Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/123

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

solche Umständlichkeit und Kostspieligkeit der elektrischen Beleuchtung, daß von einer ausgedehnten industriellen Verwendung derselben, an Stelle des Gases, keine Rede sein wird“. Weiter wird in dieser Schrift ausgeführt: „Zugleich haben angestellte Berechnungen die Unmöglichkeit ergeben, jemals größere Distrikte von einer Zentralstation aus elektrisch zu beleuchten, weil die Kosten der Kupferdrahtleitungen nicht im einfachen Verhältnis, sondern im Quadrat der Entfernung wachsen und somit für längere Leitungsstrecken geradezu unerschwinglich werden. Auch läßt sich die Elektrizität nicht, in ähnlichem Verhältnis wie Gas, aufspeichern und dem unendlich wechselnden Konsum der verschiedenen Tages- und Jahreszeiten anpassen, sondern die Apparate und Motoren müssen in ihrer Leistungsfähigkeit stets auf die augenblickliche Befriedigung des höchstmöglichen Beleuchtungsbedürfnisses berechnet sein. Alle diese und noch viele andere Umstände, welche eine irgendwie umfangreiche Konkurrenz der elektrischen Beleuchtung im eigentlichen Gebiete des Gases undenkbar erscheinen lassen, beruhen aber im wesentlichen auf Naturgesetzen, an denen kein Erfinder etwas ändern kann.“ Die Beurteilung der Starkstromtechnik ist jetzt allerdings eine etwas andere. Es ist besonders interessant, zu sehen, wie sich gerade in den Kreisen der Gastechniker die Ansichten geändert haben. Direktor W. Eisele-Kassel schreibt z. B. in seinem Aufsatz „Die Zukunft des Leuchtgases“, Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1911, Seite 97 folgendes:

„Wir Gasfachleute erkennen das gerecht und neidlos an. Wenn wir aber sehen, wie sich der elektrische Strom Aller Gunst erfreut, sich entwickelt und uns von unseren Abnehmern für Licht und Kraft beharrlich Schritt um Schritt die besten entzieht, dann kann der Gasfachmann, der nicht reiner Optimist ist, sich der bangen Frage und eines Versuches ihrer Beantwortung nicht entziehen: Wie wird sich die Zukunft unserer alten blühenden Leuchtgasindustrie gestalten? Wird sie durch ihre jüngere, schönere Schwester, die Elektrizität bedroht und zur Aschenbrödelrolle verurteilt werden? Werden auch wir über kurz oder lang zu den Opfern zählen, über die eine neuere Entwicklung schonungslos hinwegstürmt?“

Die durch die letzteren Worte gekennzeichnete hohe Bedeutung der Starkstromtechnik hätte nicht erreicht werden können, wenn die Elektrizitätsanwendung sich auf die Beleuchtung beschränkt hätte. Dies Anwendungsgebiet hätte fraglos sich zu hoher Blüte entwickelt dank seiner hervorragenden, alle anderen Beleuchtungsarten übertreffenden Eigenschaften. Es wäre aber immerhin die Bedeutung der Elektrizitätsanwendung eine wesentlich geringere geblieben als sie heute ist, wenn nicht die Kraftverteilung auf elektrischem Wege allmählich immer mehr Bedeutung gewonnen hätte. Die Elektrizitätswerke waren im Anfang wesentlich Beleuchtungswerke. Noch im Jahre 1895, in welchem die erste Statistik über die Elektrizitätswerke veröffentlicht wurde, betrug der Anteil des Kraftanschlusses am Gesamtanschluß nur 14%. Ganz anders liegen die Verhältnisse heute, wo der Kraftbetrieb schon den überwiegenden Teil der Leistungsfähigkeit der Elektrizitätswerke in Anspruch nimmt. Welche Bedeutung der Elektromotor jetzt für Industrie und Gewerbe hat, geht am besten aus einer Äußerung des rheinisch-westfälischen Provinzial-Tischler-Verbandes hervor. Dieselbe lautet:

„Heute können wir die erfreuliche Tatsache verzeichnen, daß selbst kleine Handwerksbetriebe bis zu vier Gesellen sich in steigendem Maße des maschinellen Werkzeugs

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/123&oldid=- (Version vom 20.8.2021)