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Artikel „Strauß, Jakob“ von Gustav Bossert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 535–538, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Strau%C3%9F,_Jakob&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 21:09 Uhr UTC)
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Strauß: Jakob St., Theologe, geb. zu Basel ca. 1480–85. Seine erste Bildung empfing St. wol in seiner Vaterstadt und war seit 1506 in Straßburg, nach Waldner auch in Wertheim, und an anderen Orten, ohne Zweifel auch in Horb am Neckar, als Schulmeister thätig. Im J. 1515 fühlte er das Bedürfniß, seine Bildung zu vollenden, und ging nach Freiburg, wo er 1516 [536] Lehrer der Philosophie wurde und die theologische Doctorwürde erwarb. Ueber den nächsten Jahren seines Lebens liegt noch ein Dunkel. Wir kennen weder seinen Aufenthalt noch den Weg, auf dem er der Reformation zugeführt wurde. Vor 1521 war St. wahrscheinlich nicht als Mönch, sondern als Stiftsprediger in Berchtesgaden. Begleitet von Christoph Söll, einem Gesellpriester, der dem Stift Berchtesgaden angehört hatte, dem späteren Straßburger Prediger, kam St. Anfang 1521 nach Tirol, und zwar nach Waldner zuerst nach Schwaz, wo er erst in der Pfarrkirche, und als ihm diese verschlossen wurde, auf dem anstoßenden Friedhofe predigte, aber die dortigen Barfüßer, besonders Bruder Michael aus dem ritterlichen Geschlecht von Brauneck, wirkten ihm entgegen, so daß St. sich genöthigt sah in das benachbarte Hall am Inn überzusiedeln. Wenn Waldner St. erst am 24. Juni 1521 in Hall erscheinen läßt, so ist das unhaltbar. Denn St. predigte dort schon an Pfingsten den 19. Mai über das Abendmahl in beiderlei Gestalt und den Mißbrauch der Beichte. Zuvor aber hatte er längere Zeit den zahlreichen Priestern in der Stille lateinische Vorlesungen über das Evangelium Matthäi gehalten, wofür ihm jeder Zuhörer 1 halben Gulden gab, während der Prediger zu S. Nicolai, Dr. Steph. Seligmann, ihn in seinem Haus beherbergte. Diese Vorlesungen brachten St. zu großem Ansehen. Bald begann er auf Veranlassung des Rathes in der Kirche des Frauenklosters zu predigen. Da diese aber bei großem Zulauf aus Stadt und Land nicht mehr genügte, überließ ihm Seligmann mit Erlaubniß des Rathes seine Kanzel in der Nikolaikirche. Bei günstigem Wetter mußte er im Freien predigen. Stürmisch griff St. die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche an und behandelte in der Fastenzeit 1522 die Lehre von der Beichte in 16 Predigten. Er mahnte das Volk die Messe, das Requiem und die Votivmessen zu meiden. Wo einer den Meßgottesdienst nicht meiden könnte, solle er das Leiden und Sterben Christi betrachten. Nunmehr wurde die Geistlichkeit St. gram und nannte ihn höhnisch den „Spitzgeist“. Die Altgläubigen riefen den Prediger des Barfüßerklosters in Schwaz, Michael v. Brauneck, herbei, der predigte, wer lutherische Bücher habe und doch zu Gottes Tisch gehe, sei ewig des Teufels. Der Bischof von Brixen, der alte Humanist Seb. Sprenz, verbot St. das Predigen, allein dieser, gestützt auf die Gunst von Rath und Gemeinde, kümmerte sich nicht um das Verbot; Seligmann kündigte St. die Herberge, aber ein Bürger nahm ihn auf, und das Volk sorgte für seinen Unterhalt. Auch der Inhaber der Pfarrei Hall, Dr. Ambr. Iphofer, Custos des Domstifts Brixen, der zugleich die reichen Pfarrpfründen Klausen und Bruck an der Mur besaß, erschien jetzt in Hall, um das er sich bis jetzt wenig gekümmert hatte, und erklärte in seinen Predigten die sieben Opfer, die Jahrtage, die Seelgeräthe und den Dreißigsten für lauter zum Heil nothwendige Dinge. In Gemeinschaft mit einem andern Abgesandten des Bischofs verbot er dem Rath noch einmal Namens des Bischofs Strauß’ Predigten und ließ am Sonntag Estomihi (2. März) durch zwei Gesellpriester dem eben von der Predigt heimkehrenden St. eine neue Citation vor das bischöfliche Gericht in Brixen angesichts des Volkes überreichen. Da entstand ein Auflauf; mit Mühe gelang es den Bürgermeistern das erregte Volk zu beschwichtigen. Der Rath sandte zu Gunsten des Predigers Gesandte nach Brixen und an die Regierung in Innsbruck. Diese wagte trotz der wiederholten Mahnungen des Bischofs nicht gegen St. vorzugehen, sondern suchte nur den Rath insgeheim zur Entlassung Strauß’ zu bewegen. Am 2. Mai 1522 erschien St. selbst mit etlichen aus Rath und Gemeinde vor der Regierung, die aber jetzt dringend auf seine Abfertigung und Verweisung drang, da der Bischof die Sache an den Kaiser und an den Erzbischof von Salzburg gebracht hatte. Am 4. Mai hielt St. seine letzte Predigt [537] im Freien und theilte hier dem Volk seinen Weggang mit, was Thränen und Empörung über die Geistlichkeit hervorrief. Es wäre St. leicht geworden, die Volksstimmung für sich zu benützen, aber er zog in der folgenden Woche in der Stille ab und ging zunächst nach Haslach (wahrscheinlich im Zillerthal), von wo er seinen Freunden in Hall einen kurzen christlichen Unterricht von erdichteten Bruderschaften zusandte. Dann wandte er sich nach Norden. Es scheint, daß er in Wertheim auf kurze Zeit weilte, um eine Stelle bei Graf Georg zu gewinnen, aber es gelang nicht. Nun ging er nach Wittenberg, wo er als Basileus doctor inscribirt wurde und sich mit dem aus Feldkirch in Vorarlberg stammenden Propst Bernhardi von Kemberg befreundete. Von Kemberg aus sandte er seinen Sermon „vom Sacrament des Leibs und Bluts Christi“ an die Haller. In Wittenberg scheint der Geistesverwandte Karlstadt auf St. besondern Eindruck gemacht zu haben. Ende 1522 wurde er Prediger in Eisenach, wo er bei einem großen Theil der Gemeinde und bei Herzog Johann, dem nachmaligen Kurfürsten, Vertrauen gewann und schon an Weihnachten der Disputation mit den Barfüßern in Weimar beiwohnte, deren Acten er herausgab.

Als kräftig ausgeprägter Charakter voll stürmischer Thatkraft, in der sich der Schweizer nicht verleugnete, ging St. hastig daran, die Messe abzuthun, die Bilder zu entfernen, das Fegfeuer und die alten Gebräuche zu bekämpfen und gegen die eingewurzelten Laster zu zeugen. Bald wurde er auch mit der Visitation in der Umgegend in Gemeinschaft mit Burkhard Hund beauftragt. Er zog auch Georg Witzel bei, den er zum Pfarrer in Wenigen-Lubnitz bestellt hatte. Sein ganzes Vorgehen mochte aber dem Schalten „eines Amtmanns oder Schultheißen gleichen“, wie ihm Just. Jonas vorwarf. Als gälte es plötzlich die ganze gesellschaftliche Ordnung umzugestalten (regna sua quaerit, sagte Luther von St.), wollte er mit dem Hofprediger Stein in Weimar das mosaische Recht wiederherstellen und nicht nur, wie die bisherige Kirche, das Zinsnehmen, sondern auch das Zinsgeben als unchristlich verbieten und forderte das Volk geradezu zur Verweigerung von Abgaben an Geistliche auf. Luther wurde erregt. Einen Bruch verhinderte Melanchthon, der schriftlich und mündlich auf St. mildernd einwirkte. Aber seine Schriften galten den unruhigen Geistern wie Grebel als „sehr evangelisch“. Auch die oberschwäbischen Bauern nannten 1525 St. unter den Predigern, welche „das göttliche Recht“ aussprechen sollten.

Im Bauernkrieg suchte St. mit dem Eisenacher Amtmann Hans Oswald zu beschwichtigen; er beschwor die Leute unter Thränen auf der Kanzel und sandte Witzel auf die Dörfer, um Frieden zu predigen. Die Bauern dankten ihm schlecht, sie wollten ihn in die Werra werfen. Aber auch den siegreichen Fürsten war St. verdächtig. Er wurde gefangen und nur seine demüthige Haltung wie sein gewandtes Auftreten retteten ihm nach der Schlacht bei Frankenhausen das Leben, aber nicht sein Amt. Er mußte in die Ferne ziehen. In Nürnberg sank er, geistig gebrochen und körperlich angegriffen, zusammen. Hier hörte er von dem Abendmahlsstreit und der Betheiligung Oekolampad’s. Der Augenblick, sich wieder einen guten Namen zu machen, schien gekommen. Er suchte Anschluß bei Brenz und den schwäbischen Syngrammatisten, aber Brenz behandelte ihn kühl. St. bot Oekolampad eine Disputation an, aber dieser schlug sie ab, indem er St. seine wissenschaftliche Unzulänglichkeit zu verstehen gab. Ohne entmuthigt zu sein, stürzte er sich, als er durch Vermittelung der Gattin des badischen Landhofmeisters Konrad v. Venningen Stiftsprediger in Baden-Baden geworden war, in eine litterarische Fehde mit Zwingli und Oekolampad. Er schrieb erst 1526 „wider den unmilden Irrthum“ Zwingli’s und suchte 1527 gegen Oekolampad die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl zu erweisen. Während Oekolampad den Gegner keiner Antwort [538] würdigte, antwortete Zwingli derb und grob, behandelte ihn als „deutschen Schulmeister“ und suchte ihn auch beim Markgrafen als aufrührerisch zu verdächtigen, während Joh. Schneewil von Straßburg St. mit Hohn überschüttete. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die nicht gerade würdige Behandlung durch die Schweizer und Straßburger St. verbitterte, den Markgrafen Philipp für die Einflüsterungen Balth. Merklin’s zugänglicher machte und 1528 zur Austreibung der zwinglisch gesinnten Prediger, wie Melch. Ambach und Joh. Mantel, führte.

Das Lebensende von St. ist noch dunkel. Sicher ist, daß er 1534 todt war. Nach Waldner kehrte er 1532 in schwerer Krankheit zum alten Glauben zurück und starb 1533. Es ist wol denkbar, daß der begabte, nicht unedle, aber stürmische, selbstbewußte Mann durch die nicht immer billige Behandlung von Seite seiner Gegner und die ihm allzu radical scheinende Reform gleich seinem Schüler Witzel ins Lager der Altgläubigen zurückgetrieben wurde.

Strobel, Miscellanea III, 1–44. – Schmidt, Jak. Strauß. Progr. des Realgymn. Eisenach, 1865. – Zeitschr. f. hist. Theol. 1865, 293. – Schmidt, Justus Menius I, 105. – Keim, Theol. Jahrbücher 1855, 216. – Vierordt, Gesch. der ev. Kirche Badens I, 247. – Hartmann u. Jäger, Brenz I, 157. – Bossert, Luther und Wütttb. 1883, S. 33 ff. – Theol. Realencykl., 2. Aufl., 14, 783. 16, 861 und Jahrb. des Protestant. in Oesterreich 1885, 155. – Waldner[WS 1] in der Zeitschr. des Ferdinandeums in Tirol 1882, 5 ff. – Schmoller, Die nationalökon. Ansichten der Reformatoren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dr. Franz Waldner (*21.10.1843 Gratsch bei Meran † 9.11.1917), Arzt und Kulturhistoriker (vor allem zur Musikgeschichte).