ADB:Balthasar (Fürstabt von Fulda)

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Artikel „Balthasar, Fürstabt von Fulda“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 24–27, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Balthasar_(F%C3%BCrstabt_von_Fulda)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:24 Uhr UTC)
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Balthasar, Fürstabt von Fulda (1570–1606), mit dem Zunamen Gravel. Er stammte aus dem der buchonischen Ritterschaft zugezählten Geschlechte der Herrn von Dermbach. Zum geistlichen Stande bestimmt, aber mit sehr dürftiger Bildung ausgestattet, war B. früh in das fuldaische Stiftscapitel eingetreten, [25] war rasch zum Stiftsdekan vorgerückt, und wurde im J. 1570, als der Fürstabt Wilhelm Hartmann von Klauer am 22. Januar gestorben war, noch ziemlich jung, schon drei Tage darauf zu dessen Nachfolger gewählt und von Papst Pius V. als solcher bestätigt. Die Epoche seiner Regierung ist, ohne daß sich dies nach den Antecedentien des Neugewählten hätte vermuthen lassen, eine der stürmischsten und verhängnisvollsten für die Geschichte des Hochstiftes Fulda geworden. In dem Stifte Fulda war nämlich die evangelische Religionsübung eine geraume Zeit her von einer Anzahl von Fürstäbten geduldet worden. Die Stadt Fulda, die Ritterschaft, der größere Theil der Landschaft bekannte sich zu ihr; das Domcapitel hatte dem ruhig zugesehen, der neue Fürstabt B. hatte bei seiner Wahl auf Verlangen ausdrücklich versprochen, es dabei zu lassen. Die ersten Jahre nach seiner Erhebung hielt er auch in der That an sich und ließ er den Dingen ihren Lauf, aber plötzlich, im J. 1573, nachdem er die herkömmliche Weihe für seine neue Würde empfangen hatte, warf er den bestehenden Zuständen den Handschuh hin und trat ihnen mit ausgesprochener Feindseligkeit gegenüber. Der Geist der Gegenreformation, der eben seine Rüstungen vollendet hatte, erfaßte ihn und machte sich ihn dienstbar. Die Gunst und Aufmunterungen des päpstlichen Hofes (Papst Gregor XIII.), persönlicher Ehrgeiz, die Hoffnung durch die Restauration des Katholicismus seine allerdings sehr begränzte Macht zu erweitern, vielleicht auch eine wirkliche Sinnesänderung, die in ihm vorging: alles dies scheint zusammengewirkt und in ihm den Entschluß zur Reife gebracht zu haben, den Katholicismus in der Stadt und im Stift Fulda wieder in seine volle Herrschaft einzusetzen. Noch im J. 1573 berief er die Jesuiten, das bereits bewährte Werkzeug der Gegenreformation. Er hatte sie bisher nicht gekannt und ein Collegium derselben nicht gesehen, nur der Ruf, den sie sich erworben, die Schilderung, die ihm ein paar Zöglinge des Collegiums von Trier entworfen, und höchst wahrscheinlich dringende Empfehlungen von Seiten des Mainzer Kurfürsten (Daniel Brendel) bestimmten ihn hiezu. Die gerufenen Ordensmänner kamen mit vergnüglicher Eile aus Mainz und Trier herbei und stifteten hier eine gemeinschaftliche Colonie. B. baute ihnen Haus und Schule und stattete sie mit Einkünften aus; er selbst soll, da er sich noch sehr unwissend fühlte, bei ihnen Unterricht genommen haben. Genug: der Krieg war hiermit erklärt und begann sofort. Das Capitel erblickte in der Berufung der Jesuiten und in dem einseitigen, willkürlichen Vorgehen des Fürstabtes einen Eingriff in seine Rechte und legte dagegen, wenn auch vergebens, Verwahrung ein. Weiterhin legte B. die Hand an die evangelische Religionsübung in der Hauptkirche und den Nebenkirchen der Stadt Fulda, wußte die evangelischen Geistlichen so oder so zu beseitigen und sie mit katholischen der strengen Ordnung, oft mit Jesuiten, zu ersetzen. Auf die übrigen Städte des Hochstiftes, wie Hammelburg, und auf das flache Land wurden endlich mit denselben Mitteln die Restaurationsversuche ausgedehnt. Der Abt berief sich bei diesem Thun vor Allem auf sein Recht als Landesherr und die Befugnisse, die ihm die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens etc. angeblich einräumten. Die Stadt und der Stiftsadel ließen es an dringlichen Vorstellungen gegen die berührten Maßregeln nicht fehlen, B. jedoch, von gewichtiger Seite her ermuthigt, selbst vom kaiserlichen Hofe unterstützt, blieb auf dem einmal ergriffenen Standpunkt unerschütterlich stehen. Auch die von den Bedrohten hervorgerufenen Vermittlungsversuche des Landgrafen von Hessen, der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg vermochten an dem Geschehenen nichts zu verändern. Da entstand im Kreise des fortwährend unzufriedenen Capitels und der Ritterschaft, deren Stimmungen in dem Hasse gegen den Abt zusammentrafen, der Gedanke, sich des gewaltthätigen Herrn zu entledigen und ihn mit einem Fürsten zu vertauschen, der [26] ihre Rechte anerkennen und den von B. eingeschlagenen Weg der Restaurationspolitik verlassen wolle. Die Wahl, die sie bei diesem Beginnen trafen, ist freilich bis zur Stunde dunkel und unverständlich geblieben. Sie setzten sich nämlich mit dem Fürstbischof Julius von Würzburg ins Vernehmen, und dieser erklärte sich bereit, im Sinne des Capitels und der Ritterschaft, an die Stelle Balthasars zu treten. Es bleibt jedoch im höchsten Grade ungewiß, ob Julius jemals der Reformation zugeneigt gewesen und geschwankt habe, welchen Weg er einschlagen wolle. Seine Antecedentien sprechen bestimmt dagegen, und die Versicherung Balthasars, auch Bischof Julius habe u. a. ihn zur Berufung der Jesuiten ermuthigt, klingt uns gar nicht so unglaubwürdig, als sie das aus anderen Gründen erscheinen mag. Genug, Bischof Julius, das Fuldaer Capitel und die Ritterschaft gelangten zu einer Verständigung, deren Opfer Fürstabt B. wurde. Bischof Julius hat sich nach unserer Meinung bei der Betheiligung an diesem Vorgehen überwiegend von dem Wunsche, seine Macht auszudehnen und das Hochstift Fulda mit dem von Würzburg zu vereinigen, leiten lassen. Der verabredete Plan wurde im Sommer 1576 wirklich ausgeführt, B. in Hammelburg, wo er sich gerade aufhielt, um dort den katholischen Cultus mit allen Mitteln zum Siege zu führen, von seinen Gegnern überrumpelt und zu Gunsten des Fürstbischofs von Würzburg zur Verzichtleistung gezwungen. Bischof Julius wurde dann feierlich als Administrator zum Nachfolger Balthasars gewählt, und dieser gab die ausdrückliche Erklärung ab, daß alles dieses mit seinem guten Willen und seiner freien Zustimmung geschehen sei. Bischof Julius setzte sofort eine Regierung in Fulda ein, die selbstverständlich dem Capitel, der Ritterschaft und der Stadt zu gefallen ihr Amt versehen und die mit so vielem Erfolg begonnene Restauration sistiren sollte.

Der gestürzte Fürstabt B., der zunächst gute Miene zum bösen Spiele gemacht, hatte sich von Fulda nach Mainz gewendet und dann im Kloster Seligenthal (am Main) vorläufig seinen Aufenthalt genommen, mit dem Entschlusse, Alles daran zu setzen, die verlorene Machtstellung wieder zu gewinnen. Zu dem Zwecke wendete er sich, von der Partei der Gegenreformation nachdrücklich unterstützt, an den Papst und an den Kaiser (Max. II.), und begab sich dann selbst zugleich zum Reichstage nach Regensburg und an den kaiserlichen Hof, um seine Wiederherstellung zu betreiben. Und in der That hatte der Kaiser bereits das Geschehene für null und nichtig erklärt, und man hat Grund anzunehmen, daß, wenn nicht sein plötzlicher Tod dazwischen getreten wäre, der verdrängte Fürstabt schnell zum Ziele gekommen wäre. Der neue Kaiser, Rudolf II., langsamer in seinen Beschlüssen, ließ zunächst dem eingeleiteten Processe seinen Lauf, ertheilte aber dem Bischof Julius den gemessenen Befehl (1577), die angemaßte Stellung in Fulda ungesäumt aufzugeben, legte das Stift unter Sequester und setzte eine Regentschaft ein, vor der die Stellvertreter des Administrators weichen mußten, ohne daß dieser auf sein vermeintes Anrecht Verzicht leistete. Die völlige Wiederherstellung Balthasars ließ jedoch trotzdem noch ungewöhnlich lange auf sich warten. Allerdings wurde ihm bereits im J. 1579 Schloß und Herrschaft Biberstein (im Bereiche des Hochstiftes Fulda gelegen) eingeräumt und ein anständiger Jahresgehalt angewiesen. Von dieser Position aus übte B. auch schon in der nächsten Zeit thatsächlich Einfluß auf die Regierung des Hochstiftes, die von der kaiserl. Regentschaft ganz in seinem Sinne und im Geiste der Restauration geleitet wurde. Alle Gegenanstrengungen der Ritterschaft und der Stadt, und alle Vermittlungen der protestantischen Reichsfürsten blieben nach wie vor erfolglos. Namentlich auf dem flachen Lande wurde mit rücksichtsloser Gewalthätigkeit verfahren, zumal seit der Erzherzog Maximilian, ein Bruder K. Rudolf II., die Administration persönlich übernommen hatte (1581). Und [27] endlich, freilich erst im J. 1602, 7. August, wurde das Schlußurtheil in der Sache Balthasars am kaiserl. Hofe gesprochen, durch welches er vollständig und ohne Vorbehalt in alle seine verlorenen Rechte wieder eingesetzt wurde, der Bischof von Würzburg hingegen, der zwar inzwischen in seinem Hochstift die Gegenreformation mit den härtesten Mitteln durchgeführt hatte, die stiftsfuldische Ritterschaft und die Stadt Fulda Unrecht erhielten und zu beträchtlichen Geldstrafen und Entschädigungen an B. verurtheilt wurden. B. trat sofort wieder in den vollen Besitz seiner Würde ein und ließ sich am 23. December 1602 neu huldigen. Von irgend einem Vorbehalt zu Gunsten der evangelischen Religion war keine Rede mehr: die siegreiche und vollständige Wiederherstellung des Katholicismus in der Stadt und im Stifte Fulda war das bleibende und bedeutende Ergebniß der vorausgegangenen Verwickelung. B. selbst hat seinen Sieg nicht mehr lange genossen; er ist 15. März 1606 gestorben.

Vgl. Schannat, Historia Fuldensis, p. 268–277; Ders., Dioecesis et Hierachia Fuldensis, p. 351–375, mit wichtigen Actenstücken. – Dr. H. Heppe, Entstehung, Kämpfe und Untergang evangelischer Gemeinden in Deutschland. Wiesbaden 1862; Ders., Die Restauration des Katholicismus in Fulda, auf dem Eichsfelde und in Würzburg. Marburg 1850. – L. Ranke, Die römischen Päpste. Bd. II. S. 50 ff.