ADB:Herbeck, Johann Ritter von
Rotters Leitung betrieb H. kurze Zeit Harmonielehre, bald (1847) konnte er Compositionen vorlegen: Lieder, Einiges für gemischten und Männerchor, endlich 1850 eine Messe in A-moll. Nicht lange war H. in die Schule gegangen; alle musikalischen Kenntnisse erwarb er durch eigene Arbeit, durch eigenen Fleiß. Wie Händel studirte er aber neben der hingebenden [24] Pflege der Tonkunst auf das Eifrigste; er absolvirte das Gymnasium, trieb sodann juridische Studien und wahrlich wie bei Händel hatte auch auf Herbecks Entwickelung und gesammtes Wesen die wissenschaftliche Vertiefung einen stets nachwirkenden Einfluß, wohlthuend berührte in seinen Leistungen wie in seiner Persönlichkeit immer die hohe Bildung, die leider so häufig den Künstlern fehlt. Frühzeitig gründete H. einen Hausstand, als zwanzigjähriger Mann heirathete er Marie Halstucker. Aus dieser sehr glücklichen Ehe entsproßten drei Söhne: Wolfgang, Ludwig und Max. – Im harten Kampfe errang sich H., welcher Symphonien, Psalmen und eine Vocalmesse (1854) componirte, endlich Beachtung. Der Wiener Männergesangverein, dessen Mitglied er 1852, dessen Chormeister er 1856 geworden, wurde aber die Wiege seines Ruhmes. Was hinwiederum dieser Verein durch H. geworden, welche Siege er nun erfochten, wie er durch H. seinen Weltruf gewann, das lebt in Wiens Musikkreisen und wol weit darüber hinaus in frischester Erinnerung. Herbecks Chöre waren es, die stetes Entzücken im Publicum erregten; oft pseudonym vorgeführt, errangen sie immer Erfolge, 1862 führte er u. A. seinen gemischten Doppelchor „O lieber Herre Gott“ als von M. Franck 1610 componirt im historischen Concerte vor, der von der Kritik als ein Meisterwerk alter Kunst angestaunt wurde. Mit seinem populärsten Chore „Zum Walde“ (1859 componirt) errang H. bei der Nürnberger Sängerfahrt den ersten Preis; der französische Krieg des Jahres 1859 veranlaßte ihn zur Composition von Kriegsliedern „Wider den alten Erbfeind“. 1860 erschien sein von Hellmesberger und Becker oft gespieltes Quartett in F, 1861 die Symphonie in C mit obligater Harfe, 1864 die reizenden Kärnthnerlieder und viele andere Männerchöre, die Weihnachtslieder für sechsstimmigen gemischten Chor und Blasinstrumente, 1866 die große Messe in E-moll u. s. w. Alle diese Compositionen tragen den Charakter des Melodiösen an sich, sind von dem Hauche echter Poesie erfüllt, häufig auch von grandioser Wirkung. In allen zeigt sich das feinste Gefühl für den Text des Gedichtes und seine musikalische Behandlung, treffende Instrumentation und ein großes Talent, frische Klangfarben zu finden. Einen wahrhaft gewaltigen Eindruck macht die große Messe, die in ihrem Charakter an die Würde und den religiösen Ernst der alten frommen Tonmeister erinnert, aber mit allen Mitteln moderner Technik ausgestattet ist. Die Fülle von klangreichen gemischten Chörcn erklärt sich wol auch daraus, daß H. 1858 Chormeister des neugegründeten Singvereins wurde. Als solcher wie als Chormeister des Wiener Männergesangvereins und Dirigent der Gesellschaftsconcerte gewann H. erst recht seinen Wirkungskreis und entwickelte jene singuläre Meisterschaft im Dirigiren, die sogar im verwöhnten Wien Staunen erregte und die ihn geradezu zum Beherrscher unseres Musiklebens machte. Man mußte H. dirigiren sehen, man muß gesehen haben, wie er hundertköpfige gemischte Chöre, riesige Orchester und prätentiöse Solisten zugleich lenkte, ohne einen Blick in die Partitur sofort jeden noch so kleinen Fehler merkte, verbesserte und unter gewaltiger gegen sich geradezu schonungsloser Arbeit das Tonwerk endlich nicht bloß fehlerfrei, sondern im Sinne des Componisten in edler, idealer Weise vorführte. Man muß den aufreibenden Proben beigewohnt haben, um so recht würdigen zu können, welch’ geniale Begabung H. besaß, um Tonmassen nicht bloß zu leiten, sondern dem spröden Stoffe Leben und Begeisterung einzuhauchen. Wahrlich es steckte etwas Imperatorisches in dem Manne; wenn er einherschritt im raschen Gange, zum Pulte trat, mit einem Alle berührenden und begeisternden Blicke sein Orchester, seine Sänger übersah und sodann den Stab hob – da erschien er wie ein sieggewohnter stolzer Feldherr, man wußte es, der Mann ist der verkörperte Geist, das beseelende Princip, der geborene Führer! Dazu kam aber noch das große Talent in der Wahl des Repertoires, die unermüdete [25] Thätigkeit, mit der er allen Richtungen der classischen Musik, nicht minder aber auch guten Compositionen Neuerer gerecht ward. Neben Bach, Beethoven, Haydn, Schumann, Schubert, Spohr finden wir in den Concerten der Jahre 1859 und 1860 Liszt, Wagner, neben Ph. E. Bach, Mozart, Weber, Schumann (1861), Berlioz und Hiller. H. war es, der 1862 Händels Messias, Schuberts Lazarus (zum erstenmale), 1863 Händels Cäcilienode, Bachs Johannispassion, 1864 Händels Judas Makkabäus; Bachs Matthäus-Passion, 1866 Bachs Hohe Messe (H-moll), Beethoven’s Christus am Oelberg, 1869 Liszt’s Elisabeth, 1870 Schumann, Das Paradies und die Peri, Mendelssohns Elias, 1877 Mozarts Requiem und Haydn’s Schöpfung vorführte, der vielen anderen alten und neuen Compositionen zu geschweigen, die durch ihn in stets gleicher Meisterschaft vorgeführt wurden. Neben diesen Verdiensten um das Wiener Concertwesen mag gleich hier der Bedeutung Herbecks für die Auffindung und Bekanntmachung Schubert’scher Musik Erwähnung geschehen. Eine gewisse Congenialität zog H. stets zu Schuberts herrlichen Schöpfungen, 1865 fand er in Graz bei Hüttenbrenner Schuberts H-moll Symphonie, die er noch im December desselben Jahres vor die Oeffentlichkeit brachte; den „häuslichen Krieg“ führte er viel später, als er Operndirector geworden war, scenisch vor. Eine große Anzahl anderer Compositionen Schuberts brachte er entweder das erstemal oder aufs Neue vor das Publicum, gar Vieles hat er bearbeitet und ausgeführt, die innige begeisterte Sympathie für den so früh vollendeten großen Tondichter ließ ihn nicht rasten, H. hat sich im Schubertcultus nie genug gethan; von ihm rührt auch die Anregung zur Errichtung eines Schubertdenkmals in Wien her.
Herbeck: Johannes H., Componist und Dirigent, wurde am 25. December 1831 als Sohn bürgerlicher Eltern zu Wien geboren. Wie bei so Vielen reifte auch sein früh erwachendes musikalisches Talent in dem segensreichen Institute der Sängerknaben. Im Stifte Heiligenkreuz machte Herbecks herrliche Sopranstimme Aufsehen, sie war es wol, die G. Hellmesberger auf den Knaben aufmerksam machte und ihn dazu bewog, der musikalischen Ausbildung desselben in Wien den Weg zu ebnen. UnterAber neben dieser Thätigkeit ruhte sein eigener Schaffensdrang nicht, zahlreich ist auch die Anzahl der Compositionen, die er in den Jahren 1866–1877 geschaffen, möge hier nur an den frischen und volksthümlichen Chor: „Im Maien“ (1867), an die „Waldscene“ (eigene Dichtung) für Männerchor und Orchester (1868), an „Lied und Reigen“ (1872), „Gedichte Walters von der Vogelweide“ (1874), „Symphonische Variationen“ (1875), „Gedichte aus dem Trompeter von Säckingen“ (1876) und die großartige „Symphonie in D-moll mit Orgel“ (1877), Herbecks Schwanengesang (die Drucklegung der Partitur wird unverantwortlich in die Länge gezogen!) erinnert werden. Eine neue und ruhmvolle Epoche in Herbecks Leben begann mit seiner Ernennung zum k. k. Hofkapellmeister. (1863 wurde er Vice-, 1866 erster Hofkapellmeister.) Das altberühmte Institut bekam durch ihn nicht bloß ein werthvolleres Repertoire, sondern, was die Hauptsache ist, die Exactheit und Präcision ihrer Aufführungen wurde fortan mit Recht bewundert, die Aufführungen der Hofcapelle bilden seitdem eine weitere Bereicherung unseres Musiklebens. Allerdings erregte die rasche Beförderung Herbecks demselben zahlreiche Gegner, es war eine stattliche Phalanx von Feinden und Neidern, die sich zusammenfand, damals freilich ist H. noch mit seinen Widersachern spielend fertig geworden. Weniger leicht konnte er das nirgends faßbare, doch uns überall umgebende Miasma von Verläumdungen zerstören; freilich wer H. kannte, lachte des künstlichen Lügengewebes und wußte, wie viel von jenen Erfindungen zu halten sei. H. selbst, dem die Begeisterung seiner neuen Amtsgenossen entgegenkam, ging unbekümmert um dergleichen seinen Weg. Und dieser führte immer höher. Aus dem Concertsaal war H. in die altehrwürdigen Räume der Hofcapelle gekommen, von hier führte ihn sein Ruf auf eine sehr unähnliche Stätte, in das Orchester und endlich in die Directionsräume der k. k. Hofoper, 1869. (Am 1. Januar 1871 wurde er Director der Hofoper.) Oft und viel beschrieben ist diese Epoche in Herbecks Thätigkeit. Man bedauert zumeist, daß H. auf diesen Boden versetzt ward, ja man möchte es als eine verhängnißvolle Selbsttäuschung ansehen, daß er annahm, als einen [26] Riß, den er selbst in sein Leben gebracht. Und man möchte meinen, Herbecks sonst so ruhmreich und glänzend bewiesene Kraft hätte hier Schiffbruch gelitten. Nichts ist falscher als dies. Nicht bloß, daß auch hier eine Reihe glänzender und bleibender Erfolge zu verzeichnen ist, zweifellos hätte sich H. auch noch ganz anderer Siege rühmen können, wenn ihm nicht die Lebenslust durch kleinliche Quisquilien und Intriguen eingeengt worden wäre. Und was Herbecks Direction erzielte, ersieht man wol am Besten in unseren Tagen, wo unser weltberühmtes Operninstitut fast nur mehr durch das herrliche Orchester seinen alten Ruf bewahrt. Eben dieses Orchester aber wird nie die Wohlthat vergessen, die ihm durch das Pensionsstatut, für das H. als humaner Chef persönlich mit aller Kraft eintrat, zu Theil geworden. Und ebenso ungerecht wäre es, der Mustervorstellungen zu vergessen, die H. veranstaltete, in denen vor Allem die prächtigen Ensembles und hinreißenden Chorleistungen hervorgehoben werden müssen. Zu Herbecks bedeutenden Thaten als Director des Operninstitutes gehört aber auch sein aufopferndes Wirken für Wagners Schöpfungen; eine Thätigkeit, welche die Wagnerianer der äußersten Rechten ganz vergessen zu haben scheinen. H. war es, der Wagners Tondichtungen in der Wiener Oper eine bleibende Stätte geschaffen; nachdem Heinrich Esser denselben eine Gasse gebrochen, und u. A. den Lohengrin in mustergiltiger Weise einstudirt. H. gelang es, Rienzi und endlich die Meistersinger durchzusetzen und Anderes vorzubereiten, freilich unter unvergleichlichen Schwierigkeiten. Bei den „Meistersingern“ blieb ihm z. B. nur die Wahl, sie mit Kürzungen oder gar nicht bringen zu können, Alles hatte sich damals gegen das Gelingen des Werkes verschworen, eine Claque arbeitete dagegen, die Sänger waren schwierig, Herbecks Energie setzte es doch durch. Und gewiß nicht an H. lag es, wenn die späteren Opern Wagners nicht durch ihn zur Aufführung kamen. Wagner selbst stellte damals Bedingungen, die für die Wiener Bühne in jener Zeit unerfüllbar waren. Hemmnisse und Vexationen fanden sich auch sonst ein, Intendanten fehlten auch hier nicht, endlich war die Verquickung des künstlerischen Leiters und financiellcn Verwalters gewiß eine unselige. So mußte denn kommen, was kam. Trotz all’ der unläugbaren Verdienste als humaner einsichtsvoller Chef und ausgezeichneter Dirigent, trotz seiner bei der Leitung sowol dem Personal gegenüber, als auch bei der Inscenirung bewiesenen hohen Bildung, mußte H. doch um seine Entlassung einkommen, die Verhältnisse waren unhaltbar geworden. Eine geniale edle Künstlernatur verließ die Directionsräume des ersten Musikinstitutes der Monarchie, in die nun der Director des – Leopoldstädter Possentheaters einzog. Man hatte mit Recht die Berufung eines großen Künstlers an Herbecks Stelle erwartet, über diese Ernennung war man billig erstaunt. Als Erklärungsgrund wurden financielle Rücksichtcn angegeben, doch blieb der erwartete goldene Regen trotz merkwürdiger Repertoirezusammenstellungen und wunderlicher Experimente aus. Und so wird es wol bleiben, so lange immense Summen für das ganz zwecklose Ballet und prätentiöse Sängerinnen vergeudet werden. –
H., schon früher durch Verleihung des Ordens der eisernen Krone in den Ritterstand erhoben, trat also von der Leitung des Institutes zurück, für das Wiener Musikleben war er aber nicht verloren, sofort wurde ihm sein alter Wirkungskreis wieder eröffnet, zur größten Freude Aller trat er wieder an die Spitze der Gesellschaft der Musikfreunde als artistischer Director und (1875) als Leiter der Gesellschaftsconcerte. Aufs Neue entfaltete er hier jene wunderbare Thätigkeit, von der oben gesprochen ward, aufs Neue reihten sich Erfolg an Erfolg, die Saison 1875/76 wie die 1876/77 waren von glücklichstem Vollbringen, das musikalische Wien hatte seinen H. wieder. Mit Freuden sahen die Freunde, wie ihm die Reisen, z. B. die zum Jubiläum des Germanischen Museums in Nürnberg, [27] wie trefflich ihm der Landaufenthalt frommten, wie frisch sich die Lust am Schaffen in ihm erhob. Doch mitten in all’ diese Hoffnungen fiel lähmend und Entsetzen bringend die Nachricht, H. sei aufs Neue von jener Krankheit ergriffen worden, die ihn schon zweimal gefährdet, von der Lungenentzündung. Beim Dirigiren der Probe des Gesellschaftsconcertes und nicht minder bei Vorführung seiner geliebten Schubertmesse in der Hofcapelle hatte er wie gewöhnlich sich nicht geschont, wenige Tage nach der Kunde seiner Erkrankung ward Wien durch seine Todesnachricht in tiefen Schmerz versetzt. Am 28. October 1877 Vormittags hatte dieser treffliche Künstler ausgerungen.
Wien zeigte sich selten so, wie damals, es war ein echter wahrer Schmerz, es war eine allgemeine Theilnahme, die bei Herbecks Leichenbegängnisse Tausende und aber Tausende in schweigendem Harren auf den Straßen versammelte, die Tausende trieb, dem imposanten Leichenzuge, bis hinaus auf den weitentfernten Centralfriedhof zu folgen. In kalter Nacht kamen wir erst zurück, wie ein Heer, das seinen Führer verloren, in stummer Trauer, gebrochen und zerschmettert, denn unsere Klage galt nicht bloß dem Künstler, dem Dirigenten, sie galt auch dem Menschen, dem edlen, opferbereiten Freunde, dem enthusiastischen Verehrer des Schönen und Idealen, dem tapferen und wackeren Manne. Wir wußten es, was wir an ihm verloren und wissen es täglich mehr. – Und wenn dereinst in späteren Decennien sein Geschichtschreiber den sonnighellen Tagen jenes Musiklebens kommen wird, das wir in stolzem Selbstgefühle erstehen sahen, den Namen Johannes Herbeck wird er feiern für und für. Und jedes Blatt seines Werkes wird ein Ruhmesblatt sein für den Mann, dessen Standbild dann einem Wiener Platze zur Ehre gereichen wird, für den Mann, zu dessen Grabe die Spätergeborenen pilgern werden!
Biographische und kritische Notizen über H. sind sehr reichhaltig, aber in allen Wiener Blättern zerstreut, das Beste bieten unstreitig L. Speidels Besprechungen seiner Werke und Leistungen und dessen Bemerkungen nach Herbecks Tode. (Wiener Fremdenblatt.) Die Sammlung seiner Correspondenz, wie eine des Vaters würdige Biographie steht von dessen Sohne Ludwig zu erwarten. Die frischen und reizvollen Lieder Herbecks wünschte man längst gesammelt zu finden, es wäre ein schönes Denkmal des dahingegangenen Meisters, über dessen Monument man sich bisher nicht zu einigen vermochte.