ADB:Julius (Bischof von Würzburg)
Julius Echter von Mespelbronn, Fürstbischof zu Würzburg (1573 bis 1617), geb. am 18. März 1545 (nicht 1544) im Schlosse Mespelbronn im Spessart (im jetzigen Bezirksamt Aschaffenburg gelegen). Sein Vater, Peter Echter von Mespelbronn, stand, wie mehrere seiner Vorfahren, in kurmainzischen Diensten, seine Mutter Gertrud war eine geborene v. Adelzheim, welches Geschlecht im heutigen badischen Franken seinen Ansitz hatte. Für die geistliche Laufbahn bestimmt, wurde J. bereits im November 1554 mit einem Canonicate an der Würzburger Domkirche versehen und mit einem eben solchen vier Jahre später am Domstift zu Mainz. Seinen ersten Unterricht hat er vermuthlich im väterlichen Hause erhalten; mit Bestimmtheit wird uns einer seiner Lehrer, M. Georg Amerbach, genannt, der eine fruchtbare Liebe zu den Wissenschaften in die Seele seines hochbegabten Zöglings gesenkt und dessen spätere Erhöhung noch erlebt hat. Die höhere Ausbildung hat J. an auswärtigen Anstalten gewonnen und nahezu 10 Jahre darauf verwendet. Er besuchte der Reihe nach die hohen Schulen zu Mainz, Köln, Löwen, Douai, Paris, Angers, Pavia und schloß mit einem Aufenthalte in Rom ab. Wenn J. hier auch in das von den Jesuiten geleitete Collegium Romanum eintrat, so wird die geläufige Ueberlieferung, daß er in demselben seine Erziehung erhalten, doch wesentlich eingeschränkt werden müssen, denn wie aus den Protokollen des Würzburger Domcapitels mit Sicherheit hervorgeht, darf auf seinen Aufenthalt in Rom höchstens ein Jahr gerechnet werden. Die grundlegenden Eindrücke hat er ohne Zweifel schon vorher in sich aufgenommen; gleichwol liegt auf der Hand, daß ein längeres Verweilen in der Hauptstadt der katholischen Christenheit in einer Zeit, in welcher die erfolgreiche katholische Restauration im vollen Gange war – es war in der Epoche Papst Pius V. – und unter dem Einflusse der angedeuteten Umgebung, nicht verfehlt haben kann, ihn in der bereits gewonnenen Richtung zu stärken und zu befestigen. Des Näheren hören wir nur, daß J. hier zum Licentiaten der Rechte promovirt worden sei; von besonderen Verbindungen aber, die er etwa in Rom angeknüpft, ist uns nichts überliefert. Spätestens im September 1567 ist er wieder nach Deutschland zurückgekehrt; noch im October d. J. meldete er sich zur förmlichen Aufnahme in das Domcapitel zu Würzburg und erhielt sie auch wirklich am 10. November, indem er zugleich die ihm in Mainz seiner Zeit zugefallene Pfründe festhielt.
Dieser Eintritt in das Würzburger Domcapitel ist der entscheidende Moment in dem Leben des J. Er trat hiermit auf den Schauplatz, auf welchem ihm eine Wirksamkeit vorbehalten war, wie sie für das Hochstift nicht gewaltiger gedacht werden kann, und von welchem aus er zugleich auf das Schicksal Deutschlands einen maßgebenden Einfluß ausgeübt hat. Das Hochstift Würzburg hatte in der Zeit seiner Abwesenheit die schwere Prüfung der Grumbachischen Befehdung über sich ergehen lassen müssen und stand noch unter den verwirrenden Nachwirkungen derselben. Zu gleicher Zeit hatte aber auch in der Diöcese, in der das alte Kirchenwesen in gründliche Zerrüttung und Gefährdung gerathen war, unter den Auspicien des Fürstbischofs Friedrich von Wirsberg (s. Bd. VII S. 60) im Zusammenhange mit den allgemeinen gegenreformatorischen Bestrebungen und unter der entscheidenden Mitwirkung der im J. 1561 berufenen Jesuiten die restaurative Bewegung begonnen, die freilich nur langsam voranschritt und zum Theile im Schooße des Klerus, ja des Domcapitels selbst auf Widerstand stieß. Wer die Geschichte des Hochstifts in dieser Zeit näher kennt, wird uns nicht widersprechen, wenn wir behaupten, daß es in jenem Momente noch ungewiß erscheinen konnte, ob die Zukunft des Hochstifts Würzburg der alten oder neuen Kirche angehören werde. Ob J. bereits mit einem fertigen Systeme in seine Heimath zurückgekehrt und in das Domcapitel eingetreten ist, [672] läßt sich nicht so leicht, als es wünschenswerth erscheint, entscheiden. Diejenigen jedoch, die geneigt sind zu glauben, er habe seine Grundsätze überhaupt noch nicht abgeschlossen gehabt, dürften einer bedenklichen Täuschung unterliegen. Keinem Zweifel unterliegt es, J. war eine ausgezeichnete, mit hohen Gaben ausgerüstete Persönlichkeit, zum Herrscher wie wenige berufen, voll geistiger und wissenschaftlicher Interessen, jetzt trotz seiner verhältnißmäßig jungen Jahre welterfahren und reif, in die Entwickelung der Dinge einzugreifen. Die Zustände im Hochstift wie im Domcapitel selbst waren so geartet, als erwarteten sie so oder so das Eingreifen eines entschlossenen Willens, der bei Halbheiten nicht stehen blieb. Obwol J. der Jüngste der Capitularen war, ist seine Bedeutung und Befähigung doch sofort erkannt und gewürdigt worden, was bei der geringen Anzahl an eifrigen und nicht schwankenden unter seinen älteren Collegen im Capitel nicht zu verwundern ist. Auch der Beifall seines launischen Fürsten, des Bischofs Friedrich von Wirsberg, ist ihm schnell geworden; der Fürstbischof scheint doch bald bemerkt zu haben, daß der junge Domherr für seine Restaurationspläne ein geeigneteres und bereitwilligeres Werkzeug werden könne, als die meisten übrigen Capitulare, die z. B. notorisch von der Berufung der Jesuiten nach Würzburg nichts weniger als erbaut gewesen waren und seine sich daran knüpfenden Maßregeln selten gern unterstützten, während sie auf der anderen Seite sein in der That schlechtes weltliches Regierungssystem, namentlich seine schlechte Finanzwirthschaft, auf Schritt und Tritt und unermüdet bekämpften. Genug, J. wurde schon ein halbes Jahr nach seinem Eintritte in das Capitel zum Domscholaster ernannt, eine Dignität, welche der Bischof zu regeln hatte. Aber auch seine Genossen im Capitel wußten ihn hinlänglich zu schätzen, zumal er unverkennbar vor der Hand vorsichtig und behutsam auftrat. So kam es, daß, als der bisherige Domdechant, Erasmus Neustätter zu Worms, ermüdet von den Schwierigkeiten seiner Stellung, endlich in unwiderruflicher Weise auf dieses sein Amt Verzicht leistete, die Wahl auf J. fiel, der damals (1570) kaum 25 Jahre zählte. Das Amt des Domdechants war bekanntlich das wichtigste im Capitel: er war der Vorsitzende, und die Summe der Geschäfte, geistlicher wie weltlicher Art, lag in erster Linie in seiner Hand. J. nahm nicht ohne Widerstreben, aber zunächst nur für die Dauer eines Jahres, an und ließ sich nach Ablauf desselben erst auf eifriges Zureden und gegen verschiedene Zugeständnisse – worunter auch die Vermehrung seiner Dotation – bestimmen, das Amt auch ferner fortzuführen. Aus der Zeit der Amtsführung J.’s – sie dauerte nicht viel über drei Jahre – sind besonders wichtige Dinge nicht hervorzuheben. Der neue Decan trat, so viel man sehen kann, vermittelnd zwischen den Fürsten und das Capitel, das vordem so verbitterte Verhältniß zwischen beiden gewinnt einen milderen Charakter –, nur ein und das andere Mal schlägt auch J. gegenüber der Ungefügigkeit des Fürstbischofs einen schärferen Ton an.
Da starb am 12. November 1573 Friedrich von Wirsberg und die große Frage der Wahl seines Nachfolgers trat in ihrer ganzen Bedeutung in den Vordergrund. In Rom hatte man diese Eventualität seit einiger Zeit ins Auge gefaßt und, von Mißtrauen gegen die Gesinnung der Majorität des Capitels erfüllt, Einleitungen getroffen, eine den herrschenden Tendenzen der kirchlichen Restauration entsprechende Wahl herbeizuführen. Und als das vorhergesehene Ereigniß nun endlich eingetreten war, wurden jene Anstrengungen erneuert und ermahnte Papst Gregor XIII. das Capitel auf’s dringendste, einen Mann zu wählen, dessen katholische Gesinnung keinen Zweifel übrig lasse und dessen Vergangenheit die nothwendigen Bürgschaften böte. Einen eigenen Gesandten schickte er jetzt zu diesem Zwecke als Vertrauensmann nach Würzburg, wie er bereits früher einen solchen in der Person Caspar Gropper’s dahin entsendet hatte. Man [673] hatte offenbar in Rom befürchtet, die Wahl möchte auf einen Mann von milderer und unabhängiger Denkungsart, wie etwa Erasmus Neustädter, fallen. In wie weit diese Befürchtungen begründet waren, ist mit Sicherheit nicht zu sagen, immerhin aber wurden jene Anstrengungen des Papstes von einem vollständigen Erfolge gekrönt. Die Wahl fiel auf den bisherigen Domdecan, Julius Echter, der erst im 29. Jahre seines Lebens stand und so in beträchtlich jüngerem Alter als je einer seiner Vorgänger oder Nachfolger zu dieser Würde gelangte. Von einem ausgesprochenen Widerstreben seinerseits bei dieser Gelegenheit ist nichts überliefert. Daß die Empfehlung von Seiten der Jesuiten, bez. des Rectors des Jesuitencollegiums in Würzburg bei dieser Wahl mitgewirkt, beruht nicht etwa blos auf einer Vermuthung, sondern dürfte aus einem Schreiben Caspar Gropper’s (bei Theiner, Annales eccl. I. p. 235) mit Gewißheit hervorgehen. Auch der Einfluß des streng kirchlichen Herzogs Wilhelm V. von Baiern – mit dem J. dann auch später eng verbunden blieb – wird mitgewirkt haben; er hatte zu der Wahlhandlung einen besonderen Gesandten geschickt, der sicher einen ganz anderen Auftrag hatte, als man in Würzburg argwöhnte, für die Wahl des Prinzen Ernst zu arbeiten. J. mußte sich wie seine Vorgänger seit längerer Zeit eine Wahlcapitulation gefallen lassen; die zahlreichen Bestimmungen derselben beziehen sich meistens auf die Sicherung der Rechte und Prärogative des Domcapitels an der Regierung des Hochstifts u. dgl. und haben den Zweck, dem Neugewählten die nöthigen constitutionellen Schranken zu ziehen. Außerdem dürfte hervorzuheben sein, daß J. sich verbindlich machen mußte, binnen einem Jahre Priester zu werden, wozu er bisher allerdings keine Neigung gezeigt hatte, ein Versprechen, dem er dann auch nachgekommen ist. In Bezug auf die kirchlichen Zustände im Hochstift wurde ihm allerdings eine sorgfältige Ausübung seiner episcopalen Pflichten, periodische Visitationen des Sprengels, Wiederherstellung der in Abnahme gekommenen Klöster, die Schaffung eines stattlichen geistlichen Rathes auferlegt; den letzteren solle er mit tauglichen und gelehrten Katholiken besetzen und mit ihnen besonders die eingefallenen irrigen Lehren und Spaltungen berathen; überhaupt solle er auch in Sachen womöglich katholische Beamte anstellen. Doch waren alle diese Punkte milde genug gefaßt und man könnte wenigstens nicht behaupten, daß dem neuen Fürstbischofe von seinen Wählern eine so gründliche Restauration, wie er sie später durchführte, zugemuthet worden sei.
Wie dem aber sein mag, die Würfel waren gefallen: das Hochstift hatte wieder einen Herrn und es kam nun darauf an, in wie ferne die Hoffnungen und vielleicht auch Befürchtungen, die seine Wahl erweckt hatte, sich verwirklichen würden. Im Hochstift selbst und in den Capiteln rief seine Erhebung zum mindesten keine ausgesprochene Theilnahme hervor, weil er, seiner Natur gemäß, zurückgezogen gelebt hatte und die Wenigsten viel von ihm wußten. Nach außen hat die Wahl des Neueingeweihten sogar überrascht; in den gelehrten Kreisen, wie Cisner an den Leibarzt Johannes Postheus schreibt, hätte man eher an die Erhebung Erasmus Neustetter’s oder Gotfried’s von Limburg gedacht; aber diese Stimmen überlegten freilich nicht, daß gerade Männer dieser Art und Denkungsweise grundsätzlich übergangen werden sollten. Man kann indeß nicht sagen, daß J. schon in der ersten Zeit gleich als der hervortrat, als welcher man ihn später kennen gelernt hat; aber allerdings widerspricht auch nichts von den Schritten, die er zunächst gethan, dem Bilde, das wir uns von ihm zu machen pflegen. Man darf annehmen, daß er anfangs, was die brennende Frage anlangt, grundsätzlich behutsam vorwärts ging, so gewiß er auch damals schon genau wußte, was er wollte. Daß er sich in der Hauptstadt und überall im Lande huldigen ließ, verstand sich von selbst; nicht weniger, daß [674] er durch Gesandtschaften die nöthigen Schritte that, sich vom Kaiser und Papst die Bestätigung zu erwirken, und sich als Bischof consecriren zu lassen. Es ist übrigens Thatsache, daß er durch seinen Gesandten in Rom bei dieser Gelegenheit im Sinne der kirchlichen Restaurationspolitik Verpflichtungen einging, wie sie damals eben jedem Neugewählten auferlegt wurden. Ebenso setzte er sich mit den umliegenden Fürsten in Beziehungen und erhielt schon im J. 1575 von den drei geistlichen Kurfürsten Besuch auf dem Marienberg. Die allgemeinen Angelegenheiten des Reichs faßte er überhaupt sofort eifrig ins Auge; das Schicksal und der Fortbestand des Landsberger Bundes nahm gleich jetzt seine volle Theilnahme in Anspruch und schon im Juni 1574 bemühte er sich für die Befestigung und Ausbreitung des Bundes, in welchem er offenbar eine wesentliche Stütze der konservativen Interessen im Reiche erblickte. Die innere Regierung anlangend, erließ er, ein im eminenten Grade organisirendes Talent, wie er war, eine neue, höchst specificirte Kanzleiordnung, die ein beredtes Zeugniß für seine Neigung zu einer streng bureaukratisch geordneten Behandlung der Geschäfte ablegt. Die kirchlichen Angelegenheiten betreffend, ließ die Art und Weise, wie er in die verworrene Lage des Klosters Banz eingriff, keinen Zweifel über seine Absichten. Und schon legt er Hand an die Erweiterung und Reorganisirung des von seinem Vorgänger gegründeten geistlichen Seminares und erwirkt bereits im J. 1575 die kaiserliche und päpstliche Bestätigung der von ihm beabsichtigten Gründung einer hohen Schule in Würzburg, der allerdings Friedrich von Wirsberg durch Errichtung einer sogen. „Partikularschule“ ebenfalls schon vorgearbeitet hatte. Man konnte sich nicht täuschen, ein neuer, schöpferischer, aber auch selbständiger Geist machte sich bereits überall und in allen Zweigen der Staatsverwaltung bemerkbar und alle Maßregeln, die er traf, athmeten einen hohen, das Kleine wie das Große umspannenden Sinn. Die finanziell-wirthschaftliche Lage des Hochstifts forderte ganz besonders seine Thätigkeit und Fürsorge heraus: in dieser Richtung hatte sein Vorgänger, wie schon angedeutet, ihm eine bedenkliche Erbschaft hinterlassen und gerade auch hier hat J. in genialer Weise eingegriffen und der eingerissenen Zerrüttung Schritt für Schritt und durchgreifend gesteuert. Auffallender Weise war man in Rom mit der Thätigkeit des neuen Bischofs vorerst nicht ganz zufrieden. Während J. die weltlichen Angelegenheiten wie die geistlichen zum Gegenstande seiner Sorgfalt machte, wurde er vom Papste Gregor XIII. noch im Dezember 1575 ziemlich unverblümt der Säumigkeit in der Erfüllung seiner oberhirtlichen Pflichten und der gemachten Zusagen bezüchtigt. Und in ähnlicher Weise wendete sich der Papst an das Domcapitel, mit der Aufforderung, den Bischof, falls es nöthig sei, in dieser Richtung anzuspornen. Was die Curie aber dabei im Auge hatte, war die strikte Durchführung des Systems, wie es aus dem Tridentiner Concil hervorgegangen war. Und insofern muß man wol zugeben, daß all die restaurativen und gegenreformatorischen Maßregeln, wie sie J. später unerbittlich und mit Erfolg durchgeführt hat, durchaus nicht seine Erfindung, sondern nur die Anwendung eines gegebenen Systems auf seine Diöcese waren. Was ihm aber hierbei eigen angehört, ist die Thatkraft und Folgerichtigkeit, mit welcher er seiner Zeit in seinem Falle gegenüber den nicht geringen Schwierigkeiten zu Werke ging, und der Scharfsinn, mit welchem er die Mittel und Werkzeuge zu finden wußte, welche die Durchführung verlangte. Die Säumigkeit, die ihm jetzt von dem ungeduldigen Papste vorgeworfen wurde, hatte aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Grund nicht in einer etwa lässigen und unentschiedenen Gesinnung des Bischofs, als vielmehr in dem weiten Umfange der Gesammtaufgabe, die er sich gestellt hatte, die aber im letzten Grunde ohne Zweifel mit den Endzielen der römischen Restaurationspolitik zusammenfiel, aber auch mit [675] den Hindernissen, die ihm in seiner nächsten Umgebung entgegentraten. Das Domcapitel z. B. hatte er bei seinen Bestrebungen dieser Art keineswegs auf seiner Seite, weil dieses nach wie vor eine mildere Praxis vorzog, weil es die Jesuiten, an die er sich anlehnte, haßte, und überhaupt von seiner durchgreifenden, autokratischen Art wenig erbaut war. Aehnlich erging es ihm mit der Ritterschaft, die zum größten Theil der alten Kirche den Rücken gewendet hatte, und überdies von seinen absolutistischen Neigungen sich besonders bedroht fühlte. J. bedurfte gewiß nicht eines besonderen Stachels, wenn er auf dem Regensburger Reichstage von 1576, wo die delikate Frage der sogen. Nebendeclaration, von deren Anerkennung das Schicksal des Protestantismus in den geistlichen Stiftern abhing, im Sinne der römischen Anschauung, d. h. gegen ihre rechtliche Geltung votirte. Die Stiftung des seinen Namen führenden Spitals, zu welcher er in demselben Jahre, trotz des Widerspruchs des Domcapitels, das mit den vorhandenen Anstalten dieser Art auszukommen meinte, den Grund gelegt hatte, diente freilich nicht unmittelbar jenen Absichten und Wünschen, stand aber doch, bei Lichte besehen, in einem unverkennbaren Zusammenhange mit denselben. Wir wollen nicht unterlassen, daran zu erinnern, daß J. schon als Domdecan die Wahrnehmung gemacht haben wollte, daß jene verschiedenen älteren Anstalten nicht in der wünschenswerthen Sorgfalt verwaltet würden und darum ihren Zweck nicht in gebührender Weise erfüllten. J. war in dem Grade geneigt, seine eigenen Wege zu gehen, daß er in demselben Jahre 1576 sich zu einem Schritte entschloß, der, gewaltthätig und voll von Zweideutigkeiten, wie er war, in Rom unbedingt mißbilligt wurde und an welchen auch seine sonst unumwundensten Verehrer bis auf den heutigen Tag Anstoß genommen haben und nehmen. Wir meinen den berüchtigten Fuldaischen Handel. Im Hochstift Fulda hatte der damals regierende Fürstabt Balthasar von Dermbach die Reaction gegen den auch hier in der Ritterschaft und den Städten tief eingedrungenen Protestantismus mit rücksichtloser Strenge ins Werk zu setzen begonnen und dadurch eine allgemeine Erbitterung in der Höhe wachgerufen, daß die von ihm Bedrohten beschlossen, sich seiner um jeden Preis zu entledigen. Wenn sie sich aber zu diesem Zwecke mit dem Fürstbischof J. in Verbindung setzten und dieser auf ihre Anerbietungen einging, so durfte das mit Recht in Verwunderung setzen. Es kam aber in der That eine Verständigung zwischen ihnen zu Stande, kraft welcher sie sich dahin einigten, daß J. seine Mitwirkung zusagte, den Fürstabt zur Abdankung zu zwingen, und als Gegenleistung die Zusage erhielt, daß in der Form einer Personalunion eine ewige Vereinigung der Stifte Würzburg und Fulda gestiftet werden und zunächst J. als Administrator an die Stelle des Fürstabts treten solle. Diese Verabredung wurde in der That auch ausgeführt, der Fürstabt zur Verzichtleistung nicht in der löblichsten Weise unter J.’s persönlicher Mitwirkung gezwungen, die Vereinigung Fulda’s mit Würzburg vertragsmäßig vereinbart und dem neuen Administrator in aller Form von der Fuldaer Landschaft gehuldigt. Es begreift sich, daß dieser Vorgang im ganzen Reiche und darüber hinaus ungeheures Aufsehen erregte und daß alle Augen sich verwundernd und meist vorwurfsvoll auf J. richteten. Der unsanft genug bei Seite geschobene Fürstabt erfüllte das Reich mit seinen Klagen, der Kaiser (Max II.) wie der Papst antworteten mit einer unbedingten Verurtheilung des Geschehenen und Gregor XIII. forderte J. unter der Androhung des Bannes auf, die erschlichene Beute herauszugeben und den verdrängten Fürstabt wieder zu rehabilitiren. J. war aber keineswegs in der Stimmung, dieser Aufforderung nachzukommen. Er hatte noch im Juli in der Person seines Vicekanzlers Veit Kreyser einen eigenen Gesandten nach Rom geschickt, um den Papst über das Geschehene aufzuklären und seinen Schritt zu rechtfertigen. Während auf Seite der Katholiken [676] alle Welt der Meinung war, jener Vorgang könne nur den Protestanten zu gute kommen und nur im Interesse der protestantischen Sache sei der Fürstabt verdrängt worden – und diese Schlußfolgerung lag in der That am nächsten – stellte J. dem erzürnten Papste vor, nur im Interesse der katholischen Sache und des Stiftes Fulda habe er sich zu jenem Schritte entschlossen, um das Stift von den Gegnern und Feinden der guten Sache, d. h. doch der protestantischen Nachbarfürsten zu retten, denen es sonst unfehlbar in die Hände gefallen wäre etc. Die eine Thatsache hätte J. in dieser Richtung wenigstens für sich anführen können, daß er sich wol gehütet hatte, der Fuldaischen Ritterschaft den Gefallen zu thun und schriftlich zu versichern, daß er in Sachen der Religion ihnen freie Hand lassen wolle. Durch eine zweideutige Wendung hatte er die ungestümen Dränger beruhigt. Und ähnlich instruirte er seinen Gesandten nach Regensburg und zur Besprechung mit dem Cardinal Morone. Aber vergeblich: der Papst sprach die erwähnte Aufforderung und Androhung aus, während von Seite des Reiches, resp. des Kaisers, der ganze Vorgang für null und nichtig erklärt und anfangs 1577 das Stift Fulda unter kaiserliche Sequestration gestellt und der Herrschaft des „Administrators“ so ein rasches und nachhaltiges Ende gemacht wurde. Die Entscheidung der Rechtsfrage in diesem Handel, auch soweit J. dabei betheiligt war, wurde der förmlichen oberstrichterlichen Behandlung des Reichshofraths übergeben, die mit ihrem Spruche allerdings über ein Vierteljahrhundert – bis 1602 auf sich warten ließ, dann aber dem J. und der Fuldaischen Landschaft Unrecht gab und sie zum Schadenersatz verurtheilte. Es ist nicht leicht, über die Handlungsweise des Fürstbischofs in diesem Falle eine bestimmte Meinung auszusprechen und ein Verdict zu fällen, kann aber billiger Weise nicht umgangen werden. J. hat bei diesem Unternehmen eine vollkommene Niederlage erlitten und, wie erwähnt, zuletzt ausdrücklich Unrecht bekommen. Daß er ein dauerndes Gelingen jenes Versuches für möglich gehalten und so zu sagen seinen guten Ruf daran gewagt, kann uns allerdings an dem ihm sonst eigenen politischen Scharfblick irre machen, doch ist das nicht die Hauptsache. Er entwickelt zugleich bei dieser Gelegenheit eine Gewaltthätigkeit, aber auch Zweizüngigkeit, die seinen menschlichen Charakter nicht in die günstigste Beleuchtung setzen und ihn als einen Anhänger des Grundsatzes „der Zweck heiligt das Mittel“, erscheinen lassen. Seine ihn dabei bestimmenden Beweggründe anlangend, erscheint es uns kein Zweifel, daß der von ihm geltend gemachte Rechtfertigungsgrund, daß er Fulda nicht habe in die Hände der Gegner fallen lassen wollen, von seiner Seite ernsthaft genug gemeint war. Es erscheint uns daher als eine sichere Thatsache, daß die Bewegungspartei daselbst, wenn J. das Stift hätte behaupten können, eine bittere Enttäuschung erwartet hätte. Er würde, wenn wir uns nicht ganz in ihm irren, sowie er sich erst fest im Sattel fühlte, so wenig ihre religiösen als ständischen Freiheiten verschont haben. Protestantische Fürsten, wie z. B. der Landgraf Friedrich von Hessen, haben sich daher für die Vorgänge im Stift Fulda nicht erwärmen und nicht verstehen können, wie die Ritterschaft daselbst sich einem Manne, wie J., der eben doch auch ein „großer Jesuiter“ und von demselben „Teufelsgeschmeiß ganz und gar umgeben sei“, in die Arme werfen mochte. Das letzte und gewichtigste Motiv für J. war ohne Zweifel das Bestreben nach Machtvergrößerung und der Wunsch auf diesem Wege eine Reihe von Streitpunkten, die seit Jahrhunderten die Quelle fortgesetzter Reibungen zwischen den Stiften von Würzburg und Fulda waren, am leichtesten und endgiltig zu begraben.
Wer nun etwa glauben wollte, die Niederlage, die J. in diesem Handel erlitten, hätte sein Ansehen im Reiche erschüttert oder ihn in seinem einmal ergriffenen System irre gemacht, würde sich gründlich irren, so gut als jene, die da immer wieder behaupten, erst die Katastrophe Gebhards von Köln habe seinen [677] angeblichen Schwankungen in der kirchlichen Haltung ein Ziel gesetzt. J. hielt, was die Rechtsfrage anlangte, die Stellung oder die Ansprüche, die er in der Fuldaischen Sache erhoben, prinzipiell nach wie vor unentwegt fest. Gerade in dem nächsten Jahre ging er in der Reformirung des Clerus seines Sprengels ernsthafter vor, obwol ihn das Domcapitel dabei nicht nach Wunsch unterstützte. Bei diesem Vorgehen gerieth er mit der fränkischen Ritterschaft, die, wie wir wissen, zum überwiegenden Theile der neuen Lehre anhing, in einen Conflict, der allmälig eine um so schärfere Gestalt annahm, als diese der Meinung war, daß es sich für sie bei der Abwehr jener Maßregeln des Bischofs zugleich um die Vertheidigung ihrer von ihm bedrohten unabhängigen territorialen Stellung handle. J. würde aber schwerlich in dieser offensiven Weise schon jetzt vorgegangen sein, wenn er die Sympathie der Fuldaischen Ritterschaft durch Nachgiebigkeiten dieser Art festhalten zu müssen geglaubt hätte. Und darüber ließ man ihn ohnedem nicht in Zweifel, daß er den in dieser Frage einmal eingenommenen Standpunkt des päpstlichen Stuhles durch ein solches Vorgehen durchaus nicht alteriren könne. Papst Gregor XIII. lobte ihn zwar im Jahre 1577 gelegentlich darum, daß er heftige Angriffe, die von den Anhängern des verdrängten Fürstabtes gegen ihn ausgingen, ignorirt habe, nahm aber von der ausgesprochenen Verurtheilung nicht das mindeste zurück. Die Furcht, J. durch die ungeminderte Strenge in dieser Angelegenheit etwa zum äußersten zu treiben, kannte man in diesem Kreise darnach nicht: sie wäre auch Verschwendung gewesen. Im Sommer 1578 begab sich J. nach Wien, um am Hofe des Kaisers persönlich seine Sache zu führen und zugleich die Belehnung mit den Regalien zu erwirken. Der Kaiser Rudolf nahm ihn auf das freundschaftlichste und zuvorkommendste auf. In der brennenden Streitfrage erhielt J. zwar nicht das mindeste Zugeständniß, im übrigen aber und trotzdem gewann er das vollkommene Vertrauen Rudolfs. Die ungemeine Geschäftsgewandtheit und aber auch Zuverlässigkeit des Bischofs trat gerade auch hier jetzt in das rechte Licht und er wurde seitdem wiederholt in großen Angelegenheiten der Reichspolitik vom kaiserl. Hofe als Vertrauensmann benutzt und ausgezeichnet. So wurde er zunächst als kaiserlicher Commissar an den Deputationstag nach Worms entsendet, wo die Sache der im Aufstand begriffenen niederländischen Provinzen verhandelt wurde, und das Jahr darauf nahm er als Vertreter des Kaisers an dem Kölner Friedenscongreß Theil, der ihn den größten Theil des Jahres dort festhielt. Es war eine höchst glänzende Versammlung, die sich hier zusammenfand, der Congreß selbst aber endete bekanntlich ohne Ergebniß, zum lebhaften Bedauern des Kaisers, aus Schuld vor allem des spanischen Hofes, der von keinen Zugeständnissen an die Niederländer etwas hören wollte. J. nahm seinen Instructionen gemäß in diesen Verhandlungen einen vermittelnden Standpunkt ein, man hat aber kein Recht aus dieser seiner Haltung einen Schluß auf seine angeblich zweifelhafte katholische Gesinnung zu ziehen. Die Maßregeln, die er in diesem Jahre im Inneren seiner Diöcese traf, widersprachen aufs deutlichste und unbedingt einer solchen willkürlichen Voraussetzung. In dieser Zeit (1579) wurde die großartige Stiftung des Juliusspitals vollendet und dem Gebrauche übergeben, weiterhin das umgestaltete und reorganisirte geistliche Seminar dem Abschlusse nahe gebracht, geschahen die entscheidenden Schritte zur Gründung der Universität, die er trotz aller Hindernisse und des offenen Widerstandes des Domcapitels mit solcher Thatkraft förderte, daß am 2. Januar 1582 die feierliche Eröffnung stattfinden konnte. Der Widerstand des Domcapitels, der sich re bene gesta allmählig brach, hatte seinen Grund vor allem einerseits in dem allerdings oft eigenmächtigen Vorgehen des Bischofs und andererseits weil es den Jesuiten abgeneigt war und nur allzu gut wußte, daß die neue Gründung die Stellung der Jesuiten verstärken und zum guten Theile in ihre Hände gelegt [678] werden würde. Nimmt man dazu die Berufung der ersten Professoren und die 1587 publicirten Statuten der neuen Universität, so muß auch ein Blinder sehen, daß J. eine specifisch katholische Hochschule im ausschließlichen Sinne des Wortes gründen wollte, und daß ein solches Unternehmen unmöglich von einem Mann ausgehen konnte, der heute nicht wußte, ob er nicht morgen sich dem Protestantismus in die Armee werfen sollte! Allerdings hat J. die Hochschule noch viel weniger als das Juliusspital aus eigenen, sondern aus öffentlichen Mitteln zu Stande gebracht und dotirt, und es ist darum ein großer Irrthum, demselben den Charakter einer Privatstiftung vindiciren und die entsprechenden Folgerungen daraus ziehen zu wollen. Hervorgehoben muß aber werden, daß J. sich in diesem Falle, wie überall sonst, als ein seltenes organisatorisches, schöpferisches Talent bewährt, eine Anerkennung, die nur dadurch eine Einschränkung erleiden kann, daß er bei der Bewältigung ihm entgegentretender Hemmungen gar zu gerne gewaltsam vorging. Mit der Gründung der Universität und des geistlichen Seminars verband er später noch ergänzend die Stiftung von mehreren Collegien, wie z. B. des Collegium pauperum und des sogen. adelichen Seminars, das eine für arme studirende Diöcesanen aus den unteren Ständen, das andere für 24 weniger bemittelte adeliche Jünglinge, welche, die einen wie die anderen, von orthodoxen und gelehrten Männern erzogen werden sollten. Ueberhaupt hat J. an Alles gedacht und für Alles gesorgt, was den Bestand seiner Stiftung und die Lehrzwecke anlangt, wie denn auch seine eigene hohe gelehrte Bildung und sein umfassender wissenschaftlicher Sinn bei jeder Gelegenheit und auf allen Seiten in das Auge springt. Wer über den Geist, von welchem sich J. bei dieser seiner Stiftung leiten ließ, sich unterrichten will, braucht blos das Ausschreiben zu lesen, welches derselbe am 2. Januar 1589 nach Fertigstellung aller wesentlichen Theile und Zugehörigkeiten zu der einen hohen Schule an seine Diöcesanen erließ; man wird gut thun, sich einzuprägen, in welchem Tone der Anerkennung er daselbst von den Jesuiten als Lehrern der Jugend und des Volkes spricht. So kann es uns nicht überraschen zu hören, daß Julius’ Verhältniß zu dem päpstlichen Stuhle, trotzdem der Fuldaer Handel noch schwebte, und Gregor XIII. überhaupt schwer zufriedenzustellen war, ein durchaus inniges war. Rom war damals durch seine Diplomatie und seine Polizei in Deutschland so gut unterrichtet, daß das kleinste Abweichen von dem vorgeschriebenen Wege nicht unbemerkt und ungerügt geblieben wäre. In der Fuldaer Sache sucht J. gern auch jetzt noch dem Papste gegenüber seinen Standpunkt zu wahren, erklärt sich aber in einem Schreiben, das er vom Reichstag in Augsburg aus an ihn richtet (17. Juli 1582), bereit, zur Beilegung des Handels die Hand zu bieten, es sei ihm dabei mehr darum zu thun, seine Ehre als seine Macht zu wahren. Schon um des Folgenden willen darf aber zugleich nicht verschwiegen werden, daß J. gerade auf diesem Reichstage in der Frage der sogen. „Freistellung“ von geistlichen Stiftern, die seit 1552 säcularisirt worden waren, eine so unbedingt entschiedene und den protestantischen Ständen gegenüber unnachgiebige Haltung einnahm, daß es schlechterdings nicht gestattet erscheint, ihm in den kirchenpolitischen Lebensfragen und seinen bezüglichen Absichten fortgesetzt schwankende Gesinnungen zu unterstellen.
Die letzten Monate des Jahres 1582 brachten eine Verwickelung, deren Lösung im Interesse der katholischen Sache und unter dem nachdrücklichen Zusammenwirken aller katholischen Mächte man gern als den kritischen Punkt in dem öffentlichen Leben des Bischofs J. betrachtete, von welchem an er in seiner kirchlichen Haltung erst allem Schwanken und Zögern entsagte und erst der rechte rückhaltlose Verfechter des gegenreformatorischen Principes geworden sei: wir meinen den Uebertritt des Kurfüsten-Erzbischofs Gebhard von Köln und dessen Sturz. Wir sind aber in keiner Weise in der Lage, dieser auch von Ranke vertretenen [679] Ansicht beizupflichten; die Anhänger derselben sind den überzeugenden Beweis dafür schuldig geblieben. J. stand zu Gebhard allerdings seit längerer Zeit in nahen Beziehungen; ob diese älter waren als der Friedenscongreß in Köln des J. 1579 läßt sich nicht nachweisen, doch ist dies immerhin möglich. In einem Schreiben an den Papst vom 22. Mai 1583 nennt er Gebhard seinen „weiland Herrn und Freund"; aber keine Spur ist vorhanden, daß er, als die Krisis ausbrach, für Gebhard irgend etwas gethan oder sich gar versucht gefühlt habe, das Beispiel desselben nachzuahmen. Hätte er das je thun wollen, – was wir wie bemerkt bestreiten – so hätte er es gleich thun müssen, und er hätte insofern ein leichteres Spiel gehabt als in seiner Hauptstadt und in seinem Hochstift überhaupt geringer Widerstand zu befürchten gewesen wäre. Aber sicher wäre er, falls er diesen Weg betreten hätte, zugleich unfehlbar in Abhängigkeit von diesen Elementen gerathen, und schon diese so nahe liegende Erwägung allein würde jeden Gedanken der Art in seiner autokratischen von absolutistischen Tendenzen erfüllten Seele haben ersticken müssen. Und ein so schlechter Politiker war er nicht, daß er ruhig zusah, bis Gebhard zu Boden lag; wenn er an je etwas dergleichen gedacht, so hätte er sofort für ihn offen eintreten müssen, ehe es soweit kam. Wenn Gebhard sich wirklich Hoffnungen auf J. machte, so war das eine Täuschung, in welche Naturen seiner Art und in seiner Lage gar zu leicht verfallen. Wahrscheinlich hat er auf die ältere, jetzt aber offenbar im Erlöschen begriffene Verstimmung seines ehemaligen Freundes wegen der Fuldaer Sache solche Hoffnungen gebaut. Die Notiz in dem Schreiben Hermanns von der Decke an Gebhard (bei Schmidt-Phiseldeck, Hist. Misc. I. 25) steht zu allein und beweist, näher besehen, viel zu wenig, als man auf dieselbe Gewicht legen dürfte. Was hätte ein so conservativer Fürst wie August von Sachsen dem Bischof von Würzburg gegen den Papst helfen können, dieser Kurfürst, der so enge mit dem Hause Habsburg verbunden stand und gerade im J. 1582 es ausdrücklich abgelehnt hatte, für die Anerkennung der „Nebendeklaration“ irgend einen Schritt zu thun? Und wie sollte J. im December 1582 des Fuldaer Handels wegen seine Zuflucht zu ihm gegen den Papst nehmen, nachdem er bereits Monate vorher diesem gegenüber seinen Rückzug in eben dieser Sache angetreten hatte? Und wie hätte man das Jahr darauf ihn als kaiserlichen Commissär zu dem Convent von Rothenburg, auf dem die kölnische Verwickelung geordnet werden sollte, deputiren können, wenn man seiner Gesinnung nicht ganz sicher gewesen wäre? War J. doch schon in den ersten Monaten desselben Jahres nebst den übrigen Häuptern der katholischen Partei von dem Stadtrath von Köln um ein Gutachten angegangen worden, wie er sich zu der Aufforderung des Kaisers, die Protestanten aus der Stadt auszuweisen, verhalten sollte, und seine Antwort hatte in einem den Protestanten feindlichen Sinne gelautet (s. Ennen, Gesch. der Stadt Köln, Bd. V, S. 364). Und nicht minder ist es Thatsache, daß er den Kurfürsten Ernst, der von der katholischen Partei dem abgefallenen Kurfürsten Gebhard gegenübergestellt worden war, zur Führung des Kampfes um das umstrittene Erzstift mit beträchtlichen Geldsummen unterstützt hat. Wenn er daher in dem bereits angezogenen Schreiben vom 22. Juni 1583 an Papst Gregor XIII., in welchem er Gebhard seinen „weiland Freund“ nennt, dessen Abfall verurtheilt und zugleich das Versprechen hinzufügt, den Schaden, den die Kirche dadurch erlitten, nach Kräften gut machen zu wollen, so war das gewiß seine aufrichtige Meinung und nicht blos eine nichtssagende Redensart. Wir glauben, daß diesen Momenten gegenüber die herkömmliche Ueberlieferung über Julius’ längeres Schwanken in seiner kirchlichen Haltung sich kaum wird behaupten lassen. Um etwas anderes, als die Festellung einer interessanten geschichtlichen Thatsache, ist es uns dabei ja nicht zu thun. Wahr ist, seit dieser Zeit beiläufig geht die Restaurationspolitik [680] J.’s erst recht zur Offensive über und bringt er die Frage, ob das Hochstift Würzburg in Zukunft dem Protestantismus oder Katholicismus angehören soll, zu Gunsten des letzteren zur vollen Entscheidung, aber bei näherem Zusehen und unbefangener Erwägung der Schilderung seiner vorausgegangenen Wirksamkeit wird man, wenn uns nicht alles täuscht, zur Ansicht gelangen, daß zwischen seinen früheren und späteren Handlungen kein innerer Widerspruch besteht, daß wir es vielmehr nur mit der Steigerung eines von Anfang an ergriffenen Princips zu thun haben, daß die Continuität in seiner früheren und späteren Handlungsweise deutlich vorhanden und unverkennbar ist.
Auf die Epoche der wohl überlegten Vorbereitung folgt jetzt die der Ausführung und Vollendung. Wenn J. mit dem offensiven Vorgehen gegen den in sein Hochstift tief eingedrungenen Protestantismus bisher nachsichtig an sich gehalten hatte und von jetzt an jede Zurückhaltung fallen ließ, so erklärt sich diese Thatsache zugleich auch aus dem Umstande, daß sein Hochstift fast ganz von protestantischem Gebiete eingeschlossen war und er wohl wußte, daß er hierauf Rücksichten zu nehmen hatte. Daß durch den großen Sieg, den die katholische Sache in dem Kölner Handel erfochten hatte, in die katholische Reformationsbewegung überhaupt ein frischeres Leben und eine höhere Zuversicht kam, ist bekannt und eine Rückwirkung dieser Art auf die Entschlüsse Julius wird gern zugegeben. Genug, J. legte im Bunde mit den Jesuiten nun persönlich die Hand an das Werk, den Protestantismus in seinem Lande mit den Wurzeln auszurotten und seine Kirche völlig im Sinne des neuen Systems zu reformiren, und er that das mit solcher Consequenz und Thatkraft, daß er binnen drei Jahren am Ziele war. Dieses sein Vorgehen ist oft genug geschildert worden. Noch im J. 1584 begann er mit einer Kirchenvisitation im ganzen Hochstift. Von einigen Jesuiten begleitet durchzog er das Land, von Amt zu Amt. In jeder Stadt lud er Bürgermeister und Rath vor sich und trug ihnen seine Forderungen vor. Die zweifelhaften Prediger wurden beseitigt und Schüler der Jesuiten traten an ihre Stelle. Jeder Beamte, der sich weigerte, den katholischen Gottesdienst zu besuchen, wurde entfernt und durch einen zuverlässigen ersetzt. Aber, was noch mehr war, auch jedem Privatmann wurde die Alternative gestellt, entweder sich zu fügen oder auszuwandern: auf solche Art wurde hier wie anderwärts der „Nebendeklaration“ des Augsburger Religionsfriedens ein gründliches Ende bereitet. Die Intervention der benachbarten protestantischen Fürsten war vergeblich, sie wurde höflich aber unbedingt, wenn auch mit Ausflüchten zweifelhaften Werthes zurückgewiesen. J. wußte recht gut, daß er nicht allein stand, und wie weit er gehen durfte, daß er sich auf die ganze päpstliche Partei, auf den Landsberger Bund, besonders auf den Herzog Wilhelm von Baiern, mit welchem wie mit dessen Sohne Maximilian er fortgesetzt im tiefen Einverständnisse stand und handelte, sicher verlassen konnte. Er unterließ aber auch angesichts der drohender werdenden Zeitverhältnisse nichts, sein Gebiet gegen mögliche Angriffe nach Kräften in Vertheidigungszustand zu setzen, reorganisirte die Miliz, errichtete ein Zeughaus auf dem Schottenanger etc. Im J. 1586 war die Hauptarbeit der Purification des Stiftes gethan; zuletzt kam neben dem erst vollständig erworbenen Münnerstadt die Hauptstadt an die Reihe. Man hatte zwar finden wollen, daß die Hälfte der Bevölkerung von protestantischen Anschauungen erfüllt war, aber die bewährte Methode that auch hier ihre Wirkung, die große Mehrzahl fügte sich, die wenigen Standhaften griffen zum Wanderstab. Daran reihte sich die Wiederbelebung zurückgedrängter kirchlicher Einrichtungen und die Vermehrung derselben durch neue, wie sie die Jesuiten mit eben so vielem Geschick als Erfolg überall zu organisiren verstanden haben: die periodischen sogen. Andachten, die marianischen Sodailitäten[1] und Brüderschaften, [681] der Heiligencult, Wallfahrten, Processionen u. dgl. m. J. hatte sich schon im J. 1580 vom Papste die Erlaubniß erwirkt, Reliquien von überall her zu beziehen und setzte ihre Verehrung mit wohlberechnetem Pomp in Scene. Von besonderer Wichtigkeit war die von ihm bewirkte Reorganisation der noch lebensfähigen Klöster; neben der ausgesprochenen Begünstigung der Jesuiten erfreuten sich die Franziscaner seiner Huld, welchen er in Würzburg und in Dettelbach ein stattliches Heim begründete; aber auch den Capuzinern hat er zuerst die Thore zu seiner Diöcese geöffnet. Daneben sorgte er mit rührigem Eifer für die Errichtung von neuen Pfarreien, Erbauung von neuen Kirchen, die man auf 300 berechnete, und alles dies mit einem Aufwande von Mitteln, deren Provenienz noch heut zu Tage oft räthselhaft erscheint. Die Ordnungen, die er im J. 1584 in lateinischer, 1589 in deutscher Sprache ausgehen ließ (s. bei Gropp, Coll. noviss. Bd. I. Constitutiones pro cultu divino, Statuta Ruralia pro Clero) hatten vor allem den Zweck, dem Clerus sichere Directiven zu geben, den Gottesdienst zu heben und Einheit in das ganze Gebiet des Cultus und der Seelsorge zu bringen. Die Reformation des oft verwilderten Clerus lag ihm fortgesetzt am Herzen, selbstverständlich sollte derselbe zugleich dauernd dem herrschenden Systeme unterworfen werden. Auch für die Reformation des Domcapitels, dessen Oppositionslust zu bändigen ihm doch in wesentlichen Dingen gelungen ist, hat er einzelne nicht unpassende Maßregeln getroffen. In Rom war man über die erwähnten Erfolge der kirchlichen Restauration aufs Höchste überrascht und entzückt. Man schrieb sie freilich auch der Mitwirkung der Jesuiten zu gute, aber man unterschätzte darum sein eigenes maßgebendes Verdienst an denselben keineswegs. Papst Sixtus V. ertheilte ihm dafür als Zeichen seiner Anerkennung die Erlaubniß, auch in dem vorbehaltenen Monate aufgehende Pfründen zu besetzen. Es wäre J. nicht schwer geworden, in den nächsten Jahren, wie der Herzog Wilhelm von Baiern es lebhaft wünschte den Cardinalshut zu gewinnen; aber er setzte der Versuchung dauernden Widerstand entgegen: er war nicht der einzige deutsche Kirchenfürst seiner Zeit, der grundsätzlich nicht nach dieser Auszeichnung verlangte. Eines Sporns, in der ergriffenen Thätigkeit nicht zu ermüden, bedurfte er ohnedem nicht. Der Sieg der Gegenreformation beschäftigte ihn nicht blos innerhalb seiner Diöcese, zunächst blickte er mit theilnehmender Sorge besonders nach dem benachbarten Hochstifte Bamberg hinüber, in welchem, seiner Meinung nach spät genug, endlich sein Jugendgenosse Neidhard von Thüngen, der zugleich dem Würzburger Domcapitel angehörte, die Hand ans Werk legte.
Der Raum gestattet nicht, die volle Summe der Thätigkeit, die J. in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens entwickelt hat, hier eingehend zu schildern. Wir müssen uns mit einigen Andeutungen begnügen. Im allgemeinen kann man sagen, daß er standhaft auf der einmal betretenen Bahn weiter schreitet. Nach innen Festhaltung und Ausbreitung des zur Herrschaft geführten Systemes der katholischen Restauration, die Sicherung seiner landesherrlichen Gewalt, eine wohlgefügte straffe Verwaltung – eine umsichtige Finanzwirthschaft und zu diesem Zwecke Herbeiziehung und Anspannung aller materiellen und geistigen Kräfte des Hochstifts. Er verstand es, überall die geeigneten Werkzeuge für sein System zu finden und sie im Zuge zu halten, wie seine Hof- und Kanzleiordnung, sein „Dienerbuch“ u. a. bezeugen. Die laufenden Staatsbedürfnisse wurden durch die herkömmlichen Umlagen, die außerordentlichen, wie sie durch die Beschlüsse der Reichs- und Kreistage wiederholt nöthig wurden, durch Verwilligungen der Landschaft, die er zu diesem Zwecke von Zeit zu Zeit zusammenberief, aufgebracht. Darüber hinaus erstreckten sich die Befugnisse der Landtage nicht und J. hielt darauf, jeden Versuch, dieselben auszudehnen, energisch zurückzuweisen. Die Ordnung der Rechtspflege ließ er sich [682] durch alle Stufen der Instanzen hindurch angestrengt angelegen sein und suchte die überlieferten Formen derselben umsichtig zu verbessern und fortzubilden. Er erließ zweckmäßige Dorf- und Stadtordnungen, aber das Maß der Autonomie der Gemeinden wurde allerdings auf das Mindeste beschränkt. Mit seiner Hauptstadt gerieth er noch im J. 1599 in einen Conflict, den diese bis zum Reichskammergericht, freilich mit geringem Gewinne, verfolgte. Wie hoch man darum auch die unermüdliche Wirksamkeit dieses Fürsten anschlagen mag, läugnen läßt sich nicht, sein Gesammtsystem litt an dem Fehler, daß er der Selbstbestimmung der Gemeinden wie der Einzelnen viel zu wenig Raum und Recht gewährte und so einer freien lebendigen Entwickelung seines Staatswesens allzu enge Schranken zog. Er trat jeder mit seiner fürstlichen Gewalt concurrirenden Macht entschlossen entgegen, auf staatlichem wie auf kirchlichem Gebiete. Von ihm unabhängige Stellungen fanden vor ihm keine Gnade. So mußte die auf ihre Unmittelbarkeit pochende Abtei Ebrach nachgeben, so gelang es ihm das Stift Camburg[2] (bei Schwäbisch-Hall) seiner Hoheit zu unterwerfen. Das bairische Haus hätte gar zu gern dem Prinzen Ferdinand die Coadjutorie von Würzburg verschafft, aber J. widerstrebte diesem Wunsche aufs Entschiedenste, so enge er sonst mit dem Vater und den Brüdern des Prätendenten verbunden war. Ein anderer Gegenstand der fürstlichen Sorgfalt J.’s war die Wahrung seiner Rechte und Ansprüche gegenüber den Herren der umliegenden Gebiete, die zum Theil in das Hochstift Würzburg hinein verzweigt waren. Zu diesem Zwecke verhandelte er und schloß er Verträge mit Mainz, Bamberg, Coburg und Ansbach. Manches, was an Besitzungen oder Rechten dem Hochstift in den vorausgegangenen Wirren entfremdet worden war, verstand er wieder beizubringen, aber auch neue Erwerbungen, wie den noch hennebergischen Rest von Münnerstadt hinzuzufügen. Denn ganz besonders lag ihm am Herzen die Arrondirung des hochstiftlichen Territoriums, und er war ein gefährlicher, weil rücksichtsloser Gegner, wo er für die Vergrößerung des Stiftsgebiets auch einen zweifelhaften Rechtstitel aufzubringen hatte. Der drastischste Fall dieser Art war der Streit, den er mit dem Grafen Stolberg als Erben und Rechtsnachfolger der ausgestorbenen Grafen von Wertheim, als Lehnsherr um einen Theil des Gebietes der Grafschaft erhob. Gewaltsam legte er auf dasselbe als heimgefallene Lehen die Hand und verfocht zuerst im J. 1598 seine Ansprüche mit rauher Waffengewalt, ohne so durchweg im Rechte zu sein oder beim Reichshofrath Recht zu behalten.
An den großen Angelegenheiten des Reiches, die eine immer verwickeltere Gestalt annahmen, nahm er bis zu seinem Ende den lebhaftesten Antheil. Seine Geschäftsgewandtheit auf der einen Seite, seine Thatkraft und ausgesprochene Parteistellung auf der andern Seite wiesen ihm bei all’ den bezüglichen Verhandlungen eine hervorragende Stellung ein. Welch ein rühriges Mitglied des Landsberger Bundes er von Anfang seiner Erhebung an war, haben wir bereits hervorgehoben, und er ist es bis zuletzt geblieben. Bekannt ist, daß er an dem Zustandekommen der Liga, nach seinem Verbündeten, dem Herzog Maximilian von Baiern, den wesentlichsten Antheil gehabt und auf den Tagsatzungen derselben und die dort gefaßten Entschlüsse einen durchgreifenden Einfluß ausgeübt hat. Die in der Union vereinigten protestantischen Fürsten wußten recht gut, welchen Gegner sie an ihm hatten und ließen ihn z. B. gelegentlich der Krisis der Jülicher Händel (1610) ihren Groll empfinden. Auf dem Reichstage zu Regensburg in den Jahren 1594, 1598 und 1613, wo so wichtige Angelegenheiten verhandelt wurden und die Parteigegensätze mit den officiellen Reichsinteressen oft in bedenklichen Zusammenhang traten, erschien er entweder persönlich – wie 1594 – oder ließ sich wenigstens durch seine Vertrauensmänner in seinem Sinne vertreten. Wie oft er zu Deputationstagen entsendet wurde, ist schon erwähnt [683] worden. Man kann nicht sagen, daß er in den hier verhandelten Fragen gerade zu extremen Maßregeln neigte, aber eben so gewiß durfte die Politik des kaiserlichen Hofes und der Liga, so weit diese hier mit concurrirte, stets auf seine Stimme und Mitwirkung rechnen. So bewegte er sich eben doch in einer Richtung, welche die große Katastrophe, die gleich nach seinem Tode über Deutschland hereinbrach, wol oder übel ihres Theiles mit vorbereiten half.
J. pflegte mit geringen Unterbrechungen, die durch Reisen im Hochstifte, durch Besuche von Reichs- und Bundestagen oder bei benachbarten, auch protestantischen Fürsten, wie dem Herzog Ludwig von Württemberg herbeigeführt wurden, regelmäßig auf dem Schlosse zu Marienberg ob Würzburg Hof zu halten, das er befestigt, fürstlich eingerichtet und mit Schätzen der Kunst und Gelehrsamkeit angefüllt hatte. Als es im J. 1604 durch eine Feuersbrunst zum guten Theile verzehrt wurde, stellte er es in der kürzesten Zeit und mit beträchtlichem Kostenaufwande wieder her. Er empfing hier gerne und oft vornehme Gäste und wies ihnen mit Stolz die daselbst angesammelten Schätze. Wenn er in seinen letzten Jahren auf sein Leben und Streben zurückblickte – und er that das gelegentlich auch gesprächsweise gern – so erfüllte sich seine Seele mit Genugthuung und er hatte seine Freude an dem Panegyrikus, welchen P. Marianus auf ihn verfaßt hatte. Er schenkte das Buch wol auch Freunden, die ihn besuchten. So gewiß sein System ein einseitiges war, innerhalb dieser Einseitigkeit hat er Großes erreicht, das moderne Hochstift Würzburg, wie es in der Hauptsache bis zum Anfange unseres Jahrhunderts bestand, ist seine Schöpfung; er hat der überlieferten Zerrüttung ein Ziel gesetzt und mit sicherer Hand eine neue, nachhaltige, feste Ordnung der Dinge begründet, die freilich zu den Anschauungen eines großen Theiles der deutschen Nation in herausforderndem Gegensatze stand. Ohne Zweifel war er einer der fähigsten Herrscher seiner Zeit, und der größte, der je auf dem Stuhle des h. Burkard gesessen. Er war in der That ein aufbauender Geist, wenn das Princip, das er in den Mittelpunkt seines Wirkens stellte, auch ein beschränktes war und nicht die Fähigkeit einer entsprechenden Fortbildung in sich trug, so lange es nicht modificirt wurde. Es war etwas von einem Staatengründer in ihm, freilich auch die Härte und Rücksichtslosigkeit, die man an solchen Erscheinungen zu allen Zeiten wahrgenommen hat. Wie schon bemerkt, daß er das System, das er in seinem Kreise ins Leben geführt, erfunden habe, kann man nicht sagen, aber er hat es mit seltener Umsicht und Thatkraft durchgeführt. So scharfblickend und geistvoll er war, daß er auch innerhalb seines Princips über seiner Zeit gestanden habe, kann man nicht behaupten. Ueber die herrschenden Vorurtheile seiner Zeitgenossen hat er sich nicht erhoben, wie die Fortdauer der Hexenprocesse unter seiner Herrschaft hinlänglich bezeugt. Von selbst versteht es sich, daß ein Fürst solcher Art, von solchem Einfluß und der einer Zeit ausgesprochener Parteiung angehörte, mehr noch von der Nachwelt als der Mitwelt verschiedenartig beurtheilt wurde. Die Anhänger der damals von Rom aus vordringenden Tendenzen der Gegenreformation haben ihn in den Himmel erhoben, die Gegner logischer Weise in seinen Erfolgen ein Unglück für Deutschland erblickt und es bedauert, einen Mann wie diesen, gerade auf dieser Seite zu sehen, und nicht unterlassen, die Schattenseiten seines Wesens und Wirkens, an welchen es ja nicht fehlt, hervorzuheben. In dem einen werden aber die sonst unvereinbaren Urtheile immer wieder übereinstimmen, daß es, alles in allem, ein seltener, innerhalb seiner Voraussetzungen ausgezeichneter Fürst war, den wir in ihm vor uns haben.
J. hatte sich bis in sein hohes Alter eine ungemeine Rüstigkeit bewahrt. Daniel Eremita, der im J. 1609 Gast auf dem Marienberg war, fand ihn noch in voller Frische des Geistes und Körpers, ohne Runzeln und ohne [684] ein graues Haar auf dem Haupte. Erst einige Jahren später trat ein Nachlaß seiner Kräfte ein, der am 13. September 1619 nach kurzer Krankheit sein Ende herbeiführte. Er zählte 78 Jahre und hatte nahezu 44 Jahre lang regiert. Die tödtliche Erkrankung soll er sich gelegentlich der auf dem Schlosse Marienberg gefeierten Doppelhochzeit eines Neffen und einer Nichte zugezogen haben. Ein starkes Familiengefühl gehörte zu den hervorragenden Zügen seines Charakters; besonders nahe stand ihm sein 1601 gestorbener Bruder Dietrich – der Vater des eben gedachten Geschwisterpaares – von dem sicherm Vermuthen zufolge seine bei Gropp (l. c. II) reproducirte Biographie herrührt.
- J. erwartet noch die seiner Bedeutung entsprechende Biographie. Die bez. Monographie von J. N. Buchinger (Würzburg 1843), nicht ohne Verdienst, bleibt doch hinter der Höhe der Aufgabe zurück. Reichliches Material findet sich bei Gropp (Coll. noviss.). Wichtige Actenstücke enthält die Fortsetzung der Annales eccles. von Theiner, Bd. I und II. Ferner: A. Häberlin-Senkenberg, Neueste deutsche Reichsgeschichte, Bd. VII–XVIII. Wolf, Geschichte Kurfürst Max I. von Baiern. C. A. Cornelius (im Münchener Jahrbuch 1865), Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. Kluckhohn, Briefe Friedrich des Frommen, Kurfürsten v. d. Pfalz, II, 2, Braunschweig 1872 und besonders auch F. Stieve, Die Politik Baierns 1591 bis 1607, 1. Hälfte, München 1878. M. Moritz Ritter, Die Geschichte der Union. A. S. Stumpf, Diplomatischer Beitrag zur Geschichte des Landsberger Bundes, Bamberg und Würzburg 1834. Bönicke, Geschichte der Universität Würzburg, 1. Bd. Ussermann, Episcopatus Wirceburgensis. L. v. Ranke, Geschichte der Päpste, 2. Bd. Heppe, Die Restauration des Katholizismus in Fulda, auf dem Eichsfelde und in Würzburg, Marburg 1850. Derselbe, Entstehung, Kämpfe und Untergang evangelischer Gemeinden in Deutschland, Wiesbaden 1862. Zerstreute Mittheilungen in verschiedenen Bänden des hist. Archivs für Unterfr. und Asch. Die bez. Artikel von Jäck in der Allgemeinen Encyclopädie, von Düx in Wetzer und Welte’s kath. Kirchenlexikon und von Pressel-Wagenmann in der Realencyclopädie für die protest. Theologie und Kirche (2. Aufl. 7. Bd.) wiederholen im wesentlichen nur das bereits bekannte. Eine ergiebige Quelle für meine Darstellung waren mir die bez. Akte des Würzb. Kreisarchivs, namentlich auch die Protokolle des Domcapitels. Wichtige Aufschlüsse für die Betheiligung Julius’ an den allgemeinen Reichsangelegenheiten darf man noch von der weiteren Veröffentlichung der politischen Correspondenzen der Zeit und der näheren Kenntniß der Reichstagsverhandlungen erwarten.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 680. Z. 1 v. u. l.: Sodalitäten. [Bd. 29, S. 775]
- ↑ S. 682. Z. 14 v. o. l.: Comburg. [Bd. 29, S. 775]