Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gunz, Gustav Georg“ von Caroline Valentin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 636–642, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gunz,_Gustav_Georg&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 02:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Guntherich
Nächster>>>
Gurlitt, Louis
Band 49 (1904), S. 636–642 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Gustav Gunz in der Wikipedia
Gustav Gunz in Wikidata
GND-Nummer 116930322
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|636|642|Gunz, Gustav Georg|Caroline Valentin|ADB:Gunz, Gustav Georg}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116930322}}    

Gunz: Gustav Georg G., Dr. med., kgl. preuß. Kammersänger und Professor, wurde am 26. October 1831 zu Gaunersdorf bei Wien geboren. und starb zu Frankfurt a. M. am 11. December 1894. Die künstlerische Laufbahn des berühmten Tenors umfaßte einen Zeitraum von über dreißig Jahren und fiel mit den bedeutendsten Ereignissen auf dem Gebiete der Oper, sowie mit dem großen Aufschwunge des Concertlebens unseres Jahrhunderts zusammen. Die mannichfache Thätigkeit, die G. auf diesen beiden Gebieten entfaltete, weist ihm als reproducirendem Künstler einen der ersten Plätze in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts zu.

Von musikliebenden Eltern empfing der Knabe die ersten Eindrücke seiner Kunst und lernte früh etwas Clavier und Geige, während seine Stimme vor der Mutation einen tiefen Klang zeigte und sein Singen die spätere Entwicklung nicht ahnen ließ. Ebenfalls für den ärztlichen Beruf bestimmt (sein Vater war Kreisphysikus in Gaunersdorf) bezog er die Universitäten Prag [637] und Wien. Hier, an der Cultusstätte musikalischen Lebens im Kreise jugendlicher anregender Genossen wurde man sowol auf seine musikalische Treffsicherheit, als auf die inzwischen zu einem weichen, sympathischen Tenor herangereifte Stimme aufmerksam. G. wurde damals Mitglied des Wiener Männergesangvereins: auch hier in dem strenge prüfenden musikverständigen Kreise zog man ihn zum Quartettgesang und für kleine Soli heran. Der junge Student folgte dem Rath einsichtiger Freunde und blieb nicht Naturalist, sondern nahm neben den eifrig betriebenen medicinischen Studien auch Gesangsunterricht bei dem bewährten Gesangsmeister Eduard Hollub, einem Schüler von Staudigl. Er betrat damit die Bahn ernster Studien, denn trotzdem seine stimmlichen Eigenschaften so imponirten, daß ein Impresario ihm eine kurze Studienzeit und darauf verlockende Engagementsanträge bot, lehnte er diese Art, Künstler zu werden ab und that damals den für den Ernst seiner Auffassung zeugenden Ausspruch: „Wie sollte das Publicum in einem neuen, viel schwierigeren Beruf Vertrauen zu mir gewinnen, wenn ich den von mir zuerst erwählten nicht einmal erreicht hätte?“ G. promovirte 1857 und war von November 1857 bis März 1859 Secundärarzt am Allgemeinen Krankenhause in Wien. Er war als Chirurg geschätzt und seine tüchtigen Dienste während der Typhusepidemie 1858 trugen ihm ein Belobigungsschreiben der k. k. Centralverwaltung ein. Hollub hatte inzwischen durch ebenso vorsichtige als eingehende Studien die Stimme befestigt, im langsamen ausgleichenden Ueben des Falsetts ihre Höhe und Ausgiebigkeit entwickelt und damit den Grund zu der spätern Dauer der herrlichen Stimme gelegt, was G. sein Leben lang rühmend anerkannte. Der Erfolg dieser Studien brachte erst den Entschluß zur Oper zu gehen zur Reife. Dieser wichtige Schritt wurde dem durch Unglücksfälle, die seine Eltern trafen, auf sich angewiesenen jungen Mann durch das Entgegenkommen seines Vorgesetzten, des Spitaldirectors Helm erleichtert, der ihn für ein Jahr beurlaubte. In jener Zeit (1859) führte Liszt seine Graner Messe zum ersten Mal auf und das zufällige Erkranken des Tenors, dessen schwierige Partie G. in letzter Stunde übernahm, brachte ihm einen ersten Erfolg in größerer Oeffentlichkeit. Durch Liszt’s Verwendung erhielt er einen Engagementsantrag nach Weimar, da aber gleichzeitig in Wien die Stelle eines lyrischen Tenors zu besetzen war, debutirte er am Kärntnerthortheater als Fischer im „Tell“, Raimbaut in „Robert der Teufel“ und wurde daraufhin an dieser Bühne für drei Jahre verpflichtet. Uebereinstimmend schildern die Kritiken aus dieser ersten Zeit den wunderbaren Eindruck, den der in vollster Jugendblüthe stehende Mann mit den warmen blauen Augen, den blonden Haaren und der hochgewachsenen Figur machte, der eine Stimme besaß, die „wie Frühlingswehen in der Hörer Herzen drang!“ Schon damals wird die volle Ausgleichung der Stimmregister und die verständliche Textaussprache gerühmt, sowie die bei Anfängern seltene Maßhaltung mit den Stimmmitteln hervorgehoben, die seinen Leistungen einen abgeschlossenen Eindruck verlieh. Für die weitere Entwicklung des Sängers war ein größerer Wirkungskreis nöthig, wie er ihn in Wien damals neben Ander und Walter nicht fand, wie er sich ihm aber nach dem 1861 erfolgten Gastspiele (als Lyonel, Don Octavio, Fenton und nach Mitwirkung in einem Hofconcerte) an der königlichen Bühne zu Hannover bot. Hier, wo unter der persönlichen Antheilnahme des hochgebildeten, künstlerisch begabten Königs Georg V. die Bühne geleitet wurde, eröffnete sich ihm neben dem damals glänzende Erfolge feiernden Niemann ein reiches Feld des Strebens und Lernens. Von Anfang an stand G. in der persönlichen Gunst des Königs, der an jeder neugewordenen Rolle des Künstlers Antheil nahm [638] und vielfach seine trefflich begründete Meinung äußerte. G. sang alle lyrischen Partien der classischen Opern: Tamino, Belmonte, Jason, Pylades waren seine bevorzugten Rollen, es fehlte ihm aber noch gänzlich die Kenntniß und Gewandtheit der französischen Spieloper, und da ihm hierfür vom König ein Aufenthalt in Paris bewilligt wurde, ging er während der Ferien 1862 dorthin, wo er bei dem vorzüglichen Gesanglehrer Delsarte die feine Spieloper in französischer Sprache, in französischem Geist und französischer Manier singen und spielen lernte. Mit unendlichem Fleiß widmete er sich dieser Aufgabe, tagsüber studirend, saß er am Abend, wie er selbst erzählt (E. Polko, Vom Gesange, Leipzig) mit Partitur und Bleistift in der Opéra comique, jede wichtige Nüance, jede interessante Auffassung notirend. Durch rastlosen Fleiß gelang es ihm später, die Hauptschwierigkeit zu überwinden und den feinen esprit der französischen Texte soviel als möglich im Deutschen wiederzugeben, sodaß er sich vieles selbst übertrug, das seinem Geschmack in der vorliegenden Uebersetzung nicht entsprach. Man fand ihn nach der Rückkehr viel gewandter und feiner in der Darstellung geworden. Die Rollen des George Brown, Postillon, Almaviva waren die Frucht dieses ersten Pariser Aufenthaltes und entzückten den König so, daß er ihm auch für die Ferien 1862 einen erneuten Aufenthalt in Paris gewährte, wo G. den Arnold im „Tell“, Edgardo in „Lucia“ und Fra Diavolo studirte. Sein Ruf als einer der ersten deutschen Tenore war begründet. Einer der glänzendsten Tage aus jener Zeit jugendlich kraftvoller Entfaltung war der 19. August 1863, wo der Künstler gelegentlich des Fürstencongresses zu Frankfurt a. M. mit Adelina Patti im „Barbier von Sevilla“ sang. Später erbat sich Frau Patti bei ihrem Londoner Gastspiel den congenialen Partner zur Darstellung derselben Oper.

Schon zu seiner Wiener Zeit hatte Dr. Gunz sich vielfach mit dem Oratorium beschäftigt und war damals der einzige, der dort Händel zu singen verstand. Sein ganzes Leben lang blieb er der Beschäftigung mit dem Oratorium treu, in dem seine hohen musikalischen Eigenschaften, seine seelenvolle Cantilene und sein ernstes, tiefes Empfinden den höchsten Ausdruck erhielten. In jene Zeit fiel der hohe Aufschwung des deutschen Musiklebens, das in einer Reihe strebsamer Gesangvereine blühte, die es als eine ihrer ersten Aufgaben betrachteten, die Musikwerke Bach’s, die Mendelssohn der Vergessenheit entrissen, in möglichst vollendeter Weise zu Gehör zu bringen. Durch diese sich immer mehrenden Concertaufführungen war auch den Solosängern ein reiches Feld auf dem Gebiete ernster Kunst erschlossen. G. hat bei der Erstaufführung der Matthäuspassion in Wien 1865 unter Herbeck’s Leitung den Evangelisten gesungen und ihn später in immer größerer Vollendung in allen Gauen Deutschlands wiederholt. Er sang diese schwierigste Tenorpartie am liebsten wie sie Bach geschrieben, ohne jede Auslassung, die Ueberwindung der gesanglichen Schwierigkeiten war hier ebenso bewundernswerth, wie in der Missa solemnis und IX. Symphonie. Auch wirkte G. mit dem Evangelisten, dem Elias, dem Tenor im Requiem von Mozart und Stabat von Rossini am ergreifendsten auf seine Hörer. Der Sommer 1863 führte ihn mit Julius Stockhausen und Frau Jenny Lind-Goldschmidt auf dem Musikfest zu Düsseldorf zusammen; er sang mit diesen Künstlern die Cäcilienode von Händel und den Elias. Die Begegnung mit der gefeierten Sängerin bildete seinen eigenen Worten gemäß einen Wendepunkt in seinem Leben. Sie interessirte sich lebhaft für den jungen Künstler und lud ihn zur nächsten Saison nach London ein, wo sie ihm Förderung versprach. Als G. wirklich 1864 dorthin kam, bewahrheitete dies Jenny Lind in jeder Weise und ebnete ihm alle Wege. Die Probe zum ersten Concert in der Old Philharmonic Society war kaum [639] beendet und glänzend bestanden, als man ihm einen Engagementsantrag an Her Majestys Theater machte, den er auf den Rath seiner Gönnerin annahm, die ihm zugleich in großmüthigster Weise versprach, das Einstudiren neuer Rollen zu leiten. Hatte G. bei Prof. Hollub den Grund zu seinem bel canto gelegt, bei Delsarte sich in die französische Spielweise eingelebt, so empfing er nun von der großen Künstlerin hier Winke, die nur der Meister dem Meister zu geben vermag. Unter dem Einfluß von Jenny Lind sang er hier Mozart’s und Gluck’s Opern, Josua, Messias, die erste Walpurgisnacht, den meisten Antheil hatte sie aber an der Ausgestaltung seines Florestan, der denn auch eine seiner größten Leistungen war und blieb. Nach der ersten Aufführung (mit Frau Tietjens als Leonore) verpflichtete man G. für mehrere Jahre zur Saison für die italienische Oper. Neben den neuen Rollen mußten auch die italienischen Texte studirt werden und zwar unter der Leitung des Sohnes des berühmten Sängers Lablache, ebenso wurde eifrig Englisch getrieben, besonders viel die englische Bibel gelesen, was dem Künstler bei seiner Mitwirkung im Oratorium zu gute kam. Er errang auf dem Musikfest zu Gloucester (1864), wo er den Elias englisch sang, gleichen Beifall wie durch die deutsche Wiedergabe. Auch das englische high-life lernte er durch die Hofconcerte, in denen er mehrfach wirkte, und durch Einführung in verschiedene aristokratische Kreise kennen. In jener Zeit überhäufte man ihn mit Contracten und Engagementsanträgen nach Wien, Berlin, Dresden, der Impresario Ullmann bot ihm die Summe von 12 000 Thlrn. für 10 Monate, allein das Gefühl der Dankbarkeit für seinen hohen Gönner, den König von Hannover, und der Gedanke, daß das Ideal der Kunst nicht im Geldverdienen liege, bestimmte ihn in Hannover zu bleiben, und er begnügte sich mit kurzen Gastspielen in Berlin und Wien in den Jahren 1864 und 1865. In Hannover herrschte das für alle Künstler so nothwendige, rege Interesse an ihren Darbietungen, und das dortige Theater besaß damals ein Ensemble, welches künstlerische Aufgaben im höchsten Grade lösen konnte. Es waren die Damen Frl. Ubrich, Frl. Garthe, Frl. Pauli und außer G. die Herren Stägemann, Bletzacher, Düffke, die lange Jahre trefflich zusammen wirkten. Sowol unter der Intendanz des Grafen Platen, als unter seinem Nachfolger Herrn von Bronsart, war den Idealen wahrer Kunst eine Stätte bereitet, und das hannöversche Theater galt als eines der ersten Deutschlands. Hier wurden die Opern „Die heimliche Ehe“ von Cimarosa, „Johann von Paris“ von Boieldieu, „Der Blitz“, „Der Zweikampf“ von Halévy in bis ins Einzelne feiner Einstudirung gegeben. Als im J. 1866 das hannöversche Theater in preußische Verwaltung überging und Niemann aus dessen Verband plötzlich ausschied, war nicht sogleich ein Ersatz für ihn zu finden. Da erklärte sich G. zur Uebernahme einer ganzen Reihe von Heldentenorrollen bereit. Es war eine Riesenaufgabe, die er neben seinem eigentlichen Fach als lyrischer und Spieltenor übernahm, die nur ein auf vollster Höhe des Könnens stehender Künstler bewältigen konnte. Doch blieben stets seiner liebenswürdigen Darstellungsart, seiner weichen klangschönen Stimme die lyrischen und Spieltenorrollen die angemessensten, so daß seine Leistungen in Mozart’schen Opern, oder als Nadori, Roger, Fra Diavolo und George Brown, bei dem seine ritterlich liebenswürdige Persönlichkeit besonders zur Geltung kam, die Wiedergabe des Prophet, Raoul, Vasco, Lohengrin weit übertrafen. Der gewaltige dramatische Ausdruck, die elementare Gewalt der Leidenschaft waren G. versagt, dagegen glänzte er durch die tiefinnerliche Herausgestaltung der Rollen. Im J. 1870 hörte das Londoner Engagement auf; es gelang ihm aber trotz des Krieges ein Gastspiel im Leipziger Carolatheater zu einer Wallfahrt des [640] kunstliebenden Publicums zu gestalten, das auch seinem Mitwirken in den Gewandhausconcerten zu allen Zeiten regstes Interesse entgegenbrachte. Nicht nur die großen Concertvereine Deutschlands, sondern auch die Hollands und Belgiens mußten sich zur Winterszeit schon frühe seine Mitwirkung sichern. Noch keine Zeit hatte Deutschland mit einer solchen Fülle lyrischer Compositionen von Meisterhand überschüttet wie die letzten 50 Jahre des 19. Jahrhunderts. Schumann und Franz, Rubinstein und Brahms spendeten ihre Liedergaben und zu dieser zeitgenössischen Litteratur kamen die werthvollen Schätze früherer Epochen. G. war vom Beginn seiner Laufbahn an ein bedeutender Liedersänger. Er war stets aufs eifrigste bemüht den textlichen und musikalischen Ausdruck in möglichsten Einklang zu bringen und studirte unablässig an der Vortragsweise der Lieder, was ihnen auch jenen Zauber des Neugeschaffenen, künstlerisch Gewordenen verlieh. Drei berühmte Liederkreise, der Beethoven’s, Schubert’s Müllerlieder und Schumann’s Dichterliebe begleiteten ihn durchs Leben, ihnen fügte er die werthvollsten anderen Compositionen dieser Meister bei. Er war ein bedeutender Schubertsänger und hat das Verdienst viele, dem deutschen Publicum unbekannten Schöpfungen des Meisters zuerst gesungen zu haben. Hierher gehören Lieder der späteren Bände und des Nachlasses: Die zürnende Diana, Der blinde Knabe, Schwanengesang, Widerschein etc. Viele Componisten haben ihm Lieder gewidmet oder seiner feinfüh1igen Kenntniß der Stimme ihre Compositionen unterbreitet, so: der Wiener Capellmeister Esser, Franz Abt, der hannov. Capellmeister Ernst Frank, Herr und Frau v. Bronsart, Rudolf Weinwurm, Otto Heinr. Lange, Professor Dr. Bernhard Scholz u. A. m. Im J. 1865 wirkte G. bei der Universitätsjubelfeier in Wien mit, 1868 bei der Lutherfeier in Worms, im J. 1872 wurde er durch die Mitwirkung bei der goldnen Hochzeitsfeier des sächsischen Königspaares ausgezeichnet, im selben Jahre sang er in einem Concert zum Besten der nothleidenden Schlesier in Paris. Seine Landsleute feierten ihn dort ungemein und ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Außerdem hatten ihm die Vereine von Amsterdam, Rotterdam, Wels, Preßburg und Hannover diese Auszeichnung zu Theil werden lassen. Im J. 1876 wurde er zum königlich preußischen Kammersänger ernannt, 1894 erhielt er den Titel eines königlichen Professors. Der Großherzog von Weimar verlieh ihm die goldene Medaille 1870, der Großherzog von Mecklenburg den Orden der wendischen Krone, ein russischer Verdienstorden wurde ihm gespendet, ebenso verliehen ihm der Herzog von Anhalt und der Fürst von Waldeck Auszeichnungen. Im J. 1878 sang er mit Frau Artôt beim Fürsten Radziwill und in einem Hofconcert bei der Kaiserin Augusta, die ihn, ebenso wie Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Friedrich, besonders hochschätzte. 1876 war G. in Baireuth, als dort zum ersten Male die Trilogie der Nibelungen aufgeführt wurde, um dies größte Werk Wagner’s an der Quelle kennen zu lernen. Die Aufgabe, die der menschlichen Stimme in Wagner’s Festspielen zu Theil wurde, ihr beständiger Kampf mit den Instrumenten, mußte G. als ein Niedergang der Gesangskunst, die ihm nie als ein gehobenes Sprechen, sondern als eine abgeschlossene Kunstform galt, erscheinen. Darum hat er die spätere Richtung Wagner’s nicht verehrt, wenn er auch die gewaltige Kraft und Bühnenwirksamkeit seiner Werke, und die Regeneration, die in mannichfacher Weise der deutschen Opernbühne durch sie gebracht wurde, anerkannte. Selbst hat er mit seinem „Loge“ bewiesen, daß er auch den späteren Wagner zu singen verstand und ein Zufall führte ihm auch die Hauptrolle der Meistersinger zu. Diese Oper war in Hannover neu einstudirt und erforderte über hundert Proben. G. beschäftigte sich im stillen mit der Rolle des Walther Stolzing, jedoch so, daß er, als der [641] eigentliche Darsteller vor der Erstaufführung erkrankte, ohne Probe einspringen konnte. Er verkörperte trotzdem die schwierige Partie so meisterlich, daß Publicum und Orchester ihn mit Beifall überschütteten. Das Auftauchen neuer Strömungen auf dem Gebiete der Oper und das bedeutende Nachlassen der Begeisterung, das mit den neunziger Jahren eintrat, bestätigte ihm noch seine Meinung, die Wagnerische Richtung nur für ein Uebergangsstadium zu halten.

Schon Ende der 60er Jahre war es ihm zeitweise möglich, hervorragende Stimmen zu bilden, oder sie für die Bühne vorzubereiten. Er ging mit vieler Geduld und Vorsicht zu Werke und lehrte die Schüler, was er selbst erprobt hatte, die große Beherrschung und Schonung der Stimme. Es mußte zuerst lange und ausdauernd die Mittelstimme geübt werden, immer im piano, dabei viele Coloraturübungen gemacht werden. So entwickelte er langsam und sicher die Kopfstimme und die Lernenden gewannen jene Leichtigkeit in der Anwendung der verschiedenen Register, die von Alters her als der Prüfstein wahren Kunstgesangs gilt. Die Sprechübungen, die damit Hand in Hand gingen, bildeten einen nicht minder werthvollen Theil des Unterrichts, denn sie bewirkten jene ungezwungene klare Textaussprache, die dem Lehrer ja selbst stets eigen war. Nach diesen Vorstufen führte er in das seelische Moment seiner Kunst ein und bildete den musikalischen Geschmack seiner Schüler durch die werthvollen Bemerkungen über Klangfarbe und Vortrag des zu Singenden. Von ihm interpretirt wuchsen aus den Tönen und Worten Stimmungen, Gedanken, Bilder, das einfachste wie das höchste, kunstvollste Lied wurde durch ihn zum Erlebniß, zu einer weihevollen Erhebung. G. stellte hohe Anforderungen an die Schüler, war aber stets wohlwollend und fördernd, wenn er sich von ihnen verstanden fühlte. Immer rieth er zu möglichst langem Studium und war sehr vorsichtig, ehe er in die Oeffentlichkeit treten ließ, rieth auch besonders den Schülern nach einigen Jahren der Praxis eine Pause zu machen und mit den inzwischen gewonnenen Erfahrungen wieder eine Zeitlang zu studiren. In die Oeffentlichkeit getreten sind von seinen ersten Schülern: Frl. Clara Schmidt, später Frau Capellmeister Claus, 1868, deren prachtvolle Altstimme er ausbildete, Frl. Adele Aßmann, die er für die Bühne vorbereitete, 1872, Frl. Dora Montin, erste Coloratursängerin an der Frankfurter Oper, 1880. Viele treffliche Dilettanten aus den ersten hannöverschen Kreisen genossen lange Zeit seine Ausbildung. Seine Kunst vergeistigte und vertiefte sich immer mehr und die Beherrschung seiner Mittel ließ die Stimme noch über die Höhe des Lebens hinaus einen tiefen Eindruck machen! Das bestätigen Berichte über die 1884 erfolgte Concertreise nach Kopenhagen, wo ihn Niels W. Gade einführte und wo ihm viel reicher Beifall gezollt wurde. Manche Vorstellungen classischer Opern, so von „Cosi fan tutte“, des „Johann von Paris“, des „Teufels Antheil“, riefen noch 1885 Göttinger Professoren nach Hannover, um G. darin zu hören, Glieder jener hochgebildeten, verständnißvollen Gemeinde, die, über den Tagesgeschmack erhaben, wahre Kunst zu verstehen und zu würdigen weiß. Im Sinne vieler Kunstfreunde wäre es gewesen, den Künstler unter der Ernennung zum Ehrenmitglied der Bühne, der er solange angehört, jetzt noch für einzelne Rollen zu erhalten, einer neuen Generation zum werthvollen Vorbild. Diesem Idealismus huldigte jedoch die neue Theaterleitung nicht, G. nahm 1888 seinen Abschied.

Er folgte einem damals an ihn ergangenen Rufe an das Dr. Hoch’sche Conservatorium zu Frankfurt a. M., als erster Gesanglehrer. Fast alljährlich war er früher nach Frankfurt gekommen, um in den beiden großen Oratorienvereinen, [642] dem Cäcilien- und Rühl’schen Verein, mitzuwirken und manche freundschaftliche Beziehungen verbunden ihn bereits mit der Stadt, in der er seine Laufbahn beschließen sollte. Vor Beginn der neuen Thätigkeit nahm er einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in Wien und machte sich dort mit den neuesten Errungenschaften der Laryngologie bekannt. Gegenüber der vorzugsweise für den Concertgesang ausbildenden Stockhausen’schen Gesangschule, begründete er am Hoch’schen Conservatorium die Ausbildung für das Opernfach und von Jahr zu Jahr wuchsen unter seiner Leitung die Gesangsclassen. Er hat in den sechs Jahren, die ihm noch zu wirken vergönnt war, viele Schüler herangebildet, unter denen mehrere in erfolgreiche Bühnenthätigkeit getreten sind: Karl Lang, Tenor (Schweriner Oper), Reimar Poppe, Baß (Kölner Oper), Bassermann, Bariton (Mannheimer Oper) und Frl. Nora Wachter, Klara Bergner und Anna Strauß, die als jugendlich-dramatische Sängerin, als hochdramatische und als Soubrette wirken. In den beiden ersten Jahren seines Frankfurter Aufenthalts gab G. Liederabende, die, wie die hannöverschen, durch die feine Wahl und edle Wiedergabe die Hörer fesselten. Auch war er Mitbegründer einer gesanglichen Vereinigung, die leider nach wenigen Jahren schon einging, unter seiner Mitwirkung jedoch Hervorragendes leistete. Es war das Frankfurter Vocalquartett, gebildet durch die Damen Julia Uzielli, Jenny Hahn, Dr. Franz Krückl und Dr. Gunz. Hier wurde interessante Musik geboten: dem Publicum wurden deutsche Madrigale von Isaak und Haßler, Haydn’sche Quartette, Liebeslieder von Brahms, Aus verwehten Blättern von Arnold Krug etc. in formvollendeter Weise vorgeführt. Gunz’ lebensfreudiger Sinn, die Beschäftigung mit seiner Kunst, jenem ewig frischen Lebensquell, halfen ihm in seinen letzten beiden Lebensjahren die durch das anstrengende Unterrichten hervorgerufene nervöse Schwäche immer wieder glücklich überwinden. Bis zuletzt in seinem Berufe thätig, trat der Tod infolge eines Herzschlages plötzlich ein und riß ihn unerwartet aus dem Kreise der Seinen.

G. hatte sich schon früh (1866) eine eigene Häuslichkeit gegründet, in der er in seinem vielbewegten Künstlerleben einen festen Halt fand. In seinem comfortablen Heim zu weilen, umgeben von seiner verständnißvollen Gattin und seinem einzigen Sohne (Dr. med. zu Frankfurt a. M.), war ihm die liebste Erholung. Während er in größerer Gesellschaft oft zurückhaltend sein konnte, war er nie anregender als in kleinem, vertrautem Freundeskreise und hier spendete er oft und gern die edelsten Blüthen seiner Kunst. Sein warmherziges, liebenswürdiges Wesen, seine treue Anhänglichkeit, gewannen ihm einen großen Freundeskreis, dessen Theilnahme und Verehrung ihn sein ganzes Leben begleiteten. Obgleich er nie wieder für länger nach Oesterreich zurückgekehrt war, blieb er immer der alten Heimath treu. Und er war auch seinem Wesen nach ein echter Oesterreicher, heiter und lebenslustig, impulsiv empfindend ohne zu grübeln, jedoch mit klarem, richtigem Blick begabt, wie Grillparzer so schön die Bewohner des Landes zwischen dem „Kind Italien und dem Manne Deutschland“ schildert.

Sein Leben bildete eine Kette fortschreitender Entwicklung, gipfelnd in der Verkörperung eines edlen künstlerischen Ideals, in dem sich das Beste der Gegenwart mit dem Besten der Vergangenheit vereinigte und ausklingend in der Uebermittlung dieser hohen menschlichen Aufgabe an eine neue Generation!