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Artikel „Pruckner, Dionys“ von Karl von Stockmayer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 131–135, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pruckner,_Dionys&oldid=- (Version vom 28. Dezember 2024, 00:50 Uhr UTC)
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Pruckner: Dionys P., Clavierspieler, 1834–1896, wurde geboren zu München am 17. Mai 1834 als Sohn einfacher, aber wohlhabender Bürgersleute. Der Vater betrieb eine Bürsten- und Pinselfabrik und war nebenher ein tüchtiger Musiker, der es als Schüler des Flötenvirtuosen Theobald Böhm zu gediegener musikalischer Fertigkeit gebracht hatte. Pruckner’s Künstlerlaufbahn begann früh und war von Anfang an frei von allen Hemmungen und wichtigen Einflüssen, die der Entfaltung seines vielversprechenden Talentes hätten nachtheilig werden können. Mit 8 Jahren erhielt er den ersten Clavierunterricht von Organist Lasser, einem (angeblichen) Nachkommen von Orlando di Lasso. In seinem 10. Jahre wurde der tüchtige Clavierpädagog Friedrich Niest sein Lehrer. Zwei Jahre später spielte er zum ersten Male öffentlich in einem Concert des philharmonischen Vereins im Odeonsaale. In den Jahren 1846–1850 gewann er durch sein häufiges Auftreten in verschiedenen [132] Münchener Concerten Fühlung mit den bedeutendsten einheimischen Künstlern. Franz Lachner zog ihn oft zur Mitwirkung in den Aufführungen des „Hofmusikerkränzchens“ im Bayrischen Hof heran, wo der begabte Knabe mit dem Cellisten Joseph Menter, dem Clarinettisten Karl Bärmann, dem Bühnensänger Giulio Pelegrini, mit Moriz v. Schwind u. A. in anregenden Verkehr trat. Ignaz Lachner ertheilte ihm theoretischen Unterricht und Menter leitete das Zusammenspiel Pruckner’s mit seinen fast gleichaltrigen Freunden, dem nachmaligen Münchener Concertmeister Joseph Walter und dem Cellisten Hippolyt Müller. Seine frühe Reife bekundete der 15jährige Pianist durch sein Aufsehen erregendes Auftreten in einem Concert der musikalischen Akademie unter Franz Lachner’s Leitung und in einer Soirée im Hof- und Nationaltheater. Der gewissenhafte Vater erachtete jetzt den Zeitpunkt für gekommen, für seines Sohnes künstlerische Zukunft Rath und Urtheil bei den bekanntesten musikalischen Autoritäten einzuholen. Er reiste mit ihm im October 1850 nach Leipzig und führte ihn Moscheles, David, Brendel, Lobe und Rietz vor. Letzterer stellte ein Auftreten im Gewandhaus für das nächste Jahr in Aussicht. Ueber Kassel, wo Spohr besucht wurde, ging es nach Weimar. Am Vorabend seiner Abreise nach Eilsen zur Fürstin Sayn-Wittgenstein fand Franz Liszt noch die Zeit, sich von dem jungen Künstler vorspielen zu lassen und versprach ihm, nach seiner Rückkehr binnen Jahresfrist sich weiter um ihn zu kümmern. Im October 1851 spielte P. im Gewandhausconcert in Leipzig. Wichtiger noch als dieser erste bedeutende Erfolg war der häufige Verkehr mit Liszt, der um dieselbe Zeit in Leipzig weilte und sich mehr und mehr von Pruckner’s Tüchtigkeit überzeugte. Er nahm ihn als Schüler an und im November 1851 siedelte P. auf vier Jahre nach Weimar über. Die wunderbare Art von Liszt’s künstlerischer und persönlicher Einwirkung auf seine Schüler ist bekannt. Diejenigen, die das Recht und die Ehre haben, sich so zu nennen, danken ihm alle ihre Erweckung zu künstlerisch ausgereiften und geistig selbständigen Persönlichkeiten. Auch P. lernte nicht nur den Werth von Liszt’s unübertrefflicher pianistischer Ausbildung kennen, sondern gab sich dankbar dem Einfluß des als Künstler, Denker und Mensch gleichermaßen bewunderten Meisters hin, ohne etwa in den Fehler eitler Nachahmung der fascinirenden Eigenschaften Liszt’s zu verfallen. Denn gerade die Erweckung des persönlichen Elements in der Kunstauffassung des Einzelnen war es, was Liszt selbst einmal P. gegenüber „Schule machen im großen Sinne“ nannte. Pruckner’s maßvolles, schlichtes Wesen als Künstler, seine gewissenhafte, peinlich genaue Vortragsart, überhaupt sein bürgerlich bedächtiges und bescheidenes Auftreten stand zu Liszt’s genialer Größe von vorneherein scheinbar in einem gewissen Gegensatz. Liszt aber liebte die solide Tüchtigkeit Pruckner’s, zählte ihn bald unter seine Lieblingsschüler und sorgte auf jede Art für seine musikalische Fortbildung, indem er ihn, wo nur möglich, in seiner Umgebung festhielt und ihm Gelegenheit gab, sein an großen Aufgaben und auch an Kämpfen so reiches Leben zu theilen. Auch auf seinen Concertreisen durfte P. den Meister begleiten und erlebte so unter anderem die beiden denkwürdigen von Liszt geleiteten Musikfeste zu Ballenstedt (1852) und Karlsruhe (1853), nebst der sich an letzteres anschließenden Fahrt nach Basel zu Richard Wagner, der Liszt und seinen Getreuen Theile der soeben beendigten Nibelungendichtung vorlas. P. trat während seiner Weimarer Studienjahre mit all den bedeutenden Geistern in Fühlung, die Liszt’s vorbildliches Wirken auf dem Gebiete des musikalischen Fortschritts nach der kleinen Residenz gezogen hatte. Er half den „Neu-Weimar-Club“ im J. 1854 mitbegründen, der um alle Liszt’schen Anhänger ein gemeinsames geselliges Band schlang. Zweien der [133] Mitglieder dankte P. besondere Förderung; Peter Cornelius, der sein Lehrer in Composition und Harmonielehre war, und dem jungen Concertmeister Edmund Singer, dem Nachfolger Joachim’s in Weimar, mit dem er von nun an in mehr als 40jährigem ununterbrochenem musikalischem Zusammenwirken vereinigt blieb. Auch im Musikleben Weimars errang P. allmählich eine geachtete Stellung, namentlich in den Kammermusikabenden und den Hofconcerten, in denen er zusammen mit Liszt und gelegentlich auch als dessen Stellvertreter spielte und sich ehrenvollen Beifall beim Großherzog Karl Alexander und seiner kunstsinnigen Mutter Maria Paulowna erwarb. Im November 1852 nahm P. an den Festlichkeiten der für Weimars Kunstleben so berühmt gewordenen Berlioz-Woche theil, die Liszt veranstaltet hatte, um beim deutschen Publicum das Verständniß für den genialen französischen Tonsetzer anzubahnen. Auch P. kam mit Berlioz in Berührung, durfte ihm Liszt’s Esdur-Concert vorspielen und wirkte in jener historisch gewordenen Aufführung des „Benvenuto Cellini“ am Weimarer Hoftheater im Orchester mit, allerdings in bescheidenster Rolle: von den drei zu jener Zeit meistgenannten Schülern Liszt’s bearbeitete Bülow die große Trommel, Klindworth die Becken und P. handhabte den Triangel. Im April 1854 verlobte sich P. mit Lilly Kämpfer, seiner späteren Lebensgefährtin, die ihn um fünf Jahre überlebt hat.

Im Verlauf des Jahres 1855 näherte sich P. dem Abschluß seiner inhaltsreichen Weimarer Lehrjahre. Liszt sprach ihm eine gereifte Meisterschaft zu und rühmte ihn in Briefen an den Vater, an Bülow und die Fürstin Sayn-Wittgenstein als einen „erstclassigen Pianisten“ und ein hervorragendes Talent, auf dessen Zukunft er große Hoffnungen setze. Wenn Liszt hiebei zahlreiche Concertreisen mit glänzendem Erfolg im Auge gehabt haben sollte, so hat sich diese Hoffnung nur in bescheidenem Maße erfüllt. In P. wohnte kein Virtuosenehrgeiz und er hat nach kurzem Wirken in der großen Oeffentlichkeit auf den Ruhm eines wandernden Virtuosen verzichtet. Seine Begabung hätte ihm zweifellos diese vergängliche Berühmtheit gewährleistet, aber sein Meister hatte ihm ja selbst den Beweis geliefert, daß auch der gefeiertste Künstler des rauschenden Beifalls müde werden und sich mit Ueberzeugung in einen beschränkteren, aber an dauernden Erfolgen reicheren Wirkungskreis einordnen könne. Im November 1855 kehrte P. in seine Vaterstadt zurück, trat dort in mehreren Concerten mit beispiellosem Erfolg auf, so daß ihn die Presse in auffallender Uebereinstimmung für einen zweiten Liszt erklärte. Das Verhalten des Publicums gemahnte allerdings an die Aeußerungen frenetischer Begeisterung, wie sie vormals nur Liszt hervorzurufen im Stande gewesen war. P. entzog sich bald diesen lärmenden Triumphen durch seine Uebersiedlung nach Wien im Januar 1856. Früher angeknüpfte werthvolle Verbindungen, namentlich mit dem bekannten Musikverleger und Componisten Karl Haslinger, und der Wunsch, mit Czerny in nähere Beziehung zu treten, mögen diesen Entschluß bei P. veranlaßt haben. Ein hervorragender Liszt-Schüler, dessen Künstlerschaft in beinahe täglichem Umgang mit Liszt zu vielversprechender Blüthe gereift war und der trotzdem vom musikalischen Verkehr mit dem Wiener Altmeister in gewissem Sinne eine Steigerung seines Könnens erhoffte! – der Schritt erscheint nicht ganz folgerichtig. Liszt selbst aber hieß die Absicht gut, weil Czerny’s vielseitige musikalische Erfahrungen, wie er an P. schrieb, diesem praktisch und theoretisch nur von Nutzen sein könnten, und weil er seinen alten Lehrer immer noch als den gewiegtesten Beurtheiler pianistischer Leistungen schätzte. – Auch in und um Wien erregte P. in zahlreichen Concerten einmüthige Bewunderung, [134] obwol er sich damals schon als Solospieler zurückhielt und, seiner Neigung folgend, das Gebiet der Kammermusik im Verein mit erprobten Wiener Künstlern pflegte. Den Höhepunkt dieses Lebensabschnitts bildete der Besuch Liszt’s, der P. Ende August 1856 nach Pesth und zur Einweihung des Graner Doms mitnahm. P. war dort Zeuge der überschwenglichen Verehrung, die Liszt anläßlich der Aufführung der Graner Festmesse zu Theil wurde und ihm widerfuhr die Ehre, in dem großen Festconcert im Pesther Nationaltheater zusammen mit Edmund Singer als Solist mitzuwirken. – Schon im Mai 1857 kehrte P. wieder nach München zurück, wo ihm im Concertsaal die Gunst des Publicums treugeblieben war. Er unternahm in diesem und im folgenden Jahre mehrere Concertreisen in die benachbarten Städte und zum Musikfest in Wiesbaden. Ende 1858 erging an ihn der Ruf an die vor einem Jahre von S. Lebert, I. Faißt, L. Stark und W. Speidel gegründete Musikschule in Stuttgart, wohin er sich im December begab.

Vom 25. Jahre bis zu seinem Lebensende gehörte nun P. dem Lehrkörper dieser unter Faißt’s und Lebert’s thatkräftiger Leitung rasch emporblühenden Anstalt als deren hervorragendster Pianist und Lehrer der Meisterclasse an. Auch als ausübender Künstler beschränkte sich P. von nun an mit seltenen Ausnahmen auf Stuttgart. Nach Singer’s Berufung dorthin begründete er mit diesem und dem Cellisten Julius Goltermann im J. 1861 die Kammermusikabende, die sich als vornehmes Concertinstitut und als ein unentbehrlicher Factor im Stuttgarter Musikleben weitererhalten haben. Eines der frühesten Verdienste der drei Künstler war es, Schumann und Brahms in Stuttgart eingebürgert zu haben. – Mag bei P. ein gewisser Mangel an Selbstvertrauen, über den er vor seinem jedesmaligen öffentlichen Auftreten nicht Herr werden konnte, und eine überstrenge Gewissenhaftigkeit mit daran Schuld gewesen sein, daß er sein seltenes Können so wenig als Solist verwerthet hat und darum in weiteren Kreisen rasch vergessen wurde, so wird man doch, namentlich im Hinblick auf seine Leistungen als Kammermusikspieler K. Fr. Weitzmann unbedingt zustimmen müssen, wenn er P. in seiner Geschichte des Clavierspiels (1879) den Classiker unter den neueren Pianisten nennt. In Stuttgart jedenfalls war man sich allezeit des werthvollen Besitzes dieser vornehmen künstlerischen Kraft mit Stolz bewußt. Was Weitzmann an P. rühmte, damit stimmten auch die Berichte der Tagesblätter nach Concertaufführungen immer aufs neue überein: tadellose Reinheit des Spiels, vollständige Beherrschung der Technik, ungewöhnliche Größe des Tons, eine maßvolle Ruhe in der klar und organisch gegliederten Darstellung des musikalischen Inhalts und strengste Objectivität in der geistigen Auffassung des wiedergegebenen Tonwerks. Neben seiner Wirksamkeit als Clavierspieler und als Lehrer zahlloser Schüler war P. ein eifriger Förderer des Stuttgarter Tonkünstlerverein und leitete die intimen musikalischen Veranstaltungen am württembergischen Königshofe, die ihm von Seiten des Königs Karl und der Königin Olga manche ehrenhafte Anerkennung eintrugen, unter anderem die Ernennung zum Hofpianisten und Professor und die Verleihung der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Was an bemerkenswerthen Vorfällen sonst noch Pruckner’s Stuttgarter Zeit angehört, ist rasch aufgezählt. Im Jahre 1869 machte ihm Nikolaus Zaremba, der Director des Petersburger Conservatoriums, das Anerbieten, die Stelle des kurz vorher verstorbenen Alexander Dreyschock als Professor an der genannten Anstalt zu übernehmen. P. aber war schon zu fest mit seinem Beruf in Stuttgart verwachsen und lehnte den glänzenden Antrag ab. Nur einmal noch machte er sich auf zu einer Concertreise nach Amerika, die wohl [135] rascher zu Ende ging, als ursprünglich beabsichtigt war. Von December 1871 bis März 1872 gab er in New-York eine Reihe von Concerten, meist unter Mitwirkung des Violinvirtuosen Leopold Damrosch. Bei seinem wiederholten Auftreten in Tübingen, Heilbronn, Friedrichshafen, Karlsruhe und Mannheim erntete P. jedesmal bei Publicum und Presse ehrenvolles Lob, namentlich in den beiden letzteren Städten schätzte man ihn als einen Meister, um den Stuttgart beneidet wurde. – Mit Beginn des Jahres 1896 erkrankte er an einem Magenleiden, das ihn zwang, seine Thätigkeit im Concertsaal und im Conservatorium einzustellen. Eine in der Heidelberger Klinik unternommene Operation brachte die erhoffte Besserung nicht und kurz danach verschied P. am 5. December 1896. Zu seiner Bestattung im Heidelberger Krematorium trafen die Stuttgarter Collegen vom Conservatorium, voran sein ältester Freund Edmund Singer, ein. Einige Wochen später fand in Stuttgart eine öffentliche Gedächtnißfeier unter Mitwirkung von Pruckner’s Amtsgenossen und Schülern und unter großer Betheiligung der Freunde des Künstlers statt.

Nekrologe in den Tagesblättern. – Autobiogr. Notizen von Pruckner.