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Artikel „Grebel, Konrad“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 619–622, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grebel,_Konrad&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 12:38 Uhr UTC)
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Grebel: Konrad G., Humanist und Wiedertäufer, † vor Ende October 1526. Ein Sohn des Zürcher Rathsherrn Jakob G., entstammte G. einem angesehenen und begüterten zürcherischen Geschlechte. Der Vater, durch seine amtliche Stellung in den Besitz ausländischer Pensionen gelangt, ließ seine zwei Söhne, eben Konrad und Leopold, mit einem kaiserlichen Stipendium in Wien studiren. Von Wien, wo G. in Vadian’s Haus gelebt und Unterricht genossen hatte, empfahl sich derselbe 1517 Zwingli, begleitete dann 1518 Vadian nach der Schweiz zurück und vermittelte 1519 dessen Ehe mit seiner Schwester Martha. 1520 weilte er unter Glarean’s Aufsicht in Paris, führte aber, wie ein Brief an den Schwager nach St. Gallen darthut, ein höchst regelloses Leben; er hat dabei die Kühnheit, den eigenen Vater deswegen anzuklagen, weil derselbe eine französische Pension beziehe, da es ihm selbst nur so durch die Ueberlassung dieses Geldes von Seiten des Vaters möglich geworden sei, über seinen Stand hinaus verschwenderisch zu leben. Mit seinem Vater wieder versöhnt, kehrte G. nach Zürich zurück, ohne es aber im „heimathlichen Kerker“ allzu lange auszuhalten; vorübergehend mit päpstlichem Gelde nach Basel gehend, blieb er 1522, mit der Mutter eines 1520 geborenen Sohnes nunmehr ehelich verbunden, wieder in der Vaterstadt. Noch nannte ihn Zwingli in einem Briefe in diesem gleichen Jahre als „einen edeln und gelehrten Jüngling“ unter seinen Freunden; aber der Gedanke, durch eigene Schuld einer den eigenthümlichen Gaben gebührenden Stellung nicht theilhaft zu werden, ein Gefühl allgemeiner Mißstimmung ließen G. allmählig mit dem nach seiner Ansicht zu langsamen Gange der reformatorischen Angelegenheiten unzufrieden werden. Als 1523 innerhalb der evangelischen Partei zwischen den Besonneneren und den heftigen Stürmern, besonders wegen Zwingli’s maßhaltenden Auftretens hinsichtlich der Bilder und der Messe, eine Trennung sich anbahnte, war G. unter den Lenkern der radicalen Fraction: [620] auf der zweiten Disputation Ende October 1523 hat Zwingli, nach seinen Worten, „mit teuflischer Klugheit gegen die göttliche Vorschrift und der Pflicht eines Hirten nicht getreu“, „ein Mittelding“ geschaffen, und da der Reformator von einer Absonderung der „rechten Kinder Gottes“ zu einer „Kirche, die ohne Sünde wäre“, nichts wissen wollte, gingen jetzt G. und seine Anhänger selbständig vor. G., als der im Verlaufe der Bewegung seines Zieles zumeist bewußte, planmäßig anordnende Führer, war zunächst berathen durch den wegen seiner Kenntniß des Hebräischen für den geistigen Kampf unentbehrlichen Felix Manz, einen Zürcher, und für die volksmäßige Ausbreitung der Lehren und die Gewinnung der Massen wirksam unterstützt durch den nach seiner Kleidung als „Blaurock“ bezeichneten Graubündner Jörg; von den Anhängern unter den Geistlichen ging der Schwabe Röubli, als Priester an der Filialkirche des Großmünsters im Dorfe Witikon angestellt, im Frühjahr 1524 mit der Predigt gegen die Kindertaufe voran. Zwingli, welcher eine Zeit lang über die Frage der Taufe noch nicht mit sich im Klaren gewesen war und dieselbe mehr als eine Sache der äußeren Form behandelt hatte, erkannte nun, daß für die „Rottung“ dieser „Geistesmänner“ oder „Spirituöser“, wie sie anfangs hießen, die Wiedertaufe zum Abzeichen der Sonderkirche werden sollte, und nahm darauf gegen die Sectirer auch hierin offen Stellung ein. Es waren wol Anregungen Münzer’s für die Zürcher Radicalen hierbei ebenfalls maßgebend gewesen; denn am 5. September 1524 schrieb G. einen von sechs Genossen mitunterzeichneten Brief an Münzer, und als derselbe, von Thüringen nach Süddeutschland gekommen, im Herbst dieses Jahres zwei Monate auf dem von politischen und socialen Bewegungen erschütterten Boden des an das Zürchergebiet anstoßenden Klettgaues weilte, wurde er von Zürich aus besucht, besonders auch von G. Zugleich mußten durch diese persönlichen Berührungen die entschieden communistisch gefärbten Pläne gesellschaftlicher Umgestaltungen bei den Zürcher Bewegungsmännern festere Gestalt gewinnen, als das schon bisher in der Anfechtung von Zehnten und Abgaben, auch von manchen Kanzeln, geschehen war. Vorzüglich die Widerspenstigkeit einiger Familienväter von Zollikon, dem Nachbardorfe von Witikon, gegen die Kindertaufe, verschuldet durch den dortigen Prediger Brötli, gab 1525 den Anstoß zu Verhandlungen, vorzüglich zu einer öffentlichen Disputation im Januar, wobei Zwingli den in erster Linie gegen ihn auftretenden G. nun schon als das Haupt der Wiedertäufer erkannte. Den obrigkeitlichen Gegenmaßregeln zuwider, insbesondere gegen die nunmehr als kirchliche Vorschrift aufgestellte Ordnung der Kindertaufe, wagten sich jetzt G. und Manz weiter vor, indem sie im Februar nicht nur die Wiedertaufe wirklich zu vollziehen, sondern auch, ehe noch diese Frage staatlich geordnet war, das Abendmahl unter Einführung beider Symbole bei sich zu halten begannen, so daß jetzt der Rath, wie schon vorher mit Verweisung der Landesfremden, mit Gefangensetzung Einheimischer, im Besonderen der Täufergemeinde in Zollikon, wiederholt einschritt. G. aber suchte in dieser Zeit auch auswärts für seine Ansichten Boden zu gewinnen, so in Schaffhausen bei Dr. Hofmeister, und ebenso kamen Geistesverwandte von St. Gallen her zu ihm. Als dann G., welcher sich am 20. März bei einer zweiten Disputation nach Zwingli’s Worten gezeigt hatte, „als wäre der Messias schon vorhanden“, mit Manz, Blaurock und anderen Genossen, worunter auch Frauen, in schwerere Haft gelegt worden war, entzog er sich Anfang April zugleich mit ihnen durch Flucht der Gefangenschaft, worauf die Bewegung sich nach anderen Theilen des Zürchergebietes, besonders die südöstlichen Berglande, der Herrschaft Grüningen, und über dem Rheine in das Rafzerfeld, an der Klettgauer Grenze, verbreitete. Während nun aber mit der staatlichen Feststellung der Taufformel und der Einführung der Nachtmahlordnung auf das Osterfest [621] Mitte April, wie Zwingli selbst anerkannte, größere Ruhe in der dogmatischen Behandlung der Frage eintrat und die kirchliche Seite der Täuferei zum Abschluß der Entwickelung gelangt war, setzte sich dieselbe in eine um so engere Verbindung mit der dem deutschen Bauernaufstande parallel gehenden socialen Erschütterung, vornehmlich im Grüninger Amte. G. selbst schürte die vielleicht weniger durch ihn unmittelbar, als durch einzelne Sendlinge, auch durch die Pfarrer, besonders denjenigen von Hinwil, hervorgerufene Aufregung im Verlaufe des Sommers; doch außerdem erstreckte sich seine Wirksamkeit besonders auf die wilden Aeußerungen des täuferischen Wesens in und um St. Gallen und im Lande Appenzell. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er auch die stürmische Volksversammlung zu Töß am 5. Juni, in welcher der politische Charakter der Bewegung von 1525 für Zürich am meisten hervortrat, herbeiführen half; ebenso kam aber ferner der Einfluß aus Waldshut flüchtiger Täufer, nachdem Waldshut von den Oesterreichern endlich wieder erobert worden war, vorzüglich des früheren dortigen Pfarrers Hubmaier, im December im Zürcher Oberlande in beunruhigender Weise empor. Trotz der schärferen Maßnahmen der Obrigkeit und des thatkräftigen Vogtes von Grüningen, Berger, welcher sich beschwerte, er habe in den Sommermonaten bereits „für sechs Vögte“ Unruhen erlebt, dauerte der Widerstand fort. Zwar wurden im September Blaurock und G. von neuem verhaftet und nach Zürich geführt und dann im November nochmals eine öffentliche Disputation voran für die Leute von Grüningen veranstaltet, in welchem Gespräch Zwingli nach der allgemeinen Ansicht abermals den Sieg davon trug; aber die Hartnäckigkeit verlor sich nicht, wenn auch Einige zurücktraten. So schritt der Rath zu schärferen Maßregeln und setzte im Frühjahr 1526 die Strafe des Ertränkens auf den Rückfall. – Allein zwischen Zwingli und G., dessen Name übrigens von Ende 1525 an mehr zurücktritt, erhob sich noch ein zweiter Punkt des Gegensatzes. Im Kampfe gegen das Unwesen der ausländischen Pensionen war der Reformator mit dem Vater des „Erzwiedertäufers“, dem Rathsherrn Jakob G., welcher ihn einmal hatte ermahnen lassen, sich in politische Dinge nicht zu mischen, in heftigere Reibung gerathen, so daß er schon im Herbste 1525 sich in einem Briefe an Vadian heftig über dessen Schwiegervater beklagte: „Gewisse Schwiegerväter sind solche Leute, daß ich nicht nur wenig Hoffnung, sondern auch wenig Vertrauen auf sie setze“. Etwelche Verbindungen zwischen dem alten G. und der von seinem Sohne geführten Sache mochten sich vielleicht ergeben haben: jedenfalls galt es auch dem Vater des Wiedertäuferhauptes, als auf eine Predigt Zwingli’s hin der Proceß gegen den früher so hoch angesehenen Rathsherrn wegen Uebertretung des Pensionenverbotes auf Zwingli’s Betreiben hin eröffnet und der alte Mann, welcher bis zuletzt solches nicht verschuldet zu haben betheuerte, am 30. October 1526 mit dem Schwerte hingerichtet wurde. Sogar Bullinger sagt, daß viel davon geredet und vermuthet worden sei, daß dem Verurtheilten hernach am Leben nichts geschehen wäre, „so er nicht in Eil’ dahin gericht worden“. Der Sohn Konrad G., auf dessen Schultern nachweislich wenigstens ein Theil der Schuld jener von auswärts bezogenen Gelder haftete, hatte des Vaters Tod nicht erlebt. Nach der Aussage des St. Gallers Keßler war er in das Oberland (Rätien) gezogen und da zu Maienfeld in Graubünden an der Pest gestorben; derselbe Gewährsmann, der Freund Vadian’s, welcher sich übrigens nach seines Schwiegervaters Tod ersichtlich auf einen kühleren Fuß Zwingli gegenüber setzte, entschuldigt G. und ebenso Manz, daß sie an den gar zu groben Ausschreitungen, „Jrthumben und Fantasyen“, ihrer Anhänger ein großes Mißfallen gehabt hätten. Wohl nur durch seinen rechtzeitigen Tod war G. dem Schicksale von Manz entgangen, welcher wegen des Bruches seines Eides am 5. Januar 1527, [622] den Anderen „zu Furcht und Ebenbilde“, zu Zürich, bis zum letzten Augenblick standhaft bleibend, die Todesstrafe des Ertränkens erlitt; Blaurock wurde als Landesfremder durch die Stadt gepeitscht und unter Androhung ähnlicher Strafe aus dem Lande verbannt.

Vgl. gegenüber der noch nicht so vollständigen Darstellung bei Cornelius, Geschichte des Münsterischen Aufruhres, Bd. II. S. 18 ff., Mörikofer, Ulrich Zwingli, Bd. I. S. 273 ff. und Bd. II. S. 55 ff., besonders aber nunmehr die actenmäßige Forschung von E. Egli, Die Zürcher Wiedertäufer zur Reformationszeit (Zürich 1878).