede Schlosserwerkstatt, in jeden Klempnerkeller einführen, das hat doch auch seine wesentlichen Bedenken.“

Heute befinden sich aber schon allein im Anschluß an Elektrizitätswerke zirka 500 000 Elektromotoren mit einer Leistung von 1 900 000 PS im Betrieb, wobei die Motoren zum Betrieb von Straßenbahnen nicht mit eingerechnet sind. Eine noch erheblich größere Zahl von Elektromotoren ist aber an die sogenannten „Einzelanlagen“ angeschlossen. Hier sind es namentlich Maschinen größerer Leistung. Diese sowohl wie die Bahnmotoren zusammengenommen mit den an Elektrizitätswerken angeschlossenen dürften heute in Deutschland eine Gesamtleistung von zirka 8 MillionenPS besitzen. Daraus kann man ermessen, welche ungeheure Bedeutung heute der elektrische Kraftbetrieb für das gewerbliche Leben besitzt. Daß die deutsche Elektrizitätsindustrie in der Lage war, in dem kurzen Zeitraum von kaum 25 Jahren die hierfür nötigen Anlagen anzuführen, zeigt allein schon, auf welch hohem Stande der Entwicklung sie sich befindet. Über die Zunahme der Leistungsfähigkeit aller Motoren liegen genaue zahlenmäßige Unterlagen nicht vor. Solche sind aber vorhanden für die an Elektrizitätswerke angeschlossenen Motoren und seien hier wiedergegeben. Die Leistung dieser Motoren betrug:

im Jahre 1895 ca. 6 000 PS
im Jahre 1900 ca. 110 000 PS
im Jahre 1905 ca. 320 000 PS
im Jahre 1907 ca. 600 000 PS
im Jahre 1909 ca. 920 000 PS
im Jahre 1911 ca. 1 250 000 PS
im Jahre 1913 ca.      1 900 000 PS

Nicht nur die Industrie hat von der Tätigkeit der Elektrotechnik Vorteile gezogen, sondern auch fast alle anderen Erwerbszweige. Besonders hat die Elektrizität in den letzten Jahren der deutschen Landwirtschaft Großes geleistet. Sie hat ihr nicht nur die elektrische Beleuchtung gebracht, sondern namentlich den Elektromotor zur Verfügung gestellt und dadurch ermöglicht, den Mangel an Arbeitskräften, wenn auch nicht vollständig zu beseitigen, so doch erheblich zu mindern. Durch den Bau von Überlandzentralen ist der Landwirtschaft die Möglichkeit gegeben worden, sich der Vorteile, welche die Elektrotechnik mit sich bringt, zu bedienen, und es ist hiervon auch in umfangreichster Weise Gebrauch gemacht worden.

Außer der weitgehendsten Beeinflussung des Gewerbes, des Handels und der Landwirtschaft [562] ist festzustellen, daß auch das öffentliche und private Leben in gleichem Maße von der Elektrotechnik bedeutend gefördert worden ist. Gelegentlich der späteren Behandlung der einzelnen Anwendungsgebiete wird sich zeigen, wie die Verkehrs- und die Lebensverhältnisse Vervollkommnungen erfahren haben, die noch vor 20 Jahren nicht geahnt werden konnten.

Wirtschaftliche Bedeutung der Elektrizitätsindustrie.

Ein ungefähres Bild von der heutigen Ausdehnung der Elektrizitätsindustrie dürfte die Zahl der in ihr beschäftigten Personen geben. Leider liegen hierüber keine sehr zuverlässigen Angaben vor. Die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik gibt in ihrem Verwaltungsbericht in jedem Jahre besondere Angaben über die lediglich in der Elektrotechnik beschäftigten Arbeiter. Nachstehend sind einige Zahlen für die Jahre 1900, 1906 und 1911 wiedergegeben.

1900 61 833 Arbeiter
1906 94 472 Arbeiter
1911   169 123 Arbeiter

Es sei aber hierzu bemerkt, daß in dieser Zusammenstellung doch nicht alle in der Elektrotechnik tätigen Arbeiter enthalten sind. Unter Berücksichtigung der Zunahme seit dem Jahre 1911 kann man mit Sicherheit annehmen, daß heute ca. 250 000 Personen in der Elektrizitätsindustrie beschäftigt werden. Der Wert der von ihnen hergestellten Produkte dürfte ungefähr 1250 Millionen Mark betragen, von denen etwa ¼ dem Auslande zugeführt wird.

Aus den beiden letzten gewerblichen Betriebsstatistiken der Jahre 1895 und 1907 kann man sehen, wie sich die Elektrizitätsindustrie in ihren verschiedenen Zweigen entwickelt hat. Nachstehende Tabelle gibt die Zahl der Gewerbebetriebe und der darin beschäftigten Personen für die Hauptgruppen der Elektrizitätsindustrie an.

Gewerbebetriebe
überhaupt
Davon Haupt-
betriebe
Neben-
betriebe
Beschäftigte
Personen
1895 1907 1895 1907 1895 1907 1895 1907
Herstellung von elektr. Maschinen, Apparaten, Anlagen usw. 1 336 5 956 1 143 5 391 193 565 26 241 142 171
Herstellung von Stromerzeugungsmaschinen, Elektromotoren, Umformern 35 109 32 105 3 4 4 162 27 703
Herstellung von Akkumulatoren und galvanischen Elementen, Thermosäulen u. dgl. 27 87 26 85 1 2 985 3 529
Herstellung von elektr. Telegraphen, Fernsprechapparaten, Blockapparaten u. elektr. Signalen 283 153 233 134 50 19 2 745 7 830
Herstellung von elektr. Apparaten u. Hilfsgegenständen anderer als der vorgenannten Art 390 615 332 593 58 22 10 749 42 001
Herstellung von elektr. Anlagen 389 2 600 321 2 315 68 285 5 702 27 714
Betriebe für Elektrizitätserzeugung, für Abgabe von Elektrizität zu Beleuchtungs-, Kraftübertragungs- und Transportzwecken 212 2 295 199 2 065 13 230 1 898 23 208
Fabrikation von Erd- und Seekabeln, Leitungsschnur und Isoliermaterial 97 94 3 10 186

[563] Es ist ja bekannt, daß gerade in der Elektrotechnik ein Hindrängen nach besonderer Entwicklung der Großbetriebe vorhanden ist. Das ergibt sich auch aus der Betriebsstatistik, wie nachstehende Tabelle zeigt. In dieser sind die Hauptbetriebe der vorhergehenden Tabelle besonders zusammengestellt und zwar nach verschiedener Größe der Betriebe geordnet. Man ersieht daraus, daß bei den ganz kleinen Betrieben das Verhältnis der Zunahme, was die beschäftigten Personen anbetrifft, etwas unter 5 bleibt, während bei den großen Betrieben diese Zahl schon fast an 7 herankommt. Seit dem Jahre 1907 haben sich die Verhältnisse noch weiter verschoben und es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß heute die Großbetriebe immer mehr Einfluß erlangt haben.

Größe der Betriebe 1895 1907
Zahl der
Betriebe
Beschäftigte
Personen
Zahl der
Betriebe
Beschäftigte
Personen
1 5 Personen 633 1 545 3 162 7 384
6 10 Personen 182 1 404 845 6 427
11 50 Personen 253 5 405 1 046 22 770
51 100 Personen 42 2 979 159 11 343
101 500 Personen 26 4 874 148 29 434
501 1000 Personen 3 1 591 12 8 500
über 1000 Personen 4 8 523 19 56 313


Von Interesse für den Gang der Entwicklung der elektrotechnischen Fabriken wird es sein, zu ersehen, wie die älteste der bedeutenden Fabriken, die Siemens & Halske Akt.-Ges. und Siemens-Schuckert-Werke zusammen sich in der Zeit von 1888 bis 1913 entwickelt haben. Es betrug:

1888 1913
die Nutzfläche der Fabriken 30 000 qm 711 200 qm
Gehälter und Löhne 1 874 087 M. 93 999 375 M.
Zahl der hergestellten Maschinen und Transformatoren 1 271 134 539
Leistung der hergestellten Maschinen und Transformatoren   23 180 PS 3 737 674 PS


Die Leistung der in einem Jahre von der deutschen Elektrizitätsindustrie hergestellten Stromerzeuger betrug im Jahre 1911 1 100 000 Kilowatt. Wie sich die entsprechende Zahl in den letzten Jahren gestaltet hat, zeigt nachstehende Aufstellung:

1906 ca. 500 000 Kilowatt
1907 ca. 600 000 Kilowatt
1908 ca. 700 000 Kilowatt
1909 ca. 800 000 Kilowatt
1910 ca. 950 000 Kilowatt
1911 ca.   1 100 100 Kilowatt

[564] Man ersieht auch hier wieder eine gleichmäßig fortschreitende Entwicklung. Die Leistung der elektrischen Anlagen steigt beständig und es hat sich durch eine besondere Untersuchung des Verfassers[2] ergeben, daß sie sich ungefähr alle 4 bis 5 Jahre verdoppelt.

Es ist zu hoffen, daß diese Entwicklung auch weiterhin bestehen bleibt. Die besten Anzeichen hierfür sind vorhanden.

Die Zahl der jährlich hergestellten Glühlampen gibt gleichfalls ein gutes Bild für die Leistungsfähigkeit dieses Industriezweiges. Durch die von diesen Glühlampen erhobene Steuer ist man in die Lage versetzt, ihre Zahl genau zu kennen. Es wurden im letzten Jahre in Deutschland insgesamt 97¼ Millionen Glühlampen hergestellt, von denen 61 Millionen in das Ausland gingen.

Die deutsche Elektrizitätsindustrie auf dem Weltmarkt.

Das Beispiel der Glühlampenindustrie zeigt schon, eine wie hervorragende Bedeutung der Weltmarkt für die gesamte deutsche Elektrotechnik besitzt. Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß gerade dieses Fabrikat verhältnismäßig am meisten ins Ausland versandt wird. Die deutsche Glühlampentechnik beherrscht zusammen mit derjenigen Amerikas fast den gesamten Weltmarkt. Aber auch auf anderen Gebieten hat die Elektrotechnik sich zu einer bedeutenden Exportindustrie entwickelt. Wie schon vorstehend angegeben worden ist, wird ungefähr ¼ der gesamten Produktion in das Ausland versandt. Da noch eine Reihe von anderen Ländern eine bedeutende elektrische Industrie besitzt, ist ein so beträchtlicher Einfluß auf dem Weltmarkt nur dadurch zu erreichen gewesen und aufrecht zu erhalten, daß die deutsche Elektrizitätsindustrie stets mit an erster Stelle in Rücksicht auf die anderer Länder steht. Das dürfte wesentlich auf die vorzügliche Ausbildung, welche unsere Ingenieure auf den technischen Hochschulen erhalten, zurückzuführen sein. Das Maß von theoretischem Können, welches in der Elektrizitätsindustrie notwendig ist, ist ein im Verhältnis zu anderen Industriezweigen ungewöhnlich großes, und es zeigt sich hier in besonderem Maße die gute theoretische Ausbildung, welche unsere Hochschulen den Studierenden mit auf den Weg geben.

Über die Entwicklung des Spezialhandels in elektrotechnischen Erzeugnissen der letzten Jahre gibt nachstehende, den Vierteljahresheften der Statistik des Deutschen Reiches entnommene Tabelle Aufschluß. Es hat sich der deutsche Export in dem Zeitraum von 1908 bis 1912 dem Gewicht nach von 806 402 Doppelzentner auf 1 193 025 Doppelzentner entwickelt. Dem Werte nach stieg der Export von 179 441 000 M. auf 239 699 000 M. Den Hauptarbeitsgebieten nach geordnet stellt sich die Ausfuhr im Jahre 1912 wie nebenstehende Tabelle zusammen.

Ungefähr ¾ des Exports geht in das europäische Ausland, während ¼ nach den anderen Erdteilen gesandt wird. [565]

Ausfuhr
in
dz= 100 kg
in 1000 ℳ.
Dynamomaschinen, Motoren, Transformatoren usw. 401 078 59 024
Elektrizitätssammler und Ersatzplatten 97 200 7 264
Kabel 400 790 32 263
Bogenlampen, Schweinwerfer usw. 9 427 4 362
Glühlampen 23 153 50 384
Telegraphen, Fernsprecher, Signalapparate usw. 21 251 12 642
Elektrische Vorrichtungen für Beleuchtung, Kraftübertragung, Elektrolyse, zahnärztliche Zwecke usw. 163 916 45 885
Elektrische Meßvorrichtungen usw. 26 478 19 979
Galvanische Elemente usw. 12 075 2 175
Elektrische Vorrichtungen für Holz- und Kochzwecke 2 318 1 310
Isolationsgegenstände 33 410 3 291
Verschiedene elektrotechnische Erzeugnisse (unvollständig angemeldet) 1 929 1 102

Einfluß auf andere Industriezweige.

Schon in dem einleitenden Teil ist gezeigt worden, daß die Elektrotechnik Industrie, Gewerbe, Handel und Landwirtschaft auf das Nachhaltigste beeinflußt hat. Es ist nun von Interesse, sich auch im einzelnen klar darüber zu werden, in welcher Weise die anderen Industriezweige durch die Entwicklung der Elektrizitätsverwendung in ihrer Ausgestaltung betroffen wurden. Eine Reihe von bestehenden Industriezweigen, wie diejenigen zur Herstellung von Dampfmaschinen, Gasmotoren, Wasserturbinen, Wasserkraftanlagen, wurden in der weitgehendsten und vorteilhaftesten Weise beeinflußt. Die Dampfmaschinenindustrie hat durch den Antrieb von Dynamomaschinen mannigfache Anregungen erhalten dadurch, daß an sie in bezug auf Regulierung, wie namentlich aber auf Größe der Einheitssätze besondere Anforderungen gestellt wurden. Als dann die Dampfturbine auftauchte, war es besonders die Verbindung mit der Dynamomaschine, die eine so schnelle, fast beispiellose Entwicklung herbeiführte. Der Großgasmotor ist überhaupt nur durch seine Verbindung mit der Dynamomaschine in dem jetzigen Umfange möglich geworden. Dasselbe trifft auch auf den Wasserturbinenbau zu, dessen Erzeugnisse heute ja zum größten Teil die Elektrotechnik aufnimmt. Aber auch andere Industriezweige, wie die Drahtfabrikation, die Porzellanindustrie, die Eisenkonstruktions-Werkstätten haben vielfache Anregungen und neue Arbeitsgebiete von der Elektrizitätsindustrie erhalten. Ähnlich liegen die Verhältnisse bezüglich des Baues von Pumpen, Ventilatoren usw.

Diese günstige Beeinflussung vieler Industriezweige durch die Elektrotechnik hat sich aber nicht nur darauf beschränkt, daß ihnen neue Arbeitsgelegenheit gegeben worden ist, sondern in hervorragendem Maße darauf, daß überhaupt die gesamte Art der Fabrikation umgestaltet worden ist. In dieser Richtung sind nicht nur die erwähnten industriellen Gebiete beeinflußt worden, sondern die gesamte deutsche Technik. Die Methoden der Fabrikation sind vielfach geändert worden, namentlich in Hinsicht auf die Antriebe der Arbeitsmaschinen, auf die Kraftversorgung und die Anordnung der Werkstätten. Wer heute eine modern eingerichtete Fabrik betritt, sieht sofort den Unterschied gegenüber [566] denjenigen, welche vor 25 Jahren errichtet wurden. Das früher übliche Gewirr von Riemen, Transmissionen usw. ist verschwunden und die Werkstätten sind heute übersichtlich, luftig, hell und freundlich geworden. Das ist wesentlich dem Einfluß der elektrischen Kraftverteilung zuzuschreiben. Dieser geht weit über die Grenzen der Industrie hinaus. Er macht sich, wie schon vorstehend gezeigt ist, auch im Gewerbe, im Handel und in der Landwirtschaft bemerkbar.

Dieser Einfluß auf die deutsche Technik hat noch wesentlich weitergehende Folgen gehabt als allein diejenigen der wirtschaftlichen Ersparnisse durch zweckmäßigere Gestaltung des Betriebes. Die Einführung des elektrischen Betriebes und auch der elektrischen Beleuchtung hat zu einer wesentlichen Erhöhung der Betriebssicherheit geführt. Dies ist in der Broschüre von Dr. F. Kerner „Unfallsicherheit und Betriebsökonomie im Kraftmaschinenbetrieb“, Seite 39, wie folgt gekennzeichnet:

„Die Elektrizität hat sich seit ihrem Eintritt in die Reihe der Betriebskräfte als erfolgreiche Gefahrenbezwingerin erwiesen. Wellenstränge und Kraftübertragungsriemen konnten zum Teil vermieden, Antriebsmaschinen mit hin- und hergehendem Kolben durch solche mit in geschlossenen Gehäusen rotierenden Teilen ersetzt werden und vieles andere mehr. Überhaupt erwies sich die Möglichkeit der Konzentrierung der Krafterzeugung auf eine einzige oder wenige Stellen und die damit verbundene erleichterte Beherrschung der Gefahr als segensreich. Wurden so die „mechanischen“ Gefahren verringert, so hat die Elektrizität gleichzeitig ganz neuartige Unfallsmöglichkeiten mit sich gebracht, die in ihren Folgen, besonders zu einer Zeit, wo die Kenntnis dieser Naturkraft und der Mittel zu ihrer Erzeugung und Fortleitung noch nicht so ausgebaut war wie heute, oft sehr verhängnisvoll waren. Gegenwärtig steht sie jedoch in bezug auf Gefahrensicherheit hinter keiner anderen Kraftquelle zurück.“

Dem Verfasser dieses ist es in einer eingehenden Bearbeitung dieser Angelegenheit in dem Aufsatze „Die elektrischen Starkstromanlagen Deutschlands und ihre Sicherheit[3]“ gelungen, nachzuweisen, daß tatsächlich die Zahl der durch elektrischen Betrieb vermiedenen Unfälle wesentlich größer ist als die Zahl der durch den elektrischen Betrieb neu entstandenen, und daß somit der elektrische Betrieb in bezug auf Unfallverhütung eine hervorragende Rolle in der gesamten deutschen Industrie, im Handwerk usw. spielt. Jede Energieart wird bei ihrer Benutzung zu Unfällen führen, da es immer wieder vorkommt, daß sie sich ihrer Fesseln entledigt und sich in einer Weise freimacht, welche nicht gewollt und in manchen Fällen auch nicht vorherzusehen ist. Bei der Elektrizität liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse aber am günstigsten.

Fernmeldetechnik.

Die Anfänge der Fernmeldetechnik, oder wie sie früher genannt wurde, „Schwachstromtechnik“ gehen bis zum Jahre 1840 zurück. Die Entwicklung war aber in der ersten Zeit eine verhältnismäßig geringe, und erst in den letzten 25 Jahren läßt sich auch bei dieser alten Anwendung der Elektrizität [567] ein erheblicher Aufschwung feststellen. Nachstehende Tabelle zeigt am deutlichsten, wie sich das Telegraphen- und Fernsprechwesen, welches ja in Deutschland, soweit es für öffentliche Zwecke in Frage kommt, Staatsmonopol ist, entwickelt hat.

1888 1913
Zahl der Telegraphenanstalten 10 000 33 000
Zahl der Orte mit Fernsprechanlagen 175 32 000
Gesamtlänge der Telegraphen- und Fernsprechleitungen, Kilometer 345 000 7 000 000
Zahl der beförderten Telegramme 22 000 000 60 000 000
Zahl der vermittelten Gespräche 150 000 000       2 200 000 000
Zahl der an Fernsprechanstalten angeschlossenen Teilnehmer 30 000 700 000
Zahl der angeschlossenen Fernsprechstellen 33 000 1 200 000
Zahl der im Betriebe befindlichen Telegraphenapparate 18 500 46 800
Zahl der im Betriebe befindlichen Telephonapparate 39 000 1 100 000
Gesamteinnahme im Reichspostgebiet aus Telegraphen- und Fernsprechverkehr 26 000 000 230 000 000

Interessant ist noch zu sehen, in welcher Weise sich der Telegrammverkehr Deutschlands mit den außereuropäischen Ländern in den letzten 25 Jahren entwickelt hat. Während die Gesamtzahl der Telegramme von 1888 bis 1913 auf etwas weniger als das Dreifache gestiegen ist, vermehrten sich die Telegramme, welche nach den Ländern außerhalb Europas gingen, auf mehr als das 4½ fache. Daraus kann man erkennen, welche Bedeutung der Telegraph für den Anteil Deutschlands an der Weltwirtschaft hat. Unterstützt wurde diese Anteilnahme Deutschlands an dem überseeischen Verkehr wesentlich durch den Ausbau der Überseetelegraphenlinien. Während im Jahre 1888 deren nur rund 4000 km vorhanden waren, betrug die Länge der im Jahre 1913 bestehenden deutschen Überseetelegraphenlinien ungefähr 44 000 km. Besonders einflußreich war hier auch die Einführung der Funkentelegraphie. Trotzdem erst im Mai 1900 die erste deutsche Funkentelegraphenanlage zwischen der Insel Borkum und dem Feuerschiff Borkum-Riff in Betrieb genommen worden ist, sind jetzt schon 24 Küstenstationen und ungefähr 450 Bordstationen in Betrieb. Der Telegrammverkehr der deutschen Küstenstationen umfaßte im letzten Jahre schon annähernd 24 000 Funkentelegramme. Besonderer Wert wird darauf gelegt, mit den deutschen Schutzgebieten auf dem Wege der Funkentelegraphie in Verbindung zu kommen. In fast allen unseren Kolonien sind bereits Stationen errichtet.

Auch in bezug auf den Fernsprechverkehr ist eine außerordentliche Entwicklung in den letzten Jahren zu verzeichnen. Z. B. kamen in Berlin auf 100 Einwohner im Jahre 1895 1,6 Sprechstellen, während im Jahre 1911 deren bereits 5,3 vorhanden waren. Namentlich in den großen Städten ist die Entwicklung des Fernsprechers eine [568] ganz außergewöhnlich schnelle gewesen, so daß dort Riesenfernsprechämter gebaut werden mußten. Das größte derselben befindet sich in Hamburg mit einer Aufnahme von 80 000 Leitungen. Um den Bedürfnissen entsprechen zu können, ist man in den letzten Jahren vielfach zu der Anwendung des automatischen Systems übergegangen. Die Oberleitungen sind in den Städten ganz verschwunden und durch Kabel ersetzt worden. Welchen Anteil der Fernsprecher und der Telegraph an den durch die Post beförderten Mitteilungen hat, erkennt man daraus, daß im Jahre 1909 von allen beförderten Mitteilungen ca. 74%[4] durch die Briefpost, ca. 25% durch den Fernsprecher und ca. 1% durch den Telegraphen befördert wurden.

Der Fernsprecher hat sich außer für öffentliche Zwecke auch sehr stark in privaten Anlagen eingebürgert und wird dort jetzt in weitem Umfange verwendet. Ein Bild, welche Bedeutung er für Industrie, Handel und Gewerbe im inneren Verkehr besitzt, ergibt sich daraus, daß zurzeit ungefähr zweimal mehr Telephonapparate für privaten Gebrauch in Deutschland hergestellt werden als für den Anschluß an die staatlichen Fernsprechanlagen.

Weitere recht wichtige Gebiete der Fernmeldetechnik sind die elektrischen Signalanlagen, welche im Betriebe der Eisenbahnen, für die Zwecke der Feuermeldung, in Gruben und ähnlichen Anlagen vielfach verwendet werden. Ebenso fallen hierunter die Klingelanlagen, die heute kaum in einem Hause fehlen.

Bau von Maschinen, Apparaten und Ähnlichem.

Obwohl schon vor 1888 elektrische Maschinen gebaut worden sind, so kann man doch den Beginn des eigentlichen Aufschwunges erst in diese Zeit verlegen.

Erst nach Schaffung einer guten theoretischen Grundlage war es der Industrie möglich, marktfähige Produkte zu liefern. Die Entwicklung setzte dann aber auch sehr rasch ein. Während noch im Jahre 1893 das Gewicht eines 10 pferdigen Gleichstrommotors für 1000 Umdrehungen 900 kg betrug, ist dasselbe jetzt auf ungefähr 300 kg heruntergegangen. Es ist einleuchtend, daß es dadurch auch möglich gewesen ist, die Preise wesentlich herunterzusetzen, zumal auch bei dem eingetretenen Massenbedarf die Herstellung sich wesentlich verbilligen ließ. Durch Vervollkommnung der Konstruktion und des Baues der Maschinen ist es gelungen, die Preise derselben so weit zu ermäßigen, daß ein großer Konsum in diesen Maschinen eintrat. Die Leistungsfähigkeit der Elektrotechnik in bezug auf die größten herstellbaren Maschinen ist naturgemäß immer mehr gestiegen, so daß es jetzt möglich ist, Generatoren von 30 000 kVA Motoren von 25 000 PS und Transformatoren von 15 000 kVA herzustellen. Während man anfangs zaghaft mit geringen Spannungen arbeitete, ist es heute möglich, 150 000 Volt sicher zu beherrschen. Für Prüfzwecke ist man sogar jetzt bis zu Spannungen von 1 000 000 Volt gegangen.

In gleichem Maße, wie die Verwendungsmöglichkeit und die Größe der Maschinen gestiegen ist, war es notwendig, die für die Messung und Schaltung benötigten [569] Apparate zu schaffen. Insbesondere hat man in den letzten Jahren der Ausbildung der Schaltanlagen besondere Aufmerksamkeit zugewandt, während dieselben früher als etwas Nebensächliches behandelt wurden. Man gönnte ihnen wenig Raum in den Erzeugungs- und Verteilungsstationen; jetzt dagegen wird ihnen gleiche Bedeutung wie den Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen zugemessen. Insbesondere bei den modernen Großkraftwerken wird der Durchbildung der Schalthäuser, denn um solche handelt es sich hierbei, große Aufmerksamkeit gewidmet und dadurch die nötige Sicherheit für die Versorgung großer Gebiete geschaffen.

Eine ziemlich wichtige Rolle im Bau elektrischer Anlagen spielen die Akkumulatoren, welche dazu berufen sind, Energie aufzuspeichern. Sie können dann in Zeiten, wo der Betrieb steht, die Rolle der Generatoren übernehmen. Aber auch zum Ausgleich von Belastungsschwankungen werden sie vielfach mit besonderem Erfolg herangezogen. Auf diesem Anwendungsgebiet der Elektrizität sind in letzter Zeit erhebliche Fortschritte gemacht worden, die dazu geführt haben, daß die Verwendung der Akkumulatoren ein immer größere geworden ist.

Kraftübertragung und Verteilung.

Die Entwicklung der Kraftübertragung und Kraftverteilung in größerem Maßstabe hat ihren Ausgang genommen von der Frankfurter elektrotechnischen Ausstellung im Jahre 1891. Dort wurde zum ersten Male eine große Wasserkraft über weite Entfernung auf elektrischem Wege übertragen, und es wurde gezeigt, wie die Energie an der Verwendungsstelle benutzt und verteilt werden kann. Die Ausstellung hatte den Beweis erbracht, daß der Elektromaschinenbau weit genug entwickelt war, um die Ausführung großer Kraftübertragungen und Kraftverteilungsanlagen zu übernehmen. Darauf ist es wesentlich zurückzuführen, daß kurz nach dieser Ausstellung eine schnelle Entwicklung eingesetzt hat. Es wurde damit begonnen, Wasserkräfte auszunutzen und die gewonnene Energie dahin zu leiten, wo Verwendung für sie vorhanden war. In Gegenden, in denen Wasserkräfte nicht ausgenutzt werden konnten, begann man große Zentralanlagen für Dampf, Gas, Ölbetrieb usw. zu bauen. Die Fabriken gingen immer mehr dazu über, ihre Kraft- und Lichtversorgung auf elektrischem Wege durchzuführen, so daß außerordentlich bedeutende Anlagen zur Elektrizitätsversorgung entstanden. Welche raschen Fortschritte in der Beherrschung von großen Leistungen und großen Entfernungen in den letzten Jahren gemacht worden sind, gibt eine Liste der von den Siemens-Schuckert-Werken in dem Zeitraum von 1901 bis 1912 hergestellten bedeutenderen Anlagen. Die genannte Firma hat ausgeführt:

1901. Funghera Turin 24 000 Volt, 50 km, 20 000 PS.
1903/04. Fernkabel Bozen-Meran (durch das österreichische Haus) Drehstromkabel 10 000 Volt, 35 km, 3000 PS.
1904. Hydroelectrica Iberica, Spanien, 30 000 Volt, 100 km, 20 000 PS.
Ruhrtalsperren-Gesellschaft, Aachen, 35 000 Volt, 130 km, 12 000 PS.
1907. München-Moßburg, 50 000 Volt, 50 km, 6000 PS.

[570]

1910. Société Pyrénéenne, Frankreich, 55 000 Volt, 160 km, 15 000 PS (erster Ausbau).
1910. Hydroelectrica Espannola, Spanien, 70 000 Volt, 400 km, 24 000 PS.
1911. Dessau-Bitterfeld, Hochspannungskabel, 60 000 Volt, 4,5 km, 5000 PS und
Rjukanfos, Norwegen, eine Schaltanlage für 10 000 Volt und 170 000 kVA im ersten Ausbau.
1912. Lauchhammer, 110 000 Volt, 53 km, 9000 PS.

Die Elektrizitätsversorgung Deutschlands hat sich nach zwei verschiedenen Richtungen hin entwickelt, und zwar nach der zentralen Versorgung von Elektrizitätswerken aus, sowie nach der Richtung der Schaffung von Einzelanlagen, welche nur für die Bedürfnisse des Besitzers derselben bestimmt sind. Wir wollen nunmehr dazu übergehen, die Entwicklung dieser beiden Arten von Anlagen zu verfolgen. Die Zahl und Leistung der zur zentralen Versorgung dienenden Elektrizitätswerke ist nachstehend angegeben:

1891 ca. 20 Werke mit 8000 kW Leistung
1895 ca. 150 Werke mit 40 000 kW Leistung
1900 ca. 600 Werke mit 250 000 kW Leistung
1905 ca. 1200 Werke mit 650 000 kW Leistung
1907 ca. 1600 Werke mit 900 000 kW Leistung
1909 ca. 2050 Werke mit 1 200 000 kW Leistung
1911 ca. 2700 Werke mit 1 500 000 kW Leistung
1913 ca. 4100 Werke mit 2 100 000 kW Leistung

Diese Werke dienten nun besonders im Anfang im allgemeinen wesentlich dazu, den Ort mit Elektrizität zu versehen, in welchem das Werk errichtet worden war. Nur einige wenige Werke waren anfangs über dieses Programm hinausgegangen und hatten noch benachbarte Orte mit versorgt. Das änderte sich aber immer mehr, so daß heute schon von einer großen Anzahl von zentralen Werken mehrere Orte versorgt werden. Es sind die sogenannten Überlandzentralen entstanden bzw. die vorhandenen Werke zu solchen ausgebaut worden. Die Zahl der mit Elektrizität versorgten Orte ist nachstehend angegeben:

1891   ca. 35 Orte
1895   ca. 170 Orte
1900   ca. 800 Orte
1905   ca. 2 000 Orte
1907   ca. 3 300 Orte
1909   ca. 4 600 Orte
1911   ca. 10 500 Orte
1913   ca. 17 500 Orte

Durch diese Entwicklung ist es gelungen, einem großen Teil der Einwohner Deutschlands die Möglichkeit zu geben, sich die Elektrizität nutzbar zu machen, so daß heute schon mehr als zwei Drittel der Einwohner Deutschlands die Segnungen der Elektrizität zugänglich sind. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß heute 50 Millionen Einwohnern Elektrizität zur Verfügung steht, wenn sie solche zu beziehen [571] wünschen. Wie sich die Entwicklung in dieser Beziehung gestaltet hat, zeigen nachstehende Zahlen:

Es wurden versorgt Gebiete mit
1896 ca. 8 Mill. Einwohner
1902 ca. 17 Mill. Einwohner
1907 ca. 25 Mill. Einwohner
1911 ca. 40 Mill. Einwohner

In den Elektrizitätswerken Deutschlands ist naturgemäß ein sehr beträchtliches Kapital festgelegt. Nach Schätzung von Dr. Siegel[5] beträgt dasselbe zurzeit ungefähr 2150 Mill. Mark, wovon etwa 23% auf Grundstücke und Gebäude, 30% auf Antriebsmaschinen und Zubehör und etwa 47% auf Verteilungsnetze, Transformatoren, Zähler und Sonstiges entfällt. Im Betriebe dieser Werke wird heute schon ein Betrag von mehr als 50 Mill. Mark für Gehälter und Löhne ausgezahlt, und mindestens 40 Mill. Mark werden für Kohlen verbraucht.

Die Elektrizitätswerke sind teils von privater Seite, teils von städtischen oder staatlichen Behörden erbaut worden. Der Zahl nach dürften ungefähr ⅔ sich im Privatbesitz und etwa ⅓ im Besitz von Städten und des Staates befinden. Die deutschen Elektrizitätswerke werden zurzeit eine jährliche Erzeugung von ungefähr 1 500 000 kW besitzen und jährlich etwa 2000 Mill. kW-Stunden erzeugen. Davon werden etwa 800 Mill. kW-Stunden für Licht verbraucht, während der Rest Kraftzwecken dient.

Der Verkaufswert der von den öffentlichen Werken abgegebenen Elektrizität beträgt ungefähr 350 Mill. Mark im Jahre, von denen etwa 235 Mill. auf Licht und 115 Mill. auf Kraft entfallen. Die mittlere Rentabilität der Werke kann zu etwa 9% angenommen werden.

Die Entwicklung der Elektrizitätswerke geht immer mehr dahin, die vielen kleinen Anlagen durch wenige große zu ersetzen. Es werden heut schon viele große Gebiete einheitlich von einer Station aus versorgt; z. B. hat die Überlandzentrale Gröba über 850 Orte angeschlossen. Es gibt noch eine große Anzahl anderer bedeutender Überlandzentralen, welche mehrere hundert Orte von einer Stelle aus versorgen. Die Gebiete, welche von einem Werk aus gespeist werden, dehnen sich immer mehr aus, und die darin bereits vorhandenen kleinen Anlagen werden stillgesetzt und zu Unterstationen gemacht. So strebt alles immer mehr nach einer einheitlichen Versorgung Deutschlands von wenigen großen Kraftwerken aus. Diese Entwicklung ist zu begrüßen, weil es dadurch möglich ist, die elektrische Energie immer billiger zur Verfügung der Abnehmer zu stellen. Von den Großkraftwerken kann die Elektrizität wesentlich billiger hergestellt werden als in vielen kleinen Werken. Ganz besonders ist dies der Fall, wenn Wasserkräfte, Kohlengruben, Torflager, Gichtgase und Ähnliches ausgenutzt werden können. Es wird der Transport der Brennmaterialien durch Bahnen oder Wagen vermieden und auf elektrischem Wege bewerkstelligt. Durch diese Entwicklung und Zusammenfassung von Betrieben ist es schon bisher möglich gewesen, die Verkaufspreise für Elektrizität beträchtlich [572] herunterzusetzen, und es ist sicher zu erwarten, daß die Entwicklung nach dieser Richtung in der nächsten Zeit noch weiter fortschreiten wird. Ein Beispiel, wie sich die Verkaufspreise erniedrigt haben, sei hier an einigen wenigen Städten gegeben:

Ort Mittlerer Preis der kW-Stunde
für Licht für Kraft
1900 1911
bzw. 11/12
1900 1911
bzw. 11/12
Breslau 61,68 40,40 20,00 17,07
Straßburg 47,20 34,98 15,50 9,69
Stettin 49,00 36,55 32,94 17,14

Welche Entwicklung einzelne Elektrizitätswerke nehmen können, zeigt das Beispiel des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes. Dieses Werk hat abgegeben im Jahre:

1900 2 687 000 Kilowattstunden
1902 5 050 000 Kilowattstunden
1904 11 590 000 Kilowattstunden
1906 37 247 000 Kilowattstunden
1908 54 280 000 Kilowattstunden
1910 76 075 000 Kilowattstunden
1912       118 331 000 Kilowattstunden

Bei der hohen Bedeutung, welche der Elektrizitätsversorgung zukommt, ist es natürlich, daß die Regierungen der verschiedenen Bundesstaaten sich schon eingehend mit dieser Frage befaßt haben. In Bayern, wo eine große Anzahl bedeutender Wasserkräfte zur Verfügung stehen, lag es nahe, sehr schnell vorzugehen, um eine richtige Verwertung der wertvollen Naturkräfte zu erreichen. Das Kgl. Bayerische Staatsministerium des Innern hat daher im Februar 1913 eine Entscheidung betr. die Elektrizitätsversorgung des Landes herausgegeben, welche folgenden Wortlaut hat:

„Die Staatsregierung erachtet die Elektrizitätsversorgung des Landes als eine der wichtigsten wirtschaftlichen Aufgaben der Gegenwart, die ihrer fürsorgenden Mitarbeit bedarf. Ihr Streben war von Anfang an darauf gerichtet, Mittel und Wege zu finden, die unter Wahrung der öffentlichen Interessen zu einer allgemeinen Versorgung des ganzen Landes mit Licht- und Kraftstrom nach möglichst einheitlichen Grundsätzen führen. Die rechtliche Grundlage für das Eingreifen der Staatsregierung bietet neben dem Aufsichtsrecht gegenüber den Gemeinden ihre Stellung als Verwalterin des öffentlichen Gutes; Überlandwerke bedürfen für ihre Leitungsanlagen Nutzungsrechte an öffentlichen Straßen, öffentlichen Gewässern, staatseigenen Bahnkörpern, an Staatswaldungen u. dergl.

Nach eingehenden Untersuchungen und Prüfung der Erfahrungen in andern Ländern ist die Staatsregierung an die Aufstellung eines allgemeinen Planes für die Elektrizitätsversorgung des rechtsrheinischen Bayern herangetreten, nachdem die einheitliche Elektrizitätsversorgung des Regierungsbezirks der Pfalz bereits sichergestellt ist. Dieser Plan beruht in der Hauptsache auf folgenden Grundsätzen:

[573] 1. Eine allgemeine Versorgung des ganzen Landes mit Elektrizität ist nur durch große Überlandwerke möglich, denen ein ausgedehntes Gebiet auf eine längere Zeitdauer zur Elektrizitätslieferung zugewiesen wird.

2. Die Errichtung der Überlandwerke in den einzelnen Gebieten ist eigenen Aktiengesellschaften zu übertragen, die entweder von den öffentlichen Körperschaften (Kreisgemeinden, Städten) gemeinschaftlich mit Elektrizitätsgesellschaften und Bankgruppen oder von der elektrotechnischen Großindustrie und ihren Banken allein für jedes Versorgungsgebiet gegründet werden.

3. Zur Erzeugung des Kraftstroms sollen die staatlichen Wasserkräfte nach Möglichkeit herangezogen werden.

4. Die Überlandwerke sind verpflichtet, binnen einer bestimmten Zeit die Elektrizitätsversorgung in dem zugewiesenen Gebiete allgemein durchzuführen und auf Verlangen jede Gemeinde nach einheitlichen Bedingungen mit Elektrizität zu versorgen.

5. Die größeren und insbesondere die städtischen Gemeinden errichten in der Regel die Anschlußleitungen und Ortsnetze auf eigene Kosten und übernehmen die Verteilung des Stromes selbst; sie sind Großabnehmer des Überlandwerks.

6. Die Landgemeinden überlassen den Überlandwerken die Verteilung des Stromes an die Abnehmer selbst. Die Herstellung und Unterhaltung der Ortsnetze ist zunächst Sache der Überlandwerke, die Gemeinden sind jedoch berechtigt, die Ortsnetze nach einer Reihe von Jahren zu billigen Bedingungen zu erwerben.

7. Gemeinden oder Gebietsteile, die einen so geringen Stromverbrauch aufweisen, daß die Bruttoeinnahmen für den Stromabsatz zu den Aufwendungen für die Anschlußleitungen und die Ortsverteilungsnetze in einem Mißverhältnis stehen, können von den Überlandwerken zu Sonderleistungen herangezogen werden, deren Höhe von Fall zu Fall der Prüfung der Staatsregierung unterliegt.

8. Die Strompreise bedürfen der Genehmigung der Staatsregierung, sie sind jeweils nach einer Reihe von Jahren einer Revision zu unterziehen.

9. Der Staat kann nach Ablauf eines längeren Zeitraumes, wenn wirtschaftliche Gründe es verlangen, die Überlandwerke zu einem Preise erwerben, dessen Berechnungsweise schon jetzt bestimmt ist.

10. Der Ausbau der Überlandwerke ist nach einem bestimmten Plane und in einer bestimmten Reihen- und Zeitfolge durchzuführen, die von der Staatsregierung festgelegt werden. Hierbei muß auf die Interessen der bestehenden kleinen Überlandwerke gehörige Rücksicht genommen werden.

11. Die Überlandwerke haben sich jeder Beschränkung des freien Wettbewerbs bei der Ausführung der Anlagen, die nicht auf ihre Kosten geschehen, so insbesondere bei den elektrischen Inneneinrichtungen, zu enthalten.

12. Zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit wird die Kgl. Staatsregierung mit den Überlandwerken dauernde Fühlung nehmen.“

[574] Wenn es möglich sein wird, durch einheitliche Regelung von seiten der Regierung aus die Elektrizitätsversorgung Deutschlands in richtige Bahnen zu lenken, wird es sich immer mehr einführen, die Elektrizität von Kraftwerken aus zu beziehen und sie nicht selbst zu erzeugen. Dadurch werden die zurzeit noch außerordentlich bedeutenden Einzelanlagen mit der Zeit immer mehr zu Anschlußanlagen werden. Augenblicklich sind aber die Einzelanlagen noch von besonders großer Bedeutung in Deutschland. Sie übertreffen die Leistung der Elektrizitätswerke jetzt noch um ungefähr das Fünffache. Diese Einzelanlagen haben sich außerordentlich schnell entwickelt. Während im Jahre 1891 die Leistung derselben nur 54 000 kW betragen hat, war sie im Jahre 1906 schon auf 3 400 000 kW gestiegen. Im Jahre 1911 betrug die Leistung der Einzelanlagen 6 700 000 kW, so daß sie zurzeit auf ungefähr 8 500 000 kW geschätzt werden kann. Die Elektrizitätserzeugung dieser Anlagen hat im Jahre 1891 etwa 40 Mill. kW-Stunden betragen, stieg im Jahre 1906 auf ungefähr 4000 Mill. kW-Stunden und wird jetzt ungefähr 11 000 Mill. kW-Stunden sein. Die gesamte, in elektrischen Anlagen vorhandene Maschinenleistung (Elektrizitätswerke und Einzelanlagen) ist durch nachstehende Tabelle gegeben:

Jahr Leistung in Mill. kW
Elektr.-
Werke
Einzel-
anlagen
Summe
1891   0,01 0,05 0,06
1899   0,15 1,2 1,4
1905   0,52 3,0 3,5
1911   1,31 6,7 8,0

Unter den Einzelanlagen gibt es solche, deren Größe den Elektrizitätswerken unserer größten Städte vielfach gleichkommt. Es sei hier z. B. auf die Elektrizitätserzeugungsanlage der Gewerkschaft Deutscher Kaiser hingewiesen. Diese hat eine Größe wie ungefähr die Elektrizitätswerke für die Stadt Berlin. Die Anlage der Gewerkschaft Deutscher Kaiser erzeugte im Jahre 1911 schon ungefähr 170 Mill. kW-Stunden und wird jetzt 200 Mill. pro Jahr schon überschritten haben.

Es ist interessant, noch zu sehen, welche Industriezweige die Hauptverwendung für Elektrizität haben. Von den im Jahre 1911 insgesamt erzeugten ungefähr 10 000 Mill. kW-Stunden, von denen in Einzelanlagen ca. 8400 Mill., in Elektrizitätswerken ca. 1600 Mill. hergestellt wurden, sind verbraucht worden:

in Bergwerken ca. 1600 Mill. kW-Stunden;
in Hüttenwerken ca. 2000 Mill. kW-Stunden;
in großen Maschinenfabriken ca. 1300 Mill. kW-Stunden;
für elektrochemische Zwecke ca. 350 Mill. kW-Stunden;
für Straßenbahn ca. 600 Mill. kW-Stunden;
für Staatsbahn ca. 200 Mill. kW-Stunden.

Elektrische Bahnen.

Einen wichtigen Zweig des elektrischen Kraftbetriebes stellen die elektrischen Bahnen dar; trotzdem erst im Jahre 1891 [575] die erste große städtische Straßenbahn in Halle eröffnet worden ist, bestehen heute bereits elektrische Bahnen mit einer Streckenlänge von annähernd 5000 km. Das Anlagekapital derselben dürfte etwa 1 500 000 000 M. betragen, und es werden mit diesen etwa 3 000 000 000 Personen jährlich befördert. Die Verzinsung des in elektrischen Bahnen angelegten Kapitals dürfte zwischen 5½ und 6% liegen.

Ein Bild von der Entwicklung gibt nachstehende Tabelle:

1898 1901 1911
Hauptzentren für elektrische Bahnen, Zahl 42 113 210
Streckenlänge, km. 582 3 099 4 969
Summe der vorhandenen Wagen 2 560 12 257 21 309
Leistung der elektrischen Maschinen, kW 18 560 108 021 158 104
Leistung der für Bahnbetrieb verwendeten Akkumulatoren, kW 25 531 43 600

Außer den Straßenbahnen sind besonders noch die Hoch- und Untergrundbahnen in den größeren Städten zu erwähnen. Die erste Deutschlands wurde 1897 in Berlin in Betrieb genommen. Außerdem wurde bei vielen Kleinbahnen der elektrische Betrieb eingeführt und allmählich auch auf die Hauptbahnen ausgedehnt. Zurzeit sind schon mehrere Hauptbahnstrecken in elektrischen Betrieb umgebaut, und es befinden sich bereits eine Reihe anderer in Bau. Ganz abgesehen von den direkten Vorteilen, welche der elektrische Betrieb der Hauptbahn herbeiführen wird, wird er in wirtschaftlicher Beziehung von großem Einfluß dadurch sein, daß die Stromversorgung der in der Nähe der Bahnstrecken liegenden Gebiete hiermit zusammengefaßt werden kann.

Beleuchtungstechnik.

Die außerordentlichen Vorzüge der elektrischen Beleuchtung, welche sich hauptsächlich in bezug auf Feuersicherheit und auf hygienischem Gebiete zeigen, haben eine schnelle Entwicklung dieser Beleuchtungsart herbeigeführt. Während im Jahre 1891 nur ungefähr 450 000 Glühlampen in Deutschland in Benutzung waren, betrug diese Zahl im Jahre 1908 bereits 38 Millionen. Zurzeit dürfte die Zahl der in Verwendung befindlichen Glühlampen etwa auf 75 Millionen geschätzt werden können. Hierzu kommen noch etwa 1,8 Millionen Bogenlampen. Wenn man damit vergleicht, daß es jetzt ungefähr nur 27 Millionen Gasglühlichtflammen und 21 Millionen Petroleumlampen in Deutschland gibt, so sieht man, welche ungeheure Bedeutung die elektrische Beleuchtung heute besitzt. Sie hat alle anderen Beleuchtungsarten weit überflügelt. In wirtschaftlicher Beziehung ist diese Entwicklung außerordentlich zu begrüßen, da früher für Beleuchtung erhebliche Beträge in das Ausland geschickt werden mußten. Der Import von Petroleum ist infolge der Entwicklung der Elektrizitätsanlagen in den letzten Jahren ständig im Rückgang. Schon jetzt werden jährlich ungeheure Beträge, welche für Petroleum ins Ausland geschickt werden müßten, dem Nationalvermögen erhalten. Vom Standpunkte der Volkswohlfahrt aus ist es ferner besonders wichtig, daß noch die hygienischen Nachteile und Gefahren, welche den anderen Beleuchtungsarten anhaften, durch die elektrische Beleuchtung vermieden werden. Auch der Gasbeleuchtung gegenüber ist die Elektrizitätserzeugung vom wirtschaftlichen [576] Standpunkt aus von hervorragender Bedeutung, denn zur Gaserzeugung wird ein erheblicher Betrag englischer Kohlen jährlich verwendet. Für die Herstellung des elektrischen Lichtes dagegen werden in überwiegendem Maße deutsche Kohlen verfeuert.

Elektrochemie.

Eine besonders wichtige Industrie, welche durch die elektrische Ausnutzung der Wasserkräfte überhaupt erst geschaffen worden ist, ist die elektrochemische. Von ihr sind viele bedeutende Wasserkräfte ausgebaut und verwertet worden. Die elektrochemische Herstellung von Stickstoffen, Chlorkali, Kalkstickstoff, metallischem Natrium, Aluminium usw. hat heute schon beträchtlichen Umfang angenommen. Die Bedeutung der Industrie ist daraus zu erkennen, daß sie heute ungefähr 450 Millionen kW-Stunden jährlich verbraucht. Besonders in den letzten Jahren ist noch hierzu die Anwendung der Elektrizität für die Herstellung von Stahl gekommen.

Ein besonderes Anwendungsgebiet der elektrochemischen Prozesse stellen Ozonanlagen dar. Außer für verschiedene chemische Zwecke wird Ozon zur Trinkwassersterilisation gebraucht. Solche Anlagen sind in großem Maßstabe in Wiesbaden, Paderborn und anderen Städten eingerichtet. In der Färberei und Druckerei werden elektrochemische Verfahren verwendet, ebenso in der Gerberei und Bleicherei.

Eine der ältesten Anwendungen der Elektrizität war diejenige zur Herstellung von Metallniederschlägen. Sie hat sich in den letzten 25 Jahren außerordentlich entwickelt, entsprechend der allgemeinen Zunahme industrieller und handwerkmäßiger Betätigungen. Die elektrolytische Vergoldung, Versilberung, Verzinkung und Vermessingung sowie Verstählung sind in umfangreichem Gebrauch.

Eine weiter wichtige Anwendung elektrochemischer Verfahren stellt die Galvanoplastik dar, deren Zweck es ist, metallische Gegenstände auf galvanischem Wege herzustellen. Besonders sei hier die Herstellung von Klichees, Druckplatten usw. erwähnt.

Verschiedene Anwendungsgebiete.

In Vorstehendem sind die Hauptanwendungsgebiete einzeln behandelt worden. Außer diesen gibt es aber noch eine so große Menge besonderer Verwendungsarten der Elektrizität, daß es nicht möglich ist, auch nur dem Namen nach dieselben hier alle anzuführen, viel weniger sie zu behandeln. Um aber den Überblick einigermaßen vollständig zu machen, seien wenigstens die wichtigsten dieser besonderen Anwendungsgebiete kurz behandelt. Ganz allgemein bekannt ist die vielfache Anwendung, welche von der Elektrizität in der Heilkunde findet. Gerade in der letzten Zeit ist dieses Anwendungsgebiet stark in Aufnahme gekommen, wobei es genügt, an die großen Erfolge zu erinnern, welche durch die Einführung der Röntgentechnik erzielt worden sind. Aber auch die Thermopenetration oder Diathermie hat sich schon vielfach als segensreich für die leidende Menschheit erwiesen.

Während die Sprengarbeiten in Bergwerken, Steinbrüchen usw. früher ausschließlich mittels Zündschnur vorgenommen wurden, ist man in der letzten Zeit vielfach dazu übergegangen, die Sprengungen auf elektrischem Wege auszuführen. Man hat [577] dadurch nicht nur eine größere Zuverlässigkeit erreicht, sondern namentlich auch die Leistungsfähigkeit wesentlich gesteigert.

Durch die Schaffung elektrischer Uhren wurde nicht nur erreicht, daß das in kürzeren Zeiträumen notwendige Aufziehen der Uhren überflüssig gemacht wurde, sondern es gelang dadurch auch, Zentraluhrenanlagen zu schaffen und auf diese Weise zu ermöglichen, für jeden beliebigen Ort zuverlässig die Angabe der Zeit zu erhalten. In den bedeutenderen Städten bestehen schon seit einer längeren Reihe von Jahren Zentralanlagen zum Anschluß von Normaluhren, die sich großer Beliebtheit erfreuen.

Die magnetischen Erscheinungen haben zu vielfachen praktischen Anwendungen Veranlassung gegeben. Einesteils benutzte man den Magnetismus zur Entfernung von Eisen und ähnlichen Materialien aus Schlacken, Knochen, Drehspänen, Formsand usw., andererseits zur Scheidung von Erzen wie Magnetit, Rostspat usw. Ferner werden schwachmagnetische Erze und Mineralien geschieden. Andere Anwendungsgebiete des Magnetismus stellen die sogenannten Hebe- und Transportmagnete dar. Schließlich wird in den Maschinenfabriken und ähnlichen Industriezweigen auch der Magnetismus zum Aufspannen von Werkstücken während der Bearbeitung vielfach benutzt.

Es sei nun noch ein wichtiges Gebiet herausgegriffen, das ist das Heizen und Kochen mit Elektrizität. Nicht nur in der Industrie und im Handwerk, wo viele Maschinen, Hilfsapparate usw. elektrisch beheizt werden, sondern auch im Hause findet die Elektrizität mehr und mehr Anwendung. Das elektrische Kochen hat so viele Annehmlichkeiten, daß es sich immer mehr einführt. Die Sauberkeit, der Fortfall der Luftverschlechterung, die schnelle Betriebsbereitschaft und bequeme Regulierbarkeit sind neben höchster Feuersicherheit Eigenschaften, welche die elektrische Küche nicht nur in das Haus des wohlhabenden Mannes eingeführt haben, sondern auch in dasjenige des Arbeiters und des kleinen Mannes auf dem Lande. Besonders durch die schnelle Ausdehnung der Überlandzentralen ist jetzt auf dem Lande vielen die Möglichkeit gegeben, elektrisch zu kochen und dadurch den Herd nur noch für die Herstellung großer Mahlzeiten heizen zu brauchen. Ebenso wird auch heute schon von der elektrischen Beheizung von Räumen und einzelnen Apparaten Gebrauch gemacht, namentlich wenn es sich um kurzzeitige Benutzung handelt. Der transportable elektrische Ofen wird überall angenehm empfunden, wenn es sich darum handelt, schnell Wärme zu spenden. Das elektrische Bügeleisen, die Brennschere, der Haartrockner und der Warmwasserapparat sind heute im modernen Hause kaum noch entbehrlich. Hierzu gesellen sich noch die elektrischen Antriebe im Hause für den Aufzug, für die Entstaubungsanlage, die Waschmaschine, Nähmaschine, Bohnermaschine, Kühlanlage, Wasserversorgung und der Küchenmotor zum Antrieb der Haushaltungsmaschinen.

Schließlich seien hier noch die Blitzschutzanlagen erwähnt, welche zwar nicht dazu dienen, die von Menschen erzeugte Elektrizität zu regulieren oder zu verwenden, sondern die in der Natur entstehende Elektrizität für den Menschen und seine Wohnungen schadlos abzuleiten. Der Bau von Blitzschutzanlagen geht bis auf das 18. Jahrhundert zurück. Die Anwendung der Blitzableiter hat sich allerdings nur langsam Bahn gebrochen, so daß auch jetzt noch die Zahl der durch Blitzableiter geschützten Gebäude eine verhältnismäßig [578] geringe ist. Die Folge davon ist, daß der durch Blitzschlag verursachte Schaden außerordentlich hoch ist. In jedem Jahre werden in Deutschland Objekte im Werte von ca. 12 Millionen Mark vernichtet. Durch die Anwendung geeigneter Blitzableiter würde es möglich sein, den größten Teil dieser Werte zu retten. Der Elektrotechnische Verein hat in dankenswerter Weise bereits im Jahre 1901 „Leitsätze über den Schutz der Gebäude gegen den Blitz“ aufgestellt, bei deren Befolgung man mit großer Wahrscheinlichkeit vor Schaden gesichert sein wird. Wenn man diese Leitsätze, sowie die dazu im Jahre 1913 herausgegebenen Erläuterungen und Ausführungsbeispiele befolgt, wird man mit geringen Kosten wirksame Schutzvorrichtungen erzielen und so erreichen, daß erhebliche Beträge in jedem Jahre dem Nationalvermögen erhalten werden können.


  1. Die gemischt privaten und öffentlichen Unternehmungen auf dem Gebiete der Elektrizitäts- und Gasversorgung und des Straßenbahnwesens, Seite 186.
  2. Siehe ETZ 1913, Seite 528.
  3. ETZ 1913, Seite 588 ff.
  4. Archiv für Post und Telegraphie 1912, Seite 646.
  5. Technik und Wirtschaft 1013, Heft III u. IV.