Beytrag zur Geschichte der Schwärmerey

Textdaten
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Autor: Anonym
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Titel: Beytrag zur Geschichte der Schwärmerey
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 3, S. 526–545
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1791
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
s. a. Miscellaneen (Journal von und für Franken, Band 5, 2)#1
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II.
Beytrag zur Geschichte der Schwärmerey.

Vor drey Jahren starb zu K.. im Hohenlohischen ein Schneider, dem es eingefallen war, ein Prediger der Buße und Verdamniß zu seyn. Hier sind einige Pröbchen seiner Bußpredigten.

„Verfehlt ihr einmahl den Weg zum Leben, so müßt ihr ewig verloren seyn, weil keine Erlösung nach diesem Leben mehr für euch übrig, und ihr die Gnadenzeit vorbey streichen lassen; weil ihr euch um den Himmel wenig bekümmert, so habt ihr auch keinen Theil an der Seeligkeit. Keinen Theil habt ihr an der Seeligkeit, weil ihr das Irdische dem Himmlischen vorgezogen, und| den nicht im Glauben ergriffen, der euch doch die Seeligkeit erworben.

Darum werdet ihr auch von Gott verstossen, nicht auf eine Zeit, sondern in alle Ewigkeit.

Ob schon die Verdammten nicht ewig gesündigt, so werden sie doch ewig gepeinigt, weil sie nicht allein Gott, als ein ewiges, und unsterbliches Wesen beleidigt; sondern auch eine ewige Erlösung, die durch Christum geschehen, und eine ewige Seeligkeit verworfen haben; ja auch, weil sie noch im Tode den Willen gehabt, ferner zu sündigen, wenn nicht der Tod darzwischen gekommen wäre.

Daher das Aufhören zu sündigen, nicht dem Willen der Gottlosen, als welche immer fort sündigen wollen, sondern dem Tode zuzuschreiben ist, als der es ihnen, nicht mehr, auch wider ihren Willen, verstattet hat.

Denn stirbt einer als ein Hochmüthiger, so behält er auch im Tode einen hochmüthigen Sinn; und wenn nicht der Tod darzwischen käme, so würde er immer im Hochmuth fortfahren.

Stirbt er als ein Geitziger; so stirbt er wohl, aber nicht sein Geitz, maßen er| ein geitziges Gemüth mit von der Welt hinweg nimmt.[1]

Und so geht es auch, mit allen andern Sünden.

Daher bedenkt es wohl ihr Weltkinder oder Heuchler, was euch dermahleins begegnen soll. Schauet hinein in die Hölle, die euch vorgestellt worden; so wird euch die Hitze derselben entgegen schlagen; und der Rauch der in solcher aufsteigt, euch erschrecken; wenn ihr recht hinein schauet. Ihr wollt in der Welt für gute Christen gehalten werden, und seyds doch in der That nicht, sondern Heuchler. Was hilfts euch, daß ihr euch in der Welt so verstellt habt, da ihr doch dort verworfen werdet? Was hilft es, daß ihr nach eurem Tod, in der Welt, durch allerhand Lobreden, als fromme und seelige, seyd herausgepriesen worden, da ihr doch unseelig von der Welt abgeschieden seyd?

Zu Paris war Anno 1080 ein vornehmer Professor Edimerus, der äusserlich ein frommes Leben führte, daß ihn auch viel deswegen sehr rühmten; aber in der That, und vor Gott, war es eine Heucheley. Als er nun in seiner verstellten Frömmigkeit dahin starb, und man ihn zu Grabe tragen wollte,| richtete sich die Leiche im Sarge auf, und sagte mit kläglicher Stimme: citatus sum; ich bin vor Gott citirt worden! Darauf legte sie sich wieder nieder. Als man den andern Tag das Leichenbegräbniß halten wollte, richtete sich die Leiche wieder auf, und sagte mit erschrecklicher Stimme: accusatus sum! ich bin verklagt worden! – Darauf lief alles Volk für Schrecken fort. Als man des dritten Tags die Leiche zur Erden bestatten wollte, richtete sie sich wieder auf, und fieng an mit gräßlicher Stimme zu schreyen: damnatus sum! Ich bin verdammt worden!

So gehet es allen Heuchlern nach dem Tode, daß sie ewig von Gott zur Höllenpein verstossen werden.

Darum nochmahls herbey, ihr Heuchler! die ihr eurem Gott nicht mit aufrichtigem Herzen dienet, noch euch auf dem rechten Himmelsweg befindet, sondern bisher auf dem breiten Höllenweg einhergegangen oder gelaufen seyd! Beschauet euer Losament recht, wo ihr künftig sollt einlogirt werden! Betrachtet euren unseligen Zustand, darein ihr gerathen werdet! Beherziget den elenden Zeitvertreib, den die Verdammten an dem Ort der Quaal haben. Wie| ihr oben gehöret, denket nicht, daß euch Gott was Neues machen werde! So gewiß er der hohe, wahre, unsterbliche und unendliche Gott ist, auch von Ewigkeit gewesen, ja in alle Ewigkeit seyn wird, so gewiß wird es allen in alle Ewigkeit so gehen, die in ihren Sünden fort gefahren, im Unglauben gestorben, und in ihrem Tode das Verdienst Christi, dadurch sie einzig und allein erlöset sind, nicht mit vor Gottes Gericht gebracht haben.

Sehet so einen traurigen Ausgang nimmt es mit allen denen, die der Welt dienen, die nur das Zeitliche suchen, aber das Ewige darüber vergessen, die nicht ringen, durch die enge Pforte einzugehen, nach der Ermahnung Jesu, sondern gehen mit den meisten den breiten Höllenweg; die da nur wollen Wollust haben, und ihre Herzen weiden, als auf einen Schlachttag, und sich um ihren Glauben, Himmel und Seligkeit wenig bekümmern, sondern im vollen Unglauben sterben. Jac. 5. v. 5.

Denn wer nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes! und abermahl – wer nicht glaubet, der wird| das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihn.

O Wehe dem, der ohne Glauben dahin stirbt! es wartet ein schreckliches Wehe auf ihn!!

Als der Straftag Jerusalems gekommen, und es von den Römern hart belagert war, rief einer, der auf der Mauer herum lief: Wehe! Wehe! Wehe! dir, o du armes Jerusalem!

O so muß ich billig auch ausrufen: Wehe! Wehe! Wehe! dir, o du armer verdammter Haufe, der du im Unglauben von der Welt abgefahren bist, wie trifft dich an dem großen Straftag der Gerechtigkeit Gottes, das Wehe, das über dich kommen ist!“ – –


Noch ein Pröbchen.
„Jener Jüngling, dessen in der Geschichte der Altväter gedacht wird, fiel in große Anfechtung, da ihm nicht anders für kam, als sähe er eine Waage, da in der einen Waagschaale seine Sünden, in der andern aber seine guten Werke lägen. Er wurde gewahr, wie die Waagschaale, darinnen die Sünden lagen, sehr schwer; die andre aber, darinnen sich seine guten Werke| befanden, sehr leicht war. Als er aber voll Furcht und Schrecken war, und zu Christo seufzte, sahe er einen Engel hinzutreten, zu der leichten Waagschaale, darinnen seine guten Werke lagen, der ein einziges Blutströpflein Christi in die leichte Waagschaale legte; siehe bald überwiegte sie die schwere Schaale, darinnen die Sünden lagen, und hatten einen großen Ausschlag, daß jene hingegen ganz leicht war! Darauf ihm alle Anfechtung verschwunden.

So siehe du auch in deiner Anfechtung mit Glaubens-Augen auf das vergossene Blut Jesu Christi; so wird dein Herz bald leicht werden!

     Jesu! dein blutrother Schweiß,
Dein betrübtes Zagen
Macht die schwarzen Sünden weiß,
Kann Wehmuth verjagen!
Menschen zaget nicht so sehr – – – – – –“

Das laßt mir einen Bußprediger seyn!

Man hat schon öfter die Frage aufgeworfen, (und sie zum Theil auch schon beantwortet) warum haben die Schuster so vorzüglich Anlage zur Schwärmerey?[2]

| Ich glaube, man kann sie auch in Absicht der Schneider aufwerfen. Denn die Geschichte der Menschheit lehret, daß beyde in diesem Punct al pari gehen. Das Phänomen ist so wohl für den Psychologen, als Politiker, immer wichtig.

Eine Ursache davon liegt offenbar in der besondern Art der Betriebsamkeit des Schneiderhandwerks selbst. Der Schneider arbeitet stets sitzend, und noch dazu mit überhangenden Oberleib; hat also bey der Profession, die er treibt, gar keine Bewegung im eigentlichen Verstande. Für die Gesundheit des Unterleibs ist seine Kunst also eine sehr gefährliche Kunst. Sie ist die Mutter von tausend Blähungen und verschlagenen Winden, die nicht nur, das so gewöhnliche, bleiche Schneideraussehen, diese Todenfarbe verursachen; sondern auch – was das schlimmste ist, Hang zur Schwärmerey, zur Geisterseherey, wenn diese Blähungen, (wie doch meistens der Fall ist), am Ende in den Kopf steigen.

Und hier hat der Schwindelkopf so manches Gelehrten, mit der unbedeutendern Schwärmerey des Schneiders einerley Quelle. Schade, daß Tissot für die letztern, nicht so gut schrieb, als für die erstern. Aber| der beste Arzt für beyde wäre – – – Kämpf.

Die zweyte Ursache dieser Schwärmerey, glaube ich, in dem Seelenlosen des Geschäffts und des Handwerks selbst zu finden. Die Schneiderey kostet kein Kopfbrechen; erfordert im ganzen nur Finger, aber keine Seele.

Denken kann der Meister nicht über ihr; aber denken muß er doch: denn Denken ist Bedürfniß für die Seele. Da er also den Stoff seiner Ideen nicht bey seiner Kunst und Gewerbe anspinnen kann, so sucht er ihn ausserhalb derselben anzuspinnen. Und wo soll, wo kann er dieß wohl? Seine ganze Kenntniß und Weisheit schränkt sie gemeiniglich auf einigen magern Religionsunterricht in der Jugend ein; oder auf Zeitungslectüre. Im letztern Falle wird er politischer Kannengiesser, in erstern Schwärmer und Bußprediger; weil, wie wir mit Fleiß gesagt haben, sein erster Religionsunterricht mager, das heißt, dazu gemacht war, ihn zum Schwärmer zu machen, falls ihm die Art seines Berufs Musse genug gab zum Sinniren.

Hiezu kommt noch drittens insbesondere der Ekel der Langenweile, der mit| der Schneiderkunst so genau verwebt und unzertrennlich von ihr ist. Man kann auch bey übrigens seelenlosen Künsten und Gewerben nichts von dieser ekeln Langenweile fühlen, wenn nur bey diesen Künsten und Gewerben selbst der Körper, durch die mechanischen Operationen derselben, in hinlängliche Bewegung und Activität gesetzt wird; als z. B. bey den Handwerkern der Schmide, der Schlosser, der Nagler, der Kupferschmide etc. So wie diese und ähnliche Künste einen stets freyen Umlauf des Bluts erhalten, für die Gesundheit des Leibes und der Seele sorgen, und durch eine gewisse Ermüdung des Körpers die Lust zum Grübeln und Hirngespinnsten vertreiben; so schwächt auch das Mechanische ihrer Kunstgriffe das Gefühl der Langenweile: denn ein jeder neuer Schlag ist beynahe neues Leben. Aber nichts von allen dem ist beym Schneiderhandwerk. Man berechne nur doch, – das Kleiderzuschneiden abgerechnet, doch auch dieses geschiehet immer nur nach einer und derselben Form; und hat die Mode auch Veränderungen erfunden, so liegt das neue Muster schon sichtbar vor dem Auge des Schneiders, und der Schneiders-Seele ist wieder nichts überlassen, als die treue Copie; – –| man berechne doch nur, sage ich, die neunzig mahl tausend Stiche, die der Schneider täglich thut, und wie damit sein ganzes Tagwerk erfüllt ist: man wird sich alsdann leicht eine Vorstellung machen können von dieser ekeln Langweile, die das unseelige Loos des Schneiders ist. Muß da Leib und Seele nicht verschrumpfen? Der Leib: weil ihn diese mechanischen Operationen gar nicht afficiren und angreifen. Die Seele: weil es immer das ewige Einerley ist, wobey sich weder etwas denken, noch empfinden läßt; wobey keine Kraft der Seele in Thätigkeit gesetzt wird.
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Er fühlt sie, der Unglückliche – fühlt sie mit Eckel diese lange Weile, und sucht sie zu vertreiben; und wodurch? – durch Lectüre? nein, das kann er nicht; dieß leidet die Art seiner Kunst nicht. Und gesetzt, er könnte es, so würde seine Lectüre recht dazu gemacht seyn, dem Geist seiner Schwärmerey Nahrung zu geben; denn er würde nur Postillen lesen, – und nur lesen können. Also bleibt ihm nichts übrig, als das eigene Beschäfftigen mit sich selbst, das Sinniren, das Grübeln. Der Faden dazu spinnt sich aber bloß an der Masse seiner kleinen Kenntnisse an: und diese bestehen| bloß wieder im Wuste unverdauter dogmatischer Sätze, die ihm sein Pastor in der Jugend beygebracht hat.
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Also nun viertens, zu dem Religions-System des Schneiders. Er spricht: „von einem im Glauben Ergreifen Jesu: – von einer Hitze, von einem Rauch der Hölle: – von einem ewig verstoßen werden von Gott, zur Höllenpein: – von einem breiten Höllenweg: – von dem einzigen Mittel der Erlösung durch Christum: – von einem Bringen des Verdienstes Christi für Gottes Gericht: – von einem einzigen Blutströpflein Christi, das wieder alles gut macht: von einem Richten der Glaubensaugen auf das vergossene Blut Christi!“ – – Dieß ist die Angel, woran die ganze Religion des Schneiders hängt; dieß ist der Mittelpunct, um welchen sich sein ganzes System dreht. Dabey denkt er sich alle Menschen als verloren und als eingefleischte Teufel. Und dieß hat er nicht aus seinen Fingern gesogen; er ist nicht selbst der Schöpfer dieser hochtönenden, aber nichts sagenden theologischen Gespinnste. Nein, sie lagen in seinem frühern Unterricht; sie wurden ihm tausendmahl vorgeleyert, bis sie unauslöschlich seinem Hirn sich eingruben: denn bis jetzt sind sie ja| noch die wesentlichsten Stücke des gewöhnlichen Kinder-Unterrichts in der Religion.[3] Dieß bringt mich also auf die Behauptung, daß selbst ein Grund der Schwärmerey mit im ersten Religions-Unterricht (wie er gewöhnlich ist) liege, und liegen könne. Ein Mann, der in seiner Jugend immer nur vom Glauben ergreifen Jesu, aber desto weniger von den Verpflichtungen zur Tugend; immer nur von ewiger Höllenpein, aber desto weniger vom eigenen seeligen Lohn des Bewustseyns, Gutes gethan zu haben, und von den Ansprüchen der Menschenliebe; immer nur vom Höllenweg, aber nicht von den Verpflichtungen der Christen bey unschuldigen, erlaubten Freuden und Ergötzungen; immer nur von der einzigen Erlösung durch Christum, aber nicht vom wahren Wehrt eigener Rechtschaffenheit und Frömmigkeit; immer nur vom Blutströpflein Christi, von der Ruchlosigkeit der Welt, von der Verdamniß der Menschen, vom Zorn Gottes etc. etc. ein Mann, sage ich, der in seiner Jugend nur immer davon gehört hat, immer angewöhnt wurde, sich unter Religion eigentlich nur heiliges Puppenspiel, unter Welt und Menschen sich aber das Verwerflichste,| das Abscheulichste zu denken, was man sich immer denken kann; ein Mann, in welchem, durch eine solche Art des Unterrichts, das Gefühl seines eigenen Wehrts, Menschenschätzung, Menschenliebe, Vertrauen auf Tugend, Rechtschaffenheit und Frömmigkeit, geschwächt wurde; der nur immer mit den crassen Ideen von ewiger Höllenpein, Feuer, Pfuhl und Rauch intimidirt wurde; den man frühe schon angewöhnte, Furcht vor Höllenpein zum Principium seiner Handlungen zu machen; der nichts vom Frohseyn, von der eigenen Schönheit, der eigenen Liebenswürdigkeit, dem eigenen Wehrt, dem eigenen Lohn der Tugend lernte; und statt Gottes sich als seines Vaters zu freuen, ihn vielmehr, wie der roheste Israelite, als zornigen und unerbittlichen zu fürchten, angehalten wurde; – – – ein solcher Mann; wie weit hat der noch zum Schwärmer? Und wenn er es wird, wird er sichs denn nicht zum ersten Beruf machen, der verdammten Welt Buße zu predigen?

Ich kann hier zwey Bemerkungen nicht ungenützt vorbey gehen lassen.

Der Schneider spricht nur immer von der Strafe des Bösen, aber nicht vom Lohn des Guten; immer nur von Höllenpein,| aber nicht von Himmels-Seeligkeit. Dieß hat er, nicht nur mit den Schwärmer, sondern überhaupt mit der Classe des niedern Volks gemein. Woher kommts, daß der gemeine Mann seine Gründe zu handeln immer mehr von der Furcht, als von der Hoffnung hernimmt? Woher kommts, daß ihn Strafen mehr reizen, und bewegen, als Belohnungen? Woher, daß Furcht vor der Hölle ihn weit mehr schreckt, als Hoffnung des Himmels ihn erhebt? Und daß er das gute, das er thut, mehr thut, um der Strafe zu entgehen, als den Lohn zu erhalten? Woher läßt sich dieser unedle Bewegungsgrund erklären?

Ich glaube aus drey Gründen!

Jeder dieser Gründe, ist wieder ein Weg zur Schwärmerey.

Erstlich wieder aus der Natur, aus der Art und Beschaffenheit des Religions-Unterrichts, schon in der Jugend. Werden denn gewöhnlich die Menschen nicht schon von Jugend auf intimidirt, dadurch, daß man ihnen ewig von Hölle und Höllenpein vorspricht? Werden denn durch diesen öffentlichen Religions-Unterricht die Menschen nicht angehalten und angewöhnt, die Gründe und| Bewegursachen ihrer Handlungen, weit mehr von Furcht, als Hoffnung herzunehmen? Spricht man denn nicht zehenmahl von ewiger Strafe der Sünden, ehe man nur einmahl von dem schönen Lohn der Tugend spricht? Bestehet denn die Kraft des Unterrichts (leider) nicht unendlich mehr darin, die Menschen durch Angst nieder zu drücken, als durch Gefühl der Würde und des Frohseyns zu erheben?
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Der zweyte Grund liegt in der Beschaffenheit der Bilder und der Vergleichungen selbst. Die Bilder von Himmels-Seeligkeit sind nur schwach, wenn man sie vergleicht mit denen von der Hölle! Der Reiz des Lohns steht nur im Schatten gegen der Furcht der Strafe. Gott wie craß sind diese so ganz übel verstandenen Bilder; und wie noch crasser werden sie gemacht, von den Brüdern weiland Joh. Melch. Gözzens. Feuer, Rauch der Quaal, Pein, nie sterbender Wurm – – – wie haften diese schwarzen Ideen! wie graben sie sich ein, in das Herz! Sie sind, zum Unglück, noch sinnlich empfundene Bilder, welches die Gleichnisse von himmlischer Glückseeligkeit, entweder gar nicht, oder weit nicht in dem Grade sind: und dieß macht ihre Wirkung| so lebhaft. Dazu kommt noch, billig zur Schande des öffentlichen Religions[-]Unterrichts selbst, daß man die Bilder für die Sache selbst nimmt, und unter Feuer sich wirklich Feuer, unter Rauch der Quaal sich wirklich Rauch, unter fressenden Wurm sich wirklich einen Wurm denkt.

Aber auch in der rohen Sinnlichkeit des Volks selbst liegt noch ein dritter Grund; diese crassen Bilder sind gerade diejenigen, die diese an der Glaubens-Masse klebende Sinnlichkeit ergreifen kann; die Bilder himmlischer Seeligkeit, haben mehr geistige Größe, und erfordern mehr Aufschwung, mehr Erhebung! Gerade diese rohere Sinnlichkeit ist die Ursache, warum für diese Classe der Menschheit das Principium der Furcht und Strafe heftiger und wirkender ist, als das Principium der frohen Hoffnung oder des Lohns. So nahm einst der Theokrat, für den grobsinnlichen Israeliten, die Gründe des Gehorsams und der Unterwerfung, mehr von Furcht, als Hoffnung, mehr von Drohung, als Verheißung, mehr von Strafe, als Belohnung her; und so war immer Sprache und Bild, in welche er seine Drohung einkleidete, crasser, sinnlicher, und derber, als das Bild seiner Verheißungen.

| Die zweyte Bemerkung ist diese:
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O Lehrer des Volks! entsinnlicht doch immer mehr die Religions-Wahrheiten vom Gewand spielender, mystischer, jüdischer, nichts sagender Bilder! Veredelt immer mehr euren Vortrag, reinigt immer mehr die Religion von ihren Schlacken, die ihr Irrthum, Unwissenheit, Sprach-Unkunde, und Aberglaube anhingen! Lehrt nicht spielend in Bildern, redet männlich in Worten, und verhunzet Jesu reine gesunde Lehre nicht. Merzt vorzüglich aus euren Lehrbüchern, Lehren und Sätze aus, die unserm Schneider den Kopf warm machten, die leicht Schwärmer bilden können, die die Seele durch falsche Ruhe einschläfern, und im Grunde nichts sagen, als leere Worte.[4] Sprecht im öffentlichen Religions-Unterricht nie mehr (denn wer versteht wohl das Zeug?) von einem Ergreifen im Glauben; nie mehr von dem Feuer, von dem Rauch der Hölle; nie mehr vom Breiten Höllenweg; nie mehr vom Bringen des Verdienstes Christi für Gottes-Gericht; nie mehr vom Glaubens-Aug; nie mehr von Blutströpflein Christi u. s. f. Denn noch einmahl, wer| verstehet wohl diese mystische Sprache? – Schläfert nie mehr die Menschheit ein; thut nie mehr der Tugend Gewalt an; erstickt nie mehr das Gefühl eigener Würde; benehmt nie mehr dem eigenen Trieb des Guten seine Kraft und Bestreben; schwächt nie mehr eigenes Frohseyn durch eure Wechselbriefe auf das Blutströpflein Jesu. Und müßt ihr ja vom Verdienst Christi sprechen; so vergeßt der Tugend nicht dabey, und des eigenen Wehrts derselben.

Das Wort Glauben, wobey ihr selbst oft nichts denkt, gehe nie mehr, oder selten mehr aus eurem Munde!

Übersetzt es, damit man es verstehe, je nachdem der Fall ist, und der Sinn es lehrt, durch christliche Religion; Annahme des Christenthums; Hoffnung und Zuversicht; Überzeugung in der Religion; Vertrauen etc. etc.

Am wenigsten intimidirt eure Zuhörer, noch ferner! Schreckt sie nicht durch Höllenpein! Ermuntert sie vielmehr durch Himmelshoffnung; wenn ja doch das Principium ihrer Tugend Interesse seyn soll. Lehrt sie aber (am besten) das Gute, das sie thun, um des Guten selbst willen thun; und lehrt sie vertrauen auf Tugend!

| Auf diese Art wird der Schwärmerey die Thür immer mehr verschlossen; hingegen dem Lichte und der Aufklärung immer mehr aufgethan werden.     Dixi.



  1. Wahrlich, sehr philosophisch!
  2. Z. B. in der Berliner Monathsschrift.
  3. Besonders da, wo ich schreibe.
  4. Wie nöthig ist diese Ermahnung unter dem Zenith, unter welchem ich vegetire!